24. Februar 2006
Aus: Trin-gyi-Pho-Nya Tibet's Environment and Development Digest
Tibet Justice Center, 2288 Fulton Street, Suite 312, Berkeley, CA 94704
www.tibetjustice.org, dev@tibetjustice.org
Vol. 4, Issue 1


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Weidelandmanagement auf dem tibetischen Hochplateau

von Tenzin Tsultrim - Kurzfassung

Allgemeines

Die Degradation des Graslands macht der chinesischen Regierung neuerdings ernsthafte Sorgen. Seit den 80er Jahren hat sich sein Zustand ständig verschlechtert, während der Druck auf die Regierung, eine Lösung für dieses Problem zu finden oder es zumindest abzumildern, immer stärker wird. Um die negativen Auswirkungen von zwei Jahrzehnten bedenkenloser Modernisierung in den Weidelandgebieten rückgängig zu machen, hat der Staat verschiedene Maßnahmen ergriffen, die jedoch häufig unerwünschte Folgen zeigten. In diesem Artikel wird zu erklären versucht, weshalb sich die Maßnahmen der Regierung zur Wiederherstellung des Graslands trotz erfolgreicher wissenschaftlicher Versuche schließlich als ungeeignet erwiesen.

Einführung

Das Grasland ist ein wesentlicher Bestandteil des Ökosystems, und jede Veränderung seiner Struktur oder Funktion kann sich unmittelbar auf die gesamte Region auswirken. Heutzutage schreitet die Erosion der Graslandressourcen auf der ganzen Welt schnell fort und bedroht ernsthaft das Leben der Viehzüchter. Sie müssen unbedingt wiederhergestellt werden, bevor es zu spät ist.

Degradiertes Grasland wird im allgemeinen als “schwarzer Strand” bezeichnet. Die betreffenden Gebiete werden sowohl durch menschliche Aktivitäten als auch durch Umweltfaktoren beeinträchtigt: insbesondere durch Überweidung und Klimawandel, aber auch durch die Vermehrung des Viehbestands und den Bevölkerungsdruck, ein immer weiteres Vordringen in das Grasland, eine verfehlte Umweltpolitik und unangemessene Modernisierungsmaßnahmen.

Mit einer Gesamtfläche von über 313,3 Millionen Hektar ist das Grasland das größte Ökosystem in China, und es handelt sich nach Australien um das zweitgrößte dieser Art auf der Erde. Die Degradation des Graslands und die Desertifikation stellen China vor erhebliche Probleme. Dem UNDP-Entwicklungsbericht für China von 2002 zufolge kostet die Desertifikation, die sich pro Jahr um 2.500 Quadratkilometer ausweitet, das Land jährlich ungefähr 2-3 Milliarden US Dollar, wobei ca. 110 Millionen Menschen von den Auswirkungen direkt betroffen sind.

Graslandmanagement und die Pläne der Regierung

In Tibet ist die Degradation des Graslands auch auf eine Reihe von Änderungen in der Agrarpolitik, die von der chinesischen Regierung durchgesetzt wurden, zurückzuführen. Das Grasland, das mehr als 60% der Gesamtfläche Tibets ausmacht, hat das Volk und seinen Viehbestand von alters her ernährt. Trotz der rauhen klimatischen Bedingungen und der Kälte, die ein hohes Risiko für das Vieh darstellen, haben die Tibeter bis zur Invasion der Chinesen die Ressourcen ihres Graslandes geschickt zur Subsistenzwirtschaft genutzt und dabei eine Strategie entwickelt, welche die Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichts gewährleistete.

Die in den späten 50er Jahren in den tibetischen Nomadengebieten eingeführten Methoden der modernen Weidewirtschaft stehen in direktem Zusammenhang mit der Degradation des Graslands auf dem Hochland. Heute versucht die Regierung das Problem auf verschiedenen Ebenen anzugehen, doch der Mangel sowohl an ausreichender Finanzierung als auch an Verständnis für die Ursachen der Degradation führten dazu, daß viele dieser Initiativen erfolglos blieben.

Anfang der 80er Jahre wurde das System der “Eigenverantwortlichkeit der Haushalte" eingeführt, womit die Periode der Kollektivierung ein Ende fand. Zuerst wurde der bisher kommunale Viehbestand unter die einzelnen Familien aufgeteilt, später wurde ihnen dann das ehemals im Gemeinschaftsbesitz befindliche Land verpachtet. Die Regierung hoffte, daß die Privatisierung der Weiden die Viehhalter zum Schutz des Graslands anspornen würde.

Die Auflösung der Kollektive brachte aber eine neue Politik mit sich: Die Viehhalter mußten nun ihre Weiden einzäunen, künstliche Weideflächen angelegen und sich in festen Behausungen niederlassen, denn der Staat betrachtet all dies als eine notwendige Voraussetzung für eine moderne und fortschrittliche Lebensweise. Die Regierung hält nichts von der traditionellen auf Migration beruhenden Weidewirtschaft der tibetischen Nomaden, und sie meint, durch Einzäunung könnte man für kritische Zeiten Reserveweideland schaffen. Besonders beunruhigend ist, daß die Aufteilung des Graslands und die nachfolgende Verpachtung der einzelnen Abschnitte – wozu noch die durch Stacheldrahtzäune markierte Fixierung auf ein bestimmtes Areal kommt – zur Folge hatten, daß die heftigen, oft in Gewalt ausartenden Streitigkeiten um Weideland an Umfang und Erbitterung zugenommen haben: Allein von 1997 und 1999 geht der Tod von mindestens 29 Tibetern auf ihr Konto.

Bei ihrem Vorhaben, die Viehhalter möglichst schnell in den Markt zu integrieren, hat die Regierung die der Marktwirtschaft inhärenten Zwänge und Möglichkeiten im Hinblick auf die nomadische Viehhaltung übersehen und dabei mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht.

In einer nomadischen Gemeinschaft steht die Größe der Herde für den Wohlstand eines Haushalts, denn die Tiere liefern den Menschen Nahrung und den Rohstoff für ihre Unterkunft und Kleidung. Die tibetischen Viehhalter, die in einer rauhen Umwelt leben, möchten ihren Viehbestand möglichst groß halten, um für alle Unbilden gewappnet zu sein, denn durch einen einzigen Schneesturm im Winter können sehr viele Tiere umkommen, womit das bloße Überleben der Hirten gefährdet ist. Die Regierung ist jedoch der Ansicht, daß die Vermehrung des Viehbestands zur Überweidung führt, und verlangt daher, daß die Anzahl der Tiere den vorhandenen Futtermitteln angepaßt wird. Diese Politik entbehrt indessen jeglicher praktischen Grundlage.

In der Reduzierung der Herdengröße sehen die Viehzüchter keine Lösung des Problems, sondern eine Bedrohung ihrer Lebensgrundlage. Sie vertrauen weit mehr auf ihren Erfahrungsschatz als auf irgendeine Initiative der Regierung. Bei Gesprächen mit ihnen wird deutlich, daß sie auf die Intervention der Regierung frustriert und skeptisch reagieren, weil die meisten von ihnen es sich nicht leisten können, ihre Herden auf eine Größe zu reduzieren, die unter dem liegt, was sie als Überlebensgarantie bei Naturkatastrophen betrachten. Die Behörden täten daher gut daran, die Probleme mit den Viehzüchtern direkt zu erörtern.

Die Behörden vermuten auch, daß Kleintiere wie die Pika (Pfeifhasen) die Weiden durch ihre Erdbauten schädigen. Obwohl immer noch darüber diskutiert wird, ob diese Nagetiere wirklich zur Degradation der Weideflächen beitragen, hat ihre vermeintliche Rolle die Behörden bereits zu einem Feldzug gegen die Pika veranlaßt: Vergiftete Köder werden in ihren Erdlöchern oder dicht daneben ausgelegt. Aber auch andere Tiere werden durch diese Rodentizide[1] angelockt und vergiftet. Darüber hinaus kann die Verwendung von Chemikalien auch zu Luft- oder Wasserverschmutzung führen, wenn diese durch das Regenwasser von der Bodenoberfläche in die Wasserläufe gespült werden. Da dieses Wasser oftmals auch als Trinkwasser dient, ist die Gesundheit von Mensch und Tier gefährdet.

Seit der Gründung der VR China haben sich annähernd 0,37 Millionen Hektar Ackerland und 2,35 Millionen Hektar Grasland in Wüste verwandelt – die Größe eines mittelgroßen Staates –, und jedes Jahr wächst diese Fläche noch. Die Wiederherstellung der Produktivität der degradierten Landstriche ist ein anspruchsvolles Unternehmen; es erfordert viel Zeit, Geld und Mühe, und der Erfolg ist keineswegs gesichert. Wenn das Grasland erst einmal einen minderwertigen, weniger produktiven Status erreicht und eine bestimmte ökologische Schwelle überschritten hat, ist es sehr schwierig, die vorherige Produktivität wieder zurückzugewinnen.

Um die Desertifikation zu bekämpfen, ließ die Regierung neue Grasarten anpflanzen, insbesondere bestimmte nicht einheimische Sorten perennierender Futtergräser, die jedoch die indigenen Arten gefährden könnten. Obwohl dieses Vorgehen in einigen Gegenden erfolgreich war, ist es in zahlreichen anderen an der schlechten Qualität des Saatguts, der ungenügenden Bodenfeuchtigkeit, der geringen Fruchtbarkeit der Böden, der Wahl der falschen Sorte und der mangelnden Pflege nach der Aussaat gescheitert.

Schluss

Weidelandmanagement ist mehr als eine bloße Wissenschaft, es ist eine regelrechte Kunst. Es handelt sich um eine Art von Technik, die sowohl der Wissenschaft als auch der Tradition und Erfahrung bedarf. Das bewußte Management erfordert die Fähigkeit, bereits erfolgte Veränderungen der Vegetation richtig einzuschätzen und herauszufinden, wie die gegenwärtig angewandten Techniken auf das Grasland einwirken. Weiter ist es vonnöten, Pläne für die derzeitige Nutzung des Weidelands wie auch für den zukünftigen Bedarf aufzustellen. Um es mit Miller zu sagen: Dieses besondere “Gefühl” für das Grasland kann nur erreichen, wer sich beträchtliche Zeit dort aufhält und dabei genau beobachtet und zuhört.

Eine neue Weidelandpolitik wird auch in ökonomischen Begriffen besser darstellen müssen, welchen Beitrag die Weidelandressourcen zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung leisten. Das mag zwar ein steiniger Weg sein, aber wenn China das Problem bewältigen will, muß es unbedingt seine Graslandpolitik ändern. Mittlerweile hat die Degradation des Weidelands in vielen Gegenden die kritische Schwelle überschritten, weshalb sie dringend zu einem globalen Thema gemacht werden sollte.

Für eine volle Version dieses abgekürzten Essays kontaktieren Sie bitte den Autor direkt unter edd@gov.tibet.net. Tenzin Tsultrim ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Environment Desk der Tibetischen Zentralverwaltung.


[1] Pestizide gegen Nagetiere (rodentia).