1995
Satyagraha Committee, Sarnath, Varanasi
Übersetzung aus dem Englischen
Vorspann



Version in pdf.

Satyagraha

Professor Samdhong Rinpoche

Diese Broschüre mit dem Titel Satyagraha ("Beharren auf der Wahrheit") wurde von Prof. Samdhong Rinpoche verfaßt. Sie stellt einen präzisen Plan für eine gewaltlose Bewegung in Form einer spirituellen Übung dar, um Tibet die Freiheit zurückzugewinnen. Der Originaltext in Tibetisch wurde zuerst Wort für Wort von Acharya Sangye Tendar, Library of Tibetan Works and Archives (Bibliothek Tibetischer Schriften und Archive), Dharamsala, ins Englische übersetzt. Eine wörtliche Übersetzung eines derartigen Textes fällt im allgemeinen recht vage aus. Daher ergab sich die Notwendigkeit einer Revision. So wurde der Text von dem Ehrw. Ngawang Samten, Central Institute of Higher Tibetan Studies, Sarnath, und von Mr. John Dunn, Harvard University, USA, neu übersetzt. Dr. Ngawang Phuntsok, Außerordentlicher Prof. in Fullerton, University of California, USA, gab weitere wertvolle Anregungen.

Wegen der unterschiedlichen Ausdrucksweise in den verschiedenen Sprachen ist ein übersetztes Werk nie so klar wie das in der Originalsprache. Dennoch hoffen wir, daß die vorliegende Übersetzung den Lesern einigermaßen verständlich ist.

Prof. Ramesh Chandra Tiwari machte einige Kommentare und Vorschläge zu dem Büchlein. Da die Originalversion in Tibetisch bereits veröffentlicht war, konnten seine Anregungen nicht mehr in den Text inkorporiert werden. Wir druckten sie nun in Anhang I, II und III als Ergänzungen ab. Viele andere Personen trugen als gemeinnütziges Werk zur Veröffentlichung des Büchleins bei.

"Satya (Wahrheit) verbunden mit Ahimsa (Gewaltlosigkeit) wird Dir die Welt zu Füßen legen. Satyagraha ist im Wesen nichts anderes als die Einbringung von Wahrheit und Sanftmut in das politische, d.h. das Leben der Nation."

Mahatma Gandhi, YI, 10. März 1920

"Die Selbstaufopferung eines unschuldigen Menschen ist millionenfach wirksamer als das Opfer von Millionen von Menschen, die sterben, indem sie andere töten. Das willige Opfer der Unschuldigen ist die mächtigste Erwiderung auf unverschämte und unverfrorene Tyrannei, welche von Gott oder dem Menschen erdacht wurde."

Mahatma Gandhi, YI, 12. Febr. 1925

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Prolog
I. Die Notwendigkeit der Wiederherstellung der Freiheit Tibets
II. Charakteristika eines freien Tibets
III. Die Methoden
IV. Umsetzung der Methoden in die Praxis
V. Plan für eine Satyagraha Bewegung
VI. Von einem Satyagraha Aktivisten vorauszusetzende Qualifikationen
VII. Von einem Satyagraha Aktivisten zu treffende Entscheidungen
VIII. Zu beherzigende Punkte
IX. Formen von Satyagraha
X. Die Stufen der Bewegung
XI. Verschiedene Arten von Satyagraha
XII. Die Forderungen unserer Satyagraha Bewegung
XIII. Hindernisse, die der Bewegung im Wege stehen
XIV. Verbreitung von Informationen über die Satyagraha Bewegung
XV. Finanzielle Unterstützung der Bewegung
XVI. Befürworter der Satyagraha Bewegung
XVII. Erwiderung auf Einwände gegen die Satyagraha Bewegung
Anhang I
Anhang II
Anhang III

"Satyagraha ist sanft, es verletzt niemals. Es darf nicht das Resultat von Ärger und Bosheit sein. Es gebärdet sich niemals kleinlich, niemals ungeduldig, niemals vorlaut. Es ist der direkte Gegensatz zu Zwang. Es wurde als ein vollkommener Ersatz für Gewalt konzipiert."

Mahatma Gandhi, H, 15. April 1933

"Bei jedem großen Werk ist es nicht die Zahl der Kämpfer, die zählt, sondern das Holz, aus dem sie geschnitzt sind, ist der entscheidende Faktor. Die größten Männer der Welt standen immer alleine da."

Mahatma Gandhi, YI, 10. Okt. 1929

Einführung

EINFÜHRUNG

Seit der gewaltsamen und brutalen Besetzung Tibets durch das kommunistische China unterdrücken und unterjochen die Chinesen Tibet in einer allen moralischen Prinzipien widersprechenden, beispiellosen Art und Weise, die sowohl den internationalen Rechtsbegriffen als auch dem Willen des tibetischen Volkes zuwiderläuft. Wenn die Existenz und die Identität des tibetischen Volkes und das Fortbestehen des einmaligen kulturellen Erbes Tibets und seines religiös-esoterischen Wissens für die Völkergemeinschaft dieser Erde als nützlich erachtet wird, und wenn man die Aufrechterhaltung von Traditionen, welche Moral und Wahrhaftigkeit fördern, für erstrebenswert hält, dann darf man einfach die Notwendigkeit der Wiederherstellung der Freiheit Tibets nicht länger ignorieren. Tibet verlor seine Freiheit durch die großen Fehler des tibetischen Volkes, und nur dieser Fehler wegen konnte China seine gesetzwidrige Besatzung Tibets bis heute aufrechterhalten. Daher kann die Wiederherstellung der Freiheit Tibets nur durch uns, das tibetische Volk, zuwege gebracht werden. Wir dürfen nicht erwarten, daß unsere Freiheit durch Hilfe anderer oder durch irgendein bloßes Wunschdenken über eine Veränderung der Lage zurückgewonnen werden kann. Tibet ist in einer sehr ernsten und dringlichen Lage, und wir können einfach nicht wie andere Länder noch viele Jahre warten, bis unser Kampf um Freiheit Erfolg zeitigt.

Unter der einmaligen Führung S.H. des Dalai Lama haben das tibetische Volk und die Tibetische Exilregierung zahlreiche Aktionen ins Leben gerufen, wodurch sie ziemlich große internationale Unterstützung erwarben. Trotzdem erwiesen sich die Bemühungen Seiner Heiligkeit über viele Jahre, friedliche Verhandlungen zwischen Tibet und China einzuleiten, als ein Mißerfolg. Aufgrund dessen drückte er nun schon bei verschiedenen Anlässen seine Absicht aus, dem tibetischen Volk darüber, wie wir in Zukunft vorgehen sollen, ein Referendum vorzuschlagen. Ganz gewiß wird er über kurz oder lang tatsächlich ein formelles Referendum durchführen. Nun müssen wir Tibeter darangehen, unsere Ideen diesbezüglich zu formulieren, denn die Lage in Tibet ist dermaßen tragisch geworden, daß wir keinen Tag mehr zögern dürfen. Daher halte ich es für entscheidend, solch eine Bewegung, was immer das Resultat auch sein mag, so schnell wie möglich zu starten. Wir sollten dabei ganz unvoreingenommen ans Werk gehen, ohne viel zu untersuchen oder zu debattieren, ob wir dabei ein positives Ergebnis erzielen werden oder nicht. Deshalb will ich hier einfach die Schlußfolgerung all meiner Gedanken und Erfahrungen über die letzten 35 Jahre darlegen: einen präzisen Plan für eine gewaltfreie Bewegung, genannt Satyagraha (“Auf-der-Wahrheit-Bestehen”). Dies ist nur mein eigener demütiger Vorschlag, und ich erhebe in keiner Weise den Anspruch, daß andere mir zustimmen sollten. Wenn jedoch einige unvoreingenommene Menschen, die von der Notwendigkeit der Rückgewinnung der Freiheit Tibets  überzeugt sind, und die Vertrauen in den Pfad der Wahrheit und Gewaltfreiheit haben, der Meinung sind, daß meine Anregungen sinnvoll seien und deshalb Interesse für sie zeigen, dann würde ich dies herzlich begrüßen. Darüber hinaus hoffe ich, daß solche Personen sich auch direkt oder indirekt an dieser Satyagraha-Bewegung beteiligen werden.

Obwohl ich nicht die Fülle des uneigennützigen Denkens erreicht habe,
hege ich dennoch keine Absicht, anderen zu schaden.
Die Mittel, die Freiheit Tibets zum Wohle anderer zu gewinnen,
meine ich, liegen bei uns, ohne uns auf andere zu verlassen.

Dies sind die Gedanken eines geringfügigen Menschen,
der einst im Lande des Schnees geboren wurde.
Doch den größten Teil meines Lebens verbrachte ich
im heiligen Lande Indien. Obgleich ich den spirituellen Lebensweg
einschlug, trieben mich die Kräfte des Karma in die Politik.

Weder strebe ich nach Macht noch nach hoher Stellung,
noch habe ich Feinde niederzuringen oder Freunde zu beschützen.
Ich, ein zielloser Wanderer, brauche keine Politik.
Mich nach Frieden in aller Welt sehnend, rufe ich diese Worte in alle Welt.

Prolog

PROLOG

Anbetung sei dem höchsten und unbefleckten Geist des Erbarmens!

Tibet ist ein Land, wo die Menschen von Natur aus weichherzig, wenig reizbar und sehr barmherzig sind, und in dem Religion und moralische Werte in Fülle vorhanden sind. Geziert von erhabenen Bergen, klaren Wasserströmen, kühlen Brisen, weiten Grasflächen, vielfältiger Vegetation und ausgedehnten Wäldern ist sogar die natürliche Beschaffenheit Tibets wahrhaft wunderbar und reich an Schönheit zu nennen. Politisch gesehen war Tibet von der Zeit der ersten schriftlichen Zeugnisse an bis zum Jahre 1951 ein souveräner Staat. Obwohl es von außen gesehen scheinen mag, daß zeitweilig China die Kontrolle über Tibet besaß, so trügt doch dieser Schein und kommt nur von einem Mangel an politischem Verstand und Bildung bei uns Tibetern. Er ist auch auf die Hinterlist der Chinesen zurückzuführen, sich unsere unschuldigen politischen Vorstellungen in einem unverminderten Imperialismus zunutze zu machen und uns durch Betrug und Verrat zu verwirren. In der Tat stand Tibet dem internationalen Völkerrecht zufolge niemals unter der Kontrolle Chinas, noch war es jemals ein Teil Chinas. Die Unabhängigkeit Tibets ist eine Tatsache seit der Zeit, als der tibetische Herrscher Choegyal Phagpa sich Tibet im 13. Jh. politisch untertan machte, bis zur erzwungenen Unterzeichnung des 17-Punkte-Abkommens nach der gewaltsamen Invasion Tibets durch das kommunistische China im Jahre 1951.

Bald nach der Formung der kommunistischen Regierung in China verübten die Chinesen das Verbrechen der illegalen und gewaltsamen Besetzung Tibets. Das tibetische Volk war nicht in der Lage, den Besatzern zu widerstehen, und so fiel Tibet in chinesische Hände. Die primären Ursachen dafür sind folgende: In der allgemeinen Gesinnung des tibetischen Volkes hatten Aufrichtigkeit und Rücksichtsnahme ihren Wert verloren, und das Vertrauen auf den friedlichen Weg der Gewaltlosigkeit und das Gesetz der karmischen Vergeltung war geschwunden. Die meisten Angehörigen von religiösen Orden hielten sich nicht mehr an ihren Kodex moralischer Werte, und sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Privatsphäre gaben sie sich zumeist Handelsgeschäften, Gewinnmacherei, Wucher, wirtschaftlichen Belangen und anderen nicht gerade spirituellen Dingen hin. Wahrhaft religiöse Menschen wurden in die niedrigeren Ränge der Gesellschaft verbannt, und Leute, die sich in höchst ungeistiger Weise benahmen und auftraten, übernahmen größtenteils die verantwortungsvollen Posten innerhalb und außerhalb der Regierung. Kurz gesagt, die Leute kamen zur Macht, indem sie unsere spirituell orientierten nationalen Werte und die religiös motivierte Moral zerstörten. Die Mehrzahl unserer politischen und gesellschaftlichen Führer war in unmoralische Praktiken verstrickt und trachtete nur danach, ihre eigenen selbstischen Interessen wahrzunehmen. Das führte dazu, daß viele der Bürger Tibets ihr Vertrauen, ihre Liebe und Begeisterung für ihr Land und ihre Regierung verloren. Obwohl Tibet weiterhin als ein spirituell geprägtes Land galt, wurden die Klöster in bewaffneten Fehden übel zugerichtet, und sogar die Mönche wurden gezwungen, an den Kämpfen teilzunehmen. Diese Bedingungen und Ereignisse rufen bei Leuten, die eine gewisse Ahnung vom geistigen Leben haben, Bestürzung und Konsternation hervor. Wenn man sorgfältig über diese Probleme nachdenkt, dann begreift man, daß an dem Verlust der Unabhängigkeit Tibets weitgehend die Umstände in Tibet selbst schuld waren, und die Überwältigung durch eine fremde Militärmacht nur noch den Schlußstrich setzte.

Nachdem die Zeit zur Erfüllung unseres kollektiven negativen Karmas gekommen war, mußten wir Tibeter noch nie dagewesenes Leid ohnegleichen und aller Art über vierzig Jahre lang erdulden. Unter der brutalen Repression der Chinesen verloren mindestens 1,2 Millionen Tibeter infolge aller nur möglichen Arten von Folter und Greuel ihr Leben. Tausende religiöser Einrichtungen, unbezahlbare uralte Artefakte und Kunstwerke wurden zerstört, ja man ging soweit, daß man unsere Religion und Kultur gänzlich ausrotten wollte. Unsere Wälder wurden gerodet und unsere Bodenschätze geplündert, so daß sich die Umwelt Tibets nun in einem erbärmlichen Zustand ökologischer Unausgeglichenheit befindet. Diese Erfahrungen des beständigen, entsetzlichsten Leidens sind das Ergebnis unseres eigenen kollektiven Karmas, und wir sollten nicht andere dafür verantwortlich machen.

Sogar von einem rein weltlichen Standpunkt aus gesehen fehlte es den Tibetern, insbesondere denen, die die Macht innehatten, an politischem Verständnis und Kultiviertheit. Daher waren wir erstens unfähig, das politische System Tibets gemäß dem Wandel der Zeiten zu verändern; zweitens waren wir unfähig, internationale Beziehungen, welche den Nationen dieser Erde unsere Eigenständigkeit bekundet hätten, aufzubauen; drittens verpaßten wir die wertvollen Gelegenheiten von 1913 und 1949 und blieben statt dessen fern und abseits der internationalen Staatengemeinschaft; viertens wurde die innenpolitische Situation nicht richtig gehandhabt, weswegen das Verständnis der Bevölkerung für Einheit und Patriotismus sehr dürftig blieb; fünftens wollten unsere Nachbarn wie beispielsweise Indien mit uns kooperieren, aber wir waren unfähig, das Vertrauen bei ihnen zu erwecken, daß wir uns selbst zu regieren und zu verwalten im Stande seien.

All diese Faktoren schufen eine Situation, in der es China ganz leicht wurde, in Tibet einzufallen und es zu besetzen. Noch schlimmer: Das tibetische Volk war abgesehen davon, sein eigenes Land nicht schützen zu können, nicht imstande, sich der Kooperation mit den Chinesen zu entziehen und ihnen Unterkunft, Nahrung und Transportmittel zu verweigern. Wir waren außerstande, der Versuchung, chinesisches Geld und Waren anzunehmen, zu widerstehen. Auf diese Weise verkauften viele Tibeter ohne zu zögern ihre Heimat um Geld und Güter und um ihrer eigenen kleinen Selbstinteressen willen, zuweilen sogar aus ganz trivialem Vergeltungsdrang. Aufgrund dieser schamlosen und unpatriotischen Akte wurde Tibet äußerst verletzlich und leicht zur Beute der Chinesen. Andere Länder so wie Indien waren außerstande, Tibet direkt auf der internationalen Bühne zu unterstützen. Wir Tibeter haben diese Verhältnisse selbst geschaffen. Und die Tatsache, daß die Chinesen Tibet noch immer besetzt halten und dort so viele Chinesen ansiedeln können, ist das Resultat der lang andauernden Kooperation und Willfährigkeit der Tibeter selber. Uns aus dieser Lage zu befreien, ist also etwas, was nur wir Tibeter selbst tun können; es kann einfach nicht nur durch das Tun anderer oder durch irgendeine Kraft von außen geschehen. Daher müssen sich alle Tibeter mit vereintem Herz und Gemüt mutig in einer Satyagraha Bewegung engagieren als einem wirksamen Mittel, um unsere eigene Wahrheit zu verwirklichen, denn die Wahrheit ist stets siegreich und die Wahrheit ist auf unserer Seite.

Man kann logisch beweisen, daß nicht nur im Falle der tibetischen Gesellschaft, sondern in der ganzen weltweiten Gemeinschaft Leiden daraus entsteht, daß der friedliche Pfad der Gewaltlosigkeit nicht treu und fest beschritten wird. Alle Qualen, welche das tibetische Volk nun erfährt, von einfachen Kopfschmerzen bis zum Verlust seiner souveränen Unabhängigkeit sind zweifellos das Resultat unseres vergangenen gewaltsamen Handelns. Daher ist der einzige Weg, um diese Probleme zu überwinden, uns einzig und alleine an den Pfad der Gewaltlosigkeit zu halten, der ein Gegengewicht zu unserer vergangenen Gewalttätigkeit bilden kann. Würden wir statt dessen aus Ärger und Haß heraus zu gewaltsamen Akten schreiten, so würden wir nur noch mehr Ursachen zu zukünftigem Unheil hinzufügen. Leiden durch Gewaltakte auszuschalten, steht also außer Frage. Wir rügen die Chinesen wegen des Schadens, den sie uns zufügten, aber wenn wir nun selbst wählen, anderen zu schaden, wie können wir den Chinesen dann noch die Schuld geben?

Deshalb gilt, was S.H. der Dalai Lama immer wieder betont und rät: Wenn alle Tibeter aufrichtig den gewaltfreien Pfad des Friedens praktizieren würden, dann könnte unsere Freiheit leicht wiederhergestellt werden. Daher sollten sich alle Tibeter, sowohl in der Heimat wie im Exil, in vollkommener Einmütigkeit zusammenschließen und eine "Bewegung der Wahrheit" ins Leben rufen, mit dem Ziel, die Freiheit Tibets auf dem gewaltlosen Weg des Friedens wiederherzustellen. Solch eine Kampagne muß mit einem wohl angelegten Plan in Angriff genommen werden. Auf den folgenden Seiten will ich nun einen geordneten Plan aufstellen und die Aktionen erörtern, die solch eine Bewegung erfordert.

I.

I. DIE NOTWENDIGKEIT DER WIEDERHERSTELLUNG DER FREIHEIT TIBETS

Diese Idee der Wiederherstellung der Freiheit Tibets ist nicht politisch motiviert, noch gründet sie auf irgendeiner nationalstaatlichen Theorie. Unser Kampf ist vor allem nicht ein ethnischer oder politischer Kampf. Vielmehr tragen alle Menschen, die in dem spirituellen Land Tibet geboren wurden, eine universelle Verantwortung für alle Wesen, und die Erfüllung dieser Verantwortung ist eine Pflicht, die uns allen allein schon durch unsere Geburt obliegt. Wenn wir dieser angeborenen Pflicht nicht genügen, dann sind wir nicht wert, uns Tibeter zu nennen, und wir sind unfähig, so zu leben und zu handeln, daß wir unserem Erbe gerecht werden. Nicht nur gibt es nichts Gemeineres und Niedrigeres als unfähig zu sein, seiner Geburtspflicht nachzukommen, sondern auch von einem gewöhnlichen Standpunkt aus gesehen verdient man so kaum das Menschsein, dessen man sich erfreut.

Was ist nun diese Verantwortung, von der ich rede? Sie ist die Aufrechterhaltung und Verbreitung des einmaligen religiös-esoterischen Wissens und der kulturellen Traditionen, die über Tausende von Jahren von den Tibetern früherer Generationen gehegt und gepflegt wurden und die sie höher als ihr eigenes Leben schätzen. In unserer modernen Welt nun haben sich diese Traditionen auf das Wohlergehen aller Völker erstreckt und sind eng mit ihm verbunden. Wenn das tibetische Volk diese kulturellen Traditionen nicht bewahren kann, und sie infolge der chinesischen Besatzung untergehen, dann wird dies nicht nur für uns Tibeter, sondern für die ganze Welt ein großer Verlust sein. Dieses Erbe kann nur bewahrt werden, wenn Tibet seine Freiheit zurückerhält und wenn das natürliche ökologische Gleichgewicht frei von allem Raubbau wieder in Tibet hergestellt wird. Deshalb ist das endgültige Ziel nicht nur die politische Freiheit für Tibet. Unser eigentliches Ziel ist vielmehr die Erhaltung, Bewahrung und Verbreitung der erhabenen kulturellen Traditionen und des einmaligen spirituellen Wissens um der ganzen Welt willen. Ohne richtige Mittel und günstige Umstände wird es uns nicht möglich sein, diese Verantwortung zu erfüllen. Daher müssen wir zuerst die spirituelle Praxis, Tibet ohne Verzug zu befreien, auf uns nehmen.

Sogar in politischen Begriffen gesehen ist Tibet deutlich verschieden von China was die Rasse, Sprache, Philosophie und Literatur betrifft. Wahrlich jeder bedeutsame Aspekt der tibetischen Kultur unterscheidet sich von China. Historisch genoß Tibet vollkommene Unabhängigkeit bis zur chinesischen Invasion, die 1949 begann. Auch jetzt möchte kein Tibeter unter chinesischer Herrschaft bleiben. Aus all diesen Gründen haben wir das Recht, unseren Status als unabhängige Nation zurückzufordern.

Darüber hinaus würde aus internationaler Perspektive das Vorhandensein eines Pufferstaates zwischen den zwei volksreichsten Ländern Asiens, Indien und China, den Frieden in der Region nur fördern. Geographisch gesehen ist Tibet das höchst gelegene Land der Erde und der Ursprung der größten Flüsse Asiens. Deshalb ist die Umwelt Tibets von erstrangiger und weltweiter Wichtigkeit. Tibet ist auch eng verbunden mit der Sicherheit und Stabilität der Nachbarstaaten wie Indien, Nepal, Bhutan und Myanmar. Ein freies Tibet wäre in der Tat auch sehr segensreich für China. Wenn also die internationale Staatengemeinschaft der Ansicht war, daß sie nicht zulassen durfte, wie der Irak Kuwait besetzte, warum sollte sie dann China erlauben, Tibet besetzt zu halten? Solange Tibet nicht von der chinesischen Okkupation befreit ist, wird dieser Schandfleck in der Entwicklung der modernen Zivilisation nicht weichen, und das wilde Gesetz des Dschungels wird zweifelsohne auch noch bis ins 21. Jahrhundert hinein dominieren.

Daher ist die Wiederherstellung der Freiheit Tibets nicht nur für uns Tibeter so wichtig. Sie ist von ebenso großer Bedeutung für die internationale Gemeinschaft wegen der deutlichen Vorteile, welche sie bietet. Aber im Unterschied zu dem Kampf anderer Völker um ihre Freiheit ist die Freiheit Tibets etwas, worauf wir nicht mehr viele Generationen lang warten können. Wir müssen vielmehr mit großer Eile handeln. Ich will nun einige der Gründe darlegen, warum uns mit jedem Tag, der vergeht, die Zeit davonläuft.

  1. Wenn wir nicht fähig sind, schnell unsere Freiheit wiederzugewinnen, dann wird Tibet bald ein Land von Chinesen werden, und die Tibeter werden zu einer Minderheit in ihrem eigenen Lande. Die spirituelle Übung, Tibet zu befreien, nehmen wir um der Philosophie und Praxis im Rahmen der tibetischen Gelehrsamkeit, Kultur und geistigen Wissenschaften willen auf uns. Wenn wir nicht schnell handeln, dann gehen diese Werte vielleicht unwiederbringlich verloren. Sollte Tibet jedoch seine Freiheit erst, nachdem all dies verloren geht, erlangen, dann wäre die rein politische Befreiung unser einziger Gewinn.

  2. Wenn wir nicht wenigstens für eine gewisse Zeit nach der Restauration unserer Freiheit die Führung S.H. des XIV. Dalai Lama haben, dann werden wir gewiß nicht in der Lage sein, ein neues Tibet im Einklang mit unseren Vorstellungen aufzubauen, und vielleicht würden wir gar nicht mehr fähig sein, unsere Freiheit zu behaupten.

  3. Wenn es uns nicht gelingt, die Freiheit Tibets innerhalb weniger Jahre wiederherzustellen, und wenn das kommunistische China sich weiterhin wirtschaftlich so rasant entwickelt und politisch an Gewicht gewinnt, dann wird es in den nächsten zehn Jahren eine Nation von unanfechtbarer Macht und Größe werden. Selbst wenn China demokratisch und friedlich würde, könnte die Restauration der Freiheit Tibets sogar noch schwieriger werden.

Aus den genannten Gründen muß die spirituelle Übung der Wiedererlangung der Freiheit Tibets noch vor 1997/98 einige deutliche Resultate zeigen, und mit solch einer Zielsetzung sollten wir die Satyagraha Bewegung beginnen.

II.

II. CHARAKTERISTIKA EINES FREIEN TIBET

Nach der Vorstellung S.H. des Dalai Lama wird Tibet nach der Wiedergewinnung seiner Freiheit eine entmilitarisierte Zone der Gewaltfreiheit sein – frei von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen. Es wird ein Vorbild des Umweltschutzes sein und den buddhistischen ökologischen Prinzipien folgend alle Extreme vermeiden. Das freie Tibet wird eine Quelle der einzigartigen Kultur spirituellen Wissens sein, ein Land, das versuchen wird, die zahlreichen Leiden der Menschheit in der modernen Gesellschaft zu mildern. Es wird eine unverwechselbare geistig orientierte und authentisch demokratische Nation sein, voll von jenen Wahrzeichen des alten Tibets, die einer auf Mitgefühl basierenden Weltanschauung entspringen, und trotzdem wird es von den positiven Aspekten der Modernität, die jenen Prinzipien des Erbarmens nicht widersprechen, geschmückt sein. Ein freies Tibet wird ein politisches Modellsystem bieten und es wird helfen, Frieden und guten Willen in der ganzen Welt, besonders in Asien zu bewahren. Dieses Idealbild eines zukünftigen Tibets sollten wir anstreben.

III.

III. DIE METHODEN

Bei unserer spirituellen, auf die Restauration der Freiheit Tibets gerichteten Übung besteht unsere Methode einzig und alleine in dem gewaltfreien Weg des Friedens. Daher sollten alle Tibeter, in der Heimat wie im Exil, Vertrauen in den gewaltfreien Pfad des Friedens fassen. Sie sollten in gleicher Weise danach streben, diese Maxime in die Praxis umzusetzen. Der gewaltlose Pfad des Friedens ist eine Methode für besonders mutige Leute. Die zaghaften und feigen können sie sich natürlich gar nicht vorstellen, ebensowenig können jene, die kein Vertrauen in die Lehren des spirituellen, inneren Wissens und die karmische Wirkungsweise von Ursache und Wirkung haben, tatsächlich die Prinzipien dieser Methode begreifen. Viele einfältige Leute meinen, daß, wenn wir ernsthaft den gewaltfreien Pfad des Friedens beschreiten, wir dies nur tun, weil Chinas enorme Bevölkerungszahl und Militärmacht uns Tibetern, die wir gering an Zahl und militärisch schwach sind, gar keine andere Wahl läßt. Diesen Leuten zufolge wäre es, wenn wir die Kapazität hätten, Krieg gegen China zu führen, vollkommen akzeptabel, unsere Freiheit auf dem Wege militärischer Operationen zurückzugewinnen. Viele Menschen denken derart, aber es ist ein schwerer Fehler und ein Zeichen dafür, daß sie überhaupt kein Vertrauen zu dem gewaltfreien Pfad des Friedens haben. Ob man nun an das Prinzip der karmischen Kausalität glaubt, dem zufolge Tugend Glück und Untugend Leid zeitigt, oder ob man die Situation von einem rein politischen Standpunkt aus betrachtet, der Grundsatz ist hier, daß man keine fehlerfreien Resultate erzielen kann, wenn man keine fehlerfreien Methoden anwendet. Mit diesem philosophischen Hintergrund sollte man sich auf den gewaltfreien Weg des Friedens begeben, denn nur unter einer solchen Voraussetzung kann man sich tatsächlich aller Gewalt enthalten. Würde man statt dessen Gewaltlosigkeit mit der Absicht, andere zu täuschen, praktizieren, dann wäre es viel besser, man würde sich überhaupt nicht darin engagieren. Trotz der Hypothese, daß Gewalt die Freiheit Tibets für morgen garantieren könnte, sollten wir fest geloben, niemals zu ihr zu greifen. Solange wir nicht ein derartiges Gelöbnis ablegen, wird unser gewaltfreier Pfad des Friedens niemals vollkommen, noch ein wirksames Instrument zur Erreichung unseres Zieles sein.

IV.

IV. UMSETZEN DER METHODEN IN DIE PRAXIS

Die Wahrheit: im tibetischen Umfeld

Es kann keine authentische gewaltlose Friedensbewegung geben, die nicht auf der Wahrheit gründet. In einem gewissen Sinne sind Wahrheit und Gewaltlosigkeit sinnverwandte Worte. Manch einer mag sich fragen, wie wir bei der Durchführung dieser spirituellen Übung zur Befreiung Tibets den gewaltlosen Pfad des Friedens einsetzen wollen. Die Antwort darauf ist, daß wir erkennen müssen, daß die Wahrheit auf unserer Seite ist, und dessen eingedenk sollten wir uns in der Satyagraha Kampagne engagieren. In diesem Sinne will ich nun einige Aspekte der Wahrheit, auf die wir Anspruch erheben können, aufzählen:

  1. Es steht fest, daß Tibet ein spirituelles Land ist, wo die Menschen ihren Lebensunterhalt von moralischen und geistigen Werten geleitet verdienen.

  2. Es steht fest, daß Tibet die meiste Zeit über, von der frühesten staatlichen Formation bis 1951, vollkommene Unabhängigkeit genossen hat.

  3. Es steht fest, daß die chinesisch-kommunistische Militärinvasion von 1949 und die folgende gewaltsame Kolonisierung Tibets eine Verletzung des Völkerrechts darstellt.

  4. Es steht fest, daß dem internationalen Rechtsverständnis zufolge das 17-Punkte Abkommen, welches die Tibeter unter Zwang zu unterzeichnen genötigt waren, ungültig ist. Nicht nur ist es ungültig, sondern die Chinesen selber haben sich nicht an einen einzigen Punkt gehalten, wodurch sie das Abkommen effektiv annulliert haben. Deshalb ist es logisch, daß das 17-Punkte Abkommen überhaupt nicht als ein gültiges Dokument betrachtet werden kann, welches den Anspruch, daß Tibet ein Teil Chinas sei, beweisen könnte.

  5. Es steht fest, daß in den über 50 Jahren seit der chinesischen Invasion die Tibeter ihrer Menschenrechte beraubt wurden, die religiösen und kulturellen Traditionen Tibets vernichtet wurden, daß die Ressourcen Tibets ausgebeutet wurden, daß das tibetische Volk unermeßlichen Repressionen, Qualen und brutaler Behandlung ausgesetzt wurde, daß das tibetische Volk wegen des massiven und bewußten Bevölkerungstransfers von Chinesen nach Tibet beträchtlich reduziert wurde, daß der absichtliche Versuch unternommen wurde, unsere Kultur und unsere Identität zu zerstören, daß die natürliche Umwelt Tibets schwer geschädigt wurde. Es ist eine Tatsache, daß als Folge dieser und anderer Greueltaten das tibetische Volk unmenschliche Qualen und Leiden zu erdulden hat, ohne auch nur einen Schimmer von Glück zu sehen, und daß diese Art der Gewaltherrschaft niemals den Aspirationen des tibetischen Volkes Genüge tut.

  6. Es steht fest, daß die Mehrheit des tibetischen Volkes die chinesische Besatzung seines Landes verabscheut und nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Tibets verlangt.

  7. Es steht fest, daß Tibet kein Teil Chinas ist, und abgesehen von der illegalen Okkupationsmacht anerkannten weder das tibetische Staatsoberhaupt noch das tibetische Volk jemals eine legitime Zugehörigkeit zu China. Es folgt daraus, daß eine Bewegung zur Befreiung Tibets von der illegalen Fremdherrschaft in keiner Weise eine Bedrohung für die territoriale Integrität Chinas darstellt.

  8. Es steht fest, daß wir Tibeter ein eigenständiges Volk mit unserer eigenen Ethnie, Sprache, Kleidung und kultureller Tradition sind. Daher ist es wahr, daß das tibetische Volk das Recht auf Selbstbestimmung hat: Dieses Recht wurde in den Resolutionen der Vereinten Nationen von 1961 und 1965 klar definiert, weiterhin von dem Verdikt des Ständigen Völkergerichtshofes in Strasbourg, 1992, von dem Protokoll der Sitzung über Selbstbestimmung und Unabhängigkeit für Tibet, von der Konferenz Internationaler Rechtsanwälte, London 1993, von dem Aktionsplan der Konferenz europäischer Parlamentsabgeordneter, Westminster 1993, sowie in der Erklärung der Welt Parlamentarier Konvention über Tibet, New Delhi 1994 bestätigt. Nicht nur wurde unser Recht auf Selbstbestimmung in jenen Gremien bestätigt, sondern es wurden zahlreiche klare und eindeutige Erklärungen von vielen Gelehrten zu diesem Thema abgegeben. Aufgrund ihres Befundes ist es eine Tatsache, daß wir, das tibetische Volk, allen Definitionen einer eigenständigen Nation im Sinne des Völkerrechts entsprechen, und daß wir daher ein Recht auf Selbstbestimmung haben.

  9. Es steht fest, daß das tibetische Volk eine Verantwortung vor der Welt hat, um seine einmaligen Traditionen ethischer Werte und des religiös-esoterischen Wissens zu erhalten und weiterzugeben.

  10. Es steht fest, daß wir dieser Verantwortung nur voll gerecht werden können, wenn das tibetische Volk seine Freiheit zurückgewinnt.

  11. Daher ist es eine unleugbare Wahrheit, daß die Wiederherstellung der Freiheit die Geburtspflicht eines jeden Tibeters ist.

Die aufgezählten “Aspekte der Wahrheit” sind keine Hypothese, noch eine Form politischer Propaganda. Sie werden vielmehr durch unsere eigene Wahrnehmung und durch unwiderlegbare Zeugnisse bestätigt. Als “Aspekte der Wahrheit” können sie daher durch irrationale Argumente und illegitime Kräfte weder ausgelöscht noch unwahr gemacht werden. Dies ist die Natur der Wahrheit. Die Chinesen fahren fort, Tibet zu unterdrücken, wobei sie diese “Aspekte der Wahrheit” total ignorieren und mit Füßen treten. Daß ihnen dies gelingt und zu tun möglich ist, ist entweder auf unseren fehlenden Glauben an die Wahrheit der genannten Aspekte oder auf unseren Mangel an Mut und Ausdauer, um ihnen zum Durchbruch zu verhelfen, zurückzuführen. Das ganze tibetische Volk, sowohl in der Heimat als auch im Exil, sollte sich diese “Aspekte der Wahrheit” unverzüglich zu eigen machen. Im Vertrauen auf sie sollten wir, ohne zu zögern, zielbewußt und unbeirrbar eine Satyagraha Bewegung ins Leben rufen, um diesen “Aspekten der Wahrheit” zum Sieg zu verhelfen.

V.

V. PLAN FÜR EINE SATYAGRAHA BEWEGUNG

Seit S.H. der Dalai Lama nach Indien ins Exil ging, wurde sehr viel unternommen, und viele Versuche wurden gemacht, um Tibet die Freiheit zu gewinnen. Detaillierte Nachrichten hierüber gingen um den ganzen Globus. So wurden häufige Vorstellungen bei den Vereinten Nationen unternommen, der Entwurf einer Verfassung für das zukünftige Tibet wurde formuliert und proklamiert, die tibetische Exilregierung wurde voll demokratisiert, und zahlreiche andere Schritte wurden unternommen. Abgesehen davon gab der chinesische Staatsführer Deng Xiao Ping 1979 zu verstehen, daß mit Ausnahme der vollen Unabhängigkeit Tibets alle anderen Punkte durch friedliche Verhandlungen gelöst werden könnten. Dementsprechend wurden viele Gesten des guten Willens, wie etwa die wiederholte Entsendung von Delegationen nach Tibet und China in dem Versuch, auf dem Verhandlungswege eine friedliche Regelung zwischen Tibet und China zu erzielen, gemacht.

In Fortführung dieser Bemühungen stelle Seine Heiligkeit 1987 einen 5-Punkte-Plan auf, und 1988 präsentierte er die Straßburger Vorschläge vor dem Europa-Parlament. Obwohl er jede nur mögliche Anstrengung im Hinblick auf eine friedliche Lösung unternahm, handelten die Chinesen den früheren Bekräftigungen ihrer Bereitschaft, eine derartige friedliche Regelung anzustreben, gänzlich zuwider. Direkte Kontakte und Verhandlungen mit China sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt eingefroren. Als Alternative dazu sind nun alle aufgerufen, China durch internationalen Druck zu beugen. In seiner Botschaft vom 10. März 1994 hat S.H. der Dalai Lama öffentlich geäußert, daß er, falls der Mahnruf zur weltweiten Druckausübung innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne keine befriedigenden Resultate zeitigt, das tibetische Volk nach seiner Meinung fragen wird, welcher Weg von nun an am besten beschritten werden soll.

Nach der Art und Weise der Reaktion der Chinesen scheint es ziemlich unwahrscheinlich, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt internationaler Druck die Chinesen tatsächlich zu dem Verhandlungstisch bringen kann. Von nun an gilt: Wenn nicht das tibetische Volk und insbesondere die Tibeter in Tibet versuchen, ihre Freiheit wiederzugewinnen, indem sie eine ernsthafte Kampagne starten, die klar und eindeutig ihre Ziele bekundet, dann ist es unwahrscheinlich, daß bloßer internationaler Druck und Unterstützung von außen viel bewirken können. Daher müssen wir, das tibetische Volk, nun einen wohl konzipierten Handlungsplan entwerfen, damit wir bereit sind, wenn S.H. der Dalai Lama uns nach unserer Meinung befragt. Dieser Plan für eine Satyagraha Bewegung wird hiermit dem tibetischen Volk zur Erwägung vorgestellt.

Kurz und bündig beinhaltet der Plan folgendes: Wenn die chinesischen Politiker bis Ende 1995 keine konkreten Schritte zu einer für das tibetische Volk befriedigenden Lösung auf friedlichem Wege im Sinne einer akzeptablen Politik unternehmen, dann wird das ganze tibetische Volk vom 10. März 1996 an, in der Heimat wie im Exil, mit vereintem Herz und Gemüt eine totale gewaltlose Satyagraha Bewegung starten. Diesen Entschluß sollten wir fassen.

VI.

VI. QUALIFIKATIONEN, DIE VON EINEM SATYAGRAHA AKTIVISTEN VORAUSGESETZT WERDEN

  1. In unerschütterlichem Glauben und Vertrauen auf die Wahrheit und den gewaltfreien Pfad des Friedens sollte man sich ethisch einwandfrei verhalten, wozu gehört, nicht zu lügen und niemals anderen zu schaden. An diesen Moralkodex sollte man sich mindestens drei Monate lang gehalten haben, ehe man sich der Bewegung anschließt.

  2. Ein Satyagrahi (ein an der Bewegung Teilhabender) darf keinerlei Ärger, Haß oder das Bedürfnis hegen, denjenigen Schaden zuzufügen, gegen die sich unser Widerstand richtet, also die Funktionäre und Arbeiter des kommunistischen Chinas und alle ihre Mitläufer.

  3. Während man in den Satyagraha Aktionen engagiert ist, sollte man die innere Stärke und die Tapferkeit besitzen, niemals Gewalt mit Gewalt zu entgegnen, noch zu Gewalt zu greifen, um sich zu verteidigen, egal wie sehr man geschlagen, festgehalten, gequält und gefoltert wird.

  4. Wer diesen Satyagraha Feldzug zur Wiederherstellung der Freiheit Tibets auf sich nimmt, sollte ihn nicht als eine politische Bewegung oder irgendeine Art von weltlicher Kampagne betrachten, die darauf abzielt, die Chinesen zu verletzen. Statt dessen sollte man sich klar sein und darauf vertrauen, daß man eine spirituelle Praxis, nämlich die Anstrengung zur Wiederherstellung der Freiheit Tibets zum Wohle aller Lebewesen, unternimmt.

  5. Wenn man sich der Bewegung anschließt, sollte man in keiner Weise hoffen, dadurch Ruhm, Ansehen, politischen oder wirtschaftlichen Gewinn oder die Anerkennung seiner Leistungen zu ergattern.

  6. Man sollte überhaupt nicht andere auf das eigene Engagement und den Einsatz, den man leistet, hinweisen, noch Bewunderung dafür erwarten, denn derartige Ansinnen hat man von vorneherein beiseite gelegt. Insbesondere nach der Gewinnung der Freiheit Tibets darf man überhaupt keine Erwartungen, etwa auf politische Position, sozialen Status, finanziellen Gewinn oder irgendeinen anderen Vorteil für sich oder seine Verwandten hegen. So muß man fest geloben, sollte einst in einem freien Tibet ein derartiges Angebot an einen herangetragen werden, es abzulehnen, es sei denn es gäbe ganz klare und zwingende Gründe zu seiner Annahme.

  7. In allen Belangen so wie Kleidung, Wohnung, Einrichtung usw. sollte man ein Leben der Einfachheit frei von allen Extremen führen. Ein Satyagrahi darf seinen Lebensunterhalt nicht auf unethische Weise verdienen und sollte keinen großen Wunsch nach Reichtum hegen.

  8. Man darf niemals an irgendeiner Tätigkeit, sei sie nun öffentlicher oder privater Natur teilnehmen, die unehrlich und betrügerisch ist.

  9. Man sollte darauf achten, ob Familienmitglieder so wie Kinder und Eltern auf die eigene Unterstützung angewiesen sind, und wenn sie es sind, dann muß man ihre Zustimmung einholen.

  10. Man darf keine ausstehenden Schulden, keine Rechnungen zu begleichen, keine finanziellen Verbindlichkeiten oder andere Verpflichtungen haben, denen man nachkommen müßte.

  11. Man darf niemals das Gelübde der Wahrheit und Gewaltlosigkeit brechen, nicht einmal auf Kosten des eigenen Lebens.

  12. 12. Man darf jene Richtlinien nicht überschreiten, die von Zeit zu Zeit rechtmäßig von den Führern der Satyagraha Bewegung niedergelegt werden.

VII.

VII. VON EINEM SATYAGRAHA AKTIVISTEN ZU TREFFENDE ENTSCHEIDUNGEN

  1. Von dem Augenblick an, in dem man sich der Satyagraha Bewegung anschließt, darf man sie niemals wieder verlassen, bis die vorgesteckten Ziele erreicht sind oder jeder einzelne Satyagrahi ohne Ausnahme umgekommen ist.

  2. Egal wie viel Kummer und Leiden man an Leib und Seele erfahren mag, man muß aushalten und darf niemals in seinem Enthusiasmus nachlassen, solange man am Leben ist.

  3. Ungeachtet dessen, wie sehr man gelobt oder geschmäht wird, wenn die Motivation rein ist, dann wird man sich nicht von seinem Vorsatz abbringen lassen, ganz gleich welche Bemerkungen andere machen.

VIII.

VIII. ZU BEHERZIGENDE PUNKTE

Ein Satyagrahi (= Satyagraha Aktivist) sollte die folgenden Punkte klar verstehen:

  1. Man sollte sich von Anfang an darüber klar sein, daß es nicht nur recht wahrscheinlich ist, daß man bald nach dem Beginn der Aktivität sein Leben einbüßen kann, sondern daß sogar alle an der Bewegung Beteiligten sterben können, oder daß die Ziele der Bewegung überhaupt nicht realisiert werden. Sei es wie es mag, alle Mitglieder der Bewegung müssen ohnehin irgendwann innerhalb der nächsten 70 Jahre oder so sterben. Ist es nicht vorzuziehen, da einem auf jeden Fall der Tod gewiß ist, anstatt ein paar Jahre später zu sterben, ohne seine Geburtspflicht erfüllt zu haben, ein paar Jahre früher zu sterben, während man im Zuge der Erfüllung seiner angeborenen Pflicht ist? Selbst wenn man nicht gewillt ist, gerade jetzt zu sterben, welche Garantie gibt es, daß man noch für eine sehr lange Zeitspanne leben wird?

  2. Unsere Ziele werden vielleicht nicht erreicht, obwohl jeder an der Bewegung Beteiligte umgekommen sein wird, andererseits werden alle heute lebenden Tibeter eines Tages sterben, selbst wenn wir keine Satyagraha Bewegung starten. Noch wichtiger ist: Ob die Bewegung nun erfolglos ist oder ob wir uns der Bewegung gar nicht anschließen, unsere Kultur und ethnische Identität werden so und so untergehen. Insofern alles auf die eine oder andere Weise verloren sein wird, ist es, anstatt nichts zu unternehmen und einfach abzuwarten, bis alles von alleine zerstört wird, nicht eindeutig vorzuziehen – wie sehr man auch dagegen argumentieren mag – in dem Versuch, seine Geburtspflicht zu erfüllen, alles zu verlieren?

IX.

IX. FORMEN VON SATYAGRAHA

Diese Bewegung umfaßt zwei Formen von Satyagraha: eine persönliche und eine kollektive. Von dem Tag an, wo eine Person, die der Bewegung beitreten will, alle die unter Kapitel VI erwähnten Bedingungen erfüllt, kann sie sich in irgendeiner realisierbaren Form von Satyagraha, die der Zeit und den Umständen angemessen ist, engagieren, ohne sich auf kollektive Pläne zu stützen. Dies kann innerhalb oder außerhalb Tibets geschehen.

Viele Formen des persönlichen Satyagraha sind leicht durchzuführen, daher sollte jeder sie allezeit praktizieren. Persönliches Satyagraha sollte besonders betont werden, wenn die Zeit für das kollektive, d.h. das allgemeine, gemeinsame Satyagraha noch nicht reif ist. Kollektives Satyagraha sollte von einer Gruppe von mindestens fünf Personen unternommen werden, und es sollte sich auf einen bestimmten Plan stützen, welcher der Zeit und dem Ort angemessen sein sollte. Bei dem kollektiven Satyagraha muß man sich an ihn halten.

X.

X. DIE STUFEN DER BEWEGUNG

  1. Persönliches Satyagraha kann zu jeder Zeit und an jedem Ort praktiziert werden, daher braucht es nicht nach einer spezifischen Abfolge oder einem Aktionsplan ausgerichtet sein.

  2. Kollektives Satyagraha beginnt ab einem bestimmten Datum. Von diesem Datum an werden all jene Tibeter im Exil, die an der Bewegung teilnehmen möchten und allen Erforderungen gerecht werden, all ihren Besitz und ihre persönlichen Lebensumstände für die Dauer der Aktion hinter sich lassen und nach Tibet gehen, um sich in dem Satyagraha zu engagieren.

  3. Von demselben Datum an werden jene Leute in Tibet, die sich der Bewegung anschließen, gemeinsam die Satyagraha Aktionen in ihrem jeweiligen Gebiet beginnen.

  4. Nach der Feststellung, wie viele Satyagraha Aktivisten zur Verfügung stehen, werden sie der Größenordnung nach auf einzelne Einheiten verteilt. Wenn die früheren Einheiten der Satyagraha Bewegung durch Tod, Verletzung und Verhaftung dezimiert sein werden, muß ein oder zwei Tage später eine zweite Einheit in Aktion treten. So wird die Bewegung aufrechterhalten.

XI.

XI. VERSCHIEDENE ARTEN VON SATYAGRAHA

Die spezifischen Formen des gewaltfreien totalen Satyagraha müssen in Abstimmung mit der Zeit und dem Ort der vorgesehenen Aktionen festgelegt werden; ebenso muß den laufenden Erfordernissen der Bewegung Rechnung getragen werden. Daher ist es nicht möglich, alle in frage kommenden Varianten der Kampagne auch nur zu erwähnen. Grob gesagt jedoch besteht die Satyagraha Kampagne in zivilem Ungehorsam, Nicht-Kooperation und friedlichem Widerstand. Hier folgen einige Möglichkeiten eines solchen Aktivismus:

  1. Die Satyagrahis werden alle unannehmbaren Verordnungen und Anweisungen der chinesischen Zentralregierung und der chinesisch kontrollierten Provinzial- und Regionalverwaltungen im tibetischen Raum total boykottieren.

  2. Die Aktivisten werden an keinem staatlichen oder öffentlichen Werk teilnehmen oder damit kooperieren, das Teil eines von der Zentralregierung, der regionalen oder örtlichen Verwaltung des kommunistischen China kontrollierten Projektes ist.

  3. Alle Aktivisten, die in Büros, Schulen, Fabriken oder an anderen Arbeitsplätzen tätig sind, welche irgendeiner Abteilung oder Behörde der chinesischen Zentral-, Regional- oder Lokalverwaltung unterstehen, werden von nun an von ihren jeweiligen Arbeitsplätzen abtreten.

  4. Satyagrahis werden keinen Gegenstand, der von der chinesischen Regierung oder von Chinesen hergestellt wurde, kaufen, verkaufen, besitzen oder benützen.

  5. Satyagrahis werden kein Restaurant, kein Geschäft oder Hotel besuchen, das von der chinesischen Regierung oder von Chinesen geführt wird.

  6. Alle Lehrer- und Schüleraktivisten an irgendeiner Schule werden sich weigern, die chinesische Sprache zu lernen oder zu lehren oder irgendeiner Form von chinesischen Studien nachzugehen.

  7. Aktivisten werden in keinem Unternehmen die chinesische Sprache verwenden, sei es auf einer Baustelle oder auch nur in einer Schneiderei oder einem Friseurladen.

  8. Aktivisten werden keine Partnerschaft mit Chinesen in irgendeinem Unternehmen eingehen, sei es im Einzelhandel, auf dem Dienstleistungssektor, in der Landwirtschaft oder Industrie.

  9. Kurz gesagt, Satyagrahis werden sich auf keinerlei Weise an einer Aktivität beteiligen oder mitmachen, die irgendwie direkt, indirekt oder am Rande mit der chinesischen Besatzungsmacht in Tibet, der Ansiedlung von Chinesen in Tibet oder der Zerstörung der tibetischen Umwelt verbunden ist. Durch tägliche Versammlungen in den Straßen jeder Stadt und jedes Dorfes werden die Satyagrahis friedlichen Widerstand ohne jede Gewaltanwendung leisten. Aktivisten werden sich nicht einmal selbst, etwa mit ihren Fahnenstangen oder Transparenten, ganz zu schweigen von Waffen, zu schützen suchen. Die Satyagrahis werden Widerstandslogans rufen und unaufhörlich ihre Forderungen sowohl mündlich als auch schriftlich vorbringen.

  10. Man kann auch jede andere Form von Aktion wählen, die mit den Prinzipien von Satyagraha und seinen Methoden der Nicht-Kooperation und des passiven Widerstandes vereinbar ist. Dabei muß man sich an einen bestimmten Plan halten und an eine Weise, die der Zeit und dem Ort entspricht. Obwohl ein Satyagrahi schrecklichen Qualen wie etwa Hunger ausgesetzt sein mag, darf er nicht absichtlich sein Leben durch Zu-Tode-Fasten, Selbstverbrennung u.ä. opfern.

XII.

XII. FORDERUNGEN UNSERER SATYAGRAHA BEWEGUNG

Die Forderungen und Bedingungen, die anfangs von der Satyagraha Bewegung niedergelegt werden, dürfen nicht unmöglich, ja nicht einmal besonders schwer zu erfüllen sein. Es ist daher notwendig, am Anfang der Bewegung Forderungen aufzustellen, die einigermaßen annehmbar und realisierbar sind. Derartige könnten sein:

  1. Der Bevölkerungstransfer von China nach Tibet muß sofort eingestellt werden.

  2. Die Menschenrechte dürfen in Tibet und China nicht länger verletzt werden.

  3. Tibetischen und chinesischen politischen Gefangenen muß unverzüglich die Freiheit gegeben werden.

  4. Die Umwelt Tibets muß geschützt werden, insbesondere muß die Durchführung von atomaren Tests, der Bau von Nuklearanlagen und die Ablagerung von nuklearen Abfallprodukten unverzüglich eingestellt werden.

  5. Das zentrale und das provinziale politische System muß unverzüglich demokratisiert werden.

Falls sich am Anfang irgendein akzeptables Resultat der Satyagraha Bewegung zeigt, etwa dadurch, daß eine oder mehrere der genannten Forderungen erfüllt wurden, dann sollten wir in der zweiten Phase verlangen, daß dem tibetischen Volk die Möglichkeit gegeben wird, sein Recht auf Selbstbestimmung auszuüben. Was danach zu tun ist, wird sich folgerichtig aus den Ergebnissen der früheren Operationen ergeben.

XIII.

XIII. HINDERNISSE, DIE DER BEWEGUNG IM WEGE STEHEN

Die Satyagraha Bewegung wird wahrscheinlich auf viele mögliche Hindernisse und Schranken stoßen, wobei die meisten wenig Grund zur Sorge bieten. Die zwei größten Behinderungen könnten sich jedoch als sehr problematisch erweisen. Diese sind:

  1. Satyagraha Aktivisten werden unermeßlichen Qualen und Folterungen ausgesetzt, und ihre Peiniger werden jede erdenkbare Methode benutzen, um Ärger und Wut in ihnen zu entfachen. Damit wollen sie die Aktivisten zu Gewalt und Lüge reizen, und es könnte sein, daß manche ihr Gelübde der Gewaltlosigkeit brechen werden. Eine andere Gefahr ist, daß unsere Widersacher ihre Agenten in die Reihen der Satyagraha Bewegung infiltrieren. Diese Agenten werden dann versuchen, andere zur Gewalt anzustacheln.

  2. Mit vagen und falschen Behauptungen und unter dem Vorwand, Mittel und Wege zu suchen, um zu einer Lösung zu gelangen, wird die Zeit in nutzlosen Diskussionen vertan, die den Zweck verfolgen, der Satyagraha Bewegung ein Ende zu setzen.

Diesen zwei Eventualitäten müssen wir mit großem Geschick und mit viel Wachsamkeit begegnen.

XIV.

XIV. VERBREITUNG VON INFORMATIONEN ÜBER DIE SATYAGRAHA BEWEGUNG

Die Satyagraha Bewegung sucht keine Publicity, noch will sie ein Mittel sein, um internationale Unterstützung zu gewinnen. Zwar wird es notwendig sein, den Regierungsbehörden der jeweiligen Regionen sowie den Funktionären der chinesischen Zentralregierung Erklärungen abzugeben. Abgesehen von solchen Feststellungen sollte man die Bewegung nicht aus eigener Initiative in den Nachrichtenmedia propagieren. Nichtsdestoweniger braucht sie nicht geheim gehalten zu werden, daher sollte man, falls man dazu aufgefordert wird, den Vertretern der Medien oder irgendeiner wirklich interessierten Person prompt und deutlich die Situation schildern.

XV.

XV. FINANZIELLE UNTERSTÜTZUNG DER BEWEGUNG

Eine Stelle muß eingerichtet werden, um Spenden zu sammeln, die von den Aktivisten selbst zum Nutzen der Bewegung zusammengetragen werden. Solche Beiträge dürfen nicht auf unethische Weise erworben sein. Die Bewegung kann auch Spenden annehmen, falls das Geld nicht auf unmoralischem Wege verdient wurde, und sie ohne irgendwelche Erwartungen auf Belohnung, einschließlich der Hoffnung auf Ehre oder auf einen besseren Status in der Gesellschaft, entrichtet werden.

XVI.

XVI. BEFÜRWORTER DER SATYAGRAHA BEWEGUNG

Einige Personen würden die Satyagraha Bewegung gerne unterstützen, ohne direkt als Aktivisten an ihr teilzunehmen. Solche Leute könnten Aufgaben übernehmen wie Spendensammeln, Aufrechterhaltung der Öffentlichkeitsarbeit, Zusammentragen und Verteilen von Informationen und Vorbereitung von Publikationen. Solche Pflichten könnten entweder für die ganze Zeit der Bewegung oder für eine gewisse Zeitspanne übernommen werden. Sympathisanten könnten gewisse Arbeiten übernehmen, wenn sie die Punkte 1,2,4,5,6,7,11,12 von Kapitel VI erfüllen.

XVII.

XVII. ERWIDERUNG AUF EINWÄNDE GEGEN DIE SATYAGRAHA BEWEGUNG

Es gibt viele Leute, die einwenden, daß unsere Satyagraha Bewegung ganz anders sei als jene, die Gandhi ins Leben rief, während Indien unter britischer Herrschaft stand. Ebensowenig sei unsere Bewegung mit irgendeiner anderen in demokratischen Ländern durchgeführten zu vergleichen. China sei ein Land mit einem enormen Bevölkerungspotential und einer gewaltigen Militärmacht, das eine unmoralische, unethische und schamlose Regierung hat, die überhaupt keinen Rechtsgrundsätzen folgt, noch irgendwelche Achtung weder für die Menschenrechte noch für die Belange der internationalen Gesellschaft besitzt. Solche Skeptiker meinen weiterhin, daß es unter diesen Bedingungen nicht nur unmöglich sei, überhaupt eine Satyagraha Bewegung zu realisieren, sondern selbst wenn sie irgendwie gestartet werden könnte, eine Beteiligung daran mit Selbstmord gleichzusetzen sei.

Obwohl viele Menschen so denken, bleibt eine Tatsache bestehen: Wenn der Pfad der Wahrheit und Gewaltlosigkeit tatsächlich mächtig ist, dann kann durch ihn alles, was im Wege steht, überwunden werden. Wenn er mit gesetzloser Brutalität konfrontiert wird, dann wird der Pfad der Wahrheit und Gewaltlosigkeit notwendigerweise um so wirksamer. Wo Wahrheit der Lüge gegenübersteht und Gewaltlosigkeit der Gewalt, wird die stärkere Kraft jene sein, die mehr Geltung und Wert besitzt. Die Tatsache, daß unsere Gegner mehr brutale Gewalt haben, bedeutet nicht, daß sie deshalb auch größere Stärke besitzen. Wenn wir sagen, daß Buddha Sakyamuni Milliarden dämonischer Kräfte durch eine einzige Meditation über Liebe überwand, dann wiederholen wir nicht einfach eine alte Geschichte. Vielmehr bieten wir damit eine rationell untermauerte Analogie der Wahrheit und Gewaltlosigkeit. Zu guter Letzt, selbst wenn die Teilnahme an solch einer Bewegung mit Selbstmord gleichzusetzen wäre, so habe ich dazu bereits gesagt, daß wir ohnehin eines Tages sterben müssen. Statt also nach einem leeren und hohlen Leben abzutreten, wäre es nicht viel sinnvoller und  den Forderungen der Geschichte angemessener, zu sterben, während man sich um das Wohl seines Landes und seiner geistigen Tradition willen der spirituellen Übung der Wahrheit und Gewaltlosigkeit hingibt?

Anhang

Anhang    

Über die in Aussicht genommene Satyagraha Bewegung des tibetischen Volkes

(Diese kurzen Anmerkungen können als Ergänzung zu dem von Prof. S. Rinpoche vorgeschlagenen Text gelesen werden. Beim Lesen wird man finden, daß sie eigentlich substantiell nichts Neues bringen. Sie können daher teilweise oder ganz als Studienmaterial für angehende Satyagrahis, oder um eine günstige und gewogene öffentliche Meinung hervorzurufen, verwendet werden.)

I.

ANHANG I

1. Was ist Satyagraha?

Es ist ziemlich klar, daß das tibetische Volk, ohne noch viel Zeit zu verlieren, nun eine umfassende Bewegung starten muß, um seine Freiheit wiederzugewinnen. Wir haben einen Punkt erlangt, wo wir eine klare, feste und endgültige Entscheidung treffen müssen, ohne uns um die Folgen zu kümmern. Wir können nicht mehr unendlich lange warten und nur auf eine günstige Wende in der internationalen Lage hoffen. Wir müssen hier und jetzt handeln. Wenn wir einmal den Sprung wagen, dann werden die Ereignisse den einen oder anderen Lauf nehmen. Die Tibeter müssen eine nationale Bewegung aufbauen, welche die politischen Führer Chinas klarsehen läßt. Es ist notwendig, daß die Tibet-Frage an die Spitze der politischen Tagesordnung der Welt zu stehen kommt, damit das gegenwärtige chinesische Establishment sich zu schämen gezwungen wird wegen seiner Verbrechen gegen das tibetische Volk, sowie dafür, daß es seine imperialistische, ungerechte und unethische Herrschaft über Tibet immer mehr konsolidiert.

Es gibt nun zwei ganz deutliche und diametral entgegengesetzte Optionen für die Tibeter:

  • einen gewaltsamen bewaffneten Kampf um die Befreiung ihres Landes nach dem Muster der PLO (Palästinensische Befreiungsarmee) oder der SWAPO (Südwest-Afrikanische Volks-Organisation) zu führen oder

  • einen gewaltfreien friedlichen Massenkampf nach dem Muster der Nationalen Befreiungsbewegung in Indien, die unter der Führung von Mahatma Gandhi stand, zu starten.

Es gibt keine dritte Wahl.

Nach kühler und gelassener Überlegung ist es offensichtlich, daß der gewaltfreie Pfad zweifellos der bessere ist und die edlere Option darstellt. Da er auf höchsten moralischen Prinzipien und ewigen fundamentalen Werten gründet, ist seine Überlegenheit unleugbar. Sogar die hartgesottenen Skeptiker werden zugeben, daß die vorherrschenden grundlegenden Fakten und die praktischen Erwägungen die Anwendung der gewaltfreien Methode begünstigen. Nicht nur aufgrund von moralischen und qualitativen Erwägungen, sondern auch aufgrund von Überlegungen, die sich auf die Vorbedingungen, Methoden, das praktische Vorgehen, die Stützpunkte und die möglichen Folgen eines Befreiungskampfes beziehen, ist der Pfad des gewaltfreien Satyagraha eine viel angemessenere und wünschenswertere Option für die Tibeter.

2. Was ist Satyagraha?

Satyagraha ist ein Wort, das für den gewaltfreien Kampf gegen Unwahrheit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung steht. Dieser Begriff wurde von Mahatma Gandhi, selbst der prominenteste Praktizierende von Satyagraha, propagiert. Zuerst wandte er dieses Prinzip in seinem Kampf gegen die Rassendiskriminierung der weißen Herrscher in Südafrika an. Später wandte er es erfolgreich und in großem Maßstabe und über eine lange Zeit hinweg in dem nationalen Befreiungskampf Indiens an. Die Wirksamkeit und moralische Überlegenheit von Satyagraha als einer Waffe gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung wurde weltweit anerkannt und gefeiert. Diese Methode wurde in einer Reihe von Kampagnen gegen Rassismus, Ausbeutung und Umweltzerstörung in den verschiedensten Ländern verwendet. Wenn sie mit dem Geist der Hingabe und Entschlossenheit praktiziert wird, bringt sie eine große “Wahrheitskraft” hervor, die den mächtigsten Gegner zu demütigen imstande ist.

Satyagraha bedeutet wörtlich “Sich-an-die-Wahrheit-Halten”. Es ist eine Kombination aus zwei Sanskritwörtern: Satya (Wahrheit) und Agraha (Festhalten oder Bestehen). Gandhiji übte Satyagraha als eine Aktionsform, um ein Übel auszurotten. Es beruht auf den Prinzipien von Wahrheit, Liebe, Mitgefühl und Gewaltlosigkeit. Es kann in jeder Lage und von jeder Person oder Gruppe angewandt werden, ungeachtet dessen, wie militaristisch der Übeltäter, und wie völlig unbewaffnet der Satyagrahi selbst sein mag.

3. Methoden des Satyagraha

Satyagraha ist eine Doktrin, die universal in ihrer Reichweite und daher in ihrer Ausübung nicht auf irgendeine spezifische Methode beschränkt ist. Gandhiji pflegte zu sagen: “Satyagraha ist wie ein Banyan-Baum mit zahllosen Ästen. Satya (Wahrheit) und Ahimsa (Gewaltlosigkeit) zusammen bilden den Stamm, aus dem all die zahllosen Äste hervorsprießen.” Die Methoden des Satyagraha werden daher von der jeweiligen Situation, den vorherrschenden Bedingungen und Gegebenheiten bestimmt, die von Fall zu Fall variieren. Dennoch können die Methoden grob unter drei Kategorien zusammengefaßt werden: a) Reinigungsakte, b) Nicht-Kooperation, c) ziviler Ungehorsam.

a) Reinigungsakte

All jene Handlungen des Satyagrahi, die ihn befähigen, moralische Stärke zu entwickeln und seine Entschlossenheit zum Kampf gegen Unwahrheit und Ungerechtigkeit zu stählen, können reinigende Akte genannt werden. Gelübde, Gebete und Fasten fallen unter solche Handlungen. Gelübde ist ein feierliches Versprechen, sich gewisser Taten zu enthalten und andere auszuführen, um gegen Ungerechtigkeit und Unwahrheit zu kämpfen. Ein Gebet ist dazu da, um den Willen zur Ausführung einer edlen Tat hervorzubringen. Es ist auch eine Art von Kontemplation, Reflektion und Selbsterforschung seitens des Satyagrahi. Ein Fasten wird von dem Satyagrahi für eine kurze Zeit zur Reinigung, Introspektion und Sühne unternommen. In gewissen Fällen können diese Methoden auch gegen das eingesessene Regime angewandt werden, wenn dieses die fundamentalen Normen und Menschenrechte verletzt.

b) Nicht-Kooperation

Nicht-Kooperation bedeutet, die Zusammenarbeit mit einer ungerechten Regierung oder den Unterdrückern zu verweigern. Gandhiji nannte es “Protest gegen eine unwissentliche und unfreiwillige Teilhabe am Bösen”. Er pflegte oft zu sagen, daß keine Regierung auch nur einen Augenblick ohne die Kooperation der Bevölkerung existieren kann. Er betrachtete es als eine Bürgerpflicht, einer ungerechten Regierung die Kooperation zu versagen. Nicht-Kooperation kann auf verschiedene Weise geübt werden. Boykott und Streik sind die bekanntesten. Boykott kann auf verschiedene Art praktiziert werden:

  1. Boykott von öffentlichen Institutionen wie Schulen, Universitäten, Gerichten.

  2. Wirtschaftlicher Boykott, d.h. den Kauf und Verkauf von ausländischen und unerwünschten Waren einzustellen und zu verweigern.

  3. Sozialer Boykott, also keinerlei regierungs-organisierte Funktionen oder Zeremonien zu besuchen, keine fremde Sprache oder Kleidung zu verwenden, keine Ehrentitel anzunehmen. Streik oder Ausstand bedeutet das temporäre Aussetzen oder die Einstellung der normalen Arbeit. Er soll einen starken friedlichen Protest darstellen und die Menschen zum Nachdenken veranlassen. Er besteht darin, Läden, Geschäftsniederlassungen, Verwaltungsbüros usw. zu schließen.

Fasten und freiwillige Auswanderung sind zwei andere Arten der Nicht-Kooperation. Fasten ist in erster Linie eine Methode der Selbstläuterung. Aber zuweilen kann es benutzt werden, um die öffentliche Meinung zu lenken und Übeltäter oder verantwortungslose Regierungen zur Vernunft zu bringen. Da es ein Selbstopfer, sogar bis zum Tode, verlangt, darf es nur als letzte Waffe eingesetzt werden. Es sollte niemals als eine Methode des Zwanges benutzt werden. Man sollte nur sehr spärlich und vorsichtig davon Gebrauch machen.

Freiwilliges Auswandern oder Exil, auf Arabisch hijrat wurde auch von Gandhiji als eine Variation der Nicht-Kooperation vertreten. Wir könnten sagen, daß S.H. der Dalai Lama der prominenteste Praktizierende dieser Methode in unserem Jahrhundert ist. Als die Rote Armee der Chinesen Tibet gewaltsam besetzte, verließ Seine Heiligkeit freiwillig das Land und suchte Exil in Indien. Tausende seiner Landsleute, die Tibet mit ihm verließen und freiwillig ins Exil gingen, sind auch diesem gewaltfreien Pfad von hijrat gefolgt. Alle diese im Exil lebenden Tibeter warten auf den Augenblick, wenn sie als Bürger eines freien Tibets zurückkehren können.

4. An einen Satyagrahi gestellte Erwartungen

Jemand, der den edlen Pfad von Satyagraha betreten will, muß seine ganze Haltung und Lebensweise ändern. Ein Satyagrahi gehört zu der auserwählten Schar von tapferen, selbstlosen und mit Hingabe engagierten Menschen. Von dem Tag an, an dem er die Entscheidung getroffen hat, sich als Satyagraha Freiwilliger zu melden, muß er ein Lehen der strengen Disziplin, Hingabe und Ordnung auf sich nehmen. Jeder Satyagrahi muß die Grundprinzipien von Satyagraha einhalten und gewissen Normen folgen, die bis zum Erfolg der Mission oder bis zum Ende des Lebens beachtet werden müssen. Diese Prinzipien und Normen sind folgende:

  1. Ein Satyagrahi muß sich beständig an die Wahrheit halten. In unserem Fall wird er besonders die in Kapitel IV aufgelisteten Wahrheitsaspekte beherzigen. Er wird sein bestes tun, um sie zu erhalten, wiederherzustellen und zu verteidigen.

  2. Ein Satyagrahi wird keinen bösen Willen, Niedertracht oder Feindseligkeit gegen seine Opponenten oder Peiniger empfinden. Es gibt keinen Platz für Haß in Satyagraha.

  3. Ein Satyagrahi wird sich unter allen Umständen an ahimsa (Gewaltlosigkeit) halten. Ihm ist es verboten, physische Gewalt zu ergreifen, sogar bei Herausforderung. Er wird auch keine Schimpfworte gegen den Gegner schleudern.

  4. Ein Satyagrahi wird willig und freudig Leiden erdulden, die ihm auf seinem Wege begegnen. Man sollte daran denken, daß man wie Jesus Christus danach streben sollte, seine Gegner zu überwinden, indem man das Leiden selbst auf sich nimmt.

  5. Ein Satyagrahi wird in Dingen wie Essen, Kleidung und Unterkunft ein strenges und einfaches Leben führen. Man muß so leben, daß man ein Minimum an Bedürfnissen hat und dabei einen maximalen Beitrag zum allgemeinen Wohl leistet.

  6. Ein Satyagrahi wird mindestens eine Stunde täglich einer produktiven Arbeit nachgehen wie Ackerbau, Gartenarbeit, Viehzucht, Spinnen, Weben oder maschineller Arbeit.

  7. Ein Satyagrahi wird mindestens eine Stunde täglich soziale Tätigkeit in Slums, Hospitälern, Leprastationen, Behindertenheimen u.ä. ausführen. Man kann auch konstruktive Arbeit in der Erziehung, dem Umweltschutz, dem sozialen Bereich, in Religionsgemeinschaften und der Friedenstiftung leisten.

  8. Ein Satyagrahi wird zu anderen Mitarbeitern brüderliche und freundschaftliche Beziehungen hegen. Er wird immer bereit sein, anderen Freiwilligen Hilfe zu leisten, wenn immer sie diese brauchen.

  9. Ein Satyagrahi wird bereitwillig die ihm aufgetragene Verantwortung übernehmen. Wo immer gefordert, wird er ein perfekt diszipliniertes Gruppenleben in einem Satyagraha Ashram, Camp oder Trainingszentrum führen.

  10. Ein Satyagrahi wird wie ein gehorsamer Soldat die Entscheidungen und Instruktionen, die sein Gruppenführer ihm gibt, ausführen, und dieser wird wiederum die Befehle seines unmittelbaren Vorgesetzten und des obersten Leiters der Satyagraha Bewegung einhalten.

5. Unsere größten Güter und Werte

Obwohl Tibet gerade die schwierigste und problematischste Phase in seiner uns bekannten Geschichte durchmacht, und das Land mit den schlimmsten Hindernissen konfrontiert ist, dürfen die Tibeter dennoch nicht vergessen, daß sie zwei der größten Güter besitzen, die eine einzigartige Quelle von unauslotbarer Stärke darstellen. Diese haben sie in der Vergangenheit vor allen Wechselfällen beschützt und werden ihnen letztlich auch verhelfen, ihr Ziel zu verwirklichen. Diese Güter sind:

a) der unverwechselbare Charakter des großen tibetischen Volkes,

b) die Anwesenheit Seiner Heiligkeit des Dalai Lama.

a) Der unverwechselbare Charakter des tibetischen Volkes

Tibeter sind eines der tapfersten Völker auf Erden. Sie sind die Erben einer großen Zivilisation, berühmt für ihr reiches spirituelles und kulturelles Erbe. In ihrer langen und bunten Geschichte haben sie wieder und wieder die edlen menschlichen Qualitäten des Vermögens auszuhalten, der Geduld, der Furchtlosigkeit, Vergebung, Liebe und Barmherzigkeit bewiesen. Fassen sie den festen Entschluß, ihr ersehntes Ziel zu erreichen, dann sind sie bereit, alles zu opfern, was sie besitzen. Diese Qualitäten des tibetischen Volkes sind sein größtes Gut.

b) Die Anwesenheit Seiner Heiligkeit des Dalai Lama

Die Tibeter können sich glücklich schätzen, Seine Heiligkeit den Dalai Lama als ihren einzigen Beschützer, Wächter und Führer in ihrer Mitte zu haben. Er ist nicht nur der Inbegriff der tibetischen Kultur und Zivilisation, sondern auch das größte Symbol des tibetischen Volkes und seiner Freiheit. Millionen von Tibetern innerhalb und außerhalb Tibets haben die höchste Achtung vor ihm und verehren ihn als ihren größten Wohltäter und Beschützer. Er personifiziert die ewigen spirituellen Werte und Prinzipien, die der menschlichen Existenz Bedeutung verleihen und die Kulturen bereichern. Er steht für alles, was gut, tugendsam, wünschenswert und nutzbringend für die Menschheit ist. Sein Festhalten an diesen Werten ist exemplarisch. Er mahnt die Menschen, diese Tugenden unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Es ist kein Wunder, daß er über den ganzen Erdball als ein Apostel für Wahrheit, Frieden, Liebe, Mitgefühl und Gewaltlosigkeit geachtet wird. Es ist die fromme Pflicht jedes Tibeters, die Werte und Normen, die Seine Heiligkeit verkündet, hochzuhalten.

6. Unser Entschluß und unsere Hoffnung

Freunde, nun ist der Augenblick für die Tibeter gekommen, eine historische Entscheidung zu treffen. Die Geschichte wartet nicht mehr auf jene, die die richtige Zeit verpaßt haben. Wir müssen sehr klar sehen, damit wir keinen Schritt aus Verzweiflung tun. Jede Verzweiflungstat unsererseits würde als unreif und ungerechtfertigt betrachtet werden. Gleichzeitig müssen wir uns vor Selbstzufriedenheit und Untätigkeit hüten. Tatsache ist, daß, wenn die gegenwärtige Sackgasse nicht durchbrochen wird, es kaum noch eine Chance für eine positive und hoffnungsvolle Wende geben wird. Daher wird es dieses Jahr, wenn unzählige religiös Praktizierende, Bewunderer und Sympathisanten seiner Heiligkeit seinen 60. Geburtstag feiern, für die ihm dankbaren Tibeter geziemend sein, eine der größten und edelsten gewaltfreien Friedensbewegungen in der Geschichte der Menschheit zu beginnen, um die Kultur und die ethnische und nationale Identität Tibets, die vom Auslöschen bedroht sind, zu retten. Wollen wir daher den Auftakt in der richtigen Richtung setzen. Wahrheit und Gerechtigkeit sind auf unserer Seite.

Ramesh Chandra Tiwari

II.

ANHANG II

Satyagraha (zum Nachdenken)

Was den theoretischen Teil des in Aussicht genommenen Satyagraha betrifft, so gibt es keinen Zweifel, daß wir über einen ausgezeichneten Plan verfügen. Dieser kann geändert oder ergänzt werden, wo immer es sich als notwendig erweist. Aber das wichtigste ist, ihn in die Tat umzusetzen. Die Frage ist nun, wie wir dies anpacken können.

Es ist offensichtlich, daß Satyagraha ein beschwerliches Unterfangen ist, das einen langen Kampf bedeutet, der sich Jahre oder gar Jahrzehnte hinziehen kann. Der Weg wird voller Risiken, Auf-und-Ab sein. Ehe er wirklich gestartet wird, ist es obligatorisch, einige Faktoren und Bedingungen gut zu überdenken. Es sei denn wir studieren diese sehr gründlich, könnte es sein, daß die ganze Sache in einem Fiasko endet und destruktiv wird. Einige der wichtigsten Bedingungen und Faktoren sind folgende:

1. Die Situation in Tibet

Die erste und wichtigste Frage ist die gegenwärtige Situation in Tibet. Die vier Jahrzehnte der totalitären kommunistischen Herrschaft haben das gesamte Gesicht Tibets verändert. Zwei oder drei Generationen Tibeter wurden unter einem Regime aufgezogen, das alles kontrolliert von der Geburt bis zum Tod, vom täglichen Brot bis zur Erziehung. Chinesische Neusiedler sind nun in der Überzahl gegenüber Tibetern. Individuelle Freiheit, wie sie in der ganzen demokratischen Welt gang und gäbe ist, ist unbekannt, und keiner kann seine Stimme gegen die militaristische Autorität erheben. Tibets Kultur und Zivilisation sind von totaler Auslöschung bedroht. Kurz, das Tibet, das uns bekannt war, d.h. das Tibet vor der chinesischen Besatzung, ist nicht mehr vorhanden. Alle diese Tatsachen sind so gut bekannt, daß wir sie nicht wiederholen brauchen. Tatsächlich ist es die katastrophale Lage in Tibet, die uns treibt, mit Entschlossenheit ans Werk zu gehen. Aber gleichzeitig müssen wir im Rahmen des in Aussicht genommenen Satyagraha die folgenden Fragen beantworten:

  • Welche Unterstützung können wir von Tibetern erwarten, die in Tibet unter dem diktatorischen chinesischen Regime leben? Welche Unterstützung in Form von tatsächlicher Beteiligung an dem Satyagraha, welche materielle Hilfe, welchen moralischen Beistand und welche Sympathie?

  • Wie sollten wir dort beginnen? Wie werden die Satyagrahis in Tibet ausgekundschaftet, gefunden, rekrutiert und trainiert?

  • Welche Gruppe von Tibetern in Tibet wird sich bereit erklären (generationsweise, gebietsweise, klassen- oder berufsmäßig, religionsmäßig)?

  • Inwieweit werden die Satyagrahis in Tibet an die Öffentlichkeit treten können, große Risiken eingehen und fähig sein, alle Arten von Entbehrungen und Leid auf sich zu nehmen?

2. Oberste leitende Autorität der Bewegung

Wenn die Erfahrung Gandhis als Leitfaden betrachtet werden kann, dann muß die zukünftige Satyagraha Bewegung eine oberste Autorität besitzen. In dem Falle Indiens war Gandhiji der unumstrittene Führer der Bewegung. Wie wir alle wissen, war er der Urheber, Propagierende, Planer, Leiter und oberste Richtungsgeber des Satyagraha. Ohne höchste Autorität kann der Satyagraha Kampf nicht gefochten werden. Eine Befehlsstruktur, wie informell, unmilitärisch und human sie auch sein mag, ist ein Imperativ für jede Kampagne. Daher wird die vorgeschlagene gewaltlose Freiheitsbewegung Tibets auch eine Autoritätsstruktur mit einem obersten Chef oder Gremium an der Spitze besitzen müssen. Diese oberste Autorität wird verantwortlich sein für die Durchführung der Bewegung. Alle ihre Aspekte wie Vorbereitung, Rekrutierung, Training, Planung, Setzen von Prioritäten, Bestimmung der Methoden, Fällen von Entscheidungen, Auftreiben von Mitteln müssen dieser Autorität obliegen. Hier erheben sich einige wichtige Fragen:

  • Wird Seine Heiligkeit der Dalai Lama bereit sein, das Satyagraha anzuführen?

  • Wird es für ihn richtig sein, zu jenem Zeitpunkt direkt die Zügel des Satyagraha in die Hand zu nehmen?

Wenn unsere Antworten darauf bejahend sind, dann ist die Frage der obersten Autorität bereits in der besten vorstellbaren Weise gelöst. Aber wenn unsere Antwort negativ ausfällt, dann haben wir drei Optionen vor uns:

  • Seine Heiligkeit ernennt einen obersten Leiter,

  • Seine Heiligkeit formt ein oberstes Komitee aus fünf oder sechs Personen, die auf Konsensusbasis (nicht durch Mehrheitsbeschluß) Entscheidungen fällen.

  • Wenn festgestellt wird, daß es besser wäre, wenn Seine Heiligkeit sich von dem Satyagraha ganz fernhält (nur anfänglich seinen Segen dazu erteilt), dann könnten wichtige tibetische politische Führer oder einflußreiche Personen aus verschiedenen Schichten der Gemeinschaft zusammenkommen, um das oberste Gremium von fünf bis sechs Direktoren zu bestimmen. Solch eine Klausurtagung braucht nicht viele Teilnehmer aufzuweisen. Wenn sich zu dieser Klausurtagung die gewählten Volksvertreter Tibets einfinden würden, wäre es am besten.

3. Heranbildung einer starken öffentlichen Meinung

Eine starke und günstige öffentliche Meinung zugunsten des Satyagraha ist eines der wichtigsten Momente jeder gewaltfreien Bewegung. Wenn ein Satyagraha gestartet wird und es keine solide öffentliche Meinung gibt, die hinter ihm steht, dann wird es bald auf ernste Probleme stoßen. Eine großzügige moralische und materielle Unterstützung hängt von einer wohlwollenden Meinung in der Gesellschaft im großen ab. Obwohl es einen gewissen Grundstock guten Willens und der Sympathie für die tibetische Sache in der ganzen Welt gibt, benötigt der Start eines gewaltfreien Aktionsprogramms die spezifische Unterstützung aus der Öffentlichkeit. Deshalb ist die Frage: Wie können wir eine gewogene und starke öffentliche Meinung sowohl innerhalb als auch außerhalb Tibets schaffen? Können wir in China überhaupt etwas ausrichten? Welche Strategien müssen zu diesem Zweck angewandt werden? Welche Mittel und Methoden sollten wir benutzen: Bulletins, Broschüren, Infohefte, TV Sendungen, persönliche Computervernetzungen? All diese Fragen müssen vorrangig geklärt werden.

4. Methoden, Prioritäten, Strategien

Eine der wichtigsten Aufgaben ist, die Form von Satyagraha herauszufinden, die im Anfangsstadium am passendsten und realisierbarsten ist. Genauso wichtig wird es sein, die Prioritäten sowie Strategien in bezug auf den Beginn und die Fortführung der Bewegung zu determinieren. All dies erfordert gerade am Anfang eine Menge Überlegung und Nachdenken.

5. Auswahl und Ausbildung

Jede Befreiungsbewegung erfordert eine engagierte Schar vom Mitarbeitern und Freiwilligen. Da die Satyagraha Bewegung auf den höchsten ethischen Prinzipien basiert, ist es sehr wichtig, solche Leute auszuwählen, die unter allen Umständen an ihren erklärten Prinzipien festhalten. Daher muß größte Sorgfalt bei der Rekrutierung der Satyagraha Freiwilligen angewandt werden. Zweifellos sollte die Mehrzahl aus relativ jungen Leuten von 20-40 Jahren bestehen, aber es könnte auch fruchtbringend sein, höhere Altersgruppen, etwa 40-65 jährige mit einzubeziehen. In ähnlicher Weise müssen die Satyagrahis aus verschiedenen regionalen, wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und ethnischen Gruppen der tibetischen Gesellschaft gestellt werden. Besonders wichtig ist es auch, Frauen mit einzubeziehen. Kurz, die Heerschar der gewaltfreien Kämpfer um die Freiheit sollte alle Schichten der Gesellschaft umfassen.

Noch wichtiger als die Rekrutierung ist die Ausbildung der Satyagrahis. Da sie unter allen Eventualitäten wahrhaftig, friedlich und gewaltlos bleiben müssen, sollten sie ein rigoroses Training und die richtige Ausbildung erhalten. Da das Leben eines Satyagrahis ein Leben der Hingabe und Entsagung um einer höheren Sache willen ist, müssen die Freiwilligen trainiert werden, ein Leben der Gemeinschaftlichkeit, Entbehrung, Selbstgenügsamkeit und Einfachheit zu führen. Sie brauchen Unterweisung in konstruktiver Arbeit, Gemeinschaftsaktivität und sozialen Aufbauprogrammen. Das Training der Satyagraha Freiwilligen ist also eine ernste Aufgabe, die richtige Planung, geeignete Mittel und eine ausgewählte Gruppe von ergebenen und fähigen Lehrern und Instruktoren erfordert.

III.

ANHANG III

(zu Kapitel XI:)

  1. Satyagrahis werden keine chinesischen Filme oder Bühnenstücke anschauen.

  2. Satyagrahis werden keine Video oder TV Programme sehen, in denen die chinesische Sprache verwendet wird.

  3. Satyagrahis werden Medaillons mit dem Bild Seiner Heiligkeit des Dalai Lama tragen.

  4. Satyagrahis werden an bestimmten Tagen schwarze Abzeichen oder schwarze Armbinden tragen.

  5. Satyagrahis werden regelmäßig als Schweigeprotest täglich für eine gewisse Zeit (etwa einen Monat lang) oder an einem bestimmten Wochentag (etwa eine Stunde) schweigend auf dem Boden hocken.

  6. Satyagrahis weigern sich, offiziell chinesische Kleidung zu tragen.

  7. Satyagrahis geloben, bei allen Anlässen Tibetisch in Sprache und Schrift zu verwenden.

  8. Satyagrahis kaufen oder lesen keine Zeitung oder Zeitschrift auf Chinesisch.

  9. Satyagrahis schalten jeden Abend (etwa zwischen 20 und 22 Uhr, für 15-30 Minuten) das Licht ab.

  10. Satyagrahis rezitieren Gebete und nationale Hymnen, und von den Dächern ihrer Häuser blasen sie jeden Abend zu festgesetzter Zeit Trompeten und Hörner und schlagen den Gong.

  11. Satyagrahis hissen auf ihrer Dachveranda die tibetische Flagge und Gebetsfahnen.

(zu Kapitel XII:)

  1. Die chinesischen Neusiedler müssen Tibet verlassen, sie müssen sich innerhalb einer festgesetzten Zeitspanne zurückziehen.

  2. Wo immer und wann immer die Menschenrechte während des chinesischen Regimes verletzt wurden, muß eine gründliche Untersuchung von einer internationalen Kommission durchgeführt werden, damit die Wahrheit ans Licht kommt und die dafür Verantwortlichen dingfest gemacht werden.

First edition,1995, published by Satyagraha Committee, Sarnath, Varanasi-221007, printed at Shivam Printers, Varanasi.