11 May 2003 |
Aus: World Tibet News: http://www.afpc.org/intngawang.shtml, Washinton.D.C. April 2003
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"Das tibetische Volk sucht Würde, Freiheit und Respekt"
Ein Interview mit der ehemaligen politischen Gefangenen Ngawang Sangdrol
Von Al Santoli und Mahlet Getachew, China Reform Monitor
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Ngawang Sangdrol, eine kleine, zarte Frau mit sanfter Stimme, verbrachte aufgrund ihres mutigen Eintretens für die Freiheit ihrer Heimat Tibet fast die Hälfte ihrer 26 Lebensjahre unter harten Bedingungen in chinesisch-kontrollierten Gefängnissen. Al Santoli, Direktor der AFPC Asia-Pacific-Initiative, und Mahlet Getachew, API Programm-Koordinator, interviewten Ngawang Sangdrol im April 2003 in Washington. Ngawang Sangdrol, die infolge wiederholter Mißhandlungen durch chinesische Polizisten und durch Gefängniswärter an Migräne leidet, war zu einer 21jährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Die Strafe war immer wieder verlängert worden aufgrund ihres beharrlichen gewaltlosen Widerstandes gegen alle Versuche der Chinesen, ihr deren Regeln aufzuzwingen und sie dazu zu bringen, den Dalai Lama zu verleugnen.
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Wir trafen Ngawang Sangdrol das erste Mal während eines Empfangs der International Campaign for Tibet im Zentrum Washington. Sie war sichtlich überwältigt von dem Raum voll gut gekleideter Menschen sowie tibetischer und amerikanischer Gerichte, die einen langen Tisch füllten. Es war eine Atmosphäre wie im Traum, unvorstellbar für eine ehemalige politische Gefangene, deren einziges Besitztum ihr handgewebter Rosenkranz gewesen war, mit welchem sie in ihrer kalten, dunklen, kleinen Zelle gebetet hatte.
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Ngawang Sangdrol:
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Ich wurde zum ersten Mal am 21. August 1990 verhaftet, als ich dreizehn war, zusammen mit einer Gruppe meiner Nonnenschwestern auf einem Fest im Norbu Lingka, dem früheren Sommerpalast Seiner Heiligkeit des Dalai Lama in Lhasa.
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Al Santoli:
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Die Chinesen besetzen Tibet nun schon seit 1959, also gehören Sie der dritten Generation an, die unter chinesischer Herrschaft geboren wurde. Es ist faszinierend, daß das Nationalgefühl der Tibeter auch nach annähernd einem halben Jahrhundert chinesischer Versuche, die tibetische Kultur zu zerstören, nach wie vor stark ist, und daß das tibetische Volk immer noch den Dalai Lama respektiert. Wie war die Haltung der Menschen in dem Teil von Lhasa, wo Sie geboren wurden?
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Ngawang Sangdrol:
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Die Tibeter in meinem Viertel haben alle die gleiche Haltung: Liebe für unser Land und für Seine Heiligkeit den Dalai Lama. Ich wurde in einem kleinen Viertel in Lhasa geboren. Die Stadt besteht jetzt aus gemischten ethnischen Gruppen, aber die meisten sind Chinesen, die von außerhalb Tibets ins Land kommen. Sie sprechen Chinesisch, nicht Tibetisch. Mit der neuen Eisenbahnverbindung nach Zentralchina werden noch mehr Chinesen nach Tibet umsiedeln.
Ich trat ins Kloster ein, als ich zwölf war. Meine Familie ist sehr religiös, aber ich hatte auch Sehnsucht danach, eine Nonne zu werden. Nonnen leben getrennt von den Mönchen. Außerdem hatten meine Eltern unter der chinesischen Regierung gelitten und mir von ihren Erfahrungen erzählt. Es gibt niemanden in Tibet, der nicht weiß, was unter der chinesischen Regierung abläuft. Jeder hat den brennenden Wunsch, seine Stimme für die Freiheit zu erheben. Ich war in einer Gruppe von dreizehn Nonnen aus dem Garu Kloster, wir wurden verhaftet, weil wir während eines Festes im Norbu Lingka nach Freiheit gerufen hatten. Wir wußten, daß wir viel Aufmerksamkeit für unsere Sache bekommen würden, weil eine große Menschenmenge uns umgab. Wir wußten auch, daß da viele chinesische Polizisten in der Menge waren. So begaben wir uns in die Mitte der Menge, bevor wir mit unseren Rufen begannen: "Freiheit für Tibet! Lang lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama!" Fast augenblicklich zerrten uns chinesische Polizisten in Zivil aus der Menge. Alle dreizehn wurden wir in einen LKW verfrachtet.
Wir wurden in das Gutsa-Gefängnis weit außerhalb der Stadt gebracht. Auf dem Weg zum Gefängnis wurden wir von den Polizeibeamten schwer geschlagen. Und sie fuhren fort uns zu schlagen, als wir im Gefängnis angekommen waren, vom Morgen bis in die Nacht. Im Gefängnis gab es unterschiedliche Gefangene. Einige waren Kriminelle und andere, so wie wir, politische Gefangene. Es gab Chinesen und Tibeter. Männer und Frauen waren in getrennten Blocks untergebracht.
Gutsa ist ein Untersuchungsgefängnis, wo die Leute festgehalten werden, bis die Chinesen die Strafe aussprechen. Dann werden die Gefangenen ins Drapchi-Gefängnis nach Lhasa verlegt. Ich war mit drei anderen Nonnen in einer Zelle. Ich wurde dort neun Monate festgehalten. Die Folterung durch die Gefängniswärter begann sofort und hörte nicht auf.
Als wir im Gefängnis ankamen, wurden wir stundenlangen gewalttätigen Verhören unterzogen. Die Beamten nannten uns "Separatisten" und "Konterrevolutionäre". Wir wurden brutal geschlagen und gezwungen, Zwangsarbeit im Gefängnis zu verrichten. Den Beamten gefiel es, uns mit Eisenrohren zu schlagen und manchmal mit elektrischen Viehkeulen. Sie fesselten uns und schlugen uns abwechselnd. Sie befestigten auch Stromkabel an unseren Zungen. Sie fesselten uns auch in einer sehr schmerzhaften sogenannten "Flugzeug-Position", bei der unsere Hände hinter dem Rücken zusammengebunden und dann an der Decke befestigt wurden. Mir war, als ob meine Schultern aus ihren Verankerungen gerissen würden.
Ich war erst dreizehn und im Vergleich zu diesen Männern sehr klein. Sie warfen mich herum wie ein Spielzeug, hin und her, quer durch den Raum. Es kümmerte sie nicht, daß wir klein waren, oder daß wir Frauen waren. Sie folterten Kinder auf die gleiche Weise wie Erwachsene. Sie versuchten auch uns Angst einzujagen, indem sie uns Fotos eines sehr gruseligen, dunklen Ortes zeigten und sagten: "Wenn du Widerstand leistest, werden wir dich dorthin bringen."
Einmal, als sie mich mit Elektroschocks am Hals folterten, riss ich den Draht instinktiv ab und warf ihn auf den Boden. Ein chinesischer Aufseher zielte mit dem Gewehr auf meinen Kopf und sagte: "Jetzt wirst du sterben." Es war ihnen gleichgültig, daß ich ein Kind war. Die Männer, die die Folterungen vornahmen, waren gewöhnlich Tibeter, welche für die Chinesen arbeiteten. Aber der Mann, der mit der Waffe auf meinen Kopf zielte, war definitiv ein Chinese. Er war sehr wütend und wollte mich erschießen.
Wenn sie mit den Folterungen begannen, versuchte ich immer stillzuhalten und stark zu sein. Aber wenn sie mich mit eisernen Wasserrohren auf den Kopf schlugen, konnte ich nicht anders als niedersinken.
Die Wachen versuchten herauszufinden, wer die Anführer unter den Gefangenen waren. Dauernd versuchten sie, uns dazu zu bringen, uns gegenseitig zu beschuldigen oder zu gestehen, dass es falsch war, was wir für Tibet taten. Aber wir hielten alle zusammen in unserem Widerstand. Wir alle sagten: "Ich bin der Anführer." Und natürlich schlugen sie uns noch härter wegen dieser Auflehnung.
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Al Santoli:
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Wie kommt es, daß Sie unter solch grausamen Gefängniszuständen, als eine sehr junge Nonne, die in einer schrecklichen Umgebung gefangen ist, wo jeder Tag neues Leid bringt, Ihren Glauben nicht verloren, oder daß Sie keinen Haß entwickelten auf jene, die sie quälten?
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Ngawang Sangdrol:
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Meine Eltern waren sehr spirituell. Von klein auf lehrten sie mich die Religion und wie man betet. Sie erzählten mir auch einiges über die politische Situation, die in meinem Land herrscht. Aus diesen Gründen verlor ich nie meinen Glauben und wurde auch nie von Haß oder Angst überwältigt. Ich wußte, daß die buddhistischen Lehren immer betonen, wie wichtig es ist, Gutes für andere zu tun. Ich hörte nie mit dem Beten auf. Was ich von meinen Eltern gelernt hatte, gab mir Kraft. Auch wenn ich noch sehr jung war, wurde ich gestärkt durch den Glauben an mein Land und an meine Religion. Das ist es, was meine Aufmerksamkeit jenseits des täglichen Leidens ausgerichtet hielt.
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Mahlet Getachew:
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Hatten Sie Kontakt zu Ihrer Familie, als Sie im Gefängnis waren? Woher wußten Ihre Angehörigen, was Ihnen zugestoßen war?
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Ngawang Sangdrol:
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Während der ersten drei Tage war ich allein in der Zelle. Ich hatte keine Decken und nachts war es sehr kalt. Meiner Familie war sofort klar, daß man mich verhaftet hatte, denn es gab viele Zeugen des Vorfalls. Nachbarn erzählten meinen Eltern, was passiert war. Meine Eltern versuchten mich zu besuchen, aber die chinesischen Gefängnisbeamten erlaubten das nicht. Schließlich wurde ihnen gestattet, mit mir Kontakt aufzunehmen, aber nur sehr selten. Ein Grund dafür, daß die chinesischen Beamten keine Besucher zuließen, war, daß wir körperlich so stark mißhandelt wurden.
Gewöhnlich bekamen wir keine Seife oder Handtücher, um uns zu waschen, aber wenn höher gestellte Chinesen das Gefängnis besuchten (und aus Propagandazwecken Presseleute mitbrachten), mußten wir eine Show abziehen um den Anschein zu erwecken, daß wir menschlich behandelt würden. Die Wachen sammelten Geld ein - unser eigenes Geld - und kauften damit Seife, Handtücher und Decken, um sie in unseren Zellen, die bei solchen Gelegenheiten hübsch hergerichtet wurden, zur Schau zu stellen.
Während der Besuche machten die Beamten viele Fotos von uns, um der Öffentlichkeit zu beweisen, daß wir unter guten Bedingungen lebten. Aber wenn die Delegationen abgereist waren, nahmen die Wachen all diese Dinge wieder fort. Sie holten sie nur hervor, wenn offizielle Delegationen kamen. Dann bekamen wir Seife und Handtücher und machten unsere Show vor.
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Al Santoli:
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Als Sie nach neun Monaten aus dem Gefängnis freikamen, konnten Sie da in Ihr Kloster zurückkehren?
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Ngawang Sangdrol:
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Mir wurde nicht erlaubt, ins Kloster zurückzukehren. Also ging ich in mein Elternhaus, es war wie Hausarrest. Mein Vater und mein Bruder waren aus politischen Gründen verhaftet worden und meine Mutter war verstorben, während ich im Gefängnis war. Zuhause stand ich unter polizeilicher Beobachtung und konnte keinen Kontakt zu Freunden aufnehmen. Aber nach etwa einem Jahr drängte es mich danach, wieder zu protestieren. Also verabredete ich mich mit einigen anderen, um im Barkhor Viertel in Lhasa zu protestieren. Sobald wir damit begannen, nach Freiheit für Tibet zu rufen, führte mich die Polizei wieder ab. Diesmal verbrachte ich mehr als elf Jahre im Drapchi-Gefängnis.
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Al Santoli:
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Bitte erklären Sie, wie Sie und die anderen Nonnen in Ihrer Gefängniszelle im Drapchi-Gefängnis die Lieder aufnahmen, welche als Symbol für den Freiheitskampf des tibetischen Volks weltberühmt wurden.
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Ngawang Sangdrol:
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1992, nicht lange, nachdem ich wieder verhaftet und ins Drapchi-Gefängnis gebracht worden war, wurden wir zwölf Nonnen in eine kleine Zelle mit sehr wenig Sonnenlicht gesteckt. Da waren vierzehn von uns, die sich bereit erklärten, Gesänge auf einem Kassettenrecorder aufzunehmen, der von einem Mitgefangenen ins Gefängnis geschmuggelt worden war. In Drapchi führten taugliche männliche Häftlinge tagsüber Arbeiten für die Chinesen außerhalb des Gefängnisses aus. Das Gefängnis war in Bereiche für Männer und Frauen unterteilt. Irgendwie gelang es einem der männlichen Häftlinge, uns den Kassettenrecorder zur Verfügung zu stellen.
Als wir die Lieder heimlich in der Nacht aufnahmen, war es nicht unsere Absicht, unsere Botschaft in der Welt außerhalb Tibets hinauszutragen. Ich wußte noch nicht viel von der Welt, denn ich war noch jung. Aber wir wollten, daß das tibetische Volk von unserer schrecklichen Situation und von unserer Liebe für Tibet erfährt. Bei einigen Liedern dachten wir uns die Worte und die Melodie selbst aus. Aber bei anderen übernahmen wir, wenngleich wir die Worte ersannen, um unsere Geschichte zu erzählen, die Melodie von chinesischen Filmen.
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Al Santoli:
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Wie erfuhren die "singenden Nonnen" davon, daß die Menschen in der Außenwelt ihre Kassette anhörten?
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Ngawang Sangdrol:
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Wir hatten keine Ahnung, daß die Lieder ins Ausland gelangen würden. Aber die Gefängniswächter begannen, andre Gefangene zu fragen, wer die Lieder aufgenommen habe. Wie dem auch sei, sie erzählten uns nichts von der Wirkung der Musik, denn sie wollten nicht, daß unsere Hoffnung stieg oder wir uns bestärkt fühlten. Durch die monatlichen Besuche unserer Familien erfuhren wir, daß unsere Lieder außerhalb des Gefängnisses sehr bekannt geworden waren.
Ich schrieb einige der Lieder, und ein paar der anderen Gefangenen schrieben andere. Schließlich fanden die Beamten heraus, daß es meine Freundinnen und ich waren, die die Lieder aufgenommen hatten. Als Folge wurde meine Gefängnisstrafe um sechs Jahre verlängert. Andere Nonnen wurden auf ähnliche Weise bestraft. Wir wurden nicht geschlagen. Ich habe den Verdacht, der Grund dafür könnte gewesen sein, daß unsere Lieder von der Gewalt und den Folterungen handelten, die wir im Gefängnis erlitten. Und die Wärter zögerten nun wahrscheinlich damit, uns körperlich zu foltern.
Als die anderen Nonnen und ich vor Gericht gebracht wurden, um die Verlängerung unserer Strafen zu vernehmen, waren Polizisten mit Gewehren zu beiden Seiten. Normalerweise wären sie nicht so darum bemüht gewesen, den Anschein zu erwecken, daß wir nicht mißhandelt würden. Aber wegen unserer Lieder wußten sie nicht, wie sie mit uns umgehen sollten und befürchteten, daß die Gesellschaft und die Menschen außerhalb Tibets von unserer Lage erfahren würden.
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Al Santoli:
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Wir wissen, daß Sie und andere Nonnen weiterhin Widerstand leisteten gegen die Versuche der kommunistischen Beamten, Ihren Geist des Patriotismus für Tibet und Ihre Loyalität zum dem Dalai Lama zu brechen. Während der Zeitspanne 1993 bis 1996 berichteten internationale Gesellschaften für Menschenrechte, daß einige der Nonnen in Drapchi in den Hungerstreik traten.
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Ngawang Sangdrol:
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Meine Zellenkameradinnen traten aus Solidarität mit einer etwas älteren Nonne und mir in den Hungerstreik. Wir waren beide wegen unserer Aktion in Einzelhaft gesteckt worden, als Strafe für unseren Protest, als eine offizielle chinesische Delegation das Gefängnis besuchte, um es zu inspizieren und um falsche Propaganda bezüglich unserer Lebensbedingungen zu machen. Die andere Nonne war zwar etwas älter als ich, aber mir ähnlich, da wir beide körperlich sehr klein sind. Wir protestierten während der Inspektion der chinesischen Beamten, indem wir riefen: "Freiheit für Tibet!" Ich hielt ihnen vor: "Uns wird nicht erlaubt, unseren Respekt gegenüber unseren eigenen religiösen Führern auszudrücken. Weshalb sollten wir chinesischen Beamten Respekt erweisen?"
Das war im Winter, der auf der tibetischen Hochebene sehr kalt ist. Ich wurde in eine dunkle Einzelzelle gesteckt und ich trug nur ein Hemd - keinen Pullover oder Mantel. Und um ein Exempel zu statuieren, bestand ein Teil meiner Strafe darin, jeden Tag draußen auf dem Hof im Schnee stehen zu müssen. Ich wurde gezwungen, aufrecht in der eisigen Kälte zu stehen. Wenn ich zusammensackte, wurde ich von den Wachen geschlagen. Ich beantwortete ihre Mißhandlungen, indem ich noch lauter nach Freiheit rief. Die anderen Nonnen sahen dies und machten sich Sorgen um meine Gesundheit. Sie beschlossen, aus Solidarität mit mir in Hungerstreik zu treten. Und sie baten die Gefängniswachen, sich um mich kümmern zu dürfen. Wegen dieser Reihe von Ereignissen fügten die Chinesen meiner Gefängnisstrafe weitere acht Jahre hinzu und beließen mich in Einzelhaft.
Die Einzelzelle war sehr klein, da war gerade Platz genug für ein Bett, nach oben hin war sie offen, so daß die Wächter mich beobachten konnten. Wenn ich aufstand, hatte ich nur eine Fußlänge Platz zwischen dem Bett und der Wand. Es war wie in einem Kasten.
Tagsüber war es dunkel und nachts schalteten die Wachen das Licht an und kontrollierten mich dauernd … mir den Schlaf zu entziehen, war ein anderer Weg, mit dem sie versuchten, mich geistig und körperlich zu zerbrechen. Meine tägliche Mahlzeit bestand aus nichts als einem gedünsteten Mehlfladen und ein wenig wässriger Gemüsesuppe. Den Mehlfladen bekam ich morgens … abgesehen von der Gemüsesuppe war das alles. Ab und zu gaben sie mir etwas Tee.
Man erlaubte mir nicht, eine Decke mit in die Einzelhaft zu nehmen, so daß mir immer sehr kalt war. In meiner Zelle gab es nur eine dünne Matratze, die ich um mich wickelte. Ich konnte nicht schlafen, weil es so kalt war, und mein Gesundheitszustand verschlechterte sich mehr und mehr. Es war nachts so kalt, daß das Wasser im Wasserbehälter zu Eis erstarrte.
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Al Santoli:
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Was taten Sie in dieser schrecklichen Zeit Ihrer Gefangenschaft, um bei Verstand zu bleiben?
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Ngawang Sangdrol:
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Ich versuchte, ständig meine Gebete zu sprechen. Ich konzentrierte mich so sehr auf die Gebete und war so fixiert auf das Bedürfnis, die langen Gebete, die ich auswendig gelernt hatte, so oft zu wiederholen, daß die Zeit am Tag nicht auszureichen schien, um fertig zu werden. Ich richtete meinen Geist einfach auf meine buddhistischen Gebete. Manchmal war ich so auf meine lautlosen Wiederholungen konzentriert, daß ich es vergaß, wenn Essenszeit war und nicht aß, was sie in meine Zelle schoben.
Ich habe auch Malaperlen [Rosenkranzperlen] selbst gewoben, aus den Fäden, die ich aus meinem Hemd zog. Um vor den Wachen zu verbergen, was ich tat, löste ich den Faden nur vom unteren Rand meines Hemdes, während ich im Stillen meine Gebete aufsagte. [Ngawang griff in ihre Tasche und reichte uns einen zarten Rosenkranz, der aus den roten Fäden ihrer Gefängniskutte gemacht war.]
Ich versuchte 1000 Gebete vor dem Mittagessen zu sprechen. Ich bemühte mich sehr, meine Gebetsfolge rechtzeitig zu beenden, denn falls die Wachen mich beim Beten entdeckt hätten, wäre ich in Schwierigkeiten geraten. Sie hätten mir die Mala wegnehmen und mich bestrafen können, wahrscheinlich hätten sie mir die Mahlzeit verweigert.
Nach sechs Monaten in der Einzelzelle wurde ich wieder in die gewöhnliche Gefängniszelle zurückgebracht. Ich war zwar in Gesellschaft der anderen Nonnen, aber die Umstände waren für uns sehr schwierig. In dieser Zelle waren Spinnen und riesige Ratten, und überall noch alles mögliche andere Ungeziefer. In der Nacht krochen Ratten über uns, während wir zu schlafen versuchten. Manchmal bissen sie uns auch. Wir hatten Angst davor, von ihnen gebissen zu werden.
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Al Santoli:
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Was geschah 1998, als die chinesischen Wachen in Drapchi das Feuer auf die Gefangenen eröffneten?
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Ngawang Sangdrol:
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Am 1. Mai 1998, einem chinesischen Feiertag, drängten die Wachen viele Gefangenen in den Hof. Sie führten eine Zeremonie durch, bei der sie zum ersten Mal die chinesische Flagge innerhalb der Gefängnisanlage hissten. Sie wollten, daß jeder der Zeremonie beiwohnte und Respekt vor ihrer Flagge zeigte. Wir Nonnen blieben drinnen und beobachteten durch das Fenster unserer Zelle, wie die Ereignisse im Hof ihren Lauf nahmen. Wir konnten alles deutlich sehen.
Bei der Zeremonie waren sowohl Kriminelle als auch Dissidenten. Während die Chinesen die Flagge hissten, begannen zwei der Strafgefangenen "Freiheit für Tibet!" zu rufen. Dann begannen die Chinesen zu schießen. Wir konnten von Kugeln getroffene Gefangene sehen, die auf dem Boden lagen und zuckten.
Sofort eilten chinesische Wachen in unseren Gebäudeteil und packten uns. Sie zerrten uns hinunter in den Hof. Wir sahen, wie Gefangene geschlagen wurden und umfielen. Einige Leute riefen: "Sie töten unsere Gefangenen."
Nach ein paar Tagen befahlen die Chinesen den Gefangenen, einer weiteren Zeremonie beizuwohnen. Wir empfanden es als unsere Pflicht, etwas Patriotisches für Tibet zu tun. Politische Gefangene hatten keinen Zutritt zum Hof, aus Furcht daß es noch mehr Widerstand geben würde. Wieder schauten wir vom Fenster aus zu.
Die gewöhnlichen Gefangenen begannen inmitten der Wachen Freiheitssprüche auszurufen. Wir fielen von unserem Zellenfenster aus in ihre Sprechchöre ein. Obwohl wir gesehen hatten, was bei der vorigen Zeremonie geschehen war, waren wir entschlossen, für unser Land einzutreten. Wir beobachteten, wie die Wachen damit begannen die Gefangenen zusammenzuschlagen. Wir riefen: "Stellt keine chinesischen Flaggen auf tibetischem Boden auf!" Die chinesischen Beamten schickten Polizisten, die uns auf den Hof hinunter bringen sollten. Sie stürzten in unsere Zelle und begannen uns zu schlagen. Sie waren so wütend und erpicht darauf, uns hinunter zu zerren, daß sie Fensterscheiben zerbrachen, während sie uns schubsten und schlugen.
Im Hof wurden einige von uns mitten in die schreiende Menge geworfen. Die Polizisten schlugen uns gnadenlos mit Elektrostöcken und ihren Gürteln mit Metallschnallen. Überall war Blut, auf dem ganzen Boden.
Nachdem sie die Gefangenen aus dem Hof gezerrt hatten, zwangen sie einige, das Blut vom Boden aufzuwischen. Sie machten Videos von den zerbrochenen Fenstern und der Zerstörung und gaben den Gefangenen die Schuld. Und die Gefangenen mußten die Fenster bezahlen, die die Polizisten kaputt gemacht hatten.
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Al Santoli:
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Kurz nach dem Zwischenfall berichteten Internationale Gesellschaften für Menschenrechte, daß fünf Nonnen in Drapchi in ihren Zellen gestorben waren. Die chinesischen Kommunisten behaupteten, es sei Selbstmord gewesen. Was wissen Sie über diesen Vorfall?
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Ngawang Sangdrol:
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Ich habe nicht gesehen, was mit den Nonnen geschah, die im Anschluß an den Polizeitumult starben, da sie in einem anderen Zellenkomplex waren. Aber ich hörte, daß sie während der Folterungen nach dem Flaggen-Vorfall so heftig geschlagen worden waren, daß ihre Gesichter extrem anschwollen, und zwar so sehr, daß sie nicht mehr zu erkennen waren; sie sahen sehr schrecklich aus.
Nachts brachten die chinesischen Polizisten diese Nonnen eine nach der anderen in einen Raum, um sie auszufragen. Als sie zu ihren Zellen zurückgeschleppt wurden, waren sie bewußtlos von der Folter. Die Chinesen taten das nicht während des Tageslichts, weil sie wußten, daß die anderen Gefangenen protestieren würden. Obwohl ihre Zellengenossinnen Angst hatten, viel zu sagen, erfuhr ich, daß die fünf Nonnen starben, weil sie so furchtbar geschlagen worden waren.
Zur selben Zeit befand auch ich mich aufgrund der Schläge auf dem Hof in einem sehr schlechten Zustand. Sie hatten mich wie wild auf den Kopf geschlagen. Eine ältere Nonne, die sich auf meinen Körper warf, um einige der Schläge abzufangen, rettete mir das Leben. Aber ich erinnere mich nicht daran, was geschah, nachdem sie sich auf mich geworfen hatte, da ich ohnmächtig wurde. Erst in meiner Zelle kam ich wieder zu mir und merkte, wie die anderen Nonnen sich um mich kümmerten. Mein Kopf war stark angeschwollen, ich konnte vor lauter Schmerzen wochenlang nicht schlafen.
Seit der Zeit habe ich ständig Kopfschmerzen. Die Chinesen leisteten uns keine medizinische Hilfe. Wir mußten selbst für uns sorgen. Ich bekam von den Nonnen etwas tibetische Medizin, mit der sie meinen Kopf einrieben. Das war alles.
Meine Gesundheit verschlechterte sich. Sehr oft konnte ich nicht schlafen. Ich mußte mich aufsetzen oder aufstehen, weil die Schmerzen so stark waren. Zwei Jahre lang hatte ich Schmerzen bis zum Morgen und konnte viele Nächte nicht schlafen.
Die Schmerzen waren so schlimm, daß mir die chinesischen Wachen in manchen Nächten Spritzen gaben, um mich zum Schlafen zu bringen. Aber sie gaben mir keine Medikamente, um die Verletzungen zu behandeln, welche die Schmerzen verursachten. Im Jahr 2000 [als Ngawangs Fall der Öffentlichkeit bekannt geworden war und die Welt an Peking appellierte, Ngawang freizulassen] war der Schmerz immer noch sehr stark, aber die Chinesen gaben nicht zu, daß ihre Schläge die Ursache waren. Sie behaupteten, ich hätte dieses Problem schon vor meiner Verhaftung gehabt.
Sogar in jener Zeitspanne, zwischen 1998 und 2000, fuhr ich mit den Protesten gegen die chinesische Besetzung Tibets fort. Die Wachen zerrten mich in Büros, wo sie mich zwangen still zu halten, während sie mich schlugen und traten. Aber anders als zuvor kamen sie nicht mehr so sehr in Rage, daß sie mich fast totschlugen.
Wenn ich gegen die chinesische Regierung protestierte, tat ich dies mit normaler Stimme. Auch wenn sie mich wütend machten, indem sie mich zwingen wollten, schlecht über Seine Heiligkeit den Dalai Lama zu sprechen, widersprach ich ihnen mit normaler Stimme. Ich erinnere mich an eine Situation, als chinesische Beamte mich fragten, was ich vom Panchen Lama hielt [dem von Peking als Alternative zum Dalai Lama kontrollierten]. Sie wollten, daß ich ihrem Panchen Lama meine Loyalität ausspreche. Aber natürlich sagte ich: "Ich bin Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama treu". Wie Sie sich vorstellen können, wurde ich dafür bestraft. Meine Gefängnisstrafe wurde immer wieder verlängert. 1998 verlängerten die Chinesen meine Strafe erneut um weitere sechs Jahre.
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Mahlet Getachew:
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Waren Sie überrascht, als die chinesischen Behörden Sie aufgrund eines medizinischen Gutachtens im Oktober 2002 aus dem Drapchi-Gefängnis entließen?
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Ngawang Sangdrol:
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Ich hatte nicht erwartet, freizukommen und hatte keine Ahnung, wie viele Menschen und Organisationen außerhalb Tibets versuchten mir zu helfen. Als ich zuerst nach Lhasa zurückkehrte - nach mehr als einem Jahrzehnt in Drapchi - war ich erstaunt, wie sehr sich die Stadt verändert hatte. In Lhasa leben jetzt so viele chinesische Leute. Das tibetische Volk wird zu einer Minderheit in seinem eigenen Heimatland. Diese Kolonisierung wird sich noch verstärken, da die Chinesen dabei sind, eine Eisenbahnlinie von Zentralchina nach Lhasa zu bauen.
In den Vereinigten Staaten angekommen, war ich überwältigt von der überströmenden Liebe und Unterstützung, die ich von meinen tibetischen Landsleuten erhielt, aber auch von meinen neuen Freunden in der freien Welt. Ich schätze es sehr, daß International Campaign for Tibet mir hilft, insbesondere, was meinen Gesundheitszustand betrifft und die Unterstützung durch gute Ärzte. Ich brauche Zeit, um mich an diese neue Atmosphäre der Freiheit zu gewöhnen, da ich mein Leben bisher entweder unter einem autoritären System verbracht habe oder in einem Gefängnis. Ich bin tief berührt, daß die internationale Gemeinschaft sich so für mich einsetzt.
Obwohl ich diese Freiheit genieße, bin ich sehr besorgt darüber, daß viele andere tibetische politische Gefangene - darunter meine Nonnenschwester Phuntsok Nyidron - in chinesischen Gefängnissen dahinsiechen. Ich trage gerade Informationen zusammen über die Zustände, unter denen tibetische Gefangene leiden. Ich appelliere an die Weltgemeinschaft, damit auch die anderen Gefangenen entlassen werden und Freiheit genießen können. Das tibetische Volk wartet begierig auf den Tag, an dem es die Rückkehr seines wahren Oberhauptes sehen: die Rückkehr Seiner Heiligkeit des Dalai Lama in seine Heimat - in Freiheit, Würde und Respekt.
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