20. April 2021
Radio Free Asia, www.rfa.org

„Ich werde das chinesische Konsulat wie den Friedhof meines Mannes behandeln“

 

Geng He, Ehefrau des vermißten chinesischen Menschenrechtsanwalts Gao Zhisheng, und Unterstützer protestieren vor dem chinesischen Konsulat in San Francisco, 19. April 2021.

Drei Jahre, nachdem der prominente Menschenrechtsanwalt Gao Zhisheng aus seiner Höhlenwohnung in der nordchinesischen Provinz Shaanxi verschwunden ist, hat seine Frau die chinesische Regierung aufgefordert, ihr seine sterblichen Überreste zu übergeben, da sie vermutet, daß er nicht mehr am Leben ist.

Gaos Frau Geng He, die im Januar 2009 mit ihrem Sohn und ihrer Tochter in die USA geflohen war, gab am 19. April bei einer Demonstration die folgende Erklärung vor dem Generalkonsulat der Volksrepublik China in San Francisco ab.

„Ich habe das Böse der Kommunistischen Partei Chinas unterschätzt“, schrieb Gaos Frau Geng He auf ihrem Twitter-Account. „Ich habe jetzt keine Träume mehr. Ich hoffe nur, daß die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) mir Gao Zhishengs Asche aus humanitären Gründen aushändigen wird.“

Sie verlas eine Erklärung, die besagt, daß sie in den drei Jahren seit seinem letzten „Verschwinden“ keinerlei Nachrichten über den Aufenthaltsort oder das Wohlergehen des 57-jährigen Gao erhalten habe.

„Gao wurde 16 Jahre lang von der KPCh inhaftiert und verfolgt, in denen er gefoltert, in Einzelhaft gehalten oder mehrmals Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens wurde“, sagte Geng. „Keinen einzigen Tag hat er in Freiheit verbracht.“

„Irgendwann in den vergangenen drei Jahren ist Gao Zhisheng aus dem Hausarrest verschwunden“, sagte sie. „Es gab keine Anrufe, keine Informationen. Niemand weiß etwas über ihn. Es ist, als hätte er sich in Luft aufgelöst.“

Sie sagte, die Polizeibehörde von Yulin in der nördlichen Provinz Shaanxi habe zugegeben, ihn Anfang dieses Monats in Haft gehalten zu haben, aber sie habe Geng keine Gelegenheit gegeben, mit ihm zu sprechen.

„Ich habe jetzt eine dunkle Vorahnung, die immer stärker wird, nämlich daß Gao Zhisheng zu Tode verfolgt worden ist“, sagte sie. „Sonst hätte er bestimmt einen Weg gefunden, uns zu kontaktieren.“

„Wenn ich heute hier stehe, bin ich nicht mehr die Frau eines chinesischen politischen Gefangenen“, sagte Geng. „Ich habe keine politischen Ansichten.“

„Ich habe mir einmal vorgestellt, daß ich bald nach China zurückkehren und mit ihm leben würde; ich habe mir auch ausgemalt, daß er nach seiner Entlassung aus der Haft in die Vereinigten Staaten kommen könnte, um mir zu helfen, die Verantwortung für die Familie zu tragen und den Mangel an elterlicher Liebe für unsere Kinder wettzumachen“, sagte sie.

Seit drei Jahren hat kein Verwandter Gao getroffen

Gao Zhisheng 2010

„Vielleicht war das naiv von mir.“

"Gao Zhisheng hat gelitten, weil er China so sehr liebte“, sagte Geng. „Es wäre ihm eine Ehre gewesen, in unserem Mutterland begraben zu werden. Von diesem Tag an werde ich das Konsulat der KPCh, das nächst gelegene für mich, als seinen Friedhof betrachten.“

„Von diesem Tag an werde ich unsere Kinder hierher bringen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, am Anfang und in der Mitte eines jeden Monats und am Qing Ming, dem Grabpflege-Festival, und das bis zu meinem letzten Atemzug“, sagte sie.

Gao, einst ein prominenter, von der regierenden Kommunistischen Partei Chinas gefeierter Anwalt, geriet ins Visier der Behörden, nachdem er einige der verletzlichsten Menschen Chinas, wie Christen, Bergarbeiter und Anhänger der verbotenen spirituellen Bewegung Falun Gong, verteidigt hatte.

Gao wurde verhaftet und wegen „Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht“ verurteilt und war anschließend mehrmals „verschwunden“, bevor er schließlich zur Verbüßung seiner Strafe an einen geheimen Ort geschickt wurde.

Geng hatte zuvor die chinesische Regierung gebeten, ihr zu erlauben, nach China zurückzukehren und zusammen mit ihm ins Gefängnis zu gehen.

Geng berichtete RFA in einem Interview Anfang des Monats, daß keiner von Gaos Verwandten in den letzten drei Jahren die Erlaubnis erhalten habe, sich mit ihm zu treffen, wobei die Polizei seit letztem Jahr Beschränkungen wegen des Koronavirus als Grund anführe.

„Es ist nicht nur so, daß es keine Nachricht von Gao Zhisheng gibt, auch die Verfolgung seiner Familie durch die Behörden hat zugenommen“, sagte sie. „Die Ausweise aller Familienmitglieder wurden in den letzten 10 Jahren von den Behörden konfisziert, so daß sie nicht in der Lage sind, ihre Gegend zu verlassen, geschweige denn nach ihm zu suchen.“