27. Juni 2000 |
International Committee of Lawyers for Tibet (ICLT) |
Das Gespinst der Angst Die Rechte der Kinder in Tibet Ein vorläufiger Bericht |
Inhalt |
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Teil 1 |
Unter den Schutz des Dalai Lama
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Teil 2 |
Die politische Machtbesessenheit der chinesischen Regierung macht auch vor der Folterung von Kindern nicht halt
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Teil 3 |
Nur wenige tibetische Kinder kommen in den Genuß einer normalen ErziehungAuf die Frage, welche Art der Bestrafung die Lehrer anwendeten, berichtete ein Kind, es sei selbst mit dornigen Pflanzen geschlagen worden und habe auch gesehen, wie andere damit geschlagen wurden. Deren Stacheln mußten die Kinder hinterher einzeln entfernen. Ein anderes beschrieb, wie es und seine Kameraden einen halben Tag lang im kalten Wasser knien mußten. Kinder berichteten auch oft, daß sie mit anderen Dingen wie Glasscherben, Drahtpeitschen oder Bambusstöcken verletzt wurden. Tibetische Kinder mit einer richtigen Erziehung zu versehen, wird zusätzlich durch die unterentwickelte Wirtschaft, die Notwendigkeit vieler Familien, ihre Kinder zur Landarbeit zu Hause zu behalten, und durch die weiten Entfernungen zu den Schulen erschwert. Weiterhin stehen der allgemeinen Erziehung die in Peking beschlossene Bildungspolitik, die ungenügende finanzielle Unterstützung für Schulen, der Mangel an qualifizierten Lehrern, die Zurücksetzung der tibetischen Sprache und in gewissem Maße die offene Diskriminierung der Tibeter als ernste Hindernisse im Weg. Dem chinesischen Gesetz zufolge sind für alle Kinder 9 Schuljahre obligatorisch. In ländlichen Gegenden der TAR (Autonome Region Tibet), in denen 83% der Bevölkerung leben, gilt die allgemeine Schulpflicht gegenwärtig nur für 3 Jahre. Bis 1995 erhielten überdies 30% der Kinder in der TAR überhaupt keine Erziehung, so daß 1998 von einer Analphabetenrate bis zu 70% in dem ländlichen Tibet berichtet wurde. Anstatt unterentwickelte Regionen wie Tibet zu fördern, konzentrierte China seine Anstrengungen eher auf seine entwickelten Gegenden und die bereits erfolgreichen Studenten. So versprach China beispielsweise 1996, Gelder (darunter auch solche der Weltbank) zu Bildungszwecken in den unterentwickelten Regionen wie der TAR einzusetzen. Über die Hälfte davon wurde jedoch im ersten Jahr in den erschlossenen Provinzen Chinas ausgegeben. Die Lehrerausbildung läßt sehr zu wünschen übrig. 1998 taugten nur 360 von 15.000 Lehrern in der TAR dazu, tibetische und chinesische Sprache zu lehren. Chinesische Gelder fließen meist in die Ausbildung von staatlichen Lehrern in China, die dann eventuell für festgesetzte Zeitspannen nach Tibet delegiert werden. Praktisch alle kehren jedoch nach Ablauf ihrer Verträge nach China zurück. Der Mangel an staatlichen Mitteln zwingt die Schulen, hohe Gebühren zu fordern, welche sich die meisten Tibeter nicht leisten können. Die Interviewten berichteten, daß die Schüler zum Besuch der Schule oft eine Kennkarte brauchen, die bis zu 1.000 Yuan kosten kann. Eine Schule verlangt 300 Yuan als Aufnahmegebühr und danach jährlich 3.000 Yuan, was durchaus keine Ausnahme darstellt. Dabei stellen 1.000 Yuan für die meisten Tibeter mindestens das Einkommen von mehreren Monaten dar. In einigen Regionen gibt es Regierungsbeihilfen, und manche Familien können auch in Form von Naturalien oder Dienstleistungen bezahlen, aber viel öfters hörten wir von den Kindern, daß es keine Beihilfe gibt, weshalb arme Kinder nicht zur Schule gehen können. Es gibt auch Hinweise, daß von den chinesischen Schülern geringere Gebühren als von den tibetischen verlangt werden. Tibetische Kinder können keine Schulerziehung in ihrer Muttersprache bekommen. Das Unterrichtsmedium ist nur in den ersten drei Jahren Tibetisch, danach wechselt der Unterricht ins Chinesische. Die Kinder erzählten, daß sie Chinesisch, Rechnen und Tibetisch lernten mit gelegentlichen Stunden in chinesischer Geschichte, Maoismus, Kommunismus, Sozialkunde und Umweltkunde, sowie Spielen und Gymnastik. Niemals wurden tibetische Kultur oder Religion offiziell unterrichtet (obwohl einige Kinder berichteten, ein tibetischer Lieblingslehrer hätte ihnen dennoch insgeheim tibetische Geschichte und Literatur beigebracht). Fast alle Kinder sagten, sie wären von der Schule geflogen, hätten sie über den Dalai Lama gesprochen, und sie wären bestraft worden, hätten sie nicht der chinesischen Flagge gehuldigt. Vielen Kindern war es verboten, ein traditionelles rotes Schnürchen um das Handgelenk zu tragen oder ein Bild des Dalai Lama in der Schule bei sich zu haben. Die Kinder berichteten, daß sie (nach der 6. Klasse) Prüfungen auf Chinesisch ablegen mußten, um auf eine höhere Schule zu gehen, und daß bei dieser Prüfung viele, die Chinesisch nicht genügend beherrschten, durchfielen. Ein Junge erzählte, selbst wenn sie die Oberschule geschafft hätten, wäre ihnen von weiteren Studien abgeraten worden. Mädchen, die an der Spitze ihrer Klasse waren, berichteten, daß sie gute Noten hatten und für das College qualifiziert waren, man ihnen jedoch im Nachhinein erklärte, sie hätten nicht bestanden und könnten nicht aufs College gehen. Ihre Studienplätze wurden dann von Studenten, die Beziehungen zur Schulleitung oder der Regierung hatten, eingenommen. Dem Vater eines Mädchens wurde erklärt, sie würde in Frage kommen, falls er ein Schmiergeld bezahle. Während die wenigen früher existierenden tibetischen Schulen zwar eine bessere Alternative zu den chinesischen staatlichen Schulen darstellten, berichteten die Kinder, daß viele inzwischen geschlossen oder dem Geschmack der chinesischen Besatzer angepaßt worden seien. Die Gebühren waren dort nicht so unerschwinglich hoch und konnten ärmeren Schülern wegen der finanziellen Unterstützung aus dem Ausland auch erlassen werden. In einer Schule wurden tibetische Kalligraphie, Tibetisch und Rechnen gelehrt. Nachdem die Chinesen die Schule übernahmen, wurde der Unterricht in der tibetischen Sprache reduziert, und die Morgengebete wurden gestrichen. Die meisten Kinder dieser Schulen mußten die Schule verlassen und arbeiten nun als Straßenverkäufer oder Bauern oder flohen nach Indien. Eine aus ihrer Klosterschule verstoßene Nonne klagte dem Interviewer: "Wir hatten keinen Platz, wo wir hingehen konnten, es gab weder vor noch zurück." Obwohl das chinesische Gesetz über die allgemeine Schulpflicht körperliche Züchtigung in Schulen verbietet, gibt es diese Art der Strafe immer noch. Mildere Züchtigung hieß nach der Beschreibung der Schüler: stundenlang in der Sonne im Freien stehen, Ohrfeigen, ausgezogen werden, öffentliche verbale Demütigung, wie "mei" gescholten zu werden. Dies ist ein abfälliges Wort, das bedeutet "dieses Kind existiert nicht". Andere Strafen, so wie die oben geschilderten, waren härter. Zu den selteneren Strafen zählten: mit Nadeln gestochen zu werden und dann mit Weihrauch gebrannt zu werden; mit aufgekrempelten Hosenbeinen auf Glasscherben zu knien; auf den Knien zu laufen; einen Metallstuhl auf einem ausgestreckten Arm zu balancieren und bei Herunterfallen des Stuhles auf die Knie geschlagen zu werden. Weitaus die Mehrheit der tibetischen Kinder berichtete, sie sei schlechter als die chinesischen Schüler behandelt worden. Sie sagten, chinesische Schüler hätten weniger Hausaufgaben bekommen, wären seltener bestraft worden, wenn sie die Antwort nicht wußten, und seien sogar bei Zuspätkommen noch in das Klassenzimmer eingelassen worden, während tibetische Schüler knien mußten, wenn sie zu spät kamen. Einige Schulen verlangten, daß die tibetischen Schüler drei Stunden länger als die chinesischen blieben, um extra mehr zu lernen, Gemüse einzukaufen und für die Lehrer zu kochen, Toiletten zu reinigen und die Böden zu putzen. In einer Schule mußten sowohl tibetische als auch chinesische Kinder Putzarbeiten erledigen, aber die tibetischen mußten mehr arbeiten als die chinesischen. Zuweilen wurden die tibetischen Schüler in separaten Klassenzimmern unterrichtet. Ein Mädchen berichtete, daß das Klassenzimmer der tibetischen Kinder dunkel und feucht, und oftmals durch einen undichten Wasserhahn oder ein leckes Dach unter Wasser gesetzt wurde, während das für die Chinesen trocken und besser gelegen war. Die meisten Schüler berichteten, sie hätten die Schule verlassen, weil sie nichts lernten oder ihre Eltern der Ansicht waren, daß sie nichts lernten. Ein Knabe klagte, daß die Kinder nur in der Schule "aufbewahrt" worden seien. Ein anderer Junge besuchte überhaupt nie die Schule, weil jeder wußte, was für ein "trauriger Ort" die Schule ist. |
Teil 4 |
Trotz der scheinbaren Fortschritte in Ernährung und Gesundheitsfürsorge sind tibetische Kinder häufig unterernährt und krank
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Teil 5 |
Abschließende Bemerkungen
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