3. November 2003
Tibet Bureau, Genf

Ngawang Sandrols Aussage

vor dem Menschenrechtsgremium des US Kongresses (Congressional Human Rights Caucus) zur Rolle der Frauen im Freiheitskampf der Tibeter

Washington, D.C., 31. Oktober 2003

"Ich danke Ihnen, daß ich an dieser Diskussion über die Rolle der Frauen im tibetischen Freiheitskampf teilnehmen darf. Es ist eine Ehre für mich, meine Gedanken den Abgeordneten und Mitarbeitern des Kongresses der Vereinigten Staaten mitteilen zu können. Wir Tibeter kämpfen um unsere Nation und um unser Recht auf Erhaltung und Förderung unserer Identität, Religion und Kultur. Nach der kommunistischen Invasion und Besetzung Tibets versuchte unser Volk tapfer der Zerstörung unseres Landes, unserer Religion und unseres kulturellen Erbes zu widerstehen. Die tibetischen Frauen haben bei diesem Kampf in der Vergangenheit eine bedeutsame Rolle gespielt und tun dies auch heute noch.

In der modernen tibetischen Geschichte wurden Frauen wie Ama Adhe (eine Frau im Laienstand), Ani Pachen und Ani Kunsang (beides Nonnen) zu Anführerinnen im Kampf gegen den Ansturm der chinesischen Kommunisten auf ihre Heimat. Sie arbeiteten dabei Schulter an Schulter mit den tibetischen Männern. Ebenso wie im Exil spielen die Tibeterinnen auch heute in Tibet selbst eine wichtige Rolle im Ringen um die Wiederherstellung der Rechte ihres Volkes. Die tibetische Frauenorganisation (Tibetan Women's Association) in Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Regierung-im-Exil, steht in direkter Nachfolge zur Frauenbewegung, die 1959 in Tibet ihren Anfang nahm.

Seit geraumer Zeit sind die meisten der im politischen Widerstand engagierten Frauen Nonnen. Der Grund dafür ist nicht nur darin zu suchen, daß ordinierte Nonnen durch ihren Abstand vom Familienleben eine aktivere Rolle übernehmen können, sondern auch darin, daß die chinesischen Behörden versuchen, den wichtigsten Aspekt des Lebens der Nonnen wie auch aller anderen Tibeter zu zerstören - unseren Glauben nämlich. Ich selbst habe bereits im Alter von elf Jahren an Demonstrationen gegen die chinesischen Besatzer teilgenommen, weil ich dagegen protestieren wollte, daß dem tibetischen Volk die Grundrechte einschließlich der Religionsfreiheit vorenthalten werden. Ich war auch sehr aufgebracht über die Art und Weise, wie die chinesischen Behörden unser spirituelles und politisches Oberhaupt, Seine Heiligkeit den Dalai Lama, verunglimpfen - kein Tibeter kann so etwas hinnehmen. Auf meine Verhaftung hin wurde ich auf Grund verschiedener Beschuldigungen zu insgesamt 12 Jahren Haft im berüchtigten Drapchi-Gefängnis in Lhasa verurteilt.

Ich tat mich mit einigen anderen Nonnen zusammen, die ebenfalls dort inhaftiert und von den Folterungen im Gefängnis betroffen waren. Nicht wenige von ihnen sind in Folge der Mißhandlungen, die sie erleiden mußten, gestorben. Diejenigen, welche dem Tod im Gefängnis entrinnen konnten, sind mehr oder weniger zu lebendigen Leichen geworden - auch wenn sie mittlerweile vermutlich aus der Haft entlassen wurden.

Ich hatte das Glück, daß die internationale Gemeinschaft einschließlich des amerikanischen Kongresses und der US-Regierung nicht nachließ, bei der chinesischen Führung in meiner Sache vorzusprechen. Daß ich jetzt in Freiheit leben kann, verdanke ich seiner Heiligkeit dem Dalai Lama und der tibetischen Führung sowie der aktiven Unterstützung der amerikanischen Regierung. Während ich meine jetzige Freiheit sehr hoch schätze, ist mir doch ständig das Elend meiner tibetischen Landsleute bewußt, vor allem derjenigen, die im Gefängnis sind. Daher möchte ich diese Gelegenheit wahrnehmen, um die Regierung der Vereinigten Staaten zu bitten, alles nur Mögliche zu tun, damit die unschuldigen Tibeter, die nur deshalb, weil sie ihre politischen Rechte geltend machten, eingesperrt sind und gefoltert werden, endlich in Freiheit leben können.

Unterdessen versuche ich alles zu tun, was mir möglich ist, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Als ich in die Vereinigten Staaten kam, erzählte man mir, daß es in der chinesischen Verfassung Gesetze und Bestimmungen gibt, die den Bürgern Chinas einschließlich der Gefangenen bestimmte Rechte garantieren. Zu meinem Erstaunen hörte ich, daß mir trotz des restriktiven Systems, das im heutigen China praktiziert wird, verschiedene Rechte zugestanden hätten, darunter das Recht auf Vertretung durch einen Anwalt und auf einen fairen, öffentlichen Prozeß. Nicht nur, daß mir und meinen Mitgefangenen kein einziges dieser Rechte zugestanden wurde, wir wurden nicht einmal über deren Existenz in Kenntnis gesetzt. Deshalb habe ich begonnen, mich mit dem chinesischen Gesetz zu befassen, um mich besser für die tibetischen politischen Gefangenen einsetzen zu können.

Abschließend möchte ich dem Kongreß der Vereinigten Staaten meinen Dank aussprechen für seine positive Rolle, um die Sache Tibets ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen, sowie für die Unterstützung seiner Heiligkeit des Dalai Lama bei dessen Bemühungen um eine gerechte Lösung der Tibet-Frage. Ich ersuche Sie eindringlich um Ihre weitere Unterstützung, solange bis das tibetische Volk seine Freiheit wiedererlangt hat und in Würde und Anstand in seinem eigenen Land leben kann. Tashi Delek!"

Tenzin Samphel Kayta
Human Rights Officer
The Tibet Bureau
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