Der Situation der religiösen Freiheit bei den verschiedenen Glaubensgemeinschaften
Uigurische Muslime
In Xinjiang, wo die turksprachigen Uiguren die vorherrschende Moslemgemeinschaft bilden, haben die örtlichen Behörden unter dem Vorwand des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus alle religiösen Aktivitäten verboten.
Man verhaftete Uiguren wegen Besitzes von “nicht genehmigten” religiösen Schriften, die Erlaubnis zur Instandsetzung von Moscheen wurde ihnen verweigert, mehrere Moscheen wurden geschlossen eine davon mit der Begründung, das Gebäude sei “zu groß”. Unter Berufung auf den Artikel 43 der Bestimmungen, welcher eigen-organisierte Pilgerfahrten nach Übersee verbietet, haben lokale Behörden die Pässe von Uiguren konfisziert, die den Ramadan in Mekka verbringen wollten. Gestattet waren ausschließlich vom Staat veranstaltete Hadj-Pilgerfahrten, aber Personen im Staatsdienst, ja sogar pensionierte, benötigten eine Sondergenehmigung für eine Teilnahme.
Im Juli 2005 durchsuchten Polizisten die Taschen der an einer Bushaltestelle wartenden Menschen und verhaftete drei Uiguren, weil sie im Besitz eines “nichtautorisierten” islamischen religiösen Textes waren. Sie wurden innerhalb einer Woche wieder freigelassen und erhielten eine Geldstrafe. Am 1. August verschaffte sich die Polizei gewaltsam Zugang zum Haus der Uigurin Aminan Momixi, die gerade 37 Schülern, von denen einige nicht älter als sieben Jahre waren, den Koran erläuterte. Ersten Berichten zufolge wurde sie inhaftiert und des “illegalen Besitzes von religiösem Material und subversiver historischer Schriften” angeklagt. Bisher liegen Human Rights Watch keine weiteren Informationen über ihren Verbleib vor. Einige Kinder wurden erst freigelassen, nachdem ihre Eltern Geldstrafen zwischen 7.000 und 10.000 Yuan (875 1250 US$) bezahlt hatten für auf dem Land lebende Uiguren ein kaum aufzubringender Betrag!
Gegen Ende August verboten die Sicherheitskräfte in der Autonomen Präfektur Xili in der Provinz Xinjiang die Sala-Sufi Gemeinschaft und verhafteten 179 von ihren Anhängern, weil sie sich illegal versammelt und dabei die Staatssicherheit gefährdet, sowie der offiziellen Religionsaufsicht durch die Behörden zuwider gehandelt hätten. Sie wurden nach Bezahlung der gegen sie ergangenen Geldstrafen wieder freigelassen.
Die religiöse Erziehung von Minderjährigen ist in Xinjiang ebenso wie in Tibet ein umstrittenes Thema. Als eine von mehreren Bedingungen für die Nichteinbringung einer chinakritischen Resolution bei der UN-Menschenrechtskommission im März/April 2005 verlangten die Vereinigten Staaten, daß China öffentlich erkläre, daß die “religiöse Erziehung von Minderjährigen in Übereinstimmung mit dem chinesischen Gesetz und der Politik erfolgt”. Der Sprecher des Außenministeriums Liu Jianchao antwortete am 17. März 2005 auf die Fragen eines Journalisten, es gebe gar kein Gesetz, das Minderjährigen verbiete, einem bestimmten religiösen Glauben anzuhängen. Er betonte jedoch, die Religion dürfe nicht die “schulische und soziale Erziehung beeinträchtigen”. Weiter sagte er, soweit er wisse, sei Religionserziehung durch die Eltern erlaubt. Im August 2005 erklärten Behördenvertreter in Xinjiang einer zu Besuch weilenden Delegation der US-Kommission für Religiöse Freiheit, daß es sich bei dieser Aussage um einen Irrtum handle. Mit Religionserziehung dürfe erst dann begonnen werden, wenn ein Minderjähriger die neun Pflichtschuljahre abgeschlossen hat.
Tibetische Buddhisten
Auch 2005 griff die Regierung unvermindert vehement in die religiösen Angelegenheiten der tibetischen Buddhisten ein. Typischerweise bezeichnete eine offizielle chinesische Veröffentlichung den von China eingesetzten Panchen Lama als das “Oberhaupt der tibetischen Buddhisten” und behauptete, er sei “der höchste Würdenträger des tibetischen Buddhismus”, obwohl bis zum heutigen Tag ausschließlich der Dalai Lama Anspruch auf diesen Titel hat. Der 16 Jahre alte Panchen Lama versprach seinerseits, er werde “den Erwartungen der Kommunistischen Partei Chinas und der Zentralregierung gerecht werden”. Der Aufenthaltsort des vom Dalai Lama anerkannten Panchen Lama ist weiterhin unbekannt.
Um mehr Unterstützung für den von China eingesetzten Panchen Lama zu gewinnen, unterzogen die Behörden in der TAR und den autonomen Präfekturen und Distrikten der Provinzen Gansu, Sichuan, Qinghai und Yunnan die Mönche und Nonnen einer neuen Runde der “Patriotischen Erziehung”. Diese schließt mit einer obligatorischen Prüfung ab, bei der es um die offizielle chinesische Version der tibetischen Geschichte, Religionspolitik, juristische Angelegenheiten, Ethik und die “Ausmerzung von Separatisten” geht. Diejenigen, die nicht akzeptieren, daß Tibet seit jeher ein Teil Chinas gewesen sein soll, oder sich weigern, den Dalai Lama zu verunglimpfen und den von den Chinesen eingesetzten Panchen Lama als rechtmäßig anzuerkennen, sehen sich mit dem Ausschluß aus ihren Klöstern konfrontiert. Im Juli wurde ein Würdenträger eines der führenden Klöster Lhasas seines Postens enthoben, weil er insgeheim den Dalai Lama unterstützt hatte. Mönche aus einem anderen Kloster in Lhasa wurden wegen desselben “Vergehens” des Klosters verwiesen, was einen stummen Protest durch zahlreiche andere dort lebende Mönche zur Folge hatte. Weiterhin ist von einem Ausschluß von ca. 40 Nonnen aus einem Kloster in Lhasa, ebenfalls aus demselben Grund, die Rede.
Wie berichtet, haben örtliche Behördenvertreter buddhistische Würdenträger in der Provinz Qinghai dazu aufgefordert, sich stärker für die Unterstützung der Religionspolitik Pekings einzusetzen, und sie mit Strafen bedroht, falls sie sich nicht entsprechend verhalten.
Katholiken
2005 gab es einen informellen Dialog zwischen dem Vatikan und Peking mit dem Ziel einer Annäherung, was durch Berichte erhärtet wird, daß beide Seiten der Ernennung von zwei neuen Bischöfen (einer Ernennung in Shanghai und einer in Xi’an) zustimmten. Gleichzeitig gerieten sogenannte katholische Untergrundpriester und Bischöfe, die sich ausschließlich dem Vatikan gegenüber zur Loyalität verpflichtet fühlen, zunehmend unter Druck.
Besonders in der Provinz Hebei, dem Zentrum katholischer Untergrundaktivitäten, unterwarfen die Behörden Geistliche und Bischöfe der “Umerziehung”, um sie zum Beitritt zur “Katholischen Patriotischen Vereinigung” zu bewegen, sich also der offiziellen Katholischen Kirche Chinas anzuschließen. Obwohl es kaum Einzelheiten über diesen Prozeß gibt, wurde doch bekannt, daß die betroffenen Geistlichen für die Dauer ihrer Umerziehung an einem unbekannten Ort festgehalten wurden.
Zu bemerken ist, daß die Behörden häufig ein Auge zudrückten, wenn die Versammlungen von katholischen Gläubigen in kleinem Rahmen stattfanden und dabei diskret und unpolitisch waren. Verhaftungen gab es meistens nach Messen, die eine große Anzahl von Gläubigen anzogen, nach der öffentlichen Begehung wichtiger katholischer Feiertage und während pastoraler Klausuren.
Das alte Thema der Rechte an dem ehemaligen katholischen Kirchenbesitz flammte 2005 wieder auf. Nach Artikel 30 der Regelung von 2005 gilt: “Grund und Boden, welcher im Rahmen des Gesetzes von einer religiösen Organisation genutzt wird oder auf dem sich eine religiöse Stätte befindet, steht ebenso unter gesetzlichem Schutz wie Strukturen oder Einrichtungen, die sich im legalen Besitz einer solchen Organisation oder Stätte befinden… es darf keine Übergriffe, Plünderungen oder Beschlagnahmungen geben”. Dennoch wurde eine Kirche in Xi’an dazu gezwungen, ihre 1982 verstaatlichten Grundstücke, welche 2003 an einen Bauträger weiterverkauft worden waren, wieder zurückzukaufen. Der Fall geriet in die Schlagzeilen, nachdem unbekannte Angreifer Nonnen geschlagen und schwer verletzt hatten, die versuchten, die Gebäude vor der Zerstörung zu bewahren.
Protestanten
Kurz nach Einführung der neuen Richtlinien kam es zu Razzien gegen die sogenannten christlichen (protestantischen) Hauskirchen in Shanxi, Henan, Hubei und Jiangxi. Diese hielten bis ins Jahr 2006 an. Mehreren Hauskirchen wurde die Registrierung verweigert, während andere sie von vornherein ablehnten.
Der Begriff “Hauskirche” bezieht sich auf Kongregationen, die sich weigern, sich mit anderen protestantischen Gruppierungen wie Methodisten, Anglikanern und Lutheranern in einer konfessionslosen kirchlichen Struktur, welche die chinesischen Regierung als eine angemessene Dachorganisation für alle Protestanten vorgesehen hat, zusammenzuschließen. Mitglieder der Hauskirchen, die häufig als Fundamentalisten bezeichnet werden, fürchten, eine derartige kirchliche Organisation würde ihrer Lehre und liturgischen Traditionen nicht gerecht. Hauskirchen sind angeblich unabhängig, gehören aber gewöhnlich einer von mehreren großen, hierarchisch strukturierten Religionsgemeinschaften an.
2005 konzentrierten sich die Razzien der Behörden in erster Linie auf Großveranstaltungen, bei denen pastorale Mitarbeiter aus den verschiedensten Provinzen und Städten zusammenkamen. Viele Anwesende wurden festgenommen und mit Geldstrafen belegt, und ein paar auch inhaftiert. Bei zahlreichen dieser Veranstaltungen gab es auch Ausbildungskurse für Lehrer und Führungskräfte. Derartige Treffen erregen ganz besonderes Mißtrauen bei einer Regierung und Partei, deren Ziel die Kontrolle und Indoktrinierung der nächsten Generation von religiösen Würdenträgern ist, die “patriotisch” zu sein haben. Auch Kirchen, die sich aktiv um Mitgliederzuwachs bemühten, wurden aufs Korn genommen. In einer Kirche fand während der Taufzeremonie für 60 neue Gläubige überfallartig eine Razzia statt. Eine andere Razzia betraf einen Kurs, in dem Gymnasiasten und Studenten zu Sonntagsschullehrern ausgebildet werden sollten. Berichten zufolge wurden die Gläubigen von den Polizisten und Kadern der Abteilung für Religionsangelegenheiten, welche für die Durchführung der Razzien verantwortlich waren, übel behandelt, während die Festgenommenen von den Aufsehern mißhandelt wurden.
Bei einer Reihe koordinierter Razzien in der Provinz Jilin in rund einhundert Versammlungsräumen machten die Behörden im Mai 2005 ca. 600 Gläubige dingfest. Vermutlich wollten sie damit dem wachsenden Einfluß von Hauskirchen auf akademische Kreise ein Ende setzen. Einige Führer der Hauskirchen wurden in Gewahrsam genommen, um sie “Schulungen” zu unterziehen, wo ihnen der Beitritt zur “Patriotischen Drei-Selbst-Bewegung”, der offiziellen Dachorganisation für Protestanten, nahegelegt wurde. Die meisten der Verhafteten bei einer Versammlung waren es 100 Pastoren, zu einer anderen waren 50 Teilnehmer aus 20 Provinzen und Städten angereist wurden nach der Entrichtung von Geldstrafen wieder freigelassen.
Die Verurteilung des Hauskirchenführers Cai Zhuohua und seiner Kollegen am 8. November 2005 wegen “illegaler Geschäftspraktiken” zeigt, wie wichtig den chinesischen Behörden die Kontrolle der religiösen Veröffentlichungen ist. Cai Zhuohua hatte mehrere Tausend Exemplare christlicher Texte gedruckt und damit das Mißfallen der Behörden erregt. Cai rechtfertigte sich damit, er habe diese Schriften verschenkt und nicht verkauft, weil eine so große Nachfrage danach bestanden hätte. Die Herausgabe religiöser Literatur wird durch die “Verordnung zur Verwaltung der Druckindustrie” geregelt.
In dem 1997 von der Regierung veröffentlichten Weißbuch “Freiheit der religiösen Überzeugung in China” heißt es: “Für ‚Hausgottesdienste’, bei denen vorwiegend Verwandte und Freunde zusammenkommen, um religiösen Aktivitäten wie Beten oder dem Bibelstudium nachzugehen, gibt es keine Registrierungspflicht.” Wenn diese Klausel offiziell umgesetzt würde, wäre es ein Schritt in Richtung Religionsfreiheit, weil es nämlich nicht verboten wäre, wenn jemand eine Hauskirche bei sich beherbergt. Wie berichtet, sind diese Versammlungen jedoch, falls sie überhaupt genehmigt werden, auf höchstens 25 Familienangehörige und deren Freunde begrenzt, und sie dürfen weder auf regelmäßiger Basis abgehalten werden, noch dürfen sich die Nachbarn gestört fühlen.
Falun Gong
Obwohl Sprecher dieser Bewegung ausdrücklich betonen, daß es sich bei Falun Gong um keine Religion handle, ist es doch ein strukturiertes Glaubenssystem, das Elemente des Buddhismus und des Taoismus vereint, womit ihre Anhänger ein Recht auf den durch Artikel 18 des Internationalen Abkommens über bürgerliche und politische Rechte garantierten Schutz haben.
Im Oktober und November 1999 definierten die chinesischen Regierungsbehörden, was “häretische Kulte” sind und erklärten Falun Gong zu einem solchen, wodurch die Strafverfolgung der Anhänger der Gemeinschaft gemäß dem in Kraft befindlichen Strafgesetz ermöglicht wurde. Nach den Duihua (einer Organisation, die Informationen über politische Gefangene sammelt und sich für deren Freilassung einsetzt) zugegangenen Informationen werden Falun Gong Anhänger weiterhin in alarmierend hoher Zahl verhaftet. Man nimmt an, daß über 2.000 Falun Gong Anhänger in Gefängnissen oder Umerziehungslagern inhaftiert sind. In dem seit Inkrafttreten der neuen Religionsverordnung vergangenen Jahr wurden über 400 Anhänger verhaftet und zu Gefängnis oder zur Umerziehung verurteilt. Die verfügbaren Informationen stammen vorwiegend von Falun Gong selbst und können nur in den seltensten Fällen durch andere Quellen bestätigt werden. Bei der Festhaltung von Falun Gong Anhängern hat die Regierung auch zu Methoden außergesetzlicher Haft wie der Zwangseinweisung in psychiatrische Krankenhäuser oder “Rechtserziehungsanstalten” gegriffen.
Die für “Kulte” existierenden Gesetze kamen auch bei der Verfolgung diverser christlicher Gruppen, die von der Regierung als heterodox einstuft werden, zum Einsatz.