18. Oktober 2004
TIN News Update
Tibet Information Network, City Cloisters, 188-196 Old Street, London EC1V9FR, ph: +44(0)207 814 9011, fax +44(0)207 814 9015, e-mail: tin@tibetinfo.net, www. tibetinfo.net

Neue Einzelheiten zur Erschiessung eines Mönchs in Golog

TIN liegen Berichte mit weiteren Details über den Zwischenfall in der TAP Golog (im Süden der Provinz Qinghai) vor, bei dem ein Mönch von einem Polizisten erschossen wurde. Am 1. Oktober 2004 hatte Radio Free Asia (RFA) bereits darüber berichtet. Die neuen Informationen zeigen, wie ein an sich banaler Streit rapide außer Kontrolle geraten kann, sobald die Polizei eingeschaltet wird. Man sieht daraus auch, wie schnell die Polizeikräfte bereit sind, zur Gewalt zu greifen, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Ebenso treten die Spannungen unter der Bevölkerung, vor allem zwischen tibetischen Geistlichen und Nomaden auf der einen und Han-Chinesen und sinisierten Tibetern auf der anderen Seite, zutage. Schließlich beleuchtet dieser Vorfall, wie stark die einheimische tibetische Bevölkerung an ihren nomadischen Traditionen festhält und wie wenig Raum die VR China für eine traditionelle Konfliktbewältigung gewährt.

Der Vorfall, der sich Mitte September (was dem Ende des 7. Monats des örtlichen Amdo-Kalenders entspricht) ereignete, betrifft Mönche aus dem Kloster Trachog in Golog Machen Dzong (chin: Maqin). Dieses Kloster gehört der Nyingma-Schule des tibetischen Buddhismus an und folgt der Dzogchen-Tradition*. Die Anzahl der Mönche beträgt etwa 200, steigt jedoch auf bis zu 300 an, wenn Mönche aus anderen Einrichtungen zu Besuch weilen. Seinem langjährigen obersten Lama (tib. Gondag) Tulku Togden zu Ehren wird das Kloster gemeinhin "Togden" genannt. Nach dessen Tod hat Tulku Dondrul, der inzwischen Mitte sechzig ist, seine Position übernommen. Tulku Dondrul ist ein verheirateter Lama und lebt daher nicht im Kloster, sondern in einem großen Haus, das er ganz in der Nähe gebaut hat. Bei dem erschossenen Mönch handelt es sich um seinen Sohn Tsering Pal, der bei der örtlichen Bevölkerung in hohem Ansehen gestanden habe. Der Name der Mutter sei Gephel und die Familie nomadischen Ursprungs, heißt es ferner.

Kurz vor dem alljährlichen Sommerpicknick, das "gewöhnlich das Ende des Summer Retreat" (tib: yarne) markiert, begaben sich drei Mönche aus dem Kloster Togden, darunter auch Tsering Pal, zum Einkaufen nach Darlag Dzong. Obwohl das Kloster Togden in den Verwaltungsbezirk von Machen Dzong fällt, gehen die Mönche für ihre Besorgungen gewöhnlich in den Nachbarbezirk Darlag Dzong (chin: Dari), da es zu Pferd nur einen Tag dorthin ist. Es ist anzunehmen, daß Tsering Pal als Sohn des Oberlamas der Anführer der Gruppe gewesen ist. Die drei Mönche nahmen sich ein Hotel in Darlag Shen und gingen einkaufen. Als sie spätabends zum Hotel zurückkehrten, war dieses bereits geschlossen, und das Personal weigerte sich, die Mönche einzulassen. Diese wurden laut und störten die Nachtruhe, weshalb der Manager, laut RFA ein Chinese, die Polizei rief. Die Mönche wurden festgenommen und zur örtlichen Polizeistation (chin: paitesuo) gebracht. Dort wurden sie zwei Tage lang in Gewahrsam gehalten und in der ersten Nacht schwer geschlagen.

Auf ihre Freilassung hin suchten sie zuerst ein Krankenhaus auf, um ihre Verletzungen behandeln zu lassen, ehe sie ins Kloster zurückkehrten. Gleich nachdem Tulku Dondrul hörte, was sich zugetragen hatte, eilten er und zwei hochrangige Lehrer (tib: Khenpo) des Klosters zusammen mit besagten drei Mönchen nach Darlag. Sie wurden bei den Behörden vorstellig und verlangten, daß zumindest die Kosten für die medizinische Behandlung erstattet würden. Dies wurde ihnen aber abgeschlagen, und es kam zu einem heftigen Wortwechsel, in dessen Verlauf ein Polizist namens Xiao Fu, dessen Vater Chinese und dessen Mutter Tibeterin ist, seine Pistole zog und in die Luft feuerte. Einer der Mönche packte ihn und versuchte ihm die Pistole abzunehmen. Bei dem folgenden Gerangel löste sich ein Schuß und traf Tsering Pal tödlich. Die Kugel trat durch das Auge ein und auf der Rückseite des Schädels wieder aus. Der Polizist feuerte noch einige Schüsse ab und traf dabei einen chinesischen Arbeiter am Bein. Ein weiterer Schuß durchschlug die Kopfbedeckung eines der Lehrer (Khenpo Tsondue), der jedoch keine Verletzung davontrug. Unbestätigten Berichten zufolge sollen noch andere Anwesende von verirrten Kugeln getroffen worden sein.

Gleich nachdem die Nachricht von dem Vorfall Trachog erreichte, machte sich eine wütende Menge von 100 bis 200 Menschen zu Pferd nach Darlag Shen auf. Polizeistation und Dienstwagen wurden mit Steinen beworfen, aber es scheint keine weiteren Verletzten gegeben zuhaben. Den zwei Lamas Amdo Geshe und Tulku Tenpe Nyima, Mitgliedern der People's Political Consultative Conference [PPCC, eine machtlose Institution, deren Aufgabe nur im Abnicken besteht und deren Mitglieder aus der Lokalprominenz rekrutiert werden], gelang es, die Menge zu beruhigen. Während der darauffolgenden Diskussionen verlangten einige, der Polizist Xiao Fu müsse seine beiden Schußwaffen herausgeben, denn nach nomadischem Brauch ist jemand, der einen anderen Menschen getötet hat, dazu verpflichtet, seine Waffen abzugeben. Diese Forderung wurde mit der Begründung, bei den Waffen handle es sich um staatliches Eigentum, abgelehnt, worauf die Menge handfeste Unruhen androhte. Schließlich vereinbarte man, daß die örtliche Polizeistation der Familie des Opfers 180.000 Yuan (17.428 Euro) Entschädigung (tib: magzog; dieses Wort steht für den Rückzug von Soldaten gegen die Zahlung einer bestimmten Summe Geldes) zu zahlen habe. Des weiteren verständigten die beiden Lamas sich mit den Behörden auf ein traditionelles Moratorium (tib: gyod thag). Diesem Brauch zufolge soll die Beilegung eines Streits innerhalb eines festgelegten Zeitraums ermöglicht werden. Während dieser Zeit dürfen die Feindseligkeiten nicht wieder aufgenommen werden. Im Fall von schwerwiegenden Auseinandersetzungen zwischen den Dörfern kann dies Monate oder sogar ein Jahr dauern.

* Die Dzogchen-Tradition gibt es in verschiedenen Schulen des tibetischen Buddhismus, in der Nyingmapa-Schule ist sie besonders stark vertreten. Dzogchen ist mit dem japanischen Zen-Buddhismus (chin: Chan) verwandt und wurde in Tibet bereits in der ersten Verbreitungsphase des Buddhismus eingeführt.

ähnliche Texte