6. Dezember 2019
International Tibet Network, tibetnetwork.org

Tibetischer Nomade und Umweltaktivist zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt

Der Scheinprozeß gegen den Tibeter A-Nya Sengdra macht Chinas anhaltende Unterdrückung in Tibet deutlich

Die siebenjährige Freiheitsstrafe für den tibetischen Nomaden und Umweltaktivisten A-Nya Sengdra wegen „Versammlung von Menschen, um die öffentliche Ordnung zu stören“ und „Streitigkeiten vom Zaum zu brechen und Unruhen zu provozieren“ unterstreicht den nicht nachlassenden Angriff der chinesischen Behörden auf das Recht des tibetischen Volkes, sein kulturelles Erbe zu verteidigen. A-Nya Sengdra wurde am 6. Dezember 2019 von einem Gericht in der Präfektur Golog, Amdo (chin. Bezirk Gande, TAP Guoluo, Provinz Qinghai) schuldig gesprochen. Er und sein Anwalt planen, gegen das Urteil Berufung einzulegen.

Tibeter und Tibet-Gruppen haben ihre Bestürzung über dieses Urteil zum Ausdruck gebracht, das nach 14 Monaten Untersuchungshaft verhängt wurde. Am 4. September 2018 wurde A-Nya von Sicherheitskräften im Bezirk Gade verhaftet und geschlagen. In den ersten 48 Tagen seiner Haft hatte er keinen Zugang zu einem Anwalt. Seine Haftzeit wurde mehrmals verlängert und ein Antrag seines Anwalts auf Entlassung gegen Kaution abgelehnt. Seine Frau und andere Familienmitglieder durften A-Nya Sengdra in der Haft nicht besuchen (1).

A_Nya mit seinem Anwalt Lin Qilei am Flugplatz von Golog,
Quelle: Free Tibet

„A-Nya ist das jüngste Opfer von Chinas systematischem Plan, Tibeter zum Schweigen zu bringen und einzusperren“, sagte Dorjee Tseten von Students for a Free Tibet. „Die erfundenen Anschuldigungen gegen ihn sind absurd und spiegeln Chinas Mangel an Rechtsstaatlichkeit und Achtung der grundlegenden Menschenrechte wider. Tibeter und ihre Unterstützer auf der ganzen Welt werden sich weiterhin für die Freilassung von A-Nya einsetzen.“

In den Wochen nach der Verhaftung von A-Nya Sengdra wurden neun weitere Tibeter aus dem Kreis Golog festgenommen (Sothor, Asho, Dosang, Wanggyal, Gyaltsen, Abhi, Ugen Tsering, Wanchen und Jimtri, der A-Nya Sengdra’s Bruder ist). Acht von ihnen wurde heute ebenfalls der Prozeß gemacht, und sie wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.

A-Nya's Bruder Jimtri, der am 16. Dezember 2018 verhaftet wurde, sollte heute vor Gericht stehen, nachdem er fast ein Jahr in Haft gesessen hatte. Es sind allerdings Nachrichten aufgetaucht, daß Jimtri starb, nachdem er aus seiner Haftanstalt ins Krankenhaus nach Xining, Provinzhauptstadt von Qinghai, gebracht wurde. Die genauen Umstände von Jimtri’s Tod sind noch nicht bekannt.

„Die abstoßende Behandlung von A-Nya nach seiner Verhaftung zeigt, wie die Kommunistische Partei Chinas mit Tibetern umgeht, die ihre Meinung kundtun“, sagte John Jones von Free Tibet. „Sein friedlicher Einsatz zum Schutz der Umwelt und zur Bekämpfung der Korruption zeigt Probleme auf, die die Behörden längst hätten ernst nehmen sollen. Aber anstatt zuzuhören, entschied die KPCh, dass A-Nya zum Schweigen gebracht und eingesperrt werden müsse. Nur durch die Freilassung von A-Nya und der anderen acht heute Verurteilten sowie eine Untersuchung von Jimtri’s Tod könnte eine Wiedergutmachung für dieses schändliche Vorgehen geleistet werden.“

Die Gerichtsverhandlung begann am Morgen des 5. Dezembers und war schon nach einem Tag abgeschlossen. In einem Tweet nach dem Prozeß erklärte der Anwalt von A-Nya Sengdra, Lin Qilei, daß sein Mandant sich weigere, das Urteil zu akzeptieren, und daß er Berufung einlegen werde. Aus dem gleichen Tweet von Lin Qilei geht hervor, daß der Sohn von A-Nya bei der Verhandlung anwesend war. Ob andere Familienmitglieder oder Beobachter teilnehmen konnten, ist derzeit nicht bekannt.

A-Nya Sengdra wird in seiner Gemeinschaft weithin respektiert für seine Kampagnen gegen illegale Bergbauaktivitäten, Korruption unter den Amtsträgern, illegale Jagd und Wilderei von bedrohten Spezies. Im Jahr 2014 gründete er zusammen mit anderen lokalen tibetischen Nomaden eine Freiwilligenorganisation namens „Mang Dhon Ling“ (Forum für öffentliche Angelegenheiten), um gegen Korruption und Machtmißbrauch bei lokalen chinesischen Beamten vorzugehen.

„Nicht nur waren die Aktivitäten von A-Nya vor seiner Verhaftung keine Straftat - sie waren in Zeiten akuter Umweltkrisen unerläßlich“, sagte Lobsang Yangtso von International Tibet Network. „Aktivisten auf der ganzen Welt setzen sich für den Schutz der Umwelt ein und dafür, daß das Land, auf dem sie leben, auch für zukünftige Generationen bewohnbar sein wird. Unter chinesischer Besatzung zu leben, bedeutete für A-Nya jedoch, daß seine Umweltschutzarbeit dazu geführt hat, daß er als Krimineller statt als ein Held der Umweltbewegung angesehen wurde.“

Die Verhaftung und Verurteilung von A-Nya Sengdra paßt zu dem allgemeinen Muster der Verfolgung tibetischer Aktivisten und Umweltschützer, der schon Hunderte zum Opfer gefallen sind und verhaftet wurden. Seit Februar 2018 gehen Provinz- und Regionalbehörden in ganz Tibet gegen Leute vor, die von der KPCh „Unterweltkräfte“ und „kriminelle Banden“ genannt werden. Offizielle Bekanntmachungen, die um Unterstützung bei der Öffentlichkeit werben, haben deutlich gemacht, daß die Definition von kriminellen Banden sich auch auf Tibeter erstreckt, die Proteste zum Schutz der Umwelt organisieren, die lokale oder nationale Regierungsbehörden kritisieren sowie auf Tibeter, die versuchen, die Sprache und Sitten ihres Landes zu bewahren.

Hinweise aus offiziellen Quellen sowie Informationen, die aus Tibet geschmuggelt wurden, lassen den Schluß zu, daß im Rahmen dieser Razzien mindestens 400 Tibeter verhaftet wurden, wobei zwischen Januar und Dezember 2018 allein in der Autonomen Region Tibet 385 Menschen wegen so genannter „Bandenkriminalität“ vor Gericht gestellt und für schuldig befunden wurden.

„Die chinesische Regierung hat die gefährliche Gewohnheit, ihre eigenen Gesetze zu manipulieren, um Tibeter in Tibet zu kriminalisieren“, sagte Padma Dolma vom Tibet Justice Center. „Seit 2018 erlassen die chinesischen Behörden Vorschriften, die es ermöglichen, Tibeter massenhaft und unter falschen Anschuldigungen festzunehmen. Der Nomade und Gemeindevorsteher A-Nya Sengdra ist das Opfer einer Razzia, bei der im vergangenen Jahr über 400 Tibeter überführt wurden, obwohl es keine Beweise dafür gibt, daß sie ein Verbrechen begangen hätten. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, daß alleine schon die Tatsache, heute in der Volksrepublik China ein Tibeter zu sein, als eine Bedrohung für die Staatssicherheit wahrgenommen wird.“

(1) 20. Dezember 2018, China nimmt einen Aktivisten gegen Korruption aus politischen Gründen fest, http://www.igfm-muenchen.de/tibet/TCHRD/2018/AnyaSengdra_20.12.18.html

Appell zur Freilassung von A-nya Sendra an den chinesischen Justizminister und die Provinzregierung von Qinghai:
https://actions.tibetnetwork.org/release-tibetan-environment-activist-nya-sengdra