Juli 2003 |
The Department of Information and International Relations |
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Datei mit farbigem Deckblatt und Bildern |
Tibet 2003: Umwelt und Entwicklungsfragen
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Inhalt |
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Teil 1 |
Vorwort
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Teil 2 |
Zusammenfassung
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Staudamm Golmud - © TIN
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In dieser Hinsicht haben die VR China und die Central Tibetan Administration (Tibetische Regierung-im-Exil) dieselben Ziele. Jedoch haben wir große Bedenken hinsichtlich des Sinnes der gegenwärtig von China verfolgten Entwicklungspläne auf dem Plateau und die Art und Weise ihrer Durchführung. Große Staudamm- und Wasserkraftprojekte, Landgewinnung, Seßhaftmachung von Nomaden und Einzäunen der Weidegebiete, Wiederaufforstung und Umwandlung von Farmland in Grasland und Wald sehen alle auf dem Papier sehr eindrucksvoll aus. Jedoch fragen sich die Experten, ob diese Umweltmaßnahmen tatsächlich gut durchdacht, den Umständen angemessen und auf lange Sicht vorteilhaft sind für China und für Tibet. So möchten wir fragen:
Zu den Mammutprojekten, wie z.B. der Eisenbahnlinie von Gormo nach Lhasa im Wert von 3,2 Milliarden US$, dem West-Ost-Stromtransfer, dem West-Ost-Gastransfer oder der Süd-Nord-Wasserumleitung wurden keinerlei fundierte Umweltgutachten oder -studien veröffentlicht. Diese Infrastrukturprojekte, die ausschließlich dazu dienen, Chinas eigenen Bedarf nach Weiterentwicklung zu befriedigen, lassen ernsthafte Bedenken aufkommen, inwieweit Chinas Engagement echt und es eigentlich bereit ist, für die Verbesserung und den Schutz der Umwelt zu sorgen und eine nachhaltige Entwicklungspolitik in Tibet zu betreiben.
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Ochotona curzoniae - Pfeifhasen, © Dr Axel Gebauer
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Das Dossier "TIBET 2003: Zustand der Umwelt" ist als objektive Analyse der derzeitigen Umwelt- und Entwicklungspolitik Chinas für das tibetische Plateau angelegt. Der Begriff "Tibet" bezieht sich in diesem Bericht auf alle 150 Distrikte (counties), die von Peking als tibetisch bezeichnet werden, also die sogenannte "Autonome Region Tibet", Amdo (chin. Qinghai) und die tibetischen Gebiete, die von China den Provinzen Sichuan, Gansu und Yunnan einverleibt wurden.
China sollte in diesem Bericht eine alternative Perspektive zur Behandlung von Umwelt- und Entwicklungsfragen auf dem Plateau sehen. Darüber hinaus will der Bericht unter Einbeziehung verschiedener Quellen auf die neuesten Indizien für eine Ausbeutung von Tibets Umweltschätzen aufmerksam machen. Es ist dies eine Ausbeutung, die nicht den Prinzipien der Nachhaltigkeit gehorcht und vor allem die Wasser-Ressourcen, den geheiligten Boden, die landwirtschaftlichen Flächen und Bodenschätze Tibets betrifft, während die Bevölkerungsdichte auf dem äußerst empfindlichen Plateau das verträgliche Maß schon längst überschritten hat. Pekings Politik des Bevölkerungstransfers auf das Plateau ist nur auf Grund von nicht nachhaltigem Input von außerhalb machbar, das heißt, in Form von direkten Subventionen von mehreren Milliarden Yuan jährlich, sowie der subventionierten Lieferung von im Binnenland hergestellten Konsumgütern.
Diese Kolonisierungspolitik brachte im heutigen Tibet zwei verschiedene Wirtschaftssysteme hervor. Das eine ist auf die städtischen Zentren und die Enklaven der Ressourcen-Gewinnung konzentriert, die in hohem Maß subventioniert werden, kapitalintensiv sind und von nicht-tibetischer Bevölkerung dominiert werden. Das zweite basiert auf der vorherrschend ethnisch-tibetischen ländlichen Ökonomie, die kapitalarm ist und keine staatliche Unterstützung genießt, die auch noch im 21. Jahrhundert eine Subsistenzwirtschaft darstellt und über keinen Zugang zu den in den städtischen Gebieten konzentrierten sozialen Dienstleistungen verfügt.
Teil 4 |
Erhaltung der Artenvielfalt: Politik und ihre Umsetzung
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Lutra Lutra - Fischotterfelle Fischotterfelle in der Nähe des Kumbum-Klosters bei Xining. |
Die Naturschutzgebiete der westlichen Region erfassen nicht alles; nicht alle Spezies, Habitate und Ökosysteme sind angemessen vertreten. Viele der Reservate sind von ihrer Fläche her zu klein, um der Flora und Fauna einen zu ihrer Erhaltung ausreichenden Lebensraum zu bieten... Die unzugängliche Lage vieler Reservate, die ursprünglich dem Schutz der betreffenden Gegenden dienen sollte, führt zu ihrer Vernachlässigung, zu Mißmanagement und unweigerlich zur Degradation...
Buchstäblich alle Naturreservate werden unzureichend finanziert. Es gibt nur wenig Personal, und dieses ist häufig schlecht ausgebildet, unterbezahlt und unmotiviert; die Wartung der Fahrzeuge und der sonstigen Ausstattung ist mangelhaft. Um die magere Finanzierung wettzumachen, beuten die Leiter der Naturschutzgebiete gar noch die wenigen sich bietenden kommerziellen Möglichkeiten aus - oft mit sehr negativen Auswirkungen."
An der Basis gibt es in Tibet durchaus engagierte Mitarbeiter, sowohl Tibeter wie auch Chinesen, welche die noch existierende Artenvielfalt zu erhalten versuchen. Ihre Aufgabe wird durch die in viel zu viele Unterabteilungen aufgesplitterten Behörden, die ihre Funktion auf den engen Raum ihrer eigenen Verantwortlichkeit begrenzen und nicht zusammenarbeiten, zusätzlich erschwert. Obendrein werden mittels eines rigiden Personalzuteilungssystems unfähige Leute an abgelegene Orte geschickt, wo sie nur mit Widerwillen arbeiten.
In Tibet wäre es viel produktiver, wenn man mehr Tibeter als Nationalpark-Aufseher ausbilden und beschäftigen würde, denn sie sind besser motiviert, ihr eigenes Land zu schützen, und sie haben nichts dagegen, in rauhe, abgelegene Gegenden entsandt zu werden.
Ein Zitat des angesehenen Zoologen und Wildtierschützers Dr. George Schaller, der Mitte der 90er Jahre bahnbrechende Studien über die tibetische Tierwelt anstellte, straft Chinas engstirnige Ansicht über die "passive tibetische Anpassung an die Natur" in Tibet Lügen. So schreibt er in "Tibet's Hidden Wilderness: Wildlife and Nomads of the Chang Thang Reserve":
"Seit Urzeiten haben die Tibeter die Umgebung von Tempeln und spezielle den Berggöttern vorbehaltene Plätze zu Schutzgebieten für Wildtiere erklärt. Der Chang Thang Nationalpark ist ein natürlicher Tempel riesigen Ausmaßes, ein Monument für Tibets Vergangenheit, ein Heiligtum, in dem die Gläubigen Inspiration finden können...".
Vor der chinesischen Besetzung war das Jagen von Wildtieren in Tibet verpönt, und nur die Armen jagten, um zu überleben. Einige wenige Tibeter jagten Tiere, weil sie bestimmte Körperteile für ihre traditionelle Medizin benötigten. Jedoch wurde das Erlegen von Tieren immer auf nachhaltige Weise und in kleinstem Maßstab betrieben, denn es gab Gesetze dagegen. Im zehnten Monat eines jeden Jahres wurde im Namen seiner Heiligkeit des Dalai Lama ein Dekret (tsatsig) zum Schutz der Tiere und der Umwelt erlassen.
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Marmota himalayana - Himalayamurmeltier, © Dr Axel Gebauer
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Die Aufzeichnungen der europäischen Abenteurer des späten neunzehnten und des frühen zwanzigsten Jahrhunderts berichten von dem ungeheuren Reichtum an wildlebenden Tieren auf dem tibetischen Plateau. Erst seit dem massiven Zustrom von chinesischen Migranten und Siedlern in bis dahin unberührte Gebiete im Gefolge der Entwicklungsprojekte ist ein alarmierender Rückgang des Bestands an Wildtieren festzustellen.
Die im Weißbuch aufgestellte Behauptung, in Tibet sei keine einzige Spezies ausgestorben, scheint der Wahrheit zu entsprechen. Jedoch sagt uns dieses Loblied nichts über den momentanen Stand der Artenvielfalt in Tibet. Der Bevölkerungszuwachs und die Entwicklungsprojekte der vergangenen Jahrzehnte sind die Hauptursache für den rasanten Rückgang des Wildreichtums auf dem Hochland. Die tibetische Antilope steht vor der Ausrottung; nur einer internationalen Protestwelle gegen den Handel von aus Shatoosh-Wolle gefertigten Schals ist es zu verdanken, daß die Jagd auf sie gedrosselt wurde. Den wilden Yaks steht ein ähnliches, wenn nicht noch schlimmeres Schicksal bevor. Heute sind mindestens 81 Spezies der tibetischen Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien gefährdet, und 125 Arten werden von der VR China auf Grund ihrer rapide abnehmenden Anzahl offiziell als schutzbedürftige Spezies geführt.
Die Chang Thang Region in der "TAR" wurde von China zum Naturschutzgebiet erklärt. Auch Chinas größte Flüsse, der Yangtse (tib: Drichu) und der Gelbe Fluß (tib: Machu), wurden in ihrem Quellgebiet in Tibet unter Schutz gestellt. Berichten des chinesischen Umweltschutzministeriums (SEPA) zufolge gab es in der "TAR" Ende 2000 siebzehn nationale und regionale Naturschutzgebiete, was ungefähr 40 % der Gesamtfläche aller Naturschutzgebiete in der VR China ausmacht.
Auf dem Papier sieht das zwar sehr eindrucksvoll aus, allerdings beträgt die im selben Bericht für 2000 angegebene Mitarbeiterzahl lediglich 163 Personen - die niedrigste von allen chinesischen Provinzen. Es ist offensichtlich, daß trotz der Kennzeichnung großer Flächen auf dem tibetischen Plateau als Naturschutzgebiete eine besorgniserregende Kluft zwischen offizieller Politik und den Möglichkeiten zu ihrer Umsetzung besteht.
Der Bericht "2020 Project" merkt an, daß China zwar im Jahr 1993 das globale Abkommen zur biologischen Artenvielfalt unterzeichnet hat, "der Fortschritt bei seiner Umsetzung aber bisher enttäuschend" gewesen sei. Weiter heißt es in dem Bericht, in der nordöstlichen tibetischen Provinz Amdo gebe es nur 50.000 km2 an Naturschutzgebieten, in der Provinz Sichuan - die zu 42 % als tibetisch ausgewiesen wird - sogar nur 28.300 km2: Das bedeutet lediglich 5 % der Gesamtfläche dieser beiden Provinzen.
Die von China eingerichteten Naturschutzgebiete, die sich zumeist in den kältesten und trockensten Gegenden des tibetischen Plateaus befinden, existieren sicherlich auf dem Papier. Und sie gehören zu dem, was in Chinas Weißbuch von 2003 als "ein relativ geordnetes und ortsbezogenes Umweltschutzsystem" bezeichnet wird. Die Chinesen schweigen sich jedoch darüber aus, ob die Gesetze und Verordnungen auch durchgeführt werden. Tatsächlich fehlt es aber in diesen Naturschutzgebieten - wie viele internationale Umweltexperten wie Dr. Schaller ausführlich dargelegt haben - an Rangern, ausgebildeten Mitarbeitern, Fahrzeugen und der notwendigen Befugnis, um Wilderern Einhalt zu gebieten.
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Yaks am Kokonor - © Dr Axel Gebauer
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Der Bericht "2020 Project" führt weiter aus:
"Die Erhaltung der noch vorhandenen einheimischen Vegetation und die Wiedergutmachung des bereits angerichteten Schadens sollten in der Western Region Priorität genießen. Das Programm weißt jedoch einige Schwächen auf. Die Naturschutzgebiete werden von verschiedenen Organisationen mit unterschiedlichen Interessen verwaltet, die ihre Aufmerksamkeit häufig nur einem einzelnen Aspekt zukommen lassen, ohne das Wissen oder die für das Management von integrierten Naturschutzgebieten notwendige Erfahrung zu besitzen. Von den 926 Naturschutzgebieten, die es 1997 gab, hatten 360 keine für sie zuständigen Verwaltungsämter und von diesen besaßen 308 wiederum kein effektives Management... Es gibt deutliche Anzeichen für einen Defizit bei der Behandlung der Naturschutzgebiete. Bedeutende Ökosysteme und Spezies erhalten keinen angemessenen Schutz, besonders in der Westlichen Region."
Einige landschaftlich eindrucksvolle Gebiete auf dem Hochland, wie Zitsa Degu in Osttibet (chin. Jiuzhaigou im heutigen Sichuan) erfreuen sich nicht nur des gesetzlichen Schutzes durch Peking, sondern werden auch auf der Liste des UNESCO-Weltnaturerbes geführt. Durch die Aufnahme von Zitsa Degu sollte eines der letzten Habitate der Riesenpandas unter Schutz gestellt werden. Dennoch wurde schon jahrelang keiner der gefährdeten Bären mehr gesehen. Überraschend ist das kaum, wo doch jährlich 1,5 Mio. chinesische Touristen Zitsa Degu besuchen, womit sie es Geschäftsleuten ermöglichen - zusätzlich zu dem Kapital, das der Titel "Weltnaturerbe der UNESCO" mit sich bringt - ungeheuren wirtschaftlichen Profit aus der großartigen tibetischen Landschaft und den Pandas zu schlagen. Von dieser Öko-Kommerzialisierung ist im chinesischen Weißbuch natürlich keine Rede.
Im "China Human Development Report 2002" der UNDP heißt es:
"Die chinesische Fauna und Flora ist außerordentlich vielfältig, dennoch ist die Biodiversität durch das Bevölkerungswachstum und die wirtschaftliche Entwicklung ernsthaft gefährdet. Als besonders bedrohlich erweisen sich von Menschen verursachte Vorgänge wie Abholzung, ungezügelte Ausbeutung der tierischen und pflanzlichen Ressourcen, Umweltverschmutzung und die Einführung invasiver, landesfremder Spezies. Abholzung und die unangemessene Nutzung von Land sind die beiden Hauptgründe für die Zerstörung von Biotopen in China."
Die bewußte Einführung exotischer Spezies gilt weltweit als eine Bedrohung der einheimischen Arten. Trotzdem stellt das chinesische Weißbuch diese Praxis als eine Errungenschaft für die Umwelt dar und behauptet, sie würde die Biodiversität fördern.
"Im Zuge von Tibets zunehmender Öffnung für die Außenwelt wurden nicht-endemische Nutztiere wie Karpfen, Karausche (carassius carassius), Aale und Schmerle, Hochleistungskühe, Schafe, Schweine, Hühner, Enten, sowie Nutzpflanzen wie Mais, Wassermelonen und Gemüse aus den innerchinesischen Gebieten nach Tibet eingeführt, wo sie inzwischen hervorragend gedeihen."
Langfristig betrachtet gedeihen diese fremden Arten auf Kosten der einheimischen Spezies, die durch die invasiven Exoten mittlerweile spürbar gefährdet sind. Viele tibetische Fischarten sind besonders davon betroffen, denn vor 1950 wurden sie überhaupt nicht zu kommerziellen Zwecken gefangen, heutzutage werden die größeren Seen des Plateaus durch kommerzielle Fangflotten überfischt, was fatale Folgen für den Fischbestand hat. Die chinesischen Zuwanderer essen Fisch, während Tibeter dies traditionell nicht tun.
Das chinesische Umweltweißbuch beschreibt die Einrichtung von Naturschutzgebieten als Mittel, die einzigartige Wildnis des Plateaus vor dem Vordringen nicht-endemischen Arten zu schützen. Im 21. Jahrhundert ist Peking anscheinend immer noch nicht in der Lage oder vielmehr nicht willens, den Unterschied zwischen Erhaltung der Biodiversität und ökonomischer Produktion zu erkennen.
Wildererbanden, die über high-tech Waffen und allradgetriebene Fahrzeuge verfügen, lassen sich weder von der Tatsache abschrecken, daß die tibetischen Naturschutzgebiete ausgedehnt, entlegen und unzugänglich sind, noch halten sie die äußerst unfreundlichen klimatischen Bedingungen davon ab, durch das weite, unbewohnte Land zu streifen und wertvolle Wildtiere abzuschlachten. Gegenwärtig wird der artenreiche Chang-Thang von der neuen Eisenbahnlinie nach Lhasa zerschnitten, und dank ihrer 23 Stationen haben Jäger und Schmuggler von tierischer Beute nun einfache Zugangsmöglichkeiten zum Verkehrsnetz. Mit der Einrichtung der Eisenbahnverbindung zwischen Tibet und dem chinesischen Binnenland wird es noch wichtiger, den örtlichen Naturschutzgebieten eine umfassendere und logistisch bessere Unterstützung zukommen zu lassen; vor allem ist es notwendig, effektivere Methoden zur Bekämpfung der Wilderei einzusetzen.
Durch die Vorgaben von adäquaten gesetzlichen Regelungen könnten die Naturschutzgebiete zu einer sicheren Zuflucht für Wildtiere werden - aber solche Vorgaben fehlen gegenwärtig völlig. Es ist dringend notwendig, Ranger zu schulen und einzustellen, und ihnen die notwendigen Befugnisse zu geben, damit sie den Gesetzen gegen die Wilderei der gefährdeten tibetischen Antilope sowie anderer seltener Wildtiere auch Geltung verschaffen können. Ortsansässige Tibeter sollten bevorzugt in der Verwaltung der Naturschutzgebiete ausgebildet und beschäftigt werden, denn sie kommen mit dem schwierigen Terrain zurecht und sind zudem besonders geeignet, weil ihre Religion und Kultur sie lehren, den Wildtieren und der Natur gegenüber im allgemeinen Respekt zu hegen und für sie zu sorgen.
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Otocolubus manul - Manul, Pallaskatze,
ein natürlicher Feind der Pfleifhasen - © Dr Axel Gebauer |
Eine am 20. Februar 2002 in People's Daily erschienen Reportage zum Thema "Hochlandjagd eine neue Touristenattraktion" enthüllt, welch eine bedenkliche Kluft zwischen offizieller Politik und der täglichen Realität des Wildtierschutzes besteht.
"Die Internationalen Jagdgründe Dulan auf dem als das 'Dach der Welt' bekannten Tibet-Qinghai-Plateau sind in den vergangenen Jahren zu einer beliebten Touristenattraktion geworden... Mehr als 600 Jäger aus einem Dutzend verschiedener Länder wie den USA, Deutschland, Frankreich, Rußland und Norwegen besuchten sie bis Ende letzten Jahres... Das 30.000 km2 große Jagdgebiet liegt im Zentrum der Provinz Qinghai in Nordwestchina. Zu den einheimischen Tierarten gehören viele Paarhufer wie Bergziegen (cliff goats), tibetische Antilopen, Rotwild und Weißlippenhirsche (Cervus albirostris). Die Mehrheit der tibetischen Antilopen in diesem Gebiet ist zwischen 13 und 14 Jahre alt, und sie haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 15 Jahren... 'Der Schutz der Wildtiere in dieser Region ist ein wichtiges Unterfangen. Die Jäger werden gebeten, nur auf die alten und kranken Tiere zu schießen', sagte der Vize-Generalsekretär der Wildtierschutz-Vereinigung der Provinz Qinghai, Yang Hongwei, und fügte hinzu, das aus den Jagdgebühren erzielte Einkommen sei für Öffentlichkeitsarbeit und den Schutz der Tiere verwendet worden."
Bis Mitte der 90er Jahre ließen sich viele Touristen von dem Angebot für exklusive Jagdtouren und die Aussicht auf Trophäen oder sonstige Beute ins "exotische" Tibet locken. Obwohl der Staat nun allmählich erkennt, wie wichtig der Erhalt der Artenvielfalt ist, floriert der Jagdtourismus noch immer. Abgesehen von der eben genannten Jagdtour, für die in der Online-Ausgabe von People's Daily geworben wurde, gibt es noch weitere tourismus-orientierte Websites, auf denen Jagdtouren in Amdo und den benachbarten östlichen und nordöstlichen Provinzen Gansu, Xinjiang und Sichuan angeboten werden.
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Bild auf Seite 8 des Prospekts der China Qinghai Tourist Corporation, Xining, Jagd-und Angelangebote, © Dr Axel Gebauer
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Eine Suche im Internet ergibt verschiedene Anbieter und Gruppen, die Touren in die tibetische Hochsteppe anbieten, um dort gefährdete Tierarten wie Blauschafe, Argali, Takin, Steinböcke und Weißlippenhirsche zu jagen. Interessanterweise wurden erst vor kurzem die Stellen entdeckt, an denen die tibetischen Antilopen ihre Jungen zur Welt bringen. Dem führenden Experten für tibetische Fauna Dr. George Schaller zufolge ist der Erhalt dieser Plätze für das Überleben der tibetischen Antilope unbedingt erforderlich.
Die Chinesen behaupten, die Anzahl der Wildtiere, insbesondere der tibetischen Antilopen, sei im Steigen begriffen. Was die Glaubwürdigkeit dieser Statistiken angeht, sind jedoch zwei Punkte zu beachten: Erstens wurde erst im Jahr 2000 mit der Erforschung des Verhaltens der Populationen begonnen. Zweitens müssen diese längerfristig und großräumig beobachtet werden, da die Herden ausgedehnte Gebiete zwischen Xinjiang, Tibet und Gansu durchqueren nur so können brauchbare Statistiken erstellt werden.
Wir begrüßen es, daß China sich dank der Durchsetzung neuer Verordnungen zum Schutze der Wildtiere und der Ratifizierung internationaler Gesetze zum Erhalt des Artenreichtums in Richtung auf den Schutz der Biodiversität bewegt. Die gegenwärtige Situation bleibt jedoch weit hinter echtem Artenschutz zurück. Wir hoffen, daß Peking seine Anstrengungen zur Stärkung aller aktiv am Erhalt der Artenvielfalt beteiligten Einrichtungen und Personen erhöht, damit auf diese Weise die offizielle chinesische Politik umgesetzt werden kann.
Teil 5 |
Ressourcenausbeutung: Zustand der Umwelt
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Ausbeutung der Wasser-Ressourcen: Langzeitfolgen
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Die legendäre Schönheit des Mugetso oder Megoe Tso |
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© River Watch East and Southeast Asia, www.rwesa.org |
Das tibetische Plateau ist an und für sich schon von großer Bedeutung, denn dank seiner geologischen Besonderheit weist es diverse Ökosysteme auf. Die Quellgebiete der Flüsse beherbergen ein viel reichhaltigeres Pflanzen- und Tierleben als andere Einzugsgebiete. Im chinesischen Weißbuch heißt es zu den tibetischen Feuchtgebieten: "Die Autonome Region Tibet hat über sechs Millionen ha Feuchtgebiete, womit sie an erster Stelle in China steht". Unerwähnt bleiben allerdings die derzeitigen Pläne der VR China für ein großangelegtes Nord-Süd-Wasserumleitungsprojekt, das die in der Zoige-Region (chin: Ruergai) in Amdo an der großen Flußschleife des Machu (chin: Huang Ho, Gelber Fluß) um das Amnye Machen Gebirge gelegenen Feuchtgebiete zerstören könnte.
Obwohl das Weißbuch einen Abschnitt enthält, der besagt: "Neue Bau-, Wiederaufbau- und Ausbauprojekte werden nur dann genehmigt, wenn eine Einschätzung der aus ihnen resultierenden Umweltveränderungen durchgeführt wurde", ist es Tatsache, daß der westliche Abschnitt des geplanten Süd-Nord-Wassertransferprojekts genehmigt wurde, ohne daß eine derartige Studie durchgeführt worden wäre. Die Vorbereitungsarbeiten für das Projekt sind bereits angelaufen, und der Baubeginn für die maßgebliche Infrastruktur ist für 2010 angesetzt.
Das Projekt beinhaltet den Bau von mindestens drei Mega-Staudämmen sowie die Sprengung einer Reihe von Tunnels mit Hunderten von Kilometern an Kanälen, die durch das östliche tibetische Plateau und verschiedene Gebirgszüge verlaufen, um den Oberlauf des Yangtse in den im Austrocknen begriffenen und überlasteten Gelben Fluß in Nordchina umzuleiten. Nach ihrer Fertigstellung sollen die Kanäle den chinesischen Nordostprovinzen mit ihrem steigenden Wasserbedarf jährlich bis zu 20 Mrd. Kubikmeter Wasser zuführen. Der Gewinn für Tibet ist gleich Null. Die Kosten dafür aber sind: die Störung der Flußhydrologie und die Zerstörung der ursprünglichen Ökosysteme durch die riesigen Baustellen zur Erstellung der massiven Dämme und die zahllosen Sprengungen für den Tunnelbau durch die Bayan Ha-Berge; weiterhin werden die in der Nähe der Baustellen lebenden Menschen in ihrer traditionellen Lebensweise gestört, und ihre tibetische Identität wird durch den enormen Zustrom chinesischer Arbeiter ausgelöscht werden.
Kritiker halten die Entstehung eines "chinesischen Wasserindustrie-Komplexes" für sehr wahrscheinlich, womit kein Ende der gigantischen, sich um das Wasser drehenden Bauvorhaben in Sicht ist, die in erster Linie die wirtschaftlichen, ideologischen und bürokratischen Interessen der chinesischen Führung fördern, anstatt dem Wohl der Bevölkerung oder der Umwelt zu dienen. Pekings offizielle Wasser-Entwicklungspolitik orientiert sich ausschließlich an der technologischen Position der Verfügbarkeit von Wasser und seinem Management, weshalb wasserbauliche Maßnahmen nur im Kontext von Wirtschaftswachstum und Nationalstolz gesehen werden.
International wirft Chinas Weigerung, sich an der "UN-Convention on the Law of the non-navigational uses of international watercourses" (UN-Konvention über das Recht der nicht-schiffahrtlichen Nutzung internationaler Flußgebiete) von 1997 zu beteiligen, ein deutliches Licht auf die rücksichtslose Praxis der Chinesen, große Entwicklungsprojekte an den Oberläufen landesübergreifender Flüsse wie dem Mekong zu realisieren, ohne die betroffenen Nachbarländer zu konsultieren.
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Manwan Staudamm am Lancang River (Oberlauf des Mekong) in der Provinz YunnanBilder von
River Watch East and Southeast Asia,
www.rwesa.org/lancang
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Im China Human Development Report 2002 des UNDP heißt es "In China ist wahrscheinlich nur noch ein äußerst geringer Bestand an ausgewachsenen Bäumen übrig. Sowohl im Nordosten (Mandschurei) als auch im Südwesten (Tibet) büßt China Wälder von hoher Qualität ein, während gleichzeitig in anderen Teilen des Landes Bäume angepflanzt werden, die jedoch anderen Zwecken dienen."
Entsprechend ihrem immer noch gültigen Quotensystem holzen staatseigene Unternehmen weiterhin die alten tibetischen Waldbestände radikal ab, wobei sie eine große Anzahl nicht-tibetischer Arbeitskräfte beschäftigen. Das Holz wird per LKW oder auf dem Wasserweg nach China abtransportiert. Dort verkaufen die staatseigenen Unternehmen die tibetischen Holzbestände zu niedrigen, offiziell festgesetzten Preisen an andere staatliche Firmen, die Eisenbahnschwellen, Stützpfeiler für Bergwerke oder Balken für die Bauindustrie herstellen.
1987 stand in einer chinesischen Publikation, daß die gefällten Bäume aus einer einzigen tibetischen Präfektur - nämlich Kanlho in der Provinz Gansu - zweimal den Erdball umspannen würden, wenn man sie hintereinander auslegen würde. Im chinesischen Weißbuch, das sich auf die sogenannte "Autonome Region Tibet" (TAR) beschränkt und so verschweigt, daß die Hälfte der tibetischen Gebiete in Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan liegen, findet sich nichts über diese ökologische Verwüstung des tibetischen Hochplateaus. Doch die himmelschreiendsten Fälle von Abholzung mit nachfolgender Bodenerosion geschahen gerade in den Gegenden Osttibets, die heute außerhalb der TAR liegen und Bestandteile der genannten chinesischen Provinzen sind.
Die großflächige Entwaldung Tibets hat auch nachteilige Folgen für die Wildtiere, deren Habitate zerstört und die durch die noch nie dagewesene Anwesenheit von Menschen beeinträchtigt werden. Diese hat wiederum Wilderei zur Folge: mit dem Zweck der Fleischbeschaffung, wegen der Felle und Häute und dem Verkauf der Organe der Tiere auf dem lukrativen Markt für chinesische Medizin. Die verheerenden Nebeneffekte der Abholzung auf die Tierwelt sind gut dokumentiert; es gibt hierzu viele Veröffentlichungen internationaler Experten und NGOs.
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In einer langen LKW-Kette wird Holz nach China transportiert © TIN
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1998 verkündete China ein landesweites Abholzungsverbot, ein willkommener Schritt, der mit dem Versprechen einherging, die kahlen Hänge der tibetischen Flußtäler, deren Wasservorräte das chinesische Binnenland und den größten Teil von Asien und Südostasien speisen, wieder aufzuforsten.
1998 schöpften die Tibeter ein wenig Hoffnung, bei der Wiederaufforstung eine aktive Rolle spielen und an der Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts mitwirken zu können. Es sind nunmehr fünf Jahre vergangen, seit Peking den Provinz- und lokalen Behörden, deren Einkünfte von den Holzunternehmen abhängen, ein Abholzungsverbot verkündet hat. Fünf Jahre ist es her, daß sich China endlich zwischen dem lukrativen Geschäft mit dem tibetischen Holz und dem Gewässerschutz entscheiden mußte. Vorher galt beides als frei verfügbares natürliches Kapital in Tibet.
Die katastrophalen Überschwemmungen des Yangtse im Jahr 1998 zwangen China zum Handeln. China entschloß sich vernünftigerweise dazu, das Wasser als das wertvollere Gut zu betrachten auf Grund dieser politischen Entscheidung müssen die Gebiete um die Oberläufe der Flüsse wieder aufgeforstet werden, damit es zu keinen weiteren Überschwemmungs- und Dürrekatastrophen in China kommt.
Dem China Human Development Report 2002 zufolge hat China mit dem Abholzungsverbot das Problem auf Nachbarländer verlagert, die keine adäquaten Mechanismen zur Durchsetzung von gesetzlichen Richtlinien haben. Dennoch haben wir Grund zu der Annahme, daß vor allem in den östlichen Regionen Tibets weiterhin illegal abgeholzt wird. Wie wir von Augenzeugen erfahren haben, ist es heutzutage lediglich teurer geworden, von bestechlichen Kommunalbeamten eine Abholzungsgenehmigung zu erhalten. Das steigert die Kosten für das Holz, welches so zu einem Luxusgut wird, das immer mehr illegale Geschäftemacher in die tibetische Region zieht.
Berichte des US-Landwirtschaftministeriums, welches die Lage vor Ort verfolgt, werden durch die Aussagen von Flüchtlingen im Exil bestätigt, die von anhaltender Abholzung sprechen. Im China Human Development Report 2002 der UNDP heißt es: "Die Manager der staatseigenen Wälder haben die Aufgabe, zwei widersprüchliche Zwecke zu vereinen: einerseits sollen sie Profite machen, andererseits müssen sie eine immense Anzahl von Arbeitskräften beschäftigen. Daraus ergeben sich für sie starke Anreize, ihre Produkte auf dem schwarzen Markt zu verkaufen."
2002 wurden in der Nähe von Markham in Südosttibet heimlich Videoaufnahmen gemacht, die belegen, daß auch nach dem Erlaß des Abholzungsverbots weiterhin Bäume gefällt wurden. Anhand der Filme kann man die Anwendung einer neuen Taktik zur Umgehung des Abholzungsverbots genau verfolgen. Im Spätfrühling werden Berghänge mit altem Kiefernbestand in Brand gesetzt, wodurch die Nadeln zerstört werden, die Baumstämme jedoch weitgehend intakt bleiben. Die geschwärzten Stämme sind offiziell wertlos, weshalb sie gefällt werden dürfen. Diese Vorgehensweise ist weit verbreitet und bindet die Arbeitskraft von mehreren hundert Arbeitern, welche nicht nur Bäume fällen und sie zur Weiterverarbeitung in Sägewerke transportieren, sondern auch mit Bulldozern Zugangswege schaffen.
Das Filmmaterial zeigt quadratisch zugeschnittene Baumstämme, was darauf schließen läßt, daß eine transportable Motorsäge herbeigeschafft wurde eine Maschinerie, über die ausschließlich die staatliche Forstverwaltung verfügt. Nach dem zumeist nachts hastig durchgeführten Abtransport des Holzes ist der Boden mit minderwertigen Stämmen, Rinde, Zweigen und einem Gewirr an Holzrückständen übersät.
Die dünnen angekohlten Stämme von Bäumen, die für die kommerzielle Nutzung zu klein sind, werden stehen gelassen, aber trotzdem ist den ortsansässigen Tibetern das Säubern der Hänge und die Nutzung der Holzabfälle untersagt. Es werden auch keine tibetischen Holzarbeiter beschäftigt, sondern nur zugewanderte Chinesen. Der Umfang dieser Machenschaften und die Methoden, mit denen vorgegangen wird, lassen darauf schließen, daß so etwas ohne die Kenntnis offizieller Stellen nicht stattfinden könnte.
Die Videoaufnahmen zeigen die Erosion weiter Flächen und Steilrinnen, die durch den katastrophalen Verlust der alten Waldbedeckung entstanden sind. Die einzigen Gebiete, wo ein Ansatz zur Wiederaufforstung gemacht wurde, liegen entlang der hauptsächlich von ausländischen Touristen befahrenen Routen.
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Das Versengen eines Waldes, der nicht von Natur aus leicht zum Brennen neigt und der in kein Gefährdungsprogramm (fire regime) einbezogen ist, schadet der Regeneration ganz besonders; es kommt noch hinzu, daß das Anzünden im späten Frühjahr vielen Tieren samt ihren Jungen das Leben kostet. Andere Wildtiere geraten in die von den zugewanderten Arbeitern aufgestellten Stahlfallen. Außerdem ist der Lebensunterhalt der in der Nähe ansässigen Tibeter, die sich durch den Verkauf von im Wald gesammelten Pilzen an den internationalen Shiitake-Markt (Lentinula edodes) etwas Geld verdienen konnten, ernsthaft bedroht. |
Die Region um Markham liegt im äußersten östlichen Winkel der TAR und ist weit von Lhasa entfernt. Es scheint, daß das dortige Forstamt geschlossen wurde, als die Abholzung offiziell im Jahr 1998 eingestellt wurde, weshalb es dort heute keine staatliche Forstverwaltung gibt.
Das im Anschluß an die Überschwemmungen des Yangtse von 1998 sogleich von China erlassene Abholzungsverbot war ein klares Signal dafür, daß man die Abholzung als Hauptursache für die Katastrophe erkannt hatte. Es besteht kein Zweifel, daß die Abholzung zum Anstieg der Sedimente in den Flüssen und zum Verlust von Speicherkapazitäten in den Quellgebieten der Flüsse führt. Entwaldung kann ebenfalls den Lauf der Flüsse verändern und Überschwemmungen hervorrufen. Gerade in der VR China gibt es jedoch noch zwei weitere Faktoren, die Überschwemmungen auslösen können der Verlust von Feuchtgebieten und Flußbau bzw. Flußbegradigungen in den tiefer gelegenen Gegenden sind typisch für sie.
Gegenwärtig investiert China zur Vermeidung künftiger Überschwemmungen ausschließlich in die Wiederaufforstung. Für die tibetischen Wälder war das Abholzungsverbot ein etwas fragwürdiger Segen. Entscheidend ist dabei, wie die Wiederaufforstung in den tibetischen Gebieten umgesetzt wird. Die Wiederaufforstung ist die offizielle Politik. Berichten chinesischer Ökologen von der Sichuan Forstakademie aus dem Jahr 2001 zufolge wird sie aber so durchgeführt, daß die tibetischen Gemeinwesen dabei weder irgendwelche Vorteile haben, noch in die eigentlichen Wiederaufforstungsmaßnahmen einbezogen werden. Für Tibeter gibt es dabei weder Entschädigungen noch Arbeitsplätze.
Eine Fläche von Millionen ha ist von der gegenwärtig propagierten "Gebirgssperrung" betroffen - das ist ein Drittel des westlichen, hoch auf dem tibetischen Plateau gelegenen Teils der Provinz Sichuan. Die von China gewöhnlich angewandte Methode besteht darin, Saatgut aus Flugzeugen abzuwerfen. Das ist nicht nur ineffektiv, sondern schließt die tibetischen Gemeinden von jeglicher Beteiligung an der ökologischen Forstwirtschaft aus. Ohne das enorme Ausmaß der Entwaldung zuzugeben, werden in Pekings Weißbuch Methoden zur Wiederaufforstung Tibets vorgestellt, die samt und sonders die aktive Beteiligung der Tibeter ausschließen. Das Papier lobt die Bemühungen: "In Tibet wurden Maßnahmen zur Wiederaufforstung ergriffen, das heißt, es wurde Saatgut mit Flugzeugen verteilt und die Berghänge wurden gesperrt, um die Wiederaufforstung zu erleichtern".
Chinas eigenen Statistiken zufolge wird die Wiederaufforstung frühestens in 50 Jahren erste Resultate zeitigen. Die Zerstörung dieser Wälder begann bereits in den 50er Jahren, und die Erosion der steilen, kahlen Hänge hat sich seither ständig verschlimmert.
In den einst bewaldeten Gegenden gehen die Entschädigungen aus Peking ausschließlich an chinesische Firmen und örtliche Behörden, damit den in der staatlichen Holzindustrie beschäftigten Nicht-Tibetern weiterhin ihre Gehälter bezahlt werden können. Das wird von Studien chinesischer Wissenschaftler belegt, die von dem "Chinesischen Rat für Internationale Zusammenarbeit in Umwelt- und Entwicklungsfragen" unter dem Vorsitz des neuen chinesischen Premierministers Wen Jiabao in Auftrag gegeben wurden.
Der gemeinsame Bericht der Staatlichen Entwicklungsplanungskommission und der Asian Development Bank von 2002 besagt, daß gemäß dem gegenwärtigen Plan der staatlichen Forstverwaltung "die Wiederherstellung des verwüsteten Landes mehr als 50 Jahre in Anspruch nehmen wird. Die Anpflanzungsquote muß erhöht werden, vor allem dort, wo die Erosion weiterhin kostspielige Schäden anrichtet".
Einem anderen Aspekt der neuen Wiederaufforstungspolitik - der Umwandlung von Grünflächen zu Getreideanbaugebieten und der von bebautem Land zu Grasland und Wald - sind wiederum die tibetischen Bauern und Nomaden zum Opfer gefallen. Auf Grund der Höhenlage und der harten klimatischen Bedingungen des Hochplateaus ist die Abholzung von Wäldern meistens irreversibel, und folglich stellt die Wiederaufforstung eine enorme Herausforderung dar. Heute wird sogar in Gebieten wiederaufgeforstet, die früher nicht bewaldet waren und die entweder zum Ackerbau oder als Weideflächen genutzt wurden. Logischerweise sollte jedoch in erster Linie in denjenigen Gegenden aufgeforstet werden, die in den vergangenen vier Jahrzehnten entwaldet wurden.
Zur Zeit scheint sich die Wiederaufforstung offenbar auf die fruchtbaren tiefer gelegenen Täler, in denen das Überleben der Pflanzen und Setzlinge gesichert ist, zu konzentrieren. Damit wird ein enormer Druck auf die tibetischen Bauern und Nomaden ausgeübt: Sie sollen die Wiederaufforstung und Umwandlung ihres landwirtschaftlich genutzten Bodens und Graslands akzeptieren, sie gar noch willkommen heißen, obwohl sie am Ende ihres Grund und Bodens beraubt werden. Das China-Tibet Information Centre in Lhasa brachte kürzlich Berichte über die im Rahmen der Wiederaufforstung am Oberlauf des Yangtse durchgeführte Umsiedlung von Tibetern aus dem Distrikt Gonjo in Kham in andere tibetische Gebiete in der Präfektur Nyingtri. Eine solche Umsiedlungsmaßnahme nimmt den tibetischen Bauern ihre Heimat und entzieht ihnen die Grundlage zum Erwerb ihres Lebensunterhalts.
Einhergehend mit dem Wiederaufforstungsprogramm werden die Bauern und Nomaden zum Anbau schnell wachsender Sträucher und anderer Spezies gezwungen. Es existieren jedoch keine Langzeitstudien über die Auswirkungen dieser neuen Arten auf die Umwelt, noch über die Bedrohung des Lebensunterhalts der Bauern und Nomaden, für welche diese eingeführten Spezies weder als Nahrung noch als Viehfutter irgendeinen Nutzen haben. Der Staat verspricht den Betroffenen, ihnen einige Jahre mit Getreide und Subventionen zu helfen, aber danach sind sie auf sich selbst gestellt.
Die VR China hat eine spezielle Politik zur Förderung der nachhaltigen Nutzung der Böden entwickelt. Dieses neue Werk bürokratischer Feinabstimmung schlägt vor, "die traditionelle und vererbliche Praxis, daß, wer immer das Land beansprucht, es auch bearbeiten und den daraus hervorgehenden Nutzen abschöpfen darf", einzuführen. Die neue Richtlinie bezieht sich auf "die Pflanzung von Bäumen und Gras auf kahlen Hügeln, Berghängen und an Stränden". Tibet als ein unfruchtbares Ödland, das entwickelt und erobert werden muß, zu sehen, ist eine klassische kolonialistische Betrachtungsweise. Es gibt bereits Fälle, in denen nicht zu der Gemeinde gehörende Personen Gemeindeland, welches die tibetischen Bauern üblicherweise als Weideland für ihr Vieh nutzen, zu Entwicklungszwecken reklamierten.
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Kokonor - Heimahe, Chinesische Zuwanderer © Dr Axel Gebauer
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Kürzlich durchgeführte Interviews mit Flüchtlingen aus der TAR enthüllen, welchen Problemen die tibetischen Bauern auf der Suche nach Weideland heute gegenüberstehen. Chinas Programme zur Wiederaufforstung und Kultivierung von Land könnten den Tibetern langfristig durchaus nützen vorausgesetzt diese verlieren nicht ihre Rechte auf das Land und erhalten volle permanente Handlungsvollmacht als Verwalter der Wälder. Doch damit die Tibeter ihre Nutzungspraktiken für Böden und Wälder anpassen können, müssen sie auch an die Vorteile der Programme zum Schutz der Wälder glauben.
Das Mindeste, was die Tibeter von diesen Maßnahmen haben sollten, wäre also ein verbürgtes Nutzungsrecht für ihre eigenen Holzressourcen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Des weiteren müßten ihnen aber auch unmittelbare Vorteile aus Pekings Programm zur Wiederaufforstung der riesigen, von den früheren kommunistischen Machthabern verwüsteten Landstriche Tibets erwachsen.
Durch die Zukunftsplanungen der VR China wird immens viel Kapital in die groß angelegten Infrastrukturprojekte investiert: um in Tibet Erdgas zu fördern, Kupfer und Chrom abzubauen und die Ausnutzung der tibetischen Salzseen zu intensivieren, aus denen China Rohstoffe zur Fabrikation von Kunststoff, Kunstdünger und für die Aufbereitung von Magnesium gewinnt. In China selbst besteht große Nachfrage nach Chrom. Der Manager von General Motors, der auch Mitglied des chinesischen Nationalkongresses ist, sagt voraus, daß innerhalb der nächsten 10 Jahre 500 Millionen Chinesen ein Auto für ihre Familien kaufen werden (People's Daily, 12. März 2003). Sollte sich dieses Konsumdenken durchsetzen, wird der chinesische Chrom-Bedarf dramatisch ansteigen und die weltweite Belastung durch Treibhausgase immens in die Höhe treiben.
Viele an China angrenzende Regionen des tibetischen Hochplateaus sind bereits hochindustrialisiert, wobei wenig Wert auf die Kontrolle der Umweltverschmutzung gelegt wird. In dem ariden Tsaidam-Becken im äußersten Nordosten Tibets werden aus den Ölfeldern jährlich zwei Millionen Tonnen Rohöl gefördert und zu den nahegelegenen petrochemischen Raffinerien gepumpt. Asbestabbau, Aluminiumhütten sowie Eisen- und Zinnbergbau expandieren dank der Protektion der Zentralregierung. Die Tibeter sind nicht in der Lage, die Installation von Geräten zur Kontrolle des Schadstoffausstoßes zu fordern, denn die Fabriken gehören denselben Leuten, die angeblich für den Umweltschutz zuständig sind, oder sie werden von ihnen geführt.
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Kokonor - Heimahe - Bau einer Pipeline, © Dr. Axel Gebauer
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Chinas laufender Fünfjahresplan ebenso wie auch das ""2020 Project"" sehen beide die weitere Ausbeutung der tibetischen Bodenschätze sowie massive staatliche Investitionen in Transport- und urbane Infrastrukturen vor, die notwendig sind, um diese Ressourcen effektiv erschließen und befördern zu können. Daß die tibetischen Gemeinwesen hierbei machtlos zusehen müssen, zeigt sich deutlich am Beispiel der Tongren Aluminiumhütte im landwirtschaftlich genutzten Tal des Rongwo Chu, das sich im Norden an Rebkong (chin: Tongren) in Amdo anschließt. Wegen des vollständigen Mangels an Geräten zur Kontrolle des Schadstoffausstoßes quillt toxischer, fluoridhaltiger Rauch aus den Schornsteinen der Hütte und verursacht Fluorosis, welche beim Vieh wegen des kontaminierten Grases und der mageren Getreideernte, insbesondere bei Schafen, zu Zahnausfall und zu Wachstumsstörungen führt. Alle an die Behörden gerichteten Appelle verhallten bisher ohne Reaktion. Die Hütte befindet sich im Besitz des Distrikts Tongren, und aus den Einkünften der Aluminiumherstellung werden die Gehälter der örtlichen Verwaltungsangestellten bestritten.
Ein 1996 von der US-Botschaft in Peking veröffentlichter Bericht über den unrechtmäßigen Goldabbau in China ö der sich insbesondere mit der tibetischen Provinz Amdo befaßt - hegt den Verdacht, daß die örtlichen Behörden mit den illegalen Goldschürfern, die im weitläufigen und unkontrollierten, fruchtbaren Grasland von Amdo und Kham operieren, unter einer Decke stecken. Mit ihren Bergbaumethoden verwüsten sie das Grasland und machen einen künftigen Abbau unprofitabel, weil sie nur kurzfristig ausgerichtete und äußerst destruktive Techniken verwenden. Die Nomaden der Region sind machtlos, die ökologisch verheerenden Übergriffe auf ihr traditionelles Weideland zu verhindern.
Trotz der Einführung einiger positiver Umweltgesetze sind Chinas Kapazitäten zur Durchsetzung dieser Gesetze nicht ausreichend; es mangelt an Personal und an der richtigen Motivation. Diese Situation verschlimmert sich noch dadurch, daß es keine Koordination zwischen den einzelnen Ministerien gibt.
Die Transportinfrastruktur spielt eine wichtige Rolle bei der bevorstehenden wirtschaftlichen Entwicklung in den westlichen Regionen Chinas. Unter Wirtschaftswissenschaftlern wird jedoch diskutiert, ob der Ausbau der Transportinfrastruktur den wirtschaftlichen Fortschritt auslöst oder umgekehrt. Die beachtlichen Investitionen in diesen Sektor stellen jedenfalls nur einen Teil der Gleichung dar. Investition in soziale Dienstleistungen wäre erforderlich, denn wir sind der Überzeugung, daß die soziale Infrastruktur der Schlüssel zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Weiterentwicklung ist.
Aus der ökonomischen Perspektive des Wirtschaftswissenschaftlers eilt die tibetische Transportinfrastruktur - vor allem die im Bau befindliche Eisenbahnlinie nach Lhasa - der aktuellen Nachfrage weit voraus, weil man hofft, durch reduzierte Transportkosten mehr Unternehmen in Tibet ansiedeln zu können.
Ob die Gormo-Lhasa-Eisenbahnlinie die Transportkosten tatsächlich reduzieren wird und sich damit das Einkommenspotential pro Kopf in Tibet erhöht, ist abhängig von ihrer Rückwirkung auf den Markt und von den Anlieferungsbedingungen für Güter. In Tibet ist der Marktfaktor beklagenswert niedrig, und nach Ansicht von Experten kann dieses Projekt niemals kommerziell rentabel werden. Aber, wie der frühere Präsident Jiang Zemin im Verlauf seines Amerikabesuchs im August 2002 der New York Times gegenüber einräumte, handelt es sich bei diesem Eisenbahnprojekt ja um eine politische Investition.
Fernstraßen und Eisenbahnlinien bilden die Grundlage für die Ambitionen der Chinesen, Tibets Ressourcen auszubeuten, um die weit entfernten chinesischen Städte und Fabriken mit Rohstoffen zu versorgen und die militärische Kontrolle über die tibetische Region zu konsolidieren.
Die erste Eisenbahnlinie nach Tibet, die von Lanzhou in China über Siling (chin: Xining) nach Gormo verläuft, ermöglichte den Chinesen die Errichtung des ersten petrochemischen Werks auf tibetischem Boden im ariden Gormo und den Transport von mindestens 15 Millionen Tonnen tibetischen Öls und Petroleums in die Raffinerien von Lanzhou auf dem Schienenweg. Anschließend wurden 40 km speziell angefertigte Schienen gelegt, um eine Gleisanbindung an die chinesische Forschungs- und Entwicklungsanlage für Atomwaffen in der TAP Haibei (tib: Tsojang) zu schaffen.
Jetzt wird diese Strecke von Gormo im Nordosten zur tibetischen Hauptstadt Lhasa ausgebaut, was den Staat 3,2 Milliarden US$ kostet. Das wird China die Ausbeutung der wertvollen Chromlager entlang der Strecke ermöglichen, sowie einen Zugang zu dem neuentdeckten Ölbecken Lhunpola im Chang Thang schaffen. Des weiteren rechnet China nach Fertigstellung der Eisenbahnlinie im Jahr 2007 mit einem Passagierverkehr von jährlich zwei bis drei Millionen einheimischer Touristen: Sie werden die heiligen Stätten überschwemmen, um exotische Tibeter zu filmen. Damit wird auch eine entsprechende touristische Infrastruktur entstehen - Urlaubsbungalows, Hotels und Luxusvillen für die chinesischen Neureichen - wodurch der Bedarf an Elektrizität, Wasser und anderen Gütern in Lhasa und den umliegenden ländlichen Gegenden ansteigt. Und die Fähigkeit des Landes, die durch die chinesischen Zuwanderer ständig wachsende Bevölkerung zu ernähren, wird zusätzlich belastet werden.
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Chinesen in Wenquan zwischen Gonghe und Huashixia, einem Ort am Qinghai-Tibet Highway, der von vielen chinesischen Kraftfahrern etc. besucht wird, © Dr. Axel Gebauer
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Einer der wenigen Abschnitte des chinesischen Weißbuchs, der detailliert und genau ausgearbeitet ist, befaßt sich mit den Maßnahmen zur Begrenzung der Umweltschäden durch den Bau der Eisenbahnlinie nach Lhasa. Unabhängige Untersuchungen bezüglich der Umsetzung dieser Vorgaben sind nicht gestattet.
Der Schienenstrang wird fast auf der gesamten Strecke von 1.142 km Länge auf erhöhten Bahndämmen verlegt, damit der Gleisuntergrund permanent gefroren bleibt. Dadurch werden massive Erdbewegungen erforderlich, durch die, wie auch im Weißbuch zugestanden wird, die Wanderrouten von gefährdeten Tierarten unterbrochen und empfindliche Feuchtgebiete, die an der Oberfläche zwar tauen und wieder gefrieren, deren tiefere Schichten jedoch permanent gefroren bleiben, durchschnitten werden.
In 50 Jahren ist es China nicht gelungen, eine Fernstraße zu bauen, die auf Dauer dem ständigen Wechsel von Gefrieren und Tauen, dem Auf und Ab einer geographisch einzigartigen Zone, deren Erdreich einen Teil des Jahres gefroren ist, Stand halten kann. China hat kein Verständnis für die grundsätzliche Dynamik des tibetischen Geländes. Dennoch wird durch diesen Eisenbahnbau mehr Erdreich bewegt als bei irgendeinem anderen Projekt in der Geschichte.
Wie will China verhindern, daß durch Tunnelbau, Sprengungen und Erdbewegungen in großem Ausmaß eine weitere Degradation des eisigen und äußerst empfindlichen Graslandes erfolgt? Das Weißbuch führt aus: "Für die Quell- und Feuchtgebiete entlang der Bahnlinie sind spezielle Schutzmaßnahmen zu treffen, um der Desertifikation in den Quellgebieten, dem Rückgang der Feuchtgebiete, der Zerstörung des Graslandes und der Wasserverschmutzung, die durch die Bauarbeiten entstehen könnten, vorzubeugen. Dabei sind der Schutz und die Regeneration der Vegetation besonders zu beachten."
Leider läßt sich das Weißbuch nicht darüber aus, wie das bewerkstelligt werden soll. Es steht da lediglich: "Die Grassoden sollten erhalten bleiben und anderorts Stück für Stück eingepflanzt werden, um dann wieder zurücktransportiert und auf den Hängen aufgebracht werden zu können". Weiter heißt es: "An das Hochplateau angepaßte Grassorten sollten behutsam ausgesucht und auf angemessene Weise angepflanzt werden, um die Vegetation so weit wie möglich wieder in den Zustand vor dem Eisenbahnbau zu versetzen". Es wird nichts darüber gesagt, ob die chinesischen Wissenschaftler etwas über die entsprechenden Spezies oder darüber wissen, welche Pflanzensorten Verpflanzung, extreme Kälte, Stürme, Schneestürme und das Abweiden durch Wild- und Haustiere überhaupt überstehen können.
Die von den Chinesen durchgeführten wissenschaftlichen Experimente, bei denen neue Grassorten in tibetischen Weidegebieten angepflanzt wurden, zeitigten bisher nur unbefriedigende Resultate. Die Nomaden mußten die Grassaat einzäunen, später das Futtergras mähen und zu ihren Tieren transportieren, weil die empfindlichen Exoten sonst kaum überlebt hätten.
Es muß bezweifelt werden, ob die Chinesen tatsächlich wissen, wie sie die Schäden, die durch den Bau der Bahnlinie in den empfindlichen tibetischen Feuchtgebieten angerichtet werden, begrenzen oder wiedergutmachen können. Dem chinesischen Weißbuch zufolge gibt es "dreizehn technische Schlüsselprobleme, die derzeit wissenschaftlich untersucht werden; die Hälfte von ihnen betreffen den Umweltschutz". Doch das Prinzip der Vorsorge, auf dem alle internationalen Umweltschutzprogramme basieren, lautet, daß ehe destruktive Eingriffe in die Natur überhaupt vorgenommen werden, die Lösung der Probleme bekannt und für Abhilfe gesorgt sein sollte.
Die von Peking festgelegte Trassenführung durchschneidet, wie das Weißbuch einräumt, die drei offiziell unter Schutz stehenden Naturreservate Hoh Xil, Chumarleb und Soga - alle drei Habitate der gefährdeten Antilopen und Gazellen. Die von den Chinesen vorgesehene Lösung wegen der Unterbrechung ihrer Wanderrouten besteht im Bau von Tunneln - in der Hoffnung, daß die Herden sie trotz eines vorgesehenen Fahrplans von täglich acht Zügen in beide Richtungen zur Unterquerung der stark befahrenen Gleise benützen werden.
Teil 6 |
Ausblick auf die Zukunft
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Lehren aus einem alten chinesischen Sprichwort
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Spielhölle in Daotonghe etwa 30 km östlich des Kokonor - das Dorf wurde völlig abgerissen und im tibetischen Stil, aber mit Beton und anderen chinesischen Baustoffen neu gebaut, © Dr. Axel Gebauer
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Eine der detailliertesten Studien über das zeitgenössische China ist "Mao's War on Nature" von Professor Judith Shapiro. Mao Zedong ist seit langem tot, aber seine destruktive Auffassung, in der Natur ein frei verfügbares öffentliches Gut zu sehen, ist bei den zentralen Planungs-Funktionären immer noch maßgebend. Mit einem Tonfall, der an Mao erinnert, verkündet das chinesische Weißbuch: "Um den Antagonismus zwischen Menschen und Nutztieren bzw. Grasvorrat und Nutztieren abzubauen, ... wurden weidefreie Zonen eingerichtet. Die Anstrengungen wurden intensiviert, um die durch Mäuse, Insekten und giftige Pflanzen gebildeten Risiken zu verhindern bzw. zu kontrollieren."
Anscheinend hat der Staat in den Jahrzehnten, seit er die Verantwortung für das tibetische Grasland übernommen hat, nicht viel dazugelernt. Die Nomaden oder das Ozonloch werden für die Degradation der Weiden verantwortlich gemacht, während seltene Tierarten weiterhin von der Ausrottung bedroht sind. Wären die Tibeter frei, ihr eigenes Grasland zu beweiden, gäbe es keinen sogenannten "Antagonismus" zwischen den Menschen und ihren Tieren.
Der aktuellen Krise des tibetischen Graslands zum Trotz folgert das chinesische Weißbuch, die meisten Teile davon befänden sich "in ihrem ursprünglichen Zustand". Die Chinesen interpretieren "ursprünglichen Zustand" jedoch als "eine passive Anpassung an natürliche Gegebenheiten", eine sklavische Abhängigkeit von der Natur: "Weil das Bevölkerungswachstum stagnierte, die Naturkatastrophen häufig waren und durch die Schneestürme so viele Menschen und Tiere umkamen, gab es in den alten Tagen in Tibet keine Überweidung".
Das jüngste chinesische Weißbuch zur Umwelt in Tibet drückt sich nur selten genau aus und bleibt besonders vage, was von 1950 an die ersten drei bis vier Jahrzehnte unter chinesischer Herrschaft betrifft. Da ist die Rede von wissenschaftlichen Studien und "einem Vorschlag für die wissenschaftliche Entwicklung und Anwendung, welche den Prozeß von wissenschaftlichem Verständnis, Nutzung und Schutz in Gang setzte". China war jedoch nicht fähig, zwischen Nutzung und Schutz zu unterscheiden, also zwischen "einer wissenschaftlichen Basis für die bessere Nutzung der natürlichen Ressourcen zur wirtschaftlichen Entwicklung Tibets und der ständigen Verbesserung der menschlichen Umwelt, also dem Lebensraum der Menschen".
In dem Papier werden Untersuchungen und Regelungen die aber niemals umgesetzt wurden als die einzigen positiven Errungenschaften bis in die 90er Jahre hinein erwähnt. Es schweigt sich hingegen aus über die Verwüstungen während dieser langen Jahrzehnte, die zur Dezimierung der tibetischen Tierwelt bis hin zur Ausrottung führte: Das beste Beispiel hierfür ist die tibetische Antilope. Ebenso wird Chinas Entscheidung, seine ersten Atom- und Wasserstoffbomben in der im Nordosten Tibets gelegenen Provinz Haibei (tib: Tsojang) zu bauen und zu testen, ebenso wie die in dieser Region vorgenommene Lagerung von Atommüll mit Schweigen übergangen. Noch werden die Abschußbasen für Atomraketen in Delingha (tib: Terlenkha), Datong (in der Nähe von Serkhog) und Da Qaidam (tib: Tsaidam) im nordöstlichen Amdo irgendwo erwähnt.
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Erdrutsch am Marwan-Staudamm
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"If the dam was not built, their land would not be lost"
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© Rivers Watch East and Southeast Asia, www.rwesa.org
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China lädt alle Umweltschutz-NGOs und Entwicklungsagenturen der Welt, egal ob groß oder klein, dazu ein, mit ihren Projekten nach Tibet zu kommen. Viele Organisationen haben diese Einladung bereits angenommen. Wir Tibeter begrüßen ebenfalls aktives Engagement von außen, denn wir sehen in den von ihnen gesammelten Erfahrungen eine Chance zur Verbesserung des chinesischen Niveaus und eine Anregung für China, die weltbesten Methoden zum Einsatz zu bringen. China sollte lernen, die Zivilgesellschaft auch an den Wäldern und dem Weideland partizipieren zu lassen, anstatt sie auszuschließen und den Tibetern als den eigentlich Betroffenen die ihnen zustehende Rechte auf aktive Mitwirkung zu versagen. Selbstverständlich befürworten wir das internationale Engagement zur Förderung der tibetischen Gemeinwesen bei der Artikulation ihrer Ziele ausdrücklich und begrüßen es, daß China auf diese Weise in den Genuß der in anderen Weltgegenden gesammelten Erfahrungen kommt.
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Huashixia in der Nähe des Donggi Cona/Tosson Nor - Gegensatz zwischen traditionellem und umweltverträglichem Transportmittel Pferd und Autoreifen als unsachgemäß abgelagertem Zivilisationsmüll moderner Transportmittel.
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Der Ort Daotonghe etwa 30 km östlich des Kokonor - das Dorf wurde völlig neu erbaut, an eine Müllentsorgung dabei allerdings überhaupt nicht gedacht.
Beide Bilder © Dr. Axel Gebauer |
Gemäß der chinesischen Verfassung haben die Tibeter ein Recht auf nominelle Autonomie. Viele internationale Organisationen haben erkannt, daß sie auf dem traditionellen Wissen aufbauen, mit klein angelegten und lokal kontrollierten Projekten anfangen und die gemeinschaftlichen Strukturen, die für die Tibeter schon immer maßgeblich waren, respektieren müssen. Die Standardmethoden der raschen Erfassung lokaler Bedürfnisse durch Mitbestimmung sind im Falle Tibets vielleicht nicht geeignet. Es ist besonders wichtig, innovative und praktische Wege zu finden, um die Menschen vor Ort mit einzubeziehen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen, ohne dabei die Integrität internationaler Organisationen, die den Standards echter Mitbestimmung und Meinungsfreiheit verpflichtetet sind, zu kompromittieren.
Während wir Partnerschaften mit den chinesischen Behörden, die konstruktive Projekte in Tibet planen, willkommen heißen, legen wir jedoch - zum Wohl von Land und Leuten - großen Wert darauf, daß sie wohldurchdacht und gewissenhaft durchgeführt werden. Die Tibeter werden immer klein angelegten lokalen Projekten den Vorzug geben, weil solche ihren Bedürfnissen unmittelbar entgegenkommen. Dabei sollten die Gemeinden vor Ort mit mehr Vollmachten ausgestattet werden, so daß sie Umweltschutzprojekte dann in ihre eigene Hand nehmen und aufrechterhalten können. Großprojekte, insbesondere massive Infrastrukturmaßnahmen und Schwerindustrie, stellen keine angemessenen Entwicklungsinvestitionen für das tibetische Hochplateau dar.
Logischerweise sollte die tibetische Landbevölkerung, also die Bauern und Nomaden, im Mittelpunkt der wirtschaftlichen und ökologischen Planungen stehen. Chinas führender Wirtschaftspolitiker Hu Angang rät: "Die Wahl des Weges zur Modernisierung sollte immer auf dem Grundprinzip der 'Vermehrung des Wohlstandes der Menschen an der Basis, der Investition in die Bevölkerung' beruhen, um diejenigen, welche die Mehrheit der Bevölkerung bilden - die Bauern und Hirten nämlich - unmittelbar zu den Hauptbegünstigten zu machen".
Tibetische Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler befürworten bereits seit Jahren Investitionen in die Nachhaltigkeit der Erträge und die Vielfalt der Sorten sowie in die Wertsteigerung der traditionellen landwirtschaftlichen Produkte. Diese Vorgehensweise schafft nicht nur mehr Wohlstand, sondern reduziert auch den Ruf nach Subventionen. Landwirtschaft und Viehzucht liegen im Vergleich zur Industrie im Verbrauch niedrig, sie haben aber den Vorteil, arbeitsintensiv und sehr flexibel zu sein. Es ist selbstverständlich, daß Landwirtschaft, Viehzucht und andere für Tibet charakteristische Gewerbezweige bei den Entwicklungsplanungen absoluten Vorrang genießen sollten, denn sie verfügen bei einer vergleichsweise recht niedrigen Investitionshöhe über das größte Potential, der mehrheitlich aus Bauern und Nomaden bestehenden Bevölkerung Tibets Nutzen zu bringen und ihren Lebensstandard anzuheben.
Den Bauern und Nomaden eine Vorrangstellung einzuräumen, ist dem globalen Entwicklungsdenken nicht fremd. Für China mit seiner traditionell stark zentralistisch orientierten Struktur ist dies jedoch etwas völlig Neues. Von Mitbestimmung wird überall geredet. Mit der Forderung nach einer von der Struktur her eingeplanten aktiven tibetischen Beteiligung an Entwicklungsprojekten würde ein Standard gesetzt, der die Beschäftigung von Tibetern mit der notwendigen Sachkenntnis in allen Phasen eines jeden Projektzyklus sicherstellen würde. Wenn Tibeter in Projektteams mitarbeiten, werden sie nicht nur die wirklichen Bedürfnisse und die tatsächliche Einstellung der Bevölkerung in den tibetischen Gebieten erkennen können, sondern auch bei der Überwindung von Kommunikationsproblemen mit der chinesischen Bürokratie behilflich sein. Dies wiederum trägt zur besseren Verwaltbarkeit, zur Herrschaft des Rechtes, zu Transparenz und Verantwortlichkeit bei. Tibetische Mitarbeiter oder Berater werden die Projekte nicht komplexer machen, sondern dazu helfen, Lösungen und gangbare Wege zu finden, die alle Parteien zufriedenstellen.
Tibeter bevorzugen lokale Projekte, die einem speziellen Zweck dienen, und sie legen Wert auf flexible, dezentralisierte Serviceleistungen, sie geben dem Wohle der Menschen den Vorzug vor großen Infrastrukturvorhaben und sie ziehen kleine Projekte den unflexiblen großen vor.
Die wichtigsten Prioritäten bei der Entwicklungs- und Umweltpolitik im heutigen Tibet sind daher:
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Procapra picticaudata
Tibetgazellen © Dr. Axel Gebauer |
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Pseudois nayaur
Blauschafe © Dr. Axel Gebauer |
Fotos & Copyright
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Dr. Axel Gebauer
Naturschutz-Tierpark Gorlitz e.V. www.tierpark-goerlitz.de |
Rivers Watch East and Southeast Asia
Baguio City, The Philippines www.rwesa.org |
Tibet Information Network
London www.tibetinfo.net |