26. August 2004
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Angesehener Politiker aus Chabcha gestorben

Wie aus unseren Quellen in Tibet verlautet, ist Dondrup Gyal, der frühere Parteisekretär der Präfektur Tsolho (allgemein Chabcha genannt, chin. Hainan), am 31. Juli in Qinghai verstorben. Der 64 Jahre alte Dondrub Gyal litt an Magenkrebs und war in einem Krankenhaus in Shanghai behandelt worden. Er stand dem 10. Panchen Lama und dessen Bildungspolitik und Engagement für die Erhaltung der tibetischen Sprache sehr nahe, was ausschlaggebend dafür war, daß das Tibetische in den Regierungs- und Bildungsinstitutionen der Präfektur Tsolho, die für ihre literarische Bedeutung weithin bekannt ist, allmählich wieder an Platz gewann. Nachdem in der Tibetpolitik der tibetischen Sprache und Kultur von den Chinesen eine Zeit lang etwas mehr Freiraum in der Bildung und bei der Verwaltung zugebilligt wurde, wurde diese Politik nach dem Tode des 10. Panchen Lama im Jahr 1989 wieder zurückgenommen. In dem ganzen darauffolgenden Jahrzehnt sah sich Dondrub Gyal heftiger Kritik gegen die Sprachpolitik ausgesetzt, die er in Chabcha betreiben wollte.

Der aus einfachen Verhältnissen stammende Dondrup Gyal wurde im Distrikt Tongde, Präfektur Chabcha, geboren, wo er auch die meiste Zeit seines Berufslebens verbrachte. Er war weder der Prototyp eines angesehenen Beamten aus der tibetischen Aristokratie noch eines hohen Lamas, den die chinesische Regierung auf einen Posten gehoben hatte. Über Dondrup Gyals Rolle in den turbulenten ersten zwei Jahrzehnten der chinesischen kommunistischen Herrschaft ist nur wenig bekannt. Erst ab dem Ende der Kulturrevolution läßt sich seine Karriere verfolgen.

Ehe er 1983 zum Parteisekretär des Distrikts Chabcha ernannt wurde, war Dondrup Gyal bereits Vorsteher der Gemeinde Sumdo, Vize-Vorsitzender des Revolutionskomitees von Mangra Shang (1975), Vorstand der Abteilung für Bildung in Guinan (1978-1979) und Junior-Vorsitzender des Distrikts Guinan gewesen. Ein Zeitgenosse, der in der Abteilung für Bildung tätig war, als Gyal Junior-Chef des Distrikts Guinan war, erinnert sich: "Obwohl er damals nur Vize-Vorsitzender war, verfügte er über viel Macht in unserem Distrikt und konnte alles machen, was er wollte. Er war ein äußerst fähiger Politiker mit Führungsqualitäten. Junge Leute mit ausgestellten Hosen und wirren Haaren pflegte er fürchterlich zusammenzustauchen."

Zu den Errungenschaften, die Dondrup Gyal in dieser Zeit für sich verbuchen konnte, gehört die Einrichtung der Mittelschule Chabcha, die später in "Chabcha Minderheiten Mittelschule" umbenannt wurde. Die Art und Weise, wie er in der ganzen Provinz Mittel für die umfangreichen Aushub-Arbeiten für den Bau der Schule sammelte, das Geld dann aber nicht für Bauarbeiter ausgab, sondern die Lehrer und Schüler dazu anhielt, die Arbeiten außerhalb des Unterrichts selbst auszuführen, und diese dafür finanziell unterstützte, war typisch für ihn. Seine Kollegen erinnern sich noch, wie er die Baustelle morgens persönlich in Augenschein zu nehmen pflegte, um sich ein Bild vom Fortschreiten der Arbeiten zu machen.

Von 1986 bis 1992 war Dondrup Gyal zuerst Junior-Parteisekretär und dann Vorsitzender und Parteisekretär der Präfektur Tsolho. Örtliche Verwaltungsangestellte denken gerne zurück an die Zeit, in der die tibetische Sprache und Kultur so etwas wie eine kleine Renaissance erlebte. "Er sorgte dafür, daß das Tibetische zur wichtigsten Sprache in der Präfektur wurde... Die Leute dachten, als Parteimitglied halte er nichts von Buddhismus, aber er trug zur Renovierung vieler Klöster in der Region bei und half, die Mittel dafür aufzubringen. Es war nicht seine Art, sich jedem Lama zu Füßen zu werfen, und falls nötig, schalt er sie genau so, wie jeden anderen auch", meinte einer von ihnen.

Bei der lokalen politischen Führung war Dondrub Gyal nicht immer unumstritten, wurde jedoch generell als ein fleißiger und aufrichtiger Mensch respektiert. Einmal rügte er bei einer Sitzung die anwesenden Kader wegen ihrer endlosen Diskussionen, die es seiner Ansicht nach zu keiner Entscheidung kommen ließen. Auf Grund seiner guten Verbindungen zu höheren Beamten, sowohl in der Provinz als auch in Peking, war er sehr erfolgreich bei der Beschaffung finanzieller Mittel. Der 10. Panchen Lama soll ihm gesagt haben, er möge ihm nicht so viel Ziegenfleisch schenken, denn er bekäme von so vielen Leuten Fleisch angeboten, und das sei mehr, als er jemals verspeisen könnte. Er solle lieber Tashi Wangchug etwas zukommen lassen, der sich damals in Peking für die Förderung der tibetischen Sprache in den autonomen tibetischen Gebieten von Qinghai vehement einsetzte. Und der Panchen Lama hätte noch hinzugefügt: "Bitte führen Sie das weiter, worum Ngapo Ngawang Jigme und ich so sehr gekämpft haben, nämlich die Verwendung der tibetischen Sprache in den tibetischen Regionen!" Man weiß zwar nicht, inwieweit diese Erinnerungen den Tatsachen entsprechen, aber sie vermitteln einen Eindruck davon, welche Bedeutung diese Galionsfiguren immer noch für die Menschen besitzen: Die persönliche Beziehung lokaler Amtsträger zu jemandem wie dem Panchen Lama erhebt sie fast zu einer Legende - vor allem, wenn sie bereits gestorben sind.

Mit Unterstützung des Panchen Lama, der 1988 Chabcha besucht hatte, brachte Gyal das Magazin "Riwo Nyida" (Sonne-Mond-Berg) heraus und schickte in diesem Zusammenhang drei Tibeter aus Chabcha zur Ausbildung nach Peking. 1992, so erinnerte sich der Herausgeber, "beschäftigte sich diese Zeitschrift mit all dem Guten, das die tibetische Sprache in Qinghai gebracht hatte und behandelte dabei verschiedene Themen... Sie war ein Diskussionsforum für das Potential des Tibetischen in Wort und Schrift und wollte diesem zu höherer Wertschätzung unter der Bevölkerung verhelfen. Wir hatten allerdings nicht das Gefühl, daß wir etwas erreichen würden. Die meisten Leute wissen gar nichts über diese Thematik. Ich schrieb beispielsweise einmal selbst einen Artikel, der sich genau mit diesem Thema befaßte: Ich plädierte dafür, daß die tibetische Sprache in den Lehrplänen der Schulen mehr Berücksichtigung finden sollte. Doch der Artikel durfte nicht veröffentlicht werden. Und so endete das Magazin schließlich als eine Zeitschrift für Poesie."

Der Herausgeber ging zum Pressebüro in Qinghai, wo man ihm zu verstehen gab, was er veröffentlichen dürfe und was nicht. "Sie warnten ihn ausdrücklich: Sie wissen, was passiert, wenn Sie diese Regeln verletzen. Wir vertrauen Ihnen. Sie sind ein Mitglied der Partei." Man hatte die Partei zu loben und durfte nicht über Tibet betreffende Belange sprechen. Die Artikel mußten den damaligen politischen Standpunkt der Kommunistischen Partei widerspiegeln. Wir sollten als Sprachrohr für die Politik der Partei fungieren... Und wir mußten natürlich gegen die Dalai Clique sein."

Dondrup Gyal setzte die Vorstellungen des Panchen Lama in bezug auf die tibetische Sprache mit großem persönlichen Einsatz um. Er vermehrte die Anzahl an ethnischen Tibetern unter den Regierungsbediensteten und schuf die ersten Sekretariatsposten für tibetische Sprache, die Absolventen der Tibet-Universität offenstanden. Als Parteisekretär ließ er auf allen Hinweisschildern der Verwaltung und auf den Briefköpfen Tibetisch hinzufügen. Kader, die mit Dondrup Gyal zusammengearbeitet haben, erinnern sich, daß zweisprachige, auf Tibetisch und Chinesisch abgefaßte Anträge zum Standard gehörten, und daß er sogar neuen Gebäuden in der Präfektur seinen Stempel aufdrückte, denn sie fielen deutlich tibetischer aus als andere. Die Gründung der "Literatur-Gesellschaft Chabcha" ist ebenfalls ihm zu verdanken.

Kommunalpolitiker kritisierten Dondrup Gyal sowohl seiner Vorgehensweise als auch seines Arbeitsstils wegen. Seine Initiativen, fähige Personen für die Arbeit an bestimmten Projekten einzusetzen, und auch ältere, gebildete Leute zu beschäftigen, z.B. ehemalige Mönche aus verschiedenen Gegenden als Lehrkräfte in Chabcha, wurden von Eifersüchteleien und Vorwürfen der Vetternwirtschaft überschattet. Viele führende Kader waren unzufrieden damit, daß er nicht nur chinesische Offizielle in Tibetisch unterrichten lassen wollte, sondern auch die vielen ethnisch tibetischen Verwaltungsbeamten in Chabcha, die des geschriebenen Tibetisch fast völlig unkundig waren. Diejenigen Beamten, welche die Prüfung nicht bestanden, wurden mit Geldstrafen belegt, ja es heißt sogar, daß einige von ihnen auf Grund ihres Versagens bei der Prüfung nicht befördert wurden.

Ein ehemaliger Mitarbeiter aus dem Amt für Bildung in Chabcha erinnert sich: "Am meisten war Dondrup Gyal darüber frustriert, daß die von China für die autonomen Gebiete für Minderheiten konzipierten politischen Vorgaben nicht richtig umgesetzt wurden. Mit diesem Problem sah sich nicht nur Dondrub Gyal konfrontiert, sondern alle Politiker, die sich ihrer ethnischen Zugehörigkeit verpflichtet fühlen."

1992 kam es schließlich zum Sturz von Dondrup Gyal: Er wurde bezichtigt, Unterschlagungen begangen zu haben, was ihm selbst, seinem Sohn und seinem Schwiegersohn einige Zeit im Gefängnis einbrachte. Schließlich wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen, jedoch von seinem Posten als Parteisekretär der Präfektur abgesetzt. Nachdem er an die Parteischule nach Peking geholt wurde, wo er ein Jahr absitzen mußte, relegierte man ihn schließlich auf den Posten eines Vizevorsitzenden im Amt für Viehhaltung auf Provinzebene. Theoretisch ist diese Position ist zwar höher als die des Parteisekretärs einer Präfektur, im allgemein wird sie aber als Degradierung betrachtet, denn sie entbehrt jeder tatsächlichen politischen Macht.

Dondrup Gyal verfügte über direkte Erfahrungen auf diesem Gebiet und kannte das Leben der viehzüchtenden Familien in Qinghai genauestens. Er hatte schließlich den größten Teil seines Berufslebens im staatlichen Dienst in Nomadengegenden verbracht. Ein früherer Kollege erzählt, daß er häufig Streitigkeiten unter den Nomaden über den Zugang zu den Weiden schlichtete. In einem früheren Stadium seiner Karriere, als er noch Vorsteher der Gemeinde Sumdo war, hatte sich Dondrup Gyal durch die Einführung von Bewässerungstechniken aus China für die Weidegründe der Gemeinde große Verdienste erworben. Während seiner Amtszeit in der Abteilung für Viehzucht der Provinz machte er sich mit den Lebensumständen der einfachen Menschen in den Präfekturen Yushu und Golog bekannt und beschaffte Mittel für den Bau von Schulen und Krankenhäusern. Er besuchte die Präfekturen Tsonub, Tsojang und Tsolho und versuchte für das Problem der vielfältigen Steuern auf Fleisch und Wolle Abhilfe zu schaffen. Dondrup Gyal war der Auffassung, daß ein China, das zu einer Marktwirtschaft geworden war, nicht doppelte Steuern auf Fleisch und auf Wolle von den Leuten erheben dürfte.

Tenzin Gonpo, der unter Dondrup Gyal in der Abteilung für Bildung in Guinan gearbeitet hatte, erinnert sich seiner als "eines Mannes mit besonderen Qualitäten". "Von den vielen tibetischen Kadern, die ich kenne, war er der einzige, der es verstand, mit den chinesischen Offiziellen zu arbeiten und sich mit ihnen messen konnte. Zu einer Zeit, als die meisten tibetischen Kader ihre Reden ausschließlich auf Chinesisch hielten, erhob er sich und sprach sowohl auf Tibetisch als auch auf Chinesisch."

Ein ehemaliger Kollege faßt seine Eindrücke von Dondrup Gyal als politischer Führungspersönlichkeit in Chabcha wie folgt zusammen: "Das Ungewöhnliche an ihm war, daß er trotz seiner eher rudimentären Bildung über die Fähigkeit verfügte, Menschen so einzusetzen und Ressourcen so zu nutzen, daß er seine Ziele erreichen konnte. Es ist eine Sache, ein Projekt anzustoßen, aber etwas ganz anderes, die Leute, die es durchführen müssen, auch zum Erfolg zu führen. Natürlich war er in erster Linie und vor allem ein Tibeter, und das war sein Ausgangspunkt."

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