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Tibetischer Mönch wusste, dass er sterben würde
In einem Brief, der nach seinem Tod gefunden wurde, beschreibt Nyima Drakpa seine Qualen
Washington, 6. Oktober: Der tibetische Mönch, der letzte Woche an den Folgen der in der Haft erlittenen Mißhandlungen starb (er hatte anti-chinesische Posters angeklebt), hinterließ einen Brief, in dem er die Qualen beschreibt, die ihm die chinesischen Folterknechte zugefügt haben. Radio Free Asia (RFA) gelangte, wie auch immer, in den Besitz desselben.
Der Brief, der das Datum 1. April 2001 trägt und an das im Exil lebende Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama, gerichtet ist, sollte nach Nyima Drakpas Tod veröffentlicht werden. Wie von anonym bleibenden Quellen mitgeteilt wird, starb Nyima Drakpa, der Ende zwanzig war, am 2. Oktober um 4 Uhr früh im Kreis Tawu (chin. Daofu), einem traditionell von Tibetern bewohnten Landstrich, der jetzt Teil der chinesischen Provinz Sichuan ist. Er schrieb:
"Am 22. März 2000, als ich in Lhasa war, kamen vier Männer des Public Security Bureau von Tawu und nahmen mich fest. Ohne irgend eine Frage zu stellen, schlugen sie mich so entsetzlich, daß ich kein Wort mehr hervorbringen konnte. Ohne Essen oder auch nur einen Tropfen Wasser setzten sie mich in ein Flugzeug und brachten mich nach Chengdu, wo ich zehn Tage lang festgehalten wurde.
In dieser Zeit wurde so maßlos geschlagen, daß ich mich vor Schmerzen nicht mehr rühren konnte. Erbarmungslos schlugen sie mich halbtot, so daß meine Beine völlig taub wurden. Unter entsetzlichen Schmerzen und Folterungen gestand ich schließlich, daß ich die Posters angebracht hatte. Daraufhin verurteilte mich das Gericht von Kardze am 5. Oktober zu neun Jahren Gefängnis. Meine Leiden gehen weiter, ich kann nicht richtig essen, und meine Beine sind durch die Mißhandlungen nicht mehr funktionsfähig. Ich weiß, daß ich nicht mehr lange leben werde. Aber ich habe keine Angst vor dem Tod.
Ich appelliere an Seine Heiligkeit, den Dalai Lama, die Welt von meinem Schicksal in Kenntnis zu setzen. Alle unsere tibetischen Brüder und Schwestern sollen wissen, wie die Chinesen uns unter Mißachtung aller Gesetze mit Folter und Gefangenschaft drangsalieren. Vereint sollten wir alle gegen China protestieren."
In diesem mit Kheri Nyima Drakpa unterzeichneten Brief beschrieb er sich als "einen tibetischen jungen Mann aus dem Kreis Tawu in der Region Kham des vormaligen Tibet. Weiter heißt es darin: "Ich bin den Tibetern zutiefst verbunden und habe grenzenlose Zuneigung zu ihnen. Durch meine Studien erfuhr ich, wie rückständig unsere Rasse ist und wie uns die grundlegenden Menschenrechte vorenthalten werden, so daß wir unsere eigene Sprache nicht benützen dürfen... Mit anderen Worten, wir haben überhaupt keine politische Autorität in unserem eigenen Land.
Nachdem ich die wundervolle Geschichte unserer Vorfahren studiert habe, die unser Land regierten, fand ich den Mut und die Entschlossenheit, wenn es sein muß sogar mein Leben für meine Landsleute zu opfern. Ich sehne mich nach einem unabhängigen Land, das uns gehört und in dem alle Tibeter wahre Freiheit genießen können.
Ich beschloß, mein Leben dafür hinzugeben und brachte am 9. April 1998, am 10. und 12. und 19. November 1999, am 6. und 29. Dezember 1999 und am 7. Januar 2000 Plakate an den Seiten und Wänden der Regierungsgebäude des Kreises Tawu an." Ein Poster hat er sogar mit seinem eigenen Namen unterschrieben und auf allen forderte er die Chinesen auf, sich aus Tibet zurückzuziehen.
Wie der tibetische Nachrichtendienst von RFA erfuhr, wurde Nyima Drakpa 10 Tage vor seinem Tod ins Krankenhaus eingeliefert. "Als er hereingebracht wurde, konnte er nicht mehr sprechen, und seine Beine waren ganz dünn und leblos", sagte eine Person, die namentlich nicht genannt werden möchte.
Die genaue Todesursache wurde nicht sofort bekannt. Die Behörden hatten Nyima Drakpa Ende September von der Haftanstalt ins Krankenhaus verlegt, weil sein gesundheitlicher Zustand kritisch geworden war. Er verbüßte eine Strafe von neun Jahren wegen angeblicher "Aktivitäten zur Spaltung des Mutterlandes und Destabilisierung der Gesellschaft".
"Als er im Gefängnis war, mahnten die chinesischen Beamten ihn, seine Schuld zu gestehen, damit er früher entlassen würde. Aber er wiederholte nur, das was er geschrieben habe, sei wahr, und sagte, sie sollten mit ihm machen, was sie wollen", heißt es aus anderer Quelle.
Ein Angehöriger des chinesischen Public Security Bureau in Tawu, bei dem am 2. Oktober per Telefon angefragt wurde, sagte, Nyima Drakpa sei bei guter Gesundheit: "Er beging einen schweren Fehler, denn er verwickelte sich in spalterische Tätigkeiten und untergrub die Stabilität der Gesellschaft. Er ist gesund, ich wüßte nicht, daß ihm irgend etwas fehle. Ich weiß auch nicht, wo er inhaftiert ist. Es sind noch mehr Leute im Gefängnis, alles Komplizen von Nyima Drakpa". Wie von Leuten berichtet wird, die ihn kannten, war Nyima Drakpa ein Mönch im Kloster Nyatso in Tawu. Nach seiner Flucht nach Indien 1990 trat er dort in das Kloster Ganden ein. Er besuchte auch die Khampa Universität in Tawu, wo er tibetische Geschichte studierte.
In dem Bericht des US State Department von 2002 zur Situation der Menschenrechte weltweit steht, daß die chinesische Regierung in Tibet "weiterhin ernste Menschenrechtsverletzungen begeht, worunter Folterung, willkürlicher Festnahme, Haft ohne öffentliche Gerichtsverhandlung, sowie die langzeitige Inhaftierung tibetischer Volksangehöriger fallen, die ihre politischen und religiösen Ansichten auf friedliche Weise zum Ausdruck gebracht haben".
"Des politischen Aktivismus beschuldigte Personen waren das ganze Jahr über ständigen Schikanen ausgesetzt. Es gab Berichte über Inhaftierungen und Mißhandlungen von Nonnen und Mönchen, die politischer Aktivitäten wegen angeklagt waren", heißt es weiter. "In diesem Jahr wurde nichts über den Tod von Gefangenen bekannt. Der Tod von mindestens 41 tibetischen politischen Gefangenen seit 1989 kann jedoch den schweren Mißhandlungen in der Haft zugeschrieben werden. Mindestens 20 davon waren im Drapchi Gefängnis in Lhasa inhaftiert".
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