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„Der verarmte Bezirk Matö in Amdo“ von Woeser
In diesem Blog-Eintrag schreibt Woeser über den einst wohlhabenden Bezirk Matö (chin. Maduo, TAP Golog) im östlichen Tibet, der sich in der heutigen Provinz Qinghai befindet. Woeser stellt die von offizieller Seite angegebene Begründung für die Verarmung des Bezirks Matö in Frage und konzentriert sich statt dessen auf die durch den Bergbau, den Dammbau und die Goldwäscherei herbeigeführte Umweltzerstörung, sowie deren Auswirkung auf die Nomaden.
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Die zwei Hauptstraßen von Matö
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„Das erste Mal habe ich Matö, das am Oberlauf des Gelben Flusses liegt, 1997 besucht; das vierte Mal ist noch nicht allzu lange her. Damals hatte ich den Eindruck, der Bezirksstadt fehle jegliches Anzeichen menschlichen Lebens. Die Türen waren verriegelt, Papierfetzen und Plastiktüten wehten auf einer kleinen und schmalen Straße umher wie umherstreifende Geister. Heute jedoch ist es eine geschäftige Straße und sie beheimatet bereits ein Hot Pot Restaurant namens Emperor’s Cuisine, und auf dem Hauptplatz der Stadt ist, noch auffälliger als die Statue eines fliegenden Pferdes, ein rotes Banner montiert, auf dem steht: „Die Flußquelle leuchtet im Glanz der Partei“.
Wenn Matö erwähnt wird, sind sich alle chinesischen Medien einig, dass dieser Bezirk während der 1980er, mit nur 10.000 Einwohnern als der reichste Bezirk Chinas galt, da er das höchste pro-Kopf-Einkommen hatte. Und sie sind sich ebenfalls einig, dass Matö nur 20 bis 30 Jahre später ein verarmter Bezirk geworden ist. Bei der Suche nach den Gründen dafür ziehen die chinesischen Medien einstimmig dieselbe Schlussfolgerung, nämlich, dass dies auf die durch die Hirten verursachte Überweidung zurückzuführen sei. Und das habe dazu geführt, dass das Weideland verkommt, die Seen rasch zurückgehen, die Wasserversorgung erschöpft ist und die gesamte Ökologie verfällt.
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Der Hauptplatz von Matö mit dem Roten Banner und dem "fliegenden Pferd"
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Ist das wirklich der Grund? Beziehungsweise ist das wirklich der Hauptgrund?
Ich habe die Fotos gesehen, die Wang Lixiong beim Rafting auf dem Gelben Flusses vor über 20 Jahren gemacht hat. Die Fotos von Matö sind am erschreckendsten. Sie zeigen Szenen mit Tausenden und Abertausenden von Menschen, die eifrig allerlei körperlicher Arbeit nachgehen. Es war jedoch nicht eine Art Arbeit, wie etwa das Umpflügen von unkultiviertem Land, um Lebensmittel anzupflanzen, oder das Weiden von Rindern und das Jäten von Unkraut. Diese Menschen wetteiferten miteinander, als sie direkt aus dem Flusswasser Gold baggerten und wuschen. Bei den Goldwäschern handelte es sich hauptsächlich um Hui und Han-Chinesen. Wang Lixiong kann sich nicht daran erinnern, jemals irgendwelche Tibeter bei der Goldwäsche gesehen zu haben.
Tatsächlich ist Matö nicht wegen des Gelben Flusses berühmt, sondern weil es reiche Vorräte an Bodenschätzen wie etwa Gold besitzt. Und das hat viele gierige Menschen angezogen, die in Scharen in das Gebiet gekommen sind. Einige Quellen bestätigen, dass in den 1980ern Hunderttausende Menschen ohne die geringste Ahnung von der Arbeit nach Matö geströmt sind, um nach Gold zu suchen. Genau genommen ist der frühere Reichtum von Matö nicht auf die hoch entwickelte Viehhaltung zurückzuführen, sondern auf den Handel, den die Goldwäscherei mit sich gebracht hat, wodurch das Bruttoinlandprodukt sowie die Einnahmen des Fiskus angestiegen waren. Es muss jedoch betont werden, dass der Reichtum von Matö keinesfalls bis zu den Hirten durchgedrungen ist; diese führten weiterhin ein einfaches aber zufriedenes Nomadenleben.
Leute von außerhalb strömten in dieses Gebiet Tibets, gingen dem Bergbau und der Goldgräberei nach, Weideland wurde zerstört, das Flussbett trocknete aus, wilde Tiere wurden gejagt und Raupenpilze sowie weitere wertvolle medizinische Gewächse wurden ausgegraben; all diese unterschiedlichen Faktoren kamen zusammen und führten in ihrer Gesamtheit schließlich zu dem, was wir heute sehen. Online-Erfassungen ergeben, dass zwischen den 1980ern bis zu den 1990ern exzessives und unkontrolliertes Goldgraben nicht nur die Goldressourcen beeinträchtigt, sondern auch das Weideland ernsthaft verwüstet und den „Tugendkreis“ [positiver Gegenbegriff zu Teufelskreis] des Ökosystems zerstört hat, was zum Verschwinden des fruchtbaren Bodens und der Versteppung des Landes geführt hat. 1999 bestanden 47,8% des gesamten Bezirks aus unfruchtbarem Boden und Sand oder kargem Boden, und der Prozentsatz an wilden Tieren fiel um 31%.
Im letzten Jahr veröffentlichte “China Dialogue“ einen Artikel, “Das verschwindende Weideland Tibets“, in dem ein tibetischer Lehrer interviewt wurde, der sich besorgt zeigte: „Matö ist heute sehr arm. Es gibt keine Möglichkeit, dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen … die Minen sind geschlossen und das Weideland ist zerstört...“. Auf der offiziellen Webseite der Verwaltung des Bezirks von Matö wird natürlich weiterhin damit geworben, dass es unterirdisch noch immer beeindruckende Vorräte an Mineralressourcen gäbe, die darauf warteten, erschlossen zu werden. Der Bezirk Matö wird so vorgestellt, als sei er reich an Gold und auch an Kohle, Eisen, Kupfer, Kobalt, Salz und weiteren Mineralien, sowie Kalkstein und Jade. Bis zum heutigen Tage wird die Goldgräberei ohne Unterbrechung fortgesetzt.
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Das Distriktgefängnis von Matö
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Existiert das Problem der Herdenhaltung also überhaupt? Ein 80jähriger Hirte beantwortet dies, indem er zu bedenken gibt: Wenn der Viehbestand tatsächlich eine negative Auswirkung auf die Vegetation hätte, dann müßte doch das Gebiet, in dem die Hirten heutzutage ihr Vieh halten, nichts weiter als karges Land sein, denn bereits zu seiner Jugendzeit gab es dort zahlreiche tibetische Wildesel. Im selben Artikel äußert sich auch Wang Lixiong und sagt, dass „die Tibeter ihr Vieh über Generationen, mehr als tausend Jahre lang, auf dem Weideland gehalten haben. Wie kann es möglich sein, dass die Ökologie in der Vergangenheit nicht darauf reagierte und das Problem der Überweidung nicht existierte?“
Lassen Sie mich abschließend noch einen Grund dafür nennen, warum der Zustand der Umwelt sich verschlechtert hat: Wie jeder weiß, hat die globale Erwärmung das Hochland von Tibet und Qinghai besonders in Mitleidenschaft gezogen. Aber obendrein strömten all diese Leute von außerhalb dorthin und gingen dem Bergbau und Dammbau nach.
Lhasa, 17. August 2011
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