7. November 2009
Von einem Touristen, der kürzlich Tibet besuchte.
Er gab seine Einwilligung zur Veröffentlichung des Berichtes, möchte jedoch anonym bleiben.
Übersetzung aus dem Englischen.

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Das Leiden und der Tod Tendars - Persönliche Informationen eines nahen Verwandten

Am 20. März 2009 veröffentlichte das Department of Information and International Relations der Tibetischen Regierung-im-Exil ein eindringliches Video, das auf irgendeine Weise in die Außenwelt gelangt war *. Der zweite Teil dieses Videos handelt von einem jungen Tibeter, Tendar, einem Angestellten der China Mobile Company, der brutal zusammengeschlagen und danach dermaßen unmenschlich behandelt wurde, daß er starb. Als er am 14. März 2008 auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle war, sah er, wie einige chinesische Polizisten einen wehrlosen Mönch schlugen. Er versuchte sie daran zu hindern. Das war sein ganzes „Verbrechen“.

Der Tibet-Tourist brachte nun weitere Einzelheiten in Erfahrung und schildert Tendars Martyrium:

„Tendar war 28 Jahre alt und arbeitete in einer der Niederlassungen von China Telecommunications. Sein Vater ist Anfang 60 und wird „Mao Tushi“ (chinesisch für „Vorsitzender Mao“) genannt, denn er sieht Mao Zedong sehr ähnlich. Unter diesem Spitznamen ist er in ganz Lhasa bekannt. Vor seiner Pensionierung arbeitete er in der unterhalb des Klosters Drepung gelegenen Zementfabrik von Lhasa. Tendars Mutter ist zwischen 50 und 60 Jahre alt und ebenfalls im Ruhestand. Die Eltern besitzen ein Haus im Altstadtviertel Dampa, das auch unterhalb des Klosters Drepung liegt.

Was am 14. März 2008 geschah

Tendars Geschichte ist in Lhasa weithin bekannt, sie wurde mir kürzlich bei meinem Tibetaufenthalt von einem meiner Angehörigen erzählt, der eng mit Tendars Vater befreundet ist.

Am 14. März 2008, dem vierten Tag des tibetischen Volksaufstands, als die Lage auf den Straßen der Stadt in Gewalt umschlug, wurde Tendar Zeuge, wie ein Mönch von einem chinesischen Sicherheitsbeamten geschlagen wurde. Er versuchte dem Mönch zu helfen. Was anfänglich passierte, ist nicht ganz klar, aber offenbar wurde die Situation extrem gefährlich, als chinesische Sicherheitskräfte massiv aufmarschierten.

Chinesische Scharfschützen schossen von den Dächern aus auf tibetische Demonstranten. Auch Tendar wurde getroffen und stürzte zu Boden. Andere Tibeter versuchten, ihm zu helfen. Sie sahen eine Einschußwunde und Blut, aber er war bei Bewußtsein, und die Verletzung schien nicht lebensbedrohlich zu sein. Die Sicherheitskräfte schafften ihn umgehend in ihrem Fahrzeug weg. Erst viel später stellte sich heraus, daß er ins Allgemeine Krankenhaus Lhasa, das von der Volksbefreiungsarmee (PLA) betrieben wird, gebracht worden war. Dieses liegt im Nordwesten der Stadt an der Nyari-Straße.

Sicherheitskräfte in Lhasa schießen aus den Fahrzeugen

Während er sich in dem PLA-Krankenhaus befand, suchten ihn alle vier bis sechs Stunden mehrere chinesische Sicherheitsleute auf. Während ihrer Befragungen schlugen sie abwechselnd auf ihn ein. Sie prügelten ihn mit Eisenrohren und drückten Zigaretten auf seiner Haut aus. Er wurde mehrfach gefoltert. Während er in dieser Einrichtung war, erlitt er extreme körperliche und psychische Mißhandlungen, so daß sich sein Zustand rapide verschlechterte.

Weder seine Familie noch Freunde kannten Tendars Aufenthaltsort, noch wußten sie, was ihm zugestoßen war. Ein paar Tage nach seinem Verschwinden begannen sie, nach ihm zu suchen. Dank ihrer unermüdlichen Anstrengungen und unter Nutzung aller ihnen zur Verfügung stehenden Verbindungen und Mittel (chin. Guangxi, tib. Tago) konnten sie ihn schließlich ausfindig machen.

Wieder mußten die Eltern alle Möglichkeiten nutzen, um eine Besuchserlaubnis für das Hospital zu bekommen. Tendars Vater bat meinen Verwandten und einige andere Freunde, ihn bei seinem Besuch zu begleiten. Als sie ihn dort das erste Mal sahen, war er in einem erbärmlichen physischen und psychischen Zustand, aber er war bei Bewußtsein und konnte sprechen und seine Hände bewegen. Er befand sich in einem Schockzustand und litt unsägliche Schmerzen. Die kleinste Bewegung ließ ihn vor Schmerzen aufschreien. Tendar gab seinem Vater zu verstehen, daß er bei den Verhören gefoltert worden war und zeigte ihm die vielen Wunden auf seinem Körper.

Es stellte sich heraus, daß die untere Hälfte seines Körpers gelähmt war und er nicht mehr gehen konnte. Tendar sagte, daß die meisten seiner Verletzungen von den Folterungen im Krankenhaus kämen. Er wirkte körperlich sehr geschwächt.

Er erzählte, er habe gesehen, wie die Sicherheitskräfte einen Mönch mit Eisenstangen zu Tode prügelten. Dann flehte Tendar in Anwesenheit meines Verwandten seinen Vater an: ‚Bitte, nimm mich nach Hause. Wenn ich noch länger hier bleiben muß, werde ich sterben.’

Mein Verwandter hörte ihn auch sagen, er hätte schon zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Er hätte sich zum Fenster geschleppt, um sich hinauszustürzen, aber wegen der Lähmung seines Unterkörpers konnte er nicht hinaufgelangen. Er sagte auch, bei den Verhören habe man ihn schrecklich geschlagen und er habe keinerlei medizinische Versorgung erhalten.

Die Familie versuchte sofort, Tendars Entlassung aus dieser Anstalt zu erwirken. Allmählich verschlechterte sich sein Zustand auf Grund der mehrfachen Folterungen, der nicht erfolgten ärztlichen Behandlung und der bewußten Vernachlässigung immer mehr. Als kaum noch Hoffnung auf Genesung bestand, überließen die Behörden Tendar der Obhut und Verantwortung seiner Eltern. Mein Verwandter und ein paar weitere Freunde halfen den Eltern, ihn nach Hause zu bringen.

Als er dann endlich zu Hause ankam, war das Fleisch seines unteren Rückenbereiches und seiner Hüften in Fäulnis übergegangen und roch übel. Beide Nieren lagen offen, man konnte sie pulsieren sehen. Die Familie tat alles in ihrer Macht stehende, um eine ordentliche medizinische Versorgung für ihn zu bekommen.

Weil er jedoch mit dem Aufstand vom 14. März in Verbindung gebracht wurde und die Kliniken von den Behörden angewiesen worden waren, keine solchen Patienten aufzunehmen, hatten die Krankenhausverwaltungen zu viel Angst, ihn zu behandeln. Deshalb war kein Hospital in Lhasa bereit, Tendar zu helfen. Von Neuem mußte die Familie all ihre Konnexionen und Mittel einsetzen, um ein Krankenhaus zu finden, das bereit war, ihn aufzunehmen.

Nach inständigem Flehen stimmte schließlich das Volkshospital an der Lingkor-Straße nahe dem Potala der Aufnahme zu. Nach drei Tagen zu Hause wurde er dorthin gebracht.

Tendar bewußtlos im Volkshospital

Den tibetischen Ärzten und Pflegern kamen die Tränen in die Augen, als sie sahen, in welchen Zustand sich seine Wunden auf Grund der erlittenen Brutalität und Vernachlässigung befanden. Tendar wurde sofort in die Intensivstation verlegt und mit Infusionen versehen.

Dennoch ging es ihm immer schlechter und schließlich verlor er das Bewußtsein. Die Ärzte informierten seine Eltern, daß es keine Hoffnung auf Genesung mehr gäbe.

Tendar lag 20 Tage im Volkskrankenhaus, zumeist auf der Intensivstation. Die Kosten für die Behandlung beliefen sich auf 90.000 Yuan (ca. 13.000 $). Das entspricht vier Jahresgehältern eines durchschnittlichen Büroangestellten in Lhasa. Seine Eltern beschlossen, ihn für die letzten Tage nach Hause zu holen, aber sie mußten die volle Summe bezahlen, bevor sie Tendar mitnehmen durften. Sie machten noch einige Fotos von ihm im Krankenhaus.

Tendar hatte noch 15 Tage zu Hause in Dampa zu leben, ehe er umgeben von seiner Familie starb. Der tibetischen Tradition entsprechend wurde sein Körper der Himmelsbestattung (tib. Dhotoe) übergeben, an einer der Stätten in Toelung im Westen von Lhasa. Als sein Körper zu dem „Dhotoe“ gebracht wurde, war er nur noch Haut und Knochen und sein Unterkörper in drei Teile zerfallen. Man konnte noch die Spuren der Eisenstangen an ihm sehen.

Der Leichnam wurde der Tradition gemäß den Geiern (tib. Jhador) dargeboten. Als der Körper zu diesem Zweck in kleinere Stücke zerteilt wurde, entdeckten die Bestatter ein dünnes Metallstück oder einen Nagel von ca. 33 cm Länge, der durch die Ferse in ein Bein getrieben worden war. Sie machten Aufnahmen und ein Video von dem Dhotoe. Es handelte sich dabei offenbar um ein bei den Verhören eingesetztes Folterinstrument.

Wie es Brauch in Tibet ist, halten die engsten Angehörigen auf die Bestattung hin jeweils in der ersten, vierten und zehnten Woche Gebetszeremonien für den Toten ab. Dazu laden sie Verwandte und Freunde ein, die dem Verstorbenen huldigen und ihren Obolus für die Zeremonie beitragen.

Bei allen drei Anlässen erschienen Hunderte von Menschen, viele darunter waren Fremde, die von Tendars Schicksal gehört hatten und die ihm die letzte Ehre erweisen wollten. Andere, die Angst hatten, von den Sicherheitskräften gesehen zu werden, sandten Geld und Khatas.

Tendars Leiche am Ort der Himmelsbestattung

Nachsatz:
Die Behörden haben Tendars Mutter ihre Rente aberkannt. In Tibet ist es gängige Praxis, daß die Eltern für die Taten ihrer Kinder verantwortlich gemacht werden. Tendars Versuch, während der Unruhen vom 14. März den Mönch zu schützen, wurde von den Behörden als ein schweres konterrevolutionäres Verbrechen eingestuft, das eine angemessene Strafe verdiente.

Anmerkungen

Die im Text erwähnten Sicherheitskräfte setzen sich aus Angehörigen der Volksbefreiungsarmee (PLA), der Bewaffneten Volkspolizei (PAP) und des Büros für Öffentliche Sicherheit (PSB) zusammen. Alle Quellen sind sich einig, daß PLA und PAP am schlimmsten wüteten und am brutalsten vorgingen. Es handelte sich dabei fast ausschließlich um chinesisches Personal, das von außerhalb nach Lhasa gebracht worden war.

Ein jeder Tibeter, der Schußwunden aufwies, wurde von chinesischen Sicherheitskräften verhört, an unbekannte Orte gebracht und ohne medizinische Versorgung gelassen. Wenn die Verletzung von den Demonstrationen herrührte und es sich eindeutig um Schußwunden handelte, wurde die Person an einen anderen Ort verbracht und dort unter schweren Mißhandlungen verhört.

Ärzte und Pflegepersonal in den Krankenhäusern waren äußerst aufgebracht darüber, daß sie Patienten mit offensichtlich durch die Sicherheitskräfte verursachten schweren Verletzungen wie Schußwunden nicht medizinisch versorgen durften, und daß diese weggeschafft wurden. Chinesische Sicherheitskräfte kamen in die Krankenhäuser und befahlen dem Personal, alle Patienten mit verdächtigen Verletzungen wie Schußwunden zu melden und sie ohne Behandlung einfach liegen zu lassen. Derartige Patienten wurden im Krankenhaus ständig von der Polizei überwacht.

Himmelsbestattung: Die Geier machen sich über Tendars sterbliche Überreste her

Nach all den inzwischen erschienenen Berichten zu schließen muß es zahlreiche Fälle wie den Tendars gegeben haben, wo sich eine eigentlich nicht lebensbedrohliche Verletzung rapide verschlechterte. Wer weiß, wie viele Tibeter auf diese Weise im Gewahrsam der Sicherheitskräfte ums Leben kamen.

Man hört auch immer wieder, daß tibetische Demonstranten, die auf die Folterungen hin schwer verletzt und ohne Hoffnung auf Genesung dem Tode nahe waren, zum Sterben ihren Familien überlassen wurden. Als Grund für dieses Vorgehen wird genannt, daß die Behörden nicht für den Tod eines Häftlings, solange er in ihrer Verantwortung steht, verantwortlich gemacht werden wollen.

* Siehe: „Erschreckendes neues Videomaterial: Chinas Brutalität in Tibet läßt sich nicht länger leugnen

Die Reaktion der chinesischen Regierung auf die Veröffentlichung des Videos durch die Tibetische Exilregierung war, daß sie das Video als eine Fälschung bezeichnete. So sagte ein Regierungssprecher, es sei von der Dalai Clique fabriziert worden – als ob Tendar niemals existiert hätte und nur von den gerissenen und raffinierten Anti-China-Kräften im Ausland erträumt worden sei. Siehe auch:

Die Tibetische Zentralverwaltung bürgt für die Echtheit des Videos über Chinas Brutalität in Tibet