Tibetische Mönche sehen im Tourismus eine neue Form der Unterdrückung
Lhasa, Montag 22.09.2003 (AP), von Christopher Bodeen
Der Jokhang Tempel, eine der heiligsten Stätten Tibets, hat theologische Fehden, politische Umwälzungen und massive Zerstörungen durch die Äxte schwingenden kommunistischen Roten Garden überstanden.
Dennoch hat nichts in der brutalen Geschichte des Tempels seine Mönche auf das vorbereitet, was jetzt vielleicht zur größten Bedrohung ihres klösterlichen Lebens wird - nämlich den Tourismus.
Die Mönche, die ohnehin schon der strengen Überwachung der kommunistischen Behörden unterliegen, finden sich plötzlich als Reiseführer, als Türsteher oder Hausmeister für Tausende von Besuchern wieder, die täglich zum Jokhang kommen, herbeigelockt von den Werbeaktionen der chinesischen Regierung, die Tibets reiches und immer noch vorhandenes religiöses Erbe nutzt.
"Das hier war mein Seminar, aber jetzt ist es wie ein Museum, das hauptsächlich Touristen aus China, aber auch von anders woher anlockt", sagt Nyima Tsering, Vizepräsident des von der Regierung eingesetzten Tempel Management Komitees und buddhistischer Gelehrter an dessen Seminar.
Nach Jahrzehnten der Unterdrückung und dem darauf folgenden strengen Reglement für den tibetischen Buddhismus fördert die chinesische Regierung nun die tibetische Religion und ihre Denkmäler als eine Art touristischer Attraktion, um die schwache Wirtschaft der Region anzukurbeln.
Trotzdem bleibt China ein kommunistischer Staat, der offiziell atheistisch ist. Während also das Fremdenverkehrsbüro nach außen hin dazu auffordert, "zahlreich zu kommen und das heilige Land zu besuchen", fahren die Regierungsstellen damit fort, die Anzahl der Mönche einzuschränken, sie schreiben ihnen vor, wie sie ihre Klöster zu führen haben und verwehren Schülern die Teilnahme an buddhistischen Festen oder anderen religiösen Aktivitäten.
Viele der 46.000 buddhistischen Mönche und Nonnen in Tibet empfinden den Touristenstrom als eine neue Belastung. Zwischen Touristenführungen und den obligatorischen Unterrichtsstunden der kommunistischen Partei findet Nyima Tsering nicht mehr als täglich zwei Stunden für seine religiösen Studien, eine Tätigkeit, welcher die Mönche einst den überwiegenden Teil ihrer Zeit widmeten.
Daß die Mönche nicht genügend Zeit für ihre Studien haben, zeige sich an der Qualität der frisch gebackenen Lamas, sagte er und beklagte, daß ihnen die Tiefe des Verständnisses fehle, wie es ihre Vorgänger in vielen Jahrzehnten der Meditation und des Nachdenkens über die buddhistischen Sutras und heiligen Texte erworben hatten.
Die Anzahl der Besucher ist in den vergangenen drei Jahren um zweistellige Zahlen angestiegen, was hauptsächlich der ungeheuren Zunahme von Reisenden aus anderen Teilen Chinas zuzuschreiben ist.
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