6. Juli 2004
Quelle: World Tibet News
bzw. http://www.tibet.net

Statement des Kashag zur Feier des 69. Geburtstags Seiner Heiligkeit des Dalai Lama

Zum feierlichen Anlass seines 69. Geburtstags möchte der Kashag Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama im Namen des tibetischen Volkes, also aller unserer innerhalb und außerhalb Tibets lebenden Landsleute, mit tiefster Hochachtung und von ganzem Herzen seine Grüße entbieten. Wir beten, dass Seine Heiligkeit uns als das Herzstück des Wohlergehens aller Lebewesen noch Äonen um Äonen erhalten bleiben möge. Gleichzeitig bitten wir Seine Heiligkeit, er möge weiterhin seinen Segen und Schutz auf uns ruhen lassen.

Für das tibetische Volk ist heute, ebenso wie für alle Menschen auf dieser Erde, ein besonderer Tag - weil uns nämlich an diesem Tag ein Heilmittel für alle Leiden der Menschheit geschenkt wurde und ein Licht, das uns auf dem Weg zur Erleuchtung führt. Deshalb möchten wir der ganzen Menschheit, darunter auch den innerhalb und außerhalb unserer Heimat lebenden Tibetern, unsere herzlichsten Grüße übermitteln.

Der ungeheure Verdienst Seiner Heiligkeit des Dalai Lama um die Menschheit im Allgemeinen und um das tibetische Volk im Besonderen, dem er ein echtes demokratisches Staatswesen gegeben hat, die Tatsache, dass er die Bewegung zur Lösung der Tibet-Frage in absolut gewaltlose Bahnen gelenkt hat und dass er den Mittleren Weg vorgeschlagen hat, demzufolge Tibet im Rahmen der VR China verbleiben kann, wenn alle Tibeter den Status einer echten Autonomie genießen, ist ein großes richtungsweisendes Werk, welches sowohl von dem tibetischen als auch dem chinesischen Volk geschätzt und anerkannt werden sollte. Der Kashag möchte daher bei dieser Gelegenheit seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen und sein feierliches Versprechen wiederholen, diese Politik in Übereinstimmung mit den Wünschen Seiner Heiligkeit des Dalai Lama ernsthaft fortzusetzen.

Seine Heiligkeit der Dalai Lama gründete seinen Ansatz des Mittleren Wegs auf Deng Xiaopings Erklärung von 1979, nämlich dass "abgesehen von der Unabhängigkeit Tibets alle anderen Fragen durch den Dialog gelöst werden können". Von diesem Zeitpunkt an hat Seine Heiligkeit über 25 Jahre lang diese Politik unbeirrt verfolgt und jede nur mögliche Anstrengung unternommen, um Vertrauen zwischen den beiden Seiten aufzubauen und eine förderliche Atmosphäre zu schaffen. Allen ist wohlbekannt, dass sogar in den 50er Jahren, als die 17-Punkte-Vereinbarung für Tibet maßgeblich war, Seine Heiligkeit der Dalai Lama in Übereinstimmung mit diesem Abkommen alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel im Hinblick auf eine friedliche Koexistenz einsetzte, indem er versuchte freundliche Beziehungen zwischen den Völkern Tibets und Chinas herzustellen. Da das tibetische Volk, sowohl innerhalb als auch außerhalb Tibets, große Hoffnung und großes Vertrauen auf Seine Heiligkeit den Dalai Lama setzt, ist es selbstverständlich, dass er der Sprecher sowie der Einzige ist, der die wirklichen Wünsche und Hoffnungen des tibetischen Volkes repräsentiert. Es ist daher seine ureigenste Pflicht, sich Gedanken über die Zukunft des sechs Millionen zählenden tibetischen Volkes zu machen, eine Verantwortung, der er sich nicht entziehen kann.

Niemand kann die Tatsache leugnen, dass es viele unerträgliche und sehr komplizierte Probleme in Tibet gibt. Dieser Umstand wurde wiederholt sowohl mündlich als auch schriftlich von vielen kompetenten tibetischen Führungspersönlichkeiten und auch von Mitgliedern der Kommunistischen Partei, darunter dem verstorbenen Panchen Lama, zum Ausdruck gebracht. Das ganze tibetische Volk hegt gegen die von der Volksrepublik China in Tibet durchgesetzte Politik tiefsitzenden Groll und Ärger.

Unlängst, am 23. Mai 2004, gab das Informationsbüro des Staatsrats der VR China ein Weißbuch über die "Regionale Ethnische Autonomie in Tibet" heraus. Wir haben uns eingehend mit diesem Weißbuch beschäftigt.

Es enthält viel ultralinke Propaganda und Phrasen und offensichtlich gibt es eine ganze Reihe von Punkten, wo wir mit den darin dargelegten Ansichten nicht übereinstimmen. Die periodisch herausgegebenen Weißbücher über Tibet können die wahre Lage und den traurigen Zustand der Dinge in Tibet nicht verbergen. Dadurch werden vielmehr die Bemühungen, gegenseitiges Verstehen und Vertrauen zu fördern, untergraben.

Viele Tibeter und Freunde Tibets in aller Welt warten voller Unruhe auf eine angemessene Antwort der tibetischen Führung im Exil auf das jüngste chinesische Weißbuch. Wir haben volles Verständnis für ihre Gefühle und ihre Besorgnis. Wir haben jedoch beschlossen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht öffentlich auf das Dokument zu antworten.

Diese Entscheidung wurde in dem darüber hinausgehenden Interesse getroffen, eine Lösung in der Tibet-Frage auf dem Weg des Dialogs zu finden. Seit es wieder direkte Kontakte zwischen uns und Vertretern Chinas gibt, räumen wir der Sache des Dialogs und der Versöhnung höchste Priorität ein und verzichten auf alle Schritte, die diesem Prozeß hinderlich sein könnten. Wir beschlossen daher, diese Angelegenheit auf verantwortungsvolle und besonnene Weise zu behandeln.

Offensichtlich gibt es in den Tibet betreffenden Fragen zwei verschiedene Auffassungen und Versionen - eine tibetische und eine chinesische. Wir sollten dies anerkennen. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Differenzen durch Dialog und Verhandlungen beigelegt werden können und nicht durch Zwang. Es ist das grundlegende Prinzip Seiner Heiligkeit des Dalai Lama, nicht auf der Vergangenheit zu beharren, sondern vorwärts in die Zukunft zu blicken und eine Beziehung anzustreben, die für echte Freundschaft, gegenseitiges Verständnis und gegenseitigen Respekt der Völker Tibets und Chinas sorgt.

Wir haben der chinesischen Führung deutlich gemacht, dass wir den im September 2002 eingeleiteten Prozeß weiterführen möchten, indem Sondergesandte Seiner Heiligkeit des Dalai Lama China erneut einen Besuch abstatten. Wenn dieser erfolgt, werden die Gesandten wieder all die Dinge zur Sprache bringen, die dem tibetischen Volk am Herzen liegen und Sorge bereiten.

Der Ansatz Seiner Heiligkeit des Dalai Lama zur Lösung der Tibet-Frage genießt wachsende internationale Unterstützung und Wertschätzung. Erst vor kurzem, am 15. Juni 2004, begrüßte die Europäische Kommission in einer öffentlichen Erklärung die zwei Besuche der Gesandten Seiner Heiligkeit des Dalai Lama in China als positiv und rief "... zur Stärkung und Vertiefung dieses im Gang befindlichen Prozesses" auf. Weiter heißt es in dem EU Statement: "Der einzig realistische Weg, um für die Tibetfrage eine dauerhafte Lösung zu finden", sind Gespräche zwischen Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama und der chinesischen Führung.

Wieder einmal möchten wir die politisch Verantwortlichen in der Volksrepublik China eindringlich bitten, die gute Gelegenheit, die der Mittlere Weg Seiner Heiligkeit des Dalai Lama darstellt, nicht von sich zu weisen und ihre harte Linie aufzugeben, also eine versöhnliche Haltung anzunehmen, um so zu einer Lösung des Tibet Problems zu gelangen, wodurch die Einheit und Stabilität der Volksrepublik China am besten gewährleistet ist.

Abschließend beten wir um ein langes Leben für Seine Heiligkeit den Dalai Lama und die spontane Erfüllung aller seiner Wünsche. Wir beten auch, dass die Wahrheit in der Tibet-Frage sich bald durchsetzen möge.

Der Kashag
(Ministerrat der tibetischen Regierung-im-Exil)

nicht-autorisierte Übersetzung