25. August 2008
World Tibet Network News, www.tibet.can
www.sify.com


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China - Was kommt nach den Spielen?

von Claude Arpi*

Das glamouröse Ereignis ist vorüber und die Olympischen Spiele wurden für beendet erklärt. Doch nun, wo das letzte Flutlicht im Olympia-Stadion erloschen ist, bleibt eine interessante Frage offen: Wie sieht Chinas Zukunft aus?

Die Führung in Peking hat sicherlich eine wichtige Erfahrung gemacht. Ihr sollte schmerzhaft klar geworden sein, daß viele Menschen auf der ganzen Welt die mangelnde Achtung der Menschenrechte und der Freiheit oder die Art und Weise, wie China mit seinen nationalen Minderheiten umgeht, besonders den Tibetern, nicht gutheißen.

Wenn die hochgeputschte nationalistische Welle in China langsam verebbt, dann wird die Führung in ihrer paradiesischen Enklave von Zhongnanhai [Partei- und Regierungsviertel in Peking, A.d.Ü.] Bilanz ziehen und sich Gedanken über die Zukunft machen müssen.

Wie wird es mit der Freiheit stehen?

Radio Free Asia berichtete kürzlich, daß Tausende von Taxis in Beijing mit Videokameras und Satellitentechnologie bestückt wurden, die Audioaufzeichnungen der Gespräche im Taxi direkt an eine Kontrollstelle übermitteln. Später werden die Gespräche von Computern ausgewertet, die Dutzende von Sprachen analysieren und sogar Gesichter erkennen können.

Ein Angestellter in einem großen Taxi-Unternehmen in Beijing erzählte RFA: „Es war vor etwa zwei oder drei Monaten… Alle Taxis unserer Firma wurden damit ausgerüstet.“

Und diese Maßnahme ist nicht auf Beijing beschränkt. Sie wurde auch in anderen großen chinesischen Städten sowie in Unruheprovinzen wie der Uighurischen Autonomen Region Xinjiang eingeführt. An einigen Orten machen die Kameras automatisch von jedem Taxibenutzer ein Bild. Dies soll natürlich, wie die Zeitung People’s Daily schreibt, „den Behörden helfen, illegalen Aktivitäten auf die Spur zu kommen“.

Die Frage ist: Werden diese Geräte am 25. August wieder ausgebaut werden? Ich wette, sie bleiben. Und das bedeutet ein wachsendes Eindringen des Staates in das Privatleben der chinesischen Bürger.

Was wird aus dem Zugang zum Internet?

Eine der heftigsten Kontroversen vor den Spielen betraf den Zugang zum Internet. Die Internetverbindung für das Hauptpressezentrum war laut offizieller Aussage während der Spiele stark eingeschränkt.

Einen Monat vor den Spielen hatte IOC-Präsident Jacques Rogge gegenüber Agence France-Presse erklärt: „Zum ersten Mal werden ausländische Medien ungehindert berichten und ihre Arbeiten frei in China veröffentlichen können. Es wird keine Zensur des Internets geben.“ Peking hat eine “Great Firewall of China“ aufgebaut, um den Nutzern den Zugang Seiten zu sperren, deren Inhalte die Parteiführung beanstandet.

Wenn ein Land das Internet zensieren möchte, dann werden in der Regel spezifische Webseiten oder Webadressen blockiert. Aber wie gewöhnlich ist China Vorreiter auf diesem Gebiet. Es verwendet hochentwickelte und ausgeklügelte Vorrichtungen, um Inhalte auszufiltern und spezielle Schlüsselworte zu erkennen.

Der OpenNet Initiative zufolge, einem Gemeinschaftsprojekt verschiedener westlicher Universitäten, ist ein gigantisches Intranet mit dem Namen „Golden Shield“ das effizienteste Instrument der Behörden zu diesem Zweck. Verglichen mit ähnlichen Bemühungen in anderen Staaten ist das Filtersystem in China allgegenwärtig, hochtechnisiert und äußerst wirksam. Es umfaßt mehrere Ebenen rechtlicher Bestimmungen und der technischen Kontrolle und beschäftigt zahlreiche staatliche Stellen und Tausende von Beamten und Angestellten. Es zensiert Inhalte, die über verschiedenartige Methoden übermittelt werden, darunter Webseiten, Weblogs, Online-Diskussionsforen, Internetforen von Universitäten und Email-Botschaften.

Außerdem arbeiten um die 30.000 Internet-Polizisten rund um die Uhr, um die Filter immer auf dem neuesten Stand zu halten und die Emails von Personen zu überwachen, die man verdächtigt, Material zu empfangen, das der nationalen Sicherheit und der sozialen Stabilität der Volksrepublik abträglich sein könnte. Wird das alles nach der Abschlußzeremonie verschwinden? Unwahrscheinlich.

Was wird mit den Tibetern passieren?

In einem kürzlich Sify.com gegebenen Exklusiv-Interview warnte Prof. Samdhong Rinpoche, der tibetische Premierminister im Exil: „Wenn die Olympischen Spiele vorüber sind, werden die chinesischen Behörden vermutlich noch härter gegen die Tibeter vorgehen. Sie werden noch mehr Militär nach Tibet schicken und den Bevölkerungstransfer beschleunigen. Die Zeit nach der Olympiade ist daher noch bedrohlicher als die Gegenwart.“

Vergangenen Monat mahnte Irene Khan, die Vorsitzende von amnesty international, die Welt müsse auch nach der Olympiade in Beijing den Druck auf China bezüglich der Menschenrechte aufrechterhalten.

Amtsmißbrauch, wie Folter und Mißhandlung von Gefangenen, Anwendung der Todesstrafe, Zensur, Einschränkung des Versammlungsrechtes und Unterdrückung von Minderheiten sind nach dem jüngsten Bericht von amnesty immer noch an der Tagesordnung. Wie die Welt im März und April gesehen hat, wurden sogar friedliche Demonstrationen brutal niedergeschlagen. Viele fürchten, daß die Tibeter, sobald die Olympiade vorbei ist, für ihren Übermut und ihr gewagtes Handeln werden bezahlen müssen.

Zhang Qingli, der Parteichef in Tibet, riet den kommunistischen Kadern in einem geheimen Papier für die Zeit nach der Olympiade: „Wir müssen aus den Vorfällen [den März-April Demonstrationen] Lehren ziehen und unsere Massen so organisieren, daß sie eine uneinnehmbare Festung gegen die uns umzingelnde Flut bilden, damit wir unseren Feind schlagen können. Daher müßt ihr, die Anführer der Arbeitseinheiten, eure Tore bewachen und eure Leute gut im Griff haben. Mögen die Leiter der Nachbarschaftskomitees wachsam sein und ein Auge haben auf alle Leute von auswärts. Propaganda und Erziehung sind die größten Vorteile unserer Partei. Sie sind die wirksamsten Waffen, mit denen wir uns gegen die Dalai-Lama-Clique verteidigen können“, schloß er.

Das sind unheilverkündende Worte aus dem Mund eines Mannes, der den Dalai Lama einen Wolf im Mönchsgewand nannte. Angesichts der Feigheit und des politischen Opportunismus der meisten Spitzenpolitiker der Welt sieht die Zukunft für die Tibeter düster aus.

Was wird mit der Umwelt geschehen?

Ein Gutes an der Olympiade ist, daß sie eine Verbesserung der Luftqualität, besonders in Peking, mit sich brachte. Die chinesischen Behörden hatten versprochen, daß die Spiele unter einem blauen Himmel stattfinden würden, ohne die übliche Dunstglocke über der Stadt. Der Grad der Luftverschmutzung würde für die Sportler im Toleranzbereich liegen. Es heißt, Peking habe 17,6 Mrd. US$ investiert, um die Luft der Hauptstadt zu säubern.

Selbst viele Meilen von der Verbotenen Stadt entfernte Fabriken wurden geschlossen und mehr als die Hälfte der 3,3 Mio. Autos der Hauptstadt wurden von den Straßen verbannt.

Obwohl der Luftverschmutzungsgrad über den Standardwerten der Weltgesundheitsorganisation lag, war dies doch ein immenser Fortschritt. Aber wird er anhalten? Bestimmt nicht! Die Fabriken werden wieder öffnen, die Autos werden auf die Straßen zurückkehren.

Vergessen wir nicht, daß China infolge seines phänomenalen Wirtschaftswachstums 2008 die USA als No. 1 im Ausstoß von Treibhausgasen überflügeln wird. China steht auch an erster Stelle unter den Zerstören der Ozonschicht.

Was wird aus der Wirtschaft?

Eine Prognose auf diesem Gebiet ist schwierig. Auf jeden Fall kommen auf China nach der Olympiade ernste Probleme zu. Eines davon ist die Inflation. Bloomberg [internationales Nachrichtenportal mit Schwerpunkt Wirtschaft/Finanzen, A.d.Ü] kommentierte neulich: „China wird merken, daß es leichter ist, das Internet zu kontrollieren als den Preisdruck im Griff zu behalten. Funktionäre in Peking haben willfährige Handlanger in Google und Yahoo, die ihnen helfen, den Cyberspace zu überwachen. Selbst bei Einsatz aller konventionellen Mittel der Wirtschaftspolitik ist es leichter gesagt als getan, die Inflation zu stoppen“.

Viele andere Faktoren wie der Umstand, daß China eine alternde Demographie aufweist oder daß der Sektor öffentliche Unternehmen schwach ist, geben keinen Anlaß für einen optimistischen Blick auf die Zukunft.

John Pomfret, ein ehemaliger Büroleiter der Washington Post in Beijing kommentierte zu Recht: „Aber auf einer Pro-Kopf-Basis ist das Land kein Drache, sondern eine Eidechse mittlerer Größe, die auf der Skala der Weltwirtschaftsperspektive des Internationalen Währungsfonds genau zwischen Swaziland und Marokko liegt. Chinas Wirtschaft ist riesengroß, aber der durchschnittliche Lebensstandard ist niedrig. Und der Einkommensunterschied zwischen Reich und Arm wächst und wächst.

Wie wird die Führung diese Probleme in Angriff nehmen? Wird sie versuchen, ihre harte Linie durchzuboxen oder wird sie auf die Interessenvertreter, ob innerhalb oder außerhalb Chinas, hören?

Diese Frage ist eine Milliarde Yuan wert. Eine interessante Bemerkung von Xi Jinping, dem chinesischen Vizepräsidenten und mutmaßlichen Erbe Hus, während seiner ersten Auslandstour letzten Monat nach Qatar ist erwähnenswert: „Es ist wie ein riesiger Käfig, in dem alle Arten von Vögeln zusammen leben. Wenn man versucht, die laut Kreischenden zu vertreiben, dann verliert man diese wunderbare Vielfalt und Farbenpracht. Entscheidend ist, sich gut um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern“.

Wird die alte Garde der Funktionäre darauf hören?

* Claude Arpi, geboren in Angoulème, Frankreich, begann seine Suche vor 36 Jahren mit einer Reise in den Himalaya. Aus jener Zeit rührt seine Begeisterung für die Geschichte Tibets, Chinas und des indischen Subkontinents. Er ist Autor zahlreicher Bücher in Englisch und Französisch, kürzlich erschien „Tibet: the lost Frontier“ bei Lancers Publishers.