April 2004

mit freundlicher Genehmigung von GfbV wird dieses Dossier auch auf unserer Website veröffentlicht

China: Menschenrechtslage dramatisch

Waffenembargo aufrechterhalten

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Menschenrechtsreport Nr. 33 der Gesellschaft für bedrohte Völker
von Ulrich Delius

Für Menschenrechte. Weltweit.
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Menschenrechtsorganisation mit beratendem Status beim Wirtschafts- und Sozialrat
der Vereinten Nationen
Herausgegeben im April 2004, Preis: 5,- Euro

Inhalt
  1. Zusammenfassung
  2. Bundeskanzler engagiert sich für die Beendigung des Embargos
  3. Europäisches Parlament fordert Aufrechterhaltung des Embargos
  4. Lage der Menschenrechte verschlechterte sich 2003
  5. Keine Einmischung in innere Angelegenheiten
  6. Menschenrechte bekommen Verfassungsstatus
  7. Anhaltende Repression in Xinjiang
  8. Sinisierung und Repression halten in Tibet weiter an
  9. Christenverfolgung
  10. Falun Gong wird zerschlagen
  11. Kontrolle des Internets wird verstärkt
  12. Pressefreiheit wird massiv verletzt
  13. Hohe Zahl von Hinrichtungen
  14. "Umerziehung durch Arbeit"
  15. Hongkongs Demokraten unter Druck
  16. Kein Schutz für Flüchtlinge aus Nordkorea
  17. Tiananmen-Massaker bleibt tabu
  18. Waffenembargo war seit Jahren umstritten
  19. Europäischer Verhaltenskodex bietet keine Sicherheit
  20. China ist ein bedeutender Rüstungsexportmarkt
  21. Bedrohung Taiwans und der Stabilität in der Region
  22. EU schürt Spannungen in der Taiwan Strasse
  23. USA plädiert für Aufrechterhaltung des Embargos
  24. Einäugigkeit der Europäischen Union

1.

Zusammenfassung

Die EU-Außenminister haben in den vergangenen Monaten über eine mögliche Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China beraten. Eine Entscheidung haben sie von der einer Einschätzung der aktuellen Menschenrechtslage in der Volksrepublik China abhängig gemacht. Während die EU eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in China feststellt, kommen unabhängige internationale Menschenrechtsorganisationen und die US-Regierung zu einer sehr vielen kritischeren Einschätzung. In dem vorliegenden Report werden umfassend Menschenrechtsverletzungen an ethnischen und religiösen Minderheiten sowie schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen grundlegende Internationale Konventionen dokumentiert.

Sowohl in Tibet als auch in Xinjiang / Ostturkistan ist die Menschenrechtslage katastrophal. Protestantische und katholische Christen werden massiv verfolgt. Die systematische Zerschlagung der Meditationsgruppe Falun Gong durch die Behörden geht weiter. Hunderte Falun Gong-Anhänger kamen dabei auch in den letzten Monaten in staatlichem Gewahrsam zu Tode. Kein Land der Welt verurteilt mehr Menschen zum Tode und richtet sie hin. Kein Staat hält mehr Bürger ohne faire Gerichtsverhandlungen in Arbeits- und Umerziehungslagern fest. Derzeit sind es rund 280.000 Menschen. Kein Land inhaftiert mehr Journalisten. Kein Staat der Welt schließt mehr Menschen von einer freien Nutzung des Internets aus und inhaftiert mehr Personen, weil sie das Internet zur Meinungsäußerung nutzten. Sowohl in Quantität als auch in "Qualität" sind die in China begangenen Menschenrechtsverletzungen so außerordentlich, dass eine Aufhebung des EU-Waffenembargos nicht mit einer Verbesserung der Menschenrechtslage begründet werden kann.

Verhängt wurde das Embargo am 26. Juni 1989 aufgrund des Massakers der chinesischen Volksbefreiungsarmee an Hunderten Anhängern der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Bis heute weigert sich Peking beharrlich, die Verantwortlichen für das Massaker zur Rechenschaft zu ziehen und den Tathergang von unabhängiger Seite untersuchen zu lassen. Noch immer sind rund 190 chinesische Demokraten aufgrund ihrer Mitwirkung an den Protesten 1989 in Haft, die Bemühungen der Angehörigen der Ermordeten um eine Rehabilitierung der Verstorbenen waren bisher vergeblich.

Die EU-Außenminister spielen die Bedeutung der Aufhebung des Waffenembargos herunter und verweisen auf den EU-Verhaltenskodex für Waffenexporte von 1998, der vielen Waffenlieferungen nach China einen Riegel vorschieben werde. Eine Analyse der bisherigen Rüstungsexportpraxis der EU gemäß diesem Verhaltenskodex ergibt jedoch, dass die von dem Kodex genannten acht Kriterien zur Genehmigung von Rüstungsexporten in zahlreichen Fällen verletzt wurden. Allein im Jahr 2002 genehmigten vor allem Frankreich und Großbritannien sowie einige andere EU-Staaten umfassende Rüstungslieferungen in akute Krisengebiete (Indien/Pakistan, Indonesien, Nepal, Kolumbien, Saudi-Arabien, Angola) oder in Staaten, die Menschenrechte massiv verletzen (Russland, Türkei, Iran, Algerien, Usbekistan). Auch haben Frankreich und Großbritannien schon jetzt Waffen an China geliefert, da sie den Embargo-Beschluss großzügig interpretierten. China hat bereits großes Interesse an französischen High-Tech-Waffen signalisiert. Ausführlich wird in dem Report die in den 90er Jahren begonnene Hochrüstung der chinesischen Streitkräfte dokumentiert. China ist zur Zeit der bedeutendste Waffenimporteur der Welt. Nur die USA geben noch mehr Geld für ihren Verteidigungshaushalt aus.

Die Hochrüstung Chinas gefährdet die Stabilität in Ostasien und Südostasien, insbesondere jedoch die Sicherheit Taiwans. Angesichts der chinesischen Rüstungsanstrengungen und der momentan besonders gespannten Sicherheitslage in der Taiwan Strasse würde eine Aufhebung des Embargos in diesem Frühjahr zu einer weiteren Destabilisierung der Region beitragen. Es wäre das denkbar schlechteste Zeichen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Da die EU keine Initiativen zur Beilegung der Taiwan-Krise ergreift, sondern einmütig Pekings "Ein-China-Politik" unterstützt, wäre eine Aufhebung des Embargos sehr problematisch. Insbesondere Frankreich ignoriert weitestgehend die katastrophale Menschenrechtslage sowie die Gefahr der Eskalation verschiedener regionaler Konflikte. Für Paris zählt nur der Ausbau der "Strategischen Partnerschaft" mit China, wie auch das Drängen in der Embargo-Frage zeigt. Die EU sei einäugig in ihrer Wahrnehmung der Lage in China und betreibe einen Ausverkauf der Menschenrechte, wenn sie einerseits dazu dränge, das Waffenembargo aufzuheben, andererseits aber nicht bereit sei, in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen eine kritische China-Resolution einzubringen. Mit dieser Kritik appellierte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) nachdrücklich an die EU-Staaten, zumindest den US-amerikanischen Resolutionsentwurf zu China in der UN- Menschenrechtskommission zu unterstützen.

2.

Bundeskanzler engagiert sich für Beendigung des Embargos

Bundeskanzler Gerhard Schröder sicherte der chinesischen Führung bei seinem Besuch in Peking am 1.Dezember 2003 zu, sich für eine Aufhebung des Waffenembargos der Europäischen Union (EU) gegen die Volksrepublik China einzusetzen. Er signalisierte in Gesprächen mit Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao, es sei "an der Zeit dafür", die nach einem Massaker an Anhängern der Demokratiebewegung 1989 erlassene Sanktion aufzuheben (dpa, 1.12.2003). Das Embargo war am 26. Juni 1989 verhängt worden, nachdem am 3./4. Juni 1989 Hunderte Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking einem Massaker der chinesischen Volksbefreiungsarmee zum Opfer gefallen waren. Das China von heute sei nicht mehr das der Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens, hieß es zur Rechtfertigung der Zusage des Bundeskanzlers aus Regierungskreisen. China sei heute ein verlässlicher Partner in den Vereinten Nationen. Doch diese Aussage dürfte sich wohl nicht auf die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen beziehen, in der die Volksrepublik mit allen Mitteln versucht, einer Verurteilung aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen und der Verletzung internationaler Konventionen zum Schutz der Menschenrechte zu entgehen. Als die US-Regierung am 22. März 2004 ankündigte, einen Resolutionsentwurf zur Verurteilung in die diesjährige Sitzung der UN-Menschenrechtskommission in Genf einzubringen, setzte China aus Verärgerung seinen Dialog über Menschenrechtsfragen mit der US-Regierung aus.

Schröders Äußerungen stießen in Deutschland nicht nur in den Medien und bei Menschenrechtsorganisationen auf Kritik. Auch vom Koalitionspartner Bündnis 90 / Die Grünen wurde die Zusage des Bundeskanzlers massiv kritisiert. Der Verteidigungsexperte der Grünen, Winfried Nachtwei, erklärte, es gebe "keine Veranlassung, das Embargo aufzuheben" (Netzeitung, 1.12.2003). Abgeordnete der CDU, FDP und Grünen kritisierten, Schröder habe seine Ankündigung angesichts der Spannungen zwischen China und Taiwan zum falschen Zeitpunkt gemacht (dpa, 2.12.2003) Die FDP beantragte, der Deutsche Bundestag solle Bundeskanzler Schröder auffordern, "seine angekündigte Initiative zur Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen die Volksrepublik China zurückzunehmen". Skeptisch äußerte sich neben der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Christa Nickels von Bündnis 90 / Die Grünen, auch die Parteivorsitzende der Grünen, Angelika Beer. Es sei noch "sehr früh" für deutsche Waffenexporte nach China und eine Aufhebung des Embargos, wird Beer zitiert (dpa, 1.12.2003). Verärgert zeigte sich der grüne Abgeordnete Winfried Hermann: "Der Kanzler macht der Koalition Ärger mit solchen hemdsärmeligen Zusagen" (Netzeitung, 1.12.2003). Außenminister Joschka Fischer äußerte sich aufgrund der innerparteilichen Proteste in den folgenden Monaten auch sehr viel zurückhaltender als der Bundeskanzler und wies Ende Januar 2004 darauf hin, dass vor einer Aufhebung des Embargos noch ausführlicher über die Lage der Menschenrechte und das Verhältnis der Volksrepublik zu Taiwan gesprochen werden müsse.

In einem am 13. Oktober 2003 veröffentlichten Grundsatzpapier des chinesischen Außenministeriums zum Verhältnis der Volksrepublik China zur EU hatte Peking die Aufhebung des Waffenembargos gefordert. China bezeichnete das Embargo als "Relikt des Kalten Krieges", das "nicht im Interesse der Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und der Volksrepublik China ist" (AFP, 9.3.2004). Schon zuvor hatte sich Frankreichs

Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie bei einem Besuch in Peking am 30. Juni 2003 für ein Ende des Embargos sowie für einen Ausbau der militärischen Zusammenarbeit ausgesprochen. So schlug die französische Ministerin auch vor, China geheime Militärtechnologie zur Verfügung zu stellen (Hindustan Times, 14.10.2003). Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sicherte der chinesischen Führung bei einer Visite des chinesischen Partei- und Staatschefs Hu Jintao in Paris im Januar 2004 nochmals die uneingeschränkte Unterstützung seines Landes in dieser Frage zu. "Dieses Embargo macht nicht länger irgendeinen Sinn", befand Präsident Chirac auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem chinesischen Amtskollegen (AP, 27.1.2004). Der französische Außenminister Dominique de Villepin bekräftigte diese Einschätzung, indem er erklärte: "Unser Gefühl ist, dass dieses Embargo aus einer Zeit der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und China stammt, die heute überholt ist. China ist heute ein privilegierter Partner der EU und hat eine bedeutende und verantwortungsvolle Position in der internationalen Staatengemeinschaft" (BBC, 26.1.2004). In diesem Sinne hat Frankreich kürzlich seinen EU-Partnern ein vierseitiges Memorandum mit dem Titel "Überlegungen zur Zukunft der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und China" übermittelt, in dem es heißt: "Der Aufbau einer 'Strategischen Partnerschaft' bedeutet, dass man sich abkehrt von einer Logik des Strafens und der Sanktionen" (Le Monde, 12.3.2004). Frankreichs Oppositionsführer, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Francois Hollande, zeigte sich "schockiert" vom Verhalten Chiracs: "Ich verstehe nicht, wie die französische Regierung ein Verfahren zur Aufhebung des Waffenembargos gegen China einleiten kann, wenn ein Konflikt mit Taiwan möglich ist" (AFP, 29.1.2004).

Es war auch Frankreichs Staatspräsident Chirac, der sich auf einem EU-Gipfel in Brüssel im Dezember 2003 für eine Erörterung des Themas im Rat der EU-Außenminister am 26. Januar 2003 einsetzte (NZZ, 26.1.2004). Auch Dänemarks Premierminister Anders Fogh Rasmussen erklärte sich grundsätzlich bereit, einem Ende des Embargos zuzustimmen. "Wir wollen in konstruktiver Weise zu einer Lösung bei der Aufhebung des Embargos beitragen, in dem wir es mit einem Fortschritt in Menschenrechtsfragen in China verbinden", erklärte er (AFP, 1.3.2004). Der Präsident der Europäischen Kommission Romano Prodi, der EU-Kommissar für Außenbeziehungen, Christopher Patten, und der EU-Kommissar für Handel, Pascal Lamy, sprachen sich im Vorfeld dieser Erörterungen für eine Aufhebung des Embargos aus. "Es ist sehr deutlich, dass sich die Lage in China dramatisch verändert hat und dass die neue Führung (in China) eine neue Generation vertritt", erklärte Patten (People's Daily, 27.1.2004). Die Menschenrechtslage in China habe sich seit der Verhängung des Embargos verbessert, selbst wenn die EU auch noch nicht vollkommen zufrieden sei mit der Menschenrechtssituation, ergänzte der EU-Kommissar für Außenbeziehungen.

Alle Staaten äußerten in der Sitzung der EU-Außenminister am 26. Januar 2004 grundsätzlich ihre Bereitschaft zur Aufhebung des Embargos. Angesichts der Menschenrechtslage sowie der gespannten Beziehungen Pekings zu Taiwan bestand jedoch weiterer Klärungsbedarf, so dass in Brüssel Ende Januar noch keine endgültige Entscheidung gefasst wurde. Fachkomitees wurden von den Außenministern mit der Ausarbeitung von Studien beauftragt. Es wird damit gerechnet, dass das Embargo vor der Aufnahme der neuen Beitrittsländer am 1. Mai 2004 in die EU aufgehoben wird. Denn die Entscheidung muss einstimmig gefällt werden und die neuen Mitgliedsländer würden den Abstimmungsprozess nochmals erschweren. Bislang sprechen sich vor allem Frankreich, Spanien, Österreich und Italien für eine Aufhebung des Embargos aus, während die Niederlande, Dänemark und Schweden Bedenken äußerten.

3.

Europäisches Parlament fordert Aufrechterhaltung des Embargos

Mit ihrer grundsätzlichen Zustimmung zu einer Aufhebung des Embargos gehen die EU-Außenminister über anders lautende Empfehlungen des Europäischen Parlaments hinweg. Mehrfach hatten sich die Europaparlamentarier in den letzten Jahren für eine Beibehaltung der Sanktionen ausgesprochen. Als 1997 Frankreich drängte, das Verhältnis zu China zu normalisieren und eine breitere Zusammenarbeit mit der Volksrepublik anzustreben, bekräftigte das Europaparlament in einer am 12. Juni 1997 verabschiedeten Resolution sein Nein zu einer Aufhebung des Waffenembargos. Nachdrücklich forderten die Parlamentarier in der Resolution den Europäischen Rat auf, sich bei den EU-Mitgliedstaaten über die Maßnahmen zu informieren, die ergriffen wurden, um eine Beachtung des Embargos zu gewährleisten. Angesichts der "unbefriedigenden Menschenrechtslage" sprach sich das Europaparlament am 18. Dezember 2003 mit überwältigender Mehrheit (373 Ja-Stimmen, 32 Nein-Stimmen, 29 Enthaltungen) in einer Resolution für die Aufrechterhaltung des Embargos aus (Ansa, 18.12.2003). "China hat noch einen langen Weg vor sich, um Demokratie einzuführen und den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten und um uns zu überzeugen, dass es ein friedlicher Partner in der internationalen Gemeinschaft ist", erklärte der Abgeordnete der britischen Konservativen, Geoffrey Van Orden. "Es ist voreilig, jetzt irgendeine Aufhebung des Waffenembargos zu erwägen", warnte der britische Europaparlamentarier (Reuters, 17.12.2003). Als "empörend" bezeichnete der britische Vorsitzende der Liberalen Fraktion im Europaparlament, Graham Watson, die geplante Beendigung des Embargos: "Das Waffenembargo ist eines der wenigen Druckmittel, das europäische Regierungen noch haben, um Druck auf die Chinesen auszuüben" (AP, 26.1.2004).

Der Vorsitzende der Gruppe der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, bezeichnete es als "skandalös", dass Frankreich eine Aufhebung des Embargos betreibt. "Das Embargo ist die einzige politische Waffe, um China zu bedeuten, dass sein Verhalten gegenüber Tibet und Taiwan nicht den Normen des Völkerrechts entspricht", erklärte der Parlamentarier (Presseerklärung Cohn-Bendit, 26.1.2004). "Der Schutz der Menschenrechte muss unser oberstes Ziel bleiben. Die Aufhebung des Embargos wäre ein schwerer Schlag für alle, die sich in China für Freiheit und Menschenrechte einsetzen", betonte der Abgeordnete der französischen Grünen. Cohn-Bendit tritt bei der Wahl zum Europaparlament im Juni 2004 als Spitzenkandidat der Grünen in Deutschland an.

Der deutsche CDU-Europaparlamentarier Michael Gahler warf Deutschland und Frankreich aufgrund ihres gemeinsamen Vorstoßes zur Aufhebung des Embargos eine "egoistische Verschwörung" vor (Reuters, 17.12.2003).

4.

Lage der Menschenrechte verschlechterte sich 2003

Tatsächlich hat sich die Lage der Menschenrechte in der Volksrepublik China im Jahr 2003 weiter verschlechtert. Dies ist nicht nur die einhellige Meinung aller führenden internationalen Menschenrechtsorganisationen, sondern auch des US-Außenministeriums, das in seinem am 25.Februar 2004 veröffentlichten jährlichen Menschenrechtsbericht eine sehr kritische Bilanz zog. Die Lage der Menschenrechte in der Volksrepublik habe sich trotz eines hoffnungsvollen Beginns zum Jahresanfang 2003 im weiteren Verlauf des Jahres verschlechtert, wird in dem Bericht festgestellt (USINFO.State.gov., 25.2.2004). Trotz einiger Gesetzesreformen habe es "Rückschritte" in zentralen Menschenrechtsfragen gegeben, erklärten die USA. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums Zhang Qiyue reagierte verärgert auf die Kritik aus Washington und warf den USA Einmischung in innere Angelegenheiten vor (Xinhua, 26.2.2004). Zwei Tage zuvor musste sich auch die britische Regierung ähnliche Vorwürfe der Pekinger Führung anhören, nachdem das Britische Außenministerium in einem Bericht die Lage der Menschenrechte in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong bemängelt hatte (Xinhua, 24.2.2004).

Aus Verärgerung über die harsche US-Kritik veröffentlichte die Volksrepublik China am 1. März 2004 ein 61 Seiten umfassendes Dokument, in dem die Menschenrechtslage in den USA sowie "Verbrechen der US-Regierung" und "die amerikanische weltweite militärische Aggression" massiv kritisiert werden (AP, 1.3.2004). Nachdrücklich forderte die chinesische Regierung Washington nochmals auf, "seine unpopuläre Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten unter dem Vorwand der Förderung der Menschenrechte" unverzüglich einzustellen.

5.

Keine Einmischung in innere Angelegenheiten

Der chinesische Vorwurf der Einmischung in innere Angelegenheiten ist nicht neu. Stereotyp wird er seit Jahren von Peking erhoben, wenn im Ausland Kritik an der Verschlechterung der Menschenrechtslage in China laut wird. Mit ihrer Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen hat sich die Volksrepublik zur Beachtung eines Mindeststandards an Menschenrechten international verpflichtet. Auch hat der Staat zahlreiche internationale Konventionen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet. So ratifizierte China auch die Anti-Folter Konvention. Trotzdem wird in chinesischen Polizeistationen und Gefängnissen regelmäßig gefoltert. Auch politische Gefangene kommen aufgrund von Misshandlungen in der Haft zu Tode. Allein in Tibet starben seit Inkrafttreten der Anti-Folter Konvention mehr als 60 Menschen aufgrund von Misshandlungen und Folter im staatlichen Gewahrsam. Tod durch Folter ist nur eines von vielen Beispielen für die dramatische Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis in der chinesischen Menschenrechtspolitik.

Angesichts der enormen Defizite im Polizei- und Justiz-Alltag ist es angemessen, dass die internationale Staatengemeinschaft auch mit öffentlicher Kritik reagiert, um China zu einer Einhaltung seiner Verpflichtungen aus völkerrechtlich gültigen Konventionen und Verträgen zu drängen. Dies gilt umso mehr, als sich die Volksrepublik in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen weitestgehend einer realistischen Diskussion der katastrophalen Menschenrechtslage entzieht. Mit Verfahrenstricks und einem umfassenden diplomatischen Lobbying gelingt es der chinesischen Führung in Genf immer wieder, eine Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen abzuwenden.

Auch misst die Volksrepublik mit zweierlei Maß, wenn sie westlichen Staaten Einmischung in innere Angelegenheiten vorwirft. So scheut die chinesische Führung nicht davor zurück, mit massiven Drohungen in EU-Staaten die Absage China-kritischer Veranstaltungen ausländischer Menschenrechtler zu erzwingen. Peking intervenierte zum Beispiel beim Europäischen Parlament in Brüssel, um im Oktober 2001 ein Symposium zur Lage der Uiguren in dessen Räumlichkeiten zu verhindern. Proteste aus Peking hagelt es auch regelmäßig, wenn Tibet-Konferenzen in Europa veranstaltet werden. Wütend protestiert die chinesische Führung auch, wenn das weltliche und religiöse Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, oder taiwanesische Politiker von westlichen Regierungen empfangen werden. So genannte chinesische "Journalisten" zeigen vor Staatsbesuchen führender chinesischer Politiker in westlichen Staaten oft besonders großes "Interesse" für die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, insbesondere für geplante Proteste. Um Mahnwachen gegen die Zerschlagung der Meditationsgruppe Falun Gong während Staatsbesuchen zu verhindern, wurden seit dem Jahr 2002 von Peking mehrfach Listen mutmaßlicher ausländischer Falun Gong-Anhänger den Besucherstaaten mit der Maßgabe ausgehändigt, diesen Personen die Einreise während des chinesischen Staatsbesuches nicht zu gestatten. In Deutschland erteilten beim Besuch des damaligen chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin im Jahr 2002 deutsche Polizisten auf Anweisung chinesischer Sicherheitsbeamter mutmaßlichen Falun Gong-Anhängern Platzverweise in Hotels und auf öffentlichen Straßen. Um die Teilnahme von Uiguren aus Zentralasien bei Gedenkveranstaltungen für einen berühmten verstorbenen uigurischen Politiker im Dezember 2003 in der Türkei zu verhindern, intervenierten die chinesischen Behörden bei türkischen Botschaften in Zentralasien und setzten durch, dass den Besuchern aus Zentralasien keine Visa für eine Reise in die Türkei ausgestellt wurden.

Peking exportierte Chinas Repression nach Deutschland, als es die Bundesregierung am 15.Dezember 2003 aufforderte, zwei in Deutschland ansässige uigurische Vereine zu terroristischen Organisationen zu erklären, ihre Bankkonten zu sperren und ihre Mitglieder nach China abzuschieben. Neben dem in München ansässigen Welt-Jugend Kongress der Uiguren, der sich vor allem für uigurische Flüchtlinge in Deutschland einsetzt, möchte China auch das in Nürnberg arbeitende Ostturkistan Informationszentrum (E.T.I.C.) als terroristische Organisation verbieten lassen. Das Informationszentrum hat sich mit seinen Berichten über aktuelle Menschenrechtsverletzungen weltweit einen Namen gemacht und wird regelmäßig von führenden internationalen Nachrichtenagenturen zitiert. Die chinesische Regierung wirft E.T.I.C. vor, "gewaltsame terroristische Aktivitäten organisiert zu haben". Das Informationszentrum soll einen in China lebenden Uiguren mit Videokamera und Scanner ausgestattet haben, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren (UPI, 13.2.2004). Angesichts dieser massiven chinesischen Interventionen kann Pekings Vorwurf der Einmischung nur verwundern.

6.

Menschenrechte bekommen Verfassungsstatus

Weltweite Aufmerksamkeit erregte die vom Nationalen Volkskongress Chinas am 14. März 2004 beschlossene Verankerung des Schutzes der Menschenrechte in der chinesischen Verfassung. "Der Staat respektiert und schützt die Menschenrechte" heißt es in dem neuen Artikel 33 der Verfassung (People's Daily, 9.3.2004). Doch das Menschenrechtsverständnis des offiziellen China weicht noch immer sehr von den in der UN-Menschenrechtserklärung verankerten Grundsätzen ab. Delegierte des Volkskongresses betonten immer wieder, eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage jedes Bürgers sei der wichtigste Gradmesser für die Verwirklichung der Menschenrechte. Für die Kommunistische Partei Chinas ist die Garantie der Bürgerrechte noch immer nicht vorrangig.

Nicht nur aufgrund des unterschiedlichen Verständnisses der Menschenrechte wird die Verfassungsergänzung nicht zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage führen. Auch ist die neue Bestimmung so ungenau formuliert, dass daraus vom Bürger keine konkreten Ansprüche hergeleitet werden können. Hinzu kommt, dass Verfassungsgrundsätze und der Rechtsalltag in China oftmals sehr differieren. So wird zwar die Religionsfreiheit in der Verfassung ausdrücklich zugesichert, trotzdem werden Gläubige aller Konfessionen bei der Ausübung ihres Glaubens behindert oder verfolgt.

7.

Anhaltende Repression in Xinjiang

In der im Nordwesten der Volksrepublik gelegenen Autonomen Region Xinjiang verschärften die chinesischen Behörden im Jahr 2003 nochmals ihre Repression gegen die uigurische Bevölkerung. Mit einer ersten gemeinsamen Militärübung in Xinjiang unterstrichen chinesische und kirgisische Armee-Einheiten am 11. August 2003 ihren Willen zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von uigurischen Organisationen, die mit Waffengewalt für die Bildung eines unabhängigen Staates Ostturkistan eintreten (AFP, 7.8.2003). Die chinesischen und kirgisischen Soldaten trainierten die Zerstörung mutmaßlicher Lager von Terroristen sowie die Befreiung von Geiseln. Die Manöver fanden im Rahmen der Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Organisation, SCO) statt, die auf Initiative der Volksrepublik China 1996 gegründet worden war. Die Organisation, der heute China, Russland, Kirgisien, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan angehören, will "Separatismus, Terrorismus und religiösen Extremismus" bekämpfen. Peking bedient sich der SCO, um international Bündnispartner für seine Repression gegen Uiguren zu gewinnen. Die SCO beschloss am 23. September 2003 die Einrichtung eines Antiterror-Zentrums in der usbekischen Hauptstadt Taschkent.

Am 1. Oktober 2003 begannen die chinesischen Sicherheitskräfte mit einer 100 Tage dauernden Operation zur Bekämpfung des "Terrorismus und der Kriminalität" in Xinjiang (Reuters, 24.9.2003). China unterscheidet bei seiner Repression in Ostturkistan nicht zwischen gewaltsamem Aufbegehren und friedlichem Protest gegen seine Herrschaft. Willkürliche Verhaftungen, unfaire Gerichtsverfahren und Massenverurteilungen gehörten im Jahr 2003 erneut zum Alltag der Uiguren. Allein aufgrund ihrer ethnischen Abstammung werden Uiguren als mutmaßliche Terroristen angesehen. Erneut wurden Todesurteile gegen Angehörige der muslimischen Bevölkerung in Ostturkistan verhängt. Am 22.Oktober 2003 bestätigten Behördenvertreter in der Stadt Hotan, der inhaftierte uigurische Oppositionelle Shirali (auch bekannt unter dem Namen Shaheer Ali) sei hingerichtet worden. Shirali war am 12. November 2002 angeklagt und im März 2003 wegen Separatismus, dem Aufbau einer terroristischen Organisation sowie illegalen Waffenbesitzes zum Tode verurteilt worden. Shirali war im November 2000 nach Nepal geflohen und als Flüchtling vom Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UN) anerkannt worden. Während er auf seine von den UN vermittelte Ausreise in ein Drittland wartete, wurde er verhaftet und nach China abgeschoben. Seit 1997 wurden mehr als 500 Uiguren aus politischen Gründen zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Mit der Schließung von Moscheen, islamischen Schulen und Druckereien, die ohne staatliche Genehmigung islamische Schriften veröffentlichten, reagieren die Behörden auf die Forderung der Uiguren nach mehr Autonomie und der Anerkennung der traditionellen Kultur und Religion. Muslimische Führer werden zur Teilnahme an Umerziehungskursen gezwungen. Islamische Feste werden verboten. Die muslimische Glaubensgemeinschaft wird gleichgeschaltet.

Jedes Aufbegehren der Bevölkerung soll verhindert werden. Denn Xinjiang ist reich an Rohstoffen, die in den prosperierenden Städten an der chinesischen Ostküste dringend benötigt werden: 30 Prozent der Öl- und Erdgasvorkommen sowie 40 Prozent der Kohlereserven des Landes befinden sich hier. Doch der Terror ist hausgemacht. Denn die massive Repression beschert den wenigen bewaffneten Aufständischen stetigen Zulauf. Dennoch lässt die Pekinger Führung nichts unversucht, um Xinjiang als Brutstätte des internationalen Terrorismus anzuprangern und um internationale Unterstützung bei der Bekämpfung des Aufbegehrens der Uiguren zu werben.

8.

Sinisierung und Repression halten in Tibet weiter an

Die Lage der Menschenrechte in Tibet hat sich nicht spürbar verbessert, obwohl in den letzten Monaten mehrere weltweit bekannte politische Gefangene freigelassen wurden. So wurde am 26. Februar 2004 die heute 37 Jahre alte buddhistische Nonne Phuntsog Nyidrol nach 15 Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, elf Monate vor der Verbüßung ihrer Strafe (Reuters, 26.2.2004). Sie war die letzte von 14 im Drapchi-Gefängnis inhaftierten Nonnen, deren Haftstrafen 1993 verlängert worden waren, nachdem sie in der Haft heimlich Lieder für ein unabhängiges Tibet auf einem Kassettenrekorder aufgezeichnet hatten. Ihre Freilassung stand wahrscheinlich im Zusammenhang mit der drei Wochen später in Genf beginnenden Sitzung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Regelmäßig haben die chinesischen Machthaber in den vergangenen Jahren vor Beginn der UN-Menschenrechtskommission namhafte inhaftierte Menschenrechtler freigelassen, um eine Verurteilung der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch die internationale Staatengemeinschaft abzuwenden. Eine weitere zum Kreis der 14 Nonnen zählende Tibeterin, die heute 40 Jahre alte Namdrol Lhamo, war bereits im September 2003 nach Verbüßung ihrer regulären Haftstrafe freigekommen (Tibetan Centre for Human Rights and Democracy, 3.2.2004).

Seit dem Jahr 2002 wurden 13 politische Gefangene in Tibet vorzeitig freigelassen. Doch dies ist kein Anzeichen für ein Nachlassen der Repression. So wurden sechs Tibeter - unter ihnen fünf Mönche - im August 2003 zu Gefängnisstrafen zwischen einem und zwölf Jahren verurteilt, weil sie tibetische Fahnen gemalt, Fotos des Dalai Lama besessen oder für die Unabhängigkeit Tibets geworben hatten (AFP, 5.2.2004). Im Juni 2003 war der 65 Jahre alte Lehrer Nyima Tsering zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er auf Flugblättern gegen die chinesische Herrschaft protestiert hatte.

Hatte die Zahl der politischen Gefangenen aus Tibet Ende der 90er Jahre abgenommen, so nimmt sie seit zwei Jahren vor allem außerhalb der Autonomen Region Tibet in der Provinz Sichuan wieder zu. Mindestens 144 politische Gefangene aus Tibet sind zur Zeit namentlich bekannt, ihre wahre Zahl dürfte weit höher sein (Tibet Information Network, 6.2.2004).

Weltweite berichtet wurde über die Hinrichtung von Lobsang Dhondup am 26. Januar 2003. Nach Wochen der Folter im Gefängnis war Lobsang in einem geheimen Gerichtsverfahren wegen mutmaßlicher Beteiligung an Sprengstoffanschlägen und seines Eintretens für die Unabhängigkeit Tibets am 2. Dezember 2002 zum Tode verurteilt worden. Der auch wegen seines sozialen Engagements sehr angesehene buddhistische Lehrer Trulku Tenzin Delek war in dem gleichen Verfahren ebenfalls zum Tode verurteilt worden. Doch wurde die Vollstreckung seiner Strafe zwei Jahre ausgesetzt.

Öffentliche Proteste gegen die chinesische Herrschaft sind seltener geworden, da die Gleichschaltung der tibetischen Gesellschaft immer weiter voranschreitet. Mit großer Effizienz treiben die chinesischen Behörden ihr Umerziehungsprogramm in den Klöstern der Buddhisten voran und drängen den Einfluss des Dalai Lamas zurück. Wurde der Protest in den 80er und 90er Jahren vor allem von buddhistischen Nonnen und Mönchen getragen, die bereit waren, für einen nur zwei Minuten dauernden öffentlichen Protest mehrere Jahre im Gefängnis zu verbringen, so haben die chinesischen Behörden inzwischen auch die buddhistischen Klöster unter ihre Kontrolle gebracht und kritische Nonnen und Mönche vertrieben. Äbte wurden abgesetzt und durch eine regimetreue Führung ersetzt, zehntausende Nonnen und Mönche mussten an Umerziehungsmaßnahmen teilnehmen und sich schriftlich vom Dalai Lama distanzieren. Wer sich weigerte, musste das Kloster verlassen und fand auch nirgendwo anders Aufnahme in religiösen Einrichtungen. Mehr als 12.000 Nonnen und Mönche wurden im Rahmen dieser Zwangsmaßnahmen aus ihren Klöstern vertrieben.

Strikt wurde die Zahl der Klöster und der in ihnen lebenden Nonnen und Mönche begrenzt. Viele Geistliche mussten daraufhin die Klöster verlassen. Da sie als Nonnen und Mönche in Tibet nicht leben dürfen, bleibt ihnen meist nur die gefährliche Flucht in das benachbarte Nepal. Doch nur ein Bruchteil der Flüchtlinge findet dort oder im benachbarten Indien Aufnahme, wo der Dalai Lama in Dharamssala im Exil lebt. China hat seit dem Jahr 2000 die Bewachung der Grenzen zu Nepal deutlich verstärkt. Noch im Herbst 2003 wurde ein neuer Grenzposten in der Nähe des Nanga Passes eingerichtet. Viele Flüchtlinge sterben während der Flucht an Entkräftung oder kommen in Unwettern zu Tode. Andere werden von chinesischen Soldaten aufgegriffen oder erschossen. "Mit 32 Leuten und zwei Führern sind wir von Lhasa aufgebrochen", berichtet ein Flüchtling. "In der Nähe des Mount Everest stießen wir am 11. September 2003 auf eine Patrouille von acht chinesischen Soldaten, die das Feuer auf uns eröffneten. Viele der Flüchtlinge bekamen Panik und suchten Schutz, 17 wurden gefasst und inhaftiert." (ICT, 4.12.2003) Selbst wenn sie nicht dem chinesischen Militär in die Hände fallen, ist die Flucht aus Tibet sehr gefährlich. Regelmäßig rauben nepalesischen Grenzsoldaten Flüchtlinge aus oder vergewaltigen sie und übergeben sie nachher chinesischem Grenzpersonal. Aufgegriffenen Flüchtlingen drohen Folter und mehrjährige Haftstrafen in der Volksrepublik China.

In allen Bereichen der tibetischen Gesellschaft schreitet die Sinisierung mit großen Schritten voran. Durch die Ansiedlung von hunderttausenden Han-Chinesen sind die Tibeter inzwischen zur Minderheit im eigenen Land geworden. Die traditionelle tibetische Gesellschaft und Kultur wurden immer mehr an den Rand gedrängt. Am deutlichsten zeigt sich der Wandel in der alten tibetischen Hauptstadt Lhasa, deren Stadtbild inzwischen von Chinesen bestimmt wird. Mit der wirtschaftlichen "Erschließung" Tibets werde sich der Lebensstandard der Bevölkerung deutlich erhöhen, behaupten die chinesischen Behörden. Doch es sind chinesische Migranten, die von dem künstlich von Peking geförderten Wirtschaftswachstum am meisten profitieren. Han-Chinesen finden schneller eine Anstellung und werden meist deutlich besser bezahlt als Tibeter. Bei prestigeträchtigen Großprojekten, wie dem Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Lhasa und Quinghai, arbeiten überwiegend Han-Chinesen. Auch im Handel und im übrigen Wirtschaftsleben dominieren chinesische Einwanderer. Umstrittene Staudammprojekte, die Erschließung von Erdöl- und Erdgasvorkommen sowie die Rodung der Wälder werden von vielen Tibetern als Zerstörung ihres traditionellen Lebensraumes und als Kolonialismus empfunden.

Einmischung werfen die Tibeter der chinesischen Führung auch in religiösen Fragen vor. Peking versucht, trotz der Garantie der Religionsfreiheit in Artikel 36 der chinesischen Verfassung von 1982 den Einfluss des Dalai Lama, des religiösen und weltlichen Oberhaupts der Tibeter, einzuschränken. So sind der Besitz von Fotos seiner Heiligkeit sowie seine Verehrung an Hausschreinen strikt untersagt. Mit regelmäßigen Hausdurchsuchungen wird das Verbot überprüft. Der Verbleib des 1995 mutmaßlich von chinesischen Sicherheitskräften entführten Panchen Lama ist bis heute ungeklärt. An seiner Stelle ließ die chinesische Führung einen regimetreuen jungen Tibeter als Panchen Lama einsetzen.

9.

Christenverfolgung

Für den chinesischen Staat ist religiöse Tätigkeit nur dann legitim, wenn sie im Rahmen der offiziell von der Regierung anerkannten und registrierten religiösen Organisationen stattfindet. So verteidigt die Kommunistische Partei auch im religiösen Leben ihren absoluten Machtanspruch. Folge ist, dass neben den offiziell registrierten christlichen Kirchen auch Religionsgemeinschaften bestehen, die nur im "Untergrund" existieren können. Gerade diese unabhängigen Religionsgemeinschaften erfreuen sich bei der Bevölkerung immer größerer Beliebtheit. Schätzungen zufolge stehen den 28 Millionen in den offiziellen Kirchen registrierten Christen rund 70 Millionen Gläubige in den nicht registrierten christlichen Religionsgemeinschaften gegenüber.

Der Staat reagiert mit wachsender Repression auf das Erstarken der "Untergrundkirchen". So begann im Januar 2004 eine neue Welle von Verhaftungen von Priestern und Gläubigen aus nicht registrierten Religionsgemeinschaften. Diese neue Repression setzte während der alljährlich stattfindenden Nationalen Religiösen Arbeitskonferenz im Januar ein, an der führende Vertreter des mit der Kirchenaufsicht betrauten Amtes für religiöse Angelegenheiten teilnehmen. Schockiert über den Videofilm "Jesus in China", in dem das beispiellose Erstarken der nicht registrierten christlichen Kirchen dokumentiert wird, ordneten staatliche Stellen ein schärferes Vorgehen gegen nicht registrierte Glaubensgemeinschaften an. Drei führende Vertreter protestantischer "Hauskirchen" wurden im Januar 2004 in der Provinz Henan verhaftet:

  • Die 58 Jahre alte Deborah Xu Yongling wurde am 24. Januar in der Stadt Nanyang festgenommen. Sie wurde wegen ihres religiösen Engagements bereits mehrfach verhaftet.
  • Der 41 Jahre alte Qiao Chunling wurde während einer Messe in einer Wohnung in der Stadt Luoyang festgenommen.
  • Dem 35 Jahre alten Zeng Guangbo, der in der Umgebung von Deng festgesetzt wurde, gelang zwei Tage nach seiner Festnahme die Flucht.

Gegen zwei weitere führende Repräsentanten der protestantischen "Hauskirchen" wurde am 23. Januar 2004 Anklage wegen des "Verrats von Staatsgeheimnissen" erhoben: Der Kirchenhistoriker und langjährige Anhänger der Demokratiebewegung Liu Fenggang und der Pekinger Arzt Xu Yonghai werden beschuldigt, Informationen über die Zerstörung von Kirchen in der Stadt Hangzhou im Sommer 2003 gesammelt und Organisationen im Ausland "Staatsgeheimnisse" verraten zu haben. Zur Zeit wird den Angeklagten vor dem Volksgericht von Hangzhou unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gemacht (AsiaNews, 17.3.2004). Auch den Familienangehörigen der Beschuldigten wird die Teilnahme an dem Verfahren verweigert. Den Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft. Liu Fenggang war im Oktober 2003 verhaftet worden, nachdem er inhaftierte Gläubige nach ihrer Freilassung zur Zerstörung ihrer Kirchen befragt hatte. Im Juli / August 2003 waren mindestens elf nicht offiziell registrierte Kirchen oder Privathäuser, die für Messen genutzt wurden, in Hangzhou von den Behörden zerstört und rund 300 Gläubige und Priester verhaftet worden (AP 25.2.2004).

In der Stadt Wuxi in der Jiangsu Provinz wurden seit Mitte August 2003 mehr als 100 Kirchen von Bulldozern niedergerissen (Christianity Today, 13.1.2004). Drei Priester der "Hauskirchen" wurden Mitte Juli 2003 in Xiaoshan City festgenommen. Nachdem sich der Rechtsanwalt Xiao Biguang gegenüber ausländischen Medien über die Misshandlung seines Mandanten, des Kirchenführers Gong Shengliang, in der Haft beklagt hatte, wurde auch er am 26. September 2003 verhaftet. Erst nach internationalen Protesten wurde der Anwalt freigelassen.

Regelmäßig werden wegen ihres Glaubens inhaftierte Christen im Polizeigewahrsam oder Gefängnis gefoltert. So wurde die 33 Jahre alte Zhang Hongmei, die einer "Hauskirche" angehörte, im Polizeigewahrsam gefoltert, nachdem sie am 29. Oktober 2003 wegen "illegaler religiöser Aktivitäten" festgenommen worden war (Compass Direct, 15.1.2004). Dabei wurden ihr schwere Verletzungen zugefügt und sie wurde in Ketten gehalten, wie Augenzeugen berichteten. Nur einen Tag nach ihrer Verhaftung erlag Zhang den im Gewahrsam erlittenen Verletzungen. Bei einer Autopsie wurden Wunden an Kopf, Händen und Beinen sowie innere Blutungen festgestellt. Vergeblich zogen eintausend Demonstranten aus ihrem Heimatort vor die zuständigen Behörden und forderten eine offizielle Untersuchung der Umstände ihres Todes.

Immer wieder kommt es zu Verhaftungen von Gläubigen und Priestern. 170 protestantische Christen wurden während einer Messe am 2. September 2003 in Nanyang (Provinz Henan) verhaftet (Catholic Online, Hongkong, 22.11.2003). Die meisten Gläubigen wurden nach einer Verwarnung und der Abnahme von Fingerabdrücken wieder freigelassen, doch vierzehn ihrer religiösen Führer blieben in Haft. Verhaftete Gläubige müssen oft hohe Geldstrafen zahlen, um auf freien Fuß zu kommen. Priester, Bischöfe und andere religiöse Führer werden hingegen meist zu Gefängnisstrafen verurteilt oder in Arbeitslager eingewiesen.

Nicht besser ergeht es Angehörigen der katholischen Untergrundkirche. Fünf katholische Bischöfe und 20 Priester sind zur Zeit in Haft (AFP, 9.3.2004). Weitere religiöse Führer der Katholiken stehen unter Hausarrest. Erst am 5. März 2004 wurde der katholische Bischof Wei Jingyi aus der Stadt Qiqihar (Provinz Heilongjiang) festgenommen, nach massiven Protesten des Vatikan am 14. März dann wieder freigelassen. Der Bischof musste seit 1987 wegen seines Glaubens bereits vier Jahre in Arbeitslagern. Ein Tag vor Wei's Verhaftung hatte der stellvertretende Leiter des Staatlichen Amtes für religiöse Angelegenheiten, Yang Tongxiang, den katholischen Bischof von Hongkong, Joseph Zen, ultimativ aufgefordert, die chinesische Führung nicht länger zu kritisieren (The Standard, 4.3.2004). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass angesichts der anhaltenden Verhaftungswelle kann von einer Liberalisierung der Religionspolitik Chinas nicht die Rede sein kann. Im Gegenteil, die Repression gegen Bischöfe und Priester sowie die vorsätzliche Zerstörung nicht offiziell registrierter Gotteshäuser hat im Jahr 2003 weiter zugenommen.

10.

Falun Gong wird zerschlagen

Mit noch größerer Brutalität gehen die chinesischen Behörden gegen Anhänger der Meditationsgruppe Falun Gong vor. Mehr als 880 von ihnen sind seit Beginn der Repression der chinesischen Behörden gegen die Meditationsgruppe im Juli 1999 im Polizeigewahrsam, in Gefängnissen oder Arbeitslagern zu Tode gekommen. Die meisten Falun Gong-Anhänger werden im Rahmen der Administrativhaft in Umerziehungslager eingewiesen. Zehntausende von ihnen werden noch immer in diesen Arbeitslagern festgehalten. Mit allen Mitteln wird dort versucht, die Falun Gong-Praktizierenden zur Abkehr von ihrer Meditationsgruppe zu bewegen. Da staatlich vorgegebene Quoten der Umerziehung erfüllt werden sollen, wird auch Gewalt eingesetzt, um zu erreichen, dass sich die Inhaftierten schriftlich von der Meditationsgruppe distanzieren. Augenzeugen und Familienangehörige berichten über den Einsatz von Folter. Gefoltert wird nicht nur von den Aufsehern in Gefängnissen und Lagern, sondern auch von Straftätern, denen dafür Vorteile versprochen werden oder die von der Lagerleitung unter Druck gesetzt werden.

Obwohl die internationalen Medien kaum mehr über diese Verfolgung berichten, hat die Intensität der Repression nicht nachgelassen. Im Gegenteil, allein zwischen dem 1. November 2003 und dem 31. Januar 2004 kamen 64 Falun Gong-Anhänger in staatlichem Gewahrsam zu Tode. Die Repression beschränkt sich nicht auf einzelne Provinzen, sondern erfolgt flächendeckend im ganzen Land. So wurden Todesfälle aus 17 verschiedenen Provinzen gemeldet. Besonders zahlreich sind die Übergriffe jedoch im bevölkerungsreichen Nordosten des Landes.

Die chinesische Behörden halten an ihrem Ziel fest, Falun Gong vollständig zu zerschlagen. Welch große Bedeutung diese Bekämpfung für die chinesischen Behörden hat, wird darin deutlich, dass der Kampf gegen Falun Gong in einem Atemzug mit der Ausrottung des Terrorismus sowie dem Kampf gegen Korruption und andere "teuflische Verbrechen" erwähnt wird. So bekräftigten der Generalstaatsanwalt Chinas, Jia Chunwang, und der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, Xiao Yang, in ihren Reden vor dem Nationalen Volkskongress am 10. März 2004, die chinesischen Behörden würden ihren Kampf gegen den "teuflischen Kult" Falun Gong fortsetzen (AP, 10.3.2004).

Dabei scheuen die chinesischen Behörden keinen Aufwand. So soll im Jahr 2005 der Nachrichtensatellit SINOSAT-II in den Weltraum starten, der erstmals gegen jede Beeinflussung von außen gesichert ist (China Daily, 4.3.2004). Mit dieser Fortentwicklung des SINOSAT-Satelliten reagierte Peking auf die Blockade des Nachrichtensatelliten während des ersten bemannten Weltraumfluges Chinas im Oktober 2003 durch Falun Gong-Anhänger. Falun Gong wollte mit dieser Protestaktion auf die Verfolgung seiner Anhänger aufmerksam machen.

Meist werden Falun Gong-Anhänger in Umerziehungslager eingewiesen. Nur gelegentlich werden Anhänger der Meditationsgruppe auch zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. So wurden fünf Falun Gong-Praktizierende am 19. Februar 2004 wegen "Schädigung des Ansehens der Regierung durch Verbreitung von erfundenen Geschichten über die Verfolgung von Falun Gong-Anhängern" zu Gefängnisstrafen zwischen 5 und 14 Jahren verurteilt (Misna, 20.2.2004). Die fünf Männer hatten Berichte über die Misshandlung eines Studenten, der Falun Gong nahe stand, in das Internet gestellt. Ihre Verurteilung musste umso mehr überraschen, da internationalen Menschenrechtsorganisationen bereits seit langem über Folter und Misshandlung von Falun Gong-Anhängern in Haftanstalten berichten. Insgesamt verbüßen zur Zeit 22 Falun Gong-Praktizierende Gefängnisstrafen aufgrund von Internet-Delikten.

11.

Kontrolle des Internets wird verstärkt

In keinem anderen Staat der Welt werden so viele Internetnutzer an einem freien Zugang zu dem Informationsmedium gehindert wie in China. Zwar hat die Zahl der regelmäßigen Internet-Nutzer nochmals innerhalb eines Jahres um 34 Prozent auf heute 80 Millionen Menschen zugenommen (AFP, 27.2.2004). Doch zugleich haben die chinesischen Behörden auch ihre Kontrolle des freien Meinungsaustausches im Internet deutlich verschärft. Ende Februar 2004 erließen sie neue Bestimmungen, die den freien Meinungsaustausch in Diskussionsforen im Internet unterbinden. Nach der Schließung kritischer Websites dürfen nun von Internet-Portalen in China nur noch Nachrichten in das Netz gestellt werden, deren Verbreitung von der Regierung genehmigt wurde (The Straits Times, 27.2.2004). Im Rahmen der Veröffentlichung neuer restriktiver Regeln für die Nutzung von Internet-Chatrooms am 23. Februar 2004 wurden zahlreiche Diskussionsforen zum Meinungsaustausch geschlossen.

Schlaglichtartig macht ein Zwischenfall deutlich, welche enorme Bedeutung das Internet bei der Förderung des freien Informationsflusses in der ansonsten von staatlicher Zensur und Propaganda geprägten Medienlandschaft Chinas besitzt: Im Dezember 2003 protestierten nach einem umstrittenen Gerichtsurteil mehr als 50.000 Menschen an einem einzigen Tag im Internet gegen die Parteilichkeit der Justiz. Aus Angst, das Gesicht zu verlieren, hatte die Regierung daraufhin alle Diskussionsforen angewiesen, alle Meldungen über den Vorfall zu löschen (Los Angeles Times, 26.2.2004).

Chinas Kulturminister Sun Jiazheng hat kürzlich zu einer strikteren Kontrolle des Internets aufgerufen (AFP, 27.2.2004). So sollte jedem Bürger eine Belohnung in Aussicht gestellt werden, wenn er eine missbräuchliche Verwendung des Internets melde. Insbesondere die 110.000 Internet-Cafés sollten "standardisiert" werden, um eine bessere Kontrolle zu ermöglichen. Alle Internet-Cafés müssen auf Anordnung der Behörden eine bestimmte Software nutzen, um die Nutzung der Webseiten internationaler Nachrichtenmedien oder von Menschenrechtsorganisationen auszuschließen (BBC, 27.1.2004). Computergestützte Kontrollsysteme müssten 24 Stunden am Tag die Nutzung des Internets überprüfen. Insbesondere in kleineren Internet-Cafés sei die Gefahr der Verbreitung von Nachrichten, die den Staat gefährdeten, groß. Nur wenige Tage später schlossen die Behörden die wichtigsten in China zugänglichen "Blogs", dies sind Tagebücher ähnelnde persönliche Seiten im Netz. So wurden am 11. März "BlogBus.com" und am 14. März "Blogcn.com" geschlossen.

Schon heute suchen chinesische Internet-Surfer vergeblich nach unabhängigen Informationen internationaler Menschenrechtsorganisationen über Falun Gong, Tibet, Taiwan, Xinjiang oder Menschenrechte. Während freier Zugang zu pornographischen Seiten besteht, können die Internet-Seiten Dutzender Menschenrechtsgruppen nicht aufgerufen werden Für international bekannte Suchmaschinen wurden von den chinesischen Behörden Filter entwickelt, um unerwünschte Informationen fernzuhalten. Gelegentlich greift man auch zu drastischen Sofortmaßnahmen und sperrt ganze Websites. So wurden die chinesischen Internet-Seiten der Deutschen Welle und des Wall Street Journal während der Sitzung des Nationalen Volkskongresses im März 2004 blockiert (AFP, 12.3.2004). Willfährige Unterstützung leisten bei dieser Zensur auch die privaten nationalen und internationalen Internet-Anbieter. So haben 300 Firmen, unter ihnen auch Yahoo China, eine "Verpflichtung zur Selbstdisziplin" unterzeichnet. Sie suchen und eliminieren selber Nachrichten und Kommentare, die der offiziellen Sicht der Lage in China widersprechen.

Mindestens 54 Personen verbüßen zurzeit aufgrund von Internet-Delikten Gefängnisstrafen, berichtete Amnesty International in einem im Januar 2004 veröffentlichten Report. Damit hat die Zahl der wegen der Nutzung des Internets verhafteten Dissidenten in dramatischem Maße zugenommen. Zuletzt wurde der 40 Jahre alte Verwaltungsangestellte Du Daobin am 17. Februar 2004 offiziell verhaftet (Reuters, 17.2.2004). Ihm wird vorgeworfen, 28 regierungskritische Beiträge verfasst und im Internet verbreitet zu haben.

Mehr als einhundert chinesische Rechtsanwälte, Wissenschaftler und Menschenrechtler haben am 1. Februar 2004 einen Offenen Brief an den Nationalen Volkskongress und den Obersten Gerichtshof gerichtet, in dem sie eine klare Trennung zwischen Subversion und freier Meinungsäußerung in den Anti-Subversionsgesetzen Chinas verlangen (AP, 1.2.2004). Nur zu häufig würde die Äußerung kritischer Meinungen mit Subversion gleichgesetzt, beklagen die Unterzeichner der Petition.

12.

Pressefreiheit wird massiv verletzt

In keinem anderen Staat der Erde werden so viele Journalisten inhaftiert wie in der Volksrepublik China. Zum fünften Mal in Folge führte China im Jahr 2003 die Liste der repressivsten Staaten des in New York ansässigen Komitees zum Schutz von Journalisten (Committtee to Protect Journalists, CPJ) an (AP, 11.3.2004). Nach Erkenntnissen des angesehenen Komitees wurden 39 Journalisten im Jahr 2003 aufgrund ihrer Arbeit festgenommen. Verhaftet wurden die Journalisten, weil sie kritische Artikel über den Umgang der chinesischen Behörden mit Flüchtlingen aus Nordkorea sowie mit der Krankheit SARS geschrieben hatten. Falun Gong, Tibet und Xinjiang sind aber auch Themen, über die eine unabhängige Berichterstattung in der Volksrepublik nicht möglich ist.

13.

Hohe Zahl von Hinrichtungen

Während der Sitzung des Nationalen Volkskongresses im März 2004 überraschte der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Südwestlichen Universität für Politik und Recht und Vertreter der Regierung für die Stadt Chongqing im Volkskongress, Chen Zhonglin, mit der Feststellung, jedes Jahr würden 10.000 Menschen in China hingerichtet (AFP, 15.3.2004).

Die von der offiziellen Zeitung "China Youth Daily" abgedruckte Erklärung löste Verwunderung aus, weil die Behörden sich bislang geweigert hatten, sich zur Zahl der Hinrichtungen zu äußern. Sollten die Schätzungen des Juristen zutreffen, dann würden jeden Tag 27 Menschen hingerichtet. Aus Kreisen der chinesischen Justiz hieß es, mehr als 5.000 Todesurteile würden jedes Jahr vollstreckt (Cape Times, 11.3.2004). Diese Zahlen sind deutlich höher als alle Schätzungen ausländischer Menschenrechtsorganisationen. So geht Amnesty International davon aus, dass 1.921 Todesurteile im Jahr 2002 verkündet wurden, von denen 1.060 vollstreckt wurden. Unter den Hingerichteten befinden sich auch politische Gefangene aus Xinjiang und Tibet. Die gezielt zur Abschaffung der Todesstrafe arbeitende internationale Menschenrechtsorganisation "Hands off Cain" geht davon aus, dass in China im Jahr 2002 mehr als 3.000 Menschen hingerichtet wurden. Viele Menschenrechtler denken, dass die Zahl der Hinrichtungen wahrscheinlich höher ist als die Schätzungen ausländischer Nichtregierungsorganisationen vermuten lassen. Trotzdem überraschte das Ausmaß der in China bekannt gewordenen Schätzungen.

Auch nach den konservativsten Schätzungen finden rund 70 Prozent aller Hinrichtungen weltweit in China statt. Angesichts dieser hohen Zahl von Hinrichtungen kündigte der Präsident des Obersten Gerichtshofes Chinas, Xiao Yang, auf dem Nationalen Volkskongress im März 2004 an, sein Gericht erwäge, ob nicht jedes Todesurteil zukünftig erneut vom Obersten Gericht bestätigt werden müsse (The Star / Malaysia, 10.3.2004).

14.

"Umerziehung durch Arbeit"

Auch die neue chinesische Führung hält an den im ganzen Land bestehenden Arbeitslagern fest. China bekräftigte im September 2003, man werde an den Umerziehungslagern festhalten und allenfalls kleinere Reformen der Arbeitslager erwägen (dpa, 25.9.2003). Nach offiziellen Angaben werden 280.000 Menschen in Arbeitslagern festgehalten (FR, 26.9.2003). Die meisten Insassen wurden im Rahmen der "Administrativhaft" von lokalen Dorf- und Stadtkomitees ohne faire Gerichtsverfahren in die Umerziehungslager eingewiesen. Zwar ist die Strafe normalerweise auf drei Jahre begrenzt, doch kommt es immer wieder vor, dass Insassen auch länger festgehalten werden, wenn sich die Umerziehung schwieriger gestaltet.

15.

Hongkongs Demokraten unter Druck

Als die Volksrepublik China am 1. Juli 1997 von Großbritannien die Souveränität über Hongkong übertragen bekam, sicherte Peking dem Territorium in den folgenden 50 Jahren "ein hohes Maß von Autonomie" zu nach der Devise "Ein Land, zwei Systeme". Das Grundgesetz der Sonderverwaltungsregion Hongkong sieht vor, dass ab dem Jahr 2007 alle Bürger frei den Legislativrat der Region und den Bürgermeister wählen können. Mit wachsender Sorge verfolgt Peking den rapide schwindenden Einfluss des von der chinesischen Führung eingesetzten Verwaltungschefs Tung Chee-hwa sowie die Rufe nach mehr Demokratie. Nach massiven öffentlichen Protesten von 500.000 Hongkongern im Juli 2003 musste die Verwaltung die Einführung umstrittener Sicherheitsgesetze absagen.

Seit Januar 2004 droht die chinesische Führung immer massiver mit unmittelbaren Interventionen in die Politik Hongkongs. Insbesondere fürchtet Peking bei freien Wahlen eine Niederlage des wenig beliebten derzeitigen Verwaltungschefs. Mit einer gezielten Kampagne der staatlich kontrollierten Medien wird die oppositionelle Demokratische Partei als unpatriotisch dargestellt (International Herald Tribune, 26.2.2004). Nur "patriotische" Hongkonger Politiker, die sich für das Vaterland und das "Eine-China" einsetzen, könnten die Sonderverwaltungsregion führen, ließ Peking verlautbaren (Christian Science Monitor, 12.3.2004) Als der Hongkonger Oppositionsführer Martin Lee dann auch noch im März 2004 die USA besuchte und vor Ausschüssen des US-Senates sprach, ließ Peking Lee in den Medien zum Verräter erklären (Taipei Times, 18.3.2004). Angesichts des USA-Besuches Lee's warnte China die USA vor einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten (CNN, 4.3.2004). Nicht anders erging es der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien, als dort kritische Stimmen zur Stimmungsmache Pekings in der Sonderverwaltungsregion laut wurden (Xinhua, 24.2.2004). Chinas Kollisionskurs in Sachen Demokratie in Hongkong verletzt nicht nur die 1997 gegenüber Großbritannien gemachten Zusagen, sondern lässt auch eine Zunahme von Menschenrechtsverletzungen in Hongkong befürchten.

16.

Kein Schutz für Flüchtlinge aus Nordkorea

Trotz der massiven Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea und der jedem Republikflüchtling drohenden Folter und Erniedrigung schiebt die Volksrepublik China weiterhin nordkoreanische Flüchtlinge in ihre Heimat ab. Schätzungen zufolge werden jedes Jahr rund 10.000 Asylbewerber aus dem diktatorisch geführten Nachbarland zwangsweise zurückgeschoben. Damit verletzt China die Flüchtlingskonvention von 1951, die von der Regierung der Volksrepublik unterzeichnet wurde. Ihr zufolge ist China dazu verpflichtet, nordkoreanischen Asylbewerbern Zuflucht zu gewähren, solange ihnen in ihrer Heimat Verfolgung droht.

Mit Rücksicht auf die guten Beziehungen zu Nordkoreas Diktator Kim Jong Il leugnet Chinas Außenminister Li Zhaoxing bis heute die Existenz von nordkoreanischen Asylbewerbern in der Volksrepublik. Es handele sich nur um "illegale Grenzgänger", erklärte der Minister noch jüngst lapidar (People's Daily, 6.3.2004). Chinas Umgang mit diesen Grenzgängern "sei von der internationalen Gemeinschaft sehr gelobt worden", erklärte der Minister.

Einzelpersonen und Hilfsorganisationen, die den Asylbewerbern beistehen wollen, drohen Verfolgung und Verhaftung in der Volksrepublik China. Ausländische Presseberichterstattung über Zuflucht suchende nordkoreanische Flüchtlinge versucht Peking mit allen Mitteln zu unterbinden. Mehrere südkoreanische Journalisten wurden im Jahr 2003 bei ihrer Arbeit an Reportagen über Flüchtlinge aus Chinas Partnerland festgenommen.

17.

Tiananmen-Massaker bleibt tabu

Mit der Verhängung des Waffenembargos gegen die Volksrepublik China reagierte die EU am 26. Juni 1989 auf das Massaker der chinesischen Sicherheitskräfte an mehrere hundert Studenten und anderen Angehörigen der Demokratiebewegung auf dem Platz des himmlischen Friedens am 3. und 4. Juni 1989. Der maßgeblich an den friedlichen Protesten der Demokratiebewegung beteiligte Studentenführer bedauerte am 15. Januar 2004, seit den tragischen Ereignissen des Juni 1989 habe sich die Haltung der chinesischen Führung nicht geändert (Asia News, 15.1.2004). Trotz der Offenheit in Wirtschaftsfragen und des Wirtschaftswachstums existiere noch immer ein totalitäres System, das ein Klima der Intoleranz verbreite und mit Verfolgung auf demokratische Ideen reagiere, erklärte der noch immer von den chinesischen Behörden wegen seiner Unterstützung der Proteste gesuchte ehemalige Studentenführer.

Chinas Premierminister Wen Jiabao rechtfertigte nochmals am 14. März 2004 das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten. Der Fortbestand des Landes und der Kommunistischen Partei sei während der Niederschlagung der Proteste gefährdet gewesen. "Das Zentralkomitee der Partei hat die Partei um sich geschart und das ganze chinesische Volk geeint", erklärte der Premierminister. "Erfolgreich sind die Reformen und die Öffnung des Landes dann abgesichert und der Pfad des Aufbaues eines Sozialismus unter chinesischen Vorzeichen eingeschlagen worden", versicherte Wen Jiabao (AP, 14.3.2004). China habe Ende der 80er Jahre vor schwierigen Umwälzungen gestanden und der Untergang der Sowjetunion habe die Fortführung der Wirtschaftsreformen Deng Xiaopings gefährdet.

Der Premierminister reagierte mit seiner Erklärung auf die Forderung des bekannten Pekinger Arztes und Parteimitglieds Jiang Yanyong, der Ende Februar 2004 in einem an den Nationalen Volkskongress gerichteten Brief eine Neubewertung der Vorgänge auf dem Platz des Himmlischen Friedens gefordert hatte. Der 72 Jahre alte Arzt erklärte in dem Brief, er werde niemals vergessen können, wie er am 4. Juni inmitten schluchzender Eltern und Angehöriger die von Kugeln durchlöcherten Körper junger Demonstranten verbunden habe (Libération, 12.3.2004). Er sei überzeugt, auch die Zeit könne nicht die Wunden eines Volkes verheilen, das immer wütender werde, da sich die Machthaber weigerten, das Massaker einzugestehen. Der ehemalige chinesische Präsident Yang Shangkun habe ihm gegenüber 1998 vor seinem Tode eingeräumt: "Der 4. Juni war der schwerwiegendste Fehler, der in der Geschichte der Partei begangen worden ist". Der Arzt forderte den Volkskongress auf, die Demokratiebewegung als "patriotische" Kraft zu würdigen (Guardian, 9.4.2004). Die Partei müsse ihren Fehler selbst korrigieren, je früher sie dies tun würde, umso besser sei es, verlangte Doktor Jiang.

Der weltweit beachtete Appell bewegte die chinesische Führung jedoch nicht zu Zugeständnissen. Vergeblich hatten 45 Dissidenten im Juni 2002 bereits in einem Offenen Brief an die chinesische Regierung appelliert, die Protestbewegung von 1989 zu rehabilitieren (FAZ, 5.6.2002). Wie tabuisiert das Massaker auch heute noch in China ist, machte eine kleine Begebenheit im Februar 2004 deutlich. Erstmals übertrug der staatliche chinesische Sport-Fernsehkanal CCTV5 live das Super Bowl-Spiel der National Football League in den USA. Als in der Halbzeit-Pause in einem Werbespot, mit dem amerikanische Zuschauer aufgefordert werden sollten, sich aktiv an den Wahlen zu beteiligen, ein Foto der Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 gezeigt wurde, protestierte das chinesische Sportfernsehen innerhalb von Minuten bei der National Football League gegen die Ausstrahlung des Werbespots (Newsweek, 16.2.2004).

Als im Jahr 2001 geheime Gesprächsprotokolle von Sitzungen des Politbüros vor und während der Niederschlagung der Proteste der Demokratiebewegung in das Ausland geschmuggelt und in dem Buch "Tiananmen Papiere" einer breiten internationalen Öffentlichkeit zugänglich wurden, ließ Peking 23 Personen wegen Geheimnisverrat verhaften (AP, 3.6.2002, BBC, 8.1.2001).

Rund 190 Anhänger der Demokratiebewegung verbüßen bis heute Gefängnisstrafen in China wegen ihrer Beteiligung an den Protesten 1989. Keiner der in der chinesischen Führung für die schweren Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen wurde bislang zur Rechenschaft gezogen. Seit Jahren fordern die Angehörigen der Inhaftierten und Verstorbenen sowie internationale Menschenrechtsorganisationen eine unabhängige Untersuchung des Massakers, Schadensersatz und eine Rehabilitierung der Demonstranten. Doch auch 15 Jahre nach dem Massaker verweigert die chinesische Führung noch immer jede Aufarbeitung der brutalen Niederschlagung der Proteste und inhaftiert Dissidenten, die den tatsächlichen Hergang des Massakers zu rekonstruieren versuchen. So wurde der Internet-Provider Huang Qi am 9. Mai 2003 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Huang muss eine Haftstrafe verbüßen, weil er auf seiner Internetseite einen Suchdienst für seit 1989 vermisste Dissidenten eingerichtet hatte.

Da die chinesische Führung bis heute noch immer jede Aufarbeitung des Massakers verweigert und die Bestrafung der Verantwortlichen sowie eine Rehabilitierung der Opfer ablehnt, käme eine Aufhebung des EU-Waffenembargos einer Belohnung Pekings für seine menschenverachtende Politik gleich. Solange noch 190 Dissidenten aufgrund des Massakers in Haft gehalten werden und das Gemetzel auf dem Platz des himmlischen Friedens in China tabuisiert wird, gibt es keinen Grund für eine Neubewertung der Ereignisse des Juni 1989 durch die EU.

18.

Waffenembargo war seit Jahren umstritten

Als die EU-Außenminister am 26. Juni 1989 in Madrid das Waffenembargo gegen China beschlossen, waren sie empört über das Vorgehen der chinesischen Führung und Armee gegen die Demokratiebewegung und wollten ein Zeichen des Protestes setzen. Doch auch damals bestand schon keine Einigkeit unter den Ministern bei der Interpretation des Begriffes "Waffenembargo". Da es keine einheitlichen Standards für Rüstungsexporte gab, war es jedem Mitgliedsstaat überlassen, den Embargo-Beschluss gemäß seinen nationalen Gesetzen zu interpretieren und umzusetzen.

Schon bald zeigte sich, dass einige EU-Staaten den Begriff der "Waffen" sehr eng fassten, um ihrer Rüstungsindustrie den Export von Gütern nach China nicht vollkommen zu verbieten. Sowohl Frankreich als auch Großbritannien untersagten nur den Export von tödlichen Rüstungsgütern und von Waffen, die zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden konnten. Weiterhin exportiert wurden aber Radarsysteme, Hubschrauber und vor allem viele "Dual Use"- Produkte, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke gebraucht werden können. So lieferte Großbritannien Searchwater Radare und Frankreich AS-365N Dauphin-2 Hubschrauber nach Verhängung des Embargos nach China. Gemäß dem Fünften Jahresbericht, den der Rat der EU dem Europaparlament am 31. Dezember 2003 über die europäische Rüstungsexportpolitik zugeleitet hat, hat Frankreich im Jahr 2002 nach eigenen Angaben Genehmigungen über den Export von Rüstungsgütern nach China im Wert von 105 Millionen Euro erteilt. Großbritannien stellte im gleichen Zeitraum Genehmigungen für die Lieferung militärischer Güter im Wert von 79 Millionen Euro an die Volksrepublik aus (Fifth Annual Report according to Operative Provision 8 of the European Code of Conduct on Arms Exports, 2003/C 320/01).

In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage erläuterte die britische Regierung 1995, das Waffenembargo verbiete die Lieferung tödlicher Waffen (Maschinengewehre, Bomben, Torpedos, Raketen), Munition, von Kampfflugzeugen und Hubschraubern, Kriegsschiffen, gepanzerten Fahrzeugen sowie jeder Ausrüstung, die für die Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden kann.

Frankreich interpretierte den Embargobeschluss noch großzügiger und sah auch keine Probleme in einem Ausbau der militärischen Beziehungen, der Ausbildung sowie in der technischen Kooperation, wie der französische Verteidigungsminister Charles Millon auf einer Pressekonferenz in Peking am 8. April 1997 versicherte (AFP, 8.4.1997).Mit der Neuausrichtung und Normalisierung der europäisch-chinesischen Beziehungen im Jahr 1997 wurde auch der Ruf nach einer Modifizierung oder Aufhebung des Waffenembargos lauter. Frankreich und Italien forderten eine Anpassung der Embargo-Bestimmungen an die neue Lage, auch der portugiesische Verteidigungsminister kündigte 1997 an, dass die Sanktionen eventuell bald aufgehoben würden.

19.

Europäischer Verhaltenskodex bietet keine Sicherheit

Die EU-Außenminister bestreiten, dass nach einer Aufhebung des Waffenembargos die Rüstungsexporte nach China deutlich zunehmen würden. Zur Begründung verweisen sie auf den EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte. Er war am 11. Juni 1998 verabschiedet worden und schreibt acht Kriterien für die Genehmigung von Rüstungsgeschäften fest. Jeder EU-Staat verpflichtet sich, anhand dieser Kriterien bei der Vergabe von Genehmigungen vorzugehen und jährliche Berichte über den Rüstungsexport zusammenzustellen. Alle Angaben über erteilte oder verweigerte Ausfuhrgenehmigungen sollen auf freiwilliger Basis dem EU-Rat der Außenminister gemeldet werden, der wiederum jährlich das Europaparlament in einem Bericht über die Ausfuhrpraxis der Mitgliedstaaten informiert.

Acht Kriterien des Verhaltenskodex:

  1. Internationale Verpflichtungen: Eine Genehmigung für Rüstungsexporte darf nicht erteilt werden, wenn sie internationale Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten verletzen würde, z.B. wenn sie gegen ein Waffenembargo verstoßen würde.

  2. Menschenrechte: Waffen dürfen nicht ausgeführt werden in Länder, in denen Menschenrechte verletzt werden, d.h. in denen ein klares Risiko besteht, dass gefoltert und willkürlich verhaftet wird, dass Menschen verschwinden, dass Bürger unmenschlich oder demütigend behandelt oder bestraft werden oder dass andere schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden.

  3. Krisengebiete: In Gebiete, in denen bereits Spannungen oder bewaffnete Konflikte bestehen, sollten keine Rüstungsgüter exportiert werden, die den Konflikt eskalieren lassen oder verlängern.

  4. Friede und Stabilität: Es sollten keine Waffen in Staaten geliefert werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass diese bald zur Aggression gegen einen anderen Staat benutzt werden könnten.

  5. Nationale Sicherheit: Waffenexporte dürfen nicht die Sicherheit anderer EU-Staaten oder befreundeter oder verbündeter Länder beeinträchtigen.

  6. Verhalten in der Internationalen Staatengemeinschaft: Bei der Genehmigung ist zu berücksichtigen, wie sich das Empfängerland gegenüber Terrorismus, Völkerrecht und die Nichtverbreitung von Atomwaffen verhält.

  7. Umleitung und Wiederausfuhr: Mitgliedstaaten müssen bei der Genehmigung prüfen, ob ein Risiko der Umleitung und Wiederausfuhr der Rüstungsgüter in dem Empfängerland besteht.

  8. Wirtschaftliche Möglichkeiten: Der exportierende Staat sollte berücksichtigen, ob das Empfängerland seine Verteidigung und Sicherheit mit einem möglichst geringen Aufwand sicherstellt.

So begrüßenswert es ist, dass sich die EU-Staaten auf gemeinsame Prinzipien zur Regelung der Rüstungsausfuhr verständigt haben, so ist es doch ein Kompromiss auf niedrigem Niveau. Ein Experte im französischen Verteidigungsministerium weist darauf hin, dass der Kodex nur den Export tödlicher Waffen regelt: "Aber wenn ein Staat diskret Waffen an China verkaufen wollte, insbesondere im Bereich der Dual Use-Produkte, so wird ihn niemand daran hindern." (Le Monde, 12.3.2004).

Anders ist wohl auch nicht zu erklären, warum Frankreich, Großbritannien, Belgien, Deutschland und Spanien gemäß dem Fünften Jahresbericht der EU über Rüstungsexporte im Jahr 2002 Genehmigungen für den Export von Waffen in viele Staaten erteilten, die massiv Menschenrechte verletzen, in bewaffnete Konflikte verwickelt sind oder in denen Friede und Stabilität nachhaltig gefährdet sind:

  • Obwohl Indien und Pakistan unmittelbar vor einem Atomkrieg standen, genehmigte Paris Lieferungen im Wert von 369 Millionen Euro an Indien und von 241 Millionen Euro an Pakistan. Großbritannien machte es ähnlich und genehmigte Exporte im Wert von 187 Millionen Euro an Indien und 23 Millionen Euro an Pakistan. Deutschland genehmigte Rüstungslieferungen an Indien in der Höhe von 106 Millionen Euro.

  • In Indonesien eskalieren diverse bewaffnete Konflikte (Aceh, Papua) und Folter ist in den Gefängnissen an der Tagesordnung. Trotzdem genehmigte London Verträge im Wert von 65 Millionen Euro und Paris in Höhe von 37 Millionen Euro.

  • Trotz schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen in der Türkei wurden von Frankreich Verträge im Wert von 267 Millionen Euro, von Deutschland im Wert von 123 Millionen Euro, von Großbritannien im Umfang von 43 Millionen Euro und von Italien in der Höhe von 20 Millionen Euro gebilligt.

  • Ungeachtet der ungelösten Westsahara-Frage genehmigte Frankreich Rüstungslieferungen in der Höhe von 992 Millionen Euro und Großbritannien im Wert von 32 Millionen Euro an Marokko.

  • In Nepal kommt es fast täglich zu Kämpfen zwischen der maoistischen Guerilla und der wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen berüchtigten Armee. Trotzdem genehmigte Belgien Lieferungen im Wert von 25 Millionen Euro.

  • Ungeachtet des Völkermordes in Tschetschenien und der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land stimmte Großbritannien Lieferungen an Russland im Wert von 55 Millionen Euro zu.

  • Im Iran werden elementare Menschenrechte noch immer mit Füßen getreten. Nichtsdestotrotz genehmigte Großbritannien Lieferungen im Wert von 11 Millionen Euro, Spanien in Höhe von 23 Millionen Euro und Frankreich im Umfang von 14 Millionen Euro.

  • In Algerien sind Folter und Verschwindenlassen weit verbreitet. Trotzem stimmte Frankreich Lieferungen in Höhe von 16 Millionen Euro und Italien im Wert von 17 Millionen Euro zu.

  • In Angola halten die Kämpfe um die ölreiche Enklave Cabinda an. Ungeachtet dessen genehmigte Großbritannien die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 14 Millionen Euro.

Weitere Länder, die systematisch Menschenrechte verletzen oder in Kriege verwickelt sind, sollen nach Einschätzung von europäischen Regierungen unproblematisch für die Lieferung von Rüstungsgütern sein: Kolumbien, Äthiopien, Sudan, Elfenbeinküste, Ägypten, Saudi-Arabien, Kasachstan und Usbekistan.

Für diese Staaten wurden im Jahr 2002 Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter gemäß dem EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte erteilt. Angesichts dieser Genehmigungspraxis sollte man sich über die Wirksamkeit des Verhaltenskodexes keine Illusionen machen. Es ist eine politische Willenserklärung, die keinen rechtlich bindenden Charakter hat, so dass es keinen Mechanismus gibt, die Beachtung der Bedingungen des Kodexes zu erzwingen. Zwar ist es ein Fortschritt, dass im Fall einer Ablehnung einer Exportgenehmigung dies auch den anderen EU-Staaten mitgeteilt wird. Doch diese Staaten können ihrerseits eine Ausfuhrgenehmigung für das in einem anderen Staat abgelehnte Rüstungsgeschäft erteilen. Auch mangelt es noch an der Transparenz der Rüstungsexportpraxis vieler Staaten, die zwar den EU-Ministerrat über ihre Ausfuhren informieren, oftmals aber nicht ihre nationalen Parlamente und ihre Öffentlichkeit. Auch hat der EU-Verhaltenskodex vor dem Hintergrund der Konzentrationsprozesse in der europäischen Rüstungsindustrie und des Umfangs der europäischen Rüstungsexporte nur eine begrenzte Bedeutung. In jedem Fall ist es nicht das wirksame Kontrollinstrument, zu dem es in der Diskussion um die Aufhebung des EU-Waffenembargos von den EU-Außenministern hochstilisiert wurde. Insbesondere die EU-Staaten, die bereits heute Dual Use-Produkte an China liefern, werden diese Exporte nach einer Aufhebung des Embargos ausweiten.

So reagierte auch die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) bei der Vorstellung ihres jährlichen Rüstungsexportberichts "mit größtem Unverständnis" auf die geplante Aufhebung des EU-Waffenembargos (FR, 16.12.2003). Weder erfülle China die EU-Kriterien für die Genehmigung von Waffenlieferungen, noch seien solche Lieferungen mit den Richtlinien vereinbar, die sich die Bundesregierung selbst im Jahr 2000 gegeben habe und die auf die Beachtung menschenrechtlicher und friedensethischer Gesichtspunkte abzielten, kritisierten Sprecher der GKKE.

Amnesty International, die britische Hilfsorganisation Oxfam sowie das Internationale Kleinwaffen Aktionsnetzwerk warnten kürzlich vor zahlreichen Schlupflöchern in den Rüstungsexportbestimmungen der EU-Staaten (Guardian, 25.2.2004). Um Exportkontrollen zu umgehen, würden Rüstungsfirmen verstärkt Einzelteile liefern, die ohne Probleme ausgeführt werden könnten, während der gesamte Verkauf eines Waffensystems nicht genehmigt würde. So würden gefährliche Doppelstandards entwickelt, warnte der Oxfam-Direktor Justin Forsyth. Denn es sei schließlich egal, ob ein Maschinengewehr komplett oder zerlegt in Einzelteilen exportiert werde: In die falschen Hände gelangt, hätte die Waffe die gleichen katastrophalen Folgen.

20.

China ist ein bedeutender Rüstungsexportmarkt

Die EU-Staaten Frankreich, Deutschland und Großbritannien zählen zu den führenden Waffenexporteuren der Welt. Im Zeitraum zwischen 1998 und 2002 belegten sie nach Erkenntnissen des Internationalen Friedensforschungsinstituts SIPRI in Stockholm die Plätze drei bis fünf unter den weltweit bedeutendsten Waffenexporteuren (SIPRI Yearbook 2003).

90 Prozent aller EU-Waffenexporte stammen aus den Ländern Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien und Schweden.

Frankreich erwartet in den kommenden Jahren eine Stagnation des Weltrüstungsmarktes, erklärte die französische Verteidigungsministerin bei der Vorlage eines Berichtes zur Entwicklung des internationalen Rüstungsmarktes im Sommer 2003 (Le Monde, 3.9.2003). Nur in Asien und den Staaten des Persischen Golfs könne mit einer Zunahme der Waffenimporte gerechnet werden, wird in dem Bericht prophezeit. "Die europäische Verteidigungsindustrie braucht Aufträge und es gibt nicht viele Märkte, die solvent sind", erklärt Andrew Brookes, Wissenschaftler beim internationalen Institut für Strategische Studien in London (AFP, 27.1.2004). Zwar hat die französische Rüstungsindustrie aufgrund des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus im Jahr 2002 von einer Zunahme ihrer Aufträge im Umfang von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr profitiert (Le Monde, 1.7.2003). Doch ist dies angesichts der Konzentration in der europäischen Rüstungsindustrie nicht ausreichend. So weckt insbesondere bei französischen Rüstungsfirmen der asiatische Markt große Begehrlichkeiten. Dies bekräftigten nochmals Vertreter französischer Rüstungsunternehmen während der Luftfahrtschau "Asian Areospace 2004" in Singapur im Februar 2004 (AFP, 23.2.2004 / La Liberté, 27.1.2004). Frankreich, dessen Wirtschaftsbeziehungen mit der Volksrepublik bislang im Vergleich zu Deutschland recht bescheiden blieben, hat daher größtes Interesse neue Aufträge für die französische Industrie zu beschaffen, die unter einer nachlassenden Binnen- und Exportnachfrage leidet. So äußerte man sich in Paris auch zufrieden über den Besuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Hu Jintao, der bei seinem prunkvollen Empfang in Paris den Kauf von 21 Airbus-Verkehrsflugzeugen für die chinesische Fluggesellschaft China Southern Airlines ankündigte (Europe 1, 27.1.2004).

Nach dem zweiten Golfkrieg musste China 1991 feststellen, dass seine Armee vollkommen veraltet und in militärischen Konflikten nicht wirksam einzusetzen war. Gezielt wird seither die Modernisierung der Streitkräfte vorangetrieben. Offizielle Zuwachsraten des Verteidigungshaushalts von 17,6 Prozent und 17,7 Prozent in den Jahren 2001 und 2002 wurden nach Einschätzung von Experten in der Realität noch weit überschritten (AFP, 27.1.2004). Im Jahr 2001 war die Volksrepublik nach Recherchen von SIPRI der bedeutendste Waffenimporteur der Welt mit einem Zuwachs gegenüber dem Jahr 2000 von 44 Prozent (SIPRI Yearbook 2002, Kapitel 8, International arms transfers). Im Jahr 2003 soll nach offiziellen Angaben der Verteidigungshaushalt Chinas um 11,6 Prozent steigen, doch die tatsächliche Steigerungsrate dürfte weit höher liegen (Reuters, 5.3.2004). Experten des US-Kongresses weisen darauf hin, dass diese Zahlen regelmäßig nicht die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung neuer Waffensysteme sowie für den Kauf von Rüstungsgütern im Ausland berücksichtigen (Annual Report on the Military Power of the People's Republic of China, US-Congress, 28.7.2003, S. 41). Rüstungskäufe im Ausland werden von Devisenzuwendungen des Staatsrates beglichen. Statt der für 2002 öffentlich erklärten 20 Milliarden US-Dollar könnte nach Einschätzung des US-Kongresses der tatsächliche Aufwand rund 65 Milliarden US-Dollars umfassen. Damit würden weltweit nur die USA noch mehr für ihren Verteidigungshaushalt aufwenden. In Asien wäre China der Staat mit dem größten Verteidigungsbudget. Die Analysten des US-Kongresses erwarten eine Verdrei- oder Vervierfachung der realen Aufwendungen Chinas für die Verteidigung bis zum Jahr 2020.

Im Gegensatz zu den offiziellen chinesischen Verlautbarungen, die immer den defensiven Charakter der chinesischen Streitkräfte betonen, nimmt die Fähigkeit Chinas zu einer offensiven Kriegsführung mit jedem weiteren Schritt der Modernisierung zu. Nur rund die Hälfte der für die Modernisierung der Streitkräfte benötigten Rüstungsgüter stammen aus chinesischer Produktion. Der Rest wird aus dem Ausland eingeführt. Hauptlieferanten sind aufgrund des Embargos Russland und Israel. Russland liefert U-Boote, Kampfflugzeuge, Jagdflugzeuge, Panzer, Artilleriegeschütze und Flugabwehrsysteme. Israel stattet China mit kleineren Waffensystemen und Kontrollapparaten aus (BBC, 10.4.2000). Gerne würde man aus Israel noch mehr Rüstungsgüter nach China liefern, doch Israel schreckt davor zurück, da es seinen wichtigsten Bündnispartner USA nicht zu sehr verärgern darf. Im April 2000 brach offener Streit zwischen Washington und Jerusalem über den geplanten Verkauf von vier Radarüberwachungsflugzeugen vom Typ Phalcon von Israel an China aus (BBC, 3.4.2000 / How America's friends are building China's military power, Richard D. Fisher, The Heritage Foundation, Backgrounder, 5.11.1997). Um seine umfangreiche Militärhilfe aus den USA nicht zu gefährden, zog sich Israel aus dem Rüstungsgeschäft zurück. Am 2. Januar 2003 berichtete die angesehene israelische Tageszeitung Ha'aretz, Israel werde mit Rücksicht auf die Gefährdung Taiwans keine Waffen oder Sicherheitssysteme mehr an China verkaufen (BBC; 2.1.2003).

Die Volksrepublik ist sehr an Rüstungsgeschäften mit der Europäischen Union interessiert, nicht nur um sich aus der Abhängigkeit von Russland zu lösen, zu dem die bilateralen Beziehungen nicht immer einfach sind. China zieht es vor, aus sehr unterschiedlichen Staaten Rüstungsgüter zu beziehen, um sich nicht zu sehr in Abhängigkeit zu begeben. Selbst wenn diese Streuung der Rüstungskäufe langfristig sehr aufwendig ist, da die Wartung unterschiedlicher Waffensysteme äußerst kostspielig ist. Sehr zum Ärger der chinesischen Führung war Russland nicht bereit, das hochmoderne Kampfflugzeug vom Typ SU-35 an China zu liefern. Auch behält Russland immer wieder zum Ärger Chinas zentrale Bestandteile der Waffentechnik zurück (NZZ, 4.3.2002). Insbesondere interessieren China High-Tech-Waffen, Satelliten gesteuerte Navigationssysteme und Trägerraketen (Le Monde, 15.10.2003). Solche ausgefeilten Rüstungssysteme sind auf dem internationalen Rüstungsexportmarkt außerhalb Europas und der USA nicht einfach zu bekommen. Besonderes Interesse signalisierte Peking an dem in Frankreich entwickelten Kampfflugzeug Rafale (AFP, 27.1.2004). Große Bedeutung misst China auch der Zusammenarbeit mit der EU bei der Entwicklung des Galileo-Satellitensystems bei (AFP, 30.10.2003 / People's Daily, 26.9.2003 und 25.2.2004). Die im Herbst 2003 vereinbarte Kooperation Chinas mit der EU bei der Entwicklung Galileos interessiert Peking besonders, da es das US-amerikanische Monopol des Satelliten-Navigationssystems GPS brechen möchte.

21.

Bedrohung Taiwans und der Stabilität in der Region

Nicht nur in Taiwan, sondern auch in Japan und vielen südostasiatischen Staaten wird die Hochrüstung Chinas mit modernsten Waffensystemen mit großer Besorgnis verfolgt. Zwar verringerte ein 1999 mit Vietnam unterzeichneter Vertrag die Grenzstreitigkeiten mit dem südlichen Nachbarland. Doch noch immer ringen Vietnam und China um die Kontrolle der Spratley-Inseln im Südchinesischen Meer. War Chinas Volksbefreiungsarmee bislang nur zahlenmäßig den vietnamesischen Streitkräften weit überlegen, so fällt inzwischen auch die verbesserte technische Ausstattung der chinesischen Soldaten ins Gewicht. Zwar wurde mit dem Bündnis der Südostasiatischen Staaten (ASEAN) im Jahr 2002 eine "Erklärung über einen Verhaltenskodex im Südchinesischen Meer" sowie ein "Rahmenabkommen über eine umfassende wirtschaftliche Zusammenarbeit" unterzeichnet, doch sind die Ängste in Laos, Burma, den Philippinen und in Indonesien vor dem übermächtigen Nachbarn groß. So stehen 23,7 Millionen chinesischen Soldaten nur 336.000 thailändische Armeeangehörige und 600.000 südkoreanische Soldaten gegenüber. Während China 1.966 Kampfflugzeuge besitzt, zählt Japan nur 280 und Vietnam 189 (The Asian Military Balance: An Analytic Overview, Center for Strategic and International Studies, Washington D.C., Mai 2003, S. 9/10). Eine weitere Hochrüstung der chinesischen Streitkräfte wird nachhaltig das Kräfteverhältnis zwischen China und seinen Nachbarstaaten zuungunsten der kleineren Staaten beeinflussen und die Stabilität in der Region gefährden.

Als besonders bedrohlich empfindet Taiwan die Aufrüstung der Volksrepublik China. Das gescheiterte Referendum vom 20. März 2004 in Taiwan macht deutlich, wie tief die Ängste vor einer Verärgerung des übermächtigen Nachbarn auf dem Festland in der Bevölkerung des Inselstaates sind. In der zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl abgehaltenen Volksabstimmung konnten sich die Taiwanesen dazu äußern, ob Taiwan angesichts der chinesischen Bedrohung ein Raketenabwehrsystem installieren und mit China Gespräche aufnehmen solle. Da weniger als 50 Prozent Beteiligung an dem Referendum registriert wurden, ist die Volksabstimmung gescheitert. Mit ungewöhnlicher Offenheit hatte Taiwans Präsident Chen Shui-bian die militärische Bedrohung durch die Stationierung von 496 vom Festland auf Taiwan gerichtete Raketen am 30. November 2003 öffentlich angeprangert. Alle Raketen seien nicht weiter als 600 Kilometer von Taiwan entfernt stationiert (The Straits Times, 2.12.2003). Im Jahr 2002 sei die Zahl mit 350 Kurzstrecken-Raketen noch deutlich geringer gewesen (Deutsche Welle, 5.8.2003). Die Stationierung der Raketen sei einem Dialog nicht förderlich, kritisierte das US-Außenministerium (Taipei Times, 18.12.2003). "Wir haben immer deutlich gemacht, dass wir denken, dass die Stationierung von Chinas Raketen gegenüber Taiwan die Spannungen erhöht", erklärte der Sprecher des US-Außenministeriums, Richard Boucher.

Mit jedem Schritt der Modernisierung seiner Streitkräfte hat die Volksrepublik China mehr militärische Optionen zur Auswahl, um den Druck auf Taiwan zu erhöhen. Das US-Verteidigungsministerium äußerte in einem am 12. Juli 2002 veröffentlichten Bericht seine tiefe Besorgnis über die massive Steigerung der Verteidigungsausgaben Chinas und über neue High-Tech-Waffen, die die Bedrohung Taiwans deutlich steigerten (Washington Post, 13.7.2002 / BBC, 13.7.2002). In dem Report wird China vorgeworfen, vor allem für einen eventuellen Konflikt in der Taiwan Straße aufzurüsten. Von einer Seeblockade über Luft- und Raketenangriffe, einer amphibischen Landeoperation bis zu einer schnellen Militärintervention reichen die vielfältigen Möglichkeiten Pekings, um Taiwan militärisch zu unterwerfen. Die chinesische Führung wird dabei nicht nur berücksichtigen, ob und wie schnell sie den militärischen Willen zur Verteidigung Taiwans brechen kann, sondern auch welche Kosten der weltweite Imageverlust aufgrund einer militärischen Intervention für Chinas globale Interessen bedeuten würde. Nur wenn eine erfolgreiche Beendigung einer Militärintervention gewährleistet erscheint, wird die chinesische Führung für ein militärisches Vorgehen plädieren, da sie im Falle einer Niederlage den Verlust der Macht für die Kommunistische Partei fürchtet. Die eigene Machterhaltung scheint jedoch das wichtigste Leitprinzip der chinesischen Führung zu sein, wie das brutale Vorgehen gegen die vermeintlich die Macht der Partei in Frage stellende Meditationsbewegung Falun Gong deutlich macht.

Mehrfach drohten chinesische Militärs in den vergangenen Monaten mit Krieg, sollte Taiwan die Ausrufung eines unabhängigen Staates vorantreiben (New York Times, 4.12.2003 / Chicago Tribune, 17.12.2003). Gerade angesichts dieser Drohungen ist es besonders unverständlich, dass sich die EU ungeachtet der Zuspitzung im Verhältnis zwischen der Volksrepublik und Taiwan für eine Aufhebung des Waffenembargos einsetzt. Der Zeitpunkt könnte kaum schlechter gewählt sein, da er nicht zu einem Abbau der Spannungen in der Taiwan Strasse führen wird, sondern China das gleichgültige Verhalten der EU auch als Ermutigung verstehen könnte, noch massiver gegen Taiwan vorzugehen. So gefährdet die EU mit ihrer Initiative zur Aufhebung des Waffenembargos nicht nur den Status quo im Verhältnis zwischen der Volksrepublik China und Taiwan, sondern auch die regionale Stabilität. Angesichts der in den letzten Jahren entlang der Taiwan Strasse registrierten Hochrüstung ist das Verhalten der EU unverantwortlich, da es zur Schürung bewaffneter Konflikte beiträgt. Die EU missachtet damit auch ihre eigenen Kriterien ihres Verhaltenskodex zum Rüstungsexport, die eindeutig verlangen, dass EU-Waffenexporte nicht zu einer Verschärfung von Konflikten führen sollten.

22.

EU schürt Spannungen in der Taiwan Strasse

Ungeachtet der eskalierenden Spannungen in der Taiwan Strasse betonten insbesondere Deutschland und Frankreich in den letzten Wochen ihr unverbrüchliches Eintreten für

die "Ein-China Politik". Es wäre fatal, wenn die chinesische Führung sich durch die Aufhebung des Waffenembargos, durch die Beschwörung der "Ein-China Politik" der Europäer sowie durch das Schweigen der EU zur Hochrüstung in der Taiwan Strasse darin bestärkt fühlen würde, eine Militärintervention gegen Taiwan vorzubereiten. Insbesondere Frankreich scheint dem Ausbau der "Strategischen Partnerschaft" mit der Volksrepublik absoluten Vorrang einzuräumen. Anders ist nicht zu erklären, wie Paris ohne jedes Augenmaß und Gefühl für die Brisanz der Lage wenige Tage vor dem Referendum in Taiwan am 16.März 2004 seine ersten gemeinsamen Manöver mit der chinesischen Marine vor den Küsten Chinas durchführte (Libération, 17.3.2004). Gerade angesichts der sehr deutlichen Parteinahme von Frankreichs Präsident Chirac für die chinesische Position in der Taiwan-Frage im Januar 2004 wäre in dieser brisanten Situation mehr Zurückhaltung von Paris zu erwarten gewesen. Gleichzeitig macht Frankreich mit seinem Verhalten deutlich, welchen geringen Stellenwert zur Zeit Menschenrechte und Konfliktverhütung in der französischen China-Politik haben. Mit ihrem Schweigen zum französischen Alleingang und ihrer Unterstützung der Pariser Initiative für eine Aufhebung des Waffenembargos erweckt die EU fälschlich den Eindruck, die Durchsetzung der Menschenrechte sowie die friedliche Lösung der Taiwan-Frage seien für die Europäische Union in ihrer China-Politik keine bedeutenden Anliegen.

Selbst wenn die EU an ihrer Ein-China Politik festhält, so muss sie Peking gegenüber zumindest mit aller Entschiedenheit deutlich machen, dass jede militärische Intervention der Volksrepublik gegen Taiwan ernsthafte Folgen für ihr Verhältnis zu China sowie für das Ansehen der Volksrepublik in der Internationalen Staatengemeinschaft hätte. Für eine Aufhebung des Waffenembargos in diesem Frühjahr könnte angesichts der Spannungen zwischen China und Taiwan kaum ein schlechterer Termin gewählt werden.

23.

USA plädiert für Aufrechterhaltung des Embargos

Vor allem mit Blick auf die schwierige Sicherheitslage Taiwans hat die US-Regierung in den letzten Monaten mehrfach nachdrücklich an die EU appelliert, das Waffenembargo aufrechtzuerhalten. Die USA fürchten, China könne mit High-Tech-Waffen aus Europa entscheidende militärische Vorteile gewinnen, so dass die Sicherheit Taiwans nicht mehr von den USA garantiert werden könne. Gemäß dem 1979 verabschiedeten Taiwan Relations Act hat sich Washington verpflichtet, für die Verteidigung Taiwans einzutreten. Mit seiner Kritik am europäischen Vorgehen in der Embargo-Frage hält Washington sich auch nicht zurück, da man befürchtet, europäische Waffenlieferungen an China könnten dazu führen, dass eines Tages Amerikaner bei der Verteidigung Taiwans ihr Leben lassen müssten. Nachdrücklich appellierte US-Außenminister Colin Powell an seine europäischen Amtskollegen, die geplante Aufhebung des Embargos sorgfältig zu überdenken (AFP, 1.3.2004). "Wir glauben, dass sich die Verbote der USA und Europas von Waffenverkäufen gegenseitig ergänzen", erklärte Powell. "Sie wurden aus den gleichen Gründen verhängt, insbesondere aufgrund der Menschenrechtsverletzungen, und diese Gründe sind auch heute noch gültig", betonte der US-Außenminister (China Daily, 1.2.2004). Die US-Regierung bekräftigte daher auch, sie werde an ihrem Embargo festhalten.

24.

Einäugigkeit der Europäischen Union

Es ist beschämend, dass sich die EU trotz der sich verschlechternden Menschenrechtslage in China nicht darauf verständigen konnte, eine kritische Resolution zu den Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik in der 60. Sitzung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen einzubringen, die zwischen dem 15. März und dem 24. April 2004 in Genf tagt. Die EU muss sich Einäugigkeit vorwerfen lassen, wenn sie einerseits das Waffenembargo aufhebt, andererseits in der UN-Menschenrechtskommission nicht bereit ist, sich für eine Verurteilung der schweren Menschenrechtsverletzungen einzusetzen.

Anders als die EU haben sich die USA ungeachtet massiver chinesischer Kritik dazu entschlossen, eine China-Resolution in der UN-Menschenrechtskommission einzubringen. Die Europäer sollten zumindest den amerikanischen Resolutions-Entwurf unterstützen, wenn sie schon nicht bereit sind, eigene Initiativen zu ergreifen.