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Angespanntes politisches Klima in Kardze als Folge von Gebetszeremonien für den Dalai Lama
Die politische Lage in der Stadt Kardze (chin. Ganzi) und ihrer Umgebung ist nach einer Sicherheitsrazzia und mindestens 20 Festnahmen im Zusammenhang mit Lang-Lebens-Gebetszeremonien für den Dalai Lama, die in der Stadt und den umliegenden Dörfern in der Tibetischen Autonomen Präfektur Kardze, Sichuan, im Herbst 2002 abgehalten wurden, immer noch sehr angespannt. Berichte aus der Region weisen darauf hin, daß mindestens sieben Tibeter wegen ihres Engagements in Gebetszeremonien für den Dalai Lama letztes Jahr Gefängnisstrafen verbüßten, während andere sich versteckt halten oder die Gegend verlassen haben und aus Angst festgenommen zu werden, nicht zu ihren Familien zurückkehren. Nach Berichten über Mißhandlungen im Zusammenhang mit ihrer Festnahme besteht Sorge um das Wohlergehen der Tibeter, die gegenwärtig im Gefängnis sind.
Die Festnahmen folgten auf eine behördliche Überwachung von Gebetszeremonien, die in der Gegend während des Losarfestes (tibetisches Neujahr) im Februar 2002 stattfanden. Augenzeugenberichten zufolge, die ICT (International Campaign for Tibet) zugingen, kamen vom 17. - 24. Oktober mehrere hundert Mann starke Einheiten der Volksbefreiungsarmee nach Kardze und in die Dörfer der Umgebung; ebenso errichtete die örtliche Polizei Kontrollposten an allen Straßen nach und von Kardze. Es hatte schon früher Gebetszeremonien in der Gegend gegeben, aber diese, die durch die Angst der Tibeter um die Gesundheit des Dalai Lama motiviert waren, nachdem dieser wegen Krankheit gezwungen war, einen Monat zuvor eine Kalachakra-Zeremonie in Bodh Gaya, Indien, abzusagen, erregten mehr Aufsehen und wurden sogar auf Video aufgenommen. Die Videos lieferten den Behörden später Hinweise für die Verhaftung von Tibetern, die an den Zeremonien teilgenommen hatten. Ein Tibeter, der kürzlich aus diesem Gebiet kam, sagte: "Die Razzia im letzten Jahr hat die Lage in der Gegend völlig verändert. Seit den Gebetszeremonien haben die Leute große Angst. Verschiedene tibetische Familien verloren ihren Ernährer, weil junge Männer ins Gefängnis geworfen wurden oder die Gegend verlassen mußten. Normalerweise gibt es viele alte Leute, welche die Kora (Pilger-Umrundung) um die Tempel ausführen, aber jetzt sieht man kaum mehr welche, weil die Menschen so große Angst haben. Diese älteren Menschen haben mit politischen Aktivitäten überhaupt nichts zu tun, sie wollen lediglich ihre Religion ausüben."
Das Kloster in Kardze wird von den Behörden besonders intensiv überwacht, seitdem Mönche von dort an den Gebetszeremonien teilgenommen haben. Die Sicherheitspolizei sucht das Kloster regelmäßig heim, und einer Reihe von Personen, die an der diesjährigen Losar-Zeremonie teilgenommen hatten, wurden strenge Beschränkungen auferlegt. Trotz der angespannten politischen Atmosphäre gibt es in Kardze noch vereinzelte Akte aktiven Widerstands, wie etwa das Ankleben von Plakaten für Unabhängigkeit.
Die jüngste Razzia stellt eine weitere Intensivierung der Sicherheitspolitik dar, die bereits stringent war, seit Hunderte von Tibetern im Oktober 2001 auf die Straße gingen, um gegen die Inhaftierung von Geshe Sonam Phuntsog, einem etwa vierzigjährigen, bekannten Gelehrten und beliebten Lehrer der tibetischen Sprache, zu protestieren. Sonam Phuntsogs Verhaftung scheint mit der Sorge der Behörden wegen seines Einflusses in der Gegend und seiner offenen Loyalität gegenüber dem Dalai Lama im Zusammenhang zu stehen. Es wurde neulich berichtet, daß er im Ngaba-Gefängnis im Landkreis Maowun (Chinesisch: Maoxian) in in der Ngaba (Chinesisch: Aba) Tibetischen und Qiang Autonomen Präfektur festgehalten wird und eine fünfjährige Strafe verbüßt.
Tibeter, die in Verbindung zu Sonam Phuntsog stehen oder einer solchen verdächtig werden, wurden jetzt von den örtlichen Behörden in Kardze unter Überwachung gestellt. Ein von dort stammender Tibeter, der jetzt im Exil ist, bringt das erneute Aufleben religiöser Aktivität in der Gegend mit der von Sonam Phuntsog durchgeführten Zeremonie in Zusammenhang. Er meinte ICT gegenüber: "Seit der Einführung einer Langlebens-Puja [Zeremonie] durch Sonam Phuntsog und seiner darauf folgenden Verhaftung ist der Wunsch zur Durchführung dieser Puja in den Menschen sehr lebendig. Die Begeisterung wurde neu angefacht, nachdem ein Tibeter, der aus dem Exil zurückkehrte, berichtete, daß Seine Heiligkeit die Kalachakra-Initiation aus gesundheitlichen Gründen nicht erteilen konnte [Januar 2002]." Mehrere von Mönchen und Nonnen geleitete Gebetszeremonien, an denen viele Laien teilnahmen, wurden in der Stadt Kardze und in benachbarten Dörfern organisiert. Jede Dorfgemeinschaft trug mit Zuschüssen von ortsansässigen Familien zur Finanzierung der Zeremonien bei.
Nach zuverlässigen Berichten aus dem Gebiet wurden mindestens 20 Tibeter ins Gefängnis geworfen, weil sie die Zeremonien besucht, ihre Grundstücke für die Zeremonien zur Verfügung gestellt oder bei der Organisation der Zeremonien mitgemacht hatten. Namgyal Choephel, ein Bauer Mitte Dreißig, ist für drei Jahre in Kardze im Gefängnis. Jampa Zangpo, ein Bauer Ende Dreißig, der in der örtlichen Gemeinschaft gut bekannt ist, und der 55-jährige Dorje Phuntsog, eine angesehene Persönlichkeit in seinem Dorf Shenyin, der in Kardze als Mechaniker arbeitet, sind Berichten zufolge ebenfalls in Kardze im Gefängnis. Wie berichtet, wurden die beiden Personen, welche die Hauptzeremonie in Kardze auf Video aufgenommen haben, ebenfalls inhaftiert (weitere Einzelheiten über die Festnahmen werden in einem späteren Bericht mitgeteilt). Eine unbestätigte Anzahl von Tibetern wurde nach den Zeremonien zur Befragung vorübergehend in Haft genommen, von denen einige heftig geschlagen wurden. Die Gefangenen wurden geprügelt und getreten, wobei ein Bericht andeutet, daß die körperlichen Mißhandlungen eher von Soldaten der Volksbefreiungsarmee als von der örtlichen Polizei verübt wurden.
Tibeter in Kardze sind berühmt für ihre feste Haltung bei der Bewahrung ihrer kulturellen und religiösen Identität, ebenso wie für ihre politische Impulsivität. Viele Leute aus dieser Gegend waren in den 50iger Jahren am erbitterten Widerstand gegen die Chinesen beteiligt. In ihrer CD-Rom "Tibet Outside the TAR" (TOTAR, 1997) schreiben Steven Marshall und Susette Cooke: "Kardze wurde seine Feindseligkeit gegenüber der chinesischen Besetzung mit offizieller Vernachlässigung und der Aufsicht durch besonders repressive örtliche Sicherheitskräfte heimgezahlt. Seine trotzige kulturelle Haltung ist die stärkste, und einzige Reaktion, die es unter den gegenwärtigen Umständen zeigen kann. Chinesische Einwanderer und der Kommerz dringen ein, die Ausbeutung der Ressourcen nimmt zu, aber der tibetische Widerstand ist hier stärker als in vielen anderen Kreisstädten - in dem spürbaren Geist der Bevölkerung ebenso wie in konkreten Manifestationen in Architektur, Kleidung und religiösem Ausdruck."
Dies ist einer aus einer Reihe von unabhängigen Berichten von Kate Saunders [mailto:ks@insidetibet.net], beauftragt von Australia Tibet Council, Free Tibet Campaign und International Campaign for Tibet. Diese Berichte erscheinen auch auf den TSG-Listen, einem internationalen Mailservice für Tibet-Unterstützer, und in World Tibet News, einer Sammlung von Nachrichten zu Tibet, archiviert unter: www.tibet.ca/wtnnews.htm
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