19. November 2004
International Campaign for Tibet
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Übersetzung aus dem Englischen

Ngawang Sangdrol bittet die USA um ihre Intervention im Falle Tenzin Delek Rinpoche

Die ehemalige politische Gefangene Ngawang Sangdrol ersuchte die Regierung der Vereinigten Staaten bei der chinesischen Regierung dahingehend zu intervenieren, daß der mit Aufschub zum Tode verurteilte Tenzin Delek Rinpoche aus der Haft entlassen wird. Sangdrol sprach am 18. November 2004 vor der Congressional Executive Commission on China (Exekutivausschuß des Kongresses zu China) zum Thema Religionsfreiheit. Wir geben hier ihre Ansprache in voller Länge wieder:

"Ich möchte mich dafür bedanken, daß ich die Gelegenheit erhalten habe, vor diesem Ausschuß über die Lage der Religionsfreiheit in Tibet zu sprechen. Ich empfinde es als eine Ehre, Ihnen im Namen der International Campaign for Tibet (ICT) und in meinem eigenen, meine Gedanken vortragen zu dürfen.

Wir Tibeter kämpfen um den Erhalt unserer Nation und um das Recht des tibetischen Volkes auf die Erhaltung und Weiterentwicklung seiner Identität, Religion und Kultur. Nach der chinesischen Invasion und Besetzung Tibets hat unser Volk tapferen Widerstand gegen die Zerstörung seines Landes, seiner Religion und seines kulturellen Erbes geleistet.

Der tibetische Buddhismus ist ein grundlegendes Element und integraler Bestandteil der tibetischen Identität, der in der tibetischen Gesellschaft stets einen zentralen Platz eingenommen hat. In den Augen der Kommunistischen Partei Chinas stellt die Religiosität eines der größten Probleme in Tibet dar - vor allem wegen der tiefen Verbundenheit zwischen tibetischem Buddhismus und tibetischer Identität. Der Partei ist es ein Rätsel, daß es ihr immer noch nicht gelungen ist, die Tibeter von ihren religiösen Überzeugungen und besonders von ihrer Loyalität zu Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, abzubringen. Es ist dies nicht nur ein ideologisches Problem für die Partei, ihre Bedenken wegen der Religiosität der Tibeter sind auch politisch und strategisch bedingt. Die Furcht der Partei vor tibetischen Unabhängigkeitsbestrebungen und vor Instabilität in den Grenzregionen des Landes hat zu einer gesteigerten Empfindlichkeit in bezug auf jedwede vermeintliche Infiltration "feindlicher" antichinesischer Kräfte von außen geführt.

Im Juli dieses Jahres veröffentlichte ICT einen Bericht über die Lage der religiösen Freiheit in Tibet. Darin wird dargelegt, daß sich – einigen kosmetischen Korrekturen zum Trotz - die Einstellung der chinesischen Regierung gegenüber den tibetischen Buddhisten nicht verändert hat. Ich werden Ihnen nun einige der Ergebnisse des ICT-Berichts vorstellen.

Seit der Liberalisierung Mitte der 80er Jahre haben die chinesischen Behörden die verschiedensten Maßnahmen zur Begrenzung der Religiosität in Tibet ergriffen. Im Anschluß an das 1994 in Peking abgehaltene Dritte Arbeitsforum zur Politik in Tibet wurden alle religiösen Aktivitäten gravierend eingeschränkt. Die Richtlinien des Dritten Arbeitsforums zeugen von der tiefen Verunsicherung der Partei angesichts der anhaltenden Popularität des tibetischen Buddhismus, eine Furcht, die durch die von ihr wahrgenommene Verbindung von Religion und Unabhängigkeitsbewegung zusätzlich verstärkt wird. Das Dritte Arbeitsforum billigte auf höchster Ebene die Intensivierung der Kontrolle und Überwachung der Klöster und die Aufstockung der Sicherheitsmaßnahmen durch verschiedene Administrativorgane - zusätzlich zu ihren bereits bestehenden Aufgaben im Rahmen der politischen Erziehung und als Informanten. Des weiteren wurden alle religiösen Institutionen zu folgenden Maßnahmen verpflichtet:

Überprüfung der politischen Einstellung eines jeden Demokratischen Management-Komitees und die Ernennung ausschließlich "patriotischer" Mönche zu Mitgliedern dieser Komitees.

Beachtung eines generellen Verbots für den Neubau von religiösen Gebäuden, es sei denn, es liegt eine offizielle Baugenehmigung vor.

Zwangsweise Begrenzung der Anzahl der Nonnen und Mönche in den Klöstern.

Auflage für alle Mönche und Nonnen, eine Erklärung ihrer bedingungslosen Loyalität zur Führung der Kommunistischen Partei und ihrer Befürwortung der Einheit des Mutterlandes abzugeben.

Den Mönchen und Nonnen wurde abverlangt, "sich politisch deutlich von der Dalai-Clique abzugrenzen", d.h. eine formale Erklärung abzugeben, in der sie den Dalai Lama und seine Politikablehnen. Die seit Mitte der 90er Jahre wesentlich schärferen Einschränkungen spiegeln die allgemeine Richtung der chinesischen Religionspolitik wieder. Die Razzien in den Klöstern können ebenfalls als Teil der intensiven Anstrengungen zur Unterdrückung von tibetischem Dissens gesehen werden - mittels einer Kombination von Propaganda, Umerziehung, administrativen Regelungen, Strafen und dem Einsatz von immer raffinierteren Sicherheitsmaßnahmen.

Die Religion wurde in Tibet hauptsächlich deshalb zur Zielscheibe der Zerstörung, weil sich die Tibeter gerade durch sie und ihre Kultur von den Chinesen unterscheiden. Denn so lange die Tibeter ihre einzigartige Religion und Kultur besitzen, kann man sie nicht so einfach als "Chinesen" bezeichnen.

Was die allgemeine chinesische Politik in Sachen Religionsfreiheit in Tibet betrifft, so bekundeten Hunderte meiner Landsleute in der Regel durch friedlichen Protest, daß sie nicht dafür sind, wofür sie ins Gefängnis kamen. Ich selbst habe bereits seit meinem 13. Lebensjahr an Demonstrationen gegen die chinesischen Behörden teilgenommen, weil ich mich dem Bestreben der Chinesen, dem tibetischen Volk seine grundlegenden Rechte, darunter auch die Religionsfreiheit, vorzuenthalten, widersetzen wollte. Ich war auch empört über die Art und Weise, in der die chinesischen Behörden unser spirituelles und politisches Oberhaupt, Seine Heiligkeit, den Dalai Lama, verunglimpfen – das ist etwas, was kein Tibeter hinnehmen kann. Nach meiner Verhaftung wurden mehrere Urteile gegen mich ausgesprochen, so daß ich insgesamt 12 Jahre Haft in dem gefürchteten Drapchi-Gefängnis verbüßte.

Ich teilte mein Schicksal mit mehreren anderen Nonnen, die wie ich inhaftiert wurden und Folter erlitten. Nicht wenige von ihnen sind aufgrund der Bedingungen, denen sie im Gefängnis ausgesetzt waren, gestorben. Diejenigen, welche das Glück hatten, die Haft zu überleben, sind mehr oder weniger zu lebendigen Leichen geworden, auch wenn sie vermutlich mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen worden sind.

Mir war das Glück beschieden, daß die internationale Gemeinschaft - darunter auch der Kongreß und die Regierung der Vereinigten Staaten – meinen Fall immer wieder bei der chinesischen Führung zur Sprache brachten. Dank des Wirkens unseres Oberhaupts, Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, und der politischen Führung der Tibeter ist es mir heute möglich, mein Leben in Freiheit zu genießen. Obwohl ich meine Freiheit sehr schätze, muß ich doch stets an die Not meiner Landsleute denken, vor allem derjenigen, die sich in den Gefängnissen befinden. Aus diesem Grund möchte ich diese Gelegenheit wahrnehmen, um die Regierung der Vereinigten Staaten dazu aufzufordern, das Äußerste zu tun, damit die unschuldigen Tibeter, die nur deshalb, weil sie ihre politischen Rechte ausüben, inhaftiert und gefoltert werden, befreit werden.

Bis dahin tue ich alles, was mir nur möglich ist, um der Öffentlichkeit ihre Lage zu Bewußtsein zu bringen. Als ich in die USA kam, erfuhr ich, daß es in der Verfassung der VR China Regeln und Bestimmungen gibt, die den in China lebenden Menschen, darunter auch den Häftlingen, eine Reihe von Rechten garantieren. Ich war sehr erstaunt, als ich hörte, daß mir selbst innerhalb des in China herrschenden restriktiven Systems einige Rechte zugestanden hätten, z. B. das Recht auf Vertretung durch einen Anwalt und das Recht auf einen öffentlichen Prozeß. Nicht nur, daß mir und meinen Leidensgenossinnen diese Rechte verwehrt wurden – man hatte uns erst gar nicht von ihrer Existenz in Kenntnis gesetzt. Aus diesem Grund habe ich begonnen, mich mit dem chinesischen Rechtswesen zu befassen, so daß ich eine bessere Sprecherin für die tibetischen politischen Gefangenen werden kann.

Ich wurde über den Inhalt des Berichts Ihrer Kommission für das Jahr 2004 und Ihrer Beurteilung der Situation in Tibet informiert. Wenn es in dem Bericht heißt, daß die chinesische Verfassung und verschiedene Gesetze, wie das Gesetz zur regionalen Autonomie, zwar über Paragraphen verfügen, in denen religiöse wie auch andere grundlegende Freiheiten garantiert werden, in der Praxis jedoch dem tibetischen Volk eine Vielzahl von Einschränkungen auferlegt werden, so entspricht dies völlig der Wahrheit. Zum Beispiel habe ich kürzlich gehört, chinesische Regierungsvertreter hätten behauptet, der Besitz und das Aufstellen von Bildern, die Seine Heiligkeit den Dalai Lama darstellen, sei den Tibetern ja gar nicht verboten. Medienberichten zufolge sollen diese Behördenvertreter gesagt haben, die Tibeter würden aus freiem Willen keine Fotos Seiner Heiligkeit aufstellen. Diese chinesischen Funktionäre haben nicht nur keine Ahnung von den Gefühlen der Tibeter; sondern ihr Verhalten zeigt auch, daß die chinesische Regierung keinerlei Achtung vor den religiösen Rechten des tibetischen Volkes hat. Es ist nur etwas über ein Jahr her, seit ich aus Tibet ausgereist bin und ich weiß, daß fast alle Tibeter in Tibet Portraits des Dalai Lama aufstellen würden, wenn die Regierung nicht sowohl direkten als auch indirekten politischen Druck auf sie ausüben würde. Wir Tibeter sind stolz auf unser religiöses und weltliches Oberhaupt, und der Glaube unseres Volkes und seine Verehrung für Seine Heiligkeit, den Dalai Lama, nehmen keineswegs ab. Unglücklicherweise werden so gut wie alle für Tibet wichtigen Entscheidungen nicht vom tibetischen Volk, ja noch nicht einmal von den tibetischen Offiziellen, sondern von der chinesischen Führung in Peking getroffen.

Ich stimme der im Jahresbericht dieses Ausschusses ausgesprochenen Empfehlung zu, in der es heißt: "Die Zukunft der Tibeter und ihrer Religion, Sprache und Kultur hängt von fairen und gerechten politischen Entscheidungen ab und diese können nur im Dialog zustande kommen. In diesem Zusammenhang spielt der Dalai Lama eine Schlüsselrolle. Der Präsident und der Kongreß sollten die chinesische Regierung weiter bedrängen, ernsthafte Gespräche mit dem Dalai Lama oder seinen Gesandten zu führen."

Da dieser Ausschuß speziell dafür ins Leben gerufen wurde, um die Lage in China zu verfolgen und die Regierung der Vereinigten Staaten mit angemessenen politischen Empfehlungen zu versorgen, möchte ich folgende inständige Bitte an Sie richten: Der Fall Tenzin Delek Rinpoche ist außerordentlich dringlich, denn es ist durchaus möglich, daß die chinesische Regierung ihn sofort nach Ablauf des Aufschubs seines Todesurteils – also nächsten Monat – hinrichten lassen wird. Die US-Regierung sollte ihren Einfluß geltend machen, damit dieser unschuldige tibetische Lama vor der Hinrichtung bewahrt wird.

Der Fall des Panchen Lama ist für die Tibeter von äußerster Wichtigkeit. Wir verfügen noch immer über keine richtigen Informationen über den Verbleib und das Wohlergehen des 11. Panchen Lama, Gedhun Choekyi Nyima. Die Vereinigten Staaten sollten Druck auf China ausüben, damit unabhängigen Beobachtern gestattet wird, zu prüfen, ob es dem Panchen Lama gut geht und ob er die ihm angemessene religiöse Ausbildung erhält.

Die Lage der tibetischen politischen Gefangenen ist ein weiterer Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, denn bis vor kurzem gehörte ich selbst zu ihnen. Ich möchte die Regierung der Vereinigten Staaten bitten, die chinesische Regierung zur Freilassung aller politischen Gefangenen zu bewegen. Des weiteren sollte China aufgefordert werden, den aus der Haft entlassenen tibetischen politischen Aktivisten ihre Rechte zurückzugeben. Ich habe erfahren, daß viele dieser Personen auch außerhalb des Gefängnisses ständigen Schikanen ausgesetzt sind.

Letztendlich führt der einzige Weg zu einer tragfähigen Lösung der Frage der religiösen Freiheit in Tibet über die Lösung des politischen Tibet-Problems. Die Vereinigten Staaten sollten unbedingt versuchen, die chinesische Regierung zur Aufnahme ernsthafter Gespräche mit den Gesandten Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, zu bewegen, damit auf dem Verhandlungsweg eine Lösung gefunden werden kann. Ich danke der Regierung der Vereinigten Staaten und dem amerikanischen Volk für das Engagement, mit dem sie die tibetische Frage immer wieder thematisieren, sowie für ihre Unterstützung Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, bei seinen Bemühungen um eine Lösung der Tibet-Frage.

Tashi Delek und Danke!

Nichtautorisierte Übersetzung aus dem Englischen

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