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Bauern und Nomaden in Chamdo und Sichuan im Zuge einer Umweltschutz-Aktion umgesiedelt
Offizielle sowie inoffizielle Berichte beschreiben die aktuelle Vertreibung von Dutzenden von Nomaden- und Bauernfamilien von ihrem angestammten Land im Osten der Präfektur Chamdo in der TAR und den angrenzenden Gebieten in Sichuan; mit Unterstützung der Regierung sollen sie in der Region Kongpo (chin. Nyingtri) im Südosten der TAR wieder angesiedelt werden. Im Gegensatz zu anderen Umsiedlungsprojekten in China scheint diese Aktion nicht in erster Linie auf die staatlichen Programme zur Armutsbekämpfung zurückzuführen zu sein. Die Berichte deuten vielmehr an, daß diese Umsiedlung von Tibetern mit den Bemühungen zum Schutz des Waldes und zur Entwicklung von Ökosystemen im oberen Bereich des Yangtse in Verbindung steht. Es handelt sich hierbei um Maßnahmen, zu denen sich die chinesische Regierung nach den verheerenden Überschwemmungen von 1999 im chinesischen Tiefland veranlaßt sah. Ein weiterer Unterschied zu anderen Umsiedlungsprojekten in China ist, daß das vorliegende das ethnische Verhältnis in der Gegend nicht verändert, da die Tibeter innerhalb ihres ethnisches Gebiets umgesiedelt werden. Das Dulan-Umsiedlungsprojekt in Qinghai (der Provinz, die bei den Tibetern von Alters her "Amdo" genannt wird) von 1999 führte zu Kontroversen, denn es zielte darauf ab, Nicht-Tibeter in Gegenden mit vorwiegend tibetischer Bevölkerung anzusiedeln: Schließlich sah sich die Weltbank, der Haupt-Sponsor des Projektes, im Juli 2000 gezwungen, ihre finanzielle Unterstützung zurückzuziehen (s. TIN News Update 07.07.2000 http://www.tibetinfo.net/news-updates/nu070700b.htm).
Regierungsvertreter wie z. B. Legchog, der bisherige Vorsitzende der Regierung der TAR, gaben Anfang 2003 bekannt, daß in der Präfektur Nyingtri zehn Dörfer geschaffen worden seien und daß Nomaden, Bauern und Halbnomaden (die je nach Jahreszeit sowohl nomadisch als auch als Bauern leben) dort neu angesiedelt würden und vor Ort auch Beschäftigungsmöglichkeiten erhalten. Tibeter aus den zur Umsiedlung vorgesehenen Gebieten sagten, daß bereits einige wenige bis mehrere Dutzend Einwohner pro Ortschaft aus einigen Gemeinde umgesiedelt wurden. Die Umsiedlungsgebiete liegen in Gonja, Jomda und Markham in der TAR sowie in Derge in Sichuan.
Tibeter in Kongpo berichteten TIN von der Ankunft neuer Siedler. Eine Frau aus Kongpo, die in der Nähe eines der neu geschaffenen Dörfer lebt, sagte, daß die Umsiedler das Land nicht kultivieren wollen, weil die Böden viel schlechter sind als in ihrer Heimatregion. Außerdem gibt es Anzeichen sozialer Spannungen und von Mißtrauen gegenüber den Siedlern unter den Alteingesessenen.
Es ist nicht eindeutig, ob die Regierung direkte Gewalt ausübt, um die Leute zur Umsiedlung zu zwingen. TIN liegen mehrere Berichte vor, daß sich die bisherigen Versuche, die Menschen zur Umsiedlung zu bewegen, auf Überzeugungsarbeit und das Versprechen finanzieller Kompensationen beschränkten. Mehrere Quellen erwähnen auch, daß die Regierung die Leute bei der Wiederansiedlung unterstütze. So werde den Leuten etwa bei Versammlungen erklärt, sie "müßten" umziehen, und wenn sie nicht jetzt umziehen, sie später kein gutes Ackerland mehr vorfinden und der von der Regierung versprochenen Kompensationsleistungen verlustig gehen würden.
Aussagen von Einwohnern aus den Umsiedlungsgebieten lassen darauf schließen, daß viele Leute nicht umgesiedelt werden wollen und daß sich unter den in Kongpo neu Angesiedelten einiger Groll angesammelt hat.Umgesiedelte Familien beklagen sich bei Verwandten, daß der Boden zu schlecht für eine ordentliche Nutzung sei oder daß sie befürchten, das Land könne innerhalb weniger Jahre erodieren und somit wertlos werden, weil nämlich das neu angelegte Ackerland künstlich hergestellt wurde, indem man auf den steinigen Boden einfach Erde aufgeschüttet hat. Viele derjenigen Leute, die nach Kongpo umziehen mußten, waren Nomaden bzw. Halbnomaden und hatten, abgesehen von den in jüngster Zeit gebauten Winterquartieren, ihre traditionelle Lebensweise praktisch unverändert aufrecht erhalten. Bevor sie nach Kongpo umzogen, mußten sie ihre Tiere, wie Yaks und Schafe, die ihre einzige Lebensgrundlage bildeten und auf denen die Wirtschaftsstruktur der Gegend beruhte, verkaufen. Des weiteren haben sie spirituelle Bindungen an das Land ihrer Vorfahren, die sich etwa in der Anbetung lokaler Gottheiten äußern, die wiederum mit ganz bestimmten Bergen und Pässen im Zusammenhang stehen. Bei religiösen Zeremonien an diesen Pässen und Bergen werden den lokalen Gottheiten Opfer dargebracht, weshalb diese Orte als heilig gelten.
Während China weiterhin Millionen seiner Bürger unter dem Deckmantel der "Armutsbekämpfung" umsiedelt, scheint die Umsiedlung ganzer Familien aus Gonjo mit den Umweltschutz-Maßnahmen in dem oberen Einzugsgebiet des Yangtse zusammenzuhängen. China Daily berichtete kürzlich, daß annähernd 1.000 Familien aus den Distrikten Jomda, Markham und Gonjo in die Präfektur Chamdo umgesiedelt wurden, um "die Wälder intakt zu halten", und daß diese "ihrer Heimat entwurzelten Menschen mit Unterstützung der Regierung anderswo angesiedelt wurden". Diese Maßnahmen zielen nicht nur auf den Schutz des Waldes und die Wiederaufforstung bereits abgeholzter Gebiete ab, sondern es wird beabsichtigt, in den traditionellen Nomadengebieten "Primärvegetation und andere Ökosysteme" zu entwickeln. In einem Artikel mit dem Titel "Drei Distrikte werden die Berge verschönern" berichtet das chinesische Tibet-Informationszentrum (China Tibet Information Centre, 29.07.03), daß in "ernsthaft gefährdeten Erosionsgebieten" der Distrikte Jomda, Markham und Gonjo mit "der allgemeinen Planung und Anlegung staatlicher Wälder" begonnen und dabei weit über 6 Millionen Setzlinge angepflanzt worden seien. In dem Artikel blieb jedoch unerwähnt, daß die Durchführung dieses Programms die Umsiedlung einer beträchtlichen Anzahl der dort lebenden Menschen erforderlich machte.
Die Regeneration von Ökosystemen, um längst verlorene Habitate zurückzugewinnen und in dicht besiedelten Gebieten ökologische Infrastrukturen aufzubauen, ist ein kostspieliges Unternehmen in westlichen Ländern, jedoch ist es unwahrscheinlich, daß solch ein Vorgehen von den dort ansässigen Tibetern ohne weiteres akzeptiert wird, vor allem, weil sie dann das Land ihrer Vorfahren verlassen müßten. Obwohl die traditionelle Viehwirtschaft, wie man weiß, in den letzten Jahrhunderten zu den ökologischen Veränderungen in den fraglichen Gebieten beigetragen hat, hat sie doch bei der massiven Abholzung während der letzten fünfzig Jahre keine bedeutende Rolle gespielt. Die umgesiedelten tibetischen Nomaden und Bauern bezahlen daher offensichtlich teuer für die ökologische Verwüstung, die von ihrer althergebrachten Lebensweise lediglich minimal verursacht wurde. Ob diese Maßnahmen tatsächlich die gegenwärtigen ökologischen Probleme, insbesondere die wiederholten Überschwemmungen des chinesischen Binnenlandes, lösen können, bleibt abzuwarten.
Nicht wenige Tibeter aus dem fraglichen Gebiet bringen die gegenwärtigen Umsiedlungen mit dem Abbau von Bodenschätzen in Verbindung, wie im Fall des Nomadengebiets von Awang in Gonjo, wo man sowohl von Bergbau als auch von der Umsiedlung von Nomadenfamilien hört. Die Leute erwähnen, man habe ihnen gesagt, das Land solle aufgeforstet werden, aber Berichte aus der Gegend zufolge wurden Maschinen und Ausrüstung zum Abbau von Bodenschätzen von der großen Yulong-Kupfermine in Jomda in die nahegelegenen Gebiete in Gonjo transportiert. Dies könnte darauf hinweisen, daß diese wichtige Mine ihre Aktivitäten in den Distrikt Gonjo ausdehnen will. Es könnte auch sein, daß die Ackerbaugegend in Gonjo zur Lebensmittelversorgung und als Winterquartier für die (vorwiegend chinesische) Arbeiterschaft im Bereich der Yulong-Mine genutzt werden soll, da diese sich in einer größeren Höhenlage befindet, wo kein Gemüseanbau mehr möglich ist.
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