4. Februar 2005
TIN News Update
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Neue Informationen über Strafminderungen für tibetische politische Gefangene

TIN liegen neue Informationen über tibetische politische Gefangene sowie über einige Strafverkürzungen und Freilassungen vor. Der in San Francisco ansässigen Dui Hua Foundation zufolge haben chinesische Regierungsvertreter Angaben über eine beachtliche Anzahl von politischen Gefangenen in China gemacht, unter denen sich auch 13 Tibeter befinden. Bis auf einen wurden alle genannten Tibeter wegen "konterrevolutionärer" Straftaten (falls die Sache noch unter dem alten Strafgesetz verhandelt wurde) bzw. wegen "Gefährdung der Staatssicherheit" (nachdem 1997 das überarbeitete Strafgesetz in Kraft trat) verurteilt. Die chinesische Verfassung wie auch die Gesetzgebung verbieten friedliche Proteste, wodurch die Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas (CCP) sich in Frage gestellt oder abgelehnt sehen könnte, und sie stellen diese als Verbrechen gegen den Staat unter Strafe.

John Kamm, der Vorsitzende von Dui Hua, bezeichnete diese Angaben als etwas "noch nie Dagewesenes". China hat nicht nur formale Anfragen von diversen Regierungen beantwortet und Informationen über die betreffenden Gefangenen zur Verfügung gestellt, sondern auch über solche, von denen man bisher nichts wußte. Die Antworten sind vage und enthalten eine Mischung aus neuen und bisher geheim gehaltenen Informationen. Elf der Tibeter sind in der Autonomen Region Tibet (TAR) ansässig, die beiden anderen kommen aus der Provinz Qinghai. Alle Tibeter aus der TAR sind oder waren im TAR-Gefängnis, das auch als Drapchi bekannt ist, inhaftiert.

Drei weibliche tibetische politische Gefangene (zwei von ihnen sind bereits entlassen worden) erhielten 2004 Strafminderungen. Der ehemaligen Gefangenen Ngawang Sangdrol zufolge wurden Thatso (chin: Dacuo) und Thongtso (chin: Tongcuo), die im Oktober 2002 in den "alten Rukhag 3" (Trakt) kamen, im selben Jahr wegen "Aufhetzung zum Separatismus" zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Ihre Strafen wurden um zehn Monate vermindert, und sie wurden am 3. Juli 2004 entlassen, allerdings haben sie noch weitere dreieinhalb Jahre keinerlei politische Rechte. Ngawang Sangdrol, die in demselben Monat, als Thatso und Thongtso in dem "alten Rukhag 3" ankamen, aus der Haft entlassen wurde, erzählte später, Thatso sei auch als "Ani Thatso" bekannt gewesen, was darauf schließen läßt, daß es sich um eine Nonne handelt. Thongtso sei die jüngere der beiden gewesen, noch nicht einmal 20, und beide seien zuerst in dem "neuen Rukhag 3" inhaftiert gewesen, bevor sie in Ngawang Sangdrols Einheit verlegt wurden. Weitere Einzelheiten über Thatso und Thongtso oder die Gründe für ihre Inhaftierung sind nicht bekannt.

In der offiziellen Auskunft wird auch erwähnt, daß Nyima Choedron, die im August 1999 inhaftiert und 2001 wegen Gefährdung der Staatssicherheit zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, zweimal Strafminderungen erhielt, 2002 wurden ihr eineinhalb Jahre Haftreduktion zugestanden und 2004 ein weiteres Jahr. Die Antwort der VR China gibt als ihren voraussichtlichen Entlassungstermin den 26. Februar 2007 an. Nyima Choedron führte zusammen mit ihrem Mann Jigme Tenzin Rinpoche (auch als "Bangri Rinpoche" bekannt) das Gyatso Kinderheim, bis es 1999 unter unklaren Umständen geschlossen wurde.

Ausgehend von den neuen Informationen und der TIN-Datenbank über politische Gefangene sind Nyima Choedron und Anu, eine beinamputierte Schneiderin, möglicherweise die einzigen noch in Drapchi verbliebenen tibetischen politischen Gefangenen weiblichen Geschlechts. Anu sollte ihre vierjährige Haftstrafe im nächsten Monat voll verbüßt haben. Es könnte sein, daß auch die beiden 1995 inhaftierten Nonnen Chogdrup Drolma und Jangchub Drolma, deren Strafen nach den Mai-Demonstrationen in Drapchi 1998 auf elf Jahre verlängert wurden, noch in Drapchi einsitzen. Es gibt jedoch unbestätigte Informationen, die vermuten lassen, daß sich die Nonnen nicht länger im Gefängnis befinden, sondern womöglich vorzeitig entlassen und in ihre Dörfer in den Distrikten Damshung und Lhundrup zurückgeschickt wurden.

Auch über vier tibetische politische Gefangene männlichen Geschlechts im TAR-Gefängnis liegen nun neue Informationen vor. TIN kann einen von ihnen sicher und einen weiteren mit einem hohen Maß an Wahrscheinlichkeit identifizieren. Renzeng oder Choeden Gyatso (Laienname Rigzin) wurde 2001 wegen "Aufhetzung zum Separatismus" zu acht Jahren Haft verurteilt. 2002 bekam er eine Strafminderung von eineinhalb Jahren und 2004 eine weitere von einem Jahr zugestanden, so daß er nun im Januar 2006 entlassen werden soll. Im Mai 2001 berichtete die staatliche chinesische Zeitung "People's Daily", Choeden Gyatso habe geplant, vor der chinesischen Botschaft in New Delhi eine Liste von Forderungen zu verlesen, darunter auch die nach der Freilassung des vom Dalai Lama anerkannten Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima, und sich anschließend selbst zu verbrennen. Lobsang Tsondru (oder Tobgyal) jedoch, der im Zusammenhang mit diesem Vorfall zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, wird in der offiziellen Information nicht erwähnt. In der Ausgabe Frühjahr 2003 des Newsletters von Dui Hua wird über diesen Fall berichtet.

Den offiziellen Angaben zufolge wurde Dawa Gyatso (chin. Dawa Jiangcuo) 1997 wegen "Organisation und Führung einer konterrevolutionären Gruppe" und "konterrevolutionärer Propaganda und Aufhetzung der Massen" zu 18 Jahren Haft verurteilt. Seine Strafe wurde 2002 um ein Jahr und drei Monate und 2004 um neun Monate verkürzt. Aus inoffiziellen Quellen verlautete früher einmal, der Bankmanager Dawa Gyaltsen aus Nagchu sei im November 1995 verhaftet und im Mai 1996 zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. TIN meint, daß es sich bei Dawa Gyaltsen um genau den Gefangenen handelt, der in der offiziellen Antwort als Dawa Gyatso bezeichnet wird. Er soll einer Gruppe angehört haben, die in ihrer Gegend Plakate mit der Forderung nach Unabhängigkeit anbrachte. Sein Bruder, der Mönch Tenzin Dorje (oder Nyima) aus dem Kloster Zhabten in Nagchu, wurde dem Vernehmen nach zu 13 Jahren Haft verurteilt. Sein Fall wird in der Stellungnahme nicht aufgeführt.

Ein weiterer Tibeter mit Namen Wangdu wurde 1997 wegen "Aufhetzung zum Separatismus" zu 17 Jahren Haft verurteilt. Seine Strafe wurde 2002 um ein Jahr und 2004 um ein weiteres Jahr und drei Monate reduziert. Anhand dieser spärlichen Angaben sieht sich TIN nicht in der Lage, den Mann zu identifizieren. Es gab in Drapchi allerdings einen Strafgefangenen (somit kein politischer Häftling) dieses Namens, der zusammen mit zwei anderen im Oktober 1997 während des Besuchs einer UN-Delegation der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftung (UNWGAD) eine Protestaktion startete. Einigen Berichten zufolge wurden beide Männer deswegen mit Haftverlängerungen bestraft. Von chinesischer Seite wurde Dui Hua jedoch explizit mitgeteilt, daß es sich bei dem Wangdu mit der Strafminderung nicht um denjenigen handelt, der beim Besuch der UNWGAD protestiert hatte. Inoffiziellen Quellen zufolge wurde ein anderer Gefangener namens Phuntsok Wangdu, bei dem es sich um einen ehemaligen Mönch des Klosters Ganden handelt, 1997 verhaftet und 1998 zu 14 Jahren Haft verurteilt. Es liegen leider nicht genügend Angaben vor, um feststellen zu können, ob dieser Ganden-Mönch der in der offiziellen Stellungnahme aufgeführte Wangdu ist oder ob es sich um einen bisher unbekannten Fall handelt.

Der Tibeter Dawa Tsering (Dawa Ciren), der 2001 wegen "Aufhetzung zum Separatismus" zu vier Jahren Haft verurteilt wurde, erhielt eine Strafminderung von neun Monaten. TIN kann diese Daten keinem erfaßten Fall zuordnen, es ist aber nicht auszuschließen, daß die Information trotzdem jemanden aus der Datenbank von TIN betrifft.

Zwei der in den offiziellen Angaben erwähnten13 Tibeter sind Einwohner der Provinz Qinghai. Einer von ihnen, Kalsang Dondrup (chin. Gaizang Dongzhu), wurde 2003 wegen "Aufhetzung zum Separatismus" zu 3 Jahren verurteilt. Die Antwort enthält eine ungewöhnliche Bemerkung, nämlich, "es besteht die Aussicht, daß seine Strafe im Mai 2005 verkürzt wird". Kamm äußerte TIN gegenüber, seines Wissens sei dies das erste Mal, daß es von chinesischer Seite eine Aussage über eine mögliche künftige Strafminderung gegeben hätte. TIN hat bereits früher darüber berichtet, daß die beiden Mönche Kalsang Dondrup und Ngawang Dondrup aus dem Kloster Dragkar Traldzong im Distrikt Tsigorthang (Xinghai), TAP Tholho (Hainan) im Juli 2002 verhaftet und zu dreijährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Im Juli 2004 informierte TIN darüber, daß die Mönche offiziellen chinesischen Quellen zufolge eine Gruppe mit dem Namen "Gerechtigkeitsgesellschaft für drei Regionen" gebildet hätten, die gut organisiert war und sogar eine 12-seitige Satzung besaß. In der aktuellen Stellungnahme wird der zweite Mönch Ngawang Dondrup aber nicht erwähnt.

Bei dem anderen Fall aus Qinghai handelt es sich um einen Mann namens Sonam Gonpo, der wegen Spionage zu sechs Jahren Haft verurteilt und im März 2005 entlassen werden soll. Von einer Herabsetzung der Strafe war hier nicht die Rede. Ende 2003 veröffentlichte Dui Hua die Übersetzung eines Artikels aus der Oktober-Ausgabe der chinesischen Zeitschrift "Nationale Sicherheitsinformation" (Guojia anquan tongxun), in dem die Version des staatlichen Sicherheitsbüros zu diesem ungewöhnlichen Fall dargelegt wurde. Dem Artikel zufolge wurde der aus dem Distrikt Tsigorthang gebürtige Sonam Gonpo, der in Xining wohnte, schließlich zu einem bezahlten Spion für "die taiwanesische Seite" und unterwanderte eine politische Schulung zur "Taiwan-Arbeit", die in Xining abgehalten wurde. Er wurde im März 1999 verhaftet und im April vor Gericht gestellt.

In der offiziellen Stellungnahme werden auch frühere Meldungen über die vorzeitige Freilassung der Nonnen Ngawang Sangdrol, Phuntsok Nyidrol und Ngawang Choezom wiederholt; des weiteren die Verminderung der 19-jährigen Haftstrafe von Jamphel Jangchub, einem Mönch aus dem Kloster Drepung, um drei Jahre. Seine Entlassung steht für den 7. April dieses Jahres an.

Im Großen und Ganzen ist die Anzahl der tibetischen politischen Gefangenen seit dem TIN-Bericht vom Februar 2004 leicht zurückgegangen. Damals war noch von mehr als 145 Tibetern, die im Januar 2004 in Gefängnissen oder Haftzentren einsaßen (oder vermutlich einsaßen) die Rede. Nach den nun im Januar 2005 vorliegenden Daten könnte ihre Zahl zwischen 130 und 135 liegen. Dennoch ist die Gesamtzahl der Inhaftierten mit Sicherheit etwas höher als die TIN-Daten anzeigen. Damit setzt sich eine Tendenz fort, die seit 1997 zu beobachten ist, als die Zahl der Gefangenen steil abfiel, nachdem Hunderte von Gefangenen nach Verbüßung ihrer Strafen entlassen wurden und gleichzeitig weniger Tibeter die ernsten, manchmal tödlichen Folgen einer Inhaftierung riskierten. In den letzten Jahren hat sich dieser Trend jedoch beträchtlich verlangsamt.

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