20. Juli 2004 |
Tibet Justice Center |
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Sonderbeitrag über den Megoe Tso (Mugecuo oder Yeti-See)
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Foto von River Watch East and Southeast Asia
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Am 10. Juli 2004 richtete sich mein Blick wieder auf den von schneebedeckten Bergen umgebenen Megoe Tso und den klaren, blauen Himmel über ihm. Man kann sich kaum vorstellen, daß die heiligen Wasser dieses schönen, unberührten Sees zur Energiegewinnung abgelassen werden sollen. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Besuch am Megoe Tso im Jahr 2003. Damals war den meisten Leuten dort nicht einmal klar, was ein Damm ist. Diejenigen, welche es wußten, hofften eben, daß sie auf der Baustelle Arbeit finden und genug Geld verdienen würden, um zu überleben. Im Laufe der Zeit erfuhren sie allerdings mehr von den tatsächlichen Folgen von Dammbauprojekten.
Als ich 2003 zum Megoe Tso reiste, gab ich mich als Touristin aus, um Probleme zu vermeiden. Ich interviewte damals auch keine Staatsbediensteten. Diesmal sagte mir die staatliche Angestellte, die uns im Auftrag des Tourismus Büros von Kangding begleitete, ganz unverblümt, sie sei gegen das Dammprojekt. Sie erzählte uns von der herrlichen Landschaft mit mehreren heiligen Seen und den 47 um das Gongkar-Massiv gelegenen schneebedeckten Gipfeln. Andere Mitarbeiter in ihrem Büro seien ebenfalls gegen den Damm, fügte sie hinzu.
Ganz offen sprach ein Kader aus der Forstverwaltung mit uns darüber, daß durch den Staudamm eine beträchtliche Anzahl endemischer Pflanzen und Tiere ausgerottet würde. Weiter sagte er, bis vor kurzem hätten viele der betroffenen Gebiete - zu denen ausgedehnte alte Wälder sowie die Seen Mugecuo und Renzonghai gehören als Teil der "Gongga (tib: Gangkar) Mountain National Scenery and Natural Conservation Area" unter Naturschutz gestanden. Unter dem Vorzeichen der "Entwicklung" würden aus diesen geschützten Gebieten jetzt Areale für die Großbaustellen herausgelöst. In China ist es allgemein üblich, eine derartige Ausbeutung der Natur, die mit Nachhaltigkeit nichts zu tun hat, als "Fortschritt für Wirtschaft und Umwelt" zu bezeichnen.
Kritik von den Mitarbeitern der Tourismus- und Forstverwaltungen zu hören, war nicht sehr überraschend, wirklich erstaunlich war es hingegen, zu erfahren, in welchem Maße viele der ortsansässigen Tibeter die Konsequenzen des Damms inzwischen begriffen hatten. Als wir an diesem Abend eine tibetische Familie besuchten, sagte uns ein junges Mädchen, ihr gefalle der Damm nicht, weil er den Tieren schaden würde.
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Foto von River Watch East and Southeast Asia
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Weiter meinte sie, das Vorhaben sei einfach zu gefährlich. Der Megoe Tso liegt geographisch gesehen oberhalb von Dartsedo (chin: Kangding), und die ganze Gegend ist schwer erdbebengefährdet. Wenn mit dem Damm wegen der häufigen Erdstöße in der Gegend etwas schief ginge, geriete ihr Leben Gefahr. Ihre Familie erzählte mir, der Zeduo-Fluß sei vor einigen Jahren mit Sand aufgefüllt worden, denn die Stadt benötigte mehr Baufläche. Vor Beendigung der Bauarbeiten sei es jedoch zu einer großen Überschwemmung gekommen, und die ganze Stadt sei überflutet worden. Viele Menschen kamen dabei ums Leben und zahllose andere verloren ihre Häuser und ihren Besitz. Bereits vor der Überschwemmung hatten Erdbeben großen Schaden angerichtet. Nach Auffassung dieser Familie ist die Gegend für derartige Großbaustellen nicht geeignet. Die ortsansässigen Bewohner sind ja schließlich diejenigen, welche die Folgen dieser wiederholten Fehlplanungen zu tragen haben.
Wir trafen auch ein Mitglied der regierungsunabhängigen tibetischen Umweltorganisation "Kham in Green", auf Chinesisch als "Green Kangba" bekannt. Er war hergekommen, um die heiligen Berge und Seen in der Umgebung von Kangding zu begutachten. Viele berühmte Lamas (buddhistische Lehrer) in Kangding sind Mitglieder der Tierschutzvereinigung und arbeiten dort ehrenamtlich und aus eigener Initiative mit. Die Einstellung der Einwohner von Kangding zur Umwelt ist in der buddhistischen Lehre der gegenseitigen Abhängigkeit von Mensch und Natur verwurzelt.
Kelsang, ein Kräuterhändler mittleren Alters, der während des Gesprächs seine Gebetsmühle drehte, hatte zu dem Projekt auch einiges zu sagen: "Jeder Ort verfügt über seine eigene Schönheit und Einzigartigkeit. Der Distrikt Xichang zum Beispiel ist der beste Ort, um Satelliten zu bauen. Wir hier in Mugecuo haben einen wunderschönen See, der eine Menge Touristen anzieht. Abgesehen von dem Einkommen, das meine Familie durch den Verkauf von selbst angebauten Kräutern und Gemüse erwirtschaftet, verdienen wir mehrere Tausend Yuan jährlich durch die Touristen. Ein Großteil dessen, was meine Familie für Nahrung, Kleidung und Schulgebühren ausgibt, wird durch diese Einkommensquelle gedeckt."
Er meinte, er könne dann vielleicht auf der Baustelle arbeiten, um Geld zu verdienen, er sei aber dennoch besorgt wegen der Zukunft seiner Familie. "Was werde ich in drei bis fünf Jahren machen, wenn der Damm fertig ist? Was werden die anderen in meinem Dorf tun? Wie sollen wir unsere Kinder großziehen?" fragt sich Kelsang.
Kelsang und seine Nachbarn sprachen darüber, inwieweit sie wohl in den Genuß des Wirtschaftsbooms kommen würden, der durch die Vielzahl der Entwicklungsprojekte für die Region in Aussicht gestellt wird. Sie kamen zu dem Schluß, daß die örtlichen Kader und Offiziellen die wahren Nutznießer dieser Entwicklung seien. Aus dem Gespräch mit ihnen ging klar hervor, daß Korruption und Mißbrauch öffentlicher Gelder in der Region an der Tagesordnung sind.
Die Leute in Kangding nahmen kein Blatt vor den Mund und sagten, daß hier alle Regierungsbeamten in führender Position einen teuren importierten Jeep besitzen. Wenn jeder von ihnen ein 500.000 Yuan teures Allradfahrzeug hat, wieviel kosten dann Toyotas für 100 hohe Beamte und woher kommt das ganze Geld? Es ist daher wohl nicht überraschend, daß diese Beamten das Projekt stets in den höchsten Tönen loben und argumentieren, die Armut der ortsansässigen Bevölkerung würde dadurch gelindert. Als Warnsignal zitierte ein alter Mann aus der Gegend einen Ausspruch des Vorsitzenden Mao: "Korruption und Verschwendung sind große Sünden".