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China muss die Beamten, die für den Tod des prominenten tibetischen Menschenrechtsverteidigers Jigme Gyatso verantwortlich sind, strafrechtlich verfolgen
Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) ist bestürzt über den Tod des prominenten ehemaligen politischen Gefangenen Jigme Gyatso, auch bekannt als Labrang Jigme, der am 2. Juli dieses Jahres verstarb. Der 56jährige Jigme Gyatso reiht sich in eine lange Liste von Tibetern ein, die infolge von Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergesetzlicher Tötung und gewaltsamem Verschwindenlassen gestorben sind.
Jigme Gyatso, der für seinen bemerkenswerten Mut und seine Charakterstärke bekannt war, wurde 2016 nach Verbüßung einer fünfjährigen Haftstrafe wegen „Anstiftung zum Separatismus“ freigelassen. Seine Festnahme am 20. August 2011 führte zu seiner vierten Inhaftierung durch chinesische Sicherheitsbeamte (1).
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Foto am 6. Juli 2020 |
„Wir sind erschüttert über den Verlust von Jigme Gyatso, einem der mutigsten und empathischsten Menschenrechtsverteidiger, der um der Sache der Freiheit und der Menschenrechte in Tibet willen alles geopfert hat. Gyatsos Tod war die unmittelbare Folge der jahrelangen Folter und der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung, die er durch die chinesische Regierung erlitt, sowie der Verweigerung einer angemessenen und rechtzeitigen medizinischen Behandlung“, sagte Tsering Tsomo, geschäftsführende Direktorin vom TCHRD.
„Wir fordern eine sofortige und unparteiische Untersuchung von Gyatsos vorzeitigem Tod und die strafrechtliche Verfolgung seiner Folterer im chinesischen Establishment. Schon viel zu lange hat China der internationalen Gemeinschaft falsche Versprechungen gemacht, die Haftbedingungen zu verbessern und die Folter abzuschaffen. Es obliegt daher der internationalen Gemeinschaft, die Anwendung von Folter und die daraus resultierenden Todesfälle in der Haft als solche zu erkennen, zu verurteilen und zu verfolgen. Wir dürfen nicht zulassen, daß sein Opfer vergeblich war."
Erzwungenes Geständnis unter Folter
Seit seiner Festnahme im August 2011 wurde er fast drei Jahre lang an einem geheimen Ort festgehalten und gefoltert, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Am 26. November 2016, mehrere Monate nach seiner Freilassung, schrieb Gyatso in seiner gewohnt freimütigen Art in einem Brief über seine Erfahrungen in der Haft: „Kurz gesagt, sie beherrschen sowohl Gewaltmaßnahmen als auch friedliche Mittel, die grimmige Wut und trügerisches Grinsen und andere Methoden, um das Volk zu täuschen und uns zu beschuldigen, Gesetze zu brechen und verschiedene Verbrechen zu begehen. Sie tun dies immer wieder: Sie schlagen uns grausam, um uns bewegungsunfähig zu machen oder um uns zu töten.“ Trotz dieser Erfahrungen - fügte er in dem Brief hinzu - käme es, „den Wünschen der chinesischen Regierung freien Lauf“ zu lassen, gleich, wenn er den Mut, die Entschlossenheit, die Hoffnung, den Stolz und die Liebe zu seinem Land und seinem Volk verlieren würde.
Verweigerung von medizinischer Behandlung
Aufgrund der nicht aufhörenden Folterungen hatte sich der Gesundheitszustand von Jigme Gyatso bereits zwei Monate nach seiner vierten Inhaftierung im August 2011 verschlechtert. Er wurde im Gefängnis behandelt, nachdem sein Antrag auf Entlassung aus medizinischen Gründen abgelehnt worden war. Im März 2016, Monate vor seiner Entlassung, wurde er erneut zur Notfallbehandlung in das Gefängniskrankenhaus eingeliefert. Seit Januar jenes Jahres wurden seiner Familie die monatlichen Besuche bei ihm verweigert.
Am 25. Januar 2016 machte Jigme Gyatso seine Familienangehörigen, die ihn im Gefängnis besuchen wollten, darauf aufmerksam, daß die Gefängnisaufseher planten, ihn in ein Krankenhaus in Lanzhou zu verlegen.
Die chinesischen Gefängnisbehörden unterziehen politische Gefangene häufig unangemessenen und manchmal todbringenden medizinischen Prozeduren, um sie entweder einzuschüchtern oder zum Schweigen zu bringen.
Bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis litt er an zahlreichen gesundheitlichen Problemen wie Diabetes, Bluthochdruck und anderen Komplikationen im Zusammenhang mit seinem Herz, seiner Leber und seinen Augen. Die fortgesetzte polizeiliche Überwachung und andere Einschränkungen, wie z.B. die Tatsache, daß er seinen Personalausweis nicht zurückbekam, führten dazu, daß seine Familie ihn nicht in privaten Krankenhäusern unterbringen konnte, wo er eine ordentliche medizinische Behandlung erhalten hätte. Statt dessen wurde er in staatliche Krankenhäuser eingewiesen, wo sich sein Zustand überhaupt nicht besserte.
Eine Quelle mit engen Kontakten zu Jigme Gyatsos Verwandten sagte dem TCHRD: „Er ist zu früh von uns gegangen. Das war kein Alter zum Sterben. Aber seine Familie konnte aufgrund der von den chinesischen Behörden auferlegten Beschränkungen keine rechtzeitige medizinische Hilfe für ihn organisieren. Er hätte überlebt, wenn er richtig behandelt worden wäre. Er war ein außergewöhnlicher Mensch“.
Erschütternder Bericht über die Folter
In einer 22-minütigen Videoaussage über seine zweite Inhaftierung am 22. März 2008 schilderte Jigme Gyatso seine Erfahrungen mit brutaler Folter und anderen Verhörtaktiken durch chinesische Sicherheitsbeamte (2).
„Ich wurde dort einen Monat lang festgehalten, und in dieser Zeit war ich viele Tage und Nächte lang in einer Position gefesselt... Sie hängten mich mehrere Stunden lang auf, wobei meine Hände an ein Seil gebunden waren... ich hing von der Decke und meine Füße baumelten über dem Boden. Dann schlugen sie mich mit der vollen Wucht ihrer Fäuste ins Gesicht, auf Brust und Rücken. Schließlich verlor ich das Bewußtsein und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Nachdem ich im Krankenhaus wieder zu mir gekommen war, wurde ich erneut ins Gefängnis gebracht, wo sie mich weiterhin an der Decke aufhängten und schlugen. Infolgedessen verlor ich erneut das Bewußtsein und wurde ein zweites Mal ins Krankenhaus gebracht. Einmal wurde ich zwei Tage lang ununterbrochen geschlagen, ohne etwas zu essen oder einen Tropfen Wasser zu trinken. Ich litt unter Schmerzen im Unterleib und in der Brust. Beim zweiten Mal war ich im Krankenhaus sechs Tage lang ohne Bewußtsein und konnte weder meine Augen öffnen noch ein Wort sprechen.“
Hintergrund
Jigme Gyatso war Mönch und buddhistischer Gelehrter im Kloster Labrang Tashikyil im Kreis Sangchu (chin. Xiahe) in der Autonomen Tibetischen Präfektur Kanlho (chin. Gannan) in der Provinz Gansu, in der tibetischen Provinz Amdo.
Er wurde erstmals 2006 nach seiner Rückkehr aus Indien festgenommen, nachdem er an den Kalachakra-Unterweisungen Seiner Heiligkeit des Dalai Lama teilgenommen hatte. Im Jahr 2008 wurde er zum zweiten Mal verhaftet, weil er beschuldigt wurde, der Anführer eines von Labrang-Mönchen organisierten Protestes zu sein, um eine von den chinesischen Behörden durchgeführte Rundfahrt mit Medienvertretern zu unterbrechen. Diese Verhaftung endete für Jigme Gyatso fast tödlich. Er wurde jedoch freigelassen, um zu vermeiden, daß er in der Haft stirbt.
Seine dritte Verhaftung erfolgte am 4. November 2008. Er wurde in seinem Kloster festgenommen und bis zum 3. Mai 2009 in Gewahrsam gehalten. Danach wurde er unter der Bedingung von qubao houshen („Freilassung unter Bewährung, vorbehaltlich weiterer Untersuchungen“) entlassen. Diese bedingte Freilassung bedeutete, daß er weiterhin einer Reihe von Einschränkungen und Einengungen unterworfen war, etwa eingeschränkter Bewegungsfreiheit und Kommunikationsfreiheit wegen möglichen Vorladungen zu weiteren Verhören.
(1) 26.9.2012, „Woeser: “Unser Held, Labrang Jigme, wo bist Du?” - Treffen mit seinem Bruder“, http://www.igfm-muenchen.de/tibet/ctc/2012/LamaJigme-OurHero_26.9.html
(2) 6.10.2008, Eine Stimme aus Tibet: Video-Interview eines Mönches aus Amdo,
http://www.igfm-muenchen.de/tibet/ftc/2008/JigmeGyatso_Stimme_aus_Tibet.html
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