17. August 2004
Office of Tibet, New York, Quelle: World Tibet News

Ausländische Korrespondenten eingeladen, über Chinas Panchen Lama zu berichten

New York, 17. August 2004 - Das Gesicht unter dem gelben Hut der Gelugpa-Schule des tibetischen Buddhismus wirkt ernst für einen Knaben seines Alters. Man sieht ihn, wie er zeremoniell in den Jokhang, den heiligsten Tempel Tibets, schreitet, und jemand hinter ihm geht, der einen gelben Sonnenschirm über seinen Kopf hält. Zwei ältere Mönche halten ihn auf beiden Seiten an den Händen. Dies ist das Bild, das CNN von dem 15-jährigen Jungen zeichnet, der in ganz Tibet als "der Falsche" bekannt ist.

Bereits jahrelang propagiert die kommunistische Führung in Tibet nun schon Gyaltsen Norbu als das wahre Gesicht des Panchen Lama. Offizielle chinesische Veröffentlichungen über Norbu schilderten die reichen mystischen Omina, die – wovon die atheistischen Machthaber so überzeugt sind - seine Authentizität als Reinkarnation eines vollendeten spirituellen Meisters beweisen.

Norbus Bildnisse waren überall zu sehen. Straßenverkäufer am Barkhor wurden zum Verkauf seiner Bilder an nichtsahnende Nomaden und Pilger ermutigt. Ein in Lhasa heimlich aufgenommenes Video zeigt einen Händler, der versucht, einer Nomadin aus Amdo das Bild des Knaben als das eines "hohen Lamas" anzudrehen. Die Frau wirft einen Blick darauf und lehnt mit der Bemerkung "das ist ja der Falsche" ab.

Ja, was die Reinkarnation des Panchen Lama betrifft, so hat Peking die Schlacht um die Herzen und Gemüter der Tibeter verloren - und zwar in einem Maße, daß die chinesische Regierung zu besonderen Maßnahmen greifen muß, um ihn vor der tibetischen Öffentlichkeit zu verbergen. Aber die Chinesen geben nicht so leicht auf. Wenn sie an der spirituellen Front schon nicht gewinnen können, dann eröffnen sie die Schlacht eben an der politischen.

Norbu mag es zwar nicht gelungen sein, die Tibeter für sich zu gewinnen, aber er kann Pekings Interessen immer noch dienlich sein, indem er international Legitimität gewinnt. Und dieser Kampf wird in der Arena der internationalen Medien ausgetragen. China wird die internationale Gemeinschaft mit Norbus Bild bombardieren – und zwar so gründlich und so oft, daß der von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama anerkannte Panchen Lama bald aus dem kollektiven Gedächtnis der Welt verdrängt sein wird.

Mit ihrer Entscheidung, die in Peking stationierten ausländischen Korrespondenten dazu einzuladen, Norbu bei seinem dritten Besuch in Tibet zu begleiten und darüber zu berichten, hat die chinesische Regierung lediglich zu einer neuen Strategie gegriffen. Auch Norbus zwei frühere Besuche wurden zu hochrangigen Medienereignissen hochstilisiert.

Bemerkenswert ist allerdings, daß diese Strategie zu funktionieren scheint. Es gibt bereits eine Reihe von Medienveröffentlichungen, die so abgefaßt sind, daß man meinen könnte, Norbu wäre in der Tat der echte Panchen Lama. In einem BBC-Bericht über das Ereignis heißt es, Gyaltsen Norbu komme im tibetischen Buddhismus an zweiter Stelle nach dem Dalai Lama.

Ein anderer Bericht bezeichnet ihn als den "Mönch, der in der Rangfolge direkt nach dem Dalai Lama kommt". Weiter heißt es darin, eines Tages obliege es Norbu, den nächsten Dalai Lama zu bestimmen. Freilich ist uns allen klar, daß China es darauf abgesehen hat, Norbu zu benutzen, um den nächsten Dalai Lama zu salben.

Wovon Peking dabei nichts wissen will, ist allerdings, daß ein von "dem Falschen" ernannter "Dalai Lama" insofern bedeutungslos wäre, als er bei den Tibetern absolut keinen Einfluß genösse. Die chinesische Regierung wird ihn allenfalls genauso vor ihnen verstecken müssen wie jetzt schon Gyaltsen Norbu.

Zweitens hat der Dalai Lama immer wieder betont, daß seine Reinkarnation nicht im chinesischen Herrschaftsbereich geboren werden wird, sollte er im Exil sterben. Der Zweck der Reinkarnation sei ja gerade die Vollendung der noch nicht abgeschlossenen Aufgaben der vorangegangenen Verkörperung und nicht etwa, sie zunichte zu machen, meinte er.

Des weiteren ist es falsch zu behaupten, ein Panchen Lama besäße die Autorität, einen Dalai Lama anzuerkennen. Obwohl einige Panchen Lamas eine wichtige Rolle bei der Anerkennung von Dalai Lamas spielten, waren andere bei diesem Prozeß bedeutungslos. Der 14. Dalai Lama wurde vom Regenten Reting erkannt, und der damalige 9. Panchen Lama spielte dabei keine Rolle.

Ein weiteres häufig geäußertes Mißverständnis besteht darin, den Panchen Lama als "den zweiten in der spirituellen Hierarchie Tibets" zu bezeichnen. Es stimmt zwar, daß der Dalai Lama das höchste spirituelle Oberhaupt der Tibeter ist. Unter ihm stehen die Oberhäupter der vier buddhistischen Schulen und des Bön, die alle gleichen Ranges sind und dieselbe Autorität innehaben. Einen von ihnen als "zweithöchsten" zu bezeichnen, kommt der Untergrabung des gleichwertigen Status aller religiöser Schulen in Tibet gleich.

Die Panchen Lamas sind eineinflußreiche spirituelle Lehrer der Gelugpa-Schule des tibetischen Buddhismus. Ihr hohes Ansehen beruht auf ihrem speziellen Lehrer-Schüler-Verhältnis zu den Dalai Lamas. Dem Panchen Lama jedoch den zweiten Rang nach dem Dalai Lama einzuräumen und zu behaupten, er besäße die Autorität, den nächsten Dalai Lama auszuwählen, heißt, die tibetische Geschichte auf den Kopf zu stellen und sie den Manipulationen der Propagandisten in Peking als Beute zu überlassen.

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