18. Oktober 2005
Tibetan Women's Association (TWA)
http://www.tibetanwomen.org


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Ein alternativer Bericht über die Gleichstellung der Geschlechter in China

  • Die Perspektive des Weißbuchs und die tatsächlichen Untersuchungsergebnisse
  • „Staatliche Instrumente zur Förderung von Gleichberechtigung und gesellschaftliche Stellung der Frau“
  • „Frauen und die Wirtschaft“
  • Die Beschäftigungssituation tibetischer Frauen
  • „Frauen und Armutsbekämpfung“
  • „Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen und im Management“
  • “Frauen und Erziehung”
  • Tibetische Frauen und Bildung
  • „Frauen und Gesundheit“
  • Tibetische Frauen und Gesundheit
  • Mutterschaft in Tibet
  • „Frauen, Ehe und Familie“
  • Einschränkung der reproduktiven Rechte der Tibeterinnen
  • „Frauen und Umwelt“
  • Das Lebensumfeld tibetischer Frauen
  • „Gesetzliche Garantien von Frauenrechten und Fraueninteressen“
  • Weibliche tibetische Häftlinge und tibetische Nonnen
  • Schlußbemerkungen

Das vom Informationsbüro des Staatsrats der Volksrepublik China im August 2005 zur “Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Frauenförderung in China” veröffentlichte Weißbuch[1] wird den an es gestellten Erwartungen nicht gerecht und hat nicht das Gewicht, das man von einem staatlichen Dokument erwarten kann. Wieder einmal erscheint China in schlechtem Licht und brüstet sich mit eigentlich unrühmlichen Zuständen.

Einleitung

Die Perspektive des Weissbuchs und die tatsächlichen Untersuchungsergebnisse

Das Vorwort beginnt bereits mit dem Eingeständnis, daß das Weißbuch im Gefolge der Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der UN-Weltfrauenkonferenz erschienen ist, die 1995 in Peking stattfand. Die Autoren des Weißbuchs meinen, diese Konferenz sei von entscheidender Bedeutung für die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und die Verbesserung der Situation der Frau gewesen. Der eigentliche Zweck des Weißbuchs besteht darin, “den Rest der Welt über Chinas Fortschritte in der Förderung der Gleichberechtigung und in der Verbesserung der sozialen Position der Frau in den letzten zehn Jahren zu informieren”. China erklärt, da es mit 1,3 Milliarden Einwohnern die bevölkerungsreichste Nation der Welt sei, von denen etwa die Hälfte Frauen sind, sei die Förderung der Gleichberechtigung und der gesellschaftlichen Stellung der Frau nicht nur für China, sondern für die Weiterentwicklung der gesamten Menschheit von entscheidender Bedeutung.

Der Inhalt des Berichts ist zu sehr auf die Theorie beschränkt und seine gesamte Argumentation ist unsolide. Die Tatsache, daß die UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking stattfand, vermochte kein Ende der Ungleichheit der Geschlechter in China, am allerwenigstens in Tibet, zu bewirken. Der Umstand, daß tibetischen Teilnehmerinnen, die aus Indien angereist waren, Visa verweigert wurden, unterstreicht dies nur noch. Eine Konferenz, die dann im Herbst 2000 in Genf mit dem Ziel organisiert wurde, die Entwicklung der Stellung der Frau in den Jahren seit der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking zu untersuchen, kam zu dem Ergebnis, daß trotz einiger Fortschritte in Sachen Gleichstellung der Geschlechter noch sehr viel zu tun sei. Im Dezember 1999 wurde vom Regionalbüro für Asien und den Pazifischen Raum der International Labour Organization (ILO) ein regionales Treffen veranstaltet, um die Entwicklung seit der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking zu beurteilen. Die Vertreter von Regierungen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus mehr als 20 Ländern erfuhren, daß die Frauen der Region trotz einiger Fortschritte von echter Gleichberechtigung immer noch meilenweit entfernt sind.

China entwirft zwar edle Visionen mit seinem angeblichen Engagement für die Gleichberechtigung nicht nur in China, sondern für die Weiterentwicklung der ganzen Menschheit. Aber genau so, wie man ein Haus mit undichtem Dach nicht renovieren kann, ist die Besorgnis um die Wohlfahrt der ganzen Menschheit müßig, solange die Lage der Frauen, speziell der Tibeterinnen in Tibet, einen Kern der Fäulnis im Inneren Chinas bildet.

Tibets Position in diesem Szenario: Das Weißbuch beunruhigt vor allem durch seine Analyse der Situation, die erkennen läßt, wieso Tibet ins Abseits gedrängt wird. Tibet ist durch die chinesische Okkupation eines der Länder, denen es von allen am schlechtesten geht, und die Tragödie der Besatzung zerstört das Leben der Tibeter und ist und bleibt ein Stachel im Fleisch des tibetischen Volks.

1. Kapitel

„Staatliche Instrumente zur Förderung von Gleichberechtigung und gesellschaftliche Stellung der Frau“ 

Das erste Kapitel stellt die Gesetze, Regeln und Programme vor, die zur Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen für den Schutz der Rechte und Interessen von Frauen geschaffen wurden. Gleichberechtigung und Frauenförderung werden als Kernaufgaben des Nationalen Volkskongresses gesehen, da der Schutz der Frauenrechte in der Verfassung der Volksrepublik China verankert sei. Die chinesische Regierung erklärt NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) wie die All China Women's Federation (ACWF – Gesamtchinesische Frauenliga), die sich für die Verbesserung der Lage der Frauen einsetzen, für eminent wichtig. Sie rühmt sich darüber hinaus der Zusammenarbeit mit den UN und hat nach eigener Aussage den Austausch und die Kooperation mit einigen Regierungen und Frauenorganisationen anderer Länder verstärkt. Das Kapitel endet mit einer verheißungsvollen Erklärung, daß China ein ernsthaftes Interesse an der Umsetzung internationaler Konventionen habe.

Die bloße Existenz von Gesetzen, politischen Richtlinien und Bestimmungen ist nutzlos, solange sie keine fruchtbaren Resultate zeitigen. Einem Artikel über Frauendiskriminierung in China auf www.china.com zufolge haben chinesische Frauen kaum eine Vorstellung vom Konzept der Gleichberechtigung. Dort heißt es, daß je nach Geschlecht und Altersgruppe in der Bevölkerung dazu unterschiedliche Meinungen existieren, jedoch insgesamt die Diskriminierung von Frauen ignoriert und als selbstverständlich hingenommen werde.

Khalid Malik, residierender Koordinator und Leiter der Vertretung des UN-Programms für Entwicklung in der Volksrepublik China, warnte China im Jahr 2004, denn er fürchte, “der Frauenmangel [infolge der Ein-Kind-Politik und der Bevorzugung männlicher Nachkommen] werde enorme Auswirkungen auf Chinas soziale, wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zukunft haben”. Unleugbar werden in China die Entscheidungen über die reproduktive Zukunft von Frauen von der herrschenden medizinischen Elite getroffen, ohne die Betroffenen oder ihre Familien einzubeziehen.

2. Kapitel

„Frauen und die Wirtschaft“

Im zweiten Kapitel brüstet sich China mit der Behauptung, Frauen hätten auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen wie Männer und Zugang zu den gleichen ökonomischen Ressourcen. Außerdem wird in ihm behauptet, daß die Regierung ein wachsames Auge auf die Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt habe. Die NGOs spielen dem Weißbuch zufolge eine wichtige Rolle bei der Wiedereingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt. Die Frauenverbände hätten zwischen 1998 und 2003 landesweit 2,5 Mio. Frauen zu einer Wiedereinstellung verholfen. Die Regierung weist auf das soziale Sicherungssystem hin, das im wesentlichen Pensionen, Arbeitsplatzgarantien, medizinische Versorgung und Mutterschaftshilfe für Frauen vorsieht. Angeblich erstreckte sich die Mutterschaftsversicherung des Sozialplans Ende 2004 flächendeckend auf 28 Provinzen sowie die autonomen Regionen und Bezirke. Frauen tun sich angeblich in Wissenschaft und Technologie hervor. Auch dieses Kapitel endet mit dem vielversprechenden Hinweis, daß China nunmehr mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Program, UNDP), der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) und anderen internationalen Organisationen zusammenarbeite und dabei befriedigende Ergebnisse erzielt habe.

In Wirklichkeit ist die vorherrschende Situation am Arbeitsplatz eine ganz andere. So berichtet China Daily in einer Reportage: “Viele Frauen sagten aus, sie hätten gleich am ersten Tag an einer neuen Arbeitsstelle Beschwerden ihrer Vorgesetzten darüber zu hören bekommen, daß sie Frauen sind”. Ein Bericht bei International Institute of Social History, Amsterdam, www.iisg.nl weist darauf hin, daß die wirtschaftlichen Veränderungen in China, insbesondere die Dekollektivierung der ländlichen Regionen, zu einer Schwächung der Position der Frauen geführt haben. Laut einer Umfrage von China Youth Daily glauben 77,3 % der Befragten, das dringendste Problem sei die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Wirtschaftliche Gleichberechtigung gehört zu den grundlegenden Rechten, und doch richten sich die meisten Stellenanzeigen ausschließlich an Männer.

Die Einführung der Marktwirtschaft hat gravierende Folgen für die Situation der chinesischen Frauen, und die wirtschaftlichen Reformen in China haben viele neue soziale Probleme geschaffen, z.B. das Entstehen einer großen, aus ländlichen Gebieten stammenden Wanderarbeiterpopulation und die damit einhergehenden Begleiterscheinungen. Diese Wanderarbeiter, von denen viele Frauen sind, strömen in die Städte, da sie hoffen, dort ihre wirtschaftliche Lage verbessern zu können, aber sie enden dort in einem Teufelskreis. Wirtschaftliche Reformen haben auch zur Diskriminierung von Frauen im Arbeitsleben geführt. Nachdem die Bemühungen um Gleichberechtigung am Arbeitsplatz scheiterten und das Wirtschaftswachstum ausblieb, haben Frauen angesichts von Mittelkürzungen, sinkenden Einkommen und sich auflösenden Märkten hart zu kämpfen, um wenigstens die Grundversorgung ihrer Familien zu gewährleisten.

Die Beschäftigungssituation tibetischer Frauen

Seit 1995 haben verschiedene internationale Institutionen Anzeichen einer weitgehenden Diskriminierung von Tibetern auf dem Arbeitsmarkt in Tibet gefunden. Mit dem Beginn der “Sinisierung Tibets” steigt die Arbeitslosigkeitskurve dramatisch an. Als logische Folge davon nahm auch die Armut der in Tibet lebenden Tibeter zu. Die Sprachbarriere ist das größte Hindernis bei der Arbeitssuche: Viele Tibeter finden keine Anstellung, weil sie kein Chinesisch sprechen. Tibetische Frauen befinden sich offensichtlich auf der untersten Stufe der Arbeitshierarchie und werden für die gleiche Leistung schlechter bezahlt als Männer. Sexuelle Belästigung von Tibeterinnen am Arbeitsplatz trägt weiter zur Verschärfung ihrer Situation bei. Die chauvinistische chinesische Politik hat die Tibeterinnen in unsichere, ausbeuterische und unterbezahlte Arbeitsverhältnisse gedrängt, mit denen sie ihre Familien kaum über Wasser halten können.

3. Kapitel

„Frauen und Armutsbekämpfung“

Das dritte Kapitel stellt großartige Behauptungen auf über die Reduzierung der Armut von 80 Millionen betroffenen Einwohnern im Jahr 1994 auf 26,1 Millionen im Jahr 2004 und Investitionen von 12,2 Milliarden Yuan, die 2004 vom Finanzministerium der Zentralregierung und den Lokalverwaltungen in die Armutsbekämpfung gesteckt wurden. Gleichberechtigung ist für die Reduzierung der Armut von zentraler Bedeutung. Das Programm namens “Wege zur Stärkung des gesamten Dorfs” erreichte angeblich 148.000 arme Dörfer landesweit. Und auch hier spielen die NGOs in den Entwicklungsprojekten und Programmen eine zentrale Rolle.

Trotzdem spricht ein UN-Report von nicht durchweg positiven Ergebnissen im Prozeß der Armutsbekämpfung bei chinesischen Frauen, da “die Frauenförderung durch die Verschärfung der geschlechtsspezifischen Diskriminierung sowie den unsicheren Status unverheirateter Witwen und kinderloser Frauen als ökonomisch schwächster Gruppe konterkariert wird”. Der Bericht stellt weiterhin fest, daß “trotz Chinas beeindruckender wirtschaftlicher Erfolge die Armutsrate unter älteren Frauen unverhältnismäßig hoch ist, die Selbstmordrate unter Frauen ansteigt und das gestörte Geschlechtergleichgewicht unter Neugeborenen gravierende demographische Konsequenzen für die Zukunft haben wird”. Der Bericht warnt davor, daß der allgemein beobachtete Anstieg männlicher Neugeborener gegenüber weiblichen “schwerwiegende Folgen für die Zukunft” haben werde. Eine Milliarde der Menschen in China leben oberhalb der Armutsgrenze[2]; Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes ist eine Schwachstelle der Wirtschaft, die Armut erzeugt.

Für ein Mädchen, das in China, speziell Tibet, in eine arme ländliche Gemeinschaft von Angehörigen einer ethnischen Minderheit hineingeboren wird, sind die Zukunftsaussichten schlecht. Sie wird mit größerer Wahrscheinlichkeit unter Armut leiden als die meisten ihrer Landsleute. Mit hoher Wahrscheinlichkeit erhöhen Mangelernährung und die fehlende medizinische Versorgung während ihrer ersten fünf Lebensjahre ihre Gefährdung. Wenn sie die Schule besuchen könnte, fände der Unterricht wahrscheinlich nicht in ihrer Muttersprache statt, so daß sie Analphabetin bliebe. Sollte sie nicht in der Landwirtschaft arbeiten wollen, hätte sie noch weniger Optionen als ihr Bruder und sollte sie doch Arbeit finden, so würde sie schlechter dafür bezahlt. Sollte sie in die Stadt ziehen, würde sie die Zahl arbeitsloser Armer in den Städten weiter erhöhen. Andauernde Armut und Verzweiflung würden sie zu einem riskanten oder gesundheitsgefährdenden Verhalten veranlassen, was wiederum eine medizinische Behandlung erforderte, die für sie im städtischen Milieu nicht bezahlbar und in ihrer Heimatgemeinde nicht verfügbar wäre. Wenn sie dann im Alter auf Hilfe angewiesen wäre, hätte sie infolge ihres sinkenden Arbeitseinkommens niemanden, der für die sorgt.

Die Armut hat mithin in China ein weibliches Gesicht. Frauen sind im Agrarsektor, wo die Einkommen am niedrigsten sind, überrepräsentiert und verdienen in den Grauzonen des Arbeitsmarkts kaum genug zur Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse, so daß ein unverhältnismäßig großer Teil von ihnen unter Armut leidet.

4. Kapitel

„Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen und im Management“

Das vierte Kapitel betont die Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz und die Bedeutung von weiblicher Partizipation in Verwaltung und Politik. China mißt nach eigener Aussage der Ausbildung von weiblichen Kadern aus ethnischen Minderheiten und der Stärkung ihrer Fähigkeit, sich politisch einzubringen, großen Wert bei. Auch wird von zunehmender politischer Beteiligung von Frauen an der gesellschaftlichen Basis und enthusiastischer weiblicher Beteiligung bei den Wahlen zu Nachbarschafts- und Dorfkomitees sowohl auf dem Land als auch in den Städten gesprochen. Auch hier wird den NGOs wie der All-China Women’s Federation wieder eine wichtige Rolle zugesprochen, da sie die Aktivitäten der Regierung zur Reform und Umsetzung der Gesetze überwachen, welche die Rechte und Interessen der Frauen betreffen.

Aber laut Lu Jinfang, der Vorsitzenden der All-China Women’s Federation in Nordchina, sind die Frauen in einem Teufelskreis gefangen. Frauen haben kaum Gelegenheit, in die Politik oder in den Staatsdienst zu gehen, da solche Positionen weitgehend Männern vorbehalten sind. Solange Frauen damit beschäftigt sind, die Grundversorgung ihrer Familien sicherzustellen, stellt sich die Frage eines aktiven Engagements in Management und Verwaltung erst gar nicht. Und die aktive Beteiligung von Tibeterinnen auf Management-Ebene steht ohnehin nicht zur Diskussion, solange sie ihrer sozialen und ökonomischen Rechte beraubt sind.

5. Kapitel

“Frauen und Erziehung”

Das besonders umfangreiche fünfte Kapitel ist bemüht, die Chancengleichheit von Männern und Frauen in Sachen Bildung hervorzuheben, die im “Chinesischen Bildungsgesetz”, im “Gesetz zur Schulpflicht” und “Berufsausbildungsgesetz” festgeschrieben ist. Abgesehen von der neunjährigen Schulpflicht für Mädchen, werde Frauen mehr Gelegenheit zu weiterführender und höherer Schulbildung gegeben. Statistiken von 2004 zeigten lediglich einen minimalen Unterschied in den Einschulungszahlen von Jungen und Mädchen (98,97 % gegenüber 98,93 %). Ein Budget von 139.362 Milliarden Yuan wurde 2004 für die Unterstützung der Gemeinden bei der Umsetzung der Schulpflicht bewilligt. Auch dieses Kapitel endet mit einem optimistischen Ausblick in die Zukunft, der die Beseitigung des Analphabetismus unter Frauen prognostiziert und die Förderung von Alphabetisierungsprogrammen für Frauen aus armen und von ethnischen Minderheiten bewohnten Regionen ankündigt.

Gegenüber einem Journalistenforum in Peking sagten China Daily zufolge mehrere Dutzend Frauen aus Bauerndörfern bei Peking, sie seien nach wie vor durch ungleiche Bildungschancen und mangelnde berufliche Möglichkeiten, jedoch in erster Linie durch die traditionellen stereotypen Geschlechterrollen benachteiligt. Ein viel beschworenes Klischee ist, daß Frauen Männern wegen ihrer mangelhaften Bildung und ihres Lebensstiles unterlegen seien. Ein weiteres weit verbreitetes und allgemein akzeptiertes Vorurteil besagt, daß Frauen nach ihrer Ausbildung dazu bestimmt seien, Hausfrauen zu werden. Die Aussage von Chu, daß Studentinnen und sogar Doktorandinnen vieler bekannter Universitäten nach Abschluß ihres Studiums Hausfrau werden wollten, löste hitzige Debatten über diesen Punkt aus.

Professor Tao Jie von der Peking-Universität äußerte während eines Workshops, daß bei Personalabbau in den Fabriken Frauen als Erste entlassen würden, da weibliche Angestellte teurer seien als männliche. Wenn beispielsweise eine Arbeiterin in Mutterschaftsurlaub geht, muß die Fabrik ihr 1.500 Yuan an Gehalt und zusätzlichen Leistungen zahlen. Vor kurzem fand man heraus, daß sogar Universitätsabsolventinnen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Wegen der Kontingentierung bei der Einstellung von neuem Personal in Forschungseinrichtungen oder Arbeitseinheiten werden auch im akademischen Bereich in der Regel männliche Studenten bevorzugt. Die Arbeitseinheiten geben vielerlei Gründe für die Bevorzugung männlicher Universitätsabsolventen an: Es sei für Frauen nicht sinnvoll, am Geschäftsleben teilzunehmen, Studentinnen könnten keine körperliche Arbeit verrichten, außerdem würden sie mit einiger Wahrscheinlichkeit sehr bald heiraten und Kinder bekommen.

Ein anderes Gebiet, wo offensichtliche Diskriminierung herrscht, ist die Schulausbildung von Mädchen, was in der Regel auf die Armut der Eltern zurückzuführen ist. Aber auch vergleichsweise gut situierte Familien weigern sich, Mädchen zur Schule zu schicken. Dies ist in der traditionellen Vorstellung begründet, daß Jungen und Männer wichtiger seien als Mädchen und Frauen und daß auch ungebildete Frauen ihre traditionelle Funktion als Gebärerin von Nachwuchs erfüllen können. Infolgedessen haben Mütter, also die meisten Frauen in ländlichen Gebieten, nur eine rudimentäre Schulbildung und kommen meist nicht auf den Gedanken, ihre Töchter zur Schule zu schicken. Die von Zhang Li Xin 1997 an der Beijing Normal University durchgeführte Fallstudie ergab, daß die chinesische Gesellschaft Frauen als besonders geeignet für bibliothekarische Tätigkeiten ansieht, weil die Arbeitsbedingungen für Bibliothekare in China schlecht sind. Das Gehalt ist niedrig, die Arbeit z.T. schwer, und es gibt kaum Möglichkeiten zum beruflichen Aufstieg. In gewisser Weise ist dies Frauendiskriminierung. Die Wissenschaftlerin kam während ihrer Feldforschung im Dorf Haogeng (Provinz Anhui) zu der Erkenntnis, daß der Bildungsunterschied zwischen Männern und Frauen extrem groß ist, dies aber von beiden Geschlechtern als normal hingenommen wird.

Tibetische Frauen und Bildung

Insbesondere seit 1995 bekommen tibetische Kinder nicht die Ausbildung, die ihnen dem chinesischen Gesetz zufolge zusteht. Auch wenn tibetische Kinder insgesamt von Diskriminierung und Verstößen gegen die Gesetze betroffen sind, so sind es doch insbesondere Mädchen, die Opfer geschlechtsspezifischer Diskriminierung werden. Die Faktoren, die dazu führen, daß tibetische Kinder und speziell Mädchen bei Bildung und Ausbildung benachteiligt sind, sind die hohen Schulgebühren und die Unterrichtssprache Chinesisch. Letzteres steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Politik, die ihnen die sprachliche und kulturelle Identität verweigert. Im Bemühen, jegliche Religiosität auszulöschen, bedient sich die chinesische Politik unverhohlen maoistischer Indoktrination. Infolge der 1996 in Tibet durchgeführten chinesischen Kampagne mit dem Motto “Hart zuschlagen” dürfen Kinder unter 18 Jahren in keine religiöse Institution mehr eintreten. In Folge dieser Kampagne sind laut dem Tibetischen Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (Tibetan Center for Human Rights and Democracy, TCHRD) bis Mai 1999 über 3.993 Mönche und Nonnen aus ihren Klöstern ausgeschlossen worden. Derartige indirekte Maßnahmen wirken ausgesprochen zermürbend auf die tibetische kulturelle Identität, und selbst einige vergleichsweise sinnvolle Bildungsmaßnahmen zeigen nur wenig Wirkung.

6. Kapitel

„Frauen und Gesundheit“

Das sechste Kapitel unterstreicht, daß die Volksrepublik China der Gesundheit der chinesischen Frauen herausragende Bedeutung im Kampf um Gleichberechtigung und Verbesserung der sozialen Position von Frauen beimesse. Dies zeige sich in verstärkten Investitionen in die medizinische Versorgung von Frauen und Kindern. Die Regierung lege besonderes Gewicht auf die Gesundheitsfürsorge für Teenager und ältere Frauen. Die Rate von im Kindbett gestorbenen Frauen sei zwischen 1994 und 2004 von 61,9 auf 48,3 pro 100.000 Geburten zurückgegangen. Frauen würden bei der Prävention und Behandlung von HIV/AIDS besonders berücksichtigt, und der Staat bemühe sich besonders, die Ansteckung von Babies durch ihre Mütter zu verhindern. In ganz China hätten zum Welt-AIDS-Tag unter dem Motto “Nehmt Rücksicht auf Frauen, sagt nein zu AIDS” zahlreiche Aktivitäten stattgefunden. Triumphierend berichtet die chinesische Regierung von ihrer erfolgreichen Kooperation mit vielen internationalen Organisationen im Kampf gegen HIV/AIDS.

Dies klingt beeindruckend. Aber die UN-Konvention über Kinderrechte schreibt vor, daß das Recht von Kindern auf Leben und Entwicklung besonders zu schützen sei. Im Gegensatz dazu wurden jedoch Augenzeugenberichten zufolge, die der Organisation Human Rights Watch zugespielt wurden, Aktivisten, die mit hohem persönlichem Risiko Informations-Workshops veranstalteten oder mit Angehörigen von Risikogruppen arbeiteten, schikaniert und verhaftet. Außerdem werden die Pornographie-Gesetze auf Websites angewandt, die AIDS-Aufklärung betreiben, um sie zu zensieren. HIV-Infizierte sind in China Opfer einer weitverbreiteten Diskriminierung, da sie keine medizinische Versorgung bekommen und die Krankenhäuser ihnen die Behandlung verweigern. Die Gesetzgebung diskriminiert Betroffene, und mancherorts verbieten ihnen kommunale Gesetze, öffentliche Schwimmbäder zu besuchen oder in der Nahrungsmittelindustrie zu arbeiten. Statt ihnen Hilfe zukommen zu lassen, werden sie in den Untergrund gedrängt.

Laut http://www.bbc.co.uk soll Wei Jian'an, ein Mitarbeiter des chinesischen Amts für AIDS-Prophylaxe und Behandlung, gegenüber China Daily gesagt haben, daß “die Anzahl HIV/AIDS-infizierter Frauen ständig ansteige. Die meisten erst vor kurzem infizierten Frauen haben sich durch Geschlechtsverkehr angesteckt. Manche von ihnen gehören zur Risikogruppe der Prostituierten. Viele Frauen haben sich auch durch den Verkauf von Blut infiziert.” Gesundheitsminister Gao Qiang machte die mangelnde Aufklärung über die Krankheit besonders unter Frauen in armen ländlichen Gebieten für die steigenden Infektionszahlen verantwortlich. Man geht in China davon aus, daß 840.000 chinesische Staatsbürger HIV-positiv sind, einschließlich der 80.000 AIDS-Kranken. International tätige Gruppen vermuten jedoch, daß die tatsächlichen Zahlen bedeutend höher liegen. Die AIDS-Agentur der Vereinten Nationen (United Nations Program on HIV/AIDS, UNAIDS) prognostiziert, daß ohne drastischere Präventionsmaßnahmen im Jahr 2010 zehn Millionen Chinesen und Chinesinnen infiziert sein könnten.

Tibetische Frauen und Gesundheit

Was auch immer die chinesischen Behörden über Fortschritte in der medizinischen Versorgung von Frauen behaupten, so haben Untersuchungen gezeigt, daß Tibeterinnen nicht in den Genuß dieser Entwicklung kommen. Viele Quellen weisen im Gegenteil sogar darauf hin, daß tibetische Frauen noch nicht einmal Zugang zu medizinischer Grundversorgung haben oder sie nicht bezahlen können, wenn sie verfügbar ist. Vielfach vermeiden Frauen es auch, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, da sie fürchten, zur Sterilisation oder Abtreibung gezwungen zu werden. Viele weibliche politische Gefangene sind nach Folterungen infolge mangelnder medizinischer Behandlung gestorben. Aussagen Betroffener zufolge bekommen Frauen in Gefängnissen während ihrer Menstruation weder Watte noch Binden, obwohl dies zu den grundlegenden Hygienemaßnahmen gehört. Statt dessen machen sie sich provisorische Binden, indem sie ihre eigene Kleidung zerschneiden, oder verschmutzen ihre Kleidung, dürfen sie aber nicht waschen. Untersuchungen zufolge findet in Tibet praktisch keine Aufklärung über AIDS/HIV statt. Berichte darüber, daß in den Krankenhäusern für bis zu 50 Patienten und Patientinnen die gleiche Injektionsnadel benützt wird, weisen auf das völlige Fehlen von Information oder Aufklärung über Infektionsrisiken hin. Zudem müssen Tibeterinnen und Tibeter allgemein für medizinische Behandlungen bezahlen, die für Chinesinnen und Chinesen gratis sind. Bei http://www.womensenews.org findet sich ein Bericht mit dem Titel “US-Team nimmt Todesrate von Müttern in Tibet aufs Korn”[3] von der „Women's E-News“ Korrespondentin Juhie Bhatia, in dem steht, daß nach Angabe des Gesundheitsbüros der Autonomen Region Tibet durchschnittlich 325 von 100.000 Lebendgeburten für die Mutter tödlich verlaufen. Der Tibet Poverty Alleviation Fund (Fonds zur Armutsbekämpfung in Tibet) in Cambridge spricht sogar von einer Todesrate von 500 bei den Müttern von 100.000 lebend geborenen Säuglingen. Diese hohe Sterberate macht Tibet für werdende Mütter zu einem der gefährlichsten Länder Asiens.

Tibeterinnen werden, was die Gesundheitsfürsorge in Tibet angeht, als Angehörige der tibetischen Minderheit und als Frauen diskriminiert. Dies verstößt gegen internationales Recht und humanitäre Gesetze und trägt weiter zu der Ohnmacht und Entwürdigung bei, unter denen tibetische Frauen in Tibet leiden.

Mutterschaft in Tibet

Laut http://www.womensenews.org fanden Sera Bonds und Adam Bloomberg gleich die erste der sechs von ihnen im Juni 2004 besuchten tibetischen Kliniken in desolatem Zustand vor: “Das Dach war undicht, der Fußboden schmutzig und naß, der Raum dunkel, es gab keinen Strom und der fleckige Entbindungstisch schien nicht mehr benutzt zu werden”. Über die Kliniken in der Präfektur Nagchu, die elf Bezirke umfaßt, legten die beiden im Bereich öffentliches Gesundheitswesen tätigen Forscher ein Gutachten vor, dem zufolge “die Qualitätsstandards der Gesundheitsfürsorge in Tibet einen Schritt hinter dem übrigen China zurück sind”. Die Statistiken zeigen, daß tibetische Frauen mit sechs- bis zehnfach höherer Wahrscheinlichkeit im Kindbett sterben und ihre Kinder bis zu drei Mal schlechtere Überlebenschancen haben als Chinesinnen und ihr Nachwuchs.

7. Kapitel

„Frauen, Ehe und Familie“

Das siebte Kapitel erinnert an die frühe Ehegesetzgebung der Volksrepublik China, die gleiche Rechte für Frauen in Ehe und Familie vorsieht und 2001 noch einmal überarbeitet wurde. Regierungskampagnen wie die Aktion “Kümmert euch um die Mädchen” von 2003 ächten die traditionelle Bevorzugung von Jungen gegenüber Mädchen. Die Gesetze der VR China sehen vor, daß die Rechte und legitimen Interessen älterer Frauen geschützt werden. Das Projekt zur Hebung der moralischen Standards der chinesischen Staatsbürger setzt sich für die persönliche Entscheidungsfreiheit in Liebe und Ehe, den Respekt gegenüber Senioren, Zuwendung und Sorge für Kinder, den Aufbau einer harmonischen Familie und gute nachbarschaftliche Beziehungen ein. Ebenso nimmt die chinesische Regierung für sich in Anspruch, daß sie sich aktiv an UN-Resolutionen und anderen familienpolitischen Aktivitäten beteiligt habe, wie der World Family Organization (WFO) im Jahr 2001 und der UN Doha International Conference on the Family (Doha Runde) von 2004. China ist stolz darauf, das Gastgeberland des Weltfamiliengipfels (World Family Summit) gewesen zu sein.

Aber China Daily berichtet, daß sich in den größeren Städten Chinas zwar der Status von Frauen verbessert habe, auf dem Land jedoch Frauen nach wie vor in der Küche essen müßten, wenn Gäste kommen, selbst wenn es sich dabei um ihre eigenen Freundinnen handelt. Ein Bericht über reproduktive Rechte bei http://www.overpopulation.com räumt ein, daß Chinas Ein-Kind-Politik eine extreme Maßnahme zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums war. In China “fehlen” bis zu 500.000 Mädchen. Die gängige Erklärung für dieses “Phänomen” ist Kindesmord, und von dieser Geschlechterdiskriminierung sind Mädchen in den ärmeren Regionen besonders stark betroffen. Das Nationale Zentrum für die Gesundheit von Frauen und Kindern (National Center for Women and Children Health, China CDC, Beijing 100083) räumt ein, daß in Entbindungskliniken routinemäßig Screening-Verfahren zur Geschlechtserkennung mit nachfolgender Abtreibung durchgeführt werden, und berichtet über häusliche Gewalt gegenüber Frauen vor, während und nach der Schwangerschaft.

Einschränkung der reproduktiven Rechte der Tibeterinnen

Den Vereinten Nationen zufolge haben Frauen das Recht auf reproduktive Entscheidungsfreiheit sowie eine adäquate und sichere medizinische Versorgung. Das US State Department, die Vereinten Nationen, diverse NGOs und unabhängige Forscher haben bestätigt, daß Chinas staatlich geförderte Politik zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums, die Praktiken wie erzwungene Geburtenkontrolle und Zwangssterilisation begünstigen, in Tibet diskriminierend und brutal angewendet werden. Im Bemühen, die tibetische Bevölkerung in ihrem eigenen Land zu einer unbedeutenden und rechtlosen Minderheit zu machen, verstößt die chinesische Regierung systematisch gegen die reproduktiven Rechte der tibetischen Frauen. Eine derartige Politik hat katastrophale Folgen: Der tibetischen Exilregierung zufolge lebten 1996 bereits 7,5 Millionen Han-chinesische Siedler in Tibet, und schon damals stellten die Tibeter im eigenen Land eine ethnische Minderheit dar, die nur noch 44% der Gesamtbevölkerung ausmachte. Die Anzahl der Han-Chinesen in Tibet hat seither weiter zugenommen und wird nach Fertigstellung der Eisenbahnverbindung nach Tibet sprunghaft ansteigen.

Die Forschung zeigt, daß die durchschnittliche Kinderzahl von Tibetern bis 1999 bei zwei bzw. drei lag, je nachdem, ob sie in der Stadt oder auf dem Land lebten. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, daß infolge der verstärkten Bemühungen der chinesischen Besatzungsmacht die Quote auf zwei Kinder in ländlichen Regionen und ein Kind in städtischen Räumen gesunken ist. Die Maßnahmen der chinesischen Behörden zur Familienplanung mit Hilfe von Injektionen, dem Einsetzen von Spiralen, Medikamenten, Sterilisation, Abtreibung, der Verzögerung von Eheschließungen und einer erzwungenen Wartezeit bis zur nächsten Geburt zeigen Erfolg. Es liegen auch Berichte darüber vor, daß man sich eine Genehmigung ausstellen lassen müsse, um ein Kind bekommen zu dürfen, der Monatszyklus von Frauen überwacht werde und in bestimmten Abständen unangekündigte Schwangerschaftsuntersuchungen vorgenommen würden. Wer diesen Anordnungen nicht Folge leistet, muß mit schweren Strafen rechnen. Diese Praxis stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Eltern und das Recht einer Frau auf selbstbestimmte Mutterschaft dar.

8. Kapitel

 „Frauen und Umwelt“

Im achten Kapitel des Weißbuchs wird die chinesische Regierung als sehr bemüht dargestellt, eine dem gesunden Leben und der Entwicklung von Frauen förderliche Umwelt zu schaffen und die Bedeutung von Frauen für die Erhaltung und Verbesserung der Umwelt betont. Es werde versucht, die Rolle von Frauen in der nachhaltigen Entwicklung zu stärken. Die NGOs seien in diesem Bereich aktiv; gemeinsam mit der Regierung engagierten sie sich in Umweltprojekten zur Lösung des Trinkwasserproblems in ländlichen Gemeinden und bemühten sich um Einrichtungen, die das Leben der Bevölkerung erleichtern und die Entwicklung des öffentlichen Lebens fördern. Print- und audiovisuelle Medien, ebenso wie das neue Medium Internet spielten bei der Verbreitung von Informationen über die Bedeutung der Gleichberechtigung für die gesellschaftliche Entwicklung und die Stärkung der Rolle der Frau in der Gesellschaft eine zentrale Rolle.

Tatsächlich jedoch leben Frauen in China in Unsicherheit. Wie China Daily berichtet, haben die Frauen in ländlichen Regionen trotz ihrer negativen Erfahrungen beschlossen, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Die Tatsache, daß Bars, Diskotheken und unzählige Bordelle überall aus dem Boden schießen, spiegelt den wachsenden Markt für Prostitution wider, der in China blüht und gedeiht. Die plötzliche Offensive dagegen wirft ein Schlaglicht auf den illegalen chinesischen Handel mit Sex und lenkt die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf den Menschenhandel

Das Lebensumfeld tibetischer Frauen

Das Problem der zunehmenden Prostitution ist auf die ökonomischen Schwierigkeiten, die Diskriminierung und den Mangel an Möglichkeiten zur Lebensgestaltung zurückzuführen, denen sich tibetische Frauen ausgesetzt sehen. Viele von ihnen sehen sich entgegen ihrem Willen gezwungen, diesem scheußlichen Gewerbe nachzugehen. Die Zunahme dieses „Handels mit dem Fleische“ steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Herabwürdigung und Ausbeutung von Frauen, die letzten Endes zur Gewalt gegen Frauen führt. Durch die verschiedenen Vorschriften, Gesetze und politischen Strategien, welche die soziale Ungleichheit, politische Unterdrückung, wirtschaftliche Stagnation, religiösen Einschränkungen und den kulturellen Verfall verstärken, werden die frühere soziale Sicherheit, die politische Stabilität, der Wohlstand, die religiöse Praxis und kulturelle Identität zerrüttet und schließlich zum Verschwinden gebracht. Frauen in Tibet leben in einem Umfeld, das von Zerstörung, Depression, Verfall und allgegenwärtiger Unterdrückung gekennzeichnet ist.

Zudem suggerieren die chinesischen Versprechen staatlicher Maßnahmen und gesetzlicher Garantien, daß Frauen aktiv an der Gestaltung politischer, ökonomischer und sozialer Prozesse beteiligt seien, wovon in Tibet nicht im mindesten die Rede sein kann. Frauen in Tibet sind Opfer der chinesischen Unterwerfungspolitik, und ihr Leben ist von Leiden, Untätigkeit und tiefsitzendem Ressentiment gekennzeichnet. China ist von vornherein lediglich daran interessiert, die naiven Tibeter möglichst geschickt zu manipulieren und schert sich nicht darum, daß dieser Teil seiner Bevölkerung dem Untergang geweiht ist.

9. Kapitel

 „Gesetzliche Garantien von Frauenrechten und Fraueninteressen“

Das neunte Kapitel stellt das Rechtssystem zum Schutz der Rechte und Interessen von Frauen dar. Es diskutiert die Gesetze und Verordnungen, die zur Schaffung von Gleichberechtigung und besseren Bedingungen für Frauen erlassen worden sind. 2003 verabschiedete die Regierung das Gesetz über Rechtshilfe und ist seither verpflichtet, den Bürgern und Bürgerinnen unentgeltliche Rechtshilfe zur Verfügung zu stellen, was für verarmte Frauen eine wesentliche Hilfestellung im Kampf gegen Benachteiligung sein soll. Der chinesische Staat entfaltet dem Weißbuch zufolge eine Vielzahl von Aktivitäten zugunsten von Frauenrechten und Fraueninteressen, die hauptsächlich der Publicity dienen. Die Jurisdiktion bekämpfe häusliche Gewalt gegen Frauen mit schweren Strafen. Verbrechen wie Entführung und Menschenhandel werden schwer geahndet. Dem Schutz der Rechte von weiblichen Kriminellen und Untersuchungsgefangenen sei der getrennte Strafvollzug für Männer und Frauen gefolgt, wo zur Betreuung weiblicher Strafgefangener Polizistinnen und Ärztinnen eingesetzt würden. Wenn die Gefangenen entlassen sind, sei Resozialisierung ein wichtiges Thema, und der Wiedereingliederungsprozeß werde durch Bildung, Vermittlung geeigneter kultureller Inhalte und verschiedene Aktivitäten gefördert.

Eine 1997 entstandene Forschungsarbeit von Zhang Li Xin, die am Fremdspracheninstitut der Beijing Normal University tätig ist, vermittelt ein generelles Bild von der Lage der Frauen in China. Laut Zhang Li Xin “folgt die Frauenforschung im chinesischen Kernland immer der nationalen Politik, aber es gibt kaum Untersuchungen zur realen Situation der Frauen”. Und ebenso wenig, wie es adäquate Forschung zu diesem Thema gibt, werden die gesetzlichen Garantien von Frauenrechten und Fraueninteressen umgesetzt. Eine Forschungsarbeit über mißhandelte Frauen von Xiao Shuqiao untersucht das Leben von Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Aber China bleibt weit hinter internationalen Standards zurück, da man hier das Problem bis in die 90er Jahre hinein ignoriert hat. Es heißt in dieser Arbeit, das Thema „Mißhandlung von Frauen“ sei fast wie Brachland, das gepflügt und gejätet werden müsse: „Interviews zu Gewalterlebnissen sind ein sehr heikles Thema für chinesische Frauen, da ehern am Grundsatz festgehalten wird, daß häusliche Schande nicht an die Öffentlichkeit dringen darf.”

Behauptungen, daß weibliche Häftlinge im Gefängnis durch Polizistinnen bewacht und nach ihrer Entlassung in die Gesellschaft wiedereingegliedert würden, entbehren jeglicher Grundlage: Die Gefangenen werden nämlich häufig erst dann aus der Haft entlassen, wenn sie dem Tode nahe sind, damit die chinesischen Behörden nicht für ihren Tod zur Verantwortung gezogen werden können. Viele Opfer berichten, daß sowohl weibliches als auch männliches Gefängnispersonal bei Prügelstrafen und Folter anwesend seien, jedoch hauptsächlich die männlichen Aufseher sie aktiv anwenden.

Weibliche tibetische Häftlinge

Als politische Gefangene sind Frauen brutaler geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, insbesondere sexueller Folter. Entgegen den UN-Standards, die das Recht schwangerer Frauen in der Haft auf spezielle Unterbringung festschreiben, gibt es viele Berichte über schwangere Frauen, die so lange geschlagen wurden, bis sie eine Fehlgeburt erlitten. Damchoe Pelmoe, die 2003 nach Indien fliehen konnte, berichtete, daß sie im vierten Monat ihrer Schwangerschaft ihr Kind infolge schwerer Mißhandlungen verlor. Sie wurde u.a. gezwungen, während der Verhöre 14 Stunden in einem kalten Raum zu stehen. Außerdem wurde sie mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. Geschlechtsspezifische Folter wird oft angewandt und nimmt vermutlich weiter zu. Das Alter der Opfer scheint keine Rolle zu spielen, da Berichte über Folterungen sowohl kleiner Mädchen wie auch älterer Frauen vorliegen.

Seit 1995 haben diverse internationale Gremien und Regelwerke, darunter die “Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen“ (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women, CEDAW),), das „Komitee für die Rechte des Kindes“ (Committee on the Rights of the Child, CRC) und die „Internationale Konferenz zu technologiegestütztem Lernen“ (International Conference on Learning with Technology, ICLT) große Besorgnis über die Auswirkungen der chinesischen Gesetzgebung auf die tibetische Bevölkerung geäußert. In der Weltgemeinschaft, einschließlich vieler UN-Komitees, Staatsregierungen und NGO, herrscht ein breiter Konsens darüber, daß Gewalt gegen Frauen ein ernst zu nehmendes globales Problem darstellt. Tibetische Frauen sind einem breiten Spektrum von Gewalt wie Folter, Vergewaltigung und Verletzung ihrer reproduktiven Rechte ausgesetzt.

Für tibetische Nonnen ist die Lage besonders kritisch, da sie auf Grund ihres Status als Nonnen systematisch geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind. Schätzungen zufolge sind 80% der weiblichen politischen Gefangenen in Tibet Nonnen. Die Rechtsverletzungen an ihnen stellen nicht nur eine Mißachtung der Menschenrechte dar, sondern erfüllen auch den Tatbestand der religiösen Verfolgung.

Schluß

Schlussbemerkungen

Ein am 19. September 2005 in der Times of India veröffentlichter Bericht von Michael Sheridan bestreitet rundheraus die Gültigkeit des Weißbuchs, nachdem Anklagen über Zwangsabtreibungen in China den chinesischen Präsidenten massiv in Verlegenheit gebracht hatten. Diese Nachricht kommt zu einem Zeitpunkt, an dem China triumphierend die angeblich herrschende Gleichberechtigung und die verbesserte Stellung der Frau in der chinesischen Gesellschaft verkündet. Erschreckende Enthüllungen über erzwungene Abtreibungen und Zwangssterilisationen in China kompromittierten letzte Woche die chinesische Regierung bei Präsident Hu Jintaos Auftritt vor der Weltöffentlichkeit. Aufgedeckt wurden diese Fälle von einem 34-jährigen blinden Menschenrechtler namens Guan Cheng, der laut dem Bericht in der Times of India vom 19. September 2005 die der eigenen Gesetzgebung zuwider laufende chinesische Praxis der Geburtenkontrolle enthüllte. Der Aktivist steht jedoch unter Hausarrest in Linyi, einer Stadt mit 10 Millionen Einwohnern in der Provinz Shandong, 650 Kilometer südöstlich von Peking, aus der die gravierendsten Fälle von Übergriffen gegen die Menschenrechte berichtet werden. Die überwiegend arme Bevölkerung dieser Stadt erinnert sich an die brutalen Zwangsmaßnahmen, die im März 2005 begannen, als die lokalen Behörden wegen der Zahl der ungeplanten Geburten unter Druck gerieten.

Inzwischen ist es offiziell, daß die Landbevölkerung sich nur dann erlauben kann, mehr als ein Kind zu haben, wenn das Erstgeborene entweder ein Mädchen oder behindert ist. Dies zeigt die immer noch vorherrschende Bevorzugung von Jungen gegenüber Mädchen. Aber als die Frauen in Linyi weiterhin mehr als zwei Kinder bekamen, wurden die ortsansässigen unteren Kader der Kommunistischen Partei verhört und wegen Unfähigkeit entweder entlassen oder degradiert. Sie rächten sich an den betroffenen Frauen und machten sie schließlich in jeder Hinsicht zu Opfern. Zahlreiche Zeugen sagten aus, daß Nachbarn und Familienmitglieder der Opfer als Geiseln genommen und bedroht wurden, um sie zum Gehorsam zu zwingen. Es wird allgemein erwartet, daß Chengs Enthüllungen Präsident Hu Jintao während seines USA-Besuchs in massive Bedrängnis bringen und auch Präsident Bushs Pläne für seinen China-Besuch im kommenden November beeinflussen werden.

China hat also keinerlei Grund, sich im Glanz der angeblich erreichten Gleichberechtigung und Verbesserung der Stellung der Frau zu sonnen. Die oben genannten Enthüllungen entlarven das chinesische Weißbuch endgültig als unglaubwürdig.

Eine weitere informative Antwort "THE WO(E)MEN IN CHINA AND TIBET: A STUDY" auf das Weißbuch steht auf der Website des Tibetan Youth Congress unter http://www.tibetanyouthcongress.org/news/newsupdate/whitepaperlatest.html.

Weitere Informationen über Gleichberechtigung und Frauenförderung in China mit Schwerpunkt auf der Stellung der tibetischen Frauen im besetzten Tibet (1995-2005) werden in Kürze mit der von der TWA veröffentlichten zweiten Ausgabe des “Alternativen NGO-Berichts über tibetische Frauen” zur Verfügung stehen.

Fußnoten

[1] Das Informationsbüro des Staatsrats der VR China veröffentlichte im August 2005 ein Weißbuch mit Titel “Gender Equality and Women’s Development in China”, Originaltext siehe: www.news.xinhuanet.com/english/2005-08/24/content_3396107.htm,

[2] Ausgehend von der Armutsgrenze der Weltbank, die mit einem Dollar pro Tag und Person definiert wird, sind 350 Millionen Menschen in China als arm einzustufen.

[3] U.S. Team Takes Aim at Tibet's Maternal Death Rate (24. October 2005).