4. Mai 2006
Laogai Research Foundation
1925 K Street NW Suite 400, Washington, DC 20006, www.laogai.org


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Laogai als Werkzeug der Unterdrückung

von Harry Wu

Vorsitzender der Laogai Research Foundation

Mit Unterstützung von Freedom House und Robert F. Kennedy Memorial veranstaltete die Laogai Research Foundation (LRF) am 4. Mai 2006 eine Konferenz zum Thema:

"Sowjetischer Gulag und
chinesisches Laogai - Vergleich von zwei Repressionssystemen“.


Die Redner setzten sich aus Wissenschaftlern, Aktivisten und Laogai-Überlebenden aus den USA, Deutschland, Frankreich und Indien zusammen.

Die Laogai-Überlebenden Rebiya Kadeer, Ama Adhe, Palden Gyatso, Lu Decheng, Xu Wenli und Wu Yashan sprachen über ihre Erfahrungen und die unbeschreiblichen Leiden, die sie in den Lagern erdulden mußten. Der Umstand, daß chinesische, tibetische und uigurische Überlebende gemeinsam an der Konferenz teilnahmen, machte das Ausmaß der Verfolgung von Menschen unterschiedlichster gesellschaftlicher und ethnischer Herkunft in der VR China besonders deutlich.

Teilnehmer aus der ganzen Welt hielten bei der LRF-Konferenz am 4. Mai 2006 Reden und legten Dokumente zur Gulag/Laogai-Thematik vor.

Rede von Harry Wu Kurz nach der Gründung der VR China im Jahr 1949 wurde das Laogai-System unter der Anleitung sowjetischer Experten eingerichtet. Diese brachten dabei ihre Kenntnisse und ihre Erfahrung bei der Führung der Gulags, die in der Sowjetunion seit 1920 betrieben wurden, zur Anwendung. Die Sowjets unterstützten die VR China in den 50er Jahren nicht nur bei einer Reihe von Infrastrukturprojekten, sondern auch bei der Errichtung des Qincheng-Gefängnisses im Bezirk Peking. Qincheng ist ein isoliertes und strikt geheim gehaltenes Gefängnis, in dem hauptsächlich politische Gefangene inhaftiert werden. Die Sowjetunion lieferte die Pläne und die finanziellen Mittel für diese Anstalt. Im China der frühen 50er Jahre war weithin bekannt, daß 156 sozialistische Bauprojekte, darunter Stahlwerke, Eisenbahnen, Staudämme usw., von Chinas "Großem Bruder", der Sowjetunion, mitgetragen werden. Erst 40 Jahre später erfuhren die Leute, daß es nicht 156, sondern 157 Projekte waren. Und das 157. war das Qincheng-Gefängnis.

Anfang der 50er Jahre arbeiteten Tausende sowjetischer Experten in China und standen der Chinesischen Kommunistischen Partei (KPC) zur Seite. Unter ihnen befand sich auch eine Anzahl von Gulag-Experten. Die erste allgemeine Laogai-Brigade des Bezirks Peking, welche die offizielle Bezeichnung "Qinghe Farm" trug, war die Anstalt, in der ich zweimal für insgesamt vier Jahre inhaftiert war – auch sie wurde unter der Anleitung sowjetischer Gulag-Experten errichtet.

Nach Stalins Tod im Jahr 1953 verurteilte Chruschtschow die „große Säuberung“ und warf ihm Machtmißbrauch vor. Unter der Führung Chruschtschows, Andropows und Breschnjews kam es in der Sowjetunion im Vergleich zur Stalinära zu spürbaren Veränderungen. Chruschtschow setzte dem Gerede von Klassenkampf und Klassenfeinden ein Ende, und viele Menschen wurden aus den Gulags befreit. Das 1932 errichtete und berüchtigte Arbeitslager Magadan, in dem insgesamt etwa eine Million Menschen inhaftiert waren, wurde 1956 geschlossen. Trotz dieser Entwicklungen bezeichnete der Westen die Sowjetunion immer noch als "Reich des Bösen", denn bis 1991 gab es durchaus noch eine Reihe von Strafkolonien. Schätzungen zufolge kamen in den Gulags 25 Millionen Menschen ums Leben.

Als Mao 1976 starb, kam es zu keiner öffentlichen Verurteilung durch Deng Xiaoping, Jiang Zemin oder andere kommunistische Spitzenfunktionäre. Das moderne China steht weiterhin unter der Kontrolle der KPC. China ist kein "ehemaliges kommunistisches Land", und das Laogai-System ist immer noch voll in Betrieb. Das berüchtigte Portrait von Mao Zedong hängt immer noch am Tiananmen-Platz, obwohl es bei den Demokratie-Protesten von 1989 erheblich entstellt worden war.

Seit den Anfängen der VR China haben die chinesischen Behörden niemals gezögert, die Laogai zu nutzen, um die politische Kontrolle über das Land fest in der Hand zu behalten. Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort „Reform durch Arbeit“.

Heute lautet das grundlegende Programm der Laogai-Bürokratie: „Zwangsarbeit ist das Mittel, Gedankenreform ist das Ziel“. Die wichtigste Aufgabe der Arbeitslager besteht weiterhin in der Bestrafung und Besserung von Straftätern in einer dem Staat nutzbringenden Weise. Genauer gesagt, die ökonomische Theorie der KPC postulierte, daß Menschen die nützlichste Produktiv-Kraft sind. Diejenigen ausgeschlossen, die aus politischen Erwägungen physisch vernichtet werden sollten, haben Menschen als unterwürfige "Produktionskräfte" zu fungieren – also dieselbe Ideologie wie in den sowjetischen und den Gulags anderer kommunistischer Länder. Der chinesischen kommunistischen Theorie zufolge kann zur Erzwingung der Unterwerfung Gewalt angewendet werden, vorzuziehen ist jedoch eine durch psychologischen Druck zustande gekommene Übereinstimmung. Daher ist das Laogai nicht nur ein Gefängnissystem – es ist ein politisches Werkzeug für die Aufrechterhaltung der totalitären Herrschaft der KPC. So heißt es in dem Handbuch des chinesischen Justizministeriums für die Strafrechtsreform aus dem Jahr 1988: "Die Beschaffenheit der Gefängnisse als Werkzeuge der Diktatur der Klassen wird vom Wesen der staatlichen Gewalt bestimmt."

1999 besuchte ich das Magadan-Arbeitslager im fernen Osten Rußlands. Ich glaube, daß alle, die wirklich um die Realität des Magadan-Straflagers wissen, selbst schreckliche Erinnerungen an diese Art von Lager haben.

In den 80er Jahren machten sich in China allmählich Veränderungen von historischer Tragweite bemerkbar, die nicht nur zur Aufgabe einer der grundlegenden Thesen der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie, der Abschaffung des Klassensystems, führten, sondern die in den Städten und ländlichen Gebieten dem Kapitalismus und der Privatisierung Tür und Tor öffneten und die grundlegende Negierung von Marxismus und Kommunismus zur Folge hatten. Daher wurde von nun an die Fahne des "Klassenkampfs" nicht mehr gehißt. Auch heute wissen wir nicht, wie viele Laogai-Lager es in China tatsächlich gab, Besuche waren ja nur in "Modellgefängnissen" gestattet. Die "Gedankenreform" hat in der VR China gewiß eine Menge Erfolg gehabt, und zahlreiche Menschen wurden "umerzogen". Die Laogai Research Foundation schätzt, daß seit 1949 vierzig bis fünfzig Millionen Menschen in den Laogai-Lagern inhaftiert und zwanzig bis fünfundzwanzig Millionen von ihnen darin zu Tode gekommen sind. Da jedoch alle die Lager betreffenden Informationen als Staatsgeheimnis behandelt werden, kann niemand die Statistiken verifizieren.

Das Laogai-System ist Chinas wichtigstes Instrument zur Geltendmachung des totalitären kommunistischen Machtanspruchs. Die erklärte Maxime der KPC für die Laogai ist, daß "Transformation die oberste Priorität hat, und die Produktion an zweiter Stelle steht". Seit Jahrzehnten betonte die Führung in Peking, daß die Laogai-Arbeitseinheiten zwei Arten von "Produkten" hervorbringen müßten: Erstens, qualifizierte "neue sozialistische Menschen" und zweitens diverse für die Wirtschaft des Landes benötigte Erzeugnisse. Das erste, das politische Produkt, ist das wichtigere von beiden, während letzteres nur wirtschaftlichen Gewinn für das Regime schafft.

Als der Kommunismus 1949 nach China kam, verschmolz er mit dem dort tief verwurzelten Feudalismus, was zu einer neuen Form führte. Diese Mischform des Kommunismus weist im Vergleich zum Standard-Marxismus bzw. Leninismus-Stalinismus noch mehr Unvereinbarkeiten auf und stellt durch seine noch größere Skrupellosigkeit eine wesentlich größere Gefahr dar.

Es hat den Anschein, als ob sich diese chinesische Mischform als eine letzte Bastion des Kommunismus in der Welt behauptet. Einer der beunruhigendsten Aspekte bei dieser Ausprägung des Kommunismus ist, daß ein System entstanden ist, das das Potential in sich trägt, Menschen physisch und psychisch zu zerstören. Und zur Täuschung der Öffentlichkeit wird dieses System in harmlos wirkende politische Richtlinien verpackt.

Experten sind sich nicht ganz einig darüber, wie viele Menschen in den leninistisch-stalinistischen Lagern in der Sowjetunion umgekommen sind. Robert Conquest schätzt die Zahl zur Zeit des stalinistischen Terrors in den späten 30er Jahren auf etwa 10 Millionen Menschen. Natürlich gab es Opfer nicht ausschließlich in sowjetischen Lagern.

Es gibt zahlreiche Berichte, Romane und sonstiges Material, in denen die sowjetischen Arbeitslager dokumentiert werden. Eines der imposantesten davon ist der "Archipel Gulag", für den Alexander Solschenizyn mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Jede Diktatur bedarf für die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft und der Unterdrückung des Volkes eines Gefängnissystems, seien es nun Konzentrationslager (in denen die Arbeitsleistung der Gefangenen zu wirtschaftlichen Zwecken ausgebeutet wird) oder andere Arten von Lagern. Die Lager für Umerziehung-durch-Arbeit der chinesischen Kommunisten können es mit den sowjetischen Gulags in jeder Hinsicht aufnehmen, d.h. hinsichtlich ihrer Ausmaße, ihrer Grausamkeit und der Zahl der Gefangenen.

Dennoch weiß die Welt nur wenig über die Realität der chinesischen Umerziehungslager. Die Gründe dafür sind zahlreich und komplex: kulturelle und politische Unterschiede zwischen Ost und West, die strategischen Interessen des Westens und nicht zuletzt auf lange Sicht der Erfolg der politischen Propaganda und der Geheimhaltungspolitik der KPC.

Erst nachdem der US-Senat 1990 seine erste Anhörung zum Laogai-System in China abhielt, wurde dies auch für die internationale Gemeinschaft ein ernsthaftes Thema. Die Regierung in Peking ist offensichtlich sehr besorgt hierüber, denn die Laogai sind gegenwärtig für die politische Macht der Kommunistischen Partei ein schwieriges Problem. 1992 veröffentlichte die Regierung in Peking ein Weißbuch zu Laogai, bei dem es sich um die erste offizielle und systematische Reaktion der internationalen Gemeinschaft gegenüber seit der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 handelt.

1993 erklärte ich: "Ich will das Wort Laogai als ein Eintrag in jedem Lexikon für jede Sprache der Welt sehen“. Vor 1974 kam der Begriff Gulag in keinem Wörterbuch vor. Heute schon. Dieses eine Wort steht für die Gewalttätigkeit des Sowjetregimes und damit auch des sowjetischen Arbeitslagersystems. Meine unablässigen Bemühungen gehen dahin, daß das Wort Laogai ein international akzeptierter Eigenname wird, genauso wie Gulag ein Eigenname im kyrillischen Alphabet ist. Dieser Eigenname ist ein Synonym für das Leid von Millionen und Abermillionen von Menschen, er sollte deshalb ein historischer Begriff der Menschheitsgeschichte werden und niemals dem Vergessen anheim fallen. 2003 wurde der Begriff Laogai ins Oxford English Dictionary und 2005 in die Neufassung des deutschen Wörterbuchs Duden (Die deutsche Rechtschreibung 2004, 23. Ausgabe) aufgenommen. Ich bin davon überzeugt, daß Wörterbücher in anderen Sprachen diesem Beispiel folgen werden. Wir haben kein Recht, diejenigen zu vergessen, die in den Laogai-Lagern ihrer Freiheit beraubt werden. Wenn wir sie ignorieren, laden wir auch einen Teil der Schuld für ihr Leid auf uns.

Dies ist nicht nur mein persönlicher Erfolg, sondern es ist auch ein Resultat des nicht nachlassenden Kampfes von Tausenden und Abertausenden Überlebender des Infernos der Laogai und es ist sozusagen wie ein kleiner Triumph in dem internationalen Kampf um die Menschenrechte. Dieser Durchbruch ist zugleich ein Startpunkt, er ist das Ergebnis unseres zehnjährigen Kampfes und bietet Anlaß zur Freude. Es liegt jedoch immer noch ein langer und beschwerlicher Weg vor uns, bevor Laogai ein allgemein bekannter Begriff und wie Gulag und Holocaust ein Synonym für skrupellose, despotische Herrschaft wird.

Im Dezember 1994 traf der Nationale Volkskongreß in Peking einen Entschluß: Während das Wesen des Laogai als Unterdrückungswerkzeug der "Demokratischen Volksdiktatur" nicht im geringsten verändert wird, darf der Begriff "Laogai" nicht länger verwendet werden; alle Laogai-Lager wurden in Gefängnisse umbenannt, und der Laogai-Verwaltungsapparat wurde in „Einrichtung zur Gefängnisverwaltung“ umbenannt. Peking behauptete, dies sei eine Maßnahme im Sinne des "internationalen Kampfes um die Menschenrechte".

Als die wenigen Juden, die in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Konzentrationslagern der Nazis entflohen waren, der Welt die Gewalttaten der Nazis schilderten – wie viele glaubten ihnen damals und zeigten sich betroffen? Alexander Solschenizyns "Archipel Gulag" wurde erst 1974 von der Welt akzeptiert – 21 Jahre nach Stalins Tod. Aber die meisten der schrecklichen Ereignisse der Gulags fanden zwischen 1920 und 1930 statt. Wie lange wird es noch dauern, bis die Welt der Ungeheuerlichkeit all jener Grausamkeiten gewahr wird, die in den Laogai-Lagern geschahen und bis heute geschehen?

Kurzer Vergleich der Charakteristika von Laogai und Gulag

Da sowohl China als auch die Sowjetunion kommunistische Länder sind (oder im Fall der Sowjetunion waren), werden sie in politischer, ideologischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht von identischen Ideologien und Theorien bestimmt. Wieso sollten sie sich dann ausgerechnet bei der Unterdrückung von Dissidenten und in der Ausrichtung ihrer jeweiligen Arbeitslager unterscheiden?

Ich möchte zwei Unterschiede zwischen dem Laogai und dem Gulag hervorheben:

Erstens verfügte der Gulag nicht über ein komplettes System für die "Gedankenreform". Man kann sich jedoch kaum vorstellen, daß die KGB-Agenten nicht der Meinung waren, man könnte die Gedanken von Menschen nicht verändern. Tatsächlich verfügten sie auch über einen ganzen Maßnahmenkatalog zur Einschüchterung, Irreführung und Verführung, aber sie glaubten nicht, daß man "Kriminelle" zu "neuen Menschen" umformen könnte. Es gab zwar "Umerzieher" wie Anton Makarenko, aber offenbar waren sie der Ansicht, daß man zwar jugendliche Delinquenten umerziehen könnte, daß dies bei politischen Gefangenen jedoch nicht möglich sei.  

Zweitens wurden die Gefangenen in der Sowjetunion zwar ebenfalls zur Arbeit gezwungen, aber die Behörden waren dabei nicht der Auffassung, Arbeit sei ein Mittel zur "Gedankenreform". Sie benutzten zahllose Methoden, um Gefangene zur Arbeit zu zwingen, aber es ging ihnen dabei ausschließlich um die Produktion von Gütern und um den Gewinn für die nationale Wirtschaft. Die Gefangenen wurden zu primitiver Arbeit eingesetzt, wie dem Uranabbau in Magadan, dem Bau der Stalinstraße in Sibirien, sie hatten Kanäle auszuheben und Holz zu fällen. Die chinesischen Kommunisten taten es ihnen gleich, sie zwangen Gefangene zur Arbeit am Projekt zur Schiffbarmachung des Huai-Flusses, in den Baotou-Stahlwerken und beim Bau der Yintan-Xiamen-Eisenbahn. Diese Projekte waren Paradestücke primitiver Zwangsarbeit von Gefangenen. Dem Gulag gelang es nie, mit der nationalen Planwirtschaft Schritt zu halten, während das Laogai-System diesem Ziel gerecht wurde. Tatsächlich stellen industrielle und landwirtschaftliche Laogai-Produkte nicht nur einen Teil der Inlandsverbrauchsgüter dar, sondern sie werden auch ins Ausland exportiert. In dieser Hinsicht sind die Laogai einzigartig auf der Welt.

Produktion im Laogai

Gewiß kann die Laogai-Produktion keinen signifikanten Beitrag zur chinesischen Wirtschaft leisten, weil durch die Zwangsarbeit der Gefangenen erstens keine High-Tech-Produkte erzeugt werden, und zweitens, weil es schwierig ist, Gefangene zu professionellen Technikern und Facharbeitern auszubilden, drittens weil Gefangene nicht unter verschiedenen Bewerbern ausgewählt werden und keine Dauer-Arbeitskräfte sein können und letztlich, weil Gefangenenarbeit naturgemäß einen Zwangs- und Strafcharakter hat, welcher jede Form von wirtschaftlichem Anreiz ausschließt. Das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand, und es ist jedem, der Untersuchungen über Laogai anstellt und auch nur über ein wenig an professionellem Wissen verfügt, bekannt. Es wäre töricht, die Position des Laogai in der chinesischen Wirtschaft überzubewerten, und trotzdem soll die wichtige Stellung, welche die Laogai in der nationalen Wirtschaft Chinas einnehmen, damit nicht geleugnet werden. Die Laogai-Produktion war für Peking schon immer bedeutsam als Einnamensquelle für den Betrieb und Ausbau der Arbeitslager. Folgende Punkte dienen zur Erläuterung:

1) Die meiste Zeit seit der Gründung der VR China vor über 50 Jahren brauchten die Zentral- und Lokalregierungen keine Budgets für die Laogai aufstellen. Durch die Laogai-Produktion können nicht nur die täglichen Bedürfnisse der Gefangenen, die Produktionskosten und die Löhne und Prämien der Gefängnisbediensteten bestritten werden, sondern ein beträchtlicher Teil der erzielten Gewinne kann zudem an höhere Stellen abgeführt werden. Während der Kulturrevolution führte das Laogai-System beispielsweise mehr als 4,55 Mrd. RMB an übergeordnete Stellen ab. Vor 1979 erfolgten die Zahlungen teilweise in Form von Naturalien und teilweise in Form von Bargeld. Die einzelnen Laogai-Anstalten waren keine unabhängigen Abrechnungseinheiten, und für ihre Einkünfte und Ausgaben wurde von der jeweiligen Provinzregierung, die als Abrechungsstelle fungierte, eine Gesamtplanung erstellt. Infolge der wirtschaftlichen Reformpolitik begannen die Laogai-Lager die alleinige Verantwortung für ihre Gewinne oder Verluste zu übernehmen und es gab kein Halten mehr bei ihrer Jagd nach Profit. Das ganze endete schließlich in einem wirtschaftlichen und politischen Chaos. Deshalb faßte die Zentralregierung 1988 den Entschluß, daß die Zuständigkeit für die Auszahlung der Löhne des Wachpersonals bei der Zentralregierung liegen und ein Teil der Gewinne aus den Laogai an höhere Stellen weitergeleitet werden müsse.

2) Der Großteil der Laogai-Produktion besteht aus einfacher körperlicher Arbeit wie dem Ausheben von Staubecken, dem Straßen- und Eisenbahnbau, der Wiederurbarmachung und der Arbeit in Bergwerken, also Arbeiten, für die sich ein Produktionswert kaum berechnen läßt. Zahlreiche Großprojekte im chinesischen Kernland wie die Befestigung des Huai-Flusses, die Yingtan-Xiamen-Eisenbahn und die Sanierung von Ödland in Nordost-China, Qinghai und Xinjiang wären ohne die Sklavenarbeit von Millionen Gefangener unmöglich gewesen. 1955 befahl Premierminister Zhou Enlai die Verlegung von zwei Millionen Gefangenen zur Baustelle am Huai-Fluß. Im darauf folgenden Jahr war die Hälfte von ihnen der harten Arbeit, Krankheiten oder Folter erlegen. 1956 wurde im Rahmen der Nationalen Konferenz für öffentliche Sicherheit eine Untersuchung dieser Vorgänge vorgenommen, wobei betont wurde, daß die Arbeits- und Haftbedingungen der Gefangenen verbessert werden müßten.

Da es uns bis heute nicht gelungen ist, eine definitive Aussage über die genaue Zahl der Opfer in den sowjetischen Arbeitslagern zu treffen, werden wir vermutlich auch nie feststellen können, wie viele Menschen in dem chinesischen  System der Laogai-Lager gefangengehalten wird. Selbst wenn in China einmal nicht mehr ein kommunistisches Regime existiert und wenn alle Akten der Sicherheitsbehörden erhalten bleiben, wird man keine solche Zahl ermitteln können. Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels darstellen: Im Zeitraum zwischen 1958 und 1962 verpflichtete die KPC jeden Distrikt, sein eigenes Laogai-Lager zu betreiben. Jeder Richter an einem Distriktsgericht, ja sogar ein Parteisekretär oder Milizkommandant konnte jeden x-beliebigen Bürger ins Lager schicken. Das wurde als "Diktatur der Massen" bezeichnet. Ich fürchte, die Behörden für öffentliche Sicherheit verfügen über keine Angaben bezüglich all der Menschen, die auf diese Weise in die Laogai verfrachtet wurden.

Trotzdem bedeutet der Umstand, daß es fast unmöglich ist, die Zahl der Laogai-Insassen genau zu ermitteln, nicht, daß es nicht nötig sei, dies zumindest zu versuchen, denn ein jeder einzelner Gefangener ist ein kleiner organischer Bestandteil des gewaltigen Laogai-Infernos. Es ist nicht fair, die Statistiker für die Über- oder Unterschätzung der Anzahl der Insassen zu tadeln. Chinesische und ausländische Wissenschaftler sowie die Laogai-Überlebenden täten gut daran, sich auf eine allgemein akzeptable Anzahl zu einigen.

Lassen wir die genauen Zahlen einmal beiseite: Millionen von Menschen müssen derzeit in den Lagern leiden und jeden Tag werden neue zur Laogai-Lagerhaft verurteilt. Die chinesische Regierung betrachtet die nationalen Statistiken über die Laogai als Staatsgeheimnis. Aber es ist nicht leicht, das Laogai-System gänzlich vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Es ist und bleibt das weitest ausgedehnte und geheimste Netzwerk von Zwangsarbeitslagern, das von irgendeinem Land auf der Welt betrieben wird.

Das Laogai-System ist keine im Verschwinden begriffene Einrichtung, wie manche behauptet haben. Es stimmt zwar, daß sich die Zusammensetzung der Lager gewandelt hat. In der Vergangenheit wurden die meisten Insassen aus politischen Gründen inhaftiert, während die Mehrzahl der heutigen Gefangenen auf Grund gewöhnlicher Delikte einsitzt. Das ist jedoch kein Anzeichen für eine grundlegende Wandlung der Natur der Laogai. Im Gegenteil, die Abhängigkeit der chinesischen Regierung von dem Laogai-System als ihrem Hauptwerkzeug zur Unterdrückung ist genauso groß wie zu Zeiten des Vorsitzenden Mao Zedong.

Wie lebendig die Laogai sind, müssen diejenigen erfahren, die ohne ein angemessenes Gerichtsverfahren wegen alltäglicher Vergehen dort inhaftiert werden und unter barbarischen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten müssen. Für diejenigen, die ihre Gedanken und Überzeugungen veröffentlicht haben, die festgenommen wurden, weil sie sich für die Unabhängigkeit Tibets oder für unabhängige Gewerkschaften eingesetzt haben, oder die verfolgt werden, weil sie auf ihren religiösen Rechten bestanden, ist das Laogai-System ebenfalls eine sehr lebendige Einrichtung. Nur die Aufmerksamkeit der Welt kann ihr Leiden beenden.