Januar 2002
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P.
phone +91/1892/23363, fax: +91/1892/25874, e-mail: dsala@tchrd.org, website: www.tchrd.org

Inhalt

Die Menschenrechtslage in Tibet: Jahresbericht 2001

Begriffserklärung und Abkürzungen

I. Resumée
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Bürgerliche und politische Rechte
Der Status der neuen tibetischen Flüchtlinge
Empfehlungen

II. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

1. Das Recht auf Lebensunterhalt
a) Der Lebensunterhalt auf dem Lande
b) "Teile und herrsche": Zerstörung des Nomadentums
c) Willkürliche Politik auf dem Agrarsektor
d) Auch das "Nebeneinkommen" ist bedroht: Der Fall von Yartsa Gunbhu
e) Armutslinderungsschemen
f) Das Recht auf Kontrolle der Naturschätze
g) Der Lebensunterhalt in der Stadt
h) Diskriminierung bei der Beschäftigungspolitik
i) Pekings wirtschaftliche Ziele für Tibet
j) Auswirkungen der WTO und der Globalisierung auf Tibet
k) Schluß

2. Das Recht auf Erziehung
a) Diskriminierende Praktiken
b) Lernen in einer fremden Sprache
c) Schluß

3. Das Recht auf Gesundheit
a) Statistik versus Realität
b) HIV/AIDS und das Recht auf Leben
c) Zugang zu Vorsorgeeinrichtungen
d) Der Entfernungsfaktor
e) Rassische Diskriminierung
f) Unklarheiten bei der Behandlung
g) Das Wohl der Frauen
h) Einseitige Benachteiligung bei der Geburtenkontrolle
i) Der Staat entzieht sich der Verantwortung
j) Geburtenkontrolle
k) Abschreckung durch Strafen
l) Abtreibung und Sterilisation
m) Der Ruf nach Gerechtigkeit

4. Das Recht auf Wohnung
a) Zwangsausquartierungen
b) Räumungsaktionen in religiösen Institutionen
c) Vertreibungen im Namen von "Entwicklungsprojekten"
d) Wohnen auf dem Lande: Infrastruktur und öffentliche Versorgungsnetze fehlen
e) Diskriminierung im städtischen Wohnungswesen
f) Kulturell nicht angemessene Unterkunft
g) Schluß

III. Bürgerliche und politische Rechte

1. Die Freiheit der religiösen Überzeugung und Ausübung
a) Die Parteipolitik bedroht die religiöse Freiheit
b) Die Ausrichtung der Religion muß marxistisch werden
c) Der sozialistische Weg zur Unterdrückung
d) Hartes Durchgreifen, Ausweisungen und Demolierungen
e) Schließung von religiösen Institutionen
f) Der Dalai Lama als der "Feind"
g) Bevorzugung des Atheismus vor der Religion
h) Parteilinie gegenüber den Reinkarnationen
i) Die USA verurteilen China wegen "Verfolgung"

2. Politische Freiheiten
a) Das Recht, seine politische Zukunft selbst zu bestimmen
b) Eine ganz besondere Art von Kadern
c) Freiheit der Meinungsäußerung
d) Charmeoffensive
e) Willkürliche Verhaftungen und Festnahmen
f) Das Schicksal politischer Gefangener
g) Das Recht, sein Heimatland verlassen und in es zurückkehren zu können
h) Die Strafen für die Flucht
i) Folter und Mißhandlung im Gefängnis
j) Gewaltanwendung gegenüber weiblichen Insassen
k) Bedingungen und Rechte in der Haft

IV. Der Status der neuen tibetischen Flüchtlinge

1. Vielfältige Gründe für die Flucht ins Exil
2. Gefahren und Komplikationen unterwegs
3. Nepals Position in der Flüchtlingsfrage
4. Gefahren an der Grenze
5. Die Zuständigkeit des UNHCR
6. Die Weiterreise
7. Zunehmende Zahlen bei den Abschiebungen

Anhang 1: Die in Tibet bekannten Gefängnisse und Haftzentren

Gefängnis der Autonomen Region Tibet (Drapchi)
PSB Haftzentrum der TAR (Sangyip Gefängnis)
PSB Haftzentrum der Stadt Lhasa Gutsa
TAR-Zentrum zur Umerziehung-durch-Arbeit (Trisam-Gefängnis)
Powo Tramo, Gefängnis No. 2 der TAR
Lhasa Gefängnis (früher als Outridu bekannt)
Tibetisches Militär-Haftzentrum
Präfektur-Haftzentren
Anstalt Zethang zur "Reform durch Arbeit"
Gefängnis Maowan

Anhang 2: Aufstellung der relevanten Internationalen Menschenrechts-Verträge, die von der Volksrepublik China unterzeichnet und/oder ratifiziert wurden

Internationale Übereinkunft über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte
Internationale Übereinkunft über Bürgerliche und Politische Rechte
Internationale Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung
Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen
Übereinkunft gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder herabwürdigende Behandlung oder Bestrafung
Übereinkunft über die Rechte des Kindes

Begriffserklärung und Abkürzungen

Barkhor Das alte tibetische Stadtviertel und der zentrale Markt um den Jokhang Tempel in Lhasa, auf Tibetisch bedeutet es "mittlerer Umrundungsweg".

Kader (tib. le che pa; chin. gan bu) bezieht sich technisch auf das Personal der chinesischen Verwaltung oder auf Personen, die in offiziellen Projekten oder in staatlichen Unternehmen arbeiten.

CCP Chinese Communist Party, die im Juli 1921 gegründet chinesische kommunistische Partei; chin. Zhong Guo Gong Chan Dang.

Distrikt tib. dzong, chin. xian - einem Landkreis entsprechende Verwaltungseinheit mittlerer Ebene

CPPCC Chinese People's Political Consultative Conference. Zuerst 1949 einberufen, besteht die "Politische Konsultativ-Konferenz des chinesischen Volkes" aus Vertretern von außerparteilichen Organisationen, die jedoch die Partei unterstützen. In Gegenden nationaler Minderheiten gehören ihr auch führende religiöse Gestalten und ehemalige Aristokraten an, die der Partei hörig sind. Sie ist das wichtigste öffentliche Organ für die "Vereinte Front" und tritt regelmäßig zusammen, um die Parteipolitik zu definieren und zu unterstützen. Tib. krung-go mi-dmangs chab-srid grod mol tshogs-'du.

CPL Criminal Procedure Law of China; das revidierte Kriminalverfahrensgesetz Chinas trat am 1. Januar 1997 in Kraft.

DMC tib. u-yon lhan-khang, Democratic Management Committee; 1962 in den religiösen Institutionen Tibets eingerichtete Verwaltungsorgane, die 1996 im Zuge der Kampagne zur "Patriotischen Erziehung" neu konstituiert wurden.

Drapchi Offiziell das "Gefängnis der Autonomen Region Tibet" genannt.

Gefährdung der Staatssicherheit In der neuen CPL zum Ersatz von "konterrevolutionär" eingeführte Anklagekategorie.

Floating Population Wanderbevölkerung, chin. liudong renkou, bezieht sich auf nichtregistrierte chinesische Migranten, die dauernd oder vorübergehend in Tibet ansässig sind.

Geshe Spiritueller Titel, einem Doktor der Theologie entsprechend; Mönch oder Lama, der den höchsten Kurs in Metaphysik und die buddhistischen philosophischen Studien in der Gelukpa Schule abgeschlossen hat.

guanxi (chin.) wörtlich: Beziehung; umgangssprachlich für: gute Beziehungen zur Beamtenschaft hegen, um sich eine bevorzugte Behandlung zu sichern.

Gutsa Haftzentrum für den Bezirk Lhasa, 3 Meilen östlich der Stadt in der Nähe des Kyichu Flusses gelegen. Dort werden Personen eingesperrt, deren Fall untersucht wird und die entweder noch nicht "verhaftet" (d.h. noch nicht angeklagt) wurden oder die mit Administrativurteilen belegt wurden.

gyama (tib.) Maßeinheit, 500 g entsprechend.

Haftzentrum tib. lta-strung-khang, chin. kanshousuo, Ort, wo Gefangene ohne Anklage und zur Ermittlung vor der Urteilsfällung eingesperrt werden.

ICCPR International Covenant on Civil and Political Rights - Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte.

ICESCR International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights - Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

Khenpo (tib.) Wörtlich: Abt, in der Nyingma und Kagyu Tradition des tibetischen Buddhismus entspricht Khenpo dem Geshe-Titel.

Kulturrevolution tib. rigs-nas gsar-brje, die 1966 von Mao Zedong initiierte Kampagne, um die Kontrolle über die kommunistische Partei wiederzugewinnen, indem er der Jugend befahl "die Zentrale zu bombardieren" (die Partei von inneren Opponenten zu säubern) und die "vier Alten" (alte Ideen, alte Kultur, alte Bräuche und alte Gewohnheiten) auszurotten. Die chinesische Führung beschreibt sie nun als die "zehn schlechten Jahre", womit sie die ganze Periode von 1966-1976 meint, obwohl sie eigentlich nur zwei Jahre dauerte. In Tibet heißt es manchmal, sie habe bis 1979 gedauert.

Lama (tib.) Das tibetische Wort für einen angesehenen religiösen Lehrer, gleichbedeutend mit dem Sanskritbegriff Guru. Ein Lama muß nicht unbedingt ein Mönch sein, obwohl für alle Lamas der Gelugpa Schule das Mönchstum vorzuziehen ist. Chinesische Politiker verwenden das Wort fälschlicherweise in bezug auf jeden Mönch.

Lhasa Tibets Hauptstadt, in der früheren tibetischen Provinz U'tsang gelegen.

motsey (tib.) 10 motsey machen einen Yuan aus.

mu (tib.) Flächenmaß, entsprechend 67 Quadratmetern.

NCR Nepalese Rupee, 70 NCR sind gleich 1 US$.

PAP tib. drag ches nyen tok dmag mi, chin. Wu Jing, People's Armed Police - Bewaffnete Volkspolizei, eine 1983 aufgestellte paramilitärische Einheit, die für die innere Sicherheit, die Grenzüberwachung und den Schutz staatlicher Einrichtungen, wozu auch die Gefängnisse gehören, verantwortlich ist.

Patriotische Erziehung Eine Unter-Kampagne von "Schlag-hart-zu", im Zuge derer chinesische "Arbeitsteams" in tibetische Klöster zur Indoktrinierung in kommunistischer Ideologie entsendet werden.

PRC People's Republic of China - Volksrepublik China.

Präfektur tib. sa-khul, chin. diqu, Verwaltungseinheit unter der Ebene einer Provinz oder Region aber über der Ebene eines Distrikts; die "Tibet Autonomous Region" (TAR) ist in 6 Präfekturen unterteilt. Eine "Tibetische Autonome Präfektur" (chin. zang zu zizhizhou) ist eine Präfektur außerhalb der TAR, jedoch mit überwiegend tibetischer Bevölkerung.

Prokuratur tib. zhib chu; chin. jian chayan, eine gerichtliche Instanz in China, die für die Ermittlung und strafrechtliche Verfolgung krimineller Taten zuständig ist. Sie befaßt sich auch mit Beschwerden gegen Polizei, Gefängnispersonal andere administrative Organe.

PSB Public Security Bureau, tib. schi de chus, chin. Gong An Ju, Amt für Öffentliche Sicherheit, Polizei auf Lokalebene, die Verdächtige festnimmt und sie vor dem Prozeß in Gewahrsam hält.

Rukhag tib., kleinere Einheit in Gefängnissen, Dörfern, Schulen oder beim Militär.

"Schlag-hart-zu" tib. dungdek tsanen, chin. yanda, eine Kampagne der Chinesen zur Bekämpfung von Korruption und Verbrechen; in Tibet gehen die Behörden jedoch mit dieser Kampagne gegen "Spalter" vor.

SEZ Special Economic Zone, Wirtschaftliche Sonderzone, von China in bestimmten Gegenden eingerichtete Zonen zur Förderung der Wirtschaft, in denen Investoren Steuerbefreiung genießen.

Spaltertum tib. kha-dral-ring-lugs, engl. "splittism", Parteijargon für die tibetische Unabhängigkeitsbewegung oder Gefühle von Nationalismus.

TAP tib. Bod rang-skyong khul, Tibetan Autonomous Prefecture - Autonome Tibetische Präfektur; die Chinesen schufen zehn solcher Verwaltungsbezirke (unter der Ebene einer Provinz oder Region) außerhalb der TAR, die in Nord- und Osttibet (den ehemaligen tibetischen Provinzen Kham und Amdo) liegen.

TAR tib. Bod rang-skyong ljongs, chin. Xizang Zizhiqu, Tibet Autonomous Region - Autonome Region Tibet; formell 1965 von China gebildet, stellt diese Region Zentral- und Westtibets (westlich des Yangtse und südlich des Kunlun Gebirges) das einzige von China als "Tibet" anerkannte Gebiet dar.

TCHRD Tibetan Centre for Human Rights and Democracy

thankga tib. gemaltes religiöses Rollbild

themtho tib., chin. hu kou, Einwohner-Registrierungsdokument, das auch als Rationskarte dient.

Tibet Die Bezeichnung "Tibet" in diesem Bericht meint das ethnische Tibet und umfaßt das gesamte tibetische Hochland. Vor der chinesischen Besetzung Tibets war es in die drei Provinzen Kham, Amdo und U'Tsang, unterteilt. Heute umfaßt es das, was China als die Autonome Region Tibet (TAR) bezeichnet, sowie die tibetisch bewohnten Gebiete der chinesischen Nachbarprovinzen Qinghai, Sichuan, Gansu und Yunnan. Für Peking bezieht sich das Wort "Tibet" nur auf jenen Teil des ethnischen Tibets, der jetzt als TAR bezeichnet wird.

TIN Tibet Information Network, eine unabhängige Beobachtergruppe mit Sitz in London.

Township Gemeinde, chin. Xiang, die unterste Verwaltungseinheit, die formell eine Kleinstadt bildet, aber in ländlichen Gegenden eine Reihe von Dörfern umfaßt.

UDHR Universal Declaration of Human Rights - Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Workteam tib. lae doen rukhag, chin. gongzuo dui, speziell gebildete Sondertrupps von Regierungskadern, die zur Durchführung der "patriotischen Umerziehung" in eine Institution oder an einen Ort abgesandt werden.

yartsa gunbhu tib. "Sommergras-Winterwurm", botanischer Name cordyceps sinensis (Raupenkeulenpilz), ein tibetisches Pilzgewächs, eine Kombination aus Pilz und Raupe, die medizinisch verwendet wird.

Teil I

I. Resumée

Die Ereignisse des 11. September 2001 hatten einen Paradigmawandel in der internationalen Sorge um die Menschenrechte zur Folge. Während die meisten Staaten notwendige Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten, nutzten andere die Angriffe vom 11. September aus, um interne Repressionen zu rechtfertigen. Die VR China (PRC) ist ein Paradebeispiel hierfür.

Das TCHRD ist besorgt darüber, daß China sich diese globale Krise zunutze machte, um noch härter gegen diejenigen vorzugehen, die von der Regierung als "Separatisten" abgestempelt werden: Uiguren, Tibeter und Anhänger von Falun Gong. China bemüht sich nun um internationale Rechtfertigung und politische Zustimmung für seine Aktionen. Dabei unterscheidet Peking nicht zwischen "Terrorismus" und "Separatismus".

Die offizielle Manipulation der neuen Weltordnung wurde am 27. Oktober 2001, bei der 9. Sitzung der 24. Legislaturperiode des Nationalen Volkskongresses Chinas (NPC), deutlich, auf welcher der Vorschlag des regierenden Staatsrates gebilligt wurde, daß die PRC sich dem internationalen Kampf gegen "Terrorismus, Separatismus und Fanatismus" anschließe. In seiner Ansprache an diese Versammlung sagte Li Peng, Präsident des Nationalen Volkskongresses: "Die Entscheidung, daß China sich der globalen Kampagne anschließt, ist angesichts der separatistischen Aktivitäten in China klug, und sie wird hilfreich sein, gegen den im Land von inneren und äußeren Feinden geschaffenen Terror hart vorzugehen".

Das TCHRD glaubt, daß es durch die Ereignisse von 2001 wichtiger denn je geworden ist, daß die internationale Gemeinschaft, einschließlich der PRC, die internationalen Konventionen und universal anerkannten Gesetzeswerke, welche die allen Menschen zustehenden Rechte spezifizieren, gebührend honoriert. In der jetzigen Zeit, wo die ganze Welt auf China schaut wegen seines Eintritts in die Welthandelsorganisation (WTO) und seiner erfolgreichen Bewerbung um die Olympischen Spiele von 2008, hat die internationale Gemeinschaft die Gelegenheit und Pflicht, mehr Druck auf Peking auszuüben, auf daß die Regierung ihre Verpflichtungen gemäß den eingegangenen internationalen Konventionen beherzige.

Chinas weitverbreitete Verstöße gegen die Menschenrechte waren ein Kernpunkt der internationalen Opposition gegen seine Bewerbung um die Olympiade und seine Aufnahme in die WTO dieses Jahr. Unter Hinwegsetzung über die Weltmeinung haben das Olympische Auswahlkomitee und die Mitgliedstaaten der WTO nun tatsächlich Pekings klar dokumentierte Mißhandlungen an Bürgern seines eigenen Volkes und in den besetzten Territorien wie Tibet sanktioniert.

Im Juni 2001 fand in Peking hinter verschlossenen Türen das Vierte Arbeitsforum zu Tibet statt. Diese Tagung auf hoher Ebene pflegt Pekings Politik zu Tibet für die nähere Zukunft festzulegen. Auf dieser Sitzung wurden der "wirtschaftlichen Entwicklung" und der "Stabilität" Vorrang vor allen anderen Freiheiten und Rechten der Menschen gegeben. Aus den Zeugnissen der Flüchtlinge, die ins Exil nach Indien kommen, geht deutlich hervor, daß die Mehrheit der Tibeter nicht daran glaubt, daß sie jemals den vielgepriesenen "Nutzen und Gewinn" aus den Mammut-Entwicklungsprojekten, die jetzt auf dem Hochland im Entstehen sind, ziehen wird.

Das am 8. November 2001 von dem Informationsbüro des chinesischen Staatsrates herausgegebene Weißbuch "Tibets Marsch in Richtung Modernisierung" soll dem Zweck dienen, Chinas Image auf der Weltbühne aufzubessern und dem Land mehr Ansehen zu verschaffen. Indem China hierin die gängigen Normen bürgerlicher und politischer Rechte als "westliche Vorstellungen" abtut, beruft es sich weiterhin auf kulturellen Relativismus, um seine Verstöße gegen die Menschenrechte zu rechtfertigen. Wenn die chinesische Führung auch immer noch die Ansicht vertritt, die "Wirtschaftsentwicklung" stehe über allen anderen Rechten, so ratifizierte sie im Februar 2001 doch den Internationalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR). Der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) wartet indes drei Jahre nach Unterzeichnung des Dokuments immer noch auf seine Ratifizierung durch die PRC. In seiner Festrede zum Empfang des Friedensnobelpreises am 10. Dezember 2001 betonte der Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan, daß in diesem neuen Jahrhundert, "... die Souveränität von Staaten nicht länger als ein Schutzschild für grobe Menschenrechtsverletzungen herangezogen werden darf", und daß "..der Frieden im täglichen Leben eines jeden in Bedrängnis geratenen Menschen greifbar gemacht werden muß". Er rief die Welt auf, sie möge zu ihrem Entschluß stehen, gegen Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen zu kämpfen.

Bei der Präsentation und Dokumentation der Menschenrechtslage in Tibet im Jahre 2001 griff das TCHRD hauptsächlich auf das Rahmenwerk des ICESCR und des ICCPR zurück. Im Mittelpunkt dieser zwei internationalen Verträge steht das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung, kraft dessen sie frei über ihren politischen Status entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung verfolgen. Die Tibeter sind als ein eigenständiges Volk mit eigener Geschichte, Kultur, Sprache, Religion, mit einer eigenen ethnischen Identität und einer starken Bindung an ihr eigenes Land anerkannt. Im Zusammenhang mit dem tibetischen Volk sollte sich das Recht auf Selbstbestimmung daher auf die Tatsache beziehen, daß die Tibeter ein Volk unter fremder Besatzung sind, und daß die in diesem Bericht dokumentierten Menschenrechtsverletzungen genau darauf zurückzuführen sind. Im Laufe der nun über ein halbes Jahrhundert währenden Vorherrschaft der PRC über das politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, kulturelle und religiöse Leben in Tibet wurde dem Recht des tibetischen Volkes auf Selbstbestimmung keine Achtung geschenkt.

Bei der viel beachteten Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenhaß und verwandte Intoleranz im September 2001 in Durban war die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Diskriminierung aus rassischen Gründen eines der Hauptdiskussionsthemen. Das TCHRD bekam die Akkreditierung zu dieser Konferenz und konnte darlegen, daß die Diskriminierung, von der Tibeter innerhalb Tibets betroffen sind, ihre Wurzel darin hat, daß die Tibeter kein Recht auf Selbstbestimmung haben und ein Volk unter Besatzung sind.

Am Internationalen Menschenrechtstag betonte die UN Menschenrechtskommissarin Mary Robinson, daß das von der Durban Konferenz verabschiedete Antidiskriminierungsprogramm ein "integraler Bestandteil aller Bemühungen zum Schutz vor jeglicher Aushöhlung des Menschenrechtsstandards, die sich als unbeabsichtigte Folge aus Maßnahmen zur Terrorbekämpfung ergeben könnte", sein müsse. Ihre von Sorge getragenen Worte werfen ein schlechtes Licht auf totalitäre Regimes und deren neuartige Interpretationen von "Terrorismus".

Der vorliegende Report, der - ergänzt von Sekundärquellen - hauptsächlich auf Gesprächen mit vor kurzem aus Tibet eingetroffenen Flüchtlingen basiert, liefert klare Beweise, daß China im Jahr 2001 die Menschenrechte der Tibeter mit seinen politischen Strategien systematisch verletzte. Außerdem liefern offizielle chinesische Quellen gelegentlich Informationen, die Einblicke in das wahre Ausmaß der auf dem tibetischen Hochland fortdauernden Menschenrechtsverletzungen liefern.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Mit der Ratifizierung des "Internationalen Paktes über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte" (ICESCR) in diesem Jahr ist es für China nun zwingend geworden, geeignete nationale Gesetze zu erlassen, welche den Artikeln des Paktes Geltung verschaffen. Sich am Rahmen des ICESCR orientierend, untersucht dieser Report die Situation der Tibeter innerhalb Tibets im Hinblick auf die Rechte auf Bildung, wirtschaftliche Beteiligung, Gesundheit, Wohnung und Lebensunterhalt. Wir bezogen noch speziell die Rechte von Frauen und Kindern ein, weil diese zwei die durch die chinesische Kolonisierungspolitik am leichtesten verletzbaren Gruppen Tibets sind.

In einem Versuch, die Gleichberechtigung der Frauen sicherzustellen, führte die PRC in regelmäßigem Abstand eine Reihe von nationalen Gesetzen ein, welche die Frauenrechte betreffen. Diese Gesetzgebung behandelt die politische Beteiligung von Frauen, die Beschäftigung, den Arbeitsschutz, die Bildung und Eheschließung nebst anderen Belangen. Bis heute haben diese nationalen Gesetze jedoch ihren Zweck in China verfehlt, Frauen mittels der Rechte, auf die sie universal gesehen Anspruch haben, den ihnen gebührenden Schutz zu gewährleisten. Damit haben tibetische Frauen auch praktisch keine Möglichkeit, ihr Grundrecht auf die freie Bestimmung ihrer Zukunft auszuüben. Durch die Geburtenkontrollpolitik wird den Frauen in Tibet ihr Recht auf Fortpflanzung beschnitten. Sie haben keine Kontrolle über die Größe ihrer Familie, sie können nicht selbst über den Abstand zwischen ihren Schwangerschaften entscheiden und selbst keine Entscheidung hinsichtlich Abtreibung treffen. Schwere Strafen werden für Nichteinhaltung der Fortpflanzungsregeln verhängt. Die in keinem Verhältnis stehende Diskriminierung tibetischer Frauen wird ausführlich in dem Kapitel Das Recht auf Gesundheit behandelt.

Kinder sind das fürs Überleben einer Gesellschaft wichtigste Gut, gleichzeitig sind sie auch am änfälligsten für Mißbrauch und Ausbeutung. China hat viele internationale Konventionen unterzeichnet und ratifiziert, welche Kindern Schutz vor Mißbrauch und Unterstützung für ihr Wohlergehen garantieren. Trotzdem haben unzählige Kinder in Tibet keinen Zugang zu einer Grundbildung und ausreichender Gesundheitsfürsorge. Dies erklärt, warum fast die Hälfte der Asylsuchenden aus Tibet in diesem Jahr Kinder unter 18 waren. Die Verletzungen der Rechte des Kindes werden in diesem Report vor allem in dem Kapitel Das Recht auf Bildung und auf Gesundheit dokumentiert.

Das Recht auf Lebensunterhalt

Ein sehr hoher Prozentsatz der Neuankömmlinge aus Tibet berichtete dem TCHRD in Interviews, daß besonders Tibetern auf dem Lande mehr und mehr ihr Recht auf Lebensunterhalt verweigert wird. Nomaden werden von den hohen Abgaben und der Parzellierung und Einzäunung der Weidegründe in die Enge getrieben - alles Maßnahmen, die das Wesen der tibetischen nomadischen Lebensweise zu zerstören suchen. Tibeter in den Städten sind von gravierender Diskriminierung und einem Mangel an Erwerbs- und Geschäftsmöglichkeiten betroffen. Eine der größten Bedrohungen für die traditionellen tibetischen Methoden der Existenzbestreitung bildet die fortschreitende Umweltzerstörung. Verursacht wurde sie durch Chinas intensive Ausbeutung der Ressourcen; obendrein fließt der auf diese Weise gewonnen gewonnene Profit nicht an das tibetische Volk zurück.

In dem betreffenden Kapitel prüft das TCHRD das Recht der Tibeter auf Lebensunterhalt und zeigt auf, wie dieses von den politischen Maßnahmen der chinesischen Regierung beeinträchtigt wird. Weiterhin werden Pekings ehrgeizige neue Wirtschaftspolitik und ihre Auswirkungen auf die Tibeter innerhalb der engen Definition der PRC von Entwicklung untersucht. In Anbetracht der Betonung, die Peking auf wirtschaftliche Entwicklung legt, was es erneut durch die Herausgabe des Weißbuches über Modernisierung 2001 bekräftigt, zeigt die chinesische Führung kein Interesse, die Entwicklung in ganzheitlicher Weise anzugehen, so, wie es in der UN Erklärung über das Recht auf Entwicklung einschlägig dargelegt wurde. Darin werden nämlich die Unteilbarkeit und die wechselseitige Abhängigkeit aller Rechte betont.

China rühmt sich, Tibet wirtschaftlich anzukurbeln. Politik und Infrastruktur verfolgen jedoch den Zweck, die chinesische Kontrolle über die Region zu festigen und chinesischen Zuwanderern - zum Schaden der tibetischen Bevölkerung - Nutzen zu bringen. Nicht nur werden ihre grundlegenden Bedürfnisse offiziell vernachlässigt, die Tibeter werden auch nicht konsultiert und an keinerlei Bereich der Entwicklung ihres Landes ernsthaft beteiligt. Die chinesische Regierung verfolgt eine Politik des Bevölkerungstransfers im Sinne ihrer wirtschaftlichen und politischen Zielsetzung, die Tibeter in ihrem eigenen Land an den Rande zu drängen. Der Zustrom chinesischer Neusiedler verstärkt noch den Rassismus und die Diskriminierung von Tibetern, besonders in den urbanen Gegenden. Dazu gehört auch die weit reichende Parteilichkeit bei der Zuteilung von Arbeitsplätzen, unter Begünstigung derjenigen, die fließend Chinesisch sprechen, sowie die Vorzugsbehandlung chinesischer Einwanderer.

Das Recht auf Bildung

In der von der Konferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und verwandte Intoleranz in Durban angenommenen NGO Deklaration heißt es, "... die chinesische Regierung hat mit ihren mono-kulturellen und hegemonialen Praktiken durch das Schulsystem und andere staatliche Institutionen eine erzwungene Integration und Assimilierung des tibetischen Volkes herbeigeführt und enthält ihm seine Grundmenschenrechte vor". Praktisch bedeutet dies, daß tibetische Kinder beim Zugang zur Schulbildung, beim Lehrplan und im täglichen Unterrichtsgeschehen in hohem Maße diskriminiert werden.

China verkündet, es habe ungeheure Summen in den Bildungssektor investiert, doch in Tibet zeigen diese wenig Wirkung. In vielen ländlichen Gebieten gibt es entweder gar keine Schulen, oder die existierenden stehen nur denjenigen Schülern offen, die das Schulgeld aufbringen können. Schätzungsweise 85% der tibetischen Eltern wohnen auf dem Land und ihr Einkommen reicht nicht aus, um ihren Kindern den Luxus des Besuchs von Schulen zu ermöglichen, die zudem oft in beträchtlicher Entfernung liegen und hohe Gebühren fordern. Darüber hinaus sind tibetische Eltern sehr besorgt wegen der unverhohlenen und fortschreitenden Sinisierung der Lehrpläne. Die Unterrichtssprache Chinesisch, die nun überall anzutreffen ist, bringt selbst für jene tibetischen Kinder, welche sich den Schulbesuch leisten können, einen weiteren bildungsmäßigen Nachteil. Aus diesen Gründen dominieren Jugendliche immer mehr die Reihen der ins Exil fliehenden Tibeter.

Das Recht auf Gesundheitsfürsorge

Angesichts der gravierenden Unterernährung und des fast epidemischen Auftretens von Tuberkulose und anderen verhütbaren Infektionskrankheiten ist das Wohlergehen der tibetischen Bevölkerung ernstlich bedroht, wenn man bedenkt, wie eingeschränkt ihr Zugang zu medizinischen Einrichtungen ist. In den meisten entlegenen Gegenden, wo die Mehrheit der tibetischen Bevölkerung wohnt, gibt es praktisch keine richtigen Einrichtungen zur medizinischen Betreuung. Und dort wo es sie gibt, sind die Kosten für Tibeter sowohl in der Stadt als auch auf dem Land unerschwinglich hoch. Die allerorten grassierende Diskriminierung kommt als Erschwernis dazu. Wegen all dieser Faktoren kam es zu vielen Todesfällen, die vermeidbar gewesen wären, und es gibt viel ungelindertes physisches Leid.

Bei schätzungsweise bis zu 1 Mio. HIV positiven Fällen in ganz China dieses Jahr und einem jährlichen Anstieg von 30% lassen sich schlimme Rückschlüsse ziehen auf das Vorkommen von HIV/AIDS in Tibet. Das Fehlen von Möglichkeiten zum Aids-Test, zur Behandlung und Betreuung von Aids-Erkrankten, sowie der Mangel an Aufklärungskampagnen, entlarven, daß China sich weigert, die Verantwortung zu übernehmen, um Schritte zur Eindämmung der Epidemie einzuleiten.

Das Recht auf Wohnung

Mit der Ratifizierung des ICESCR im Februar 2001 hat China nun die Pflicht, "angemessene Unterkunft für jedermann" zu bieten. Dies bedeutet, ohne Bevorzugung gewisser Bevölkerungsgruppen für Wohnzwecke geeignete Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, und es beinhaltet auch die Schaffung von Gesetzen zum Schutz vor ungerechter Ausweisung und Abbruch. Es bedeutet ebenso die Einführung einer nationalen Gesetzgebung, wie sie in der ICESCR als für die Beschaffung eines angemessenen Wohnstandards vorgeschrieben wird. Trotz Abgabe von Erklärungen über die Grundforderung einer menschenwürdigen Wohnung für jeden, hat die Regierung in Peking bis Jahresende noch keine speziellen Gesetze zum Wohnungswesen erlassen.

Aus den Aussagen unlängst in Indien angekommener Flüchtlinge wird klar, daß Tibeter nach wie vor bei der Wohnungsvergabe in Stadtgebieten unter Diskriminierung zu leiden haben, daß es aber auch in ländlichen Gegenden entschieden an Infrastruktur und verfügbaren Baustoffen fehlt. Ein weiteres ernstes Problem ist, daß die neuen Wohnungen kulturell und klimatisch ungeeignet sind. Die krassesten und häufigsten Verletzungen des Rechts auf Wohnraum im Jahr 2001 bilden jedoch die massiven Zwangsausweisungen von Mönchen und Nonnen, in erster Linie aufgrund der von der Regierung festgesetzten Obergrenze für die Zahl der in religiösen Institutionen geduldeten Praktizierenden. Städtebauliche Entwicklungsprojekte im Gefolge von Pekings neuer Wirtschaftspolitik führten ebenfalls zum Abriß tibetischer Wohnanlagen und zur Vertreibung der Bewohner.

Bürgerliche und politische Rechte

Ausgehend von dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte dokumentiert dieser Bericht in erster Linie das Fehlen des Rechtes freier Meinungsäußerung, was die willkürlichen Festnahmen und Folterungen nach sich zieht, und die fehlende Glaubensfreiheit, weshalb es zur Verhängung von Restriktionen und in einigen Fällen sogar zur Zerstörung religiöser Institutionen kommt. Das Freedom House, ein Institut zur Überwachung von Freiheit und Demokratie mit Sitz in New York, gab am 18. Dezember 2001 seine jährliche Studie über die Freiheit in den verschiedenen Ländern der Erde heraus. Tibet wird darin als eines der übelsten Gebiete der Erde genannt wird, was die politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten betrifft.

Politische Freiheiten

Das TCHRD ist weiterhin sehr besorgt über die Verhaftung und Verurteilung von Gewissensgefangenen und die Existenz von Gesetzen, die ihre Inhaftierung ermöglichen. Langzeitige Haft ohne Gerichtsprozeß und unzulängliche Prozeßverfahren waren für das ganze Jahr kennzeichnend, ebenso wie rechtliche Schutzmaßnahmen fehlten, um einen fairen und offenen Prozeß zu garantieren. Berichte über Folter und Mißhandlung von Gewissensgefangenen - meistens in den vom Büro für öffentliche Sicherheit geführten Haftzentren - und die Haftbedingungen sind beklagenswert. Derzeit gibt es 254 uns bekannte Fälle politischer Gefangener, wovon dieses Jahr [soweit wir wissen] 37 festgenommen wurden. Zehn Tibeter starben unmittelbar infolge von Folter und Mißhandlung.

Eine einschneidende politische Maßnahme mit konkreten Auswirkungen für Tibet war im April 2001 die Wiederaufnahme der Pekinger Kampagne "Hartes Durchgreifen", die erstmals 1996 gestartet wurde. Diese den politischen Aktivismus bekämpfende Kampagne bezweckt, "das letztendliche Ziel der Stabilisierung von Chinas öffentlicher Sicherheitslage" zu erreichen. Die Kampagne legalisiert hartes Vorgehen gegen Drogenhandel, Schmuggel, Mafia-Verbrechen, Finanzbetrug und das Schleusen von Asylsuchenden über die Grenzen ins Ausland. Unter ihrem Vorzeichen gehen die örtlichen Parteikomitees erbarmungslos gegen alle Aktivitäten vor, die lokalen Nationalismus verfechten.

In Tibet richtete sich die Kampagne hauptsächlich gegen friedliche Protestdemonstrationen und/oder den Besitz "illegaler" Gegenstände. Dazu zählen die tibetische Flagge, Bilder des Dalai Lama und jedes als "politisch" erachtete Material. Darüber hinaus erklärte der Oberste Volksgerichtshof der TAR am 27. Juni 2001, daß "die Hartdurchgreif-Kampagne in der TAR gegen diejenigen vorgehen wird, welche die nationale Sicherheit gefährden, sowie gegen diejenigen, welche anderen Personen beim illegalen Überschreiten der Landesgrenze helfen". Als eine Folge dieser zweijährigen Verlängerung von "Schlag-hart-zu", wie die Kampagne genannt wird, wurden im Laufe des Jahres 2001 zahlreiche Tibeter wegen "politischem Aktivismus" festgenommen.

Zur gleichen Zeit, da den Tibetern Redefreiheit und freie Meinungsäußerung vorenthalten wird, setzt China in einer massiven Bemühung zur Aufbesserung seines eigenen Image in der Welt die volle Kraft seiner Propagandamaschinerie ein, auch, um ein Bild von dem "allgemeinen Wohlergehen und Glück" der Tibeter unter chinesischer Herrschaft zu vermitteln. China unternahm dieses Jahr außerordentliche Anstrengungen im spin doctoring (politische Imageaufbereitung), wozu es sich sowohl seiner eigenen Staatsmedien, wie auch der internationalen Medien bediente.

Unlängst rühmten sich Pekings Propagandafunktionäre, die Zahl der politischen Gefangenen in Tibet sei beträchtlich zurückgegangen. Die staatlichen Medien zeichneten dazu ein glorifiziertes Bild der Zustände in den Gefängnissen auf der tibetischen Hochebene, welche in Wirklichkeit jedoch beklagenswert und lebensbedrohlich sind. Es mag wohl sein, daß die tatsächliche Zahl der politischen Gefangenen etwas zurückgegangen ist, doch wurden die strenge Überwachung und die Gegenmaßnahmen verstärkt, um jegliche Aktivitäten, welche "die Staatssicherheit gefährden", zu unterbinden. Außerdem dient das System der "Reform-durch-Arbeit" und der Inhaftierungen dazu, gegen Dissens und Kritik einzuschreiten.

Freiheit der religiösen Überzeugung und Ausübung

Lange und ständige Besuche der "Arbeitsteams" der KP [in den Klöstern], um Loyalität zu Peking und zur marxistischen Ideologie zu propagieren, die zur Ausweisung vieler Mönche und Nonnen aus ihren jeweiligen Institutionen führten, stehen exemplarisch für die Unterdrückung der religiösen Freiheit im Jahr 2001. Eine intensivierte Verunglimpfungskampagne gegen den Dalai Lama und eine strengere Kontrolle der öffentlichen Ausdrucksformen religiöser Überzeugung und Praktiken stellen weitere weitverbreitete Verletzungen der Religionsfreiheit dar. Im Laufe des Jahres wurden 9.408 Praktizierende aus ihren jeweiligen religiösen Institutionen vertrieben, außerdem wurde von der Schließung zweier großer Einrichtungen berichtet.

Die laufende Kampagne zur "patriotischen Erziehung", die 1996 vom Stapel gelassen wurde, verfolgt den Zweck, die religiösen und patriotischen Gefühle der Tibeter und insbesondere der "Mönchsschar in Robe" zu unterdrücken. In ihrem Gefolge wurden Obergrenzen für die Anzahl von Mönchen/Nonnen in den jeweiligen Klöstern und ein Mindestalter für die neu eintretenden Novizen eingeführt, was zu zahlreichen Festnahmen und Ausweisungen führte. Fast allen religiösen Institutionen wurde inzwischen ein sogenannter "Demokratischer Verwaltungsrat", der sich aus kommunistischen Parteikadern zusammensetzt, aufgezwungen. Dieser bestimmt den Tagesablauf in der Einrichtung und überwacht alle Aktivitäten. Die Klöster werden staatlicherseits zunehmend als "Brutstätten spalterischer Aktivitäten" und als Werkzeuge der "Dalai Clique" wahrgenommen.

Das Spiel mit der Reinkarnationspolitik, das Peking derzeit treibt, ist ein weiterer offizieller Eingriff zur Beherrschung der tibetischen Kultur, Identität und der ganzen traditionellen und religiösen Lebensweise. Ein solcher Schritt war nicht nur Pekings Einmischung in die Bestimmung der Reinkarnation des Panchen Lama, sondern in diesem Jahr auch in diejenige des Reting Rinpoche. Zudem fielen dieses Jahr offizielle Äußerungen über das kontroverse Thema der nächsten Wiedergeburt des jetzigen Dalai Lama. China betonte die Schlüsselrolle, die es bei der Auswahl eines zukünftigen Dalai Lama zu spielen beabsichtige.

Einem im Oktober 2001 vom US State Department über Religionsfreiheit herausgegebenen Bericht zufolge "...erreichte die Unterdrückung religiöser Freiheit in Tibet bedenkliche Ausmaße". Guo Jinglong, Parteisekretär der TAR, machte dieses Jahr in einem Interview mit der New York Times die aufschlußreiche Bemerkung, "der Glaube der tibetischen Schule des Buddhismus sei von den Einwohnern dieser Region selbst gewählt worden, und sie würden, wenn erst einmal die Wirtschaft in der Region gut entwickelt ist, eine bessere Alternative hinsichtlich des religiösen Glaubens wählen". Diese Aussage enthüllt die Absicht Pekings hinter seiner gegenwärtigen Forcierung der Wirtschaftsentwicklung. Sie illustriert auch Pekings Meinung über die Tibeter - und ebenso über tibetische Religion - als eine "primitive, rückständige und unwissende Rasse".

Der Status der neuen tibetischen Flüchtlinge

Zusätzlich zu seinen Ausführungen, welche die zwei oben genannten Vertragswerke zur Grundlage haben, möchte das TCHRD noch speziell auf die besondere Notlage der neu ankommenden tibetischen Flüchtlinge und ihre Rechte nach dem Völkerrecht, vor allem der Flüchtlingskonvention, hinweisen. Das Zentrum dokumentiert die Erfahrungen von Tibetern, die 2001 ihre Heimat auf der Suche nach Schutz vor Menschenrechtsübergriffen verlassen mußten. Furcht vor Verfolgung und die Verweigerung grundlegender Menschenrechte, die sich in der Unterdrückung ihrer Religion, Kultur und Identität und der jeden Aspekt ihres Lebens - besonders das Bildungswesen - beherrschenden Diskriminierung äußert, zwingt Tausende von Tibetern, die gefährliche Flucht ins Exil zu wagen.

Die chinesischen Grenzschutzeinheiten nahmen innerhalb von 6 Monaten in 2001 2.500 Tibeter fest, welche die Grenze überqueren wollten. Unlängst eingetroffene Flüchtlinge bezeugen, daß viele dieser Menschen daraufhin Schläge, Verhaftung, Folter und Inhaftierung erlitten, was in einigen Fällen zum Tode führte. Die derzeitige politische Instabilität in Nepal - dem Land, welches die Leute bei ihrer Flucht aus dem besetzten Tibet durchqueren müssen - und die vor kurzem erfolgte Verhängung des Ausnahmezustandes wirken sich als eine weitere Gefahr für die Asylsuchenden auf ihrem Weg in die Freiheit aus.

Wenn das TCHRD auch der nepalesischen Regierung für ihre langjährige Großzügigkeit den tibetischen Asylsuchenden gegenüber dankbar ist und die bestehende Vereinbarung zwischen der Immigrationsbehörde Nepals und dem UN Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Kathmandu schätzt, die ihnen die Durchreise durch Nepal zur Ansiedlung in einem Drittland erlaubt, ist es gegenwärtig tief besorgt über die plötzliche Zwangsdeportierung von tibetischen Flüchtlingen und die düstere Aussicht, daß es nun immer häufiger zu solchen Fällen entlang der Nepal/Tibet Grenze kommen könnte. Derartige Zwangsdeportationen zeigen, daß den nepalesischen Grenzpolizisten das Verständnis für die Menschenrechte der Asylsuchenden fehlt, und daß sie sich nun selbst der Verletzung der Menschenrechte der tibetischen Asylsuchenden schuldig machen.

Angesichts der anhaltenden und schweren Verstöße der PRC gegen die Grundrechte der Tibeter, die immer mehr zur Norm werden, muß man die Rolle der internationalen Gemeinschaft in Frage stellen, wenn sie Chinas Kontrolle und Kolonisierung Tibets stillschweigend duldet. Das tibetische Volk hat einen Anspruch auf die Grundmenschenrechte und die Ausübung seines Rechtes auf Selbstbestimmung in jedem Bereich seines Lebens. Über ein halbes Jahrhundert werden die Grundmenschenrechte der Tibeter nun schon beharrlich und systematisch von der kommunistischen Führung in Peking verletzt. Und im Jahr 2001 mußten wir noch erleben, wie diese Repression sowohl von dem Internationalen Olympischen Komitee wie auch von der Welthandelsorganisation sanktioniert und belohnt wurde.

Empfehlungen

Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte betreffend:
  • Das TCHRD begrüßt die Ratifizierung des ICESCR durch China und bittet die Ausschußmitglieder des Vertrages zu gewährleisten, daß China seine eingegangenen Verpflichtungen durch Einleitung sofortiger Schritte zur Inkorporierung der in ihm genannten Normen in seine nationale Gesetzgebung und zur ihrer Umsetzung erfüllt.
  • Das TCHRD ersucht die chinesische Regierung, das Grundrecht des tibetischen Volkes auf Bestimmung des Inhaltes des Lehrplanes und der Unterrichtssprache bei der Erziehung seiner Kinder zu respektieren, so wie es von der Konvention für die Rechte des Kindes gefordert wird.
  • Das TCHRD drängt China, von der potentiellen HIV/AIDS Gefahr in Tibet Notiz zu nehmen und Schritte zur Eindämmung der Epidemie zu unternehmen. Die Einrichtung von Testmöglichkeiten, Behandlungszentren und Aufklärungskampagnen zur Vorbeugung sind hierbei entscheidend.
  • Das TCHRD drängt China, gesundheitspolitische Maßnahmen zu entwickeln und zu ergreifen, die den Normen der Gesundheitsfürsorge, wie sie in den von China unterzeichneten Konventionen vorgeschrieben sind, Genüge leisten. China sollte seine Verfassung ergänzen, um das Recht seiner Bürger auf eine allen zugängliche und erschwingliche medizinische Betreuung zu garantieren. Der Ernährung und Gesundheit der tibetischen Kinder sollte besondere Beachtung geschenkt werden.
  • Die Fortpflanzungsrechte tibetischer Frauen werden weiterhin durch die repressive chinesische Politik kontrolliert und ihnen verweigert. Wir fordern die Abänderung und/oder Aufhebung der Geburtenkontrollpolitik und, daß tibetische Frauen voll über ihren eigenen Körper bestimmen dürfen.

Die bürgerlichen und politischen Rechte betreffend
  • Das TCHRD ersucht die chinesische Regierung, mit den jeweiligen Sonderberichterstattern und Arbeitsgruppen der Menschenrechtskommission, zusammenzuarbeiten und ihre Empfehlungen zu berücksichtigen.
  • Das TCHRD fordert, daß die chinesische Regierung den Anwendungsbereich und den Umfang des Begriffes "Gefährdung der Staatssicherheit" in ihrem Strafrecht klarstellt. In seiner jetzigen Zweideutigkeit wird er nämlich mißbraucht, um die verschiedensten legitimen Rechte, wie das Recht auf Redefreiheit und freie Meinungsäußerung, zu unterdrücken.
  • Das TCHRD verurteilt die vor kurzem erfolgte Zwangsvertreibung von über 7.000 Mönchen und Nonnen aus dem Buddhistischen Institut Serthar im Distrikt Serthar, Karze, Sichuan, und die damit verbundene Abreißung der Unterkünfte der ausgewiesenen Mönche und Nonnen. Insbesondere appelliert das TCHRD an den Sonderberichterstatter für Religion, den Aufenthaltsort von Khenpo Jigme Phuntsok, des Abtes von Serthar, in Erfahrung zu bringen und eine Untersuchung über die Verletzungen der Freiheit der religiösen Überzeugung der ehemaligen Bewohner des Instituts vorzunehmen.
  • Das TCHRD fordert die Freilassung aller politischen Gefangenen, die von der chinesischen Regierung wegen Ausübung ihres Rechtes auf Redefreiheit auf freie Meinungsäußerung festgehalten werden.
  • Das TCHRD fordert die unverzügliche und permanente Entfernung der elektrischen Schlagstöcke aus allen Abteilungen des Sicherheitsdienstes und außerdem, sie jedem einzelnen Sicherheitsbeamten abzunehmen. Polizei und Gefängnisaufseher machen häufig in brutaler und herabwürdigender Weise Gebrauch von den elektrischen Schockgeräten, die insbesondere bei der geschlechtsspezifischen Folterung weiblicher Häftlinge eingesetzt werden.
  • In Verletzung sämtlicher internationalen, sich auf die Rechte des Kindes beziehenden Normen hält die chinesische Regierung Gedhun Choekyi Nyima, den 11. Panchen Lama Tibets, seit Mai 1995 gefangen. Das TCHRD verlangt die sofortige Freilassung dieses jüngsten Gewissensgefangenen der Welt. Das TCHRD bittet dringend internationale Gremien, die den "bilateralen Dialog" über Menschenrechte mit der chinesischen Regierung pflegen, zuzugeben, daß dieser Dialog bis heute zu keinen positiven Resultaten geführt hat, sondern vielmehr hartnäckig von der PRC benutzt wird, um internationale Untersuchung und Rechenschaft zu vermeiden. Diese unproduktiven Gespräche sollten daher eingestellt werden.
  • Das TCHRD ruft die chinesische Regierung auf, die Praxis der Entsendung von "Arbeitsteams" in die religiösen Institutionen sofort einzustellen, und von allen Maßnahmen zum Zwang der Mönchsgemeinde abzusehen, sich der kommunistischen Ideologie, die von der "patriotischen Erziehung" propagiert wird, anzuschließen.

Die Rechte der tibetischen Flüchtlinge betreffend:
  • Das TCHRD legt dem UNHCR nahe, die Regierung Nepals um bessere Zusammenarbeit zu bitten, daß sie etwa ihren Grenzschutzbeamten gestatte, an Seminaren des UNHCR teilzunehmen, in denen diese über die Menschenrechte der Asylsuchenden belehrt werden.
  • Das TCHRD anerkennt die zwischen der Immigrationsbehörde Nepals und dem UN Hochkommissariats für Flüchtlinge in Nepal bestehende Vereinbarung, Flüchtlinge durch Nepal ziehen zu lassen und sie zur Ansiedlung in einem Drittland (gewöhnlich Indien) abzufertigen. Das Zentrum ist jedoch ernstlich besorgt über die Zwangsdeportierung tibetischer Flüchtlinge in letzter Zeit und die Wahrscheinlichkeit, daß solche Fälle entlang der Nepal/Tibet Grenze immer häufiger werden.

Teil II

II. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Am 27. März 2001 ratifizierte China - dreieinhalb Jahre nach seiner Unterzeichnung - die Internationale Übereinkunft über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR). Der Beitritt zu dem Vertragswerk verpflichtet die VR China (PRC), sowohl ihre nationale Gesetzgebung mit dessen Paragraphen in Übereinstimmung zu bringen, als auch den Vereinten Nationen über ihre Befolgung der Bestimmungen des Abkommens Bericht zu erstatten. Die chinesische Regierung erklärte, sie würde mit dieser Ratifizierung einerseits ihre positive Haltung und Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit in bezug auf die Menschenrechte bekunden, und andererseits ihre feste Entschlossenheit und Zuversicht, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen.

Der erste Artikel des ICESCR (und des ICCPR) erklärt:

"Alle Menschen haben das Recht auf Selbstbestimmung, und kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren politischen Status und verfolgen frei ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung".

Auf vielen internationalen Foren wurde argumentiert, daß dieser Artikel dem tibetischen Volk ein Recht auf Unabhängigkeit von China oder zumindest auf echte Autonomie zugesteht. Indessen rückte China im Jahre 2001 noch weiter davon ab, dem tibetischen Volk dieses Recht zu gewähren.

Obwohl China den Anspruch erhebt, die Menschenrechte voll zu respektieren, fuhr es 2001 fort, zwischen wirtschaftlichen Rechten einerseits und bürgerlichen und politischen andererseits zu unterscheiden und argumentierte, es müsse ihm gestattet werden, seine eigene Methode zum Schutz der Menschenrechte zu wählen. In Chinas Fall heißt dies, der wirtschaftlichen Entwicklung vor Menschenrechten, wie etwa politischen und bürgerlichen Freiheitsrechten, den Vorrang zu geben. So vertritt die PRC den Standpunkt, ihre Bürger seien mehr an wirtschaftlicher Stabilität als an persönlichen Freiheitsrechten interessiert. Bei der Ratifizierung des ICESCR machte China daher bei Art. 8 (1)(a) eine Einschränkung.

Dieser Artikel garantiert "das Recht eines jeden, sich... zur Förderung seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen... in Gewerkschaften zusammenzuschließen, und es dürfen keine Einschränkungen für die Ausübung dieses Rechtes, außer den vom Gesetz vorgeschriebenen und den notwendigen gemacht werden". Die PRC erklärte weiter, daß dieses Recht "... mit den einschlägigen Gesetzen in der chinesischen Verfassung, dem Gewerkschaftsgesetz und dem Arbeitsgesetz übereinstimme". Diese Gesetze verbieten jedoch die Bildung unabhängiger Gewerkschaften. Die internationale Arbeiterorganisation, der auch China angehört, ruft China immer wieder dazu auf, die Freiheit zur Vereinigung zu respektieren und den Arbeitern zu erlauben, sich in unabhängigen Gewerkschaften zu formieren, doch bis zum Ende des Jahres 2001 weigerte sich China immer noch, dementsprechend zu verfahren.

Alle in dem ICESCR enthaltenen Rechte sollten im Zusammenhang mit der Internationalen Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (ICERD) gesehen werden, die China 1981 ratifizierte. Darin wird Diskriminierung definiert als "jede Unterscheidung, Ausschließung oder Bevorzugung auf der Basis von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion, politischer Einstellung, nationaler Abstammung oder sozialer Herkunft, die bezwecken oder bewirken, die Anerkennung, den Genuß oder die Ausübung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (auf gleicher Basis) im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder sonstigem Bereich des öffentlichen Lebens zu beeinträchtigen oder nichtig zu machen".

2001 legte das TCHRD der Weltkonferenz gegen Rassismus eine Erklärung vor, in der dargelegt wird, wie China durch die fortgesetzte Besetzung Tibets, durch den anhaltenden Bevölkerungstransfer chinesischer Neusiedler, durch den Zwang zur Geburtenkontrolle für tibetische Frauen, durch die Diskriminierung in der Gesundheitsfürsorge, Erziehung und Beschäftigung, durch die Ausbeutung der Naturschätze Tibets zum Nutzen Chinas und durch die Zerstörung der tibetischen Kultur mit dem Zweck, die Tibeter politisch unter Kontrolle zu halten, die systematische und kulturelle Diskriminierung des tibetischen Volks betreibt.

Die folgenden Kapitel untersuchen in bezug auf einige der wichtigsten in dem ICESCR enthaltenen Rechte, wie China mit den Tibetern umgeht - dem Recht auf Bestreitung des Lebensunterhaltes, dem Recht auf Wohnung, dem Recht auf Gesundheit und dem Recht auf Bildung. In den betreffenden Kapiteln wird gezeigt, wie dem tibetischen Volk im Jahre 2001 diese Grundrechte verweigert wurden. In ihnen wird deutlich gemacht, daß die PRC nicht bereit ist, dem tibetischen Volk seine Grundrechte zu gewähren, sondern Tibet an China assimilieren will, damit die Pekinger Regierung das Land und seine Bewohner zu ihrem eigenen Vorteil und Gewinn ausnutzen ausbeuten kann.

II, 1)

1. Das Recht auf Lebensunterhalt

Das "Recht auf Lebensunterhalt" ist ein Begriff, mit dem man die Grundrechte der Menschen auf eine befriedigende, menschenwürdige Arbeit oder auf andere Quellen der Existenzbestreitung, wozu auch Grund und Boden und andere Produktionsmittel zählen, sowie auf grundlegenden Arbeitsschutz bezeichnen kann. Es bezieht mehrere Artikel des ICESCR mit ein, wie etwa das Recht eines Volkes, "nicht seiner eigenen Existenzmittel beraubt zu werden", das Recht auf freie Wahl der Arbeit mit angemessener Entlohnung, das Recht auf Unterstützung durch den Staat im Falle von Arbeitslosigkeit oder fehlenden Hilfsmitteln, sowie das Recht, in bezug auf all diese Rechte keine Benachteiligung zu erleiden.

Das Recht auf Lebensunterhalt muß im Zusammenhang mit dem ersten Artikel des ICESCR betrachtet werden, welcher allen Völkern das Recht auf Selbstbestimmung, sowie das Recht, frei ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu verfolgen, zusichert. Dieser Punkt wird in der UN-Erklärung über das Recht auf Entwicklung (United Nations Declaration on the Right to Development = UNDRD) weiter ausgeführt.

Dem Recht auf Entwicklung zufolge müssen die Regierungen der einzelnen Staaten "eine angemessene Entwicklungspolitik betreiben, die auf die kontinuierliche Verbesserung der Wohlfahrt der gesamten Bevölkerung und der einzelnen Bürger gerichtet ist, und zwar auf Basis ihrer aktiven, freien und vernünftigen Beteiligung an der Entwicklung und der gerechten Verteilung der daraus resultierenden Gewinne". Das Recht auf Lebensunterhalt beinhaltet daher auch, daß die Menschen, um deren Lebensunterhalt es geht, selbst an der Formulierung der diesbezüglichen Politik beteiligt werden müssen.

Das dem TCHRD in 2001 zugegangene Beweismaterial zeigt, daß der landwirtschaftliche Sektor in Tibet schwer unter der irrationalen Steuerpolitik zu leiden hat, welche es den Tibetern in vielen Fällen fast unmöglich macht, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Andererseits werden Tibeter in urbanen Ansiedlungen immer mehr von Arbeitslosigkeit und Diskriminierung auf dem Arbeitssektor betroffen. Chinas Politik der Umsiedelung von Chinesen in großem Maßstab nach Tibet, drängt die Tibeter in Groß- und Kleinstädten zunehmend in die Marginalität. Chinesisch ist bereits zur Geschäftssprache geworden, und chinesische Geschäftsleute haben außerdem den Vorzug, Zugang zu billigeren Waren auf den ostchinesischen Märkten zu haben.

Formuliert wird diese gesamte Politik in Peking, bei wenig Mitspracherecht der Tibeter, deren Leben jedoch von ihr betroffen ist. Im ganzen Jahr 2001 zeigte sich die PRC nicht gewillt, für Tibet eine Politik zu konzipieren, die den Bedürfnissen und Interessen der einheimischen Bevölkerung Genüge tut. Sie verfolgte vielmehr ihr eigenes Programm der Ausbeutung von Naturschätzen und der rabiaten Modernisierung. Die Resultate sind eine zunehmende Unzufriedenheit in den landwirtschaftlichen Gebieten Tibets, die im großen und ganzen von den massiven chinesischen Investitionen nichts abbekommen, die Diskriminierung von Tibetern in der Marktwirtschaft, also der Verlust der Grundlage für den Lebensunterhalt sowohl auf dem Lande als auch in der Stadt und schließlich die Gefahr tiefgreifender Umweltschädigung. Diese Verhältnisse werden sich nach Chinas Eintritt in die WTO (Welthandelsorganisation) im Dezember 2001 wahrscheinlich noch verschlimmern.

a) Der Lebensunterhalt auf dem Lande

Die große Mehrheit der in Tibet lebenden Tibeter, nämlich über 80%, bestreiten ihre Existenz durch Landwirtschaft und/oder nomadisierendes Hirtentum. Angebaut werden Gerste (die über die Hälfte der Getreideproduktion in Tibet ausmacht), Weizen, Erbsen und Raps, während die Nomaden Yaks, Schafe und Ziegen züchten. Peking macht viel Aufhebens um seine Subventionen auf dem Agrarsektor und gibt an damit, daß "den Bauern und Viehhirten in Tibet seit 1980 keine Steuern auferlegt wurden und daß es dort keine staatlichen Zwangsankäufe von Getreide gibt..., das Einkommen, das tibetische Bauern und Nomaden verdienen, ist gänzlich ihr eigenes". Diese Behauptung wird jedoch von den Zeugnissen der Flüchtlinge widerlegt, die 2001 aus Tibet flohen. Sie beschreiben, wie schwer der landwirtschaftliche Sektor von den hohen Abgaben, dem obligatorischen Verkauf von Produkten an die Regierung unter dem Marktpreis, einer rücksichtslosen Landumverteilungspolitik und schematischer Zwangsarbeit betroffen ist. Darüber hinaus wirken sich die sogenannten Umweltschutzmaßnahmen abträglich auf die traditionellen Ackerbau- und Viehzuchtmethoden aus, während sie das rigorose Programm der Chinesen zur Ausbeutung der Ressourcen unberührt lassen.

b) "Teile und herrsche": Zerstörung des Nomadentums

70% der Fläche des tibetischen Hochlands sind Weideland, und das Nomadentum ist das Rückgrat der tibetischen Landwirtschaft. Die nomadische Lebensweise bildet auch einen wichtigen Faktor der tibetischen kulturellen Identität, und man sieht in ihr immer mehr eine vernünftige Art der Nutzbarmachung des für Umweltschäden äußerst empfindlichen Landes. Traditionsgemäß galten die Weidegründe als Gemeinschaftsbesitz, und die Nomaden konnten uneingeschränkt mit ihren Herden durch sie ziehen. Im letzten Jahrzehnt begann die Regierung jedoch mit der Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Pläne zur Umzäunung der Weideflächen. Im November 2001 verkündete der Vorsitzende der TAR Regierung, daß im nächsten Jahrzehnt "... eine Million Hektar eingezäuntes Grasland ... hinzugefügt wird".

Die Zuteilung und Einzäunung der Weideflächen wird aufgrund der geographischen Lage der Dörfer vorgenommen, ohne die Nomaden hinsichtlich einer gerechten Verteilung zu Rate zu ziehen. Hoch gelegenen Bergdörfern wird das sie umgebende Weideland zugeteilt, während Dörfer in niedrigerer Höhenlage das Land weiter unten bekommen. Die für eine effektive nomadische Viehhaltung erforderliche jahreszeitliche Rotation wird somit unmöglich gemacht. Die Bewohner der tiefer gelegenen Regionen haben in den warmen Monaten keinen Zugang zu den höheren Weidegründen, während diejenigen in höheren Lagen ihre Herden im Winter nicht mehr auf die weiter unten liegenden Weiden treiben können. Ein Neuankömmling aus Kreis Ngamring, Präfektur Shigatse, TAR, liefert ein konkretes Beispiel der Auswirkung dieser Maßnahmen in seiner Gemeinde:

"Wir haben im Winter keine guten Weidegründe mehr. Streitigkeiten brechen unter den Leuten aus, weil ihre Tiere auf dem Gebiet von anderen grasen. Wenn es nicht genug Grasland gibt, dann bleiben die Tiere hungrig."

Die PRC rechtfertigt die Umzäunung der Weidegründe damit, daß das Land auf diese Weise mehr Ertrag abwerfe. In der Tat erklärten chinesische Regierungsbeamte ganz unverhohlen, die nomadische Lebensweise müsse ausgerottet werden, weil sie eine unrentable Verwendung des Landes darstelle.

Die PRC bezeichnete die Einzäunungen weiterhin als notwendig, um die Grasflächen vor dem Überweiden (siehe Abschnitt über "Recht auf Kontrolle der Naturschätze") zu bewahren. Die derzeitige Agrarpolitik fördert jedoch geradezu die Überweidung der vorhandenen Grasflächen, von denen wenig zur Regenerierung frei gelassen wird. Es wurde auch darauf hingewiesen, daß die Zuteilung und Einzäunung von Grund und Boden den Zweck hat, den Zugriff der Nomaden auf Areale zu verhindern, auf denen China Bodenschätze fördern will.

Die von den Einzäunungen betroffenen Tibeter sehen keinen anderen Sinn in diesen Maßnahmen, als daß ihre traditionelle Lebensweise zerstört wird. Ein Flüchtling meint, das Einzäunungssystem sei auch dazu eingeführt worden, um Feindseligkeit unter den ortsansässigen Tibetern zu schaffen.

"Wenn wir in Eintracht mit unseren Nachbarn leben, dann tadeln uns die Offiziellen und sagen, so könnten wir nicht leben. Die Regierung verteilte die Weidegründe, sie teilte die Flüsse und läßt uns ständig in Streit geraten, denn man mahnt uns, wir dürften anderer Leute Vieh nicht auf unsere Weidefläche lassen. Die Beamten kommen nie, um uns zu beraten, sie freuen sich vielmehr, wenn wir uns zanken, weil sie dann auf Schmiergelder hoffen, damit sie den Leuten größere Abschnitte zuteilen." Er fügte hinzu, die Streitigkeiten um die Weiden würden in ganz Tibet im Fernsehen gezeigt.

In den meisten Fällen kam es zu den Zwistigkeiten, weil die Nomaden das Vieh ihrer Nachbarn nicht auf ihr Grundstück laufen lassen durften. Die einzige dauernde Gegenmaßnahme ist die Errichtung der Zäune, aber die Nomaden müssen selbst für das Material zahlen, und das ist teuer. Ein anderer Exilant stellte fest: "...Arme Familien mußten für die Zäune so viel Geld ausgeben, daß sie nichts mehr übrig hatten, um ihr Vieh zu füttern. In manchen Fällen mußten die Leute sogar ihr Vieh verkaufen, um die Zäune zu erwerben, und als die Umzäunungen dann fertig waren, hatten sie keine Tiere mehr, die sie darin hätten grasen lassen können".

Manche Leute meinen auch, hinter der Maßnahme der Einteilung des Graslandes verberge sich die Absicht, die Nomaden seßhaft zu machen, um leichter Steuern von ihnen erheben zu können. Ein ehemaliger Parteisekretär einer Dorfgemeinschaft, der 2001 ins Exil floh, war für Eintreibung der Steuern in seinem Dorf zuständig. Er äußerte sich sehr kritisch über die schwere Steuerlast, die den Nomaden aufgebürdet wird:

"Die Nomaden müssen Abgaben auf ihre Tiere, auf ihr Weideland, auf geschlachtete und auf verkaufte Tiere entrichten. Jedes Jahr kommt die Regierung mit neuen Abgaben daher, womit das Gesamtvolumen der Steuern ansteigt. Wenn ein Haushalt in diesem Jahr 1.500 Yuan (US$176) Steuern zahlen muß, so sind es im nächsten Jahr 2.000 Yuan (US$235). Sie bringen die Nomaden noch um mit ihren Steuern."

Zusätzlich zu dem komplizierten Steuersystem werden die Nomaden auch angewiesen, die Anzahl ihrer Tiere in Grenzen zu halten. Ein Flüchtling berichtete dem TCHRD, in seiner Gegend sei Ende 2001 eine neue "chinesische Politik" eingeführt worden, welche den Viehbestand auf fünf Stück pro Person beschränkt. Denjenigen, die mehr Tiere besitzen, werden sie weggenommen. Aufgebracht sagte er dem TCHRD, der Lebensstandard der tibetischen Nomaden sei ohnehin schon sehr niedrig und durch eine solche Politik würden sie noch ärmer gemacht. Ein anderer Nomade erzählte, ein Kader sei zu ihnen gekommen und habe gesagt, nur wenn die Anzahl der Tiere überall einheitlich sei, könne Entwicklung stattfinden. "Und wo ist die Entwicklung?" frug er dann zynisch. Diesem Flüchtling schien es, daß die Regierung alle Nomaden auf denselben Standard reduzieren will, damit sie sich kaum mehr am Leben erhalten können. Natürlich hat er Zweifel an einer Definition von "Entwicklung", die den Nomaden verbietet, ihre Herden zu vergrößern.

Man hörte in letzter Zeit auch, daß die Behörden den Nomaden nahe legen, ihr Hirtendasein aufzugeben und statt dessen irgendein Geschäft zu betreiben. Viele meinen, die Regierung gebe ihnen diesen Rat, um dann "eine Menge Steuern von ihnen fordern zu können". In der Malho TAP, Qinghai, begannen einige Nomaden, die kein Geld mehr hatten, um ihr Leben zu bestreiten, ihr Land an chinesische Händler zu verkaufen, die Läden darauf bauten. Wenn solche Schritte den Nomaden auch kurzfristig etwas finanzielle Mittel verschaffen, so ist es doch auf lange Sicht gesehen keine Lösung zum Überleben. Darin zeigt sich auch ein Mangel an Respekt für die Fertigkeiten und die einmalige Kultur des tibetischen Nomadentums. Wieder einmal gibt die PRC hier einen vitalen und unentbehrlichen Aspekt der tibetischen Kultur dem Untergang preis, nur damit sie ihre eigenen politischen Pläne auf dem tibetischen Hochland verfolgen kann.

c) Willkürliche Politik auf dem Agrarsektor

Während die Nomaden im vergangenen Jahr die volle Wucht des Landreform-Programms der PRC zu tragen hatten, zeigen die in Interviews mit dem TCHRD gemachten Aussagen, daß auch die Leute auf dem Agrarsektor schwer kämpfen müssen. Das willkürliche und veraltete Landzuteilungsschema ist der Hauptgrund für die Klagen vieler Bauern. Nachdem die Kommunisten 1949 in China an die Macht kamen, wurde alles Privateigentum vom Staat kollektiviert. Nach der Kulturrevolution (1966-1976) merkte die PRC dann, daß die Kollektivierung in Tibet verheerende Folgen hatte, weshalb Anfang der 80er Jahre das "Haushalt-Verantwortlichkeits-System" in Tibet eingeführt wurde. Das Ackerland wurde entkollektiviert, indem jede Familie ausgehend von der damaligen Anzahl ihrer Mitglieder einen entsprechenden Anteil an Feldern und Vieh erhielt. Da es seitdem keine Neuzuteilung von Grund und Boden mehr gab, müssen Familien, die inzwischen angewachsen sind, immer noch von derselben Ackerfläche leben.

Ein Vergleich verschiedener tibetischer Familien zeigt, welche Auswirkungen die willkürliche Landzuteilung an die einzelnen Haushalte hat. Lobsang, ein Bauer aus dem Kreis Dromo, Präfektur Shigatse, TAR, seine Frau und seine drei Kinder müssen von drei mu (201 qm) Grund und Boden leben, also der nur zwei Personen zugeteilten Ackerfläche, weil die Kinder erst nach der Landverteilung geboren wurden. Um sich über Wasser zu halten, mußte diese Familie nach anderen Einkommensquellen Ausschau halten.

Tenzins Familie aus dem Kreis Ngamring, Präfektur Shigatse, TAR, zählt 11 Personen. Als die Landzuteilung stattfand, hatte sie sieben Mitglieder, weshalb ihr ein ziemlich großes Landstück von etwa 37 mu (2.500 qm) zugewiesen wurde. Tenzin sagt, die Erträge der Felder reichten für ihren Lebensunterhalt aus, aber einige Familienglieder gingen noch Nebenjobs nach, um etwas dazu zu verdienen. Sonam aus Distrikt Karze, TAP Karze, Sichuan, betrieb mit ihren drei Töchtern und ihrem Ehemann einen Bauernhof. Da zwei der Töchter bereits geboren waren, als das Land 1980 zugeteilt wurde, reicht die Ackerfläche gerade zu ihrer Ernährung aus.

Die Notlage der Familien mit nur wenig Grund und Boden wird durch das komplizierte Besteuerungssystem noch vergrößert. Unlängst räumte ein Artikel in der Beijing Review ein, daß überall in China für Posten wie "Gemeinschaftsfonds, allgemeine Wohlfahrt, Verwaltung, Erziehung, Familienplanung und Kommunikation" eine Menge an "Agrargebühren" von den Bauern eingefordert würde. Die Steuern werden manchmal von den Gemeindeämtern erhoben und manchmal von der Kreisverwaltung, wobei unter den einzelnen Regionen Chinas recht wenig Einheitlichkeit herrscht.

Ein Flüchtling, der vor kurzem aus dem Kreis Tingri, Präfektur Shigatse, TAR, ankam, schildert das Schema der Steuern, Gebühren und Quoten, welche seiner Familie auferlegt wurden:

  • Grundsteuer, die jährlich auf der Basis der Anzahl von mu festgesetzt wird, wobei 2001 der Betrag pro mu dreimal höher als im Vorjahr lag;
  • Wassergebühr für die Bewässerung, die monatlich berechnet wird und wiederum von der Anzahl der mu abhängig ist;
  • Zwangsverkäufe von Weizen an den Staat, und zwar jährlich 165-175 gyama (82-87 kg) Weizen pro Person, wofür die Bauern nur mit dem halben Marktpreis entschädigt werden.

Der Erlös aus diesen Verkäufen an den Staat wird gänzlich von den zu entrichtenden Steuern aufgebraucht, und von dem restlichen Getreide kann sich die Familie gerade ernähren. Bauern dürfen ihre Erträge nicht privat verkaufen. Die Nichtbauern aus seiner Gegend, meistens Nomaden, sahen sich gezwungen, ihr Getreide in den staatlichen Läden zu Marktpreisen einzukaufen. Damit die Leute dieses System nicht umgehen, wurden Kontrollpunkte eingerichtet, wobei Nomaden, die mit Getreide erwischt werden, für das sie keine staatliche Quittung vorweisen können, das erworbene Erzeugnis weggenommen wird, und die Bauern, die es ihnen verkauften, mit Geldstrafen belegt werden.

Die meisten von dem TCHRD interviewten Tibeter hatten keine Ahnung, wofür all diese Abgaben fließen, außer in den Fällen, wo sie sie direkt an Regierungsbeamte für ihren Wintervorrat an Nahrungsmitteln lieferten. Sogar Dorf- und Gemeindevorsteher, die regelmäßig mit der Kreisverwaltung zu tun hatten, waren sich im unklaren über den Zweck der Steuern oder warum bestimmte Erhöhungen vorgenommen wurden. Angesichts der mangelnden Information oder greifbarer Verbesserungen im Leben der Tibeter ist es verständlich, daß sie argwöhnen, ihr Geld und ihre Erzeugnisse könnten gar in den Taschen lokaler Kader verschwinden.

Ein aufschlußreicher Artikel in Beijing Review gab neulich zu, daß "durch die den Bauern auferlegte Last hauptsächlich überflüssiges Gemeindepersonal finanziert wird. Die PRC scheint vorzuhaben, hier Abhilfe zu schaffen, weshalb sie in einigen ländlichen Provinzen Chinas Pilot-Steuerreformen einführte. Jedoch weder die TAR noch irgendeine der Tibetischen Autonomen Präfekturen scheinen in diese Pilotprojekte einbezogen zu werden. Wie dem auch sei, von der Steuerreform ist nicht mehr als eine Einkommensaufbesserung von rund 60 Yuan (7 US$) pro Jahr für tibetische Bauern zu erwarten, was gewiß unzureichend ist, um ihre Lebensumstände zu verbessern.

Während die tibetischen Bauern wegen der hohen Steuern und obligatorischen Billigverkäufe hart um ihren Lebensunterhalt zu kämpfen haben, erhalten chinesische Zuwanderer in den tibetischen Städten eine staatliche Beihilfe von etwa 128 US$ pro Kopf, und außerdem haben sie Zugriff auf den einzig und allein zu ihrem Bedarf nach Tibet importierten Weizen. Bei der Aufstellung des Welternährungsprogramms der UNO wurde beispielsweise geschätzt, daß fast das gesamte Budget der Provinz Amdo (chin. Qinghai) von der Getreideeinfuhr verschlungen wird. Das Resultat dieser Politik der Ernährungssubvention, das die Städter bevorzugt - während die Erzeuger der landwirtschaftlichen Produkte unter der immer höheren Besteuerung und den Niedrigpreisen für ihr Getreide stöhnen - ist eine hochgradige Diskriminierung von Tibetern zugunsten chinesischer Zuwanderer.

d) Auch das "Nebeneinkommen" ist bedroht: Der Fall von Yartsa Gunbhu

Wegen der Regierungspolitik, die das Einkommen der Bauern und Nomaden stark reduziert, versuchten bisher die Tibeter auf dem Lande durch Gelegenheitsarbeiten etwas dazuzuverdienen. Zum Beispiel verbrachte ein Bauer aus Kreis Ngamring in der Präfektur Shigatse, TAR, jedes Jahr zwei oder drei Monate damit, Häuser auszubessern, elektrische Leitungen zu legen oder Wolle zu spinnen.

Eine weitere wichtige Einkommensquelle war bisher das Sammeln des Arzneipilzes Yartsa Gunbhu (cordyceps sinensis) gewesen. 2001 kamen jedoch Nachrichten aus Tibet, daß dieses Gewächs infolge der Einmischung der Chinesen und des plötzlichen Interesses von nicht-tibetischen Händlern plötzlich bedroht ist.

Yartsa Gunbhu wird in China für die einheimische Medizin hochgeschätzt, und auch im Westen wird es immer populärer. Auf machen Websites wird es bereits als "Wundermittel" angepriesen, das Sportlern mehr Kraft verleihe und nach dessen Genuß sich die Leute jünger fühlten. Yartsa Gunbhu wächst in den höheren Gefilden des tibetischen Hochlandes. In der Vergangenheit waren diese der lokalen Bevölkerung frei zugänglich, weshalb die Tibeter ohne irgendwelche Einschränkungen einfach hingehen und sich die Pilze holen konnten. Sie verkauften sie dann für rund 3.000 Yuan (353 US$) pro gyama an Zwischenhändler. In einer normalen Saison konnte eine Familie zwischen zwei und acht gyama (ein bis vier kg) dieses wertvollen Gewächses sammeln.

Indem die Weidegründe in ganz Tibet nun eingezäunt werden, gelangen manche Haushalte oder Gemeinden in den Vorteil, daß Yartsa Gunbhu auf ihrem Grund und Boden wächst. Sie lassen daher andere Sammler gar nicht herein oder verlangen ihnen für den Zutritt eine Gebühr ab. Dieser Umstand macht die Spannungen wegen der Einzäunung noch schlimmer. Ein kürzlich eingetroffener Flüchtling erzählte von mindestens 10 Personen in seiner Gegend, die bei Raufereien über den Zugang zu Yartsa Gunbhu ihr Leben verloren. "Wir baten die chinesischen Behörden eine Lösung für diesen Konflikt zu finden, aber sie taten überhaupt nichts".

Zusätzlich zu diesen Zwistigkeiten bei der tibetischen Bevölkerung gibt es einen heißen Wettbewerb mit den Händlern aus China. Ein Sammler sagte, eine Gruppe von 4 Personen habe bisher immer sieben bis acht gyama (3.5 - 4 kg) des Raupenpilzes gesammelt, aber "jetzt schaffen wir nur noch drei - vier gyama, denn mehr ist nicht übrig, nachdem die Leute von außerhalb hier eingedrungen sind".

Ein ehemaliger tibetischer Yartsa Gunbhu Händler vermutet, daß das private Sammeln des Gewächses jetzt staatlicherseits bedroht ist. Er berichtete dem TCHRD, er habe gehört, daß die Regierung plane, ab 2002 dem Pflücken von Yartsa Gunbhu durch Privatpersonen eine Ende zu setzen. Es heißt, niemand dürfe den Raupenpilz mehr pflücken, ohne Steuern zu zahlen...; früher verlangte die Gemeindeverwaltung 200 - 500 Yuan (23 - 59 US$) von jedem Sammler. Vom nächsten Jahr an wollen sie 1.000 Yuan (118 US$) nehmen. Dann springt für die ortsansässigen Tibeter kaum mehr etwas dabei heraus.

Bei dem Vierten Arbeitsforum zu Tibet, das 2001 in Peking stattfand, wurde der Entwicklung spezialisierter tibetischer Industrien und Gewerbezweige der Vorrang gegeben, wozu auch tibetische Medizin gehören könnte. Angesichts der Informationen dieses Händlers und allein schon wegen des großen Wertes des Raupenpilzes ist es wahrscheinlich, daß die chinesische Regierung auch diesen Gewerbezweig unter ihre Kontrolle bringen wird, wodurch der Landbevölkerung eine weitere wesentliche Quelle ihres Lebensunterhaltes entzogen wird.

e) Armutslinderungsschemen

Der ICESCR verpflichtet die Regierungen, das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und für seine Familie anzuerkennen, wozu auch adäquate Nahrung, Kleidung und Wohnung gehört. Der Staat ist verpflichtet, seinen Bürgern das Recht auf soziale Sicherheit zu garantieren, wenn sie keine Beschäftigung oder andere Mittel zum unabhängigen Lebensunterhalt haben. Auch Art. 8 der UN Deklaration über das Recht auf Entwicklung verpflichtet die Regierungen, "alle notwendigen Maßnahmen zur Realisierung des Rechtes auf Entwicklung" zu ergreifen und "zu gewährleisten, daß alle in gleicher Weise Zugang zu den grundlegenden Bedarfsgütern, Bildung, Gesundheitsdiensten, Nahrung, Wohnung, Beschäftigung und einer gerechten Einkommensverteilung haben".

Die Verfassung Chinas gewährt den Bürgern das Recht auf materiellen Beistand von Staat und Gesellschaft, wenn sie alt, krank oder behindert sind, im Bedarfsfalle mittels Sozialversicherung, Sozialfürsorge und medizinische Dienste. Die Sozialdienste, die 2001 den Tibetern geboten wurden, zeigen wieder einmal, daß die Pekinger Regierung sie niemals gefragt hat, was ihre Bedürfnisse wirklich sind.

Im Oktober 2001 veröffentliche die PRC das "Weißbuch über das entwicklungsorientierte Programm zur Reduktion von Armut" für das ländliche China (hiernach als "Weißbuch über Armutslinderung" bezeichnet), in dem eingeräumt wird, daß die Armut in Gegenden wie der TAR und anderen autonomen Regionen noch nicht gänzlich ausgemerzt wurde. Kaum einen Monat später behauptete die PRC jedoch in dem Weißbuch über "Tibets Marsch in Richtung Modernisierung" (in der Folge als "Weißbuch über Modernisierung" bezeichnet), daß "... Menschen aller ethnischen Volksgruppen in Tibet die Armut im wesentlichen abgeschüttelt und nun genug zu essen und anzuziehen haben...".

Die PRC behauptet, der bedürftige Anteil der Bevölkerung Tibets sei von 480.000 Anfang der 90er Jahre auf ein wenig über 70.000 heute gefallen. Experten wiesen darauf hin, daß China die Anzahl der Armen anhand seiner eigenen Armutsgrenze errechnet, die bei rund 20 US Cent pro Tag liegt - ein Fünftel der international akzeptierten Armutsgrenze von 1 US$ pro Tag. Wenn China den internationalen Wert zur Richtlinie nehmen würde, wäre die Anzahl der bedürftigen Menschen in Tibet natürlich viel höher.

Die dem TCHRD von tibetischen Flüchtlingen 2001 gelieferten Informationen zeigen, daß die zur Linderung der Armut in Tibet unternommenen Schritte schlecht organisiert und von Distrikt zu Distrikt, ja sogar von Dorf zu Dorf, uneinheitlich waren. Sie waren von Korruption geprägt und erreichten die Armen zum größten Teil gar nicht. Einige der ins Exil Geflüchteten erzählten, arme Familien erhielten einen oder zwei Säcke Getreide von der Ortsbehörde. Andere wiederum gaben an, in ihrer Gegend gäbe die Regierung den Armen überhaupt nichts. In manchen Fällen kommt die einzige Hilfe, die den Armen zuteil wird, von den lokalen Klöstern. So liefert etwa der Klosterladen in Kreis Trika, Tsolho TAP, Qinghai armen Familien die zum täglichen Leben notwendigen Artikel, Medikamente für Tiere und Düngemittel zum Selbstkostenpreis auf Kredit unter der Bedingung, daß sie dem Kloster den Betrag zurückzahlen, sobald sie wieder zu Geld kommen.

China rühmt sich, daß es armen Familien im Hinblick auf die Ausrottung der Armut Kleinkredite zur Verfügung stelle. Ein Neuankömmling aus Tibet erklärte, daß die einzelnen Familien nur Geld von der Regierung leihen könnten, wenn sie hypothekarisch belastbares Vermögen besitzen. Ein Viertel der Darlehen würde von der Regierung im Namen des "Helft-den-Armen" Programms besteuert. Theoretisch sollten diese Fonds dann ärmeren Familien zur Verfügung stehen, damit sie sich etwa Geld für den Bau eines Hauses leihen können. In der Praxis wird sehr armen Familien jedoch der Kredit verweigert. Der Informant des TCHRD nannte das Beispiel einer 9-köpfigen Familie in seinem Dorf, in der alle drei erwerbsfähigen Erwachsenen tragisch ums Leben kamen. Nach wiederholter Bitte gewährte die Distriktverwaltung der Familie ein einziges Mal 300 Yuan (35 US$), aber das war alles. Da es keine Sozialhilfe oder sonstige Unterstützung gibt, ist diese Familie nun auf das Wohlwollen und die Barmherzigkeit ihrer tibetischen Nachbarn angewiesen.

Ein anderer unpopulärer Aspekt von Chinas Plänen zur Ausmerzung der Armut ist, daß armen Familien nahegelegt wird, aus den "Gegenden mit äußerst schwierigen Lebensbedingungen in günstigere auszuwandern". Eine vor kurzem aus Tibet eingetroffene Frau berichtet, in ihrer Gegend seien zu diesem Zweck zuerst durch Einsatz von Zwangsarbeitern neue Häuser gebaut und neue Felder angelegt worden. Dazu meinte sie: "Die der Zwangsarbeit zugrunde liegende Politik war die Armutsreduzierung, ein Konzept, das nicht richtig umgesetzt wurde. Die armen Leute, für welche die Häuser gebaut und die Felder angelegt wurden, weigerten sich oft, wegzuziehen, weil sie die Gegend nicht verlassen wollten, in der ihre Familie seit eh und je ansässig ist".

Natürlich wurde diese Politik wieder einmal entwickelt, ohne daß man danach gefragt hätte, was sich die dort lebende Bevölkerung eigentlich wünscht - ein weiteres Beispiel dafür, wie Tibetern ihr Recht auf eine sinnvolle Beteiligung an ihrer eigenen Entwicklung verweigert wird. Die PRC behauptet, es würden unter dem Armutsreduzierungsprogramm nur Angebote zur Umsiedlung gemacht, die aber nicht unbedingt akzeptiert werden müßten. Man muß jedoch genau darauf achten, welche Entwicklung diese Programme nehmen. Wenn Tibeter gezwungen werden, ihre Familien zu verlassen und von ihrem angestammten Land wegzuziehen, dann wäre dies eine Verletzung des ICCPR, der den Menschen das Recht auf die Wahl ihres eigenen Wohnortes zusichert. Außerdem wäre es ein Verstoß gegen das Recht, nicht gewaltsam ausgewiesen zu werden, das in dem vom ICESCR garantierten Recht auf angemessenen Wohnraum inbegriffen ist (siehe Kapitel über das Recht auf Wohnung).

Schließlich wurde dem TCHRD von einigen Flüchtlingen mitgeteilt, die Gemeindebehörden würden ihr Einkommen falsch angeben, damit sie nicht so arm erscheinen, wie sie tatsächlich sind. Ein ehemaliger Gemeinde-Parteisekretär sagte, es sei sein Job gewesen sei, über die Entwicklung der Einwohnerzahlen, der Örtlichkeiten und der Tiere falsche Daten zu liefern. "Wenn wir die Berichte zusammenstellen und sie den höheren Stellen weitergeben, dann übertreiben sie noch mehr und unterbreiten sie ihren Vorgesetzten".

f) Das Recht auf Kontrolle der Naturschätze

Der ICESCR anerkennt "das allen Völkern zustehende Recht, frei und voll über ihren natürlichen Reichtum und ihre Ressourcen zu verfügen". Die UN Deklaration über das Recht auf Entwicklung besagt ebenfalls:

"Das Menschenrecht auf Entwicklung beinhaltet auch die volle Verwirklichung des Rechtes der Völker auf Selbstbestimmung, welches unter Vorbehalt der einschlägigen Verfügungen beider internationaler Regelwerke über Menschenrechte die Ausübung ihres unveräußerlichen Rechtes auf volle Souveränität über all ihren naturgegebenen Reichtum und ihre Bodenschätze einschließt".

Da den Tibetern ihr Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten wird, folgt notwendig, daß sie über die Art und Weise der Ausbeutung der reichen Ressourcen des Hochlandes nicht bestimmen können. Auf lange Sicht ist die größte Bedrohung des Rechtes der Tibeter auf Lebensunterhalt die Umweltzerstörung, die durch den chinesischen Raubbau an den Ressourcen und die infrastrukturellen Entwicklungsprojekte verursacht wird.

Die von der Regierung betriebene zwangsweise Seßhaftmachung der Nomaden nimmt nicht nur einem großen Teil der tibetischen Gemeinschaft die Fähigkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern bedroht auch Tibets Umwelt durch die Erschließung des Landes für den Bergbau. Im Distrikt Lithang, TAP Karze, Sichuan, wurden traditionelle Weidegründe der Nomaden durch ein Bergwerk so sehr geschädigt, daß dort keine Tiere mehr grasen können. Die Person, welche dem TCHRD diese Information lieferte, berichtete, der aus dem Bergwerk und der Fabrik erzielte Gewinn bringe der Gegend überhaupt keinen Nutzen. Die Einwohner des Ortes arbeiteten nicht in dem Bergwerk oder der Fabrik, die Arbeitskräfte dort würden ausschließlich von chinesischen Einwanderern gestellt. Ein Tibeter aus dem Distrikt Chentsa, TAP Malho, Qinghai, äußerte sich sehr kritisch über den Mineralienabbau:

"In unserer Gegend gibt es einen Berg, der uns sehr heilig ist. Jetzt sagt die Regierung, sie wolle diesen Berg angraben... Sie sagen, sie wollten Bodenschätze fördern und deshalb bauten sie vergangenes Jahr eine Straße zu dem Berg. Es heißt, in dem Berg gäbe es acht verschiedene Mineralien. Gleich neben dem Berg wohnen einige Tibeter, welche von der Regierung betrogen wurden, denn sie versprach ihnen, eine Wasserleitung zu ihnen zu legen, falls sie ihr erlauben, Bodenschätze aus diesem Berg zu holen".

Im Distrikt Lithang, TAP Karze, Sichuan, pflegten die dort lebenden Tibeter Gold zu waschen, um ihr minimales aus der Landwirtschaft gewonnenes Einkommen etwas aufzubessern. Dieser Ausweg wird immer mehr bedroht, weil die Chinesen den Bergbau in dieser Gegend inzwischen professionell betreiben.

Ein Informant erklärte uns: "Weil wir von Hand graben, können wir nicht alles Gold abbauen. Die Chinesen fördern mit ihren Maschinen mehr Gold. Danach können wir an solch einem Ort kein Gold mehr finden. Sie graben sich durch Felsen und Gestein, worauf auch immer ihre Maschinen stoßen, und dann hinterlassen sie Gruben, die so tief sind wie vier- bis fünfstöckige Gebäude. Wir sitzen nur noch da und schauen entsetzt auf die Stelle, wo die Maschinen der Chinesen ihr Unwesen treiben."

Zusätzlich zu dem rigorosen Bergbau übt auch die Abholzung eine verheerende Wirkung auf die Umwelt Tibets aus. 1998 trat der Yangtse über die Ufer und rief in Tibet und China eine Katastrophe gewaltigen Ausmaßes hervor. Die PRC nahm sich endlich die Warnung von Umweltexperten zu Herzen, daß Hochwasser ebenso wie Wüstenbildung, Verschlickung und Umweltverschmutzung mit der Abholzung in Tibet im Zusammenhang stehen. Dies führte dazu, daß Peking 151 Holzfirmen ultimativ aufforderte, sofort das Fällen von Bäumen in den tibetischen Regionen außerhalb der TAR einzustellen. Aus den Berichten von Touristen und neu eingetroffenen Flüchtlingen geht jedoch hervor, daß das Rodungsverbot unterschiedlich gehandhabt wird. Ein Tibeter, der Ende 2000 ins Exil entkam, erzählte, Korruption, Bestechung und Unterschlagung seien im Forstgeschäft gang und gäbe.

"Wenn es gelingt, den richtigen Beamten in der Forstverwaltung zu schmieren, kann man eine Lizenz bekommen, die zum Einschlag und Transport von Bauholz im Volumen von 30 bis 100 LKW-Ladungen berechtigt. Und wenn man erst einmal solch ein Zertifikat in Händen hat, hindert einen nichts mehr daran, das Holz zu schlagen und es zum Verkauf abzutransportieren und einen massiven Gewinn zu machen. Das meiste Holz geht nach China."

Diesem Informanten zufolge kommen die Leute, welche die Schmiergelder zahlen können, von außerhalb Tibets, während die dort lebenden Tibeter, "... insbesondere diejenigen, die ihren Lebensunterhalt im Forstgeschäft verdienten", nun ihre Jobs verloren. "Wir müssen stets eine Erlaubnis einholen, selbst wenn wir nur Holz für unseren eigenen Bedarf brauchen, etwa für den Bau eines Hauses und das Zimmern von Möbeln". "Von woanders herkommende Chinesen genießen Steuerfreiheit und lauter Vorteile, welche die tibetischen Einwohner nicht haben".

Es gibt allerdings Befürchtungen, daß das Rodungsgeschäft sich nun einfach von den Regionen außerhalb der TAR in die TAR verlagert, für die das Abholzverbot nicht gilt. Das gesamte Forstgeschäft in der TAR wird jedoch von der Regierung kontrolliert, wobei der Zweck nicht so sehr der ist, das Volumen des Holzeinschlags in Grenzen zu halten, als der Regierung eine weitere Einkommensquelle zu verschaffen. Ein Neuankömmling aus dem Kreis Dromo, Präfektur Shigatse, TAR, schilderte, wie seine Familie bis 1996 jedes Jahr 6 Monate lang Holz hackte, wofür sie durch den Verkauf an Privatpersonen in Städten wie Shigatse und Lhasa 10 Yuan (1,20 US$) pro Bündel verdiente. Seit 1996 übernahm jedoch die Forstverwaltung die Aufsicht über diese Tätigkeit und schrieb den Leuten vor, das Holz für nur 4,5 Yuan (0,50 US$) pro Bündel der Behörde zu verkaufen.

Etliche Flüchtlinge berichteten dem TCHRD von einer anderen Initiative im Umweltsektor, die offensichtlich die Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen reduzieren soll, nämlich die Zwangsaufforstung. Auf dem ganzen Hochland bekamen die Bauern von der Regierung Order, einen Teil ihres Ackerlandes mit Bäumen und Gras zu bepflanzen. Sie erhalten zwar eine geringfügige Entschädigung in Form von Bargeld oder Getreide, doch nach Aussage vieler Familien ist diese unzureichend. Ohne genügend Land für den Ackerbau nimmt die Lebensqualität vieler Haushalte drastisch ab, und die Leute müssen von der Hand in den Mund leben. Einige tibetische Bauern meinen, es handle sich um eine neue Maßnahme im Zuge des Entwicklungsprogramms für den Westen. Sie beschwerten sich bei der Regierung, die "Entwicklung des Westens" bringe für sie nichts als den Verlust ihres Ackerlandes. Derartige Klagen wurden von Peking selbstverständlich ignoriert.

Dieses Jahr wurde dem TCHRD auch von der Schädigung mehrerer Seen durch Überfischung berichtet. Einem Flüchtling zufolge, der Tibet Anfang 2001 verließ, ist der Fischbestand zweier Seen in Distrikt Matoe, TAP Golog, Qinghai, erschöpft, nachdem chinesische Siedler dort zu kommerziellen Zwecken zu fischen begannen. Die chinesischen Fischer zogen daraufhin zu zwei weiteren Seen weiter, die den dort lebenden Tibetern als "sehr heilig und unantastbar" gelten. Der Informant sagte, die Tibeter hätten gegen das Fischen in diesen heiligen Seen protestiert, aber "wie üblich, sind die Proteste der Ortsansässigen vergebens".

Zusätzlich zu dem Überfischen leiden die Wasseradern Tibets unter den schlecht konstruierten Dämmen für den Betrieb von Kraftwerken, die oft zu einer plötzlichen Überflutung von Acker- und Weideland führen, wodurch Tausende von Tibetern in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei der Planung dieser Projekte werden die Anwohner überhaupt nicht nach ihrer Meinung gefragt und ihre Wünsche werden ignoriert. 2001 berichteten mehrere Flüchtlinge mit Sorge über Pläne für einen weiteren Staudamm am Machu Fluß, der durch die tibetischen autonomen Präfekturen Malho und Tsolho, Qinghai, fließt, und wodurch mindestens 1.000 Personen umgesiedelt werden müssen.

Im Februar 2001 verbesserte die PRC das Gesetz über regionale ethnische Autonomie. Obwohl diese Ergänzungen die Autonomie der Tibeter im allgemeinen noch mehr beschnitten, gab es doch immerhin etwas Positives. Die Pekinger Regierung ist nun gezwungen, den autonomen Regionen für die Ausbeutung ihrer Naturschätze eine gewisses Maß an Kompensation zu gewähren. Angesichts des oben geschilderten Umfangs der Umweltnutzung bleibt abzuwarten, ob China den Wert der in Tibet abgebauten Ressourcen ehrlich berechnen und angemessene Entschädigung bieten wird.

g) Der Lebensunterhalt in der Stadt

Die 15-20% Tibeter, die in den Städten Tibets wohnen, sehen sich wieder mit anderen Problemen konfrontiert als diejenigen, die auf dem Lande wohnen, und von denen die meisten auf die chinesische Politik der Bevölkerungsverlagerung zurückzuführen sind. Seit Anfang der neunziger Jahre betreibt die Pekinger Regierung eine Politik der Masseneinwanderung chinesischer Bürger in die TAR und die sie umgebenden autonomen tibetischen Präfekturen. Diese Migranten werden durch günstige Arbeitsangebote, staatlich geförderte Infrastrukturprojekte und die rasante Verbesserung der Baulichkeiten in den Städten, sowie durch Konzessionen für Privatunternehmen und Billigkredite angelockt, und viele von ihnen starten ihr eigenes Geschäft in Tibet. Gyaltsen Norbu, der ehemalige Vorsitzender der TAR Regierung, erklärte im Januar 1993, daß "wir unsere Tür weit öffnen und... eine Präferenzpolitik formulieren müssen, um für qualifizierte Kräfte attraktiv zu sein".

Diese Politik, in Tibet für chinesische Bürger einen Anreiz durch Arbeitsangebote und Infrastrukturprojekte zu schaffen, gewann 2001 durch das Vorantreiben des "Entwicklungsprojektes für den Westen" noch mehr an Gewicht. Dieses zuerst im Juni 1999 in Gang gesetzte Programm wird von der PRC definiert als: "Bevorzugung von Projekten zum Bau von Infrastruktureinrichtungen, ökologischer Umweltentlastung und Ressourcenentwicklung in den westlichen Regionen Chinas". 2001 beschrieb auch das Vierte Arbeitsforum zu Tibet das Entwicklungsprogramm für den Westen als ein "Überspring-Modell" ("leap-over model", ein Modell, in dem Entwicklungsstadien übersprungen werden, Tibet also von der Rückständigkeit in die Moderne katapultiert werden soll) für die Entwicklung in Tibet. Der zehnte Fünfjahresplan der chinesischen Regierung (2001-2005) für die nationale, wirtschaftliche und soziale Entwicklung nannte die vier wichtigsten Infrastrukturprojekte in China: Die Qinghai-Tibet Eisenbahnlinie, die Erdgas-Pipeline von West nach Ost, der Elektrizitätstransfer von West nach Ost und die Wasserumleitung von Norden nach Süden. Durch all diese Projekte werden noch mehr chinesische Arbeitskräfte nach Tibet gezogen, und im Falle der Eisenbahn wird noch aktiv für ihren schnelleren Transport gesorgt.

Zusätzlich verkündete die chinesische Regierung, daß eine neue 12,5 qkm große Sonderwirtschaftszone (Special Economic Zone = SEZ) in der Gemeinde Ne'u in Kreis Toelung Dechen, Bezirk Lhasa, eingerichtet würde. In dem zehnten Fünfjahresplan für die TAR (2001-2005) heißt es, daß diese Zone "Vorreiter für die wirtschaftliche Entwicklung in Lhasa und sogar in der ganzen autonomen Region sein wird". Um Investoren anzulocken, werden für Geschäftsgründungen in dieser Sonderzone Steuersätze angeboten, die nur halb so hoch wie die normalen sind. Auch der Endbahnhof der Eisenbahnlinie nach Lhasa wird hier liegen.

Ein ehemaliger tibetischer Regierungsangestellter aus Lhasa erklärte, daß die wirtschaftliche Entwicklung in Toelung Dechen, die auf die Ankündigung des neuen Bahnhofes hin erfolgte, die Anzahl von chinesischen Arbeitern in der Gegend in die Höhe schnellen lassen wird, was den Tibetern des Ortes aber kaum Nutzen bringt.

"Viele neue Hotels und Restaurants werden gebaut werden, und viele Leute, die in China ihre Jobs verloren haben, werden kommen, um hier Arbeit zu finden. Es mag durch den Bau der Läden und Restaurants einige kurzfristige Vorteile für die tibetische Bevölkerung geben, aber der Zufluß von mehr und mehr Chinesen mit besserer Bildung und beruflicher Qualifikation bedeutet, daß die Tibeter sich in diesen neuen Jobs nur für ein paar Jahre halten können und allmählich an den Rand gedrängt werden. Nach dem Bau der Eisenbahnstation in Xining (Nordtibet) fanden die Leute des Ortes Arbeit im Reinigungsdienst und Fahrkartenverkauf usw., aber nach und nach verloren viele von ihnen diese Jobs wieder infolge der Konkurrenz durch besser ausgebildete chinesische Wanderarbeiter".

Teilweise infolge der neuen Sonderwirtschaftszone (SEZ) erwarten Regierungsleute, daß die Einwohnerzahl Lhasas in den nächsten 4 Jahren um 30% anwachsen wird. Der tibetische Bevölkerungsanteil in Lhasa wird derzeit auf rund 30% geschätzt; der zu erwartende Zustrom chinesischer Siedler wird den Anteil an Tibetern erheblich weiter verringern und sie auf dem Arbeitsmarkt und beim Zugang zu den Dienstleistungen marginalisieren.

Der Bevölkerungstransfer ist, zusammen mit der staatlichen chinesischen Propaganda, die oft Tibet als eine "rückständige" Gegend bezeichnet, auch Grund für die Belästigungen von Tibetern aus rassischen Gründen und die ihnen gegenüber praktizierte Diskriminierung.

Eine Tibeterin, die als Taxifahrerin in Lhasa arbeitete, erzählte, viele Chinesen in Tibet hegten rassistische Vorurteile gegenüber Tibetern, was auch darin zum Ausdruck komme, daß "Chinesen niemals in ein Taxi mit einem tibetischen Fahrer einsteigen und stets die von ihren Landsleuten gesteuerten bevorzugen". Angesichts des hohen Prozentsatzes chinesischer Einwohner in Lhasa und des ihnen zur Verfügung stehenden höheren Einkommens wirkt sich eine solche Diskriminierung auf die im Privattransport beschäftigten Tibeter nachteilig aus.

Ein ehemaliger Verkehrspolizist aus dem Distrikt Sangchu, TAP Gannan, Gansu, berichtet, tibetische Kraftfahrer würden viel öfter mit Strafen belegt als chinesische. Er meint, die chinesischen Beamten, die für die Ahndung von Verkehrssünden verantwortlich sind, seien sehr voreingenommen und interpretierten die vagen Verkehrsregeln dahingehend, daß nur Tibeter bestraft werden. Es würden auch keine Quittungen für die Geldstrafen ausgestellt, weshalb unter den Tibetern der Argwohn weit verbreitet sei, daß die chinesischen Beamten das Geld unterschlügen. Dieser Informant ist der Ansicht, daß die chinesischen Zuwanderer auf die Tibeter herabsehen und ihnen Faulheit vorwerfen. Weil die Tibeter eine Minderheit im Arbeitssektor darstellten, könnten sie ungehindert diskriminiert werden, fügte er hinzu.

h) Diskriminierung bei der Beschäftigungspolitik

Mit der Ratifizierung der Internationalen Übereinkunft über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR) verpflichtete sich die PRC, "das Recht eines jeden auf gerechte und für ihn vorteilhafte Arbeitsbedingungen anzuerkennen", wozu auch faire Löhne und die gleiche Entlohnung für gleichwertige Arbeit ohne Unterschied in irgendeiner Weise gehören, sowie sichere und gesunde Arbeitsverhältnisse, die gleiche Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg, eine vernünftige Bemessung der Arbeitsstunden und bezahlte Urlaubstage. Wenn man diese Punkte im Zusammenhang mit der Internationalen Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (ICERD) sieht, die China 1981 ratifizierte, wird klar, daß "gleiche" und "gerechte" Arbeitsbedingungen auch beinhalten, daß Arbeitsplätze ohne Diskriminierung aus rassistischen Gründen zur Verfügung gestellt werden müssen.

Die chinesische Verfassung erklärt, daß "Bürger der Volksrepublik China das Recht sowie die Pflicht haben, zu arbeiten und, daß alle Bürger gleich zu behandeln sind".

Trotz den Bestimmungen des Völkerrechts und der chinesischen Verfassung hatten Tibeter im Jahr 2001 ganz offensichtlich große Schwierigkeiten, überhaupt beschäftigt zu werden. Wenn sie schließlich irgendeine Arbeit gefunden hatten, litten sie oftmals unter der Diskriminierung. Verrichten bei einem Job Chinesen und Tibeter die gleiche Arbeit, wird oft von Diskrepanzen bei den Löhnen berichtet, was heißt, daß Tibeter nur die Hälfte von dem bezahlt bekommen, was die Chinesen erhalten, oder gar noch weniger. Ein aus dem Distrikt Rebkong, TAP Malho, Qinghai, stammender Exilant, der in einer Aluminiumfabrik gearbeitet hatte, bezeugt, daß "Tibeter nur etwa 200-400 Yuan (23-47 US$) bekamen, wogegen Chinesen für dieselbe Arbeit mit bis 1.000 bis 1.500 Yuan (117-176 US$) entlohnt wurden.

Ein Sektor, in dem Tibeter bisher immer Anstellung fanden, war der Tourismus, da sie sich besser als Fremdenführer und Dolmetscher eignen als Chinesen. Internationale NGOs arbeiten auch lieber mit tibetischen als mit chinesischen Dolmetschern, weil Tibeter von Natur aus einen besseren Akzent haben. 2001 wurden jedoch viele tibetische Fremdenführer, besonders diejenigen, die einige Zeit in Indien verbracht hatten, immer wieder von den Behörden zu Verhören bestellt. Es ging auch das Gerücht um, daß tausend chinesische Touristenführer in China ausgebildet und dann nach Lhasa geschickt würden, um die Tibeter in der Tourismusbranche zu ersetzen. Dieses Jahr hörte man auch, daß Lastenträger im Kreis Tingri, Präfektur Shigatse, TAR, von einer Steuererhöhung von bisher 20 Yuan (2,30 US$) auf 450 Yuan (53 US$) pro Aufstieg betroffen waren. Wenn man bedenkt, daß die Träger für eine Tour 800 Yuan (94 US$) bekommen, kann man darin einen geballten Angriff auf eines der letzten Gebiete erkennen, in dem Tibeter eine bessere Ausgangsbasis als Chinesen haben, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Die chinesische Regierung behauptete, daß dieses Jahr "eine große Zahl von Bauern und Hirten Geschäftsleute geworden sind und sich so dem Trend der Marktwirtschaft angeschlossen haben".

Es kann aber sein, daß sich die Anzahl der Tibeter, die selbständig geworden sind, gar nicht erhöht hat. Viele Flüchtlinge beteuerten gegenüber dem TCHRD, daß die tibetischen Geschäftsleute es einfach nicht mit den chinesischen aufnehmen können, weil letztere den Zugriff auf billigere, von chinesischen oder multinationalen Konzernen eingeführte Waren haben. Dieser Informant schätzt, daß es 1999 zwischen 40 und 50 Geschäfte von Tibetern in seiner Gegend gab. 2001 wurden jedoch 48 Geschäfte von chinesischen Zuwanderern betrieben, während nur noch 9 einen tibetischen Inhaber hatten.

Ob jemand einen Job finden oder erfolgreich ein Geschäft betreiben kann, hängt in Tibet oftmals eher von guanxi oder "Beziehungen" als von dem beruflichen Können oder der Befähigung des Bewerbers ab. Chinesische Siedler in Tibet haben viel eher Beziehungen zu hochrangigen chinesischen Kadern, was ihnen eine bessere Ausgangsposition gibt, um Arbeit oder eine Geschäftslizenz zu bekommen. So berichtet ein tibetischer Student, daß "ohne gute Beziehungen zu hohen chinesischen Kadern keine Chance bestehe, eine Stelle zu finden. Selbst eine höhere Qualifikation zählt nichts bei der Arbeitsuche, wenn man nicht ebenso gute Verbindungen zu Chinesen hat. Nur durch persönliche Kontakte und Beziehungen, quasi durch die Hintertür kann man eine gute Stelle ergattern."

Die Mehrheit der nach Indien geflüchteten Tibeter, die vom TCHRD interviewt wurden, erwähnten auch, daß Personen, die fließend Chinesisch sprechen, bei der Einstellung bevorzugt werden. Wie ein Student aus dem Autonomen Distrikt Do-Wi Salar, TAP Tsoshar, Qinghai, berichtet, wird jemand mit mangelnden Chinesischkenntnissen nur sehr schwer eine Stelle finden.

Ein Exilant aus dem Distrikt Mangra, TAP Tsolho, Qinghai, ist ebenfalls der Ansicht, daß eine gute Beherrschung des Chinesischen die wichtigste Voraussetzung für einen Arbeitsplatz ist. Deshalb sind tibetische Jugendliche mehr und mehr der Ansicht, daß das Studium der tibetischen Sprache nutzlos für sie ist, wenn sie im Berufsleben erfolgreich sein wollen.

Der zehnte Fünfjahresplan für die TAR sieht für dieses Jahr eine verstärkte Rekrutierung von Lehrern chinesischer Nationalität im Hinblick auf die Entwicklung Tibets vor. So heißt es in dem Plan: "Wir müssen das vorhandene fachkundige Personal gut einsetzen und von außerhalb (der TAR) weitere qualifizierte Kräfte heranziehen, die wir dringend benötigen".

Der kumulative Effekt der Diskriminierung, der die Tibeter ausgesetzt sind, verschlimmert noch das Problem der Arbeitslosigkeit unter ihnen. Heute wissen viele junge Tibeter, die hart arbeiteten, um einen akademischen Abschluß zu erreichen, nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen sollen, und die wenigen, die Arbeit bekommen, enden in Jobs, die nicht ihren Qualifikationen entsprechen. Ein Flüchtling berichtete, daß "die Leute sogar nach Abschluß eines Universitätsstudiums keine Stelle finden. Sie warten oft 3 bis 4 Jahre, ehe sie anfangen können zu arbeiten. Es gibt derzeit über 200 Hochschulabsolventen aus unserem Distrikt Tshodrug, die arbeitslos sind. Man sagt, die Abgänger von Lehrerseminaren würden erst recht keine Stelle finden. Wenn Hochschulabsolventen überhaupt angestellt werden, dann gewöhnlich nur in der Forstwirtschaft. Die meisten der Studierten entscheiden sich schließlich für die Landarbeit, die auch nicht von der Diskriminierung verschont ist".

Ein Exilant aus dem Distrikt Mangra, TAP Tsolho, Qinghai, klagt daß "die Beschäftigung von College-Absolventen ausschließlich in den Händen der Funktionäre an der Spitze des Landkreises liegt. Sie gehen bei der Arbeitsvergabe völlig willkürlich vor, und wenn sie sagen, sie könnten keinen Job vergeben, dann ist diese Entscheidung endgültig." Er fährt fort, eine Reihe von Hochschulabsolventen hätten versucht, in dieser Angelegenheit beim Chef des Landkreises vorzusprechen. Ihre Klagen wurde aber als Widerspenstigkeit interpretiert und man drohte ihnen mit Verhaftung. Dieser Informant berichtet auch, daß die hohen Kosten für höhere Bildung es vielen jungen Tibetern unmöglich mache, auf eine Universität zu gehen und gar einen akademischen Grad zu erwerben.

Trotz einer beträchtlichen Zahl internationaler und nationaler Gesetze zum Schutz der Frauen im Beruf werden tibetische Frauen weiterhin bei ihren Bemühungen eine Anstellung zu finden, diskriminiert. Die Internationale Übereinkunft über die Beseitigung von Rassendiskriminierung verbietet die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt auf Grund des Geschlechts, während Artikel 11 der Konvention über die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen (CEDAW) die Gleichberechtigung der Frauen bei der Arbeitsvergabe fordert, darunter auch das Recht auf die freie Wahl der Beschäftigung, das Recht auf gleiche Entlohnung für gleiche Leistung und das Recht auf gesunde und sichere Arbeitsbedingungen.

Eine als Maurerin angestellte Tibeterin berichtet, die chinesischen Arbeiter hätten nicht nur höhere Löhne für leichtere Arbeit bekommen, sondern auch tibetische Männer hätten für dieselbe Arbeit mehr als sie verdient. Angesichts dieser von Diskriminierung geprägten Praktiken könnten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denen sich viele arbeitslose tibetische Frauen gegenüber sehen, sie leicht in Prostitution und Drogenhandel absinken lassen. Unlängst wurde geschätzt, daß über 7.000 tibetische Mädchen in Lhasa im Sexgewerbe arbeiten. Im Juni 2001 erzählte ein vor kurzem ins Exil geflohener Mönch, daß er 23 Mädchen aus der TAP Tsolho, Qinghai, kenne, die nach Lhasa gegangen seien, um ein pädagogisches Institut zu besuchen. Nach Abschluß der Ausbildung konnten die Mädchen keine Anstellung finden. Sie sagten ihm, sie hätten alles Geld aufgebraucht und sähen nun keinen anderen Ausweg mehr, als sich der Prostitution hinzugeben, um überleben zu können.

Während viele Tibeter hart kämpfen, um im Primärsektor oder als Arbeiter ihr Leben zu fristen, werden von der chinesischen Regierung immer mehr von ihnen bei den Zwangsarbeitsprogrammen eingesetzt. Die Lager zur "Umerziehung-durch-Arbeit" stellen für den Staat eine billige Arbeitskraftquelle dar. Solche Einrichtungen wurden von der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation = ILO), der auch China angehört, pauschal verurteilt, weil sie gegen das Völkerrecht verstoßen, insofern als die in den Lagern festgehaltenen Menschen nicht durch ordentliche Gerichte sondern durch Verwaltungsgremien verurteilt wurden.

In Tibet wird das System der "Umerziehung-durch-Arbeit" oft zur Inhaftierung von politischen Dissidenten benutzt, die noch nicht wegen irgendwelcher Straftaten angeklagt wurden, die jedoch "spalterischer" Tendenzen verdächtigt werden. Personen, die durch ein Gericht für schuldig erklärt wurden und ins Gefängnis kommen, müssen auch dort Zwangsarbeit leisten. Wiederum sind viele tibetische politische Gefangene betroffen. Häftlinge beider Arten von Anstalten werden zu größeren Entwicklungsprojekten auf dem Land und in den Städten eingesetzt. Ein 2001 vom TCHRD interviewter Flüchtling berichtete, daß "der Bahnhof in Lhasa von Insassen der Arbeitslager gebaut wird. Auch wurden Leute, die in Lhasa herumlungerten und um Geld spielten, festgenommen und zur Strafe für zwei Jahre zur Arbeit an der Eisenbahnstation abkommandiert. Ebenso schickten sie alle Tibeter, die bei dem Versuch, aus Tibet zu fliehen, gefaßt wurden, für 3-4 Jahre zur Arbeit an die neue Eisenbahnstrecke".

Im Februar 2001 erklärte die UN Hochkommissarin für Menschenrechte Mary Robinson vor einer Versammlung chinesischer Regierungsvertreter und Kriminalrechtsexperten: "Ich glaube, eine ernsthafte Revidierung des Strafrechts wäre angebracht, um die Praxis der Umerziehung-durch-Arbeit abzuschaffen. Die Methode, Zwangsarbeit zur Bestrafung einzusetzen, verstößt gegen die universal anerkannten Menschenrechte, die in vielen internationalen Regelwerken niedergelegt sind."

Im Mai 2001 wurde zwischen der International Labour Organization und China eine Vereinbarung unterzeichnet, "um die nationale Arbeitsreform in China zu stärken", aber bislang hat die PRC die Umerziehung-durch-Arbeit noch nicht abgeschafft.

i) Pekings wirtschaftliche Ziele für Tibet

Dieses Jahr stellte die PRC in ihrem Weißbuch über Modernisierung fest, daß "die soziale und wirtschaftliche Entwicklung das materielle und kulturelle Leben der Tibeter beträchtlich verbessert hat". Es werden dann verschiedene Wirtschaftsstatistiken angeführt, aus denen ersichtlich ist, daß China, wenn es von Entwicklung spricht, einen Zuwachs in der Produktivität, den Investitionen, dem Bruttoinlandsprodukt oder dem Durchschnittseinkommen meint. In unseren Fallstudien äußerten sich jedoch viele auf dem Land lebende Tibeter abschätzig über das sogenannte "Entwicklungsprogramm", und sie fügten hinzu, daß es für ihr Leben bestimmt keinen Fortschritt gebracht habe.

Die Behauptungen der PRC über die Entwicklung Tibets auf Basis dieser wirtschaftlichen Indikatoren sind von zwei Seiten her anfechtbar: Erstens unterscheidet die PRC nicht zwischen dem Einkommen oder der wirtschaftlichen Situation ethnischer Tibeter und demjenigen der chinesischen Zuwanderer und zweitens widerspricht die Definition von Entwicklung als einer rein wirtschaftlichen Verbesserung der ganzheitlichen Auffassung von Entwicklung, wie sie von den Vereinten Nationen vertreten wird.

Wenn die PRC in dem Weißbuch über Modernisierung von einer Verbesserung der Einkommenslage in ganz Tibet spricht, muß man bedenken, daß für China "Tibet" nur die "TAR" darstellt. Diese Statistiken machen auch keinen Unterschied zwischen dem Einkommen ethnischer Tibeter und demjenigen chinesischer Immigranten, die im Rahmen des Bevölkerungstransfers in die TAR gekommen sind. Anhand der Zeugnisse von Tibetern, die in den von Chinesen dominierten urbanen Bezirken wohnen, ist es klar, daß die Nutznießer der chinesischen Politik in Tibet die zugezogenen Chinesen sind und nicht die Tibeter, die immer mehr zurückgedrängt werden. Durch Nennung von Durchschnittswerten bei den Einkommen verdeckt die PRC effektiv die zunehmende Diskrepanz zwischen den Einkommen auf dem Land und in der Stadt, sowie zwischen dem demjenigen tibetischer und chinesischer Bewohner der Stadtgebiete.

Ein weiterer Ansatzpunkt für Kritik an den Behauptungen der PRC hinsichtlich Tibets ist, daß es bei ihren Entwicklungsplänen nur um Modernisierung und Wirtschaftsentwicklung geht. Bruttoinlandsprodukt und Einkommensstatistiken haben jedoch wenig Aussagekraft, wenn sie nicht in Verbindung mit anderen Armutsindikatoren wie Gesundheit, Erziehung, Ernährung, Kleidung, Wohnung und Lebensqualität stehen. Die Mitarbeiter des United Nations Development Programme (UNDP) kamen immer wieder zu dem Schluß, daß die TAR und andere tibetische Siedlungsgebiete auf der Skala des Indexes für Humanentwicklung, der sich aus Indikatoren wie Erziehung, Einkommen und Gesundheit ergibt, hinter den meisten Gegenden Chinas rangieren. 2001 legte ein Vertreter der Asian Development Bank in China der chinesischen Regierung nahe, daß sich die Lebensbedingungen nicht alleine durch vermehrte Ausgaben für Infrastrukturprogramme verbessern, sondern nur dadurch, daß mehr Geld für Bildung und Gesundheit ausgegeben wird.

Die Definition von Entwicklung als wirtschaftlicher Fortschritt ist deutlich eine andere als die von den Vereinten Nationen geforderte. In dem ICESCR heißt es, daß alle Völker das Recht haben, ihre "wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung" zu verfolgen. Amartya Sen, Träger des Nobelpreises für Wirtschaft, formulierte ein Basismodell für Entwicklung, das den UN-Experten für das Recht auf Entwicklung als Grundlage dient. Er schreibt: "Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung ist es nicht richtig, nur auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts oder auf einige weitere Indikatoren einer allgemeinen Wirtschaftsexpansion zu blicken. Wir sollten auch darauf schauen, welchen Einfluß Demokratie und politische Freiheiten auf das Leben und die Entfaltungsmöglichkeiten der Bürger haben".

In Tibet gibt es einfach keine Demokratie. Persönliche Freiheiten werden, angefangen mit der Verweigerung des Rechtes auf Selbstbestimmung für das tibetische Volk, systematisch mit Füßen getreten. Die Versagung dieses entscheidenden Rechtes erlaubt der chinesischen Regierung, ein "Entwicklungsprogramm" zu verfolgen, das die Wünsche der Tibeter unberücksichtigt läßt und sich Tibets weitgehend zur Befriedigung ihrer eigenen Ambitionen zu bedienen.

Laut Verfassung der VR China ist es Aufgabe der Zentralregierung, für die autonomen Minderheitsgebiete im Hinblick auf die Beschleunigung der Entwicklung in diesen Gegenden eine entsprechende Wirtschaftspolitik zu entwickeln. 1984 gewährte das "Gesetz über regionale ethnische Autonomie" dem Volkskongreß der TAR gewisse eingeschränkte Befugnisse, was die Handhabung der Wirtschaftspolitik betrifft. Es war jedoch nur ein Lippenbekenntnis zur Autonomie des tibetischen Volkes, weshalb die Wirtschaftspolitik für Tibet weiterhin von der Regierung in Peking bestimmt wird.

Im Februar 2001 entfernte die Zentralregierung sogar noch dieses Alibi, daß Tibets sogenannte "Autonomie" respektiert werde, aus dem Gesetz. Sie veränderte das "Gesetz über regionale ethnische Autonomie", um zu gewährleisten, daß die Entwicklung der ethnisch-autonomen Regionen (wie die TAR) nach dem einheitlichen Schema der Zentralregierung in Übereinstimmung mit der Nachfrage auf dem Markt erfolgt. Sie bezeichnete die Änderung als notwendig, um die Entwicklung der autonomen Regionen zu beschleunigen und diese weiter in das Gesamtgefüge Chinas integrieren zu können. Die Gesetzesänderungen machen deutlich, daß die Entwicklung in Tibet fortan nach den Bedürfnissen des chinesischen Marktes ausgerichtet sein wird und nicht nach den lokalen Erfordernissen und Interessen.

Um sich genau an die wirtschaftlichen Ziele Pekings zu halten, werden seit einiger Zeit Tibeter in verschiedene Teile China geschickt, wo sie die notwendigen wirtschaftlichen Produktionsmethoden erlernen sollen. 2001 beschrieb ein jetzt im Exil lebender Tibeter die Resultate dieses Trainings:

"Tibeter, die man zu einer Spezialausbildung in verschiedene Teile Chinas sandte, wurden eher einer politischen Indoktrinierung unterzogen, als daß sie im Hinblick auf die Realität der Situation in den Teilen Tibets, wo sie später zu arbeiten haben, geschult worden wären. Diese Tibeter lernen wissenschaftliche und technischen Methoden, um die industrielle Produktion zu steigern, aber das ganze Unternehmen basiert auf der chinesischen Entwicklungspolitik, damit sie dann die Anwendung von 'wissenschaftlichen' Methoden zur Steigerung der Produktivität popularisieren, welche die traditionellen von den Bauern und Nomaden Tibets gepflegten landwirtschaftlichen Methoden ersetzen sollen. Diese Politik ist sowohl mit den gegenwärtigen wirtschaftlichen Gegebenheiten in Tibet wie mit dem kulturellen Leben des tibetischen Volkes zumeist unvereinbar...".

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen erklärte, die Regierungen der einzelnen Länder müßten sich, um in ihrer sozialen Entwicklung fortzuschreiten, "erneut zu einer effektiven, transparenten und verantwortlichen Staatsführung und zu den demokratischen Institutionen verpflichten, die den Bedürfnissen der Bürger entsprechen und ihnen eine aktive Rolle bei den Entscheidungen über Prioritäten, in der Politik und den verschiedenen Strategien, die dabei verfolgt werden sollen, einräumen." Die Berichte tibetischer Flüchtlinge 2001 zeigen jedoch, daß die PRC dieses Prinzip nicht respektiert. Ein früherer tibetischer Dorfkader, der jetzt im Exil lebt, erzählt, seine Aufgabe sei es gewesen, als "Vermittler" zwischen der Verwaltung und den Dorfbewohnern zu fungieren. Sie bestand aber eigentlich nur darin, die Vorgaben aus Peking unter den Dörflern zu propagieren, indem er bei den immer wiederkehrenden Meetings die Erklärungen von Parteimitgliedern vorzutragen hatte. Leitete er die Bitten der Dorfbewohner - etwa um eine befahrbare Straße, um Anschluß an das Stromnetz, um Unterstützung für eine Schule, um Beihilfe für in Armut geratene Familien - an die Distriktverwaltung weiter, so wurden seine Anträge schlichtweg ignoriert.

Vielleicht in Anbetracht dessen, daß viele tibetische Kader sich nur ungern als Propagandawerkzeuge der Pekinger Regierung benutzen lassen, begann die PRC 1995 damit, in ganz Tibet die höheren Verwaltungsposten mit chinesischen Kadern zu besetzen. 2001 rühmte sich die PRC zum Beispiel dessen, daß 70 Kader an der Tibet Universität in tibetischer Sprache und "Nationalitätenpolitik" ausgebildet würden. Nach Absolvierung ihres Kurses werden diese Kader auf verschiedene Verwaltungsstellen in bäuerlichen und nomadischen Gegenden der TAR verteilt.

Wie aus den Interviews hervorgeht, war den Tibetern, die 2001 ins Exil flohen, ganz deutlich bewußt, daß die chinesische Regierung nur daran interessiert ist, soviel wie möglich aus Tibet herauszuholen und nicht daran, etwas für Tibet zu leisten. Der chinesischen Regierung ist es egal, wie die Tibeter auf die in Peking ausgeklügelte Wirtschaftspolitik reagieren. Ein Flüchtling betonte jedoch, daß China sich nicht gegenüber allem, was in Tibet geschieht, taub stelle: "Wenn Streitigkeiten unter den Nomaden wegen der Weidegründe zu Blutvergießen führen, dann nehmen die Behörden dies kaum zur Kenntnis. Man könnte daraus schließen, daß sie überhaupt nicht merken, was die Tibeter treiben, aber dem ist nicht so. Sobald ein paar Tibeter Zettel mit der Forderung nach Freiheit für Tibet an die Mauern kleben, ist die chinesische Polizei sofort zur Stelle".

j) Auswirkungen der WTO und der Globalisierung auf Tibet

China wurde am 11. Dezember 2001 Mitglied der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation = WTO). Die chinesische Regierung warb damals dafür als für einen Schritt, der sowohl für China als auch für die ganze Welt einen großen Gewinn bringen würde. Einige Wirtschaftsexperten äußerten jedoch die Befürchtung, daß Chinas Aufnahme in die WTO und überhaupt der fortschreitende Globalisierungsprozeß womöglich die Lebensgrundlage vieler Tibeter zerstören könnte.

China behauptete, durch die Globalisierung der chinesischen Wirtschaft hätten die Tibeter nun besseren Zugang zu allen möglichen Versorgungsgütern. Das in diesem Jahr erstellte Weißbuch über Modernisierung gibt an: "Konsumgüter aus anderen Teilen des Landes und aus der ganzen Welt fließen nun kontinuierlich nach Tibet, was das Marktangebot in den Städten wie auf dem Lande erweitert und das Leben der Bevölkerung bereichert". Dieser "kontinuierliche Fluß" von Konsumgütern könnte nach Chinas Eintritt in die WTO zu einer Flut werden. Wie man jedoch bisher sah, sind die tibetischen Händler nicht in der Lage es in der Konkurrenz mit den chinesischen Geschäftsleuten aufzunehmen, weshalb es wenig wahrscheinlich scheint, daß die Tibeter von diesem Strom an Konsumgütern profitieren werden.

Die Mitgliedschaft in der WTO wird sogar eine noch größere Rückwirkung auf die Rohstoffproduktion in Tibet haben. Die Regeln der WTO bestimmen, daß die chinesische Regierung nicht mehr wie bisher lokale Erzeugnisse durch hohe Einfuhrzölle schützen darf. Die Zölle auf viele landwirtschaftliche Importe nach China werden gestrichen, wodurch billigere Nahrungsmittel aus den riesigen technisierten Farmen im Ausland importiert werden, die billigere Erzeugnisse als die tibetischen Kleinbauern liefern können. Gerstenanbauer werden wohl mit einem Sinken des Marktpreises zu rechnen haben, weil die Regierung ausländische Gerste nicht mehr mit hohen Zöllen belegen kann. Ohne solch einen Schutz werden die Marktpreise für wichtige tibetische Agrarprodukte wie Gerste, Weizen, Rapssamen und Fleisch stürzen. Experten prognostizieren, daß auch die Märkte der Nomaden "in Mitleidenschaft gezogen werden, weil sie bei ihren Marktpreisen zunehmend Konkurrenz bekommen werden".

Noch bedeutsamer ist, daß die PRC selbst Zweifel hat, ob ihr Eintritt in die WTO dem landwirtschaftlichen Sektor Nutzen bringen wird. In dem Weißbuch über die Linderung der Armut gibt die PRC zu, daß arbeits- und rohstoffintensive Produktionszweige wie Landwirtschaft und Viehzucht "nach Chinas Eintritt in die WTO negative Wirkungen zu spüren bekämen". Der chinesische Premierminister Zhu Rongji äußerte sich vor einer Gruppe von chinesischen Journalisten besorgt über die Auswirkungen, welche die WTO Mitgliedschaft auf Chinas Bauern haben könnte. Ein wichtiger Wirtschaftswissenschaftler an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften sagte klipp und klar: "Zweifelsohne werden die Bauern es nun schlechter haben". Wenn man bedenkt, daß 80% der Tibeter für ihren Lebensunterhalt von dem schon zurückgedrängten Landwirtschaftssektor abhängen, geben solche Äußerungen Anlaß zu ernster Sorge.

Die PRC hofft jedoch, daß nach ihrem Eintritt in die WTO auf eine kurze Leidenszeit langfristige Vorteile folgen werden, wenn sich erst einmal den chinesischen (und tibetischen) Erzeugern neue Märkte in der ganzen Welt erschließen. In dem Weißbuch über Armutslinderung diskutiert China einen Plan zur wirtschaftlichen Umstrukturierung, um der immer schärferen Konkurrenz ausländischer Märkte begegnen zu können.

"Um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrien zu verbessern, verlegen die entwickelten Regionen einige ihrer arbeitsintensiven Industrien in die weniger entwickelten. Diese armen Regionen, die zumeist in Zentral- und Westchina liegen, sind relativ reich an Ressourcen und verfügen über billige Arbeitskräfte; sie befinden sich also in der vorteilhaften Position, daß sie auf solch eine Verlegung positiv reagieren können".

Begriffe wie "billige Arbeitskräfte" haben angesichts der Fallstudien, die zeigen, daß viele Tibeter weit schlechter bezahlt werden als chinesische Arbeitnehmer, einen alarmierenden Klang für Tibeter. Darüber hinaus verfügt China dank der Zwangsarbeitsprogramme wie in den Arbeitslagern zur "Umerziehung-durch-Arbeit" über ein beträchtliches Volumen an billigen tibetischen Arbeitskräften. Es wurde auch argumentiert, daß mit dem verschärften Wettbewerb, der unweigerlich im Gefolge der Liberalisierung von Handel und der Globalisierung kommt, die Rechte der Arbeiter unter Druck geraten. Bedenkt man jedoch, daß China keine Gewerkschaften zuläßt, noch daß die Arbeiter ihre Rechte kollektiv vertreten, so könnten Chinas Pläne, im Westen billige Arbeitskräfte einzusetzen - was unweigerlich viele Tibeter betreffen wird - eher eine verstärkte Ausbeutung des tibetischen Volkes bedeuten.

Chinas Beitritt zur WTO wird auch multinationalen Konzernen den Zugang zu Tibet erleichtern. Ihr Tun und Treiben in Tibet wurde bereits mehrfach kritisiert. Die Erfahrung anderer Länder, die der WTO beitraten oder deren Wirtschaft von der Globalisierung erfaßt wurde, zeigt, daß Volksgruppen, die bereits von dem Hauptstrom nationaler Märkte ausgeschlossen sind, noch mehr marginalisiert werden. Das Forum der Nichtregierungsorganisationen stellte auf der Weltkonferenz gegen Rassismus im Jahr 2001 fest, daß diese Art der Marginalisierung die Diskriminierung - besonders die durch die Rasse bedingte - wesentlich verschärfen kann:

"Die derzeitigen Formen der Globalisierung und der in Handel und Finanzen tätigen internationalen Institutionen, ebenso wie die Aktivitäten der multinationalen Konzerne verhindern die Verwirklichung der vollen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte aller Völker. Sie halten die soziale Ausgrenzung der am meisten marginalisierten Gruppen nicht nur aufrecht, sondern hängen davon ab, erhöhen die bestehenden Spannungen, und sorgen für vermehrte Manifestationen von Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenhaß und Intoleranz."

Angesichts der gegenwärtig in Tibet existierenden sozialen Ungleichheit und der diskriminierenden Politik der PRC, die es den Tibetern untersagt, an ihrer eigenen Entwicklung mitzuwirken, ist wahrscheinlich, daß Chinas Beitritt zur WTO sich eher schädigend und verarmende auf Tibet auswirken wird.

k) Schluss

Aus den vielen 2001 mit geflüchteten Tibetern durchgeführten Interviews geht deutlich hervor, daß in Verfolgung der Regierungspolitik zur Ausbeutung der natürlichen und menschlichen Ressourcen das Recht der Tibeter auf angemessenen Lebensunterhalt nicht beachtet wird. Die chinesische Regierung bezweckt damit, die urbanen Gegenden Tibets schnell zu modernisieren, um die stetig wachsende chinesische Bevölkerung zu versorgen, während sie wenig für die auf dem Lande wohnenden Tibeter tut, die über 80% aller Tibeter ausmachen. Was die Nomaden betrifft, scheint die Politik der PRC tatsächlich darauf hinauszulaufen, ein entscheidendes Element traditioneller tibetischer Kultur zu zerstören. Die Bauern leiden ebenso unter der willkürlichen Besteuerung und der rücksichtslosen Landumverteilungspolitik. Die Umweltpolitik nimmt in erster Linie die Lebensweise tibetischer Bauern und Viehhirten ins Visier, während sie Chinas Strategie der Ressourcen-Ausbeutung in Tibet im großen und ganzen unangetastet läßt. Viele Experten, selbst die Regierung in Peking, befürchten, daß Chinas Beitritt zur WTO eine schädliche Wirkung auf den landwirtschaftlichen Sektor haben könnte.

In den Städten setzt die Regierung in Peking allerdings weiterhin auf Bevölkerungstransfer, indem sie chinesischen Migranten bevorzugt Arbeitsstellen, günstige Kredite und staatliche Unterstützung bietet. In den Klein- und Großstädten werden die Tibeter zunehmend an den Rand gedrängt, indem sie beim Zugang zu Arbeitsplätzen und Dienstleistungen diskriminiert werden.

In vielen Fällen haben sich die benachteiligten Tibeter beklagt und gegen diese Politik, die ihre Lebensgrundlagen bedroht, protestiert, aber ihre Beschwerden wurden von den Funktionären entweder ignoriert oder schnell unterdrückt. Die Zentralregierung bildet weiterhin chinesische Kader aus und besetzt mit ihnen überall in der TAR und in den tibetischen autonomen Präfekturen die öffentlichen Stellen, um zu gewährleisten, daß ihre Direktiven in Politik und Wirtschaft durchgesetzt werden. Den meisten Tibetern wurde auch in diesem Jahr ihr Recht auf Lebensunterhalt verweigert, während ein Mitspracherecht bei ihrer eigenen Entwicklung nichts als ein Traum für sie bleibt.

II, 2)

2. Das Recht auf Erziehung

Über ein Drittel der Asylsuchenden, die jedes Jahr aus Tibet fliehen, sind unter 18 Jahre alt. Ein Hauptmotiv für viele junge Leute, sowie der ausschlaggebende Grund, warum tibetische Eltern ihre Kinder alleine nach Nepal und Indien schicken, ist ihr mangelnder Zugang zu einer ordentlichen, erschwinglichen Schulbildung im heutigen Tibet. Die kritischen Punkte, die immer wieder von tibetischen Flüchtlingen genannt werden, sind die hohen Kosten des Schulbesuchs, die oft zu großen Entfernungen zur Schule und deren dürftige Ausstattung, sowie die wenig qualifizierten Lehrer.

Das Recht auf Bildung ist in der Internationalen Übereinkunft über die Rechte des Kindes (International Convention on the Rights of the Child = ICRC) verankert, in dem die Verantwortung der Mitgliedsstaaten zur Wahrung der Rechte der Kinder dargelegt wird. Der Vertrag führt aus, daß die Erziehung auf die "Entwicklung der kulturellen Identität, der Sprache und der Werte eines Kindes gerichtet sein sollte, ebenso wie auf die nationalen Werte des Landes, in dem es lebt...", was von besonderer Bedeutung für tibetische Kinder ist.

Unter Verletzung dieser Vereinbarung zwang die PRC auch 2001 tibetische Schulkinder zum Unterricht in einer fremden Sprache, und obendrein in einer Umgebung, in der ihr kulturelles Erbe herabsetzt und verunglimpft wird. Weit davon entfernt, sich daran zu stören, daß die Zahl der Kinder ohne oder mit nur geringer Schulbildung immer mehr zunimmt, fördert China einen Lehrplan, durch den die Tibeter in ihrem eigenen Lande zunehmend und ganz offen benachteiligt werden.

Erziehung wird auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als ein Grundrecht anerkannt. Art. 26 lautet "Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Diese sollte die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziele haben". In ähnlicher Weise stellt die Internationale Übereinkunft über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR) fest, daß "Bildung alle Menschen befähigen soll, effektiv an einer freien Gesellschaft teilzuhaben...". Im Hinblick auf die Verwirklichung dieses Rechtes "muß der Unterricht in den Grundschulen für alle obligatorisch und unentgeltlich sein; außerdem soll höhere Schulbildung allgemein verfügbar sein und in angemessener Art und Weise allen zugänglich gemacht werden, insbesondere durch die progressive Einführung unentgeltlicher Unterrichtung".

Mit der Ratifizierung der zwei genannten Vertragswerke (ICRC und ICESCR) hat sich China nun verpflichtet, ihre Artikel in seine nationale Gesetzgebung zu integrieren. Während bestimmte Artikel der chinesischen Verfassung (die später im einzelnen untersucht werden) vorgeben, diese Prinzipien zu wahren, enthüllen die in diesem Jahr von internationalen NGOs vorgenommenen Studien, sowie die Berichte neu eingetroffener Flüchtlinge den riesengroßen Unterschied zwischen der chinesischen Phrasendrescherei und der Realität, der die Kinder in Tibet ausgesetzt sind. In der chinesischen Verfassung wird das Recht auf Bildung als ein grundlegendes Recht anerkannt. Dort heißt es: "Bürger der VR China haben sowohl das Recht als auch die Pflicht, schulische Ausbildung zu erhalten". Trotz dieser Vorschrift wird einer großen Zahl von Kindern, welche den 55 anerkannten Minderheiten Chinas angehören, dieses Recht verweigert. In dem Weißbuch über Modernisierung in Tibet von 2001 verkündet Peking: "Der Staat investierte ungeheure Summen in die Entwicklung des Bildungswesens... 2001 gab es in Tibet 956 Schulen verschiedener Art, die von insgesamt 381.100 Schülern besucht wurden. 85,8% aller Kinder im schulfähigen Alter gehen nun zur Schule, und die Analphabetenrate ist auf 32,5% gesunken...".

In manchen ländlichen Gegenden stehen den Kindern jedoch einfach keine geeigneten Schulen zur Verfügung, und die paar, die es gibt, werden nur denen gerecht, die sich die Gebühren leisten können. Etwa 80% der Tibeter leben auf dem Lande und haben ein so geringes Einkommen, daß sie ihren Kindern nicht den "Luxus" des Schulbesuchs ermöglichen können. Ein Fall aus der Gemeinde Keru, Distrikt Dege Jomda, Präfektur Chamdo, TAR, macht die Probleme deutlich, die tibetische Familien bewältigen müssen, um ihren Kindern das Erlernen von Lesen und Schreiben zu ermöglichen. Eine Nomadenmutter berichtete, in ihrer Gegend gebe es keine Schulen, wohin sie ihre Kinder hätte schicken können, und mit 500 Yuan (58 US$) Gebühren pro Jahr hätte die nächste Schule ihre finanziellen Möglichkeiten überschritten. Sie erzählte, zusätzlich zu den Schulgebühren sähen sich die Eltern gezwungen, noch 8 gyama (4kg) Butter und 30 gyama (15kg) Fleisch an die Schulverwaltung abzuliefern. Unter diesen Umständen konnte sie ihren Sohn nur 4 Monate lang zur Schule schicken.

Ein 21-jähriger junger Mann aus der Ortschaft Tsodrung, Distrikt Chentsa, TAP Malho, Qinghai, sagte, in der Gemeinde gäbe es eine Grundschule, für deren Bau die Lokalregierung 10.000 Yuan (1.176 US$) ausgegeben habe. Die Schule zähle jedoch nur 60 bis 70 Schüler, weil das Schulgeld die Mittel einer durchschnittlichen tibetischen Familie übersteige.

Ein Mönch, der inzwischen nach Indien geflohen ist, berichtete, in seiner Heimat, der Gegend von Lukhang, Distrikt Gergye, Präfektur Ngari, TAR, gebe es 10 Dörfer, die von Viehhirten und Bauern bewohnt werden. Für die gesamte Gegend wurde 1997 eine Schule gebaut, während es zuvor überhaupt keine gab. Bei einem Schulgeld von rund 500 Yuan (59 US$) pro Jahr sind 90% der Kinder erwiesenermaßen nicht in der Lage, die Schule zu besuchen. Es herrscht somit ein riesengroßes Bildungsgefälle zwischen dem dicht bevölkerten Osten Chinas mit einem Schulbesuch von fast 100% und dem ländlichen von China beherrschten Westen, in dem weniger als die Hälfte der Bevölkerung die sechs Jahre Elementarschule absolvieren kann.

Und wo es Erziehungseinrichtungen gibt, verhindern ihre minderwertige Ausstattung und der schlechte Standard des Unterrichts eine qualitativ gute schulische Ausbildung. Ein Nomade aus der Ortschaft Rangpo, Distrikt Sog, Präfektur Nagchu, TAR, erzählte: "Weil es keinen rechten Ansporn oder ordentliche Einrichtungen für Lehrer und Schüler gibt, liegt der Schulbesuch bei nur etwa 30%. Der Grund für den geringen Besuch mag auch dem Mangel an Regelmäßigkeit und Ordnung zugeschrieben werden. Die Lehrer haben auch wenig Zeit zum Unterrichten, weil sie vielfach mit ihrer Landwirtschaft oder Viehzucht beschäftigt sind, aus der sie ihren Lebensunterhalt schöpfen". Ein ehemaliger Gemeindeschreiber aus der Provinz Gansu erzählte von 6 Dörfern, die, was die Schulen betrifft, ebenso vernachlässigt wurden: "... es gibt nur eine Schule in der Kleinstadt, aber auch dort ist der Unterricht schlecht, es gibt keine Internatseinrichtung, und darüber hinaus muß noch jeder Schüler ein jährliches Schulgeld von 300 Yuan (35 US$) zahlen. Wegen dieser Hindernisse sind dort gegenwärtig nur 60 Schüler".

Eine Reihe von Eltern befürchtet, durch den schlechten Unterricht könnten ihre Kinder aktiven Schaden nehmen. In der Grundschule Ponda, Dorf Jidon, Kreis Markham, Präfektur Chamdo, TAR, ist die Unterrichtsqualität so schlecht, daß die Eltern - meistens Bauern und Nomaden - trotz des Risikos, sich Strafen von bis zu 1.500 Yuan (176 US$) einzuhandeln, ihre Kinder von der Schule nahmen. "Diese Schule ist nur dem Namen nach eine", klagte ein Elternteil, "in drei Jahren hatte mein Sohn kaum das tibetische Alphabet gelernt, dagegen hatte er sich Laster wie Stehlen und Kartenspielen angewöhnt; die Schüler haben gar nichts von dieser Schule".

Die Lage für tibetische Schüler scheint auch auf der höheren Schule nicht besser zu sein. In den Dörfern der Gemeinde Shekar, Kreis Tingri, Präfektur Shigatse, TAR - so klagte ein Bauer - breche die Mehrheit der Kinder ihre Studien nach Abschluß der Mittelschule ab, weil ihre Eltern die exorbitanten Gebühren für die höhere Schule nicht aufbringen könnten. In den vergangenen 20 Jahren hätten nur 15 Schüler aus dem Kreis Tingri die höhere Schule beendet, und diese seien alle Kinder von Kadern der Kreisverwaltung gewesen.

a) Diskriminierende Praktiken

Tseten ist Lehrerin an einer Elementarschule im Kreis Dhitoe, TAP Jyekundo, Qinghai. Sie berichtet: "Es gibt eine gut eingerichtete Schule in meinem Landkreis, aber dorthin gehen nur chinesische Kinder oder Kinder von bei den Chinesen beschäftigten Tibetern und die Sprößlinge einiger reicher tibetischer Geschäftsleute. Es gibt kein einziges Kind nomadischer oder bäuerlicher Herkunft. Diese gehen in eine andere Schule, und nachdem sie die Grundschule beendet haben, können die meisten von ihnen keine weitere Ausbildung machen, weil sie die Aufnahmeprüfungen nicht bestehen, denn sie haben ja nichts gelernt. Außerdem behaupten die Lehrer, Nomadenkinder seien dumm und würden nichts lernen. Die Lehrer sind alle Chinesen, und selbst wenn einmal ein Nomadenkind in den Prüfungen erfolgreich ist, stehen seine Chancen, später einen Job zu bekommen, sehr schlecht". Im ganzen Jahr 2001 wurden die Kinder, wie sie berichteten, durch ihre Mitschüler als auch seitens ihrer Lehrer diskriminiert. Das machte sich darin bemerkbar, daß tibetische Kinder von ihren Mitschülern belästigt und drangsaliert wurden, ohne von den chinesischen Lehrern gerügt zu werden, wie auch durch Arbeiten und Handlangerdienste, die tibetische Schüler während der regulären Schulstunden erledigen müssen, während chinesische Kinder davon befreit sind. Chinesische Schüler sollen auch beim Zugang zu Serviceleistungen und schulischen Einrichtungen bevorzugt werden.

Chinesische Schüler bezahlen oft weniger Gebühren als tibetische, sie bekommen freie Kost und Lehrmaterial - Dinge, welche die tibetischen Schüler selbst kaufen müssen - und in manchen gemischten Schulen stehen ihnen separate und besser ausgestattete Klassenzimmer oder sogar völlig getrennte Gebäude mit besserer Ausstattung zur Verfügung. Die Diskriminierung geht oft so weit, daß die tibetische Kultur in ihrer Gesamtheit verspottet wird.

Tibetischen Kindern wird beigebracht, ihre Kultur sei "feudal, rückständig und primitiv", wogegen die ihnen fremde Han-Kultur als "zivilisiert und fortschrittlich" dargestellt wird. Eine derartige "Überlegenheitsdoktrin" wird insbesondere von der "Internationalen Konvention über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung" (ICERD) geächtet, welche "... alle Organisationen, die sich auf Ideen oder Theorien der Überlegenheit einer Rasse, Personengruppe, Hautfarbe oder Angehöriger einer bestimmen ethnischen Herkunft gründen, sowie alle derartige Propaganda, verurteilt". Die ICERD, die 1981 von der PRC ratifiziert wurde, verfolgt den Zweck, alle Menschen, einschließlich der Kinder, vor Diskriminierung zu schützen: "Diskriminierung von Menschen auf Grund von Rasse, Hautfarbe oder ethnischer Herkunft ist ein Verbrechen gegen die Menschenwürde und muß... als eine Verletzung der in der UDHR verkündeten Menschenrechte und Grundfreiheiten verurteilt werden."

Doch das heutige Erziehungssystem Chinas hat eine rassisch bedingte Diskriminierung von nationalen Minderheiten zur Folge. Minoritäten wie die Tibeter wohnen oft in abgelegenen und unzugänglichen Gegenden. Sie sind daher obendrein im Zugang zu Bildungseinrichtungen und der Möglichkeit, qualifizierte Lehrer zu bekommen, benachteiligt, ungeachtet der Tatsache, daß die chinesische Verfassung garantiert, daß "... alle Nationalitäten in der PRC gleich sind ....und daß Diskriminierung und Unterdrückung irgendeiner Nationalität verboten sind...".

Obwohl ein derartiges Vorgehen von den internationalen Gremien verurteilt wird und trotz des rosigen, von der PRC entworfenen Bildes, werden tibetische Schüler ganz offen diskriminiert. Ein 14-jähriges tibetisches Mädchen erzählte, ihre chinesischen Mitschüler hätten die Tibeter als dumme und schlechte Schüler gebrandmarkt. "Sie sagen, wir Tibeter seien von einer niedrigeren Klasse, und folglich schauen sie mit einer gewissen Überheblichkeit auf uns herab." Weil tibetische Schüler Probleme haben, die chinesische Sprache zu verstehen, so bestätigte ein Lehrer, verachten die anderen sie wegen ihrer schlechten Leistungen, und die Lehrer sticheln mit unschönen Bemerkungen".

Kinder berichteten auch, man habe ihnen gesagt, den tibetischen Buddhismus zu praktizieren - was das Wesen ihrer nationalen Identität und Kultur darstellt - sei ein "rückständiges Verhalten" und ein "Hindernis für den Fortschritt". Die Kinder werden gelehrt, daß die Geschichte Tibets nur ein unbedeutendes Anhängsel an die chinesische Geschichte, die tibetische Kultur nur ein Aspekt der "chinesischen Kultur", die tibetische Sprache ohne Nutzen und der religiöse Glaube der Tibeter ein Schandfleck seien. Von jungen Jahren an wird daher den Tibetern ein Gefühl der Minderwertigkeit eingeflößt, während ihnen systematisch andere Wege zur Bildung versagt werden.

Dieser Stand der Dinge wird auch durch die Kampagne gegen die Religion, die von Peking Anfang 2001 ausgedehnt wurde, deutlich sichtbar. Sie verweigert den Tibetern ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Religionsausübung, womit sie ihnen die einzige bisher noch vorhandene Alternative für eine kulturell angemessene Erziehung wegnimmt. Tibetischen Kindern in Mittelschulen und in einigen Grundschulen in Lhasa ist es nun verboten, Gebete zu rezitieren und religiösen Ritualen beizuwohnen. Jugendliche unter 18 dürfen auch nicht mehr in ein Kloster eintreten.

"In einer tibetischen Schule im Distrikt Rebkong, TAP Malho, Qinghai, gibt es insgesamt 300 Schüler, mit einer separaten Klasse für die 30 chinesischen Schüler. Obwohl genügend Platz vorhanden ist, sind die Unterkünfte als auch die Unterrichtsgebäude, wie auch der Sanitär- und Eßbereich ziemlich heruntergekommen. Viele Fensterscheiben sind zerbrochen, die Türen sind beschädigt, und der allgemeine Zustand der Gebäude ist erbärmlich. Überall mangelt es an der notwendigen Wartung. Wohingegen in einer chinesischen Schule ähnlicher Größe im Distrikt Barkham, Sichuan, alle Einrichtungen gut erhalten werden und die Gebäude recht modern sind. Der Schulkomplex sieht gepflegt aus und es gibt sogar Blumenrabatten und Dinge wie Wasserhähne auf den Spielplätzen. Man sieht dort ein großes hufeisenförmiges Gebäude mit großen Fenstern, das einen Basketballhof umschließt, und alles ist in gutem Zustand" (Aussage eines westlichen Touristen, der im April 2001 Tibet besuchte).

b) Lernen in einer fremden Sprache

Das chinesische Gesetz über regionale Autonomie von 1984 und das Bildungsgesetz von 1995 sichern den Minderheiten das Recht zu, im Schulunterricht ihre eigene Sprache verwenden zu dürfen. Doch in der Praxis werden die Minoritäten-Sprachen im chinesischen Bildungssystem als zweitrangig betrachtet.

Berichte aus Tibet deuten an, daß die Pekinger Mundart des Chinesischen, das putonghua, allmählich zur Haupt-Unterrichtssprache an tibetischen Schulen wird. Zu den kürzlich erfolgten Änderungen im Erziehungswesen in der TAR gehört auch, daß Mathematik und die Sprachen Chinesisch und Englisch bereits in der Elementarschule auf Chinesisch unterrichtet werden. Wenn das so weitergeht, bedeutet es, daß das einzige Fach, welches in der TAR noch auf Tibetisch gelehrt wird, die tibetische Sprache selbst ist.

Die Unterrichtssprache Chinesisch bedeutet für diejenigen Tibeter, die zur Schule gehen können, einen großen Nachteil. Ein Lehrer erzählte, in seiner Schule im Distrikt Jyekundo, TAP Jyekundo, Qinghai, seien die meisten Lehrer Chinesen gewesen. Die tibetischen Schüler seien alle vom Lande gewesen und hätten Probleme damit gehabt, dem Unterricht auf Chinesisch zu folgen. Ein 14-jähriger Schüler erklärte, in der Mittelschule, auf die er ging, sei Chinesisch das Hauptfach gewesen, und auch andere Fächer wie chinesische Geschichte und Mathematik seien auf Chinesisch unterrichtet worden. Ein anderer 14-jähriger Schüler schildert, welche Ungleichheit in dem ganzen System herrscht: "Die Tibeter lernen Chinesisch, aber die Chinesen lernen kein Tibetisch".

Weil die tibetische Sprache für eine gute Ausbildung als irrelevant gilt, ist man allgemein der Überzeugung, eine aussichtsreiche Zukunft sei nur mit fließender Beherrschung des Chinesischen möglich. In vielen Fällen lernen tibetische Schüler lieber Chinesisch als Tibetisch, weil ihnen dies bessere Möglichkeiten für eine zukünftige Beschäftigung zu bieten scheint.

Tibetische Schüler, die beim Abgang von der Schule weder richtig Tibetisch noch Chinesisch sprechen, sind oft nicht mehr in der Lage, mit der älteren Generation zu kommunizieren oder die Geschichte ihres eigenen Landes zu verstehen. Ein Mädchen aus der TAP Tsolho, Qinghai, erzählte, in den höheren Klassen an der Oberschule sei zwar Tibetisch gelehrt worden, aber "diese Schulstunden galten nicht als wichtig, sie wurden von Chinesen gehalten und vermittelten in keiner Weise, was tibetische Religion oder Kultur seien". Eine Sechzehnjährige, ebenfalls aus der TAP Tsolho, bedauert, daß sie Tibetisch nicht richtig sprechen oder schreiben könne, weil ihre Lehrer alle Chinesen gewesen seien.

Auch Vetternwirtschaft und Korruption seien in dem chinesischen Erziehungssystem an der Tagesordnung, wird vielfach berichtet. Ein tibetischer Lehrer aus der Ortschaft Gyalkon, Distrikt Dartsedo, Sichuan, beklagt, daß "... es für Tibeter nur beschränkte Bildungsmöglichkeit gibt". Manche Kurse stünden theoretisch allen offen, aber Bewerber mit gutem finanziellem Rückhalt bekämen leichter und schneller eine Zulassung. Man hörte von Fällen, wo Eltern die Aufnahme für ihre Kinder erwirkten, indem sie den Kadern Schmiergelder in Höhe von 5.000 bis 10.000 Yuan (588 - 1.176 US$) boten. Auch wenn ein Bewerber irgendwelche Beziehungen zu dem Schulrektor hat, ist seine Zulassung meistens gesichert.

c) Schluss

Das Recht auf Bildung ist ein Grundrecht, das in allen nationalen und internationalen Gesetzeswerken garantiert wird. Doch jedes Jahr werden Tausende von Kindern aus dem besetzten Tibet von ihren Eltern zur Ausbildung nach Indien geschickt, wo sie in den Schulen der Exilregierung unter dem Dalai Lama erzogen werden. Diese Kinder leiden nicht nur unter der Trennung von ihren Eltern in sehr jungen Jahren, sondern sie riskieren auch ihr Leben bei der Flucht über die hohen und eisigen Pässe des Himalaya. Viele sterben unterwegs und noch mehr werden von den chinesischen Grenzsoldaten festgenommen und in der Folge ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis geworfen.

Im Jahr 2001 beging die PRC den sogenannten 50. Jahrestag der "Befreiung" Tibets von seiner "feudalen Vergangenheit". Doch im 21. Jahrhundert haben zahlreiche Kinder in Tibet noch niemals ein Klassenzimmer von innen gesehen. Und für diejenigen, welche die Möglichkeit zum Schulbesuch haben, ist die Diskriminierung eine tägliche Realität: beim Lehrplan, bei der Behandlung der Schüler, und ebenso bei der schulischen Ausstattung, dem Unterrichtsstandard, den Kosten und der Lage der Schulen. All diese Faktoren führen zweifellos zu einer immer größeren Zahl an ungebildeten und später arbeitslosen jungen Tibetern. Dieser Stand der Dinge ist nicht nur den tibetischen Kindern abträglich, sondern er wirkt sich auch negativ auf die Zukunft Tibets an sich aus. Die Situation der Erziehung ist so kritisch geworden, daß tibetische Eltern immer mehr zu dem Schluß kommen, die einzige Möglichkeit, um ihren Kindern eine richtige Ausbildung zu verschaffen, bestehe darin, sie unter großem Risiko ins Exil zu schicken.

Wir appellieren an die Weltgemeinschaft, sie möge die chinesische Regierung mit mehr Nachdruck auffordern, den Kindern in Tibet eine freie und gleichberechtigte Erziehung zu gewähren. Wenn die chinesische Kolonisierung so weitergeht wie in den letzten 50 Jahren, wird die gesamte Kultur Tibets mehr und mehr verkümmern und schließlich unter der Pekinger Politik der Gleichschaltung und Assimilierung zugrunde gehen.

II, 3)

3. Das Recht auf Gesundheit

Gesundheit wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "ein Zustand vollkommenen physischen, mentalen und sozialen Wohlergehens und nicht nur als Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechlichkeit definiert". Das Recht auf einen angemessenen Standard in der Gesundheitsfürsorge findet klare und deutliche Erwähnung in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR), der Internationalen Übereinkunft über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR), der Internationalen Übereinkunft über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR), der Internationalen Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (ICERD) und der Internationalen Konvention über die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW), sowie der UN Konvention für die Rechte des Kindes (CRC).

Sowohl der ICERD als auch die CRC treten für das Recht eines jeden ohne Unterscheidung von Rasse, Hautfarbe, Nationalität oder ethnischer Herkunft auf "allgemeine Gesundheit, medizinische Fürsorge, soziale Sicherheit und soziale Einrichtungen" ein. Die CEDAW ächtet in ähnlicher Weise die Diskriminierung von Frauen und spricht ihnen das Recht auf eine adäquate Gesundheitsfürsorge zu.

Während die chinesische Verfassung das Recht auf Gesundheit nicht ausdrücklich garantiert, ist China als Unterzeichnerstaat der genannten Vertragswerke an die in ihnen niedergelegten Normen gebunden. Zu diesem Zweck zählt die chinesische Verfassung Maßnahmen im Hinblick auf die Förderung und den Schutz der Gesundheit der Bürger auf, wobei sie das "Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard, einschließlich einer kontinuierlichen Verbesserung der Lebensbedingungen" anerkennt. Dazu gehört auch das "Recht eines jeden, sich des höchstmöglichen Grades physischer und mentaler Gesundheit zu erfreuen". Dieses Recht beinhaltet, daß Bedingungen geschaffen werden müssen, damit im Krankheitsfalle die medizinische Versorgung für alle garantiert ist.

Der Staat verpflichtet sich außerdem, Gesundheitsfürsorge und medizinische Versorgung weiterzuentwickeln, sowohl die moderne Medizin wie auch traditionelle chinesische Heilsysteme zu fördern, den Aufbau verschiedener Einrichtungen zur medizinischen Versorgung durch landwirtschaftliche Kommunen, staatliche Unternehmen und Nachbarschaftskomitees zu unterstützen und das Hygienewesen auf breiter Basis zu sanieren (Art. 5 der Verfassung der PRC).

Wie dieser Bericht hinreichend dokumentiert, verfehlt China weitgehend, das Recht auf Gesundheit so zu respektieren, wie es von den internationalen Verträgen, die China unterzeichnet hat, definiert wird. Ein Hauptgrund hierfür könnte sein, daß die Gesetze, die China bezüglich der Erhaltung der Gesundheit seiner Bürger erlassen hat, keine spezifischen Maßnahmen nennen, wie das Recht auf Gesundheit realisiert werden soll. Würden in diesen Gesetzen Methoden zu seiner tatsächlichen Verwirklichung genannt, so gebe es für die Tibeter heute vielleicht echte Verbesserungen in der Gesundheitsfürsorge. Internationale Studien und die im Jahr 2001 von tibetischen Flüchtlingen gelieferten Zeugnisse beweisen, daß Tibeter im Unterschied zu ihren chinesischen Mitbürgern immer mehr Schwierigkeiten haben, in den Genuß einer medizinischen Grundversorgung zu kommen.

Der Standard der Gesundheitsfürsorge ist in den einzelnen Regionen Tibets ziemlich unterschiedlich. So gelten in den einzelnen Distrikten verschiedene Regelungen, woraus man schließen kann, daß hier oft die Lokalpolitik mit hineinspielt. Tibeter sehen sich, wenn sie die medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen wollen, in der Regel wegen ihrer Rasse diskriminiert. Flüchtlinge aus dem besetzten Tibet berichten, die Versorgung mit medizinischen Einrichtungen und vor allem der Zugang zu ihnen sei begrenzt, und dort, wo sie zur Verfügung stünden, seien sie unangemessen und minderwertig. Dies gibt Grund zu ernster Sorge, besonders angesichts der rasant zunehmenden Häufigkeit von HIV/AIDS, was nun sogar von China bestätigt wurde. Schließlich gelangte eine Reihe internationaler Studien zu dem Ergebnis, daß Unterernährung auf dem tibetischen Hochland weit verbreitet ist und es eine Reihe lebensbedrohender Krankheiten gibt.

In dem Weißbuch der PRC vom November 2001 wird Tibets "Marsch in Richtung Modernisierung" gepriesen: "... Tibet schreitet auf dem Weg der Modernisierung unentwegt voran und hat bedeutende Errungenschaften gemacht, die weltweite Aufmerksamkeit erregten". Für weniger willkommen hält China sicher die negative Aufmerksamkeit, die es dieses Jahr erfuhr, besonders hinsichtlich der Ernährung der Menschen. Unabhängige medizinische Studien und von der US Botschaft in Peking innerhalb Tibets durchgeführte Recherchen gelangten, was die gesundheitliche Situation der Tibeter angeht, zu gravierenden Resultaten (Nutritional and Health Status of Tibetan Children Living at High Altitudes, New England Journal of Medicine, February 2001; United States Embassy Beijing: Health Policy Challenges the Tibetan Autonomous Region, December 2000). In den Studien wurde vor allem die schlechte Ernährungssituation sowie die Häufigkeit bestimmter endemischer Krankheiten hervorgehoben. Die Studie der US Botschaft in Peking kam zu dem Schluß, daß trotz erheblicher Regierungszuschüsse "... die gesundheitsrelevante Infrastruktur der Region immer noch weit hinter dem übrigen China hinterherhinkt".

a) Statistik versus Realität

Es scheint, daß sich China der Probleme, die eine angemessene medizinische Versorgung einer weitgehend ländlichen Bevölkerung mit sich bringt, voll bewußt ist. In dem Weißbuch vom November 2001 heißt es, daß in Tibet vor 1959 "großer Mangel an Ärzten und Medikamenten herrschte und die meisten Kranken weder Geld für medizinische Betreuung noch Zugang zu Ärzten hatten". Heutzutage verfüge Tibet jedoch über ein umfassendes "Netz der Gesundheitsfürsorge und medizinischer Einrichtungen... welches alle Städte und Dörfer in der Region umfaßt". Trotz dieser optimistischen Rhetorik und trotz beträchtlicher Summen, die in diesen Sektor gepumpt wurden, trifft Pekings Schilderung des Gesundheitswesens in Tibet vor 1959 genau auf die heutige Lage zu. Das macht Pekings Prioritäten, was die Entwicklung Tibets betrifft, besonders im Vergleich zu anderen ländlichen Gebieten Chinas deutlich.

Eine unabhängige 2001 herausgegebene medizinische Studie stellte fest, daß über 50% der von ihr erfaßten 2.087 tibetischen Kinder mäßige oder ernste Wachstumsstörungen aufweisen, was weit über dem in China beobachteten Durchschnitt liegt (Alarming Facts about the Health and Nutrition of Children in Tibet, New England Journal of Medicine, February 2001). Zu Wachstumsstörungen kommt es im Kindesalter als Folge von Ernährungsdefiziten und zahlreichen anderen schädlichen Faktoren. Dazu gehören der schlechte Ernährungszustand der Frauen, das gehäufte Auftreten von Infektions- und anderen Krankheiten, emotionale Belastungen und möglicherweise auch die Auswirkungen des Lebens in großen Höhenlagen. Der Prozentsatz von im Wachstum zurückgebliebenen Kindern erwies sich in nicht-städtischen Gegenden am höchsten, eine Tatsache, die nichts Gutes für die Tibeter, von denen schätzungsweise 80% auf dem Lande leben, verheißt.

Als langfristige Auswirkungen von Wachstumsstörungen wurden Behinderungen in der Persönlichkeitsentwicklung, eine geringere Intelligenz und eine verminderte Arbeitsfähigkeit genannt. Dies hat wiederum schlechte schulische Leistungen und damit beschränkte Beschäftigungsmöglichkeiten zur Folge, was den Teufelskreis der Diskriminierung, dem Tibeter ausgesetzt sind, fortsetzt. Die Häufung von Wachstumsstörungen macht deutlich, daß ihnen das Menschenrecht auf angemessene Ernährung und der Zugang zu medizinischer Versorgung verwehrt wurden. Diese Tatsache wird sich auf die zukünftigen Generationen in Tibet sehr negativ auswirken. Die internationale Studie schließt mit der Beobachtung: "Umfassend kann man sagen, daß die tibetischen Kinder Tag für Tag eine stille Tragödie erleiden, die für viele den Tod bedeutet und die Überlebenden in ihrer Entwicklung beeinträchtigt".

Nach Indien entkommene Flüchtlinge aus dem ganzen tibetischen Hochland bezeugen, daß der Löwenanteil der Gelder, die Peking für den Gesundheitssektor in Tibet bereitstellt, meistens in den Gegenden, wo der Bevölkerungsanteil an Chinesen beachtlich hoch ist, in die Entwicklung der Infrastruktur fließt.

In Chinas Weißbuch vom November 2001 steht, daß kooperative medizinische Zentren mit insgesamt 8.948 Fachkräften, die in 1.237 Einrichtungen tätig sind, 80% der ländlichen Gebiete Tibets versorgen. Die von den Gesundheits-Statistiken gelieferten Zahlen beziehen sich lediglich auf die Erfassung der Bevölkerung mit Schutzimpfungen, das Vorkommen von endemischen Krankheiten, die Sterblichkeitsrate und die Lebenserwartung. Diese Zahlen sollen den verbesserten Standard der Gesundheitsfürsorge beweisen, die dem tibetischen Volk heute zur Verfügung steht. China rühmt sich, daß ständig Gelder in das tibetische Hochland transferiert werden, damit die Gesundheitsfürsorge von allen genutzt und alle in gesundheitlichen Dingen aufgeklärt werden können.

Entgegen dem von Pekings Statistiken entworfenen Bild berichten jedoch tibetische Flüchtlinge, daß ein Großteil der Gelder, die Peking für den Gesundheitssektor in Tibet bereitstellt, in die Entwicklung der Infrastruktur umgelenkt wird, und zwar meistens in Gegenden, in denen sich beachtlich viele Chinesen niedergelassen haben. Praktisch bedeutet dies, daß der Hauptanteil der tatsächlichen Kosten für medizinische Behandlung immer noch von den Patienten selbst aufgebracht werden muß, obwohl Krankenhäuser und Gesundheitszentren stetig verbessert werden. Zudem liegen diese oft für sie in unerreichbarer Ferne.

Neuankömmlinge aus Tibet äußerten sich auch skeptisch hinsichtlich der Verwendung der von internationalen Organisationen zur Verfügung gestellten Gelder. Dhimey aus dem Distrikt Sog in der Präfektur Nagchu, TAR, meinte etwa: "Eine jede Spende, die für die Leute gegeben wird, nehmen die Behörden im Namen des Volkes an sich und benützen sie dann für sich selbst - sie kaufen sich einen Jeep oder einen Generator dafür. Spenden zum Wohle des Volkes bringen dem Volk in Wirklichkeit überhaupt nichts".

Chinas Versuche, eine umfassende Gesundheitsfürsorge in den tibetischen Regionen aufzubauen, werden durch logistische Probleme und finanzielle Engpässe behindert. Es wurden jedoch einige Schritte unternommen, um die Situation zu verbessern, so wurden etwa tibetische medizinische Fachkräfte ausgebildet, die in ihren eigenen Gemeinden tätig sein werden, Restriktionen für die Aktivitäten von Hilfsorganisationen aus dem Ausland in Tibet abgebaut und Gesundheits- und Aufklärungskampagnen gefördert - alles Dinge, die nicht viel kosten, aber beträchtlichen Nutzen bringen.

Die Fähigkeit des Einzelnen, seine Menschenrechte wahrzunehmen, hängt eng damit zusammen, inwieweit er sich der Rechte, die ihm zustehen, bewußt ist. Die Aufklärung über angemessene Ernährung und über ansteckende, aber verhütbare Krankheiten ist daher von äußerster Wichtigkeit. In letzter Zeit in Tibet durchgeführte Untersuchungen "zeigten nicht, daß die PRC nennenswerte Anstrengungen unternommen hätte, um die Bewohner der ländlichen Gebiete Tibets mit Basisinformation über Gesundheit und Hygiene zu versorgen". Die mangelnde Unterrichtung schwangerer Frauen in Gesundheitspflege und Ernährung zeigt, daß es überhaupt keine allgemeine Gesundheitserziehung gibt. Abgesehen von einem unlängst aus dem Distrikt Saga, Präfektur Shigatse, TAR, eingetroffenen Flüchtling verneinte die Mehrheit der Befragten, daß schwangere Frauen Beratung in gesundheitlichen und ernährungsspezifischen Fragen erhalten würden.

Die gegenwärtige Diskussion um HIV/AIDS in China könnte jedoch Bemühungen zu einer besseren Aufklärung zur Folge haben, wie der Generalsekretär einer unlängst in China abgehaltenen HIV/AIDS Konferenz andeutete: "Da es derzeit keine Mittel und Wege gibt, um den HIV Virus auszurotten, sollten alle Stadt- und Dorfbewohner eine diesbezügliche Information erhalten".

b) HIV/AIDS und das Recht auf Leben

Die Zunahme der Prostitution, die den Frauen abträgliche Politik der Geburtenkontrolle und der weitverbreitete Mangel an Aufklärung über Prävention sind die Basis für eine Aids-Krise in Tibet. Innerhalb Chinas scheint man allgemein abgeneigt zu sein, die potentiellen Folgen einer Aids Epidemie ins Auge zu fassen, was schwerwiegende Folgen für Tibet haben könnte. Bekanntlich gedeiht Aids besonders gut bei Bevölkerungsminderheiten, die wenig über Vorbeugung und lebenserhaltende Maßnahmen informiert sind, unter Migranten, bei niedrigem sozio-ökonomischem Niveau und einer unausgeglichenen Dynamik zwischen den Geschlechtern. Auf viele Gegenden in Tibet trifft diese Definition der UNO zu, und angesichts der Grenzen, die Tibet mit China, Indien und Nepal teilt, gibt es genügend Grund, auf das Vorhandensein von Aids in Tibet zu schließen.

Den offiziellen 2001 von den chinesischen Behörden veröffentlichten Daten zufolge, die weithin als eher zu niedrig betrachtet werden, liegt die Zahl von bestätigten Aids-Fällen in ganz China zwischen 600.000 und 1 Million, bei einer jährlichen Anstiegsrate von 30%. Nach der Studie der US Botschaft in Peking gibt es bis jetzt keine bestätigten Aids Fälle in Tibet. Hierbei bezieht diese sich auf die Autonome Region Tibet, unter Ausschluß der tibetisch besiedelten Gebiete in Yunnan und Sichuan, die früher zu Tibet gehörten. Beide Provinzen weisen eine beachtliche Anzahl bestätigter Aids-Fälle auf, wobei Yunnan die meisten Fälle in ganz China verzeichnet. Innerhalb der TAR gibt es keine Einrichtungen für die Durchführung von Aids-Tests, weshalb es unmöglich ist, die Verbreitung des Virus in Tibet zu bestimmen. Das Fehlen bestätigter Aids Fälle sollte daher als Ausdruck dieser Tatsache und nicht des allgemeinen Gesundheitszustandes in Tibet angesehen werden.

Die zukünftige Lage in Tibet wird in großem Maße von den Schritten abhängen, welche die chinesische Regierung zur Bekämpfung der Epidemie ergreifen wird, und wenn sie nicht schnell beginnt, umfassende Aufklärungskampagnen über die Prävention von Aids durchzuführen und Test- und Behandlungsmöglichkeiten in Tibet einzurichten, stehen die Chancen auf eine Beherrschung der Krise schlecht.

HIV/AIDS infizierte Personen haben Anspruch auf das Recht auf Leben, wie auch auf Information und Zugang zu allen Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts. DieICESCR anerkennt ausdrücklich das Recht eines jeden, diese Errungenschaften des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts zu nutzen. Daher haben Personen, die mit Aids infiziert sind, den Anspruch auf Zugang zu lebensverlängernden Behandlungsmethoden und Medikamenten. Alle Länder mit einer ungenügenden Infrastruktur der Gesundheitsfürsorge haben Probleme, diesen Service anzubieten, und Chinas ungeheurer Bevölkerungsreichtum ist auch ein Grund, warum es solche Möglichkeiten nicht auf breiter Basis zur Verfügung stellen kann.

Der Mangel an Aufklärung über Aids-Prävention, der Chinesen wie auch Tibeter betrifft, stellt eine Verletzung des Rechtes auf Information zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dar. Die UN Menschenrechtskommission forderte die Mitgliedsstaaten auf, "gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen und angemessene Aufklärung zu leisten, um den mit Aids infizierten Personen den vollen Genuß ihrer bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gewährleisten." UN Vertreter drängen China ständig, schnellstens entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, denn, "was in den nächsten zwei Jahrzehnten in China geschieht, wird ausschlaggebend sein für die globale Belastung mit HIV/AIDS".

Politische Entscheidungen reifen im Allgemeinen nur langsam, außerdem scheint ihre effektive Durchsetzung eine beschwerliche Aufgabe mit beträchtlichen wirtschaftlichen und sozialen Hindernissen zu sein. China schenkte dem möglichen Ausmaß einer Epidemie bisher keine Beachtung und versäumte es, die Empfehlungen der internationalen Gemeinschaft in seine nationale Gesetzgebung zu inkorporieren; obendrein hat es die bereits unterzeichneten Verträge gebrochen.

Die Zeugnisse von in letzter Zeit in Indien eingetroffenen Flüchtlingen beweisen, daß es keinerlei Aufklärungsarbeit über HIV/AIDS und deren Prävention gibt. Die Mehrheit der Neuankömmlinge aus Tibet stellt fest: "Bei uns weiß niemand etwas über diese Sache, in Tibet hat keiner diese Krankheit". Alle erklären einstimmig: "In unserem Dorf gibt es kein Aids. Es heißt, in großen Städten gehe eine schreckliche Krankheit um. Die Leute auf dem Dorf sprechen darüber, während die Regierung und die Krankenhäuser schweigen".

In China dauerte es 13 Jahre, bis nach dem ersten bestätigten Aids Fall 1985 medizinische Einrichtungen zur Vorbeugung und Kontrolle dieser Infektionskrankheit geschaffen wurden. Das ist ein Anzeichen für Chinas Unfähigkeit, die drohende Krise in den Griff zu bekommen; außerdem zeigt ein derartiges Verhalten, daß China den Ernst der drohenden Epidemie gar nicht wahrhaben will, was wiederum ein Hindernis für die Durchführung präventiver Kampagnen darstellt. Einer genauen Information der Bevölkerung über Vorbeugungsmaßnahmen steht in der PRC darüber hinaus die "traditionelle Moral" im Wege, die an Aids leidende Menschen ins Abseits stellt.

Dieser diskriminierenden Haltung und dem mangelnden Bewußtsein der tatsächlichen Gefahr kann nur durch eine Aufklärungsstrategie begegnet werden, die HIV/AIDS als ein komplexes soziales Problem erkennt, bei dem konservativen Haltungen, der geschlechtsspezifischen Dynamik, der öffentlichen Gesundheit und Programmen für eine langfristige Behandlung Rechnung getragen werden muß. "Erst vor kurzem wurde offiziell zugegeben, daß es so ein Problem überhaupt gibt; tröpfchenweise kommen nun die Informationen über die Häufigkeit von HIV-Erkrankungen sowohl in ländlichen als auch städtischen Regionen aus China." Jetzt, wo HIV/AIDS immer mehr in die Gesellschaft eindringt, beginnt sich wegen des hohen Risikos allmählich die Haltung zu diesem Thema und die Art und Weise, wie man darüber spricht, zu ändern.

Im November 2001 hielt China seine erste nationale HIV/AIDS Konferenz ab, an der Regierungsvertreter, Spezialisten aus dem In- und Ausland sowie auch Aids-Infizierte teilnahmen. Gleichzeitig wurde eine nationale Kampagne gestartet, um die Aufmerksamkeit der Leute zu wecken, was als Zeichen für einen Klimawechsel auf politischer Ebene angesehen werden kann. Es scheint, daß die Pekinger Regierung keine andere Wahl hat, als Aufklärungsprogramme zu starten, ihre Politik zu revidieren und den medizinischen Standard bei Untersuchung, Diagnose und Behandlung zu verbessern. Obwohl derartige Maßnahmen bei der Konferenz im November bereits beschlossen wurden, sind sie in Tibet weit davon entfernt, in die Tat umgesetzt zu werden.

Trotz der ständigen Betonung der Wichtigkeit zentral organisierter Aufklärungskampagnen bestimmen in Tibet die lokalen Funktionäre, welche Informationen zu den Menschen gelangen. Ein Bauer aus dem Kreis Tingri, Präfektur Shigatse, TAR, erinnert sich an ein Meeting, wo lokale Kader vor der Gefahr des Besuchs von Prostituierten warnten: "Sie sagten, wenn wir sexuellen Kontakt mit Prostituierten hätten, bekämen wir Aids. Und wenn man sich erst selbst einmal angesteckt habe, dann gehe diese Krankheit auch auf die nächste Person über, mit der man sexuelle Beziehungen habe. Ich weiß nicht, ob das stimmt oder nicht".

Weiterhin erklärte man ihm, es gebe keine Mittel zur Vorbeugung, mit denen er sich vor der Krankheit schützen könne. Was immer die Leute in Tibet an offizieller Information erhalten, scheint HIV/AIDS mit städtischen Siedlungsgebieten in Verbindung zu bringen, und den Eindruck zu erwecken, daß die Infektion nur das Sexgewerbe betrifft.

Das Vorkommen von HIV/AIDS in Tibet könnte sich außerdem auf das bereits epidemische Ausmaß von Tuberkulose in Tibet auswirken. Da HIV/AIDS das Immunsystem angreift, nimmt auch die Gefahr von Neuinfektionen mit TBC zu.

c) Zugang zu Vorsorgeeinrichtungen

Die neu angekommenen Flüchtlinge aus Tibet nennen durchweg die Unangemessenheit der medizinischen Versorgungseinrichtungen als ein Schlüsselproblem, d.h. die hohen Kosten und der mäßige Standard der Behandlung, die oft große Entfernung zu den Einrichtungen und die ethnische Diskriminierung, unter der tibetische Patienten in den Städten zu leiden haben. Die hohen Summen, die verlangt werden, damit man überhaupt ärztlich behandelt wird, bezeichnen Tibeter überall auf dem Hochland als ein ernstes Hindernis. Diese beinhalten Kautionen, Gebühren für Diagnose und Behandlung, "Bett- Gebühren" für die Aufnahe in das Krankenhaus, Kosten für Medikamente und für die "Versicherung".

In den meisten medizinischen Einrichtungen ist es Pflicht, eine Anzahlung zu leisten, um überhaupt aufgenommen zu werden. Die Höhe der geforderten Summe richtet sich nach dem sozial-ökonomischen Status des Patienten, womit die Mehrheit der Tibeter von vornherein ausgeschlossen ist. Wie aus unseren Quellen hervorgeht, können diejenigen mit guanxi oder Beziehungen zu höheren Beamten den verlangten Betrag der Kaution aushandeln. Tibeter hingegen sind kaum in der Lage, solche Kontakte herzustellen oder davon zu profitieren. So berichtete ein Mann aus der Gemeinde Yanang, Kreis Sog, Präfektur Nagchu, TAR: "Das Distrikthospital nahm grundsätzlich keine Patienten zur Behandlung auf, die nicht im voraus 2.000 Yuan (235 US$) gezahlt haben, ganz gleich wie ernst ihr Zustand war". Dieselbe Klage zieht sich durch alle unzähligen Zeugnisse, wobei nur die Höhe der zu hinterlegenden Summe variiert. Obwohl die Kautionen rückerstattbar sind, übersteigen die bar zu hinterlegenden Summen die Mittel eines durchschnittlichen tibetischen Patienten.

In manchen Gegenden kann in Ermangelung genügender Barmittel auch ein "Pfand" hinterlegt werden. Aus der Gemeinde Sado, Präfektur Chamdo, TAR, hört man, daß manche Familien wertvollen Korallen- oder Türkisschmuck als Garantie hinterlegten. Es heißt, daß derartige Kautionen für chinesische Patienten oder Tibeter im Staatsdienst reduziert werden oder ganz entfallen. Da es keine genauen Regeln für die Festlegung der Aufnahmegebühren für den Zugang zur Gesundheitsfürsorge gibt, variieren sie zwischen den einzelnen Distrikten und Präfekturen in Tibet sehr häufig. Die einzelnen Kliniken, Behandlungszentren und Ärzte setzen die Gebühren für ihr jeweiliges Gebiet nach ihrem eigenen Gutdünken fest, weshalb man nicht alleine den Staat für solche Unsitten verantwortlich machen kann.

Ebenfalls muß in den meisten medizinischen Zentren ein themto (chin. hukou) oder eine Geburtsurkunde vorgelegt werden, um aufgenommen zu werden. Damit sind wiederum diejenigen Kinder benachteiligt, die "über die erlaubte Quote" oder Anzahl von Kindern pro Familie hinaus geboren sind, denn ihnen wird der themto vorenthalten. Ihre Eltern, die kein Anrecht auf Beihilfe zur Gesundheitsfürsorge haben, müssen die gesamten Kosten für die Behandlung eines solchen Kindes zahlen oder versuchen, auf krummen Wegen einen themto zu ergattern.

Die von uns Interviewten beschreiben "Pässe" oder "Karten" als ein weiteres Hindernis im Hinblick auf die medizinische Behandlung. So wurden Karten verschiedener Farben gedruckt, die ihre Inhaber zur Beihilfe oder zu ganz freier medizinischer Versorgung berechtigen. Ein junger Mann aus der Gemeinde Yanag, Präfektur Nagchu, berichtet, daß "dieses Jahr erneut von allen Einwohnern 20 Yuan für die Krankenversicherung einkassiert wurden, wofür sie eine Karte bekamen. Aber niemand hatte einen Vorteil von dieser willkürlichen Geldeintreibung. Die Tibeter versuchen daher, sich dieser Zahlung zu entziehen.

"Ein Regierungsbeamter kassierte 20 Yuan von jeder Person und sagte, wir bekämen eine Karte für das Hospital. 2000 nahmen sie ebenfalls jedem Einwohner 20 Yuan ab. Wir sollten angeblich eine grüne Karte bekommen, aber bislang hat noch niemand diese gesehen. Sie erklärten uns, mit solch einer Erlaubniskarte brauchten wir nichts mehr für ärztliche Behandlung zu bezahlen". Anderen von uns interviewten Personen wurde gesagt, diese Karten seien eine Art von Versicherung.

Nach der Hinterlegung einer Kaution liegen die Kosten für die Behandlung noch zwischen 1.000 und 3.000 Yuan (117-235 US$). Um die Relationen deutlich zu machen: Ein vor kurzem ins Exil gegangener Forstarbeiter berichtete, sein durchschnittlicher Jahreslohn sei 3.000 Yuan gewesen. Ein Mann aus der Gemeinde Chungpo, Kreis Tengchen, Präfektur Chamdo, TAR, drückte sich so aus: "Wenn arme Leute krank werden, können sie von unserem Hospital keine Hilfe erwarten..., kommt ein armer Kerl nicht von alleine wieder auf die Beine, muß er eben sterben".

d) Der Entfernungsfaktor

Flüchtlinge aus ganz Tibet klagen über den Mangel an medizinischer Betreuung auf Dorf- und Gemeindeebene. Medizinische Einrichtungen sind meistens auf die Kreis- und größeren Städte beschränkt, und der Weg dorthin bedeutet also oft, daß die Landbevölkerung (schätzungsweise über 80% aller Tibeter) eine beträchtliche Strecke zurücklegen muß. Die Behauptung der Chinesen, daß "heutzutage überall medizinische Einrichtungen zu finden sind", ist daher nichts als ein Mythos der Bürokratie.

Durch das Fehlen von Straßen oder Transportmitteln ergeben sich für viele Tibeter auf dem Lande große Probleme, zu den entfernten medizinischen Einrichtungen zu gelangen, was sich besonders bei Notfällen fatal auswirkt. So klagte uns ein ehemaliger Landwirt aus dem Kreis Tengchen, Präfektur Chamdo: "Es gibt keine ordentliche Straße zu unserem Dorf. Man muß zwei Tage lang reiten, um ins Krankenhaus zu gelangen. Mit einem Geländefahrzeug könnte man jedoch in zwei Stunden hinkommen". Ein Mann aus der TAP Malho, Qinghai, den wir interviewten, berichtete, daß, wenn jemand in seiner Gegend ernstlich krank würde, man ihn auf dem Rücksitz eines Motorrades in die nächste Klinik bringen müsse, selbst wenn sein Zustand sehr bedenklich ist. Ähnlich liegt für einen Mann aus dem Kreis Ngamring, TAR, die nächste Krankenstation sechs Stunden zu Fuß entfernt.

e) Rassische Diskriminierung

Die Internationale Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (ICERD) sichert jedermann ohne Unterschied von Rasse, Hautfarbe, nationaler oder ethnischer Herkunft "das Recht auf allgemeine Gesundheit, medizinische Versorgung, soziale Sicherheit und soziale Dienste zu". China pocht fortwährend auf die Verbesserungen im Gesundheitswesen und der medizinischen Versorgung als Beweis für den sozialen Fortschritt in den tibetischen Regionen. Die neu eingerichteten medizinischen Dienste werden jedoch von den Tibetern vielfach als diskriminierend empfunden, weil dort zuwenig tibetisches Personal angestellt ist und zuwenig tibetische Medizin angewandt wird.

Flüchtlinge aus Tibet erzählen weiterhin, die in den Krankenhäusern praktizierte Allopathie sei ihnen nicht vertraut, und das Fehlen von tibetischen Angestellten steigere die Ängste und Unzufriedenheit vieler Patienten. So erklärte einer von ihnen: "Tibeter, die kein Chinesisch sprechen oder lesen können, haben große Probleme in den Hospitälern. Das Ausfüllen der Formulare und alle weiteren Schritte müssen auf Chinesisch erfolgen". Eine Tibeterin aus der Gemeinde Serzhung, Kreis Saga, TAR, erzählte, in dem Hospital in ihrer Gemeinde "seien außer einem tibetischen Arzt und drei tibetischen Sanitätern alle übrigen Angestellten Chinesen". Wegen des Fehlens von tibetischem Personal ist oftmals die Kommunikation sehr schwierig. Der Mangel an tibetischen Dolmetschern läßt befürchten, daß man die Tibeter nicht genügend informiert oder sie einfach Operationen unterzieht, ohne ihre Einstimmung einzuholen.

Die chinesische Rassendiskriminierung wirkt sogar noch in der Welt der Fachleute fort. Ein Absolvent des Tibetan Medical College in Lhasa berichtete, daß er keinen aktiven Beitrag zu einem internationalen Symposium über "Tibetische Medizin in der Welt" leisten konnte, an dem Vertreter aus Indien, Rußland, USA, Japan und Frankreich teilnahmen, weil es auf Chinesisch abgehalten wurde: "Sie sprachen alle über tibetische Medizin..., aber Chinesisch war die Hauptsprache, und weil wir kaum etwas verstanden, gingen wir später nicht mehr hin". China bemüht sich, die tibetische Medizin international zu fördern, doch von einer Anerkennung dieser Heilmethode ist in Tibet leider nicht viel zu bemerken.

2001 erzählten Neuankömmlinge im Exil von einigen Kliniken, die von Tibetern betrieben werden und keine Unterstützung von der Zentralregierung erhalten. Ein Mönch aus dem Distrikt Ngaba, Sichuan, berichtete etwa, daß die Krankenstation in seinem Kloster Ganden Choephel Ling die Bevölkerung mitversorge, wobei "akzeptiert wird, wenn die Leute die Gebühren für die Behandlung später zahlen". Ein Nomade aus dem Distrikt Derge, Präfektur Chamdo, TAR, erwähnte eine tibetische Ambulanz in einem Dorf in der Nähe, wo "... man etwas geben kann, wenn man Geld hat, aber auch nicht zu zahlen braucht, wenn man kein Geld hat". Die in den traditionellen, von Tibetern betriebenen Einrichtungen angebotene Behandlung ist eher zugänglich und erschwinglich, und wenn sie etwas Beihilfe von der Zentralregierung erhalten, dann nur insofern, als sie das Budget der allgemeinen Gesundheitsfürsorge entlasten.

Andererseits gibt es Berichte über Tibeter, die sterben müssen, weil sie die Kaution für die Aufnahme in die Krankenstationen nicht zahlen können. Das wachsende Vertrauen in die tibetische Heilkunde und ihre zunehmende Beliebtheit zeigen, daß sie leichter von denjenigen genutzt werden kann, die mit der Behandlungsweise der Chinesen unzufrieden sind oder sie sich nicht leisten können. Damit eine größere Zahl von Tibetern in den Genuß einer angemessenen medizinischen Versorgung kommt, ist es wichtig, die Ausbildung tibetischer Ärzte und Heilkundiger zu fördern. Es sollten vermehrt Tibeter zur medizinischen Betreuung ihrer eigenen Gemeinden herangezogen werden, andernfalls wird sich die gesundheitliche Lage der Bevölkerung nicht verbessern.

f) Unklarheiten bei der Behandlung

Eine von der Pekinger US Botschaft durchgeführte Erkundungsmission kam zu dem Schluß, daß die 8.984 im Medizinbereich Beschäftigten, die angeblich 80% der Gemeinden Tibets versorgen sollen, wohl nur auf dem Papier existieren. Die Regierung räumte ein, daß es Probleme bei der Ausbildung und der Besoldung gebe. Die Folge davon ist eine schlechte Leistung dieser sogenannten "Gesundheitsarbeiter" und ein mangelndes Vertrauen der Bevölkerung in sie. Nach Indien geflüchtete Tibeter erzählen, die Leute hielten nicht viel von der Behandlung, die vom chinesischen Gesundheitssystem angeboten wird. Ein Informant aus der Gemeinde Chungpo, Kreis Tengchen, Präfektur Chamdo, TAR, meinte etwa: "Wenn es wirklich gute Ärzte gibt, dann hat die Bevölkerung auch Vertrauen zu ihnen. Aber die wenigsten sind qualifiziert".

Obwohl die chinesische Regierung angibt, in Tibet seien über 8.000 Personen im öffentlichen Gesundheitswesen beschäftigt, sind viele davon Leute vom Land, die für ihre Dienste nur gering entlohnt werden und oft nur über eine ungenügende Ausbildung und Medikamente verfügen, weshalb man sie eher als Kurpfuscher bezeichnen könnte. Ein neu eingetroffener Flüchtling aus dem Kreis Pomda, Präfektur Chamdo, TAR, erzählte von einem Mann in seinem Dorf, der "Medikamente nach ihrem angegebenen Verfallsdatum ausgab, die kaum etwas halfen und für die er gar noch Geld kassierte. Er besitzt überhaupt keine medizinische Ausbildung... und bekommt 30 Yuan (3,50 US$) pro Monat von der Regierung". Hilfsorganisationen aus dem Ausland wurden bereits 1997 auf den schlechten Ausbildungsstand und die geringen Fähigkeiten des im Gesundheitswesen tätigen Personals aufmerksam.

Das Vertrauen der Bevölkerung in die angebotenen Leistungen des Gesundheitswesens ist Voraussetzung für den Aufbau eines funktionierenden Systems. In Tibet wäre zu diesem Zweck eine beachtliche Leistungsverbesserung vonnöten. Die Tibeter sind oft nicht gewillt, medizinische Einrichtungen aufzusuchen, in denen das Personal schlecht ausgebildet ist und es an qualifizierter Behandlung und den notwendigsten Medikamenten fehlt, weshalb sie kein Vertrauen in das System haben. In dem Bericht der US Botschaft kommt dies ebenfalls zum Ausdruck: "Angesichts der Risiken des Krankentransportes bis zu einem Hospital und der Unsicherheit über die Behandlung, die sie dort erwartet, lassen es viele Patienten, sogar in Notfällen, darauf ankommen und bleiben zu Hause".

Neu im Exil eingetroffene Tibeter berichteten, die Leute klagten hauptsächlich über die hohen Kosten, den mangelnden Vorrat an Medikamenten und deren Wirkungslosigkeit. Sie berichten über Pflichtverletzungen seitens des Personals bei der Behandlung von Patienten, die des Lesens und Schreibens unkundig sind oder nur eine geringe Bildung besitzen. Da die Ärzte wissen, daß solche Patienten ihre Rezepte nicht lesen können, verabreichen sie ihnen bereits abgelaufene oder falsche Medikamente. Es heißt, daß viele Kreishospitäler ihre abgelaufenen Medikamente an die ländlichen Gegenden weiterreichen. Daher erweisen sich die den Patienten verabreichten Arzneien oft als unwirksam oder sie verschlimmern gar noch ihre Beschwerden.

Es wird auch berichtet, daß unterfinanzierte medizinische Zentren den Preis der Medikamente eigenmächtig anheben, um ihre Einkünfte zu verbessern. So werden teuere oder nicht wirklich notwendige Medikamente als für das Weiterleben unerläßlich dargestellt: "Wenn man ernstlich krank ist und Angst hat zu sterben, dann sagen sie einem, man könne nur gesund werden, wenn man ein bestimmtes Medikament einnähme, und es bliebe einem selbst überlassen, ob man es kaufen wolle oder nicht. In solch einer Notlage kaufen die Patienten dann die Arznei".

Krankheiten wie Tuberkulose, Kaschin-Beck (osteoarthritis deformans = symmetrische Deformierung der Extremitätengelenke, Minderwuchs, zurückgebliebene Entwicklung), Lepra und Hepatitis sind in Tibet alarmierend häufig. Nach Schätzungen aus einer Quelle, liegt die Häufigkeit von TBC in manchen Gegenden Tibets bei bis zu 20%. Andere im Hochland häufig auftretende Krankheiten sind Atemwegsbeschwerden, Durchfallerkrankungen, Verdauungsstörungen, Rachitis, Kropfbildung, Augeninfektionen und Herz-, Lungen- und Leberleiden. Die auffällige Häufigkeit dieser trivialen aber durchaus vermeidbaren Krankheiten beweist, daß die von den Chinesen angebotene Gesundheitsvorsorge und Gesundheitserziehung sich nicht nennenswert über die Stadtzentren hinaus erstreckt.

Die ICESCR weist die Mitgliedsstaaten darauf hin, daß "die Vorbeugung, Behandlung und Kontrolle von epidemischen, endemischen, berufsbedingten und anderen Krankheiten" im Hinblick auf die Erreichung des bestmöglichen Standards im Gesundheitswesen für sie von höchster Bedeutung ist; hierzu zählt auch die Pflichtschutzimpfung. China behauptet, die Versorgung der Bevölkerung mit Schutzimpfungen liege bei vielen Infektionskrankheiten bei nahezu 100%. Dennoch erhalten die Kinder in Tibet keinen entsprechenden Impfschutz. Wie bei den anderen medizinischen Leistungen auch berichten Neuankömmlinge darüber, daß der Impfschutz in den verschiedenen Gegenden sehr unterschiedlich gehandhabt werde. In den meisten Regionen Tibets scheinen jedoch, wenn überhaupt geimpft wird, Injektionen nur für Babys und Kleinkinder bereit zu stehen, während Erwachsene nur dann eine Injektion bekommen, wenn sie bereits ernste Krankheitssymptome aufweisen.

Wie ein im Exil lebender Arzt aus Tibet berichtet, organisieren Krankenhäuser in größeren Gemeinden routinemäßig Schutzimpfungen; Kinder von Bauern und Nomaden unterstehen jedoch der Verantwortung von Sanitätern, die eine Abneigung dagegen haben, in die ländlichen Bezirke zu reisen. Nach den Aussagen von Neuankömmlingen aus ländlichen Gebieten sind Schutzimpfungen in Tibet eher selten: "Die Regierung macht keine vorsorglichen Impfungen". In anderen Gegenden "werden, wenn die Kinder zwei oder drei Jahre alt sind, von dem Kreiszentrum tibetische Ärzte zu ihnen geschickt, um sie zu impfen. Sie kommen einmal im Jahr und verlangen keine Gebühren". Diese Ausnahmen geben Anlaß zu der Vermutung, daß die medizinische Vernachlässigung der Kinder auf dem Lande weniger der staatlichen Politik als einem Mangel an deren effektiver Durchsetzung zuzuschreiben ist.

g) Das Wohl der Frauen

Eine Reihe von internationalen Vertragswerken garantiert Frauen, was ihre Gesundheit, insbesondere die Fortpflanzungsrechte, betrifft, besonderen Schutz. Die Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW) macht deutlich, daß eine Politik der Geburtenkontrolle nicht mit Zwang oder Gewalt durchgesetzt werden darf, sondern auf freier Entscheidung, entsprechender Aufklärung und wirtschaftlicher Sicherheit beruhen muß. China hat schon vor über einem Jahrzehnt die CEDAW unterzeichnet und ist durch die Ratifizierung dieser Konvention verpflichtet, sich an deren Artikel zu halten. Ebenso wendet sich der Art. 2 der chinesischen Verfassung gegen die Diskriminierung von Frauen.

China handelt der Auslegung des CEDAW Komitees zuwider, die besagt, daß Zwangssterilisierungen und Abtreibungen Eingriffe sind, welche die physische und mentale Gesundheit von Frauen beeinträchtigen und daher als eine Art von Gewalt gegen Frauen einzustufen sind. Die PRC unterließ es weiterhin, den Artikel 10(h) der CEDAW in die Tat umzusetzen, der den einzelnen Staaten zur Auflage macht, die Bevölkerung in angemessener Weise über alles, was zur Erhaltung der Gesundheit und zum Wohlergehen der Familien notwendig ist, zu informieren, wozu auch Beratung in der Familienplanung gehört. Die Flüchtlinge aus Tibet nennen im Widerspruch hierzu die Familienplanungsmaßnahmen der Chinesen als eines der schwerwiegendsten Probleme für tibetische Frauen und folglich für die tibetische Gemeinschaft als ganzes.

Art. 25 der Verfassung der PRC verlangt, daß der Staat "die Familienplanung fördert, damit das Bevölkerungswachstum den Vorgaben für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung entspricht". China antwortete auf eine Anfrage der CEDAW: "Die in Tibet betriebene Familienplanungspolitik... ermutigt zu wenigen, aber gesunden Geburten..., wobei der tibetischen kulturellen Tradition volle Achtung gezollt wird". Die in Tibet praktizierten Methoden sind jedoch weit von diesem Ideal entfernt. Zeugnisse von gerade geflohenen Tibetern beweisen, daß die in Tibet verfolgte Politik zwar den Plänen der chinesischen Regierung entspricht, aber die sich aus ihr ergebende wirtschaftliche und soziale Entwicklung die Bedürfnisse und Rechte der Tibeter nicht berücksichtigt.

Nach der UN Konvention über die Verhinderung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes stellt jede Handlung, die "mit der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Volksgruppe ganz oder teilweise zu vernichten, Genozid" dar. Dazu gehört auch die Durchführung von Maßnahmen, um Geburten in einer speziellen Volksgruppe zu verhindern. Chinas Politik der Geburtenkontrolle hat zusammen mit dem massiven Bevölkerungstransfer von Chinesen auf das Hochland die Tibeter in den drei ursprünglichen Regionen Tibets bereits zu einer Minderheit im eigenen Land gemacht. Ob hinter diesen Strategien gar die "Absicht" steckt, die Tibeter als Volksgruppe zum Verschwinden zu bringen, wird sich noch herausstellen. Es läßt sich jedoch nicht bestreiten, daß beide Praktiken von den Tibetern allgemein als ein bewußt angewandtes Mittel wahrgenommen werden, um den tibetischen Bevölkerungsanteil einzuschränken und unter Kontrolle zu halten.

Pekings Familienplanungspolitik weist in den einzelnen Regionen beträchtliche Unterschiede auf. Die Frauen in Tibet sind jedoch besonderen Regeln unterworfen, deren Einhaltung streng gefordert, wenn nicht erzwungen wird. Die Methoden der Familienplanung sind Kontrazeptiva (Tabletten, Pessare und Implantate mit Langzeitwirkung in den Unterarm), sowie Operationen zum Zweck der Abtreibung oder Sterilisierung. In manchen Gegenden gelten spezielle Vorschriften, denen zufolge Frauen erst ab einem bestimmten Alter heiraten dürfen, sich vor der Empfängnis eine Erlaubnis abholen und eine bestimmte Wartefrist bis zur nächsten Geburt einhalten, ihren monatlichen Zyklus verfolgen und periodische Untersuchungen auf eine eventuelle Schwangerschaft über sich ergehen lassen müssen. In manchen Regionen müssen die Frauen auch ein Zertifikat bei sich haben, auf dem die Anzahl ihrer Kinder, das Intervall zwischen den Geburten und ihre eventuelle Sterilisierung vermerkt sind. Wegen der bei den Maßnahmen zur Familienplanung erlittenen Unbill zögern tibetische Frauen oft, für die Erhaltung ihrer eigenen Gesundheit und die ihrer Familie medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

In ihrem Eifer, ihre Quoten an sterilisierten Frauen und an "Geburten mit korrektem Abstand" zu erreichen, greift die Obrigkeit zu jedem nur möglichen Mittel, um ihren Zweck zu erreichen, darunter zu psychologischem Druck, wirtschaftlichen Strafen und Gewalt. Wenn die Beamten ihr Plansoll nicht erreichen, laufen sie Gefahr, bestraft zu werden oder ihre Stelle zu verlieren. Obwohl Tibet eines der am dünnsten besiedelten Gebiete der Erde ist, das noch unter der von China für diese Region festgesetzten Bevölkerungswachstumsrate liegt, werden dem tibetischen Volk derartig drastische Maßnahmen aufgezwungen. Das steht in offenem Widerspruch zu Pekings Begründung für die Anordnung harter Maßnahmen zur Familienplanung.

Chinas Familienplanungspolitik weist Züge auf, die einer eugenischen Kontrolle der Bevölkerung gleichkommen. "Die Qualität der Bevölkerung verbessern" wird von China als ein legitimes Ziel angesehen, ebenso wie Maßnahmen zur Gewährleistung dieses Zieles. Nach dem chinesischen "Gesundheitsfürsorgegesetz für Mutter und Kind" ist es Personen mit "schweren Erbkrankheiten, per Gesetz bestimmten ansteckenden Krankheiten oder ernsthaften mentalen Störungen" verboten, Kinder zu bekommen. Obwohl die PRC auf internationaler Ebene dieser Haltung wegen streng kritisiert wird, geht der Staat nicht von seiner Forderung nach "Rassereinheit" ab. Dies ist ein weiterer besorgniserregender Umstand der Familienplanungspraxis, unter der tibetische Familien zu leiden haben.

h) Einseitige Benachteiligung bei der Geburtenkontrolle

Weder in den Berichten von geflohenen Tibetern, noch den offiziellen Aussagen chinesischer Politiker, ist die Rede davon, daß auch Männer von den Familienplanungsmaßnahmen betroffen sind. Die Frauen haben die Hauptlast zu tragen. Alle Maßnahmen zur Geburtenkontrolle in Tibet gelten nur den Frauen, etwa der Besuch von Geburtenkontroll-Versammlungen, Geldstrafen und andere Bußen bei Mißachtung der Vorschriften. 1999 machte der China-Berichterstatter von CEDAW Peking folgenden Vorwurf: "... geht man davon aus, daß die Vasektomie ein viel kleinerer Eingriff als die Tubenligatur ist, kommt die Sterilisierung von Frauen allein ihrer Diskriminierung gleich". Peking reagierte weder politisch noch in seiner Praxis auf diesen Tadel.

i) Der Staat entzieht sich der Verantwortung

Chinas Familienplanungspolitik entläßt den Staat aus seiner Verantwortung für Kinder, die ohne seine Billigung geboren werden. Dies bedeutet eine Diskriminierung bestimmter Kinder von Gesetzes wegen. Ein solches Kind erhält keine Geburtsurkunde und ist daher von der Beihilfe für Erziehung, Wohnung, Nahrungsmittel, Unterbringung in Tagesstätten oder medizinischer Vorsorge ausgeschlossen.

Die ICCPR (Internationale Übereinkunft über Bürgerliche und Politische Rechte) legt fest, daß "jeder überall vor dem Gesetz das Recht auf Anerkennung als Person haben muß". Jedes Kind muß daher im Rahmen seines Rechtes auf Schutz, der einem Minderjährigen gebührt, auch "... unmittelbar nach seiner Geburt registriert werden". Indem China tibetische Familien diskriminiert, verstößt es auch gegen die ICESCR (Internationale Übereinkunft über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte), da es versäumt, den geforderten "Schutz und Beistand für alle Kinder und Jugendliche ohne Diskriminierung aus Gründen der Herkunft" zu leisten. Obgleich die PRC diese Prinzipien in ihre Verfassung aufgenommen hat, sind sie in der Praxis meilenweit von der Verwirklichung entfernt.

China erklärt, daß seine Familienplanungspolitik Vorrang besitze über den Art. 6 der Übereinkunft über die Rechte des Kindes, worin die Staaten angewiesen werden, "...das Überleben und die Entwicklung des Kindes im größtmöglichen Ausmaß sicherzustellen". Chinas Abwertung dieses Artikels wertet den Rechtsstatus von Kindern ab und mutet ihrer Familie zu, alles für das Kind Notwendige bereitzustellen und außerdem noch erhöhte Überwachung und öffentliche Kritik zu ertragen. Es heißt, daß Familien, die sich an die Vorschriften halten, in gewissen Bereichen bevorzugt behandelt werden, etwa bei der Aufnahme in die Schule und der Vergabe von Arbeitsstellen.

Im September 2001 berichtete ein Neuankömmling über Familien, "....die mehr Kinder als haben das Limit erlaubt: dann kann das zusätzliche Kind nicht zur Schule gehen. Wenn ein solches Kind geboren wird, teilen sie es den Behörden gar nicht erst mit". Dadurch, daß sie die Geburt eines "überzähligen" Kindes vor den Regierungsbeamten geheimhält, kann die Familie vielleicht einer Geldstrafe entgehen, muß dafür aber auf Gesundheitsfürsorge, Schulbildung, soziale Leistungen und zukünftige Berufschancen für das Kind verzichten.

Eine weitere Verletzung der staatlichen Verpflichtung, die bestmögliche Entwicklung eines Kindes sicherzustellen, besteht, wie die große Mehrheit der Interviewten aus Tibet berichtet, darin, daß die Regierung schwangere Frauen nicht unterstützt und berät. Was die medizinische Beratung und Bildung in Gesundheits- und Ernährungsfragen betrifft, "gibt es niemand, der schwangeren Frauen Anleitung gibt, sie müssen selbst für sich sorgen".

j) Geburtenkontrolle

Infolge Pekings Programm zur Geburtenkontrolle können Tibeter die Größe ihrer Familie nicht mehr selbst bestimmen. China widersetzt sich dem Art. 16 der CEDAW (Internationale Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen), der das Recht von Familien artikuliert, die Anzahl ihrer Kinder und den Abstand zwischen den Geburten frei zu bestimmen. Eine ehemalige Angestellte des Xinghai County Nursing Hospital, Tsigorthang, TAP Tsolho, Qinghai, die kürzlich ins Exil floh, bestätigte Berichte, daß die Regierung die pro Familie erlaubten Geburten in Abhängigkeit vom Wohnort und der Beschäftigung der Familie festlegt. Außerdem würde strikt ein Mindestabstand von zwei bis drei Jahren zwischen den einzelnen Kindern gefordert.

k) Abschreckung durch Strafen

Aus den Interviews mit Flüchtlingen geht hervor, welche Strafen die Frauen, ihre Angehörigen und möglicherweise auch noch ihre Arbeitseinheiten zu gewärtigen haben, wenn sie sich nicht an die Vorschriften zur Familienplanung halten. Das können Geldstrafen sein, der Ausschluß der über das Limit hinaus geborenen Kinder von Sozialleistungen, die Enteignung von Land oder Tieren, der Verlust des Arbeitsplatzes, Lohnabzüge und öffentliche Kritik. Derartige drastische Strafen üben auf die Frauen eine abschreckende Wirkung aus. Die Geldbußen können das Jahreseinkommen einer Familie übersteigen, wobei einige Flüchtlinge über Summen von 1.000 – 5.000 Yuan (bis zu 588 US$) sprachen. Die Geldbußen können außerdem noch mit fortdauernder Diskriminierung verbunden sein, zum Beispiel mit öffentlicher Kritik, Lohnabzügen oder der Unsicherheit des Arbeitsplatzes.

Für die chinesischen Beamten stellen die den tibetischen Familien im Zusammenhang mit der Geburtenkontrolle auferlegten Geldstrafen beträchtliche Einkünfte dar. Im Widerspruch zu Chinas Behauptung, daß die Einführung neuer Geburtenkontrollprogramme den Familien "helfe, reicher zu werden", geraten tibetische Familien durch diese Programme in Not, während chinesische Beamte für die Durchsetzung der Regierungsquoten finanzielle Vergünstigungen erhalten. Es werden auch finanzielle Anreize für die Anzeige von Frauen geboten, die gegen die Vorschriften zur Familienplanung verstoßen haben. Aus einem Interview mit einem Tibeter aus Sangchu, TAP Gannan, Gansu, geht hervor, daß die Behörden 300 Yuan (35 US$) als Belohnung in Aussicht stellen, wenn jemand eine Frau anzeigt, welche die Vorschriften mißachtet. Da sich viele Familien in einer finanziellen Notlage befinden, könnte solch ein Wink mit Barem über ihren Gemeinschaftssinn siegen.

l) Abtreibung und Sterilisation

China verstößt wie gesagt unmittelbar gegen die Allgemeine Empfehlung 19 der CEDAW, welche Zwangssterilisationen und Abtreibungen als Akte der Gewalt gegen Frauen einstuft. Doch werden solche Eingriffe in ganz Tibet praktiziert, und es gibt keinen Hinweis dafür, daß sie abnehmen würden. In offiziellen Dokumenten aus China ist die Rede von der remedy method (Heilmethode) als der besten Art der Kontrazeption – ein Euphemismus für den Abort.

Im Oktober 2001 berichtete ein Flüchtling von Fällen, wo Frauen im siebten oder gar im achten Schwangerschaftsmonat zur Abtreibung gezwungen wurden. Ein ehemaliger Parteisekretär aus der Gemeinde Kolug, Distrikt Nagchu, TAR bezeugte, daß gemäß einer Verordnung der Kreisverwaltung 100 Frauen sterilisiert werden mußten: "Die Ärzte kamen bis zur Türschwelle der Frauen und erklärten ihnen, daß sie einer Operation unterzogen würden. In einer Woche operierten sie 10-15 Frauen pro Tag, sogar solche, die schon im siebten Monat waren". Im März berichtete ein anderer Tibeter aus dem Distrikt Drayab, Präfektur Chamdo, TAR, daß die Zwei-Kind-Vorschrift in dieser Gegend streng eingehalten werde und zu diesem Zweck an einem einzigen Tag 50-60 Frauen operiert worden seien. In einem Fall seien alleine im Distrikt Drayab 700 Frauen operiert worden. Sie hätten für den Eingriff nichts bezahlen müssen, aber wenn sie sich weigerten, seien sie mit einer Geldstrafe von 1.600 Yuan (188 US$) belegt worden.

Eine Frau aus der TAP Tsolho, Qinghai, erklärte dem TCHRD, sie wüßte von keinem einzigen Fall, wo eine Frau freiwillig einer Abtreibung zugestimmt habe. Alle würden sich nur dem Druck der Behörden beugen oder handelten so, um die erdrückenden Gebühren oder andere Strafen zu vermeiden. Aus dem Autonomen Distrikt Dowi Salar, TAP Tsoshar, Qinghai, stammt der Bericht über Frauen, die gewaltsam in Militärfahrzeugen zur Operation gebracht wurden: "So etwas geschah zweimal in unserem Dorf. Nachts, als alle schliefen, kamen sie, um die Frauen zur Operation wegzuholen. Alle Frauen in den Dreißigern sind bereits operiert worden. Nach dem Eingriff verlangen sie noch die Kosten für die Fahrt, die Medizin und alles andere". Die Operation kostet von 1.000 bis 2.000 Yuan (180-200 US$), und wer diese Summe nicht zahlen kann, riskiert zusätzliche Strafen.

Ein Tibeter beschreibt, wie sich in der TAP Tsolho die Familienplanung auf ledige Mütter auswirkte: "Wenn eine nicht verheiratete Frau ein Kind bekommt, dann wird sie sofort zur Sterilisation gebracht". Im Kreis Derge, TAP Karze, Sichuan, werden ledige Mütter gegenwärtig mit 3.000 - 4.000 Yuan (350-470 US$) bestraft, wenn sie ein Kind gebären. Alle Frauen, auch solche, die noch kein Kind haben, werden in der Gemeinde Pang Gongma, Kreis Gade, TAP Golog, Qinghai, zu einer "Sterilisations-Verlosung" gezwungen, wobei fünf Frauen jedes Jahr durch Los bestimmt werden: "Die Namen aller Frauen in unserer Gegend werden gesammelt und in der Lotterie gezogen. Wessen Name gezogen wird, muß sich der Operation unterziehen. Alle Frauen über Zwanzig werden in die Verlosungsliste aufgenommen".

Eine neu im Exil eingetroffene Ärztin berichtet aus einem Hospital in der TAP Tsolho, Qinghai, daß im Zeitraum 2000/2001 dreihundert Frauen sterilisiert wurden, von denen 60% Tibeterinnen waren. Sie beschrieb auch die Wirkung von Kontrazeptiva, welche sie den Patientinnen verordnen mußte, die Störungen des Sehvermögens, der Nierenfunktion und Beschwerden im unteren Rückenbereich mit sich brachten. Sie erzählte von Injektionen, welche sie geben mußte, um Frauen für 3 bis 5 Jahre zu sterilisieren oder die den Menstruationszyklus der Frauen beendeten. Die Ärztin fügte hinzu: "Wenn die kommunistische Partei herausfand, daß zehn Frauen nach Indien geflohen waren, dann wurden zur Strafe zehn andere sterilisiert". Es wird berichtet, daß Familien der "Opposition gegen den Sozialismus" bezichtigt werden, wenn sie sich gegen die Sterilisation wehren, während andere, die sich fügen, mit Nahrungsmitteln und anderen Extraleistungen belohnt werden.

In anderen Zeugnissen von Flüchtlingen werden Fälle erwähnt, in denen Frauen als Folge der unfreiwilligen und unsachgemäß durchgeführten Sterilisation permanente Behinderungen davontrugen oder gar starben. Man hörte auch von Fällen, wo ohne Zustimmung der Frauen zugleich mit der Abtreibung die Gebärmutter entfernt wurde, was ihnen schwere Schmerzen und Traumata verursachte. In diesem Jahr wurde von Fällen berichtet, wo Frauen nach der Sterilisation noch gebären, oder aber nach dem, was sie für eine Abtreibung hielten, nicht mehr schwanger werden konnten. Unhygienische Verhältnisse und Mangel an Nachsorge führen häufig zu medizinischen Komplikationen.

m) Der Ruf nach Gerechtigkeit

Tibetische Frauen nehmen psychisch ungeheuren Schaden, wenn sie sich den Maßnahmen zur Geburtenkontrolle unterziehen müssen, die in vielen Fällen ihre kulturellen und religiösen Gefühle zutiefst verletzen. Chinas Gesetze zum Schutz der Rechte und Interessen von Frauen verbieten die Anwendung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen hinsichtlich ihrer Rechte auf Fortpflanzung. Obwohl NGOs und andere auf dem Gebiet arbeitende Organisationen die chinesische Regierung auffordern, wirksame Schritte zu unternehmen, um sicherzustellen, daß Mitglieder des öffentlichen Dienstes, die derartige Menschenrechtsverletzungen verüben, zu ihnen auffordern oder sie stillschweigend dulden, bestraft werden, gibt es bislang keine überzeugende Reaktion oder eine entsprechende Antwort. Solange mit den betreffenden Gesetzen und Konventionen keine Mechanismen zur Erzwingung ihrer Beachtung verbunden sind, wird wohl jede Aktion, die von den tibetischen Frauen oder in ihrem Namen unternommen wird, im großen und ganzen wirkungslos bleiben.

II, 4)

4. Das Recht auf Wohnung

Die ICESCR besagt, daß die Unterzeichnerstaaten dieses Vertragswerkes jedermann das Recht auf einen der Norm entsprechenden Wohnraum, das heißt, adäquate Unterkunft gewähren müssen. Da die PRC die ICESCR 2001 ratifizierte, ist diese Garantie nun für sie bindend geworden. In diesem Jahr gab es jedoch zahlreiche Fälle, in denen Tibetern dieses Recht verweigert wurde.

Der Begriff "adäquate Unterkunft" umfaßt sieben Hauptprinzipien:

  • Gesetzliche Garantie des Wohnrechtes, einschließlich des Schutzes vor Zwangsausquartierung;
  • Verfügbarkeit von Dienstleistungen, Baumaterial und Infrastruktur, auch ständiger Zugang zu Trinkwasser und Energie;
  • Erschwinglichkeit, so daß keine anderen Grundbedürfnisse beeinträchtigt werden; wenn der Bewohner sein Haus selbst baut, müssen die natürlichen Baustoffe billig und leicht zu beschaffen sein;
  • Bewohnbarkeit; damit ist angemessener Wohnraum, Sicherheit und Schutz vor Kälte, Hitze, Regen und Wind gemeint;
  • Zugänglichkeit für benachteiligte Gruppen wie völkische Minderheiten, Frauen, Behinderte;
  • Die Wohnung muß so gelegen sein, daß Arbeitsplatz, Gesundheitsfürsorge und Bildungseinrichtungen in erreichbarer Entfernung gelegen sind;
  • Kulturelle Angemessenheit, insofern als die Unterkunft dem Lebensstil des Bewohners Genüge tun und den Ausdruck seiner kulturellen Identität erlauben muß.

Die chinesische Regierung erklärte früher einmal, daß "Unterkunft ein Grundbedürfnis für das Leben der Menschen" und "angemessene Unterkunft ein Grundrecht" sei. Trotz derartiger Feststellungen kann China keine Gesetze vorweisen, die den Bürgern eine angemessene Unterkunft garantieren würden. In Ermangelung spezieller Gesetze in Sachen Wohnungswesen stellen die politischen Entscheidungen der Pekinger Regierung und die administrativen Verfügungen des Volkskongresses der TAR die Basis für die tibetische Wohnungspolitik und die diesbezüglichen Verordnungen dar. Jetzt, wo die ICESCR von China ratifiziert wurde, sollte es nationale Gesetze erlassen, in denen die sieben genannten Prinzipien, wie sie für die Bereitstellung angemessener Unterkunft definiert wurden, berücksichtigt werden.

2001 ließ sich China wiederholt Verstöße gegen das Prinzip zuschulden kommen, den Tibetern angemessene Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Die krasseste Verletzung des Rechtes auf Unterkunft waren gewaltsame Vertreibungen und die massive Zerstörung von Wohnraum. Drei andere Prinzipien, bezüglich derer dem TCHRD dieses Jahr Unzulänglichkeiten zu Ohren kamen, sind der Mangel an der nötigen Infrastruktur und Baumaterialien in ländlichen Gebieten, die Diskriminierung von Tibetern im urbanen Wohnungswesen, sowie die kulturelle Unangemessenheit der Wohnungen, die den Tibetern von der chinesischen Obrigkeit aufgezwungen werden.

a) Zwangsausquartierungen

"Zwangsausquartierung" wurde definiert als "die ständige oder vorübergehende Entfernung von Individuen, Familien und/oder Gemeinschaften aus ihrem Heim und/oder dem Grund und Boden, auf dem sie wohnen, gegen ihren Willen und ohne daß sie Zugang zu angemessenen Formen gesetzlichen oder anderweitigen Schutzes hätten". Die Regierungen der einzelnen Staaten sind verpflichtet, Gesetze zu schaffen, die solche Vertreibungen verbieten, und es ist ihnen verboten, selbst solche Räumungsaktionen zu billigen oder durchzuführen. Wo es dennoch zu Vertreibungen kommt, empfiehlt die UN Menschenrechtskommission den Regierungen der Länder, daß sie unmittelbare, angemessene und genügende Entschädigung liefern und/oder in Absprache mit den Betroffenen eine alternative Unterbringung bereitstellen.

Wiederholt wurde "Zwangsausquartierung" von den Vereinten Nationen als eine grobe Form der Menschenrechtsverletzung bezeichnet. Die Zeugenberichte, die das TCHRD dieses Jahr von Tibetern erhielt, die aus ihren Häusern oder von ihrem Grund und Boden vertrieben worden waren, machen deutlich, in welche Verzweiflung sie gestürzt wurden und welches Trauma sie erlitten. Deshalb bildet das Recht, vor solchen Vertreibungen geschützt zu sein, in dem Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte eines der wichtigsten Elemente des Rechtes auf angemessene Unterkunft.

Die Verfassung der PRC verbietet nicht ausdrücklich gewaltsame Räumungen. Den Bürgern steht das Recht zu, Haus- und Grundbesitz zu haben und zu unterhalten und vom Staat nicht enteignet zu werden, es sei denn im "öffentlichen Interesse", keine illegalen Übergriffe auf das eigene Heim dulden zu müssen, sowie das Recht auf Entschädigung im Falle einer Verletzung der genannten Punkte. 2001 verletzte die chinesische Regierung bei mehreren Anlässen direkt das Menschenrecht auf Schutz vor Vertreibung sowie die Artikel ihrer eigenen Verfassung. Außerdem erhielt das TCHRD Hinweise auf mehrere bevorstehende Räumungsaktionen.

b) Räumungsaktionen in religiösen Institutionen

Vor der chinesischen Besetzung Tibets 1950 lebten viele Tibeter als Mönche, Nonnen oder Laienpraktizierende in und um religiöse Institutionen. Während der Kulturrevolution zerstörten die Chinesen jedoch Tausende religiöser Einrichtungen und die umliegenden monastischen Unterkünfte. Anfang der 80er Jahre wurde diese Zerstörungswelle von einer etwas liberaleren Regierung gestoppt. Die Leute bauten langsam wieder ihre Klöster auf und kehrten in ihre ehemaligen Einrichtungen oder in die umliegenden Siedlungen zurück. Die Unterkünfte wurden von den Bewohnern selbst aus Stein und Holz wiederaufgebaut. In Tibet gibt es jetzt Tausende von Menschen, die in solchen Einrichtungen oder in deren unmittelbarer Nähe wohnen, und diese sind ihr Zuhause und die Gemeinschaft, zu der sie gehören.

Nun sind diese Gemeinschaften jedoch erneut bedroht. Ende der 90er Jahre und besonders in den letzten zwei Jahren nahm die chinesische Regierung ihre repressive Politik gegen den tibetischen Buddhismus wieder auf. Derzeitig verfolgt China eine Politik der "Reorganisation" des tibetischen Buddhismus, in deren Gefolge sogenannte "Arbeitsteams" die religiösen Einrichtungen aufsuchen, um deren Bewohner zu kontrollieren und ihnen Restriktionen aufzuerlegen, etwa die Einführung von Obergrenzen für die Zahl der Dazugehörigen. Diese Limits führten zu Vertreibungen von Bewohnern, die im Kloster lebten und "überzählig" waren. 2001 gab es zwei besonders schockierende Fälle von Massen-Vertreibungen in der Tibetisch Autonomen Präfektur Karze, Sichuan.

Der erste betraf das Buddhistische Institut Serthar (auch als Larung Gar bekannt), das sich im Kreis Serthar der TAP Serthar, Sichuan, befindet. Allein in den drei Monaten von April bis Juli 2001 wurden dort über 7.000 Personen vertrieben und Tausende von Unterkünften von einem Heer von Soldaten und angemieteten Arbeitern niedergerissen. In einigen Fällen wurden zusammen mit den Wohnhütten auch Haushaltsgegenstände und religiöse Schreine zerstört. So berichten Augenzeugen, wie Arbeiter die Dächer von Hütten abdeckten, während die Bewohner noch drinnen waren, und wie kranke und ältere Leute gewaltsam herausgezogen wurden. Den vertriebenen Bewohnern wurde befohlen, in ihre Heimatdörfer zu ihren Familien zurückzukehren. Es wurde ihnen keine alternative Unterbringung angeboten, weshalb diejenigen, die keine Familie haben oder deren Angehörige zu unbemittelt sind, um sie aufzunehmen, nun obdachlos sind. Man hört des öfteren von ehemaligen Bewohnern Serthars, die nun bettelnd in den Straßen von Lhasa herumlaufen.

Zwei Monate später kam es zu ähnlichen Massenvertreibungen und Zerstörungen in der Klostersiedlung Yachen Gar im Distrikt Payul, Sichuan. Mit einer öffentlichen Bekanntmachung vom 1. September 2001 wurde der Abbruch von nahezu 800 Behausungen angeordnet, wobei "die bessere Unterhaltung und Verwaltung des Klosters" als Begründung genannt wurde. Eine Nonne, die aus Yachen Gar ins Exil entfliehen konnte, gab folgenden Bericht: "Sie sagten, wir müßten unsere Hütten selbst zerstören, und falls wir es nicht täten, würde die Polizei kommen und uns unsere Habe wegnehmen. So zertrümmerten die meisten Nonnen ihre Hütten, indem sie die Lehmwände einstießen. Wir weinten und schluchzten alle, was hätten wir sonst tun können? Wenn wir die Wände nicht selbst eingerissen hätten, dann wären sie gekommen, um uns zu schlagen und uns noch unsere wenige Habe wegzunehmen. Wir hatten Angst, verhaftet zu werden, wenn wir ihrem Befehl nicht Folge leisteten".

c) Vertreibungen im Namen von "Entwicklungsprojekten"

Das Expertenseminar der UNO über Vertreibungen gab 1997 Richtlinien für auf Entwicklung basierende Vertreibung heraus. Dabei geht es um Personen, die ihres Wohnortes verwiesen werden, um Platz zu schaffen für bauliche Entwicklungen - von städtischen Umbauprogrammen bis zu infrastruktuerellen Konstruktionen wie Dämmen und Eisenbahntrassen. Die Richtlinien betreffen sowohl Regierungsprojekte als auch solche von Privatfirmen durchgeführte. Sie sprechen den betroffenen Menschen das Recht zu, sich gegen die Räumung vor einem unabhängigen Gericht zur Wehr zu setzen; bei dem Räumungsvorgang Schutz vor Gewalt und Einschüchterung zu genießen; wenn ihnen ihr Land oder Besitz weggenommen wird, eine angemessene Kompensation zu bekommen; und/oder an einem Ort, mit dem sie einverstanden sind, neu angesiedelt zu werden.

Dieses Jahr kündigte die Zentralregierung die Bildung einer Sonderwirtschaftszone (Special Economic Zone = SEZ) im Kreis Toelung Dechen, Bezirk Lhasa, an. Dies hat einschneidende Folgen für das Recht auf Unterkunft, weil den Bauern in diesem Landkreis wahrscheinlich die Umsiedlung droht, um für die SEZ Platz zu schaffen. Aus Tibet wird berichtet, daß chinesische Investoren bereits in der Gegend von Liuwu Bodenspekulation betreiben würden. Tibetische Bauern und andere Ortsansässige von Toelung Dechen müssen unweigerlich für die einzurichtende SEZ umgesiedelt werden. Es ist nicht bekannt, ob den Betroffenen Entschädigungen oder alternative Unterkünfte angeboten wurden. Ein ehemaliger tibetischer Kader, der jetzt im Exil lebt, sagte voraus, daß gegen Leute, die wegen der Vertreibungen aufgrund des Entwicklungsprojektes protestieren, hart vorgegangen werde, denn "wenn Tibeter sich offen gegen die Eisenbahnstation wehren, die dort gebaut werden soll, werden sie als 'Spalter' angesehen, als jemand, der das Land zerstören will".

Die SEZ ist die erste Stufe eines ehrgeizigen Planes, die Fläche des urbanen Lhasa bis 2015 von jetzt 53 qkm auf 272 qkm auszudehnen. Zweifellos werden auch andere Tibeter wegen der Expansion Lhasas zum Wegzug gezwungen werden. Auch in diesem Fall hörte man noch nichts davon, daß den Menschen, die vertrieben werden, Entschädigungen oder alternative Grundstücke oder Unterkünfte angeboten worden wären.

2001 erzählten mehrere Flüchtlinge dem TCHRD, daß am Machu-Fluß auf dem Gebiet der TAP Malho und der TAP Tsolho ein neuer Staudamm und ein neues Kraftwerk gebaut werden sollen, was zur Zwangsumsiedlung vieler Nomadenfamilien führen wird. Obwohl noch keine genauen Zahlen bekannt wurden, könnten bis zu 1.000 Personen von diesem neuen Staudamm betroffen sein. Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, daß die betroffenen Tibeter wegen der Umsiedlung wahrscheinlich nicht zu Rate gezogen werden. Das Manlha-Wasserprojekt in der Präfektur Shigatse machte 1997 beispielsweise die Umsiedlung von sechs Dörfern erforderlich. Den Bewohnern wurde in diesem Fall ein auf Chinesisch abgefaßtes Dokument vorgelegt, das sie nicht verstanden, aber das sie trotzdem unterschreiben mußten. Später merkten sie, daß sie sich mit ihrer Unterschrift zur Umsiedlung bereit erklärt hatten. Die Bauern wurden auf einem Landstück angesiedelt, das im Vergleich zu ihrem bisherigen minderwertig ist und außerdem in einem Überflutungsgebiet liegt. Es ist ebenso unwahrscheinlich, daß den von der Umsiedlung Betroffenen eine angemessene Entschädigung angeboten wird. Das Drei-Schluchten-Projekt in Westchina zog die Umsiedlung von Tausenden von Menschen an von ihrer Heimat weit entfernte Orte nach sich, und viele müssen nun hart ums Überleben kämpfen.

Zusätzlich zu den Zwangsumsiedlungsmaßnahmen, die Platz für Großprojekte zu schaffen sollen, macht die Regierungspolitik, deren erklärtes Ziel es ist, die Nomaden seßhaft zu machen, auch die Vertreibung der Nomaden aus den Landstrichen nötig, auf denen sie seit Jahrhunderten ihr Vieh weideten (siehe Kapitel über das Recht auf Lebensunterhalt). Viele dem TCHRD 2001 vorliegende Berichte beschreiben die Verzweiflung und Unzufriedenheit der Nomaden, denen Weidegründe zugewiesen wurden, die sie dann umzäunen mußten. Proteste der Nomaden gegen die zwangsweise Umsiedlung sind nicht ungewöhnlich. In dem Distrikt Tsekhok der TAP Malho, Qinghai, wurden einige Nomadenfamilien zweimal zum Umziehen gezwungen. Das erste Mal wurden ihre Zelte und Unterkünfte abgerissen, und Sicherheitskräfte kamen, um die Protestierenden festzunehmen. Die Familien wurden auf einem anderen Stück Land angesiedelt. Nach vier Jahren wurde denselben Familien erklärt, daß sie wieder umziehen müßten.

d) Wohnen auf dem Lande: Infrastruktur und öffentliche Versorgungsnetze fehlen

Das vierte Prinzip, das von der UN als zu "einer angemessenen Unterkunft" gehörend definiert wurde, betrifft das Vorhandensein öffentlicher Versorgungsnetze und den Kampf, den die Menschen um Zugang und Kontrolle über die für das Leben notwendigen Dinge, wie Grund und Boden, Baumaterial, Wasser, Heizung, Brennstoff und Viehfutter führen müssen.

Die meisten Tibeter, die auf dem Lande leben, sind Bauern oder Nomaden und wohnen in Häusern, die von den Familien selbst im Rahmen der traditionellen Gemeinschaften gebaut wurden. 2001 sprachen zahlreiche Neuankömmlinge aus Tibet von den schlechten Lebensbedingungen in den ländlichen Gebieten. Die meisten Dörfer haben keinen elektrischen Strom. Ein vor kurzem eingetroffener Flüchtling aus dem Autonomen Distrikt Dowi Salar in der TAP Tsoshar, Qinghai, berichtet über die Einführung von Gebühren für Wasser in dem Gebiet 1998, die jedoch keine bessere Wasserversorgung gebracht hätten. Enttäuscht meint er: "Ich hätte nichts dagegen, Wasserkosten zu zahlen, wenn die Regierung zementierte Wasserstellen mit Wasserhähnen gebaut hätte. Aber so etwas gibt es bei uns nicht".

2001 gab es einige Berichte über neue Häuser, die im Rahmen des auf Zwangsarbeit beruhenden "Helft-den-Armen" Programms für Tibeter gebaut wurden. Das Projekt wurde jedoch begonnen, ohne zuerst zu erforschen, was die "Armen" tatsächlich benötigen. Ein Neuankömmling aus Chamdo in der TAR sagte: "... die armen Leute, für welche die Häuser gebaut und die Felder angelegt wurden, weigerten sich oft umzuziehen, weil sie ihre angestammte Gegend nicht verlassen wollten". Wenn diese Tibeter gezwungen werden, von ihrer Umgebung und dem Grund und Boden, wo ihre Vorfahren wohnten, wegzuziehen, dann stellt dies einen Verstoß gegen die ICCPR dar, die den Menschen das Recht zugesteht, ihren Wohnort selbst zu wählen. Ebenso bedeutet es eine Verletzung des Rechtes, von Zwangsumsiedlung verschont zu bleiben.

e) Diskriminierung im städtischen Wohnungswesen

Das vierte Prinzip des Rechtes auf angemessene Unterkunft besagt, daß sie allen Volksgruppen zur Verfügung stehen muß. Diesem Prinzip pflichtet die Internationale Konvention über die Beseitigung von Rassendiskriminierung bei, die Diskriminierung bei der Unterkunft aufgrund von Rasse, Hautfarbe, nationaler oder ethnischer Herkunft verbietet. Die chinesische Verfassung billigt ihren Bürgern ebenfalls das Recht zu, nicht wegen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit diskriminiert zu werden. Trotz derartiger Gesetze wurden die Tibeter 2001 bei der Wohnungsvergabe diskriminiert.

Ein unlängst aus Tibet eingetroffener Flüchtling, der als Bauarbeiter und Rikschafahrer in Lhasa arbeitete, nennt einen weiteren Punkt der ungleichen Behandlung: "Wenn Tibeter aus anderen Teilen des Landes nach Lhasa kommen, müssen sie als Gäste registriert werden und eine Gebühr zahlen, selbst wenn sie bei Freunden oder Verwandten wohnen". Chinesische Bürger bleiben von solchen Forderungen verschont.

Dieser Informant bezieht sich auf eine einseitige Anwendung des chinesischen Wohnungsregistrierungssystems (chin. houkou), das besagt, daß alle Bewohner in Stadtgebieten Registrierungsausweise haben müssen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights in China wies darauf hin, daß das Registrierungssystem eingeführt wurde, um der festgestellten Bedrohung der sozialen Stabilität entgegenzuwirken, die von der massiven Zuwanderung von Menschen aus ländlichen Gebieten in die Städte ausgeht. Chinesische Siedler, die nach Tibet kommen, erhalten schon bevorzugte Behandlung, einschließlich einer Garantie für ihre Unterbringung. Es würde daher kaum überraschen, wenn sie zusätzlich dazu auch noch Freunde und Verwandte mitbringen dürften, die bei ihnen wohnen, ohne daß sie sich als Gäste registrieren lassen müssen. Wenn dem so ist, dann liegt hier eine eindeutige Verletzung der verfassungsmäßigen Garantien Chinas gegen Diskriminierung vor, ebenso wie ein Verstoß gegen die ICERD und gegen die ICESCR.

f) Kulturell nicht angemessene Unterkunft

"Wohnung" bedeutet mehr als nur ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie sollte "als ein Ort verstanden werden, von dem aus man gesellschaftliche Beziehungen aufbaut, Einfluß auf seine Umwelt nimmt und Kultur schafft, und nicht nur als die bloße materielle Gebäudekonstruktion" (Scott Leckie: Destruction by Design: Human Rights Violations in Tibet). Aus diesem Grund formulierte das UN-Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als die siebte Komponente des Rechts auf angemessene Unterkunft, daß diese Unterkunft auch kulturell angemessen sein muß: "Jede Entwicklung oder Modernisierung im Wohnungsbereich sollte sicherstellen, daß die kulturellen Aspekte des Wohnens nicht geopfert werden".

Das Ringen des tibetischen Volkes, mittels seines Wohnstils seine Identität zum Ausdruck zu bringen, kann auch als Teil seines Überlebenskampfes im chinesisch besetzten Tibet gesehen werden. Die Zerstörung von Unterkünften im Umkreis von religiösen Einrichtungen ist beispielsweise ein Verstoß gegen das Recht, so zu wohnen, wie es der tibetisch-buddhistischen Kultur und dem Lebensstil der Tibeter angemessen ist.

Sogar die Nomaden werden gezwungen, ihre Wohnweise zu ändern. So sagte ein Nomade aus dem Kreis Darlag, TAP Golog, Qinghai, daß "die chinesischen Behörden uns zwingen, statt unserer traditionellen Yakhaar-Zelte solche aus Zelttuch zu kaufen, die wir als teuer und unnötig empfinden". Die Yakhaar-Zelte sind für das tibetische Klima ideal geeignet und bilden einen Teil der Nomadenkultur. Indem die chinesische Regierung die Nomaden zwingt, auf ihre traditionellen Zelte zu verzichten, verweigert sie den Tibetern wieder einmal das Recht auf Ausdruck ihrer Kultur mittels ihrer Wohn- und Lebensweise.

Viele Berichte machen deutlich, daß in den Stadtgebieten Wohngebäude im tibetischen Stil rapide durch solche in chinesischer Bauweise ersetzt werden oder doch zumindest in die Minderheit geraten. Darin drücken sich die stetig wachsenden Zahlen chinesischer Migranten aus, die sich dank der chinesischen Bevölkerungspolitik in den Städten niederlassen. In Lhasa zum Beispiel nimmt das tibetische Stadtviertel weniger als einen Quadratkilometer ein, was nur 2% der Stadtfläche ausmacht. Der Rest der Hauptstadt wird mit rasantem Tempo durch chinesische Wohnblocks zugebaut. Dieses Muster wiederholt sich in allen im Wachsen begriffenen tibetischen Städten.

g) Schluss

2001 dokumentierte das TCHRD zahlreiche Fälle, wo Tibetern ihr Recht auf angemessene Unterkunft genommen wurde. An erster Stelle stehen hierbei die Massenvertreibungen aus zwei religiösen Instituten, die mindestens 8.000 Personen betrafen, von denen viele obdachlos geworden sind. Den Tibetern wird auch der für ein angemessenes Wohnen nötige Zugang zu Ressourcen und Infrastruktur versagt, im Gegensatz zu den chinesischen Migranten, die als Teil der von der Regierung gebotenen Anreize, nach Tibet zu ziehen, oftmals eine Wohnung zugeteilt bekommen. Neue, besonders in Lhasa gebaute Wohnanlagen werden mit wenig Respekt vor der traditionellen tibetischen Kultur konzipiert, womit die Garantie der chinesischen Verfassung, daß Minderheiten ihre Kultur beibehalten dürfen, ad absurdum geführt wird.

Obwohl die chinesische Verfassung ihren Bürgern einige Rechte zusichert, etwa das Recht, daß kein Fremder in ihre Wohnung eindringen darf, gibt es keine Gerichte, bei denen Personen, deren verfassungsmäßig verbürgte Rechte verletzt wurden, Klage einreichen könnten. Wenn Tibeter beispielsweise der Ansicht sind, daß gewisse Handlungen der Chinesen einen Verstoß gegen die chinesische Verfassung darstellen, können sie überhaupt nichts dagegen unternehmen.

Teil III

III. Bürgerliche und politische Rechte

Nachdem die PRC am 5. Oktober 1998 die Internationale Übereinkunft über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) unterzeichnete, hat sie deren Ratifizierung immer wieder hinausgezögert. Die Argumentation Chinas, daß "das Recht auf Lebensunterhalt das wichtigste aller Menschenrechte sei, ohne welches man von den anderen überhaupt nicht zu sprechen brauche", macht die ganze Vorstellung von der Unveräußerlichkeit der Menschenrechte, wie sie immer wieder von verschiedenen UN Gremien wiederholt wird, zunichte. Die UN Kommission für Menschenrechte bekräftigte 2001 "die Universalität, Unteilbarkeit und Unabhängigkeit, die Interdependenz und Interrelation aller Menschenrechte und Grundfreiheiten", weshalb "die Förderung und Bevorzugung einer Kategorie von Rechten die einzelnen Staaten niemals von dem Schutz und der Wahrung anderer Rechte dispensieren und entschuldigen sollte...". Die chinesische Regierung behauptet, die Gewährung individueller Freiheiten würde ihren Grundsatz gefährden, daß die wirtschaftliche Sicherheit an oberster Stelle zu stehen habe. Das ist aber nur ein Vorwand, hinter dem sie ihren wahren Zweck verbirgt, nämlich den aller autoritären Staaten: die Macht einer regierenden Elite zu festigen und das Image des eigenen Landes auf der Weltbühne aufzubessern.

Die chinesische Regierung ist verpflichtet, die bürgerlichen und politischen Rechte der Menschen unter ihrer Jurisdiktion zu schützen und zu fördern, was die Garantie folgender Rechte beinhaltet:

  • des Rechtes auf Selbstbestimmung, Leben und Freiheit,
  • des Freiseins von Folter, willkürlicher Festnahme und Verhaftung,
  • des Rechtes auf Ausreise aus seinem eigenen Land und der Wiedereinreise in dieses,
  • des Rechtes auf Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion, auf die Freiheit der eigenen Meinung, der Meinungsäußerung und auf Versammlungen,
  • des Rechtes auf den Schutz der Gleichheit vor dem Gesetz,
  • des Rechtes auf eine eigene Kultur, die Ausübung der eigenen Religion und die Verwendung der eigenen Sprache.

Das Jahr 2001 war leider kein Vorbote für die Verbesserung der Menschenrechtslage in Tibet. Der fortgesetzte Exodus von Tibetern steht für die repressive Politik, denen sie sich ausgesetzt sehen. Dem TCHRD gingen Berichte über den Tod von 10 Tibetern durch Folterung in der Haft und von 37 neuen Festnahmen zu. Den Tibetern werden immer mehr Restriktionen aufgebürdet, wozu in einigen Fällen Einschüchterung, Schikanen und Festnahme kommen. Der Grad der Restriktionen variiert indessen von Region zu Region.

2001 wurden im ländlichen Sichuan zwei Institutionen buddhistischer Gelehrsamkeit und Praxis fast vollständig zerstört. Insgesamt 9.408 praktizierende Buddhisten wurden im Laufe des Jahres aus ihren Institutionen vertrieben – alleine 8.988 davon studierten an den beiden Einrichtungen in Sichuan. Außerdem sollen in diesem Jahr 57 Mönche und Nonnen festgenommen und 11 Personen zu Haftstrafen verschiedener Länge verurteilt worden sein.

III, 1)

1. Die Freiheit der religiösen Überzeugung und Ausübung

Der Anbruch des 21. Jahrhunderts brachte keine Anzeichen für eine Verbesserung der Religionsfreiheit in dem chinesisch besetzten Tibet. Die Pekinger Regierung intensivierte vielmehr im Jahr 2001 noch ihre ohnehin schon geballten Anstrengungen, ihre Kontrolle über die religiösen Glaubensvorstellungen und die Praxis der Tibeter zu festigen, wodurch das Recht der Tibeter auf Religionsfreiheit und deren praktische Ausübung immer ernsthafter bedroht wird.

Aus Tibet erreichen uns weiterhin Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen, wobei Mönche und Nonnen – die Träger tibetischer nationaler und religiöser Identität – deren Hauptzielscheibe sind. Hunderte von Gewissensgefangenen, die meisten davon Mönche und Nonnen, befinden sich weiterhin in Haft. 2001 erfuhr das TCHRD von der Vertreibung von 9.408 Mönchen und Nonnen aus ihren Klöstern - darunter befinden sich die 7.488 Mitglieder des Serthar-Instituts in Sichuan und die 1.500 Praktizierenden des ebenfalls in Sichuan gelegenen Yachen Gar. In diesem Jahr wurden wie verlautet 57 Mönche und Nonnen festgenommen, von denen 11 zu Haftstrafen verurteilt wurden. Außerdem flohen 509 Mönche und Nonnen aus Tibet.

Der nicht nachlassende Exodus von Tibetern in Roben nach Indien zeugt von der religiösen Repression auf dem ganzen tibetischen Hochland. Allein schon die Zahl der Flüchtlinge ist ein Beweis für die immer rücksichtsloser betriebene religiöse Verfolgung und den brutalen Umgang mit jenen standhaften Mönchen und Nonnen, die sich nicht den Direktiven der chinesischen Regierung fügen. Mönche und Nonnen werden sowohl wegen Besitzes und der Verbreitung von Dalai Lama relevantem Material und der Opposition gegen die Diktate der Arbeitsteams, als auch wegen offener Kritik an der chinesischen Regierung der "Gefährdung der Staatssicherheit" angeklagt und inhaftiert (Die Arbeitsteams wurden 1996 im Zuge der Kampagne zur "Patriotischen Erziehung" eingeführt, um die tibetischen Klöster zu kontrollieren und die Propaganda-Sitzungen in ihnen durchzuführen).

Die religiöse Repression in diesem Jahr war gekennzeichnet durch eine massive Vertreibung von Geistlichen aus den religiösen Einrichtungen, eine nicht nachlassende Heimsuchung der Klöster in ganz Tibet durch die Arbeitsteams mit ihrem Feldzug zur Indoktrinierung in marxistischer Ideologie, eine verstärkte Verleumdungskampagne gegen den Dalai Lama, Einschränkungen bei der Zulassung von Novizen zu religiösen Institutionen und das Verbot öffentlicher Glaubensäußerung und Praktiken.

Der schlimmste Angriff auf die Religionsfreiheit war eine Reihe behördlicher Übergriffe im Sommer 2001 auf das Serthar-Institut in der TAP Karze, Sichuan, mit der Folge von Massenvertreibungen der annähernd 9.000 dort lebenden religiösen Praktikanten, dem Abbruch von Behausungen, der In-Gewahrsam-Nahme des Leiters des Instituts Khenpo Jigme Phuntsok durch die chinesische Regierung und dem offiziellen Verbot religiöser Belehrungen und Praktiken. In dieser brutalen Aktion kulminierten schließlich die seit zwei Jahren stetig eskalierenden Restriktionen und Propaganda-Feldzüge gegen die buddhistische Akademie Serthar auf Geheiß der Zentralregierung. Ebenso wurde Yachen Gar dieses Jahr von massiven Vertreibungen und ereilt.

Auch an andern Orten in Tibet bildete das Verbot von Dalai Lama Bildern und des offenen Ausdrucks von Hingabe an ihn Teil der "politischen Umerziehungssitzungen", die von den Arbeitsteams durchgeführt werden. Die Behörden führen immer mehr Restriktionen ein und verschärfen die Kontrolle dessen, was Peking mit "normalen religiösen und kulturellen Aktivitäten" bezeichnet, etwa die Feiern aus Anlaß von Saga Dawa (dem vierten Monat des tibetischen Mondkalenders) oder die Feiern zum tibetischen Neujahrsfest Losar. Das Eingreifen der Regierung bei der Frage um die Reinkarnation des Panchen Lama und ihr offizielles Schweigen in dieser Angelegenheit seitdem, sowie ihre Einmischung bei der Anerkennung anderer reinkarnierter Lamas haben die religiösen Gefühle der Tibeter schwer verletzt und Verdruß in der internationalen Gemeinschaft hervorgerufen.

a) Die Parteipolitik bedroht die religiöse Freiheit

Der gesetzliche Schutz des Bürgerrechts auf die Freiheit der religiösen Überzeugung in China entspricht im großen und ganzen den wichtigsten Punkten der betreffenden internationalen Regelwerke und Konventionen. So sind einige der Stipulationen der UN Charta, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Internationalen Übereinkunft über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR), der Internationalen Übereinkunft über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR), der UN Deklaration über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Glauben, der UN Deklaration über die Rechte von Angehörigen nationaler oder ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten, der UN Konvention über die Rechte des Kindes, der Wiener Deklaration und des Aktionsprogramms - alle explizit in der chinesischen Gesetzgebung enthalten.

Nach dem Völkerrecht haben alle Völker das Recht auf Freiheit der Religion. So besagt Art. 18(1) der ICCPR: "Jedermann hat das Recht auf die Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion. Dieses Recht beinhaltet auch die Freiheit, sich nach eigener Wahl zu einer Religion oder einer Glaubensüberzeugung zu bekennen oder sie anzunehmen, und die Freiheit, entweder alleine oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat seine Religion oder seinen Glauben in Anbetung, Ausübung, Praxis und Lehrtätigkeit zu manifestieren".

Diese Freiheit wird im Art. 18(3) nur dort eingeschränkt, wo es "notwendig ist, die öffentliche Sicherheit, Ordnung, Gesundheit oder Moral zu schützen...".

Der Art. 36 der chinesischen Verfassung legt fest: "Bürger der Volksrepublik China genießen die Freiheit der religiösen Überzeugung. Kein staatliches Organ, keine öffentliche Institution und keine Einzelperson darf Bürger zwingen, an eine Religion zu glauben oder nicht zu glauben; noch dürfen Bürger diskriminiert werden, die an eine Religion glauben oder nicht glauben. Der Staat schützt normale religiöse Aktivitäten. Niemand darf unter dem Vorwand der Religion Tätigkeiten nachgehen, welche die öffentliche Ordnung stören, der Gesundheit der Bürger abträglich sind oder in das Erziehungssystem des Staates eingreifen."

Das chinesische Gesetz beschützt die Religion und schränkt sie gleichzeitig auch ein. In der Verfassung der Volksrepublik China ist Religionsfreiheit ein Grundrecht, das allen Bürgern zusteht. Die darin verbürgten Rechte werden jedoch nicht auf dieselbe Weise interpretiert wie in freiheitlichen Demokratien. China gibt diesen Rechten einen "sozialistischen Charakter" und betont, daß die Rechte der Einzelpersonen in Einklang mit ihren Pflichten gegenüber dem Staat und der Gesellschaft stehen müssen.

Innerhalb der PRC ist noch in weiteren Gesetzestexten - wie etwa dem Gesetz über die Autonomen Regionen für die Minoritäten (§ 11 und 53), dem Strafgesetzbuch (§ 147 und 165), dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 77), dem Kodex für den Militärdienst (§ 3), dem Wahlgesetz (§ 3), dem Gesetz über die allgemeine Schulpflicht (§ 16) und dem Gesetz über die Arbeit von Ausschüssen auf dem Lande - die Rede von der Freiheit der Religionsausübung und der Gleichheit der Rechte für religiös gläubige Bürger. Insbesondere sieht der § 147 des Strafgesetzbuches vor, daß "staatliche Bedienstete, welche die Freiheit der Religionsausübung der Bürger oder die Gebräuche nationaler Minderheiten verletzen, in ernsten Fällen mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder kurzfristigem Freiheitsentzug zu bestrafen sind. Jemand, der gewaltsam legale religiöse Aktivitäten verhindert, Gläubige zwingt, sich von ihrer Religion abzukehren, einen Bürger zu irgendeiner Form der Anbetung nötigt, legale Orte der Verehrung oder andere religiöse Stätten in gesetzeswidriger Weise schließt oder abreißt, verletzt die demokratischen Rechte und die Freiheit der Person, weshalb er seiner Verpflichtung entgegen handelt und dem Gesetz entsprechend zu bestrafen ist".

Die chinesische Regierung hat eine Verordnung für die Administration von Stätten religiöser Aktivitäten erlassen, um die "Rechtmäßigkeit und die Interessen solcher Orte zu schützen". Darin wird spezifiziert: "Stätten für religiöse Aktivitäten werden unabhängig von ihrer jeweiligen Verwaltungskörperschaft betrieben und ihre verbürgten Rechte, Interessen und normalen religiösen Aktivitäten werden vom Gesetz geschützt. Keine Organisation oder irgendeine Person darf solche Rechte verletzen oder sich ungebührlich einmischen".

Die Politik der chinesischen Regierung hinsichtlich des tibetischen Buddhismus steht jedoch in krassem Widerspruch zu diesen gesetzlichen Bestimmungen. Im Dezember 2001 legte China bei der Nationalen Arbeitskonferenz für Religion in Peking seine Religionspolitik für das neue Jahrhundert vor. Auch die chinesische Staatsführung war bei dieser Konferenz vertreten, die, wie es offiziell hieß, einen "wichtigen und weitreichenden Einfluß" auf die religiöse Arbeit haben wird. Als grundlegende Aufgabe für diese Arbeit wurde die Umsetzung der Parteipolitik hinsichtlich der Freiheit der religiösen Überzeugung genannt, weiterhin die Handhabung religiöser Angelegenheiten gemäß dem Gesetz, die aktive Hinführung der Religionen zur Anpassung an die sozialistische Gesellschaft und die bessere Zusammenarbeit religiöser Kreise mit der patriotischen "Vereinten Front der Partei".

b) Die Ausrichtung der Religion muß marxistisch werden

Bei der Konferenz bekräftigte Präsident Jiang Zemin Chinas Politik des Schutzes von Religionsfreiheit, mahnte jedoch zugleich, daß keiner die Religion mißbrauchen dürfe, um die Partei, den Sozialismus oder die nationale Sicherheit zu gefährden. Er warnte auch vor "Infiltrierung ausländischer Kräfte unter dem Deckmantel der Religion" und forderte die "Einrichtung von Strukturen zur Handhabung der Religionen auf Distrikt-, Stadt- und Gemeindeebene, außerdem ein besseres Training der Basis-Kräfte in Sachen Religionspolitik". Die Konferenz beschloß ausdrücklich, eine marxistische Einstellung zur Religion zu fördern, die Parteipolitik hinsichtlich der Religionen unbeirrbar zu verwirklichen, bei den Bemühungen in der großen Sache des Aufbaus des Sozialismus chinesischer Prägung eng mit den religiös Gläubigen zusammenzuarbeiten und die Propaganda über den aktuellen Stand der chinesischen Religionspolitik und Glaubensfreiheit zu intensivieren.

China gewährt seinen Bürgern auf dem Papier zwar eine Reihe von Rechten, die aber wegen des Fehlens eines Verfassungsgerichtes und der Existenz von weit und unbestimmt gefaßten Eingriffsrechten der Behörden, die es in deren Ermessen stellen, ob diese Rechte zum Tragen kommen, nicht durchsetzbar sind. Die beiden chinesischen Weißbücher "Progress in China's Human Rights Cause", veröffentlicht 2000, und "Tibet's March towards Modernisation", erschienen 2001, behaupten, daß China seinen Bürgern Religionsfreiheit garantiere und dem Schutz der Menschenrechte durch die Vervollkommnung seiner Gesetzgebung Rechnung trage, etwa durch die Schaffung einer unabhängigen Justiz und strenge Anwendung des Rechtes. Behauptungen wie zum Beispiel die, daß internationale Rechtskonventionen in die nationale Gesetzgebung aufgenommen worden seien, müssen innerhalb des Rahmens der chinesischen Verfassung interpretiert werden.

Bei dem Vierten Arbeitsforum zu Tibet, das im Juni dieses Jahres in Peking stattfand, wurde die Notwendigkeit der "Verschärfung der Kontrolle" und der "Förderung der marxistischen Sicht von Kultur und Religion" betont. Jiang Zemin, der Vorsitzende der CCP, sagte bei dem Forum, es sei wichtig, "... die religiösen Angelegenheiten besser zu verwalten, jene hart zu bestrafen, die unter dem Deckmantel der Religion kriminelle separatistische Aktivitäten entfalten und den tibetischen Buddhismus energisch in die Richtung des Sozialismus zu führen".

Natürlich steht die offizielle Besorgnis wegen Religion, Glauben und Loyalität zum Dalai Lama, besonders unter tibetischen Kadern, weiterhin im Vordergrund. Die Kader wurden gemahnt, einerseits die Wichtigkeit des kulturellen Austausches zwischen den Nationalitäten zu begreifen, sich aber andererseits dem "kulturellen Separatismus" zu widersetzen.

Hu Jintao, der Vize-Präsident der CCP und Stellv. Vorsitzende der CPPCC (Chinese People's Political Consultative Conference) erklärte im März 2001 vor TAR Funktionären, Peking würde den Separatismus ausrotten und "illegale" religiöse Aktivitäten in Tibet unterbinden. Um die Stabilität in der Region zu wahren, müßten die Behörden "hart gegen separatistische Aktivitäten vorgehen und die patriotische Erziehung der Jugendlichen intensivieren". Und er fügte hinzu, der Staat würde legale religiöse Betätigung sowie die Interessen religiöser Gruppen schützen, jedoch illegale, unter dem Vorwand der Religion erfolgende Aktivitäten stoppen und gemäß dem Gesetz ahnden.

Im Sinne der Äußerungen hoher Funktionäre bemüht sich die staatliche Propaganda-Maschinerie, die Dinge zu beschönigen und die religiöse Repression gegenüber den Tibetern zu vertuschen. People's Daily zitiert in einem Leitartikel mit der Überschrift "Tibetischer Buddhismus unterstützt Chinas derzeitige Religionspolitik" einen "buddhistischen Würdenträger", der gesagt haben soll, daß die Buddhisten in Tibet vollkommene Freiheit der Religionsausübung genössen, daß es gegenwärtig 1.700 Klöster und Tempel in Tibet gäbe, was einen Anstieg von über 300 gegenüber 1959 bedeute, und daß die Anzahl der darin wohnenden Mönche seit den Tagen der Kulturrevolution auf 46.300 gestiegen sei. Er sprach auch von der Wiederaufnahme und Begehung religiöser Feste, die in der Vergangenheit aufgehoben worden waren.

c) Der sozialistische Weg zur Unterdrückung

Die religiöse Repression erfolgt hauptsächlich durch Pekings Kampagne zur "patriotischen Erziehung". Diese zuerst 1996 initiierte Kampagne bezweckt patriotischen Gefühlen und Meinungsäußerungen entgegenzuwirken und die monastische Gemeinschaft gemäß der Parteilinie zu modellieren. Abgesehen davon, daß dieser Feldzug einen ernsten Eingriff in die Rechte tibetischer Mönche und Nonnen hinsichtlich ihres Glaubens, dessen Ausübung und ihrer Loyalität darstellt, hat er zu zahlreichen Festnahmen und Vertreibungen aus religiösen Institutionen geführt. Angesichts ihres "Erfolgs" wurde die Kampagne nun offiziell auch auf die Laien-Gemeinde ausgeweitet. Dem UN Hochkommissar für Flüchtlinge Rudd Lubbers zufolge begibt sich ein Drittel der 3000 jedes Jahr aus Tibet fliehenden Asylsuchenden unter dem Druck der "patriotischen Erziehung" auf die Flucht.

Unter dem Vorzeichen der Patriotischen Erziehung machten sich die Arbeitsbrigaden der Kommunistischen Partei daran, die Klostergemeinschaften zu reglementieren, indem sie Altersgrenzen für die Aufnahme festlegten. Die "temporären Maßregeln zum Umgang mit Orten religiöser Aktivität im Bezirk Lhasa" traten am 1. Februar 1999 in Kraft und ersetzten die 1995 von der Stadtverwaltung von Lhasa erlassene "temporäre Verwaltungsordnung". Diese "Maßregeln" geben Einblick in die einschneidende Kontrolle des monastischen Lebens und des gewaltigen politischen Druckes, der auf den Mönchen und Nonnen in der TAR lastet.

Fast alle religiösen Einrichtungen in Tibet haben nun ein von der CCP eingesetztes Democratic Management Committee (DMC), also einen Verwaltungsrat, der die Zulassung von neuen Mönchen und die Themen des Lehrplans zu überwachen hat; kurz gesagt, er stellt "ein Kontrollsystem dar, durch das erreicht werden soll, daß die Geistlichkeit die chinesischen sozialistischen Ideale annimmt und sie höher als die traditionellen tibetisch-buddhistischen Lehren wertet". In den letzten Jahren haben die DMCs in mehreren größeren Klöstern den gesamten Erlös aus dem Verkauf von Eintrittskarten und die Spenden der Pilger eingesackt. Bisher wurden diese Mittel an Mönche verteilt, die sich ganz dem religiösen Studium widmen. Als Folge hiervon müssen diese Gelehrten-Mönche nun Tätigkeiten nachgehen, die auf Erwerb gerichtet sind. Experten sind besorgt, daß in Zukunft immer weniger Mönche die notwendige Qualifikation zum Lehramt besitzen werden.

Im Juni sagte Jampa Phuntsok, der stellv. Leiter des TAR Büros für die patriotische Erziehung in den Klöstern, seit 1996 habe die chinesische Regierung eine Kampagne zur Verbesserung der patriotischen Erziehung in religiösen Institutionen durchgeführt, um "ein besseres Verständnis von Mutterland und Gesetz zu erzielen, den dort Lebenden ihre Verantwortung als chinesische Bürger einzuschärfen und den tibetischen Buddhismus einer modernen Gesellschaft anzugleichen". Er erklärte, Tibet habe derzeit eine neue Runde der Kampagne eingeleitet, um die Kenntnis der Staatsgesetze und Verordnungen in einigen der großen Klöster zu verbessern, auf daß die Lamas sich mehr anstrengen, gesetzestreue Bürger zu werden, und lernen, wie sie mit Hilfe des Gesetzes ihre legitimen Rechte schützen können.

Das Jahr 2001 war von den regelmäßigen Visiten der Arbeitsteams in den Klöstern, die der Obrigkeit als "Brutstätten des Widerstandes" gelten, gekennzeichnet. Ihr Zweck ist es, die politische und religiöse Loyalität zum Dalai Lama auszurotten, Unterrichtsklassen über die Gesetze und die Politik der Regierung Pekings abzuhalten und die religiösen Einrichtungen strenger zu kontrollieren. Derartige von oben angeordnete Kampagnen stehen in direktem Widerspruch zu vielen internationalen Abmachungen, denen auch China beigetreten ist. Wir weisen hier nur auf den Art. 5 der Konvention über aus Beseitigung von Rassendiskriminierung (CERD) hin, welche die Vertragsstaaten verpflichtet, "jegliche Rassendiskriminierung bei der Wahrnehmung des Rechtes auf Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu verbieten".

Um den Medien zu beweisen, daß es keine politische Einmischung in die Belange religiöser Institutionen gibt, brachten chinesische Regierungsvertreter im Dezember 2001 eine Gruppe ausländischer Journalisten zum Kloster Kumbum in Qinghai. Als letztere einen Mönch über den Dalai Lama fragten, und ob sie in ihrer religiösen Ausübung eingeschränkt würden, antwortete dieser: "Die Dinge stehen hier sehr schlecht, und der Druck, der auf uns ausgeübt wird, ist immens". Nachdem sich Agya Rinpoche, der Abt des 440 Jahre alten Klosters, 1998 in die USA abgesetzt hatte, wurden die Mönche von Kumbum drei Monate lang intensiver Indoktrinierung in kommunistischer Ideologie unterworfen, und alle, die sich weigerten, den Dalai Lama zu denunzieren, wurden ausgestoßen.

Die ausländischen Korrespondenten stellten mit Besorgnis fest, daß drei Jahre nach Agya Rinpoches Weggang "immer noch Dutzende mit Schlagstöcken bewaffneter paramilitärischer Kräfte die Tempel, Schlafsäle und Lehrseminare des Klosters Kumbum patrouillieren", während das Sicherheitspersonal die "rotgewandeten Mönche" an Zahl zu übertreffen scheint. Sie berichteten weiter, wenn sie ältere Mönche etwas fragten, so hätten diese zuerst im Flüsterton auf Tibetisch miteinander beratschlagt, wobei ihr betretenes Schweigen "Bände über die Einschränkung der religiösen Freiheit in China gesprochen habe".

Dem TCHRD gingen 2001 Berichte über intensive Indoktrinierungsmaßnahmen der Arbeitsteams zu, welche die Mönche zuweilen bis zum Selbstmord trieben. Ein solcher Fall ist der von Phurbu Audatsang, einem 40-jährigen Mönch aus dem Kloster Drayab Peugue in der Präfektur Chamdo, TAR, der von einer Brücke in den Fluß des Ortes sprang, weil er dem von dem Arbeitsteam ausgeübten Druck nicht mehr standhalten konnte.

Seit Ende der neunziger Jahre wurde auch das Kloster Kana in Kreis Dzatoe, TAP Jyekundo (Yushu), Qinghai, von 7- bis 14-köpfigen Arbeitsteams heimgesucht, um die Mönche "politisch" zu erziehen. Die Kader setzten eine Gemeinschaftsgrenze von 30 für dieses Kloster, in dem 300 Mönche wohnten, fest, untersagten die Aufnahme von Novizen unter 18 Jahren und bekräftigen das offizielle Verbot von Dalai Lama Photos. Seit Beginn der patriotischen Umerziehung sind etwa 45 Mönche aus dem Kloster Kana nach Indien geflohen.

Um junge Tibeter vor dem Eintritt ins Kloster abzuschrecken, führten die Behörden, besonders in der Hauptstadt Lhasa, komplizierte bürokratische Prozeduren ein. Bei den Tibetern ist es traditionsgemäß Brauch, einen Sohn für den Mönchsstand zu bestimmen. Außerdem kann in dem Maße, wie die Verarmung auf dem Land zunimmt, die Unterbringung eines Sohnes in einem Kloster der Umgebung auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit sein. Die Bestimmungen der Chinesen machen die Zulassung von Jugendlichen unter 18 Jahren jedoch unmöglich, womit ihnen die Möglichkeit einer traditionellen religiösen Ausbildung versagt wird. Wo es keine Schulen gibt, erhalten die Kinder daher überhaupt keine Erziehung. So führte zum Beispiel ein Arbeitsteam in Zusammenarbeit mit der lokalen Polizei in dem Kloster Druka in der TAP Kenlho, Gansu, 1998 die Altergrenze von 18 Jahren ein, was zur Ausweisung von 18 Mönchen führte.

Der Art. 14(1) der Übereinkunft über die Rechte des Kindes fordert, daß die Vertragsstaaten das Recht von Kindern auf Freiheit der Meinung, des Gewissens und der Religion respektieren. Art. 14(3) ordnet indessen diese Vorkehrung allen gesetzlich festgelegten Einschränkungen unter, die "zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit und Moral oder den Grundrechten und der Freiheit anderer notwendig sind".

Karma Nyandak aus dem Kreis Tengchen, Präfektur Chamdo, TAR, floh 2001 aus Tibet, weil er sich einer abschreckenden Reihe bürokratischer Prozeduren gegenüber sah, als er sich mit dem Gedanken trug, in das Kloster Sera in Lhasa einzutreten. Er mußte sechs offizielle Dokumente beschaffen: von seinem bisherigen Kloster, von der Gemeindebehörde, von der Kreisbehörde, von der Stadtbehörde, von der Abteilung für religiöse Angelegenheiten in Lhasa und schließlich von einem weiteren Regierungsamt in Lhasa, das in enger Verbindung mit dem PSB die entgültige Entscheidung über die Zulassung von Mönchen zu den drei großen Klöstern Lhasas (Sera, Drepung und Ganden) trifft. Selbst wenn es ihm gelungen wäre, alle notwendigen Dokumente beizubringen und er aufgenommen worden wäre, hätte er an den offiziellen religiösen Zeremonien nicht teilnehmen können.

d) Hartes Durchgreifen, Ausweisungen und Demolierungen

Fast alle Vertreibungen aus religiösen Einrichtungen erfolgen heutzutage im Zusammenhang mit den Visiten der Arbeitsbrigaden. Die häufigsten "Verbrechen", die Anlaß zur Vertreibung geben, sind Besitz von Dalai Lama Photos, Ton-Kassetten und Büchern des Dalai Lama, sowie die mutmaßliche Verwicklung in politische Aktivitäten.

Die Anzahl von Mönchen und Nonnen in Tibet hat in den letzten Jahren empfindlich abgenommen, insbesondere seit dem Start der patriotischen Umerziehungskampagne. Dieser Rückgang ist größtenteils der massiven Ausweisung von Geistlichen zuzuschreiben, die den Befehlen der Arbeitsteams nicht Folge leisten, die etwa den Dalai Lama nicht verleumden, die chinesische Version der Geschichte nicht nachplappern oder dem chinesischen Mutterland keine Treue schwören.

Ein westlicher Tourist, der 2001 in Tibet war, erzählte: "Ich besuchte viele Klöster in ganz Tibet, und der Gesamteindruck, den ich gewann, war der von Leere. Viele Tempel in den größeren Klöstern waren völlig leer, und die Versammlungshallen, die benutzt wurden, zeigten deutlich, wie sehr die Anzahl der Mönche und Nonnen eingeschränkt wird. Die Hallen waren höchstens halb voll, und auch der Rest der Zimmer war gähnend leer. In den meisten Klöstern waren nur wenige Mönche anwesend, und man merkte kaum etwas davon, daß studiert wurde".

Abgesehen von der verhängnisvollen "patriotischen Umerziehungskampagne" ist die größte Gefahr für das Überleben des tibetischen Buddhismus gegenwärtig, daß die religiöse Ausbildung unmöglich gemacht wird. Frustriert klagen Leute aus dem Volk, daß die wunderschönen religiösen Einrichtungen zu bloßen Museen geworden seien. Eine religiöse Freiheit, die den Menschen lediglich erlaubt, Butterlämpchen aufzustellen und Niederwerfungen zu machen, taugt nur dazu, ausländische Besucher zum Narren zu halten.

Die Hauptwucht der religiösen Unterdrückung 2001 traf indessen das Serthar-Institut, als chinesische Behörden 7.488 oder mehr Bewohner des Instituts (das in der Gegend als Larung Gar bekannt ist) vertrieben und eine Obergrenze an Studenten von 1.400 festlegten. Über 1.000 der Behausungen wurden bei diesen Zerstörungsmaßnahmen völlig abgerissen, damit die Studenten nicht mehr an den Ort zurückkehren könnten. Einem noch unbestätigten Bericht zufolge sind sechs der 4.000 Nonnen, die in Serthar studierten, gestorben und viele von ihnen mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Zwei der genannten Nonnen sollen Selbstmord begangen haben, während vier weitere aus unbekannter Ursache umkamen. Diese Todesfälle sind der Verzweiflung zuzuschreiben, welche die Nonnen nach dieser Zerstörungsaktion erfaßte. Zum Ende des Jahres hatten die Behörden alle Lehrprogramme und religiösen Zeremonien in dem Institut gestrichen. Für die wenigen Personen, die bleiben konnten, war das Studium schwer beeinträchtigt worden.

Vor der Verwüstung war Serthar die beliebteste Einrichtung für höhere Gelehrsamkeit auf dem tibetischen Hochland. Von den beinahe 9.000 Lamas, Mönchen und Nonnen kamen 1.000 aus China und Südost-Asien. Sie waren die ersten, die ausgewiesen wurden. Bevor sie vertrieben wurden, mußten die Mönche und Nonnen Dokumente mit drei Punkten unterschreiben: dem Versprechen, nicht zurückzukehren, der Denunzierung des Dalai Lama und der Verpflichtung, der offiziellen Politik zu folgen. Dabei sieht der Art. 18(2) der ICCPR vor, daß kein Mensch einem Zwang unterliegen darf, der seine Freiheit, eine Religion oder Glaubensrichtung seiner Wahl zu verfolgen oder anzunehmen, beeinträchtigen würde. Ohne Zweifel hat die PRC diese gesetzliche Bestimmung durch ihren brutalen Überfall auf das Serthar-Institut in grober Weise verletzt.

Die 1.000 Chinesen aus China und Übersee und andere asiatische Bürger wurden gewarnt, daß sie sich, falls sie der Aufforderung zum Verlassen des Instituts innerhalb der festgesetzten Frist nicht nachkämen, eines Gesetzesverstoßes schuldig machten und die Festnahme riskierten. Alle nicht-tibetischen Studenten drückten beim Verlassen des Instituts ihre tiefe Betroffenheit und ihren Wunsch zur Rückkehr aus. Der Art. 1 der "Bestimmungen über die Handhabung religiöser Aktivitäten von Fremden in China" definiert ihren Zweck als, "... die Religionsfreiheit von Personen aus dem Ausland in China zu schützen". Art. 3 und 4 derselben Bestimmungen besagen, daß die PRC die Freiheit der religiösen Überzeugung der auf dem chinesischen Territorium sich aufhaltenden Fremden respektiert und die religiösen Aktivitäten von Fremden auf chinesischem Boden gemäß dem Gesetz beschützt.

Kurz nach der Demolierung von Serthar hörte man von ähnlichen Vertreibungen und Abbruchaktionen in Yachen Gar. Einem Bericht von International Campaign for Tibet (ICT) zufolge wurden im Oktober 2001 in Yachen Gar annähernd 800 Wohnhütten abgerissen. Die Zerstörung der Unterkünfte und die ständige Schulung durch die Arbeitsteams brachten die normalen religiösen Aktivitäten in Yachen Gar völlig durcheinander. Die 2.500 bis 3.000 Studenten - unter ihnen auch 150 Nicht-Tibeter - hatten sich vornehmlich Meditation und Gebeten gewidmet. Alle 150 Studenten aus Festland-China, Taiwan und Singapur erhielten Order, die Ansiedelung im September 2001 zu verlassen, und nur Mönche und Nonnen aus dem umliegenden Distrikt Palyul in Sichuan durften bleiben.

Ein 45-jähriger chinesischer Arzt, der vier Monate in Yachen Gar studiert hatte, sagte ICT, nachdem er zum Verlassen des Instituts gezwungen worden war: "Die Behörden verboten den Lehrern aus Serthar und Yachen Gar, Chinesen Vajrayana (buddhistische tantrische Praxis) zu übermitteln oder zu Belehrungen nach China zu reisen. Die chinesische Regierung weiß nur allzugut: Je mehr die Leute an Buddha glauben, desto mehr respektieren sie den Dalai Lama. Deshalb nimmt sie es als Bedrohung der staatlichen Idee der Einheit wahr, wenn Tibeter oder Chinesen an Buddha glauben".

Die von einem massiven Kontingent an Polizisten, paramilitärischen Kräften und Arbeitsbrigaden in Serthar und Yachen Gar durchgeführten Zerstörungen stehen in direktem Widerspruch zu Gesetzen, welche für die Verletzung der Religionsfreiheit eine Bestrafung vorsehen. Der Artikel 251 des überarbeiteten chinesischen Strafrechts sagt, daß staatliches Personal, das den Bürgern unrechtmäßig ihre Religionsfreiheit vorenthält und Sitten und Gebräuche ethnischer Minderheiten einschränkt, in ernsten Fällen zu bis zu zwei Jahren Gefängnis oder Strafhaft zu verurteilen ist.

e) Schließung von religiösen Institutionen

Der Widerstand tibetischer Mönche und Nonnen gegen die patriotische Umerziehung und das behördlich erlassene Verbot traditioneller religiöser Praktiken führte zur Schließung etlicher Einrichtungen. Bis jetzt wurden insgesamt 24 religiöse Institutionen von den Behörden versiegelt, zwei davon erst vor kurzem in diesem Jahr.

Der Staat hat die Strafen für Übergriffe auf das Recht der Bürger auf Religionsfreiheit genau festgelegt. Es gibt eine spezielle gesetzliche Klausel, daß die Volksprokuratur einen Fall, in dem ein Staatsbeamter illegalerweise einen oder mehrere Menschen in seinem oder ihrem Recht auf Religionsfreiheit beeinträchtigt, zu den Akten zu nehmen hat und außerdem Fälle der illegalen Schließung oder Zerstörung legaler religiöser Stätten und anderer religiöser Einrichtungen zu Protokoll nehmen muß.

Die Distriktbehörden von Tawu schlossen Mitte 2000 das Nonnenkloster Tsalpo im Distrikt Tawu, TAP Karze, Sichuan, nachdem die Nonnen sich geweigert hatten, Paßfotos zur Bestimmung ihrer Identität zu liefern und ihre Zimmer inspizieren zu lassen. Die Türen des Klosters sind nun von Amts wegen mit roten Bändern versiegelt, die den Stempel der Lokalbehörden tragen, und alle 300 Nonnen mußten zu ihren jeweiligen Familien zurückkehren. Im Februar 2001 versiegelten chinesische Beamte das Nonnenkloster Drakkar im Kreis Nyalam, Präfektur Shigatse, TAR, und vertrieben alle 20 Nonnen unter dem Vorwand, dem Kloster habe die staatliche Erlaubnis gefehlt. "Unser Kloster bekam keine Zuwendungen von der Regierung. Von einer obligatorischen Erlaubnis sprachen die Beamten nur, um die brutale Repression unserer Religion zu rechtfertigen", kommentierte eine Nonne.

f) Der Dalai Lama als der "Feind"

Pekings Politik der Verunglimpfung des Dalai Lamas ist seit dem Vierten Arbeitsforum zu Tibet 2001 immer radikaler geworden. Schon das 1994 abgehaltene Dritte Forum bezeichnete den Dalai Lama als den "Kopf der Schlange", der "abgehauen" werden muß, um die Schlange zu töten. Seit dieser Zeit hat die Rhetorik der PRC gegen den tibetischen Führer im Exil noch an Gehässigkeit zugenommen, und hohe Funktionäre in Peking betonen ständig die Notwendigkeit, die polemischen Attacken gegen den Dalai Lama zu verstärken. Die Regierung setzt jede Äußerung von Ehrerbietung für den Dalai Lama mit "separatistischen Aktivitäten" gleich und klügelt endlose Strategien aus, um ihre Dalai Lama Denunzierungskampagne weiter auszuspinnen.

Der Dalai Lama und der tibetische Buddhismus sind untrennbar miteinander verbunden. Ein Analytiker der Lage aus China schreibt, es sei des Dalai Lamas Kunst gewesen, die tibetische Religion zu einer politischen Waffe zu machen, was ein Dilemma für Peking darstelle (Wang Lixong, The Dalai Lama is the Key to the Tibet Issue). Man kann extrapolieren, daß die Schmähsprache der Anti-Dalai-Lama-Kampagne auch auf die tibetische Religion übertragen wird. Chen Kuiyan, der bisherige Parteisekretär der TAR fand, daß "Klöster die übelsten, von der Dalai-Clique durchdrungenen Orte sind. Das sind ihre verschwörerischen Verstecke, es sind auch die Orte, wo ihre meisten Anhänger wohnen". Es wurde daher beschlossen, "die Klöster der Kontrolle des Dalai Lamas zu entwinden".

Peking behauptet, der Dalai Lama begünstige in Kollaboration mit "ausländischen Kräften" die "separatistischen" Aktivitäten in den Klöstern Tibets. Der wirkliche Auslöser für die Verschärfung der religiösen Verfolgung durch die Pekinger Regierung ist jedoch das neue und lebendige Nationalgefühl der Tibeter.

Die chinesischen Behörden in Tibet versuchen, den Einfluß des Dalai Lamas auszumerzen, indem sie sein Bild, seine Bücher und Audio- und Video-Cassetten von ihm verbieten, unter gleichzeitiger Intensivierung der patriotischen Erziehung, bei der die Diffamierung des Dalai Lamas eines der Hauptelemente bildet. Li Ruihuan, Mitglied des ständigen Ausschusses des Politbüros und Leiter der Abteilung für Nationalitäten-Fragen, beschreibt den Dalai Lama nicht nur als "Quelle der Störungen in der tibetischen Gesellschaft, sondern auch als das größte Hindernis, um Ordnung in den tibetischen Buddhismus zu bringen".

Über die Jahre stieg die Zahl der Festnahmen wegen des Besitzes von Material im Zusammenhang mit dem Dalai Lama, was zu immer härterer Vergeltung durch den Staat in Form von Folter, überlanger Inhaftierung und Überwachung selbst nach der Entlassung führte. Diese Festnahmen widersprechen chinesischen Behauptungen uneingeschränkter religiöser Freiheit in Tibet. So erklärte im Mai 2001 Meng Deli, Direktor der Justizverwaltung der TAR, "noch keiner sei aus dem Grund ins Gefängnis gekommen, weil er ein Porträt des Dalai Lamas aufgehängt habe."

Im Februar 2001 forderte Basang, Vize-Sekretär des Regionalkomitees Tibet der CCP und Direktor des TAR Ausschusses für die Aufnahme zurückgekehrter Tibeter ein besseres Verständnis der Denunzierungs-Kampagne gegen den Dalai Lama. So sagte er: "Bei der Schlacht gegen die Dalai-Clique geht es nicht nur darum, ob man an Religion glaubt oder nicht, noch ist sie eine Sache von Autonomie oder nicht, sondern ein Problem, das die Wahrung der Einheit des Mutterlandes betrifft".

1994 verbot die chinesische Regierung Khenpo Jigme Phuntsok, ins Ausland zu reisen, weil er vier Jahre zuvor eine Audienz beim Dalai Lama in Indien gehabt hatte. Der angesehene Lama wurde 1998 wegen seiner Beziehungen und seiner Verbindung zum Dalai Lama viermal vernommen. Der jetzige Aufenthaltsort von Khenpo Jigme Phuntsok ist ungewiß. Man nimmt an, daß der kränkelnde Abt von Serthar von den Chinesen in Chengdu, der Hauptstadt Sichuans in Gewahrsam gehalten wird (Anm. d. Übers. Anfang Sommer 2002 kehrte Khenpo Jigme Phuntsok in das Serthar Institut zurück).

In diesem Jahr wurden dem TCHRD viele Fälle von Mönchen und Nonnen bekannt, die wegen ihrer Treue zum Dalai Lama verhaftet oder anderweitig bestraft wurden. Arbeitsteam-Kader degradierten und ersetzten den "Gesangsmeister" Thopchu-la des Klosters Kirti im Distrikt Ngaba der TAP Ngaba, Sichuan, weil er angeblich ein Gebet für das lange Leben des Dalai Lama gesprochen habe. Anfang 2001 erklärte ein Mönch den chinesischen Behörden, es sei nun sinnlos für ihn geworden, im Kloster zu bleiben, nachdem den Tibetern die Verehrung des Dalai Lama und des Karmapa verboten wurde. Kurz nach dieser Gefühlsäußerung wurde der betreffende Mönch zur Vernehmung weggeholt, und bis heute ist nichts über seinen Aufenthaltsort und sein weiteres Schicksal bekannt geworden.

Ein Sera-Mönch ist in einem Haftzentrum in Lhasa eingesperrt, weil er im Januar 2001 erwischt wurde, wie er eine Tonkassette mit Belehrungen des Dalai Lama anhörte. Zudem wurde seiner Familie das Besuchsrecht bei ihm verweigert.

Im März 2000 gab es Anzeichen dafür, daß nun auch die Laienbevölkerung in den Feldzug zur patriotischen Erziehung miteinbezogen wird, als in jedem tibetischen Haushalt im Kreis Tingri chinesische Polizisten gründliche Durchsuchungen vornahmen, um nach Bildern des Dalai Lama zu suchen. Diese Razzien erregten Panik in den Dörfern, und manche Bewohner rannten in die umliegenden Berge, um sich zu verstecken. Nach Konfiszierung von etwa 700 Bildern, die man von den verängstigten Dorfbewohnern eingesammelt hatte, wurden drei Tibeter festgenommen. Wegen ihres Sammelns und Besitzes von Bildern des Dalai Lama, was den Behörden als ein "kriminelles Vergehen" gilt, wurde eine Geldstrafe von je 5.000 Yuan von den Festgenommenen gefordert, oder ihnen mit lebenslänglicher Haft gedroht.

Als Geshe Sonam Phuntsok nach seiner Verurteilung im März 2001 fünf Minuten Zeit bekam, um vor Gericht ein Wort zu sagen, erklärte er: "Meine Verhaftung und der Gerichtsprozeß strafen die Behauptung der Chinesen, in Tibet herrsche Religionsfreiheit, Lügen, eine Tatsache, die in der Öffentlichkeit bekannt werden sollte". Seine Hauptdelikte waren "illegale Durchführung religiöser Zeremonien zu mehreren Anlässen in Distrikt Karze, Ersuchen um eine Audienz beim Dalai Lama in Indien und Aufnahme eines gemeinsamen Photos mit ihm, sowie die Abhaltung einer Langlebens-Gebetszeremonie für den Dalai Lama". Deshalb wurde der Geshe zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Aus Quellen innerhalb Tibets verlautet, daß die Chinesen Geshe Sonam Phuntsok wegen seiner wachsenden Popularität bei den Tibetern als ein für die Stabilität der Nation bedrohliches Element empfanden.

Lhasa erlebte im Juli 2001 erneute Restriktionen bei der seit Jahrhunderten traditionsgemäß begangenen Feier des Trunglha Yarsol (Geburtstag des Dalai Lama). Die chinesischen Behörden ergriffen Kontrollmaßnahmen und verteilten offizielle Rundschreiben, in denen das Trunglha Yarsol als illegal bezeichnet wurde, sie sprachen für den Fall der Zuwiderhandlung Drohungen aus und nahmen zwei Tage vor den Feiern am 6. Juli einige tibetische Jugendliche willkürlich fest. Ein am 24. Juni 2001 von der chinesischen Regierung herausgegebenes Rundschreiben mit Titel "Beschleunigte Unterbindung der illegalen Aktivitäten zur Trunglha Feier und Schutz der sozialen Stabilität" preist den Erfolg bei der Einschränkung früherer Geburtstagsfeiern und wiederholt den offiziellen Standpunkt gegenüber solchen "illegalen Aktivitäten" für die Zukunft.

Während in der Bekanntmachung auch von der Garantie "normaler religiöser Aktivitäten" und dem "Schutz der Religionsfreiheit" die Rede ist, enthält sie den damit unvereinbaren Satz, daß Organisationen und Einzelpersonen die Begehung des Trunglha Yarsol verboten sei. Darbringung von Gebeten, das Abbrennen von Räucherwerk und das Werfen von tsampa (geröstetes Gerstenmehl) in die Luft werden damit "illegal".

Alleine in der Gegend von Lhasa wurden zwei Tage vor dem Geburtstag des Dalai Lama am 4. Juli 2001 Hunderte von Tibetern festgenommen. Diese Festnahmen zeigen deutlich, wie die Pekinger Regierung die kulturelle und religiöse Freiheit der Tibeter durch Einschüchterung einengt.

g) Bevorzugung des Atheismus vor der Religion

Peking konzentrierte sich dieses Jahr auf die Unterdrückung der Ausdrucksformen traditioneller religiöser Aktivitäten, indem es der Laien-Gemeinde verschiedene restriktive Maßnahmen auferlegte. Die Tibeter sehen sich in der Zwickmühle zwischen der chinesischen Verfassung und den Gesetzen, die allen Bürgern religiöse Freiheit garantieren, auf der einen Seite und dem doktrinären Atheismus der Kommunistischen Partei auf der anderen Seite. Die gegenwärtige Kampagne zur Förderung des Atheismus geht Hand in Hand mit einer stetigen Zunahme von Restriktionen der öffentlichen Bekundung des Glaubens: So werden Verbote erlassen, Gebetsfähnchen aufzuhängen, Räucherwerk zu verbrennen und heilige Stätten zu umwandeln.

Die nationale Arbeitskonferenz zu Religionsfragen, die im Dezember 2001 auf hoher Ebene in Peking abgehalten wurde, forderte den Schutz "normaler religiöser Betätigung" gemäß dem Gesetz, gelobte jedoch zugleich die Wahrung der sozialen Stabilität durch hartes Vorgehen gegen alle "kriminellen Aktivitäten" unter dem Deckmantel der Religion. Wegen der weitgefaßten Definition der Chinesen von "Separatismus" können Bürger bereits dafür bestraft werden, daß sie privat bei sich zu Hause den Buddhismus praktizieren.

Um den Eindruck einer öffentlichen Bestätigung ihrer Religionspolitik in Tibet zu schaffen, führte die Regierung der TAR dieses Jahr eine Umfrage über Religion durch, deren Ergebnis war, daß sich 87% der 100 in Lhasa erfaßten Haushalte als zufrieden mit der bestehenden Religionspolitik äußerten. Der Vize-Präsident der Buddhistischen Vereinigung Chinas und Präsident ihres tibetischen Zweiges zitierte die Resultate der Umfrage, um die offizielle Behauptung zu bekräftigen, daß Buddhisten in Tibet absolute Freiheit in ihren religiösen Überzeugen genössen (Bomi Qambalozhub in People's Daily "Tibetan Buddhists Support China's Current Religious Policy, 6 April 2001).

Ein Leitartikel in Tibet Daily schlägt vor, daß schon kleine Kinder im Geist des Atheismus erzogen werden sollen, "um ihnen zu helfen, von dem schlechten Einfluß der Religion loszukommen". Als Teil der Anti-Religions-Kampagne raten die Behörden tibetischen Jugendlichen in Grund- und Mittelschulen davon ab, ihrem Glauben Ausdruck zu verleihen und sich irgendwelchen religiösen Ritualen oder Praktiken hinzugeben. Die Behörden brandmarkten alle Betätigungen im Zusammenhang mit dem tibetischen Buddhismus als "rückständiges Verhalten" und als Hindernisse des Fortschritts. Sie verboten den Leuten sogar, die traditionellen "Schutzbändchen", die ihnen von hohen Lamas gegeben werden, zu tragen.

Die Mißachtung des Verbotes des Tragens von gesegneten "Schutzkordeln" kann zur Festnahme, dem Verweis von der Schule, der Verhängung von Geldstrafen und Bloßstellung und Demütigung vor der ganzen Schule führen. Wir hörten von Fällen, wo konfiszierte Schutzbändchen vor den Schülern in der Klasse verbrannt oder zerrissen wurden. In der Mittelschule No. 2 von Lhasa ist es den Schülern gänzlich verboten, solche Schnürchen zu tragen oder Klöster zu besuchen. Die Wohnungen tibetischer Lehrer an der Schule werden oftmals unvermittelt auf Gegenstände religiöser Bedeutung hin durchsucht. Die Eltern der Schüler werden zu Meetings zitiert, bei denen man sie mahnt, ihre Kinder nicht in die Klöster mitzunehmen und keine religiösen Zeremonien zu besuchen.

Während die chinesische Verfassung religiös Gläubigen erlaubt, öffentliche Ämter zu bekleiden, erklären Funktionäre der Kommunistischen Partei, daß der Glaube an eine Religion und die Mitgliedschaft in der Partei unvereinbar miteinander seien. Zwar heißt es auch offiziell, daß bei Parteimitgliedern aus ethnischen Minderheiten die Freiheit der religiösen Überzeugung akzeptiert werden könne. Nichtsdestoweniger hat die KP seit 1995 immer wieder Rundschreiben herausgegeben, in denen Parteimitglieder angewiesen werden, keinem religiösen Glauben anzuhängen, und in denen der Ausstoß von Mitgliedern, die offen oder geheim religiösen Organisationen angehören, verlangt wird.

Hochrangige kommunistische Parteifunktionäre, darunter auch der Präsident Chinas und Parteisekretär Jiang Zemin, erklärten, daß Parteimitglieder nicht Anhänger einer Religion sein könnten. Im Oktober 2000 mahnte Wang Lequan, Sekretär des Parteikomitees von Xinjiang, Parteimitglieder, daß "...Kader auf allen Ebenen dem marxistischen Atheismus beflissen anhängen sollten. Glaubt nicht an Religion, nehmt an keinen religiösen Aktivitäten teil!" Derartige Verbote gelten auch für das Militär. In den "Routine-Dienst-Bestimmungen" der Volksbefreiungsarmee (PLA) steht ausdrücklich, daß Militärangehörige nicht an "religiösen oder abergläubischen Aktivitäten teilnehmen" dürfen.

Ein Insider in Peking kommentiert, während die chinesische Regierung allgemein vom Staat bezahlten Tibetern den Ausdruck ihres religiösen Glaubens verbietet, würde bei den nicht staatlich bediensteten Arbeitnehmern die Religion bis zu einem gewissen Grade toleriert. Doch die Regierung besteht darauf, daß die Religion sich nach der sozialistischen Gesellschaft zu richten habe, und wenn es zu einem Konflikt zwischen Religion und Sozialismus kommt, die Religion nachgeben müsse. Fortlaufend wurden in den letzten Jahren eindeutige Direktiven erlassen, die Parteimitgliedern, Parteikadern und Regierungsangestellten verbieten, an eine Religion zu glauben. Der Dalai Lama muß als Feind betrachtet werden, die religiöse Betätigung wird untersagt, und die Zurschaustellung von religiösen Symbolen wie Statuen, Thangkas oder Altären, von Portraits des Dalai Lama, sowie die Durchführung religiöser Zeremonien, wurden alle verboten. Zuwiderhandeln wird mit dem Ausschluß von der Mitgliedschaft in der KP, dem Verlust von Regierungsstellen und Pensionen und der Nichtversetzung von Schülern in höhere Klassen bestraft.

2001 erhielt das TCHRD Information über die Entlassung eines tibetischen Kaders der KP, der sich gegen die restriktive Religionspolitik in Tibet ausgesprochen hatte. Wangtse hatte 24 Jahre lang für die chinesische kommunistische Regierung gearbeitet, als er im Juni 2000 das offizielle Verbot von Pilgerfahrten und der Rezitierung von Mantras, die Einschränkungen für die religiöse Praxis tibetischer Kader und vor allem den in den Klöstern vonstatten gehenden Feldzug zur "patriotischen Erziehung" kritisierte. Obwohl die Tibeter sich über die Verbote in Sachen Religion ärgern, hört man nur sehr wenige kritische Stimmen, weil alle auf sicher gehen und vorsichtig auftreten, wenn es dazu kommt, "im Trüben zu fischen". Ein Kollege warnte ihn, daß die Behörden eine Sitzung zur Beurteilung seiner Loyalität und zur Prüfung seiner angeblich kritischen Aussagen anberaumt hätten. Aus Angst, von der Ortspolizei festgenommen zu werden, floh Wangtse im August 2000 aus Tibet.

Der Art. 19(1) der ICCPR besagt, daß jedermann das Recht zusteht, ohne Einmischung von außen seine Meinung zu vertreten. Art. 35 der chinesischen Verfassung garantiert den Bürgern der PRC Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit, ferner das Recht, sich zusammenzuschließen, sowie Prozessionen und Demonstrationen zu veranstalten. Eindeutig blieben diese Freiheiten Wangtse versagt.

Die Behörden in Lhasa intensivierten die Kontrollen bei bedeutenden religiösen Feiern und kulturellen Ereignissen im ersten Monat des tibetischen Neujahrs und verboten Regierungsbediensteten, Kadern und Schulkindern, Gebetsfeste zu besuchen oder den Klöstern etwas zu spenden.

Nach den Quellen des TCHRD seien die Vorschriften für Gebetszimmer und Hausschreine zwar etwas lockerer geworden, doch sähen sich Personen, welche die traditionellen Pilgerfahrten unternehmen wollten, neuen Restriktionen ausgesetzt. Seit Sommer 2000 verlangen die chinesischen Behörden im Distrikt Gerge, Präfektur Ngari, von Tibetern, die den Berg Kailash und den Manasarovar See umrunden wollen, den Erwerb einer offiziellen Erlaubnis gegen Zahlung einer Gebühr, sowie den Besitz von Kennkarten. Kontrollpunkte wurden entlang der Routen zum Kailash eingerichtet, um die Identität der Pilger zu überprüfen; außerdem wurden etwa 60 chinesische Sicherheitskräfte dort stationiert. Ein sieben Räume umfassendes Gebäude wurde für die Ordnungshüter gebaut, was zeigt, daß es sich um eine permanente Einrichtung handelt. Ein Erlaubnisschein für 3 Tage kostet 18 Yuan, doch Leute über 50 Jahre brauchen nur 14 Yuan zu zahlen. Alle drei Tage muß ein neuer Schein erworben werden.

h) Parteilinie gegenüber den Reinkarnationen

Auf dem Papier anerkennt und respektiert der chinesische Staat die Reinkarnation "heiliger Männer oder lebender Buddhas" und betrachtet die Reinkarnationsprozedur als "ein religiöses Ritual und eine historische Konvention des tibetischen Buddhismus". Doch Pekings "fortgesetzte Einmischung in diese uralte Tradition kann nicht nur als ein Vergeltungsakt eines atheistischen Regimes gegen die Wahrnehmung der religiösen Freiheit gesehen werden", sie kann auch der "chinesischen Reinkarnationspolitik" zugeschrieben werden (Lodi Gyari, ICT, Hearing on Religious Persecution, House Committee on International Relations, 1997). Am 16. Januar 2001 gab die Regierung der PRC ihre Zustimmung zur Auswahl des zweijährigen Sonam Phuntsok als die siebente Inkarnation des Reting Rinpoche. Viele der Mönche von Kloster Reting im Kreis Phenpo Lhundrup, Bezirk Lhasa, widersetzten sich dieser Wahl und der Einmischung chinesischer Regierungsvertreter in den Auswahlprozeß. Der kleine Tulku (Reinkarnierte) soll unter strenger chinesischer Bewachung in der Nähe des Klosters wohnen.

Ein anderer reinkarnierter Lama, der siebenjährige Pawo Rinpoche, der vom 17. Karmapa anerkannt wurde, soll sich im Kloster Nenang im Kreis Toelung Dechen, Bezirk Lhasa, ebenfalls in chinesischem Gewahrsam befinden. Der Zugang zu seinem religiösen Mentor blieb ihm versagt, und auch ausländischen Vertretern wurde wiederholt die Erlaubnis eines Besuchs seines Klosters verweigert. TIN berichtet, die Disziplin in den Klöstern Nenang und Tsurphu (Sitz des Karmapa) habe nachgelassen, seitdem Pawo Rinpoche nach Lhasa gebracht wurde und der Karmapa ins Exil nach Indien geflohen ist. Der Rückgang bei der Anzahl der Mönche in beiden Klöstern ist einerseits den Arbeitsteams zuzuschreiben, welche ihnen die patriotische Erziehung aufzwingen und andererseits der Abwesenheit ihrer religiösen Führungspersönlichkeiten.

Der Aufenthaltsort und das Wohlbefinden von Gedhun Choekyi Nyima, dem 12 Jahre alten 11. Panchen Lama, der 1995 vom Dalai Lama anerkannt wurde, sind immer noch unbekannt. Der zweithöchste geistliche Würdenträger Tibets wurde im Mai 1995 verschleppt, nur Tage nachdem der Dalai Lama seine Entscheidung verkündet hatte. Alle Appelle der internationalen Gemeinschaft, den Knaben besuchen zu dürfen, um sich seines Gesundheitszustandes und seiner Lebensumstände zu vergewissern, wurden von Peking zurückgewiesen. Der Konflikt zwischen der Geistlichkeit Tibets und Peking wegen der Panchen Lama Nachfolge trat deutlich zutage, als der Abt des Klosters Kumbum, Agya Rinpoche, sich zugunsten des Dalai Lama äußerte und Pekings Wahl von Gyaltsen Norbu als neuen Panchen Lama verwarf. Agya Rinpoche wurde im Juni 2000 aus der CPPCC ausgeschlossen, nachdem er sich 1998 in die USA abgesetzt hatte.

Die Tibeter machen sich große Sorge um das Schicksal von Chadrel Rinpoche, dem früheren Abt des Klosters Tashilhunpo und dem Leiter der Such-Kommission zur Identifizierung des Nachfolgers des 10. Panchen Lama. Als seine 6-jährige Haftstrafe im Mai 2001 zu Ende ging, war von Chadrel Rinpoche keine Spur zu sehen.

Der 17. Karmapa, das Oberhaupt der Kargyu Schule des tibetischen Buddhismus, entschied sich gegen die für ihn von Peking vorgesehene Karriere und floh mit 14 Jahren über den Himalaya ins Exil. Ein chinesischer Gelehrter meint, die Popularität des Karmapa bei den Tibetern sei, solange man ihn als Spielball von Pekings "Vereinter Front" wahrnahm, nichts gewesen im Vergleich zu der Beliebtheit, die er nun, nachdem er in das Lager des Dalai Lama gewechselt ist, gewonnen habe ("The Dalai Lama is the Key to the Tibet Issue"). Nach der Flucht des Karmapa wurden alle Kargyu-Klöster in Tibet strenger Kontrolle unterworfen. Die Mönche seines Klosters Tsurphu wurden stark eingeschränkt, ihre Schritte und Tätigkeiten werden ständig von der bewaffneten Volkspolizei überwacht. Der übliche Pilger- und Touristenfluß nach Tsurphu hat drastisch abgenommen, und die Regierung der TAR hat die Verwaltung des Klosters umfunktioniert.

Nachdem Peking seine eigenen Kandidaten für Tibets religiöse Hierarchie "gesalbt" hat, hofft es nun auch bei der Anerkennung eines zukünftigen Dalai Lama seine Rolle wahrnehmen zu können. Raidi, der stellv. tibetische Sekretär der CCP, erklärte Journalisten aus Hongkong, die im August 2001 Lhasa besuchten, die Wiedergeburt des Dalai Lama würde entsprechend den "historischen Gepflogenheiten und den religiösen Ritualen" bestimmt. Nach Aussage der staatlichen Xinhua Nachrichtenagentur würde die Wahl dann, "...nach ihrer Ratifizierung durch die chinesische Zentralregierung" bestätigt.

Pekings Bedürfnis, die Auswahl eines zukünftigen Dalai Lama zu manipulieren, wird von Kennern der Materie als Furcht vor einem Verlust der Kontrolle über das widerspenstige und hoch religiöse Volk dieser Region interpretiert. Raidi beschuldigt den gegenwärtigen Dalai Lama sogar der "Sabotage des Wirtschaftswachstums und der Aufstachelung zur Unruhe in Tibet". Der Dalai Lama seinerseits zieht vor, das Thema seiner nächsten Inkarnation dem Volk der Tibeter und all denjenigen, die an die Institution glauben, zu überlassen. In einem Interview mit Julian Gearing (Asianweek 10. Oktober 2000) sagte der Dalai Lama voraus: "Wenn ich sterbe, wird meine Reinkarnation logischerweise außerhalb Tibets, in einem freien Land, erfolgen. Der Hauptzweck der Wiedergeburt ist nämlich, die in diesem Leben noch nicht zu Ende geführte Aufgabe zu vollenden. Aber China wird einen Jungen als den nächsten Dalai Lama aussuchen, obwohl er es in Wirklichkeit nicht ist. Und wie beim Panchen Lama werden die Tibeter ihn nicht akzeptieren". Die Politik bestimmt auch den Umgang mit den Reinkarnationen, ebenso wie jeden Aspekt des religiösen Lebens im heutigen Tibet.

i) Die USA verurteilen China wegen "Verfolgung"

Der "International Religious Freedom Report" 2001, der am 26. Oktober von dem US State Department herausgegeben wurde (deutsche Übersetzung: www.igfm-muenchen.de/tibet/ctc/US%20State%20Department.html ), kommt zu dem Schluß, daß die Unterdrückung in Tibet nach wie vor insgesamt drastisch ist, während die Regierung wenig Achtung für religiöse Freiheit zeigt.

Speziell erwähnt wird auch das Programm der chinesischen Regierung zur "strengen Kontrolle der religiösen Praktiken und Orte der Anbetung in Tibet" und die gewaltsame Unterdrückung all jener religiösen Betätigungen, die als "Vehikel für politischen Dissens" angesehen werden. Präsident George Bush bemerkte in strengem Ton, daß "die traditionellen religiösen Praktiken in Tibet schon lange Zielscheibe einer besonders grausamen und ungerechten Verfolgung sind" (AFP, "Bush assails China, Sudan over Religious Repression", 3 May 2001).

In seiner Resolution zur Religionsfreiheit vom 15. Februar 2000 beanstandete das Europäische Parlament "... die staatliche Kontrolle über die Religion" und die "... Politik der Unterdrückung religiöser Aktivitäten in China". Während sie China Verzögerung bei der Ratifizierung der ICCPR vorwirft, bezeichnet die Resolution die Verletzung der Menschenrechte in Tibet als "gewaltig" und erwähnt die Diskriminierung des tibetischen Volkes auf Grund seiner ethnischen, religiösen, kulturellen und politischen Herkunft. Ferner werden alle Mitgliedstaaten eindringlich ersucht, bei der UN Menschenrechtskommission eine Resolution über das Thema der "... Verletzung der religiösen Rechte der tibetischen und mongolischen Mönche ...", einzureichen.

In seiner Ansprache an die Vollversammlung des Europäischen Parlaments am 24. Oktober 2001 drückte der Dalai Lama seine Besorgnis aus, daß " ... das ganze tibetische Volk mit seiner einzigartigen Kultur und Identität von der Auslöschung bedroht ist". Drei Tage später nannte ein Sprecher des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Nationalen Volkskongresses (NPC) in Peking die Worte des Dalai Lama "reinen Unsinn, mit dem er die Welt narren will". Ferner prahlte er, im Laufe der Jahre habe Tibet "welterschütternde Veränderungen" durchgemacht, und die Freiheit der religiösen Überzeugung, sowie alle Grundrechte und Freiheiten würden vollkommen garantiert (People's Daily, "Dalai Lama lies about Tibet's Religion", 28 Oct. 2001).

Der Außerminister Neuseelands Phil Goff brachte während seiner viertägigen Reise nach Tibet im Juni 2001 die Frage der Religionsfreiheit vor chinesischen Regierungsvertretern zur Sprache. Er äußerte sich besorgt darüber, daß die Religion in Tibet unter "strenger Kontrolle" stehe. Umgekehrt hatte Legqoq, der Vorsitzende der TAR Regierung, einen Monat zuvor in einer Pressekonferenz erklärt, daß für die Freiheit des religiösen Glaubens gemäß der chinesischen Verfassung genügend gesorgt würde. Doch fügte er warnend hinzu, niemand dürfe unter dem Vorwand der Religion die soziale Stabilität untergraben und die wirtschaftliche Entwicklung in Tibet gefährden.

Das UN Komitee über die Beseitigung von Rassendiskriminierung schloß eine zwei Tage dauernde Anhörung über einen Bericht der chinesischen Regierung bezüglich der Rechte von Minderheiten mit der Erklärung ab, es sei weiterhin "besorgt hinsichtlich der... Freiheit der Religion von Angehörigen nationaler Minderheiten, besonders in Xinjiang und Tibet". Das UN Gremium forderte China auf, für die Förderung der lokalen und regionalen Kultur und Traditionen zu sorgen und die Rechte der betreffenden Volksgruppen zu respektieren.

III, 2)

2. Politische Freiheiten

Daß den Tibetern ihre grundlegenden bürgerlichen und politischen Rechte verweigert werden, liegt hauptsächlich darin begründet, daß sie ein Volk unter fremder Besatzung sind, ein Volk, das kein Recht auf Selbstbestimmung hat. Juristisch ist dieses Recht in dem Internationalen Vertrag über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) verankert, dem zufolge "alle Menschen das Recht auf Selbstbestimmung haben; kraft dieses Rechtes können sie frei über ihren politischen Status bestimmen und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung verfolgen (Art. 1). Die Regierung der VR China (PRC) hat den Vertrag noch nicht ratifiziert, doch hofft die UN Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, daß sie bald ihre Absicht wahrmachen und diesen für die Menschenrechte grundlegenden Vertrag ratifizieren wird.

China verlor keine Zeit, aus der weltweiten Verurteilung des Terrorismus im Gefolge der Selbstmordanschläge vom 11. September in Amerika Kapital zu schlagen. Ein Sprecher des Außenministeriums brandmarkte sofort die "separatistischen Aktivitäten" der Minderheiten Chinas als "Terrorismus" und nannte sie eine wesentliche nationale Bedrohung. Bei der neunten Sitzung des Nationalen Volkskongresses (NPC) am 27. Oktober 2001 billigte der Staatsrat einen Antrag, daß China sich dem internationalen Feldzug gegen Terrorismus, Separatismus und Fanatismus anschließen solle. Li Peng, Vorsitzender des National Poeple's Congress (NPC), pries dies als eine weise Entscheidung im Hinblick auf die globale Front gegen den internationalen Terrorismus im neuen Millennium.

Peking griff unverzüglich zu diesem neuen Instrument der Unterdrückung, als es im November in der TAR einige Hundert Tibeter festnehmen ließ. Westlichen Diplomaten fiel auch auf, daß das PAP Personal und Militär in den größeren Städten Tibets viel mehr geworden ist. Bis dato ist es unklar, wie lange die in Lhasa und anderen Städten festgenommenen Tibeter in Haft bleiben werden. Aber ganz offensichtlich dient Peking sein hartes Vorgehen gegen die "Separatisten" als eine Strategie, um sich an den Anti-Terror-Zug anzuhängen.

Fast zwei Wochen nach der Sitzung des NPC stattete die Hochkommissarin für Menschenrechte Mary Robinson der PRC einen zweitägigen Besuch ab. Sie warnte China öffentlich und nachdrücklich davor, die von Amerika angeführte Kampagne gegen Terrorismus als Vorwand zur Unterdrückung ethnischer Minderheiten zu benützen, wobei sie auch ihre Sorge um Tibet zum Ausdruck brachte. Frau Robinson sagte, es sei schwierig, einen Mittelweg zwischen Anti-Terrorismus und Anti-Diskriminierung zu finden, weil der Begriff Terrorismus eigentlich nie richtig definiert wurde. Ein politischer Kommentator meint, die Definition würde eben offen gelassen, um sie so manipulieren zu können, wie es gerade in das politische Konzept eines Landes paßt: Deutlich sehe man dies nun an Chinas neuer Klassifizierung der sogenannten "Separatisten" in Xinjiang und Tibet, sowie von Falun Gong als "Terroristen-Organisationen".

Viele internationale Ereignisse haben in diesem Jahr Pekings Vertrauen in seine globale Rolle und sein internationales Ansehen verstärkt. Auf der diesjährigen Tagung der UN-Menschenrechtskommission in Genf gelang es der chinesischen Regierung wieder einmal, bei der Überprüfung einer Verurteilung zu entgehen. Dem Erfolg, daß die Olympischen Spiele 2008 an Peking vergeben wurden, folgte Chinas lang erwarteter Beitritt zu der Welthandelsorganisation.

Die chinesischen Behörden greifen gegenwärtig zu allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, um jeglichen Widerstand gegen ihre Herrschaft in Tibet zu brechen. Die Wiederaufnahme der "Hartdurchgreif-Kampagne" im April 2001 und ihre Verlängerung um zwei Jahre hatte sofortige Folgen für Tibet. Als Peking diese Kampagne des harten Durchgreifens im April 1996 in der TAR startete, legte es das Hauptgewicht auf "Verbrechen, welche die Sicherheit des Staates gefährden".

Dem Vize-Präsidenten des Obersten Volksgerichtes der TAR, Shen Liang, zufolge ist die Sicherung der sozialen Stabilität die Pflicht und Schuldigkeit des Staates. Seit Beginn der "Hartdurchgreif-Kampagne" wird jedes kleinste Anzeichen der Verehrung für den im Exil lebenden Dalai Lama als "Gefährdung der Sicherheit des Staates" oder "Beeinträchtigung der Stabilität und Einheit des Mutterlands" interpretiert. Der Staat setzt daher verschiedene umfassende Strategien ein, um die Denunzierungskampagne gegen den Dalai Lama und die tibetische Exil-Regierung anzufeuern. Der chinesischen Regierung ist der Dalai Lama politisch ein Greuel. Ein Großteil der Festnahmen und Inhaftierungen sind heutzutage direkt oder indirekt mit dem Thema der Loyalität gegenüber dem Dalai Lama verbunden, sei es wegen des Besitzes seiner Bilder, Video- oder Audio-Cassetten von ihm, der verbotenen tibetischen Nationalflagge oder irgendwelcher Dinge, die den politischen Unterton der Exilregierung aufweisen, oder einfach wegen der Weigerung von Tibetern, ihr im Exil befindliches geistliches Oberhaupt zu schmähen.

Daß bei der Kampagne speziell der Dalai Lama und andere Symbole nationaler Identität zur Zielscheibe der Angriffe werden, erklärt Wang Lequan, der Parteisekretär von Xinjiang, folgendermaßen: "Die Hartdurchgreif-Kampagne ist eine die ganze Nation betreffende Angelegenheit, wobei in den verschiedenen Regionen gemäß den lokalen Gegebenheiten unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden...".

Auch 2001 war für die chinesische Präsenz in Tibet besonders die offizielle Paranoia hinsichtlich der Stabilität kennzeichnend. Während der tibetischen Feste wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, besonders um wichtige Jahrestage herum wie dem 10. März, um zu verhindern, daß die Tibeter diese womöglich begehen und politischen Dissens manifestieren könnten. Eine größere Anzahl von PSB Personal war in Lhasa an den Orten stationiert, wo sich größere Mengen von Leuten zu versammeln pflegen. Außerdem zitierten die Behörden ehemalige politische Gefangene und deren Verwandten einige Tage vor dem 10. März zu einem Meeting, wo ihnen verboten wurde, irgendwelche "gegen den Staat gerichteten Aktivitäten" zu unternehmen.

Staatliche Angestellte, Kader und Schulkinder in Lhasa wurden angewiesen, das tibetische Neujahrsfest (das 2001 am 24. Februar begann) zu Hause zu feiern. In dem politischen Klima von heute kann bereits das Darbringen einer Opfergabe an einem heiklen Jahrestag oder das Nichterscheinen bei einem politischen Meeting als Ausdruck von Protest interpretiert werden. Aus Tibet kommende Berichte besagen, daß Tibeter in Lhasa während des 52. Jahrestages der Gründung der PRC am 1. Oktober gezwungen wurden, die chinesische Nationalflagge zu kaufen und zu hissen. Dies sei eine politische Pflicht, wurden ihnen erklärt.

Im Juni 2001 wurde in Peking das Vierte Arbeitsforum zu Tibet, an dem alle sieben Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros der CCP teilnahmen, abgehalten, wobei das Hauptgewicht auf die Entwicklung gelegt wurde. Diese Tagung setzte die Prioritäten für Chinas Politik in der TAR fest und formulierte die allgemeinen Richtlinien, an welche die TAR Regierung und ihre Funktionäre sich zu halten haben. Beobachter sehen das Ziel des Forums als ein doppeltes: erstens die wirtschaftliche Entwicklung, den Wohlstand und die soziale Stabilität voranzubringen, und zweitens die Kontrolle der Zentralregierung durch eine Politik verstärkter Assimilation Tibets in den immer besser "vereinten" chinesischen Staat zu erhöhen. Die Regierung gibt offen zu, daß diese ständige Betonung des wirtschaftlichen Gesichtspunkts auch politisch bedingt ist. Das zugrundeliegende Motiv ist Pekings Entschlossenheit, die Stabilität in Tibet um jeden Preis aufrechtzuerhalten.

Premierminister Zhu Rongji brachte dies deutlich zum Ausdruck, als er sagte: "Die von der Zentralregierung eingesetzten speziellen Methoden zur Subvention in Tibet und die dabei verfolgte Politik ist nicht nur im Hinblick auf seine besonderen Schwierigkeiten zu sehen, sondern diese Methoden und unsere Politik werden, wenn man die Sache aus der Sicht der Wahrung der Einheit unter den Nationalitäten, der Einheit des Mutterlandes und der Staatssicherheit betrachtet, von der Situation Tibets und den Bedürfnissen der allgemeinen Lage Chinas notwendig gemacht".

Einen Monat nach dem Vierten Arbeitsforum flog Vizepräsident Hu Jintao im Juli unter strengen Sicherheitsvorkehrungen nach Lhasa, um den Feiern zum 50. Jahrestag der "friedlichen Befreiung" Tibets vorzustehen. Mehrere Tausend Tibeter wurden gezwungen, am 19. Juli zur Hauptzeremonie auf dem Platz vor dem Potala zu erscheinen. Die Überwachung war besonders streng, und sie fühlten sich durch die restriktiven Maßnahmen sehr eingeengt.

a) Das Recht, seine politische Zukunft selbst zu bestimmen

Dem tibetischen Volk bleibt, obwohl es von vielen internationalen Gremien als ein eigenständiges Volk anerkannt wurde, seit der Invasion der Chinesen 1950 sein Recht auf Selbstbestimmung verwehrt. China behauptet natürlich, die Tibeter hätten durch den ihnen von Peking zugestandenen "Autonomie-Status" schon Selbstbestimmung genug.

Ein von der PRC im April 2001 herausgegebenes Weißbuch besagt, über 70% aller staatlichen Bediensteten in der Autonomen Region Tibet (TAR) seien Tibeter. In dem Dokument mit dem Titel "Fortschritt in Sachen Menschenrechte in China im Jahr 2000" heißt es an der Stelle, wo von den gleichen Rechten und dem besonderen Schutz der ethnischen Minderheiten die Rede ist: "In Tibet gehören jetzt über 50.000 Beamte im Staatsdienst ethnischen Minderheiten an. Die Rechte der ethnischen Minderheiten, an der Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben gleichberechtigt teilzunehmen und ihre Regionen und ethnischen Angelegenheiten autonom zu verwalten, sind in China durch Gesetz geschützt."

Es fällt auf, daß das neue Weißbuch überhaupt nichts über die Position des Parteisekretärs der TAR, des mächtigsten Mannes in Zentraltibet, aussagt. Dieser wird direkt von der Chinesischen Kommunistischen Partei in Peking ernannt, und bisher hatte noch niemals ein Tibeter dieses Amt inne. Die dominierenden Leute in der TAR Administration sind schon immer Parteimitglieder gewesen, und der Partei kommt das Vorrecht zu, die einzelnen Posten zu besetzen. Wahlen werden in Tibet nur abgehalten, damit China behaupten kann, in Tibet existierten "demokratische Rechte". Ein ehemaliger Parteisekretär aus der Gemeinde Kolug, Nagchu, TAR, der Anfang des Jahres aus Tibet floh, beschreibt es so: "Zuerst wurden wir von höheren Instanzen ausgewählt, und dann gab das Publikum seine Stimme für die vorherbestimmten Kandidaten ab."

Das Idealbild der "Basisdemokratie in ländlichen Gebieten, deren grundlegende Komponenten demokratische Wahlen und ebenso getroffene Entscheidungen, eine demokratische Verwaltung und Kontrolle sind", wie es das Weißbuch beschreibt, stimmt überhaupt nicht mit dem gegenwärtigen Regierungssystem in Tibet überein. Für die Dorfbevölkerung gibt es überhaupt keinen Beschwerdeweg, um den lokalen Verwaltungsbeamten ihre Probleme vorzutragen, die theoretisch die Aufgabe hätten, "Mittler zwischen den Menschen an der Basis und den höheren Instanzen" zu sein.

Demselben, jetzt in Indien befindlichen Informanten zufolge "fand jeden Monat ein Meeting statt, bei dem er offizielle Dokumente vorlesen mußte, die hauptsächlich die 'Dalai Separatisten' verurteilten und die von den Chinesen vorangetriebene Entwicklung Tibets priesen. In gewisser Weise war es eine Art der Umerziehung des Volkes. Anderes Vortragsmaterial waren Reden von Mao, Deng Xiaoping, Jiang Zemin, Guo Jinlong und Raidi, die wir den Leuten vorzutragen hatten". Wenn dieser ehemalige Gemeindefunktionär jedoch versuchte, bei seinen Vorgesetzten ernsthafte Beschwerden und Angelegenheiten, die für die Leute wirklich wichtig waren, zur Sprache zu bringen, stieß er auf taube Ohren.

Ein anderer Parteisekretär sprach ebenfalls von den gravierenden Einschränkungen für "Parteimitglieder, denen der Besitz von Schreinen, Hausaltären oder Dalai Lama Bildern, sowie die Observanz religiöser Rituale und das Aufstellen von Butterlämpchen verboten wurde".

Parteimitglieder oder Beamte, bei denen man Anzeichen von Sympathie für die tibetische Kultur und Tradition bemerkt oder die gar selbst Gefallen an ihr finden, werden entweder versetzt oder degradiert. Shalo, der Gemeindevorsitzende von Karlang im Distrikt Karze, TAP Karze, Sichuan, genoß wegen seiner Bemühungen um die Erhaltung der tibetischen Kultur und seiner Unterstützung von Menschen in Not hohes Ansehen. Im August 2001 wurde den Dorfbewohnern mitgeteilt, daß Shalo nach Dartsedo, TAP Karze, versetzt werde, worauf die Bevölkerung mit Protest reagierte. Einige Vertreter der Gemeinde begaben sich zur Kreisverwaltung und baten darum, daß Shalo auf seinem Posten belassen würde.

b) Eine ganz besondere Art von Kadern

Das bißchen Autonomie, das die Tibeter vielleicht haben, wird immer mehr durch den Zustrom chinesischer Kader ausgehöhlt, die an den Führungsstellen in den Distriktsverwaltungen, Präfekturen und Regionen stehen. Seit 1995 kamen mehrere Schübe extra ausgebildeter Kader nach Tibet. Die chinesische Führung ist der Ansicht, sie seien zuverlässiger als ihre tibetischen Kollegen und betrieben die Parteiarbeit mit größerem Elan. Diese Spezialkader genießen besondere Privilegien – sie bekommen das dreifache Gehalt und werden innerhalb von drei Jahren nach ihrer Versetzung nach Tibet befördert.

Seit diese Kader direkt der Führung in Peking verantwortlich sind, haben sie definitiv größere Vollmachten und können die von den örtlichen - sowohl den tibetischen als auch den chinesischen, in Tibet permanent ansässigen - Kadern getroffenen Entscheidungen aufheben. Wenn dieser Trend anhält, wird es ganz gewiß immer mehr direkte Einmischung Pekings in den täglichen Verwaltungsablauf in Tibet geben. Dadurch wird die Wirkungsmöglichkeit der lokalen Kader, insbesondere der tibetischen, sehr beeinträchtigt. Wie verlautet, studieren gegenwärtig etwa 70 chinesische Kader an der Tibet-Universität in Lhasa. Zum ersten Mal belegt damit eine so große Anzahl von Chinesen den drei Jahre dauernden Studiengang für tibetische Sprache. Die Universitätsleitung soll anderen Studenten erklärt haben, den chinesischen Hochschulabsolventen komme "bei der Konsolidierung der sozialen Stabilität und Erhaltung des Friedens in Tibet eine besonders wichtige Rolle zu".

Die Überwachung durch chinesische Kader erstreckt sich offensichtlich auch auf Bildungseinrichtungen, wo spezielle Abteilungen geschaffen wurden, um ein Auge auf die "Disziplin" der Studenten zu werfen. Ein junger tibetischer Student aus dem Kreis Chentsa an der Qinghai Pädagogischen Hochschule für Nationalitäten wurde erwischt, als er auf die Rückseite eines Heftes politische Sprüche geschrieben hatte. Der chinesische Lehrer Tunhan Phrim, der das Gekritzel entdeckte, berichtete die Sache dem Rektor, und der Junge flog sofort von der Schule. Der Lehrer indessen wurde zum Leiter des politischen Büros (chin. Zheng zhi chu) befördert.

c) Freiheit der Meinungsäußerung

Art. 19 des Internationalen Vertrags über Bürgerliche und Politische Rechte garantiert, daß alle Menschen das Recht auf freie Meinung und freie Meinungsäußerung haben. Dieses Recht beinhaltet die Freiheit, Meinungen unangefochten zu vertreten und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln und ohne Rücksicht auf Grenzen zu empfangen und zu verbreiten.

Die Regierung der PRC behauptet, daß "die Verfassung von 1982 und andere Gesetze bürgerliche und politische Rechte garantierten. So schützt die Verfassung das aktive und das passive Wahlrecht, die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Veröffentlichung, Versammlung, Zusammenschluß, Demonstration und Protest". Während sie die genannten Bürgerrechte schützt, legt die Verfassung auch fest, daß die Ausübung dieser Rechte dem Staat oder den sozialen und kollektiven Interessen keinen Schaden zufügen, noch die Rechte anderer Bürger beinträchtigen darf, wobei alle Handlungen, welche die Verfassung verletzen, unter Strafe stehen.

Ein großes Kapitel in Pekings Weißbuch vom 9. April 2001 ist den "Garantien der politischen Bürgerrechte" gewidmet. Trotz dieses vielversprechenden Titels ist in dem Text nirgends die Rede davon, daß den Bürgern das Recht auf Freiheit der Meinung und freie Meinungsäußerung zustehe.

Tatsache ist, daß die Rechte des tibetischen Volkes gemäß Art. 35 der Verfassung der PRC das ganze Jahr 2001 hindurch wiederholt verletzt wurden. Um die Rechte unabhängiger Schriftsteller und Reporter zu zensieren, zu regulieren und sogar ganz aufzuheben, wird nun zu diversen Straf- und Unterdrückungsmaßnahmen gegriffen. Ein von der Regierung eingesetzter Medienrat in Tibet soll die selbständigen Verlage ablösen, womit jede Veröffentlichung von Werken, die der "Rhetorik" der PRC nicht entsprechen oder die Verehrung für den Dalai Lama bekunden, verhindert wird.

Rinchen Dhondup aus der Gemeinde Chabcha, TAP Tsolho, Qinghai, gehörte zum Mitarbeiterstab des "Chinesischen Forschungszentrums für tibetische Bildung" in Peking. Er sagte, die Autoren dort hätten überhaupt keine Freiheit in bezug auf den Inhalt ihrer Werke gehabt. "Irgend etwas, was nur entfernt nach Politik riechen könnte, wird getilgt und durch die chinesische Version und Propaganda ersetzt. Die Absicht der Chinesen ist, die tibetische Geschichte mit der chinesischen Kultur und Geschichte in Übereinstimmung zu bringen. Mit Tibetern, die 'belastende' Artikel schreiben, wird rigoros verfahren".

Der Schriftsteller und Herausgeber Jinpa Gyaltso, 24, wurde von dem Sicherheitsbüro von Gansu festgenommen, weil er umstrittenes Material verteilt hatte. Darunter befand sich auch eine abgekürzte Lebensgeschichte des Exil-Märtyrers Thupten Ngodup, die Autobiographie des Dalai Lama ("Mein Land und mein Volk"), sowie eine Sammlung seiner Reden. Gyaltso wurde 15 Tage lang festgehalten, weigerte sich jedoch irgend etwas preiszugeben. Dann wurde er laufen gelassen, nach drei Tagen erneut verhaftet und am 29. August wieder freigelassen. Er machte sich unverzüglich auf die Flucht nach Indien. Er war 5 Jahre lang Herausgeber einer privaten Zeitschrift namens Guku Choepo (Blumenstrauß). Obwohl er sie selbst finanzierte, konfiszierten die Behörden eine Ausgabe, die politische Artikel enthielt.

Gyatso sagt, daß "die Autoren im heutigen Tibet in drei Kategorien eingeteilt werden können. Die ersten preisen die CCP, um sich Beifall und eine Stellung in der Gesellschaft zu sichern. Zu dieser Gruppe gehören tibetische Kader und Regierungsangestellte, die hauptsächlich über den Tibet von der Partei gebrachten Fortschritt und die neue Entwicklung schreiben. Sie fabrizieren auch regelmäßig Gedichte zu bedeutsamen Jahrestagen der Partei.

Die zweite Kategorie bilden Schriftsteller, die Patrioten sind und etwas von Politik verstehen. Sie schreiben kritische Essays und satirische Gedichte, in denen es um soziale Reformen geht, die jedoch nur selten in einem der tibetischen Magazine veröffentlicht werden. Das Sicherheitsbüro hält stets Ausschau nach solchen Ansätzen in ihren Schriften und registriert sie. Wann immer ich zum Sicherheitsbüro gerufen wurde, merkte ich, daß sie über mich und einige meiner Freunde persönliche Akten angelegt hatten, in denen unsere Schriften resümiert und dokumentiert waren.

Die dritte, etwas bornierte Gruppe hat keine spezielle Philosophie. Sie schwankt entsprechend der jeweiligen Umstände hin und her. Die chinesische Regierung interessiert sich nicht besonders für diese angehenden Schreiberlinge der neuen Generation. Doch man kann sagen, daß alle drei Typen unter dem direkten Druck der kommunistischen Regierung stehen.

Ich bin der Ansicht, daß tibetische Schriftsteller überhaupt keine Ausdrucksfreiheit besitzen, weshalb sie es sehr schwer haben, etwas Ordentliches mit tibetischem Flair hervorzubringen. Selbst wenn der eine oder andere von ihnen einen guten Artikel schreibt, hat er, wenn dieser politische Elemente enthält, keine Möglichkeit, ihn dem Publikum vorzustellen. Solange Tibet unter chinesischer Besatzung ist, fürchte ich, wird die tibetische Dichtung niemals an die Weltliteratur heranreichen und immer weit hinter dem internationalen Standard zurückbleiben.

Als junger tibetischer Autor repräsentiere ich die Stimme aller Tibeter in Tibet. Ich fühlte mich jedoch wie unter einer Maske, denn wir Tibeter haben nicht die Freiheit, unserer Identität Ausdruck zu verleihen. Was immer an Arbeiten in einer der Zeitschriften veröffentlicht wird, stellt in Wahrheit nicht die tibetische Literatur dar."

Gyaltso zufolge darf kein Thema behandelt werden, das nicht im Einklang mit den Prinzipien der Partei und der Ideologie der kommunistischen Regierung steht. Er ist der Ansicht, daß es zur künstlerischen Produktion oder auch nur gut geschriebenen Artikeln einer förderlichen Atmosphäre und der Meinungsfreiheit bedürfe. Im besetzten Tibet gebe es jedoch nur wenig oder gar keine Chancen, seine Kreativität zu entfalten.

Den Tibetern wird nicht nur verwehrt, ihre Meinung und Gedanken frei auszudrücken, sondern durch die Kontrolle der Medien und des Internets wird auch das Recht auf Information empfindlich eingeschränkt. Dieses Jahr enthüllte der Bericht einer Beobachtergruppe, daß die PRC beträchtliche Anstrengungen unternimmt, um ausländische Radiosendungen abzufangen, indem sie auf der selben Frequenz Alternativprogramme aussendet. Radiosender wie Voice of America, Radio Free Asia und Voice of Tibet berichten von häufigen Blockaden ihre Sendungen nach Tibet. Diese Sender sind auf Reportagen in tibetischer Sprache über in Tibet interessierende Themen spezialisiert, berichten über den Dalai Lama und die Regierung im Exil, und stellen so eine "Bedrohung" für die chinesische Regierung dar, die Angst vor "Unterwanderung" hat. Die offizielle Xinhua Nachrichtenagentur warnte vor den Gefahren, die von diesen ausländischen Sendern ausgehen. "Das Eindringen feindlicher Radiosender in unser Gebiet nahm in der letzten Zeit bedenklich zu." Die zuständigen chinesischen Verantwortlichen beim Rundfunk haben eine Ausweitung der Sendungen auf Tibetisch angekündigt und neueste technische Ausrüstung angeschafft. Laut westlicher Beobachter hat China die Belegschaft für Programme auf Tibetisch im letzten Jahr vervierfacht, das heißt auf 80 erhöht. Seit es strafbar ist, in Tibet ausländische Sender zu hören, heißt es, seien die Tibeter äußerst vorsichtig beim Abhören dieser Sender aus Übersee.

Das Internet ist eine dezentralisierte globale Informationsquelle, die ein enormes Potential darstellt und den Tibetern das Verständnis der Menschenrechte, die gegenwärtigen Ereignisse und alternative Perspektiven vermitteln könnte. Ende 2001 schloß Peking jedoch über 17.000 Internet-Cafés in der ganzen PRC. Die chinesische Regierung zwang im Zuge ihrer repressiven Überwachungspolitik des Internetgebrauchs Tausende von weiteren Cafés, Internet-Überwachungs-Software zu installieren. Peking führte außerdem scharfe Kontrollen für die politischen Inhalte von Websites ein. Dazu gehören im letzten Jahr erlassene Vorschriften, die jede "Information, die den in der Verfassung niedergelegten Grundprinzipien zuwiderläuft", verbieten. Art. 15 der Verordnung der PRC für Internet Content Providers (ICP) verbietet die Verbreitung von Informationen, welche die Sicherheit des Staates gefährden, dem Ansehen und den Interessen des Staates schaden oder die staatliche Religionspolitik untergraben. 2001 erlaubte die Regierung nur der Hälfte der Internet Cafés eine Erneuerung ihrer Lizenzen.

Da Tibeter keinen Zugang zu unabhängigen Medien haben - womit die Verbreitung von Kritik an der Zentralregierung unterbunden werden soll -, greifen sie zu den traditionellen Methoden der Informationsweitergabe, insbesondere zur Plakatierung. Im heutigen Tibet ist der politische Preis, der für mündlichen oder schriftlichen Protest oder das Verteilen von Flugblättern politischer Färbung gezahlt werden muß, außerordentlich hoch. Das zeigt, wie empfindlich die chinesischen Behörden reagieren, wenn Tibeter oder Angehörige anderer nationaler Minderheiten "spalterische" Anwandlungen an den Tag legen.

Sechs Tibeter aus dem Kreis Sog, Präfektur Nagchu, TAR, wurden wegen angeblicher politischer Aktivität und Bekundung ihrer Meinung zu verschieden langen Haftstrafen zwischen 7 Jahren und lebenslänglich verurteilt. Vier davon sind Mönche aus dem Kloster Sog Tsendhen im Kreis Sog. Den Häftlingen wurde beinahe neun Monate nach ihrer Festnahme Mitte Dezember von dem Mittleren Volksgericht von Nagchu öffentlich der Prozeß gemacht. Sie wurden der Unterstützung der Machenschaften der "Dalai Clique und die Sicherheit des Staates gefährdender Aktivitäten" angeklagt. Das vom Gericht vorgelegte Beweismaterial enthielt u.a. Holzdruckstöcke und Plakate, auf denen Unabhängigkeit für Tibet gefordert wird, sowie Cassetten-Aufnahmen von Reden des Dalai Lama.

Informationen aus Tibet zufolge nahmen PSB Beamte aus dem Distrikt Ngaba (chin. Aba) und aus Marthang, TAP Ngaba, Sichuan, vier Mönche des Klosters Tsennyi fest. Im August 2000 hatten diese vier insgeheim in einer Stadt im Distrikt Ngaba Unabhängigkeitsblätter und Wandzeitungen angebracht. Diese Plakatier-Aktion wiederholten sie vier Monate später im Distrikt Marthang noch einmal. Nachdem die Behörden von ihrem Tun erfahren hatten, führten die Offiziellen im Kloster Tsennyi eine Razzia durch, wo einige Flugblätter und Holzdruckstöcke entdeckt wurden. Daraufhin wurden Jigme (33) aus der Gemeinde Garsam, Jinpa (30) aus der Gemeinde Toema, Khedrup (45) aus der Gemeinde Tsaru und Kelsang (40) aus der Gemeinde Tsennyi im März 2001 festgenommen. Der gegenwärtige Aufenthaltsort der vier Mönche in nicht bekannt.

Meng Deli, der Leiter der Justizbehörde der TAR, weist die Kritik an den Behörden zurück und bezeichnet Aussagen wie "Tibet ist ein Polizeistaat, in dem massenhaft Mönche festgenommen werden und in dem viele Jugendliche unter 18 Jahren politischer Vergehen wegen verhaftet werden", als puren Unsinn. Solche Gerüchte würden nur von der Dalai Clique und anderen anti-chinesischen Kräften verbreitet. Er behauptet, "niemand sei je wegen Besitzes von Dalai Lama Portraits oder Rufens von Parolen zugunsten des Dalai Lama ins Gefängnis geworfen worden".

Viele aus Tibet bekannt werdende Fälle widersprechen jedoch solchen Behauptungen. Das Public Security Bureau von Lhasa verurteilte eine Tibeterin namens Migmar zu 6 Jahren Gefängnis, weil sie bei sich zu Hause ein Video über den Dalai Lama angeschaut hatte. Am 16. Februar 2001 stürmte PSB Personal in das Zimmer, in dem Migmar und vier ihrer Bekannten ein Dalai-Lama-Video anschauten. Die Beamten beschlagnahmten das Video und durchsuchten das Haus nach weiterem belastenden politischen Material.

Ein ähnlicher Fall ist der von Ngawang Tsultrim, einem 24-jährigen Rückkehrer aus dem Exil, der wegen Vorführung eines Dalai Lama Videos festgenommen und vor Gericht gestellt wurde. Er wurde Anfang 2000 zu 3 Jahren verurteilt, die er im Drapchi Gefängnis abzusitzen hat. In Lhasa hatte er einigen seiner Freunde aus Chamdo die aus Indien mitgebrachten Video-Cassetten vorgeführt. Gleich nachdem er die Cassetten im Juli 1999 zum ersten Mal gezeigt hatte, nahmen PSB Beamte Tsultrim fest und traktierten ihn im Polizeigewahrsam mit heftigen Schlägen und folterten ihn.

d) Charmeoffensive

Um ihr Image aufzubessern, kurbelten die Chinesen ihre Propagandamaschinerie an und luden westliche Medien zu organisierten Touren nach Tibet ein, damit sie sich dort ein Bild von der "tatsächlichen Lage" machen sollten. Man hörte auch von einer Tagung hinter geschlossenen Türen für Tibetologie und Außenpropaganda, die im Juni 2000 in Peking stattfand. Zhao Qizheng, Direktor des Informationsbüros des Staatsrates, legte Chinas Pläne dar, auf welche Weise die "Tatsachen" über Tibet dargestellt werden sollen, um internationale Glaubwürdigkeit und Unterstützung zu gewinnen. Zhao gab auch den Erfolg der "nicht-politisierten Propaganda des Dalai Lama" zu. Wo die Regierung gescheitert sei, läge die Verantwortung nun bei den Akademikern, mittels ihres Nicht-Regierungs-Status das Ausland von der Position Chinas zu Tibet zu überzeugen, fügte er hinzu.

Dem TCHRD liegen die Berichte von mindestens zwei ausländischen Korrespondenten vor, die nach diesem neuen Propagandaprogramm 2001 Tibet besuchten. Der Peking-Korrespondent von BBC, Rupert Wingfield-Hayes, besuchte im September mit einer Gruppe von 30 anderen Journalisten aus dem Ausland Tibet. "Solche Reisen nach Tibet sind niemals einfach", kommentierte er, "ein ganzes Heer von Aufpassern begleiten einen überall hin; angeblich sind sie dafür da, um einem zu helfen, aber ihr Job ist eher, einen zu behindern. Und je näher man Tibet kommt, um so störender werden sie - und in der Tat kamen sie uns unbequem nahe...".

Bei einer weiteren Tour wurden Korrespondenten zum Kloster Kumbum in Qinghai geführt. Christopher Bodeen, der für Associated Press zeichnet, schrieb: "Indem sie ausländische Journalisten in diese Zitadelle des tibetischen Buddhismus brachten, wollten die Chinesen ihnen wahrscheinlich vormachen, daß die Mönche dort frei von politischer Einmischung leben. Dutzende von Polizisten, die durch die Klosterhallen patrouillierten, ließen jedoch etwas anderes ahnen".

e) Willkürliche Verhaftungen und Festnahmen

Die UN Arbeitsgruppe für Willkürliche Verhaftung (Working Group on Arbitrary Detention = WGAD) betrachtet Freiheitsberaubung in folgenden Fällen als willkürlich:

  • Wenn sie offensichtlich gesetzlich nicht gerechtfertigt werden kann (wie Fortdauer der Haft, nachdem die Strafe bereits verbüßt wurde oder obwohl Amnestie zur Anwendung kommen müßte).
  • Wenn die Freiheitsberaubung aufgrund einer Verurteilung wegen Ausübung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegten Rechte und Freiheiten erfolgt, sowie in Staaten, welche dem Internationalen Vertrag über Bürgerliche und Politische Rechte beipflichten.
  • Wenn die vollständige oder teilweise Nichtbeachtung einschlägiger internationaler Standards, wie sie in der Universalen Erklärung der Menschenrechte und den entsprechenden von den Staaten hinsichtlich des Rechtes auf ein faires Gerichtsverfahren eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen niedergelegt sind, so gravierend ist, daß die Freiheitsberaubung, wie auch immer sie sei, einen willkürlichen Charakter hat.

Die in der Verfassung der PRC enthaltenen gesetzlichen Mittel, das chinesische Strafrecht und das Strafprozeßrecht geben zusammen genommen dem Staat eine Vielfalt an Möglichkeiten zur Repression, zur Anordnung von Verboten, zur Untersuchung oder Bestrafung von fast jeder Form von Äußerung oder Aktivität eines Individuums, und sie stehen dafür, daß die staatlichen Organe den Gesetzen und der Verfassung Geltung verschaffen. Dies wird weiter durch den jüngsten Zusatz zur Verfassung der PRC von 1999 verstärkt, der "...die Pflicht der Bürger der Volksrepublik China, die Einheit des Landes und der Einheit aller Nationalitäten zu wahren", gesetzlich verankert. Weiter heißt es darin: "Die Ausübung der Freiheiten und Rechte durch die Bürger der PRC darf den Interessen des Staates, der Gesellschaft und des Kollektivs keinen Abbruch tun, noch die gesetzlichen Freiheiten und Rechte anderer Bürger verletzen."

Im Sinne dieser Definitionen kann die Mehrheit der Festnahmen tibetischer Gewissensgefangener als willkürlich bezeichnet werden. Geshe Sonam Phuntsok ist solch ein Fall. Quellen aus Tibet bestätigten dieses Jahr, daß der gelehrte Mönch im Gefängnis Tranktung, Dhatam, Kreis Dhartong, Sichuan, inhaftiert ist. Angeklagt wurde der Geshe wegen der "illegalen Durchführung einer religiösen Zeremonie, sowie einer Reise nach Indien..., wo er eine Audienz beim Dalai Lama hatte und sich zusammen mit ihm photographieren ließ". Außerdem wurde er der "Gefährdung der Sicherheit des Staates" für schuldig befunden, nur weil er die im ICCPR niedergelegten grundlegenden Freiheiten wahrgenommen hatte, nämlich das Recht auf die Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion (Art. 18) und das Recht auf Freizügigkeit (Art. 12). Da die Straftatbestände, nach denen sich der Geshe schuldig gemacht haben soll, eindeutig einen Verstoß gegen internationale Verträge darstellen, können seine Festnahme und Haft als willkürlich bezeichnet werden.

Bisher stellte die WGAD fest, daß eine ohne Haftbefehl festgenommene Person in Verletzung des Art. 9(2) des ICCPR als eine willkürlich verhaftete Person zu bezeichnen ist. Art. 59 des Strafprozeßrechts der PRC (CPL) stellt fest, daß "die Verhaftung einer Person, die einer strafbaren Handlung verdächtigt oder beschuldigt wird, von den Volksprokuratoren bestätigt werden oder von den Volksgerichten beschlossen werden muß". Art. 71 verfügt, daß bei der Festnahme ein Haftbefehl vorgewiesen werden muß, und Art. 64 sagt, daß, wo immer eine Person inhaftiert wird, auch eine Anordnung des Ortes der Inhaftierung vorgelegt werden muß. Die meisten Verhaftungen in Tibet erfolgen ohne Haftbefehl.

Neue Informationen, die das TCHRD im Juni 2001 über die Demonstration vom 26. Oktober 1999 in Karze erhielt, auf der Geshe Sonam Phuntsoks Freilassung gefordert worden war, bestätigen die Festnahme von 16 Tibetern, die an dem Protest beteiligt waren und die dann zu 2 bis 6 Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Für keinen von ihnen war bei der Festnahme ein Haftbefehl ausgestellt worden.

Art. 9(3) des ICCPR verfügt, daß eine Person, die einer Straftat verdächtigt wird, innerhalb einer vernünftigen Zeit Anrecht auf ein Gerichtsverfahren hat. Geshe Sonam Phuntsok wurde 17 Monate lang im Polizeigewahrsam gehalten, ehe er vor Gericht gestellt wurde. Das CPL setzt eine zweimonatige Frist für die Untersuchungshaft eines Verdächtigen fest, mit ein bis zwei Monaten Verlängerung bei Billigung durch die Volksprokuratur. Wo es "besondere Gründe" gibt, kann die Verhandlung eines prominenten Falles nur nach Zustimmung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses verschoben werden. Wie es scheint, wurde diese Verfügung im Falle von Geshe Sonam Phuntsok übergangen.

Lange Untersuchungshaftzeiten sind besonders besorgniserregend, weil sie den Behörden reichlich Gelegenheit geben, "Informationen aus den Verdächtigen herauszupressen". Zeugnisse von verschiedenen ehemaligen und jetzigen Häftlingen bestätigen dies. Im Falle von Geshe Sonam Phuntsok gibt es sichtbare Zeichen von Verletzungen an seinem Körper, die ein Verwandter bemerkte, als er ihn 17 Monate nach seiner Festnahme endlich besuchen konnte. Das TCHRD muß daraus schließen, daß der Geshe in der Untersuchungshaft gefoltert wurde, was einen eindeutigen Verstoß gegen die Art. 247 und 248 des chinesischen Strafrechts darstellt.

Die chinesische Regierung behauptet, wie es in dem staatlichen Journal Beijing Review heißt, daß die gesetzlichen Rechte und Interessen der Tibeter voll geschützt würden. Dazu gehören auch die Rechte, "auf Abbüßung von Strafen außerhalb des Gefängnisses, Strafminderung, Freisetzung auf Bewährung, Einlegung von Berufung gegen ein Urteil, Beschwerdeführung über Fehlverhalten der Vollzugsorgane, Erstattung von Anzeige, Besuche von Familienangehörigen, Treffen mit Besuchern und Entlassung nach Vollendung der Strafe...". Viele Fälle beweisen jedoch, daß diese Rechte illusorisch sind. Chadrel Rinpoche, welcher der Suchkommission nach der Reinkarnation des 10. Panchen Lama vorstand, befindet sich noch immer in Haft, obwohl seine 6-jährige Gefängnisstrafe 2001 zu Ende gegangen war. Gyaltsen Norbu, früherer Vorsitzender der TAR, räumte auf die wiederholten Fragen einer polnischen Parlamentarierdelegation, die im August 2001 Lhasa besuchte, ein, daß Chadrel Rinpoche weiterhin inhaftiert bleibe (Anm. Am 20.2.2002 teilte das TCHRD mit, Chadrel Rinpoche sei "entlassen" worden, stehe jedoch unter Hausarrest in Shigatse. Seitdem wurde nichts mehr über sein Schicksal bekannt).

Wenn die Gefangenen in Haftzentren oder Gefängnissen weit entfernt von ihrer Heimat und ihrer Familie eingesperrt sind und Familienangehörigen oder Freunden das Besuchsrecht verweigert wird, verstoßen die Behörden gegen die Prinzipien der UNO über den Schutz aller Personen, die irgendeiner Art der Inhaftierung oder Gefangenhaltung unterliegen. Ngawang Choephel, dem Musiker aus Indien, der 7 Jahre in Tibet inhaftiert war, wurde nur ein einziges Mal innerhalb dieser Zeit das Besuchsrecht zugestanden.

Fälle von tibetischen Gefangenen, denen ihr Recht auf Besuche verweigert wird, sind häufig. Im November 2001 interviewte das TCHRD einen Neuankömmling aus dem Kreis Sog, Präfektur Nagchu, TAR, der bestätigte, daß bisher nur zwei von den sechs Personen, die im März 2000 wegen politischer, die "Sicherheit des Staates gefährdender" Aktivitäten festgenommen worden waren, Besuche erlaubt wurden. Den Angehörigen von Ngawang Lochoe wurde zwei Wochen vor ihrem Tod am 5. Februar 2001 der Besuch bei ihr verweigert. Berichten zufolge soll sie schon einige Zeit an akuter Pankreatitis gelitten haben.

Human Rights in China, eine Beobachtergruppe mit Büros in Hongkong und New York, dokumentierte viele Fälle von Rechtsanwälten, die in der PRC verfolgt wurden, weil sie ihre Klienten verteidigt hatten. In ähnlicher Weise führt auch die politische Repression auf dem tibetischen Hochplateau dazu, daß Personen, die gegen illegale Verhaftungen Rechtsmittel einzulegen versuchen, oft selbst Opfer von Repressalien werden. Hou Zongbin, Vorsitzender des Ausschusses für innere und juristische Angelegenheiten des Nationalen Volkskongresses, der die Ergebnisse einer NPC Delegation zur Begutachtung der Umsetzung des CPL in 12 Provinzen, autonomen Regionen und Stadtbezirken erläuterte, räumte ein, daß "Rechtsanwälte oft Schwierigkeiten haben, mit ihren Klienten in Kontakt zu treten und Einsicht in die diesbezüglichen Gerichtsakten zu nehmen, und daß ihre berechtigten Eingaben meistens verworfen werden". So etwas, wie gegen ein Urteil Berufung oder gegen Amtsmißbrauch Rechtsmittel einzulegen, hat es im besetzten Tibet noch nie gegeben. Erstens gibt es kein Recht und keine Möglichkeit, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, zweitens ist da die Angst vor Repressalien gegen diejenigen, die zugunsten eines Verdächtigen appellieren, oder gegen den Verdächtigen selbst. Flüchtlinge berichten, daß jeder Versuch, eine Verhaftung anzufechten, in Tibet mit Bestrafung geahndet wird.

Freunde von Geshe Sonam Phuntsok wandten sich an mehrere Rechtsanwälte in Sichuan, ob sie Geshe bei den Gerichtsverhandlungen vertreten würden. Alle weigerten sich aus den genannten Gründen, seinen Fall zu übernehmen. Außerdem, so erklärten sie, bestehe bei einem wegen politischer Aktivitäten angeklagten Individuum keine Hoffnung, seinen Fall erfolgreich zu verteidigen. Darüber hinaus hat ein Anwalt in politischen Fällen keinen Zugang zu dem Mandanten, noch bekommt er Einsicht in das Beweismaterial gegen ihn, weshalb die Dienste eines Anwalts ohnehin nutzlos wären.

Das Strafrecht der VR China legt fest: "Wer immer die Spaltung des Landes oder Untergrabung der nationalen Einheit plant, organisiert oder Handlungen zu diesem Zwecke unternimmt, der Anführer oder derjenige, dessen Verbrechen besonders schwer ist, ist mit lebenslanger Haft oder Gefängnis nicht unter 10 Jahren zu bestrafen. Andere aktiv daran Beteiligte sind mit nicht weniger als drei, aber nicht mehr als 10 Jahren Freiheitsentzug zu bestrafen; weitere Beteiligte sind mit bis zu drei Jahren Gefängnis, Zuchthaus, Beaufsichtigung oder Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte zu bestrafen. Wer immer andere Leute zur Spaltung des Landes und zur Untergrabung der nationalen Einheit aufhetzt, ist mit bis zu 5 Jahren Gefängnis, Zuchthaus, Beaufsichtigung oder Entzug der bürgerlichen Rechte zu bestrafen. Anführer oder Personen, die sich besonders schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben, sind mit nicht unter fünf Jahren Gefängnis zu bestrafen."

Verschiedene Fälle und die Verfügungen im chinesischen Strafrecht selbst machen deutlich, daß dieses gegen das internationale Recht verstößt. 1997 äußerte sich die WGAD der Vereinten Nationen besorgt über diejenigen Paragraphen, die sich auf die "Gefährdung der nationalen Sicherheit" beziehen. Die Arbeitsgruppe stellte fest:

"Das revidierte Strafrecht liefert im Zusammenhang mit den Delikten der Gefährdung der nationalen Sicherheit überhaupt keine Definition zur näheren Bestimmung der Handlungen, welche die nationale Sicherheit gefährden könnten. Es ist entscheidend, daß ein Strafrecht solch einen Standard setzt, denn nur in diesem Fall wäre es vernünftig, fair und gerecht. Das Gesetz der nationalen Sicherheit kann eindeutig mißbraucht werden; insofern es Teil eines Gesetzeskodexes ist, liefert es sogar die Rechtfertigung für die Einschränkung der grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten."

Die WGAD beanstandete im Anschluß an ihren Besuch in China 1997 bei ihrer Auseinandersetzung mit der chinesischen Regierung mehrere Punkte.

  • Versäumnis, bei der Revidierung des Strafrechts den Begriff der "Gefährdung der nationalen Sicherheit" genau zu definieren und die Anwendung der ungenauen Definition auf eine große Bandbreite von Vergehen;
  • Die Tatsache, daß Handlungen von Personen in Wahrnehmung ihres Rechtes auf Meinungsfreiheit und Ausdrucksfreiheit als Akte der Gefährdung der nationalen Sicherheit betrachtet werden;
  • Die Tatsache, daß Institutionen, Organisationen und Einzelpersonen außerhalb Chinas, die mit Organisationen im Land zusammenarbeiten, ebenfalls der "Gefährdung der nationalen Sicherheit" angeklagt und für schuldig befunden werden können;
  • Der Mangel an Präzision bei der Definierung des Verbrechens der subversiven Tätigkeit und des versuchten Sturzes des sozialistischen Systems, oder der Aufstachelung zu solch einem Verbrechen durch "Verbreitung von Gerüchten, Verleumdung oder andere Mittel" (Art. 105);
  • Die Tatsache, daß nach Art. 105 sogar schon die Mitteilung von Gedanken, Ideen oder Meinungen ohne die Absicht, eine Gewalt- oder Straftat zu verüben, als Subversion angesehen werden kann.

Chinas Antwort auf die gewichtigen Vorwürfe der WGAD war, die Anklage "konterrevolutionär" in "Gefährdung der nationalen Sicherheit" umzuwandeln, um Klarheit zu schaffen. Das Wort "Verschwörung" wurde aus der ursprünglichen Klausel der "Absprache mit ausländischen Kräften und Verschwörung zur Gefährdung der nationalen Sicherheit, territorialen Integrität und Sicherheit" getilgt. Ein Austausch der juristischen Begriffe ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß jeder, der seinen Dissens mit der chinesischen Herrschaft zum Ausdruck bringt, auch unter dem revidierten Strafrecht weiterhin mit schwerer Bestrafung zu rechnen hat.

Im Gefolge dieser juristischen Verrenkungen kündigte Peking an, daß 21 Paragraphen des Strafrechtes der PRC in 12 zusammengefaßt worden wären, womit also die Anzahl strafbarer Handlungen im Vergleich zu dem bisherigen Kodex vermindert worden sei. Keine dieser Änderungen helfen jedoch dem großen Spektrum an Mißbrauch ab, der nach der revidierten Fassung möglich geworden ist.

f) Das Schicksal politischer Gefangener

Soweit uns bekannt, beträgt die Zahl der politischen Häftlinge in Tibet derzeit 254, was einen wesentlichen Rückgang gegenüber den letzten Jahren bedeutet. Die chinesische Regierung behauptet, die Abnahme der Zahl der Gefangenen sei die Folge einer angeblichen Verbesserung der Menschenrechtslage in Tibet. Meng Deli, Leiter der Justizbehörde der TAR, behauptet: "Im Laufe der vergangenen 10 Jahre wurden in der Autonomen Region Tibet im Südwesten Chinas immer weniger Personen unter der Anklage der Gefährdung der nationalen Sicherheit in Haft genommen, so daß es gegenwärtig nur noch 100 von ihnen gibt". Diese von China gepriesene Verminderung von Gefängnisinsassen aus politischen Gründen "... mag ein berechtigtes soziales Ziel sein, aber sie rechtfertigt nicht die Ausübung von Kontrolle als Strafmaßnahme, unter der ein Individuum seine grundlegenden Menschenrechte verliert" (Working Group on Arbitrary Detention: Visit to PRC 1997).

Eine beträchtliche Zahl von Personen wurde, wie verlautet, dieses Jahr entlassen, weil ihre Haftstrafen zu Ende gegangen waren. Die Anzahl neuer Festnahmen hat abgenommen, weil sich die Tibeter sehr wohl des Risikos von sichtbarem Trotz und offenem Widerstand in einem Umfeld strengerer politischer und religiöser Repression bewußt sind. Weiterhin schreckt die Behandlung von Gefangenen nach Beendigung ihrer Haftzeit und der auf Ex-Gefangene, deren Verwandte und Freunde ausgeübte Druck die Tibeter davor ab, eine Festnahme zu riskieren. Die berüchtigten Mißhandlungen von Häftlingen in Lhasas Drapchi-Gefängnis und die routinemäßigen Verlängerungen ihres Strafmaßes wirken sich auch abschreckend aus. Die Haftstrafen von mindestens 47 politischen Gefangenen wurden seit 1987 verlängert. Eine der verhafteten Frauen, Ngawang Lochoe, deren Strafe 1993 verlängert worden war, starb im Februar 2001 im Gefängnis. Ihre auf 10 Jahre lautende Strafe wäre am 21. März 2002 zu Ende gegangen. Zwei der prominentesten Häftlinge, Takna Jigme Sangpo und Ngawang Sangdrol verbüßen gegenwärtig Haftstrafen von 41 bzw. 22 Jahren (Anm. Takna Jigme Sangpo wurde im März 2002 und Ngawang im Oktober 2002 vorzeitig freigelassen).

Seit 1997 sind mindestens 33 politische Gefangene entweder in der Haft oder kurz nach ihrer Entlassung an den Folgen der Folterungen gestorben. Das durch die Mißhandlung in der Gefangenschaft erlittene psychologische Trauma kann durch die Umstände nach der Entlassung noch verschlimmert werden. Die Entlassenen kommen in eine ihnen feindlich gesinnte Gesellschaft, in der die Sicherheitskräfte mit ausgedehnten staatlichen Vollmachten ausgestattet sind, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten, also in ein System, in dem der Einzelne wenig oder gar keine Rechte hat.

Ehemalige politische Gefangene unterliegen in ihrem täglichen Leben einer besonders intensiven Überwachung und werden vor bedeutsamen politischen Jahrestagen in Lhasa oft von den Behörden zu Verhören herausgegriffen oder mit Drohungen eingeschüchtert. Daß dieses Jahr ehemalige politische Häftlinge und ihre Verwandten in Lhasa zu einem formellen Meeting einberufen wurden, ist etwas Ungewöhnliches und könnte für die Bemühungen der Behörden stehen, am 10. März von vorneherein jegliche Bekundung politischen Dissenses auszuschließen. Die Probleme sind nicht auf ehemalige Häftlinge beschränkt - ihre Familien, Freunde und ihnen irgendwie verbundene Personen sind alle potentiell betroffen. Ehemalige Arbeitskollegen fallen durch ihr bloßes Bekanntsein mit den Betroffenen ebenso unter den offiziellen Verdacht.

Tsering Lhagon aus dem Kreis Sog, Präfektur Nagchu, TAR, war in seiner Familie der einzige Verdiener. Nachdem er im Dezember 2000 wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" zu 15 Jahren verurteilt worden war, wurde dieses Jahr im Exil berichtet, daß seine Familie unter extremer Armut und Hunger litte. Ein kürzlich aus der Gegend eingetroffener Flüchtling berichtete, daß nicht einmal Tsering Lhagons Freunde der Familie helfen konnten, aus Angst, daß sie der "gemeinsamen Sache mit den Spaltern" bezichtigt würden.

Allgemein geraten Familienangehörige politischer Häftlinge oftmals in finanzielle Not, weil sie wegen der politischen Betätigung ihrer "fehlgeleiteten" Verwandten die Mittel zu ihrem Lebensunterhalt einbüßen können. Darüber hinaus entstehen ihnen hohe medizinische Kosten, wenn der Häftling aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig entlassen wird und eine langwierige Behandlung erfordert.

Der 50-jährige Thupten Tsering aus dem Kreis Sog, Präfektur Nagchu, TAR, ist halbseitig gelähmt. Er wurde in der Gefangenschaft erbarmungslos geschlagen und nach seiner Freilassung durfte er nicht mehr in sein Kloster zurückkehren. Er wird derzeit in der Gemeinde Yaklha ärztlich behandelt, weil es an seinem Heimatort in der Gemeinde Rawa kein Krankenhaus gibt. Seine Familie ist der Verarmung anheimgefallen, nachdem sie hohe medizinischen Kosten für ihn aufbringen mußte. Außerdem verbüßt Thuptens Bruder Tenzin Chowang derzeit eine Strafe von 7 Jahren.

An die Kulturrevolution erinnernde Praktiken werden angewandt, um die Tibeter davon abzuhalten, abweichende Meinungen zu äußern. So werden Häftlinge gewöhnlich auf den offenen Ladeflächen von Lastwagen mit um den Hals gehängten Schildern durch die Stadt gefahren, was abschreckend auf die Zuschauer wirken soll. Diese Zurschaustellung der Opfer wird auf Chinesisch treffend als "Hühner töten, um Affen zu erschrecken" umschrieben.

g) Das Recht, sein Heimatland verlassen und in es zurückkehren zu können

Das Recht, sein eigenes Land zu verlassen, ist in den wichtigsten internationalen Regelwerken, nämlich der UDHR (Art. 13,2), dem ICCPR (Art. 12,2) und der Konvention über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (CERD) (Art. 5,d) festgeschrieben.

Tibeter, die über ihre engere Umgebung hinausreisen wollen, und sei es nur in den Nachbar-Distrikt, stoßen auf bürokratische Hindernisse. Wenn sie ihren Wohnort verlassen oder gar in Grenzregionen reisen wollen, benötigen sie spezielle Dokumente. Da die Nervosität der Behörden, was die Grenzen betrifft, sehr groß ist, wird von Tibetern, wenn sie die Grenzsperrgebiete betreten wollen, verlangt, daß sie sich ein besonderes Reisedokument (tong xin zhang) beschaffen, wobei dieses Dokument den Reisezweck nennen muß. Geschäftsleute vor Ort benutzen für gewöhnlich den Paß, der von einem regionalen Verwaltungsbüro (entweder dem Sicherheitsapparat des PSB oder der PAP) gegen eine Gebühr von 10 bis 50 Yuan (5,88 USD) erworben werden kann, meistens nur für eine gewisse Zeit. Das Reisedokument wird nur auf Vorlage des chinesischen Bürgerausweises (shan fein zhang) ausgestellt.

Mit dem tong xin zhang Reisedokument können sich flüchtende Tibeter gefahrlos zur Südgrenze Tibets begeben, aber für Leute, die nicht in der Nähe der Grenze zu Nepal wohnen, ist es problematisch, ein solches zu bekommen. Aus diesem Grund verbringen Tibeter, die sich zur Flucht entschlossen haben, oft einige Zeit in Lhasa, wo sie versuchen, auf legalem oder illegalem Wege einen Reisepaß zu erwerben, der sie befähigt, die Grenzregionen zu durchqueren ohne ständig Gefahr zu laufen, verhaftet zu werden. Gewöhnlich sind Asylsuchende, die in der Lage sind, sich einen tong xin zhang zu beschaffen, besser informiert und besser situiert als solche, die dies nicht können. Oftmals haben sie Kontakte zu den Behörden (oder dem Schwarzmarkt) und haben angeblich einen guten Grund, weshalb sie in die Grenzgebiete reisen müssen.

Zwei junge Mönche, die im Distrikt Karze, Karze TAP, Sichuan, 2000 an einem Protest beteiligt waren, flohen später aus ihrem Kloster und versteckten sich einen Monat in Lhasa. Mit Beistand ihrer Angehörigen kauften sie sich die tong xin zhang Pässe. Dann fuhren sie auf der "Freundschaftsstraße" (die Tibet mit Nepal verbindet) gen Süden, wo sie zwei guides anheuerten, denen sie 3.000 Yuan (352 USD) zahlten, um sie über Dram, der tibetischen Grenzstadt zu Nepal, nach Kathmandu zu bringen.

Um Tibet legal zu verlassen, müssen Bürger in dem Paßamt des PSB in Lhasa einen Antrag für einen Paß der VR China (hu zhao) stellen. Es ist oft kompliziert, einen solchen zu bekommen, und die Prozeduren sind umständlich. Nur Personen mit offiziellen Beziehungen oder mit Einfluß gelingt es, Pässe zu bekommen, und auch nur, nachdem sie auf verschiedenen Ebenen der Bürokratie Schmiergelder bezahlt haben.

Bukyi, ein 25-jähriger ehemaliger Mönch aus dem Kloster Kana des Distrikts Dzatoe, TAP Jyekundo, Qinghai, der sich gültige Reisedokumente beschaffen konnte und am 1. Juni 2001 Kathmandu erreichte, beschreibt den Prozeß so:

"Ich beschloß, aus Tibet zu fliehen, um in Indien meine spirituellen Studien und meine Praxis besser fortsetzen zu können. Die chinesischen Behörden geben Tibetern gewöhnlich keine Ausreisegenehmigung, wenn das Reiseziel Indien ist. Es ist jedoch ein wenig leichter, ein Reisedokument für Nepal zu bekommen, obwohl man den üblichen Verifikationsprozeß durchlaufen, die Authentizität des Einladungsschreibens beweisen und eine Photokopie des nepalesischen Passes des Bürgen vorlegen muß. Mir blieb nichts übrig, als die Beamten zu schmieren, um das Schneckentempo, mit der ein Ausreisevisum sonst ausgestellt wird, etwas zu beschleunigen.

Die Kosten für die Sichtvermerke sind sehr gestiegen, weshalb normale Tibeter sie sich dieser Tage kaum leisten können. Man muß auf drei verschiedenen Ebenen (Distrikt, Präfektur und Provinz) drei Dokumente von der Polizeibehörde erwerben, wobei jedes normalerweise nur 10 Yuan kosten sollte, doch ich gab viel Geld aus, um die jeweiligen Beamten zu schmieren.

Ich kannte einen Beamten (Name aus Sicherheitsgründen zurückgehalten) von der Distriktspolizei, der in der Visum-Abteilung arbeitet. Als ich ihn bat, mir die notwendigen Dokumente auszustellen, um ein Visum für Indien zu bekommen, antwortete er kategorisch, für Reisen nach Indien würde kein Visum ausgestellt, besonders nicht für Mönche. Nach viel Bitten und Betteln lenkte der Beamte schließlich ein unter der Bedingung, daß ich ihm eine Statue aus Lhasa im Wert von 350 Yuan mitbringe. Ich mußte 300 Yuan als Kaution dafür hinterlegen, daß ich nach dem Besuch nach Tibet zurückkehren würde.

Dann ging ich mit dem Papier von der Distrikt-Polizei zu der Polizeibehörde der Präfektur in der TAP Jyekundo, Qinghai. Der Beamte dort, ein tibetisch-sprechender Chinese, war sehr unwillig, mir die Dokumente auszustellen. Nachdem ich geduldig 4 Monate lang gewartet hatte, bestach ich ihn mit Geschenken von 30 gyama (15 kg) Butter, Milch und einem neuen handgestrickten Pullover - Waren im Wert von insgesamt etwa 700 Yuan (87,50 USD). Innerhalb von 2 Tagen erhielt ich dann nach einer weiteren Zahlung von 700 Yuan, wofür mir eine Quittung gegeben wurde, die notwendigen Papiere.

Der dritte Schritt ist, die Erlaubnis auf Provinzebene zu bekommen, wofür ich zur Polizeistation von Xining, der Hauptstadt Qinghais, gehen mußte. Diesmal nahm ich einen chinesisch-sprechenden Verwandten mit und bekam das richtige Fünfjahres-Visum, mit dem ich innerhalb einer Woche nach Nepal einreisen konnte. An Visumsgebühren mußte ich 300 Yuan (35 USD) zahlen.

Ich denke, hätte ich den Beamten in der Polizeistation von Jyekundo TAP gleich zu Anfang geschmiert, so hätte ich nicht so lange zu warten brauchen. In Lhasa ging ich zu dem nepalesischen Konsulat und zahlte 250 Yuan für die Visumsbestätigung. Nach Überquerung der Freundschaftsbrücke an der Grenze von Nepal zu Tibet mußte ich schließlich noch einem Grenzpolizisten 200 NC zahlen, ehe ich zum Tibetan Reception Centre nach Kathmandu weiterreisen konnte."

Ein anderer Informant verkaufte alles, was er und seine Familie besaßen, um 10.000 Yuan und brach dann von seiner Heimatstadt nach Lhasa auf. Die Pässe hatten sie vor Ort erworben, indem sie ihren weiblichen Yak (Dri) im Wert von 1.000 Yuan, 40 kg Butter und zwei kleinere Nutztiere, und dazu noch 300 Yuan für jedes der vier Kinder hergaben. Trotz der Pässe wurden sie auf dem Weg zur nepalesischen Grenze immer wieder von der lokalen Polizei vor Ort ausgefragt, und mußten die Polizei in Nyalam noch einmal mit 130 Yuan schmieren. Obwohl sie so viel für diese teuren Dokumente ausgegeben hatten, entschlossen sich die Leute am Ende doch, den Himalaya zu Fuß zu überqueren, da sie der Meinung waren, daß dieser Weg sicherer sei als das Überschreiten der offiziellen Grenze.

Man hörte dieses Jahr auch, daß die chinesischen Behörden immer öfters Tibeter, falls sie zu fliehen versuchen sollten, mit der Konfiszierung ihres Grund und Bodens und der Inhaftierung ihrer Eltern und Verwandten bedrohen. Mit solchen, bei Distrikt-Meetings gemachten Erklärungen wollen sie Druck auf die Tibeter ausüben und sie davon abhalten, aus ihrer Heimat zu fliehen.

Die meisten Asylsuchenden, die nach Indien kommen, bemühten sich jedoch nicht um offizielle Reisedokumente: in erster Linie, weil ein Antrag an die Behörden, um auf Pilgerschaft nach Dharamsala zum Dalai Lama zu gehen oder in ein Kloster in Indien einzutreten oder eine tibetischsprachige Schule zu besuchen, sofort zurückgewiesen und den Zorn der staatlichen Organe und Bestrafung nach sich ziehen würde. Zweitens sind die meisten von ihnen arm und können sich die Reisedokumente und andere "Nebenkosten" bei der Prozedur nicht leisten. Wenn sie sich jedoch ohne Dokumente auf die Reise begeben, können sie leicht verhaftet werden. Der Verdacht, daß jemand zu fliehen beabsichtigt, genügt als Grund zur Festnahme, und wenn der Person noch die erforderlichen Dokumente fehlen, ist dies eine Bestätigung für ihr mutmaßliches Delikt.

Dies wird durch Berichte von über 2.500 Tibetern bestätigt, die 2001 innerhalb von sechs Monaten von den TAR Grenzschutzkräften gemäß der "Hart-Durchgreif-Kampagne" verhaftet wurden. Einem Mönch aus dem Distrikt Karze, Provinz Sichuan, zufolge, wurden alleine im Juni 2001 dreihundert Tibeter bei dem Versuch, nach Indien zu fliehen, festgenommen. Sie wurden zusammen mit Leuten, die bei der Rückkehr von Nepal und Indien festgenommen worden waren, in das Haftzentrum von Nyari eingesperrt. Vermutlich wurden sie dann alle zur Arbeit an die Baustelle der neuen Eisenbahnlinie von Golmud nach Lhasa abkommandiert.

Festnahme und Inhaftierung sind das übliche Resultat des Versuchs aus Tibet zu fliehen. Die betreffenden Haftanstalten liegen in der Nähe der Hauptstädte entlang der "Freundschaftsstraße" nach Nepal: Shigatse, Lhatse, Tingri, Nyalam und Dram an der Grenze. Aus diesem Grund steigen viele Personen und Gruppen, die per Bus oder LKW über die Freundschafsstraße fahren, aus, wenn sie sich Städten nähern, und steigen auf der anderen Seite wieder ein.

h) Die Strafen für die Flucht

Tibeter, die beim Versuch zu fliehen, geschnappt werden, wird selten der Prozeß gemacht, ehe sie ins Gefängnis kommen. Die Strafe scheint hauptsächlich als "Administrativhaft" (Anm. darunter sind Haftstrafen zu verstehen, die nicht von Gerichten, sondern von Behörden wie dem PSB angeordnet werden) verhängt zu werden, wie etwa die Inhaftierung für ein bis drei Jahre zur "Umerziehung-durch-Arbeit". Das Lager für "Umerziehung-durch-Arbeit" in Trisam (in Kreis Toelung Dechen, 10 km westlich von Lhasa) ist eine der größten Zwangsarbeits-Anstalten in der TAR.

Samdup, ein ehemaliger Insasse von Trisam, sagt, als er zuerst im April 1999 dort eingesperrt wurde, habe es etwa 300 Häftlinge in der Anstalt gegeben. Als er am 31. März 2001 entlassen wurde, hatte sich deren Anzahl auf 600 verdoppelt. Die Mehrheit der Häftlinge sind aus der TAR.

Samdup erzählt weiter, die Haftbedingungen seien "entsetzlich" gewesen. Die Gefangenen waren halb verhungert und wurden infolge des verseuchten Wassers und der schmutzigen Nahrung leicht Opfer von Krankheiten. Sie mußten auch mit bloßen Händen Gülle aus den Toiletten schöpfen und die Felder der Anstalt mit menschlichen Exkrementen düngen.

Der 40-jährige Penpa aus der Gegend Tsang Shalu in der TAR starb Anfang 2000, gerade einen Monat nach seiner Entlassung aus medizinischen Gründen aus der Zwangsarbeitsanstalt Trisam. Sechs Monate hatten ihm noch zur Vollendung seiner dreijährigen Haftstrafe gefehlt.

Nach ihrem Besuch von 1997 in China beschloß die WGAD (Arbeitsgruppe für Willkürliche Verhaftung) der UNO in ihrer 20. Sitzungsperiode, die Behandlung von China betreffenden Fällen wieder aufzunehmen, insbesondere das Problem der "Umerziehung-durch-Arbeit". Die WGAD forderte die chinesische Regierung auf, notwendige Schritte einzuleiten, um die nach ihrer Studientour gemachten Empfehlungen in die Tat umsetzen, wobei sie betonte, daß "Umerziehung-durch-Arbeit" nicht bei Personen zur Anwendung kommen sollte, die ihr Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung in friedlicher Weise wahrnahmen.

Im Verlauf ihres Besuchs fragten die Mitglieder der Arbeitsgruppe ihre chinesischen Gesprächspartner, ob die Maßnahme der Umerziehung-durch-Arbeit bei Personen zur Anwendung käme, die durch die friedliche Wahrnehmung ihrer in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbürgten Grundrechte angeblich die öffentliche Ordnung gestört haben... und die sich nicht nach dem Strafrecht strafbar gemacht haben. Die Delegation wurde darüber informiert, daß die Maßnahme zur Umerziehung-durch-Arbeit nur bei Personen zum Einsatz käme, die nach dem Gewohnheitsrecht geringfügige Vergehen begangen haben und die nicht strafrechtlich verfolgt zu werden brauchen. Wenn diese Maßnahme bei Personen angewendet wird, die in genannter Weise die öffentliche Ordnung stören, ist ihre Einweisung in ein Lager zur Umerziehung-durch-Arbeit nach Ansicht der Arbeitsgruppe eindeutig als willkürlich zu bezeichnen.

Die Menschenrechtskommissarin Mary Robinson bekräftigte bei ihrem Besuch in China im November 2001 die Meinung des WGAD, indem sie "Umerziehung-durch-Arbeit" als "grundlegend willkürlich" bezeichnete. In Verletzung der Empfehlungen dieses UN Gremiums fährt die chinesische Regierung jedoch fort, den Tibetern ihre Grundrechte zu verweigern durch die willkürliche Verurteilung von Individuen zur "Umerziehung-durch-Arbeit".

Zwei Tibeter sind, wie verlautet, wegen der harten Zwangsarbeit in dem Xinhua-Lager für "Umerziehung-durch-Arbeit" (chin. Xinhua Laojiasuo) in der Stadt Mianyang (chin. Shi) in Nord-Sichuan gestorben. Pasang Dolma, die im Februar 2001 Indien erreichte, berichtete in Einzelheiten über den Tod ihres Mannes in der Anstalt. Tsering Wangdrak war einer von jenen, die bei den Demonstrationen in Karze im Oktober 1999 mit dabei waren und die Entlassung von Geshe Sonam Phuntsok forderten. Die zwei Tibeter brachen zusammen, als sie im Sommer 2000 in der Hitze zur Arbeit gezwungen wurden. Ihnen wurde sowohl Wasser als auch erste Hilfe verweigert, so daß sie kurz darauf starben. Es scheint, daß Tibeter in der Xinhua Strafanstalt sehr unter mangelnder Anpassung an die Hitze und Feuchtigkeit des Sommers in Sichuan leiden, wozu noch die harte Arbeit und die erschreckenden Gefängnisbedingungen kommen.

Die Standardstrafe für diejenigen, die bei dem Versuch, Tibet zu verlassen, gefaßt werden, variiert von 10 Tagen Gewahrsam in einer Polizeistation bis zu 3 Monaten Inhaftierung in einem Haftzentrum oder Gefängnis. Die Häftlinge berichten, daß die chinesische Polizei ihre Opfer routinemäßig schlägt und foltert. Den Zeugnissen zufolge, über die wir verfügen, werden die Festgenommenen häufig zwischen verschiedenen Polizeistationen, Haftzentren und Gefängnissen hin- und hergeschoben. Mittels dieser Verlegungen wollen die lokalen Behörden die Asylsuchenden wohl aus ihrer Jurisdiktion und aus der Grenznähe wegschaffen und in Anstalten unterbringen, die eine genügend große Aufnahmekapazität haben. Die Polizeistation in Dram an der Grenze zu Nepal ist verhältnismäßig klein.

Samdup aus dem Kreis Chushul bei Lhasa, der im Oktober 2001 in Kathmandu eintraf, berichtete dem TCHRD, wie eine Massenflucht von 72 Tibetern im April 1999 endete. Die Polizei von Nagchu nahm am 1. April 1999 eine Gruppe von 72 Personen im Kreis Nyima, Nagchu, TAR, fest. 25 der Festgenommenen im Alter von 6 bis 40 Jahren stammten aus der Gegend um Lhasa und der Rest aus Osttibet. Alle versuchten, ins Exil zu entkommen. Die Gruppe wurde 8 Tage in dem Haftzentrum von Nagchu festgehalten und dann zu der Anti-Aufruhr-Abteilung des PSB in Lhasa transportiert, wo sie intensiv verhört wurde. Danach verlegte man sie in die Haftanstalt Gutsa in Lhasa, wo sie drei Monate und drei Tage eingesperrt wurde. Durch intensive und wiederholte Vernehmungen wollten die Schergen des Staates den Zweck ihrer Flucht nach Indien und ihre zukünftigen Pläne herausbekommen.

64 Flüchtige wurden nach 4 Monaten Haft in verschiedenen Haftzentren entlassen. Acht Personen wurden jedoch zu weiterer Bestrafung durch "Umerziehung-durch-Arbeit" herausgepickt. Diese Strafe ist theoretisch für Leute vorgesehen, die sich geringfügiger Vergehen, die noch keine Verbrechen sind, schuldig machten. In der Praxis wird sie jedoch vielfach bei politischen Dissidenten angewandt. Es sind nicht die Gerichte, die diese Entscheidung treffen, sondern es sind von der Polizei dominierte Administrativausschüsse, die jemanden in ein Lager zur "Umerziehung-durch-Arbeit " schicken.

Bei den acht auf diese Weise bestraften Tibetern handelt es sich entweder um ehemalige politische Gefangene, um Mönche, die von Arbeitsteams aus ihren Klöstern vertrieben wurden oder um reguläre Mönche. Fünf der Häftlinge wurden zu zwei Jahren "Umerziehung-durch-Arbeit" abkommandiert, die anderen drei wurden für ein Jahr in ein solches Arbeitslager geschickt. Wiederholte Versuche, aus Tibet zu entfliehen, sind nichts Außergewöhnliches. Etwa einer von 20 Flüchtlingen, die das Tibetische Transitlager in Nepal erreichten, berichtet, daß sie bei ihrer Reise in Tibet verhaftet und eingesperrt wurden.

Tibeter, die aus dem Exil zurückkehren, schweben in noch größerer Gefahr, der unerlaubten "Spionagetätigkeit für westliche Kräfte und die Dalai Clique" bezichtigt zu werden. Ihre "verdächtigen Aktivitäten" können unter dem Delikt der "Gefährdung der Sicherheit des Staates" subsumiert werden, mit dem die Verhängung der Strafen "legalisiert" wird. Die Leiche des 27-jährigen Saru Dawa, eines Mönches des Klosters Kirti, Dharamsala, wurde Mitte Februar 2001 von seinen Verwandten in der Nähe des Nyari Haftzentrums in Shigatse geborgen. Saru Dawa war am 20. November 2000 in Dram an der Grenze von Nepal zu Tibet verhaftet worden, als er nach Tibet zurückkehren wollte, um seine schwerkranke Mutter zu besuchen.

i) Folter und Mißhandlung im Gefängnis

Die UN "Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung oder Bestrafung" überträgt dem Staat die Verantwortung, "effektive legislative, administrative, strafrechtliche oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um Folter in jedem Bereich unter seiner Jurisdiktion zu unterbinden" (Art. 3). Obwohl China diese Konvention 1988 ratifiziert hat, ist es für die unzähligen Verstöße gegen sie infolge seines repressiven Systems der Überwachung, Einschüchterung und Nachstellung innerhalb der Gefängnisse zur Verantwortung zu ziehen.

Hinsichtlich des gesetzlichen Umfelds, in dem die Bestrafung für Proteste erfolgt, zeigen Berichte aus ganz Tibet deutlich, daß die Revision des chinesischen Strafrechts und der Strafprozeßordnung von 1997 keine Verbesserung bei dem Umgang mit politischer Vergehen wegen inhaftierten Tibetern gebracht hat. Obwohl Folter als Mittel zur Erzwingung von Geständnissen - die, wenn sie erst einmal aus dem Opfer herausgepreßt worden sind, die Basis für deren Verurteilung bilden - von dem CPL (Criminal Procedure Law) von 1997 ausdrücklich verboten wurde, sind Menschenrechtsverletzungen gegenüber Häftlingen wie Schläge und Folter in Polizeihaft die Norm geblieben, wenn gegen die politischer Aktivitäten wegen verdächtigen Tibeter ermittelt wird.

Sogar eine Reihe von chinesischen Funktionären hat sich über die umfassenden ausufernden Mängel im Justizsystem geäußert. Hou Zongbin, Vorsitzender des Ausschusses für innere Angelegenheiten und Justizfragen im Nationalen Volkskongreß, räumte im Dezember 2000 ein, daß die Anwendung der Folter zur Erzwingung von Geständnissen "an manchen Orten ziemlich ernst ist und fürchterliche soziale Folgen hat", weshalb "mit aller Schärfe dagegen vorgegangen werden sollte, anstatt dies zu tolerieren".

Zwei Tibeter, Tenzin Khedrup und Thupten Thapkey, wurden wegen eines Sprengstoffanschlags am 11. Juli in der Gemeinde Thandong, Distrikt Tengchen, Präfektur Chamdo, brutal gefoltert und zu Geständnissen gezwungen. Die zwei wurden im November 2001 zu lebenslänglichem Freiheitsentzug und 29.000 Yuan Geldstrafe (3.412 US$) bzw. 19.000 Yuan (2.236 US$) verurteilt. Ein dritter Angeklagter, Damdul, bekam eine Haftstrafe von 3 Jahren und Sherab, der jüngste von ihnen, wurde freigelassen. Die vier gehörten zu den 16 Tibetern, die am 18. Juli im Zusammenhang mit der Detonation in Chamdo festgenommen worden waren. Unter ihnen war auch der Mönch Tseta Marong, der so grausam geschlagen wurde, daß er starb, während ein anderer mit einem elektrischen Schlagstock brutal gefoltert wurde. Vertreter der Polizei und des zuständigen Gerichts verweigerten jegliche Auskunft über den Fall (Radio Free Asia, "Tibetans get life in jail in connection with blast", 1 Dec. 2001).

Die Tatsache, daß Folter ein regelmäßiges Vorkommnis in den Haftanstalten ist, wird auch durch Amnesty International's Dokumentation über Folter vom 12.2.2001 erhärtet. Amnesty zufolge nennen Berichte aus China in den letzten Jahren "einen hohen Protzentsatz von Opfern, die während der Vernehmung in den ersten 24 Stunden nach ihrer Festnahme durch Mißhandlung getötet oder lebensgefährlich verletzt wurden". Viele erzählen, sie seien mit jedem Gegenstand geschlagen worden, den ein Wachmann oder Vernehmungsbeamter gerade zur Hand hatte, auch mit Gewehrläufen. Die Praxis der Folterpraxis weitet sich in China ständig aus, wobei eine immer größere Zahl von Staatsdienern eine zunehmende Zahl an Opfern durch Schläge, Peitschenhiebe, elektrische Schocks oder sexuellen Mißbrauch quält.

Die Amnesty Analyse gibt Aussagen von Zeugen und sogar Artikel aus regierungsabhängigen Zeitungen wieder, die offen über die "weitverbreitete und systematische" Anwendung von Folter bei politischen Aktivisten, tibetischen Nonnen, Wanderarbeitern, Straftätern und ihren Anwälten berichteten. Häftlinge leiden häufig unter Nieren- und Leberschäden als Folge der ihnen von den Gefängnisaufsehern besonders auf diese empfindlichen Organe verabreichten Tritte und Schläge.

Als Amnesty International die chinesische Regierung auf diesen Sachverhalt hin ansprach, fand sich die Menschenrechtsorganisation mit Schweigen oder völliger Verleugnung konfrontiert. Eine Antwort der chinesischen Regierung an den Sonderberichterstatter für über Folter ("Report of the Special Rapporteur", Sir Nigel Rodley, 25.1.2001) auf dessen Anfrage bezüglich des Häftlings Ngawang Kyonmey lautete, daß dieser "gegenwärtig seine Haftstrafe verbüße und in normalem Gesundheitszustand sei". Ngawang Kyonmey, der im November 1998 verhaftet und am 18. November 2000 entlassen wurde, war jedoch entsetzlich gefoltert worden. Die Wärter versetzten ihm heftige Schläge auf den Kopf und schleuderten ihn wiederholt gegen die Mauer. Sie legten seine Handgelenke in einer äußerst schmerzhaften Position in Handschellen, indem sie seinen rechten Arm über die Schulter rückwärts bogen und seinen linken Arm hinter den Rücken zerrten. Dadurch war seine körperliche Bewegungsfähigkeit sehr beeinträchtigt. Er lebt nun in Dharamsala, nachdem ihm im Februar 2001 die Flucht aus Tibet gelang.

Polizei und Gefängnisaufseher können ihre Opfer mit Ungestraftheit foltern und mißhandeln, wozu sie die Haftbedingungen ermutigen, da die Häftlinge oft ohne Verbindung zur Außenwelt gehalten werden, es keine Kontrolle ihres Tuns gibt, und solche Fälle nur sporadisch untersucht und verfolgt werden.

Tibetische Gefangene, die krank werden, erhalten keine medizinische Betreuung, und, wie von vielen berichtet wird, gehen trotz ernster gesundheitlicher Probleme die Mißhandlung und Folterung weiter. Ärztliche Hilfe wird ihnen erst zuteil, wenn sie sich in kritischem Zustand oder dem Endstadium ihres Leidens befinden. Nur wenige genesen in der Gefangenschaft von einer Krankheit.

Ein spezifischer solcher Fall ist der des 30-jährigen Mönches Lobsang Sherab aus dem Kloster Sera, der im Oktober 1999 unter dem Verdacht der Verwicklung in Aktivitäten zur Erlangung der Unabhängigkeit vom PSB Personal festgenommen wurde. Er kam in das PSB Haftzentrum von Lhasa, wo er intensiv gefoltert wurde, was einen Beinbruch zur Folge hatte. Er trug auch Kopfverletzungen davon. Lobsang Sherabs Zustand wurde so kritisch, daß er noch vor der Verurteilung am 24. November 1999 entlassen wurde. Obwohl er danach im Tibetan Medical Institut von Lhasa behandelt wurde, verschlechterte sich sein Zustand immer mehr, und er starb am 20. Oktober in Lhasa. Bei der Himmelsbestattung stellte sich heraus, daß er unter einer zerebralen Hämorrhagie gelitten hatte.

j) Gewaltanwendung gegenüber weiblichen Insassen

Amnesty International kommt bei seiner Studie über Frauen im Gefängnis zu dem Schluß, daß es sich bei denjenigen, die foltern und mißhandeln, normalerweise um Diener des Staats handelt.

Während Gewaltakte gegen Frauen nicht ausschließlich von Staats wegen verübt werden, ist das Stillschweigen staatlicher Instanzen ein Hauptfaktor, weshalb immer noch Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung ist. Es obliegt der Regierung eines Staates, Frauen und ihre Rechte zu schützen. In Tibet gibt es so etwas jedoch nicht. Unseren Quellen zufolge befinden sich in diesem Jahr in Tibet immer noch 38 Frauen im Gefängnis.

Vergewaltigung von Frauen, das Nackt-Ausziehen und Einführen von elektrischen Schockinstrumenten in ihre Genitalien und Umwickeln ihrer Brustwarzen mit elektrisch geladenen Drähten gehören zu den Standardformen geschlechtsspezifischer Folterung.

Vergewaltigung oder Drohung mit derselben dient zu einer ganzen Reihe von Zwecken, etwa um Geständnisse zu erpressen, die Opfer einzuschüchtern, zu demütigen oder zu quälen. Diese Art der Bestrafung verursacht ihnen nicht nur ein physisches, sondern auch ein psychisches Trauma, wie uns die Flüchtlinge bezeugen. Frauen in tibetischen Haftanstalten werden von Aufsehern, Sicherheits- und Militärpersonal vergewaltigt. Der elektrische Viehstock, ein gegenüber allen Insassen viel gebrauchtes Folterinstrument, wird bei weiblichen Häftlingen besonders gern innerlich angewendet.

Ein Beispiel für diese brutale Behandlung ist der Fall der 28-jährigen tibetischen Nonne Ngawang Lochoe, die am 5. Februar 2001 im Drapchi Gefängnis starb, nur ein Jahr vor Vollendung ihrer 10-jährigen Strafe. Ngawang Lochoe wurde zusammen mit fünf weiteren Nonnen aus dem Kloster Nyen festgenommen, die am 14. Mai 1992 friedlich demonstriert hatten. Sie wurden der "Anstiftung zu konterrevolutionären Aktivitäten und Propaganda" beschuldigt.

Sangmo, eine 25-jährige Nonne aus dem Kloster Chubsang, die ursprünglich aus dem Kreis Meldrogungkar im Bezirk Lhasa stammt, wurde im Drapchi Gefängnis, wo sie sechs Jahre lang eingesperrt war, schwer mißhandelt und gefoltert. Nach ihrer Entlassung am 1. Februar 2001 klagte Sangmo über ständige Kopfschmerzen und verlor außerdem immer wieder ihr mentales Gleichgewicht. Trotz ihrer schlechten finanziellen Lage verschaffte ihre Familie ihr die notwendige medizinische Behandlung in Lhasa. Aber im März 2001 nahm ihre Sehfähigkeit immer mehr ab und sie erblindete schließlich.

Der ICCPR besagt, daß alle "Personen, die ihrer Freiheit beraubt wurden, menschlich und mit Achtung für die dem Menschen inhärente Würde zu behandeln sind" (Art. 10). In Ausweiterung des allgemeinen Verbots geschlechtlicher Diskriminierung auch auf geschlechtsspezifische Gewalt verabschiedete das Komitee für die Abschaffung der Diskriminierung von Frauen (CEDAW) 1994 die Empfehlung 19, in der es heißt, daß der Begriff Gewalt gegen Frauen auch "Akte, die physischen, mentalen oder sexuellen Schaden oder Leiden verursachen, Drohung mit solchen Akten, Zwang und andere Arten der Freiheitsberaubung" beinhaltet.

k) Bedingungen und Rechte in der Haft

Oft informieren die Gefängnisleitungen die Angehörigen oder Freunde von Häftlingen nicht über deren Zustand. Tsering Wangdrak wurde wegen seiner politischen Aktivitäten zu beinahe vier Jahren verurteilt, aber seine Frau Pasang konnte ihn erst vier Wochen später sehen. Pasang, die im Februar 2001 ins Exil floh, erzählte, sie habe einen beschwerlichen Instanzenweg durchlaufen müssen, um die Erlaubnis zum Besuch ihres Mannes zu bekommen und außerdem noch 1.000 Yuan (118 US$) Schmiergeld zahlen müssen. Am 6. Juni 2000, acht Monate, nachdem Wangdrak festgenommen worden war, gelang es seinem Zellengenossen, eine Botschaft an seine Frau zu schicken, daß Wangdraks Zustand sehr ernst sei. Kurz nachdem sie diese Nachricht erhalten hatte, verstarb ihr Mann. Vier Tage nach seinem Tod teilte die Gefängnisverwaltung ihr per Telegramm mit, daß ihr Mann erkrankt sei. Niemand half Pasang dabei, die Leiche ihres Mannes abzuholen, um die Bestattungsriten auszuführen, weil die Leute ihres Wohnortes Angst hatten, die chinesischen Behörden gegen sich aufzubringen. Ebensowenig wurde eine offizielle Sterbeurkunde ausgestellt.

In der chinesischen Propaganda wurden beträchtliche Anstrengungen unternommen, um auf die "bemerkenswerten" Gefängniszustände in Tibet aufmerksam zu machen. 2001 wurde eine Reihe von ausländischen Korrespondenten und Delegationen durch die Gefängnisse geführt, um ihnen das "wahre Bild" zu vermitteln. Zahlreiche Artikel, in denen die Zustände in den Haftanstalten positiv dargestellt werden, erschienen in Chinas staatlich kontrollierten Medien. Am 22. Mai schilderte Xinhua: "Während die Besucher in der 3.672 ü.d.M. gelegenen Anstalt wegen Sauerstoffmangels keuchten, spielten Gefangene in blauen Uniformen Basketball, schrieen und lachten." Ausführlich stellt der Artikel die großartigen Bedingungen dar und läßt sich weiter über Weidenbäume und im Hof blühende Rosen aus, über Gefangene, die mit ihrer Gitarre und dem Synthesizer Musik machen, Romane lesen, die tibetische Sprache lernen und als Höhepunkt die Gefängniskost: "... Buttertee und geröstetes Gerstenmehl zum Frühstück, Reis, gekochtes Fleisch und Rettichgemüse zum Mittagessen, Dampfbrot und Nudel-Kohl-Suppe zum Abendessen".

Im Gegensatz zu diesen rosigen Berichten klagen ehemalige Gefangene über die ungenügende und unhygienische Nahrung. "Als ich im Gefängnis war, empfand ich die dürftige Ernährung als eines der schlimmsten Probleme. Ich bekam die ganze Zeit über niemals genug zu essen. Der Fraß, den sie uns gaben, war schlechter als ihr Futter für die Schweine. Fleisch gab es nur selten, und wenn es uns vorgesetzt wurde, roch es fast immer und war verdorben", erinnert sich Norbu Damdul, ein ehemaliger politischer Häftling, der Anfang 2001 in Indien eintraf. Norbu wurde am 1. April 1999 entlassen, nachdem er 3 Jahre in dem Ngaba Gefängnis in Sichuan abgesessen hatte. Er konnte nicht mehr in das Kloster Karze zurückkehren und durfte keine Mönchsrobe mehr tragen, denn sein Kloster wollte das Risiko nicht eingehen, ihn wieder aufzunehmen.

Der lobhudelnde Artikel von Xinhua über die Gefängnisse endet so: "Kabil Sibal, Vorsitzender des WGAD, der das Gefängnis vor vier Jahren besuchte, bestätigte, daß hier mit den Strafgefangenen human umgegangen wird". Tatsächlich erwähnt die WGAD-Delegation in ihrem Bericht von 1997 jedoch die Schwierigkeit, die sie hatte, um "... von der chinesischen Regierung die Erlaubnis zum Besuch spezifischer Haftzentren und bestimmter Provinzen zu erhalten, weshalb es unmöglich war, im voraus ein Programm für den Besuch auszuarbeiten". Und so konnte die Delegation nur die ausdrücklich von Peking gebilligten Zentren besuchen. Der Gruppe gelang es trotz wiederholter Bitten nicht, eine Übersetzung von chinesischen Gefängnisstatuten zu erhalten.

Die chinesische Regierung darf nicht mit der Begründung, daß das Recht auf Lebensunterhalt allen anderen Rechten vorangehe, Prioritäten für das tibetische Volk setzen und ihm seine bürgerlichen, politischen und kulturellen Rechte verweigern. Die in den zwei internationalen Verträgen, die China unterzeichnet hat, aufgeführten Rechte sind universal und unveräußerlich. Die Wiener Erklärung von 1993 bekräftigt, daß "die universale Natur dieser Freiheitsrechte außer Frage steht.... Menschenrechte und Grundfreiheiten sind das Geburtsrecht aller Menschen, ihr Schutz und ihre Förderung ist die Hauptaufgabe der Regierungen (World Conference on Human Rights, Vienna, June 1993)".

Welchen Sinn hat es, daß China internationale Verträge unterschreibt, wenn die Funktionäre an der Spitze in Peking immer noch eine Politik betreiben, die dazu im Widerspruch steht?

Teil IV

IV. Der Status der neuen tibetischen Flüchtlinge

Die Definition, was ein Flüchtling ist, und die grundlegenden internationalen gesetzlichen Instrumente zum Schutz seiner Menschenrechte bilden die Grundlage für die Konvention über den Status von Flüchtlingen ("Flüchtlingskonvention") von 1951, sowie für die Nachträge, die in dem Protokoll von 1967 zu der Konvention festgelegt wurden. Art. 1 der Flüchtlingskonvention von 1951 lautet:

"... der Begriff Flüchtling ist auf jede Person anzuwenden, die sich angesichts der begründeten Furcht, auf Grund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe oder ihrer politischen Meinung wegen verfolgt zu werden, außerhalb ihres Ursprungslandes befindet und nicht in der Lage oder wegen besagter Furcht nicht willens ist, sich dem Schutz dieses Landes zu unterstellen, oder die keine Nationalität besitzt und sich außerhalb des Landes ihres üblichen Wohnsitzes befindet und nicht in der Lage oder wegen besagter Furcht nicht willens ist, in es zurückzukehren."

Wesentlich sind hier zwei grundlegende Menschenrechtsprinzipien, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR) und der Flüchtlingskonvention verankert sind: Das Recht auf Asyl und das Recht, nicht zwangsdeportiert zu werden, wobei letzteres oft unter seiner französischen Bezeichnung "non-refoulement" zitiert wird. Das Recht auf Asyl ist im Art. 14 der UDHR enthalten: "Jedermann hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen".

Derart ist das moralische Gewicht der UDHR (zur deren Einhaltung sich die Mitgliedstaaten verpflichten, wenn sie der UNO beitreten und ihre Charta unterzeichnen), daß das Recht auf Asyl in das internationale Gewohnheitsrecht eingegangen ist und von den UN Mitgliedstaaten, ungeachtet dessen, ob sie die Flüchtlingskonvention von 1951 unterschrieben oder nicht, respektiert und praktiziert wird.

Die Flüchtlingskonvention verbietet expressis verbis die Zwangsabschiebung: "Kein Vertragsstaat darf einen Flüchtling ausweisen oder in irgendeiner Weise zu der Grenze des Territoriums zurückschicken ("refouler"), wo sein Leben oder seine Freiheit auf Grund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe oder seiner politischen Meinung bedroht wären" (Art. 33, Zusatz-Protokoll).

Das Prinzip des "non-refoulement" ist ebenfalls in das internationale Gewohnheitsrecht eingegangen und wird, unabhängig davon, ob ein Staat die Konvention ratifiziert hat oder nicht, (in der Theorie) eingehalten.

Die Tatsache, daß Nepal weder die Flüchtlingskonvention von 1951 noch das Protokoll von 1967 ratifizierte, bedeutet ein ernstes Problem für Tibeter, die über Nepal nach Indien fliehen. In Nepal ist man sich allgemein der Prinzipien der Konvention nur wenig bewußt, und die Behörden greifen statt dessen beim Umgang mit fliehenden Tibetern auf eine inoffizielle Schutz-Kategorie nach dem UNHCR zurück. Dennoch hat die nepalesische Regierung gegenüber Tibetern, die durch das Territorium Nepals ziehen, um in Indien Asyl zu suchen, bisher eine großzügige Politik betrieben.

In diesem Kapitel verwenden wir den Begriff "Asylsuchende", womit wir uns auf diejenigen Tibeter beziehen, die Tibet verlassen wollen oder verlassen haben, um in Zweit- oder Drittländern Asyl zu suchen. Der Begriff "Flüchtling" bezieht sich indessen auf diejenigen Tibeter, denen von Zweit- oder Drittländern – gewöhnlich Nepal und Indien – auf administrativem Wege der "Flüchtlingsstatus" verliehen wurde, mit dem gewisse Rechte, etwa das Recht in dem betreffenden Land zu wohnen, verbunden sind.

Das "Tibetan Reception Centre" (Auffanglager für tibetische Flüchtlinge) in Dharamsala, Indien, schätzt, daß von 1980 bis 2001 annähernd 45.000 tibetische Asylsuchende in Indien eintrafen. Im Jahr 2001 flohen 1.735 Tibeter über den Himalaya. Dieser stetige Exodus spricht dafür, wie mißlich die Lage ist, in der sich die Tibeter unter chinesischer Herrschaft befinden.

Im Vergleich zu den Zahlen vergangener Jahre verzeichnete das Jahr 2001 einen Rückgang der Flüchtlinge aus dem besetzten Tibet. Der Grund dafür ist nicht etwa darin zu suchen, daß weniger Anlaß zur Flucht bestünde, sondern in den verschärften Kontrollen an der tibetischen Grenze zu Nepal. Diese wiederum sind auf die Wiederaufnahme der Anti-Kriminalitätskampagne "Schlag-hart-zu" (Hartdurchgreif-Kampagne) durch Peking zurückzuführen, sowie auf die Direktive, gegen fliehende Tibeter ebenso hart vorzugehen wie gegen Personen, die sich der "Gefährdung der nationalen Sicherheit" schuldig gemacht haben. Einer Xinhua Meldung vom 27. Juni 2001 zufolge verfügte das Oberste Volksgericht der TAR, daß sich die Hartdurchgreif-Kampagne in Tibet auf die "Verfolgung von Delikten der Gefährdung der nationalen Sicherheit, den Drogenhandel und auf Personen, die ohne die notwendigen Dokumente aus Tibet zu fliehen versuchen", konzentrieren solle. Diese gerichtliche Entscheidung hatte bereits sehr negative Auswirkungen für Tibeter, die aus ihrem Land zu fliehen versuchten.

Entlang den am häufigsten benutzten Fluchtrouten wurden zahlreiche neue Checkpoints eingerichtet, und ebenso wurde die Anzahl der Sicherheitskräfte an der Grenze erheblich aufgestockt. Die vermehrten Patrouillen der Grenzschutzeinheiten führten dieses Jahr entlang der Grenze nicht nur zu mehr Festnahmen fliehender Tibeter, sondern häufig auch dazu, daß die die Flüchtigen ausgeraubt, geprügelt oder gar gefoltert werden, ehe sie dem "Public Security Bureau" überstellt werden.

Indessen hörte man auch, daß ehemalige politische Häftlinge, die beim Versuch zu fliehen, gefaßt werden, direkt zur "Umerziehung-durch-Arbeit" verurteilt und in das10 km westlich von Lhasa gelegene Zwangsarbeitslager Trisam im Kreis Toelung Dechen eingeliefert wurden. Xinhua berichtete am 16. Oktober 2001, daß die TAR-Grenzschutzkräfte im Zuge der "Schlag-hart-zu" Kampagne über einen Zeitraum von 6 Monaten 2.500 Tibeter beim Fluchtversuch aus Tibet festgenommen hätten. Einem Mönch aus dem Distrikt Karze, Sichuan, zufolge, wurden alleine im Monat Juni 300 Festnahmen verzeichnet. Die Festgenommenen kamen dann in das Gefängnis von Shigatse, wo sie mit Tibetern, die nach ihrer Rückkehr aus Nepal oder Indien verhaftet worden waren, zusammengesperrt wurden. Es heißt, daß diese Gefangenen später als Zwangsarbeiter bei dem Eisenbahnprojekt eingesetzt werden, wo sie die Bahnschienen von Golmud nach Lhasa verlegen müssen.

Obwohl 2001 bei der Flüchtlingszahl eine gewisse Abnahme zu verzeichnen ist, gelang dieses Jahr noch über 1.000 Asylsuchenden die Flucht. Sie sind mindestens eine Woche lang zu Fuß unterwegs, wobei sie die höchsten Berge der Erde im Winter überqueren müssen; dabei leiden sie unter Hunger und Kälte, werden leicht Opfer von Verletzungen und Erfrierungen und büßen manchmal sogar ihr Leben ein. Die meisten von ihnen wollen sich in Indien niederlassen. Während ihrer Flucht schweben sie die ganze Zeit in Gefahr, verhaftet oder ausgeraubt oder auf andere Weise mißhandelt zu werden. Sicher sind sie erst, wenn ihnen schließlich offiziell Asyl gewährt wird. Wenn sie noch vor Überquerung der Grenze festgenommen werden, werden sie intensiven Vernehmungen und der Folter unterzogen und oft ohne Gerichtsprozeß zu langen Haftstrafen verurteilt.

IV, 1)

1. Vielfältige Gründe für die Flucht ins Exil

Über 90% der tibetischen Asylsuchenden nennen den Wunsch, dem Dalai Lama in Dharamsala zu begegnen, als das Hauptmotiv für ihre Flucht. Dies ist jedoch nicht das einzige Motiv, denn die Tibeter beschließen aus einer ganzen Reihe komplexer Gründe, ihre Heimat zu verlassen. Ihre Entscheidung sollte im Kontext der anhaltenden Besetzung Tibets durch die Chinesen und die sich daraus für die Tibeter ergebende wirtschaftliche Verdrängung, politische Repression und rassische Diskriminierung, die heutzutage alle Aspekte des Lebens auf dem Hochland bestimmen, gesehen werden.

Jeder Tibeter, der etwas unternimmt, was "die nationale Sicherheit gefährden" könnte - die Interpretation dieses Begriffs bleibt der Willkür der chinesischen Behörden überlassen -, wird festgenommen, inhaftiert und zu Gefängnisstrafen unterschiedlicher Länge verurteilt; außerdem kann er Opfer brutaler Folterung werden. Die "nationale Sicherheit gefährdende Aktivitäten" können alles sein, vom Besitz eines Dalai Lama Bildes oder politischem Material aus dem Ausland bis zum Anbringen von Aufrufen oder der Beteiligung an Demonstrationen. Seit Peking die "Hardurchgreif- Kampagne" im April 2001 wieder aufnahm, wurde die behördliche Verfolgung von Tibetern, die sich sogenannten politischen Aktivitäten widmen, nur noch schlimmer.

Sonam Choephel aus dem Distrikt Karze, Provinz Sichuan, der vor kurzem im Exil eintraf, ist ein solcher Fall. Nachdem er Flugblätter mit einem Aufruf zur Unabhängigkeit für Tibet verteilt und seinen Freunden Dalai Lama-Videos gezeigt hatte, stand er in unmittelbarer Gefahr, verhaftet zu werden. Es gelang ihm jedoch, rechtzeitig aus seinem Heimatort zu fliehen.

Ähnliches wird von Dorjee Sonam und Sonam Choeda aus derselben Provinz berichtet, die sich wegen der Anfertigung und Verteilung von Unabhängigkeits-Flugblättern zur Flucht ins Exil gezwungen sahen. Die Behörden verdächtigten sofort die Mönche des örtlichen Klosters als Urheber dieser Tat, weshalb sie begannen, die Handschrift jedes einzelnen zu untersuchen. Aus Angst, festgenommen zu werden, beschlossen die beiden, aus Tibet zu fliehen. Einen Monat hielten sie sich in Lhasa auf, wo sie sich für 3.000 Yuan (USD 353) Reisedokumente beschafften.

Immer mehr beherrschen Kinder das Bild der nach Indien fliehenden Tibeter. So bildeten 2001 Jugendliche die Mehrheit der Flüchtlinge. Dies ist vor allem dem Mangel an einem flächendeckenden und angemessenen Schulsystem, der Diskriminierung von Tibetern bei der Zulassung zur Schule und dem sinisierten Lehrplan zuzuschreiben. Die Eltern müssen viele Schwierigkeiten und Risiken auf sind nehmen, wenn sie ihre Kinder ins Exil schicken, um ihnen eine gute moderne Erziehung zu ermöglichen, bei der tibetische Kultur, Geschichte und Religion ihren gebührenden Platz haben.

Infolge der zunehmenden behördlichen Übergriffe auf die Klöster – Peking verdächtigt insbesondere Mönche und Nonnen "spalterischer" Tätigkeiten – machen die Geistlichen einen hohen Prozentsatz der aus Tibet fliehenden Personen aus. Außerdem hat die "patriotische Erziehungskampagne", deren erklärtes Ziel es ist, ideologische Kontrolle über die religiösen Institutionen zu gewinnen, für Mönche und Nonnen jegliches ernsthafte religiöse Studium sowie die religiöse Praxis fast unmöglich gemacht. China greift durch die Festsetzung von Obergrenzen für die Mitglieder religiöser Institutionen gravierend in die Freiheit der religiösen Überzeugung und Ausübung ein. Sogar die monastische Ausbildung wird im Zuge der marxistischen, sogenannten "patriotischen Umerziehung" von den "Arbeitsteams" kontrolliert.

Seit 1996 haben die Tibeter in den meisten Gegenden der TAR, Khams und Amdos erneut empfindliche Einschnitte in ihre religiöse Freiheit hinnehmen müssen. Ein regionaler Regierungskader und ehemaliges kommunistisches Parteimitglied nannte religiöse Restriktionen als das Hauptmotiv für seine Flucht. Er klagte über "... den Mangel an religiöser Freiheit, nämlich darüber, daß die Leute ihre Mantras nicht sagen und nicht auf Pilgerfahrt gehen dürfen, während Mitglieder der kommunistischen Partei und ihre Angehörigen überhaupt keiner Religion nachgehen dürfen".

Als eine eigenständige Rasse unter militärischer Besetzung sehen sich die Tibeter in allen Lebensbereichen, sei es wirtschaftlich, sozial, politisch oder kulturell, diskriminiert. Mit dem Zustrom chinesischer Einwanderer werden Tibeter besonders bei der Vergabe von Wohnungen, dem Zugang zur Schuldbildung und den Arbeitsmöglichkeiten benachteiligt. Was die Erwerbstätigkeit anbelangt, so helfen die Behörden Chinesen bei der Eröffnung eines Geschäfts, indem sie ihnen Vorzugskredite, Lizenzen und Bewilligungen geben und die notwendigen Dokumente ausstellen. Infolgedessen können sich tibetische Unternehmer kaum mehr am Leben halten.

IV, 2)

2. Gefahren und Komplikationen unterwegs

Annähernd zwei Drittel aller Flüchtlinge kommen in der zweiten Jahreshälfte in Nepal an, und zwar in den Monaten von August bis Januar, insbesondere in den vier Wintermonaten. Manche schreiben dies dem Umstand zu, daß im Winter weniger Grenzwachen entlang der eisigen Pässe zu sehen sind, aber es gibt auch noch andere Gründe. Viele Flüchtlinge meinen, das kalte Wetter begünstige den Übergang über die hohen Berge, denn die Sicht ist im Winter gut und der Schnee hart gefroren, wodurch es möglich ist, Pfade zu begehen, die zu anderen Zeiten gefährlich wären.

Die bei einer häufig benutzten Fluchtroute, welche über den in der Mount Everest Gegend gelegenen Nangpa-La führt, erreichte Höhe beträgt 5.716 m. Medizinischen Studien zufolge verfügen Tibeter allgemein über eine Lungenkapazität, dank derer sie sich in so eisigen Höhen fortbewegen können, wo gewöhnliche Leute um Atem ringen würden oder durch die Höhenkrankheit gefährdet wären. Aber es lauern noch andere Gefahren auf dem Weg: An den Bergpässen können ganz plötzlich rasende Stürme aufkommen, und es kann so viel Schnee fallen, daß die Asylsuchenden sich durch hüfttiefen Schnee vorwärts kämpfen müssen. Die Unbilden des Wetters können zu Erfrierungen führen, während das grelle Sonnenlicht Schneeblindheit hervorruft. Die Temperaturen können bis minus 40° fallen, weshalb erfrorene Glieder bei den Flüchtlingen keine Seltenheit sind.

Die meisten Flüchtlinge verzehren ihre letzten Lebensmittelvorräte, wenn sie die Berge überqueren und überleben nur noch mit ein wenig tsampa. Wasser und Brennmaterial sind knapp, weshalb die Asylsuchenden um jeden Preis schnellstens weiter müssen. Hunger, Austrocknung und Erschöpfung erhöhen das Risiko von Verletzungen, denn nach Überschreiten der Paßhöhe haben sie einen gefährlichen Weg über den Nangpa-La Gletscher vor sich und müssen über rutschige Pfade hinabsteigen.

Dhimey, der am 12. November 2001 in Nepal eintraf, sagte, das Härteste an dem Marsch sei gewesen, als er mit knurrendem Magen durch den Schnee laufen mußte. Seine Gruppe konnte fünf oder sechs Tage lang kein Feuer anzünden und Tee kochen. Dhimey und seine Gefährten mußten Schnee essen, wovon ihnen übel wurde. Während des ganzen Trecks schwebte ständig die Gefahr über ihnen, von der chinesischen Grenzpolizei gefaßt zu werden.

Viele Asylsuchende begeben sich mit nur geringen Kenntnissen über die Wetter- und Geländeverhältnisse in den Bergen auf den Weg und tragen zudem unangemessene Kleidung und Schuhwerk. Jedes Jahr gibt es erfrorene Glieder, meistens bei den jungen Flüchtlingen. Noch andere Gefahren lauern auf die Kinder. Ein 12-jähriges Mädchen fiel in einen Fluß, wonach jede Spur von ihm fehlte.

In Abhängigkeit von ihrer Fluchtroute haben die Asylsuchenden mindestens eine eintägige Busreise in Nepal und im äußersten Fall mehrere Wochen zu Fuß vor sich. Sie sehen sich weiterhin dem Risiko ausgesetzt, an einem der zahlreichen Polizei-Checkpoints entlang der nach Kathmandu führenden Straßen festgenommen zu werden. Die Strafen, welche die nepalesische Polizei über sie verhängt, sind außerordentlich hoch. Gewiß ist, daß ihnen ihr restliches Bargeld und ihre Wertsachen abgenommen werden, die größte Furcht der Asylsuchenden ist jedoch, daß sie deportiert und der chinesischen Grenzpolizei ausgeliefert werden.

IV, 3)

3. Nepals Position in der Flüchtlingsfrage

Obwohl Nepal nicht zu den Unterzeichnern der Flüchtlingskonvention von 1951, noch des Zusatzprotokolls von 1967 gehört, respektierte es bisher im großen und ganzen die darin enthaltenen Menschenrechtsartikel und gewährte den Tibetern Asyl, Freizügigkeit und das Recht, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sowie andere wichtige Rechte. Dies ist eine großzügige Haltung bei einem armen Land wie Nepal. Die offizielle Zahl der in Nepal ansässigen Tibeter beträgt dem Zensus von 1991 zufolge annähernd 18.000.

Die Verfassung des Königreichs Nepal macht, was gewisse Grundrechte anbetrifft, keinen Unterschied zwischen Bürgern und im Lande lebenden Ausländern. Daher genießen nepalesische Bürger und Ausländer gleichermaßen die folgenden Rechte: das Recht auf Freiheit (Art 12,1), das garantiert: "Keine Person darf ihrer persönlichen Freiheit beraubt werden außer in Fällen, wo das Gesetz es verlangt, und kein Gesetz darf erlassen werden, das die Todesstrafe vorsieht"; das Recht auf Gerechtigkeit vor dem Strafgesetz (Right to Criminal Justice) (Art. 14); das Recht, nicht in Vorbeugehaft genommen zu werden (Art. 15); das Recht auf Bildung und Kultur (Art. 18); das Recht auf Religion (Art. 19); das Recht, vor Ausbeutung geschützt zu sein (Art. 20); das Recht auf eine Privatsphäre (Art 22) und das Recht auf verfassungsmäßige Rechtsbehelfe (Art. 23).

Die in der Konvention von 1951 für den Status von Flüchtlingen verankerten Prinzipien werden von dem Einwanderungsgesetz Nepals nicht berücksichtigt, und in manchen Fällen steht das nepalesische Gesetz geradezu im Widerspruch zu den Artikeln der Flüchtlingskonvention. 1991 erließ die neue demokratische Regierung Nepals Immigrationsgesetze, die für die tibetischen Asylsuchenden problematisch sind. Nepals Immigrationsgesetz von 1992 und seine Durchführungsbestimmungen von 1994 machen keinen Unterschied zwischen Ausländern und Asylsuchenden, noch enthalten sie irgendwelche Vorkehrungen für Flüchtlinge. Sowohl die einen als auch die anderen werden als illegal Eingereiste betrachtet, wenn sie dem Art 3(1) des Gesetzes kein Genüge tun, der bestimmt: "Kein Ausländer darf ohne ein Visum das Königreich Nepal betreten noch darin verweilen".

Weiterhin legt der Art 9(1) des Gesetzes fest: "Auf Benachrichtigung durch das Immigrationsbüro muß der Leiter dieser Behörde (Director General) Ausländer, die gegen das Immigrationsgesetz verstoßen haben, sofort oder mit Fristsetzung ausweisen. Er muß von der Regierung S.M. die Erlaubnis einholen, ehe er solch eine Ausweisung vornimmt". Dieser Artikel schafft die gesetzliche Grundlage für die Abschiebung von Asylsuchenden als "Ausländer", die gegen das nepalesische Immigrationsgesetz verstoßen haben.

Am nächsten kommt Nepal dem Grundsatz des "non-refoulement" in seinem Auslieferungsgesetz von 1991, Sektion 12(1), das auf dem Papier dem Prinzip verpflichtet ist, daß politische Straftäter nicht ausgeliefert werden dürfen. Diesem Vorbehalt entsprechend darf die Regierung S.M. Ausländer und damit auch Flüchtlinge solange in Nepal verweilen lassen, wie sie es für angemessen hält. Angesichts der mangelnden Genauigkeit der genannten Gesetze in bezug auf Asylsuchende, befaßt sich Nepal hauptsächlich auf administrativer Ebene mit den Flüchtlingen.

Wie man sieht, ist diese Gesetzgebung ungeeignet für die Behandlung von Einzelfällen von Asylsuchenden oder von größeren Flüchtlingsbewegungen. Die Regierung hat im Rahmen der Bestimmungen des Gesetzes schon öfters praktische Ansätze ausgearbeitet. Damit war genügend Flexibilität gewährleistet, um mit den Flüchtlingen auf eine Art und Weise umzugehen, die im großen und ganzen dem internationalen Standard entspricht.

IV, 4)

4. Gefahren an der Grenze

Entlang der nepalesisch-tibetischen Grenze gab es schon immer einzelne Fälle von Festnahme und Verhaftung tibetischer Flüchtlinge, die obendrein noch geschlagen und ausgeraubt wurden. Doch in letzter Zeit zeigen Vorkommnisse, bei denen die Polizei willkürlich auf unbewaffnete Flüchtlinge schießt, oder diese mit langen Haftstrafen ins Gefängnis geworfen werden, einen Wandel in der nepalesischen Politik an. Diese härtere Vorgehensweise kann auf den erhöhten Einfluß der chinesischen Botschaft auf die nepalesische Regierung und die immer enger werdenden wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Peking und Kathmandu zurückgeführt werden.

Nepals ehemaliger Außenminister Chakra Prasad Bastola erklärte, daß "... die Beziehungen von Nepal zu China in stetem Wachsen begriffen sind" und daß sie "von der gemeinsamen Politik eines guten nachbarlichen Verhältnisses und der Verpflichtung genährt werden, auf dem jeweiligen Staatsgebiet keine Aktivitäten, die dem Interesse des anderen schaden könnten, zuzulassen". Diese Aussage erklärt die offiziellen Maßnahmen, die gegen tibetische Asylsuchende ergriffen werden. Die Auswirkungen der neuen Politik machten sich erstmals im November 2000 bemerkbar, als nepalesische Polizisten in Jiri wahllos Schüsse auf eine Gruppe von 23 Asylsuchenden abgaben, was zum Tod von Kunchok Gyatso führte, während sieben weitere Tibeter Schußverletzungen erlitten.

Im August 2001 wurden 10 Tibeter in Nepal festgenommen, weil sie keine gültigen Dokumente besaßen, und von der dem Innenministerium unterstehenden Immigrationsbehörde mit hohen Geldstrafen belegt. Bei Nichtzahlung dieser Strafe drohte ihnen eine Gefängnisstrafe von 10 Jahren.

Im Mai 2001 wurde ein 14-jähriger tibetischer Asylsuchender festgenommen und im Dili Bazaar-Gefängnis in Kathmandu inhaftiert. Phurbu sollte eine Strafe von 17.200 NC zahle, um freigelassen zu werden. Auf Entrichtung der Summe hin kam er dann im Dezember frei. Obwohl die Regierung des Königs nach dem nepalesischen Gesetz und der Einwanderungsverordnung das Recht hat, illegale Einreisende festzunehmen, ist eine derartige Freiheitsberaubung dem internationalen Menschrechtsstandard zufolge als "willkürlich" einzustufen. Wie die von der Menschenrechtskommission geschaffene Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftung feststellte, kann "willkürliche Verhaftung" in den Fällen von "Freiheitsberaubung vorliegen, wo die Faktoren, die zur Strafverfolgung oder Verurteilung Anlaß geben, die Wahrnehmung der von der UDHR und dem ICCPR geschützten Rechte und Freiheiten betreffen...".

IV, 5)

5. Die Zuständigkeit des UNHCR

Um den tibetischen Asylsuchenden bei ihrer Reise durch Nepal nach Indien bei ihrer Konfrontation mit dem nepalesischen Einwanderungsgesetz zu helfen, hat das UNHCR eine inoffizielle Abmachung mit der Regierung S.M. in Nepal getroffen. Die auch "Gentleman's Agreement" genannte Abmachung ist eine verbale Übereinkunft zwischen dem "Department of Immigration" (das dem Innenministerium untersteht) und dem UN Hochkommissariat für Flüchtlinge in Nepal. Sie kam im Anschluß an die Demonstrationen von 1989 in Lhasa und die darauffolgenden Wellen verschärfter politischer Kontrolle über die Tibeter in den 90er Jahren zustande.

Dieser Übereinkunft gemäß sind tibetische Asylsuchende von der nepalesischen Polizei zu dem Haftzentrum der Immigrationsbehörde in Kathmandu zu geleiten. Das UNHCR erstattet der Polizei alle Kosten für den Transport der Tibeter vom Ort ihrer Festnahme bis zur Hauptstadt, es zahlt ihnen außerdem ein Tagegeld und verschafft ihnen die Möglichkeit, Angehörige und Freunde im Kathmandu Tal zu besuchen. Die Polizei reicht bei dem "Department of Immigration" für alle unterwegs getätigten Ausgaben eine Rechnung ein, welche das UNHCR dann der Behörde begleicht.

Dieses System funktionierte bis 2001 ziemlich gut. Aber seitdem die Maoisten ihr Unwesen in vielen Teilen Nepals treiben und dabei besonders die Polizei ins Visier nehmen, zögern die Polizeikräfte immer mehr, derartige Reisen zu unternehmen, um Asylsuchende nach Kathmandu zu geleiten. Als Reaktion hierauf bot das UNHCR an, die Auslagen für die doppelte Zahl von Polizisten zu übernehmen, damit sie sich bei der Begleitung der Flüchtlinge nach Kathmandu sicherer fühlen.

Die "Tibetan Refugee Welfare Organisation" (TRWO), die dem Tibet-Büro in Kathmandu (der Vertretung S.H. des Dalai Lama) angegliedert ist, sorgt für die Asylsuchenden in dem "Tibetan Refugee Reception Centre" (TRRC) am Stadtrand von Kathmandu. Das TRRC untersteht der Schirmherrschaft des UNHCR, von dem es auch vollständig finanziert wird. Dieses wiederum wird durch die Beiträge der einzelnen Staaten an die Vereinten Nationen unterhalten. Nachdem das "Department of Immigration" kurzzeitig die Asylsuchenden in seinen Gewahrsam nimmt, werden sie der Obhut der TRWO übergeben und in das TRRC gebracht. Etwa die Hälfte aller Asylsuchenden werden irgendwo unterwegs in Nepal aufgegriffen und in Kathmandu von der Polizei dem "Department of Immigration" übergeben, während die andere Hälfte das TRRC erreicht, ohne festgenommen zu werden. Viele erfuhren erst im Laufe ihrer Flucht von der Existenz des TRRC, und wenn sie Kathmandu erreicht haben, werden sie von den ortsansässigen Tibetern dorthin gewiesen.

Nach Ankunft der Tibeter im TRRC registrieren die Mitarbeiter ihre Personalien wie Namen, Alter, Geburtsort, Beschäftigung, ihre nächsten Angehörigen und andere Daten. Politische Gefangene oder Personen, die Menschenrechtsverletzungen erlitten haben, werden schnell identifiziert. Sie erhalten Unterkunft und Verpflegung, außerdem in der Krankenstation des TRRC medizinische Behandlung und Schutzimpfung gegen häufige Krankheiten wie TB und Masern; wenn nötig, werden Spezialisten herangezogen und die Patienten ins Hospital verlegt.

Die Schutzbeauftragten (protection officers) des UNHCR und zugelassene Interviewer sprechen individuell mit allen Asylsuchenden, um die Gründe zu erforschen, warum sie Tibet verlassen haben. Dolmetscher für die Dialekte von U-Tsang, Amdo und Kham helfen bei den Gesprächen. Bei den Interviews wird jedoch nicht ermittelt, ob jemand für den Status als Flüchtling in Frage kommt, weil Nepal nicht zu den Unterzeichnern der Konvention von 1951 gehört. Das UNHCR interviewt die Asylsuchenden vielmehr, um ihnen als eine Art Vorstufe zu dem Flüchtlingsstatus den vorläufigen Status einer "der Beachtung werten Person" (person of concern) zu geben. Die Interviews bestimmen, zu welcher der folgenden drei Kategorien die Asylsuchenden gehören: der Beachtung wert und für finanzielle Unterstützung in Frage kommend; der Beachtung wert, aber für keine finanzielle Hilfe in Frage kommend; oder keiner Beachtung wert.

Die Definition "eine der Beachtung werte Person" ist ein praktischer und großzügiger Modus, den das UNHCR für die Situation, in der sich tibetische Asylsuchende auf nepalesischem Territorium befinden, geschaffen hat. Ein solcher Status unterstellt die Tibeter dem allgemeinen Schutz des UNHCR und mindert die Gefahr, daß ihnen weiteres Unrecht geschieht.

Selbst wenn Nepal die Flüchtlingskonvention von 1951 ratifizieren würde, käme nur ein Bruchteil der Asylsuchenden unter den spezifischen und eng gefaßten Kriterien der Konvention für den Flüchtlingsstatus in Frage (Kinder, die eine tibetische Erziehung suchen, wären beispielsweise ausgeschlossen). Tatsache ist, daß bei vielen ernsten Flüchtlingsschicksalen, die das UNHCR rund um die Erde bearbeitet – und die Tibeter sind hier keine Ausnahme –, die Prinzipien der Konvention (ungeachtet dessen, ob ein Staat sie ratifiziert hat oder nicht) über den strengen juristischen Wortlaut hinaus ausgeweitet werden, um den Erfordernissen einer Notlage zu begegnen.

Der "Beachtung werte Personen" sind solche, deren Menschenrechte in Tibet verletzt werden. Denjenigen, die nach Indien weiterreisen, wird keine finanzielle Hilfe gewährt. Sie erhalten nur einmal eine Zuwendung. Der "Beachtung nicht werte Personen" sind solche, die zum Besuch von Verwandten oder aus geschäftlichen Gründen aus Tibet gekommen sind.

IV, 6)

6. Die Weiterreise

Zusätzlich zu dem Vorgang, den die Flüchtlinge bei dem UNHCR durchlaufen, erwägt das "Tibetan Refugee Welfare Office" (Büro für die Wohlfahrt tibetischer Flüchtlinge), welche Hilfe die tibetische Exil-Regierung den Asylsuchenden angedeihen lassen kann. So werden die Namen von Mönchen, die in einem Kloster aufgenommen werden wollen, registriert. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren werden für die Zulassung zu den Schulen des "Tibetan Children's Village" und Erwachsene bis zu 30 Jahren für die Weiterbildung in der "Tibetan Transit School" in der Nähe von Dharamsala vorgemerkt. Wegen der räumlichen Begrenzungen in Indien können Nonnen nicht unmittelbar in Klöstern untergebracht werden, sondern werden gewöhnlich zuerst in eine Schule geschickt.

Wöchentlich einmal bringen Busse die Flüchtlinge von Kathmandu nach Indien. Die Asylsuchenden, die vom UNHCR den Status von "der Beachtung werter Personen" erhalten haben, werden auf einer von dem nepalesischen "Department of Immigration" gelieferten Liste registriert und bekommen kollektiv eine Ausreiseerlaubnis ausgestellt. Sie erhalten vom Büro für die Wohlfahrt tibetischer Flüchtlinge ein Taschengeld für ihre Reise, einen Impfpaß, in dem ihre Impfungen eingetragen sind, und eine Lebensmittelkarte mit einigen Lebensdaten. So können sie ohne Gefahr zwei bis drei Tage bis zu dem Flüchtlings-Auffanglager in New Delhi reisen, und von dort die weiteren 12 Stunden nach Dharamsala zurücklegen.

Mit der Ausreise aus Nepal endet die Zuständigkeit des UNHCR für die Asylsuchenden, und die "Central Tibetan Administration" der tibetischen Exilregierung übernimmt die Verantwortung für sie. Die indische Regierung handelt alle die Flüchtlinge angehenden Angelegenheiten mit der tibetischen Regierung-im-Exil bilateral ab.

Dieses System funktionierte ein Jahrzehnt lang mehr oder weniger reibungslos. Doch angesichts der verschwommenen Natur der Übereinkunft des UNHCR mit dem Innenministerium Nepals gerät es leicht aus den Fugen, sobald politischer Druck ausgeübt wird, wie die kürzlich erfolgten Festnahmen und Abschiebungen zeigen.

IV, 7)

7. Zunehmende Zahlen bei den Abschiebungen

Das TCHRD ist sehr beunruhigt über die plötzliche Zunahme bei der Zwangsabschiebung von Asylsuchenden und ihre Auslieferung an die chinesischen Sicherheitskräfte in Tibet. Man befürchtet, daß solche Fälle an der nepalesisch-tibetischen Grenze zur Regel werden könnten. Eine derartige Handlungsweise zeigt, daß es den nepalesischen Grenzschützern an Kenntnissen über die gesetzlich verbürgten Menschenrechte der Asylsuchenden mangelt, und sie sich genauso wenig bewußt sind, daß sie ja selbst zur Verletzung der Menschenrechte ihrer Opfer beitragen. Bisher wurde laut Flüchtlingszentrum den meisten Asylsuchenden von der Regierung Nepals erlaubt, nepalesischen Boden zu betreten, denn es gibt ja eine tragfähige Vereinbarung zwischen dem "Department of Immigration" und dem UNHCR in Nepal, die Flüchtlingen gestattet, durch Nepal zu reisen und zur Niederlassung in einem Drittland – gewöhnlich Indien - abgefertigt zu werden.

"Kein Staat, der die Konvention unterzeichnet hat, darf einen Flüchtling ausweisen oder in irgendeiner Weise über die Grenze in das Territorium, wo sein Leben oder seine Freiheit auf Grund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe oder seiner politischen Meinung wegen bedroht wären, abschieben (refouler)" (Art 33, Flüchtlingskonvention 1951).

In den letzten Jahren kam es an der Grenze von Nepal zu Tibet immer wieder zur zwangsweisen Abschiebung tibetischer Flüchtlinge durch die nepalesische Polizei. So betrachten einige Grenzpolizisten - egal, ob sie von der Vereinbarung ihrer Regierung mit dem UNHCR in Kenntnis gesetzt wurden oder nicht - alle tibetischen Flüchtlinge als illegal eingereiste Individuen. Sogar das Innenministerium Nepals stellte im Dezember 2000 fest: "Die Sache ist die, daß Tibeter, die von Tibet aus an der Grenze ankommen und nicht die notwendigen Papiere besitzen, nepalesischen Boden nicht betreten dürfen."

Solche Abschiebungen sind dem internationalen Recht gemäß illegal und laufen der im Januar 1990 von den nepalesischen Behörden gemachten Zusicherung zuwider, daß sie die Asylsuchenden dem UNHCR in Kathmandu überstellen würden. Roland Weil, der Schutzbeauftragte (Protection Officer) für das UNHCR in Kathmandu, erklärte TIN in einem Interview: "Was das UNHCR anbelangt, so hat jede Person, die um Asyl nachsucht, ein Recht darauf, daß ihr Asylantrag geprüft wird. Für die in Nepal eintreffenden tibetischen Flüchtlinge bedeutet dies, daß sie effektiv das Recht haben, durch Nepal nach Indien weiterzureisen...".

Seit dem 25. November 2001 wurden jedoch mindestens 15 Asylsuchende von der nepalesischen Polizei den Grenzsoldaten auf der chinesischen Seite ausgeliefert. Dazu zählen auch mehrere Kinder, die von ihren Eltern mit einem guide auf die Reise nach Indien geschickt worden waren. Das sind aber nur die Fälle, wovon Zeugen die Information weitergeben konnten, weshalb anzunehmen ist, daß die tatsächliche Anzahl der Abschiebungen viel höher ist. Mitte Dezember 2001 wurde ein Mann mittleren Alters, der zwei Kinder bei sich hatte, in der Grenzregion in der Nähe von Barabise festgenommen und nach Tatopani zurückgebracht. Noch bevor der tibetische Vertreter in Kathmandu dorthin gelangen konnte, um sich ihrer anzunehmen, waren die drei bereits nach Tibet abgeschoben worden.

Bereits im Mai hatte die nepalesische Polizei sechs weitere tibetische Flüchtige in Barabise festgenommen, wie von Kelsang Chime, dem Leiter des TRRC, mitgeteilt wurde. Wie es heißt, wurden die Festgenommenen an der Grenze bei Dram dem chinesischen Sicherheitspersonal übergeben. Im Dezember 2001, zur Zeit der Abfassung dieses Berichtes, war nicht bekannt, um wen es sich bei diesen Personen handelte, noch wohin sie gebracht wurden.

Die derzeitigen administrativen Regelungen für die tibetischen Flüchtlinge sind sehr vage, sie können leicht falsch interpretiert und mißbraucht werden und geben Anlaß zu ad hoc Entscheidungen lokaler Beamter über das Schicksal der Flüchtlinge. Tibeter, die bereits abgeschoben wurden und erst nach ihrem zweiten Fluchtversuch Kathmandu erreichten, berichten, daß die nepalesischen Grenzwachen sehr gute Beziehungen zu ihren chinesischen Kollegen auf der anderen Seite der Grenze unterhalten und Kopfgelder bekommen, wenn sie ihnen tibetische Asylsuchende ausliefern. TIN berichtete diesbezüglich, daß "die Polizei auf der tibetischen Seite der Grenze den nepalesischen Grenzbeamten eine hohe Belohnung für die Auslieferung der Tibeter zahle".

Aber solange die Menschenrechtsverletzungen und die ungleiche Behandlung der Tibeter in Tibet anhalten, und solange der Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt Tibets, im Exil lebt, werden Tibeter immer wieder entsetzliche Risiken auf sich nehmen, um ihr von den Chinesen besetztes Heimatland zu verlassen und sich als Flüchtlinge in eine unsichere Zukunft und ein unbekanntes Land aufzumachen.

Anhang 1

Anhang 1: Die in Tibet bekannten Gefängnisse und Haftzentren

Das Gefängnis der Autonomen Region Tibet (Drapchi) ist das größte in der TAR. Hier werden aus dem Gebiet der gesamten TAR kommende Gefangene mit langen Freiheitsstrafen eingesperrt. Vermutlich wurde diese am nordöstlichen Stadtrand von Lhasa gelegene Anstalt 1960 gebaut. Das direkt von den Vollstreckungsbehörden der TAR verwaltete Gefängnis umfaßt neun Einheiten, von denen die dritte und die fünfte für weibliche und männliche politische Häftlinge vorgesehen sind. Elf Zellen für Isolationshaft wurden 1990 gebaut. Die übrigen Einheiten sind für die nicht-politischen Häftlinge da. Wegen Überfüllung wurde das südliche Tor des Drapchi Gefängnisses eingerissen und im April 1998 mit der Erweiterung der Anlage begonnen. Die Häftlinge werden hauptsächlich zur Arbeit in der Gemüsefarm, beim Häuserbau, in der Schneiderei, in der Teppichweberei, in mechanischen Werkstätten und bei der Schweine- und Hühnerzucht eingesetzt.

Das PSB Haftzentrum der TAR (Sangyip Gefängnis) liegt im nördlichen Bereich des Bezirks "Lhasa Stadt" Vermutlich wurde es 1983 gebaut, und seit 1984 werden dort Straftäter inhaftiert. Man nimmt an, daß Personen, die ernsthafterer politischer Delikte, wie etwa der Organisation von Protesten oder des Sammelns von politisch brisanten Informationen, verdächtigt werden, hier inhaftiert und vernommen werden, möglicherweise unter der Aufsicht des PSB der TAR. In Sangyip können ungefähr 70 Insassen in drei Zellentrakten untergebracht werden, von denen jeder wiederum 12 Zellen umfaßt. Alle Straftäter, die unter die Jurisdiktion der TAR fallen, werden zunächst hier eingesperrt. Häftlinge mit langen Freiheitsstrafen werden in die anderen größeren Haftanstalten der TAR verlegt, während solche, die zu kürzeren Strafen verurteilt wurden, in Sangyip bleiben.

Das PSB Haftzentrum der Stadt Lhasa (Gutsa-Gefängnis) liegt 3 km östlich von Lhasa in der Nähe des Kyichu Flusses. Die Hauptabteilung in Gutsa ist für Gefangene bestimmt, gegen die ermittelt wird oder die auf ihre Verurteilung warten. Gegen die meisten der Insassen wurde noch keine formelle Klage erhoben, noch wurden sie mit Administrativhaft belegt. Ehemalige Häftlinge berichten, daß sie schwere körperliche Arbeit wie etwa Steinebrechen verrichten mußten. Während Gutsa hauptsächlich für Gefangene bestimmt ist, die noch nicht verurteilt wurden, bleibt etwa ein Prozent auch nach der Verurteilung hier inhaftiert, gewöhnlich für Zeiträume bis zu einem Jahr.

Das TAR-Zentrum zur Umerziehung-durch-Arbeit (Trisam-Gefängnis) untersteht ebenfalls direkt den Vollstreckungsbehörden der TAR. Infolge seiner Lage in der Nähe der Brücke des Kreises Toelung, 10 km westlich von Lhasa, wird es auch als Toelung Dechen oder "Toelung Brücke" bezeichnet. Trisam wurde wahrscheinlich im Februar 1992 seiner Funktion übergeben, und seitdem wurden viele politische Häftlinge aus Sangyip, Outridu und Gutsa hierher transferiert. Die Anstalt hat drei Einheiten: die erste für männliche politische Häftlinge, die zweite für männliche Straftäter und die dritte für weibliche (sowohl politische als auch kriminelle) Häftlinge. Sie fungiert auch als Haftzentrum für jugendliche Straftäter und solche mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren. Die Insassen müssen Zwangsarbeit leisten. Mindestens acht Zellen in Trisam sollen für Einzelhaft vorgesehen sein. Berichten aus Tibet zufolge sollen dort um die 600 Gefangene einsitzen.

Powo Tramo trägt den offiziellen Namen "Gefängnis No. 2 der TAR". Es liegt 500 km östlich von Lhasa in der Nähe der Stadt Tramo im Distrikt Pome, Präfektur Nyingtri (chin. Linzhi). Es untersteht der Regierung der TAR und ist für Häftlinge, die zu 10 Jahren Haft und mehr verurteilt wurden, bestimmt. Als eine der größten Strafanstalten der TAR verfügt es über genügend Zellen für Isolationshaft. Die meisten Häftlinge werden hier zur Zwangsarbeit herangezogen, etwa in der Holz- und der Landwirtschaft.

Das Lhasa Gefängnis (früher als Outridu bekannt) könnte die Anstalt sein, welche die Chinesen einer EU Delegation, die im Mai 1998 Tibet besuchte, als das Stadtgefängnis von Lhasa beschrieben. Die Stehzellen für die Bestrafung der Häftlinge messen hier 6 x 3 Fuß und sind fensterlos. Wie es heißt, sind die Behörden dabei, die Kapazität des Lhasa-Gefängnisses durch den Anbau mehrerer neuer Zellentrakte zu erweitern. Verlautbarungen zufolge soll es vier Zellentrakte geben, in denen annähernd 500 Straftäter gefangen gehalten werden. Diese Anstalt untersteht ebenfalls den Vollstreckungsbehörden der TAR. Im Lhasa-Gefängnis befinden sich Häftlinge, die offiziell bis zu 5 Jahren verurteilt wurden. Die meisten von ihnen müssen Zwangsarbeit leisten, wie Steinebrechen und Arbeit in der Gemüsefarm der Anstalt.

Das Tibetische Militär-Haftzentrum, das seit 1959 existiert, wird von der PLA verwaltet. Um 1992 wurde es in die Gegend von Tsalgungthang, 11 km östlich von Lhasa, verlegt. Man weiß von mehreren politischen Gefangenen, die 1999 dort einsaßen, aber wegen der Erweiterung anderer Strafanstalten kann man nicht sagen, ob in der Folge noch mehr politische Häftlinge dorthin kamen. In der Anstalt befinden sich jetzt vor allem Militärangehörige.

Präfektur-Haftzentren gibt es an dem Verwaltungssitz jeder Präfektur. Abgesehen von dem Bezirk Lhasa umfaßt die TAR sechs Präfekturen: Shigatse, Nagchu, Ngari, Lhoka, Kongpo-Nyingtri und Chamdo. Sie sind alle mit "administrativen Haftzentren" und kanshuo suo (Untersuchungsgefängnissen) ausgestattet. Außerdem gibt es noch Gefängnisse auf Distriktsebene, die allgemein für noch nicht verurteilte Gefangene vorgesehen sind. Die Chinesen erklärten der 1998 zu Besuch weilenden EU Delegation, daß jede Präfektur und eine Reihe von Distrikten ihre lokalen Haftzentren hätten.

Die Anstalt Zethang zur "Reform durch Arbeit" ist ein neues laogai, das am 15. Januar 1998 mit sechs Mönchen aus Drayab als den ersten Insassen seine Funktion aufnahm. Dieser Komplex zur "Reform und Umerziehung" liegt in dem Dorf Zethang, 10 km östlich von Chamdo, und untersteht der Vollstreckungsbehörde der Präfektur Chamdo. Straftäter, die auf administrativem Wege verurteilt werden, kommen in diese neue Anstalt. Sie verfügt über 30 Räume, in denen je sechs Häftlinge untergebracht werden können.

Das Gefängnis Maowan (chin. Aba Jian Yu) liegt im Autonomen Distrikt Maowan Qiang der TAP Ngaba, Sichuan. Dort werden Gefangene aus Ngaba und Karze eingeliefert. Es handelt sich um eine der größten Haftanstalten in der Provinz Sichuan. Straftäter, die zu langen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, wozu auch politische Gefangene gehören, werden hier unter Verschluß gehalten. Außerdem gibt es in jedem Distrikt und jeder Präfektur der tibetischen Regionen von Sichuan, Qinghai, Gansu und Yunnan Haftzentren und Gefängnisse. Man weiß von etwa 12 tibetischen politischen Häftlingen, die in den Strafanstalten Menyang und Xinduqio in Sichuan eingesperrt sind.

Anhang 2

Anhang 2: Aufstellung der relevanten Internationalen Menschenrechts-Verträge, die von der Volksrepublik China unterzeichnet und/oder ratifiziert wurden

Internationale Übereinkunft über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte
- International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR)
unterschrieben: 27. Oktober 1997
ratifiziert: 27. März 2001
Inhalt: Im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kann das Leitbild von freien Menschen, die frei von Furcht und Not sind, nur verwirklicht werden, wenn die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß jedermann seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, sowie seine bürgerlichen und politischen Rechte wahrnehmen kann.

Internationale Übereinkunft über Bürgerliche und Politische Rechte
- International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR)
unterschrieben: 5. Oktober1998
ratifiziert: -
Inhalt: Im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kann das Leitbild von freien Menschen, die frei von Furcht und Not sind, nur verwirklicht werden, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß jedermann seine bürgerlichen und politischen Rechte, sowie seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte wahrnehmen kann.

Internationale Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung
- International Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination (CERD)
unterschrieben: 31. März 1966
ratifiziert: 29. Dezember 1981
Inhalt: In Anbetracht dessen, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, haben sie Anspruch auf den gleichen gesetzlichen Schutz vor jedweder Diskriminierung, sowie vor Aufhetzung zur Diskriminierung.

Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen
- Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women (CEDAW)
unterschrieben: 17. Juli 1989
ratifiziert: 4. November 1980
Inhalt: Da die Diskriminierung von Frauen die Grundsätze der Gleichberechtigung und der Achtung für die Würde des Menschen verletzt, stellt sie für Frauen ein Hindernis dar, sich auf gleiche Weise wie die Männer am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ihrer Länder zu beteiligen, hemmt das Wachstum und Gedeihen der Gesellschaft und der Familie und hindert die Frauen daran, ihre potentiellen Fähigkeiten zum Nutzen ihrer Länder und der ganzen Menschheit voll zu entfalten.

Übereinkunft gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder herabwürdigende Behandlung oder Bestrafung
- Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CAT)
unterschrieben: 12. Dezember 1986
ratifiziert: 4 Oktober 1988
Inhalt: Der Kampf gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder herabwürdigende Behandlung oder Bestrafung soll in der ganzen Welt effektiver gestaltet werden.

Übereinkunft über die Rechte des Kindes
- Convention on the Rights of the Child (CRC)
unterschrieben: 29. August 1990
ratifiziert: 2. März 1992
Inhalt: Kindern ist eine gründliche Vorbereitung darauf zu ermöglichen, daß sie im Rahmen der Gesellschaft ihr individuelles Leben entfalten können, und sie sollen im Geiste der von der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Ideale erzogen werden, insbesondere im Geiste des Friedens, der Würde, der Duldsamkeit, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität.

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