7. Januar 2004
TIN News Update
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Khenpo Jigme Phuntsog gestorben

Der Gründer und angesehene Lehrer des buddhistischen Instituts Serthar in der Präfektur Kardze (chin: Ganzi) in Sichuan ist am Abend des 6. Januar 2004 im Alter von 70 Jahren verstorben. Er wurde am 29. Dezember 2003 mit Herzbeschwerden in das Militärkrankenhaus Nr. 363 in Chengdu, Provinz Sichuan, eingeliefert. Khenpo Jigme Phuntsog ist viel gereist und hat im Jahr 1990 den Dalai Lama in Indien getroffen. Er besuchte auch Europa, die USA und mehrere asiatische Länder. Mit dem Tod von Khenpo Jigme Phuntsog verliert Tibet einen der bedeutendsten von einer ganzen Generation außergewöhnlicher buddhistischer Lehrer aus der traditionell Kham genannten osttibetischen Region. Infolge der etwas liberaleren Religionspolitik nach der Kulturrevolution konnten viele buddhistische Lehrer eine große Anhängerschar gewinnen, bis Mitte der 90er Jahre wieder mit verstärkten staatlichen Kontrollen und scharfen Maßnahmen gegen derartige Aktivitäten vorgegangen wurde. Das Serthar Institut wurde bereits 1980 gegründet und sieben Jahre später vom 10. Panchen Lama als buddhistische Akademie anerkannt. Mit ungefähr 7000 waren dort die meisten Mönche und Nonnen in den gegenwärtig von China verwalteten tibetischen Gebieten an einem Ort konzentriert.

Photo von Khenpo Jigme Phuntsog: http://www.tibetinfo.net/reports/images/004htm

Im Serthar Institut wurden die Lehren aller vier großen Schulen des tibetischen Buddhismus vermittelt - Gelug, Kagyu, Nyingma und Sakya. Die Betonung lag sowohl auf buddhistischer Lehre und Debatte als auch auf dem Studium der schönen Künste und der Literatur, was das Institut von Khenpo Jigme Phuntsog so außergewöhnlich machte. Aus Serthar kam eine große Anzahl von "Khenpos" (in der Nyingma-Schule des Buddhismus bedeutet dies einen Gelehrten, ähnlich dem Geshe-Titel), von denen viele in den verschiedenen Regionen Tibets selbst Zentren für buddhistische Studien errichteten. Bezeichnenderweise gab es am Institut auch eine beträchtliche Anzahl von Studenten aus China und aus dem Ausland, woraus zu ersehen ist, daß in bestimmten Kreisen der chinesischen Gesellschaft ein zunehmendes Interesse an den Lehren des tibetischen Buddhismus besteht. Ungewöhnlich war auch die hohe Anzahl der Nonnen - sie machten ungefähr die Hälfte der Studenten aus.

Photo des Serthar Instituts: http://www.tibetinfo.net/reports/images/005htm

Anfangs waren dem Institut auf Grund seiner harmonischen Beziehungen zu den örtlichen Vertretern der Provinzbehörden und auch, weil jegliche politisch kontroverse Diskussion vermieden wurde, die strikte Durchführung der Kampagne zur "patriotischen Erziehung" und die Zulassungsbeschränkungen für Mönche erspart geblieben. Es heißt, Serthar sei sogar von einigen chinesischen Behördenvertretern als "patriotische Institution" anerkannt worden. Man weiß nicht genau, weshalb die Behörden 2001 so scharf gegen das Institut vorgingen. Es fing damit an, daß die chinesischen Studenten zum Verlassen der Lehranstalt aufgefordert wurden, danach wurden etliche Mönche und die Mehrzahl der Nonnen (vor allem diejenigen, welche keine permanente Wohngenehmigung, tib: temtho, chin: hukow, besaßen - und das waren die meisten) ausgewiesen und Hunderte ihrer Häuser zerstört. Nach der Zerstörungsaktion verbrachte Khenpo Jigme Phuntsog mehr als ein Jahr unter Bewachung, angeblich zur medizinischen Behandlung, in Chengdu. Schließlich gelang ihm insgeheim die Rückkehr in die Gegend von Serthar. In den Jahren 2002 und 2003 wurde von kleineren Vorkommnissen wie Abbruch einzelner Behausungen, Zusammenstößen und Festnahmen berichtet, trotzdem war in diesen Jahren offensichtlich einigen Studenten die heimliche Rückkehr geglückt. Im September 2003 erreichten TIN Berichte über Inspektionen durch hochrangige Behördenvertreter, was von der örtlichen Bevölkerung dahingehend interpretiert wurde, daß die Kampagne gegen Serthar für die Behörden noch nicht abgeschlossen war. Jedenfalls haben die seit 2000 im Serthar Institut stationierten chinesischen Kader die Gegend nach dem Tod von Khenpo Jigme Phuntsog am 7. Januar 2004 verlassen.

Ein Beobachter aus Tibet sagte zu TIN: "Am bemerkenswertesten war vielleicht, in welch kurzer Zeit Serthar praktisch aus dem Nichts zu einem der größten und bedeutendsten Zentren für buddhistische Studien in Tibet wurde, und das hätten die chinesischen Behörden eigentlich als ein Beispiel für den Erfolg ihrer sogenannten 'Politik der religiösen Freiheit' würdigen sollen".

Khenpo Jigme Phuntsog - ein Leben in Bildern
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