3. Juni 2000

TIBET INFORMATION NETWORK

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Schärfere Überwachung, mehr Festnahmen an der Tibet-Nepal-Grenze

Die Regierung in Tibet hat neue Grenzbestimmungen erlassen, die seit 1. Juni gelten und deren Zweck es ist, die "staatliche Souveränität zu wahren" und "die Stabilität in den Grenzgebieten zu garantieren". Offensichtlich wurden die Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze zwischen Tibet und Nepal auf die Flucht des 17. Karmapa vor fünf Monaten hin verstärkt. Tibeter, die bei der Rückkehr von Indien nach Tibet gefaßt werden, laufen ebenso wie tibetische Flüchtlinge und deren Wegführer Gefahr, zu Gefängnisstrafen von mehreren Jahren verurteilt zu werden.

Mehrere Tibeter wurden deswegen letztes Jahr in Lhasa festgenommen und verurteilt. Der etwa 30 Jahre alte Choephel aus Bayan (chin. Hualong) in der Präfektur Tsoshar (chin. Haidong), Qinghai, büßt nach seiner Verhaftung in Lhasa eine 8-jährige Haftstrafe in seiner Heimatprovinz ab. Der 32-jährige Yungbumgyal aus Distrikt Rebgong (chin. Tongren) in der Malho TAP (chin. Huangnan) in Qinghai wurde in Lhasa zu 8 Jahren verurteilt, unter der Anklage, er hätte als ein "Mittelsmann" zwischen potentiellen Flüchtlingen und Wegführern fungiert . Der 22-jährige Tsewang aus Distrikt Yadzi oder Dowi (chin. Yunhua) in der Präfektur Tsoshar, Qinghai, wurde angeklagt, als Wegführer zu arbeiten und Kontakte in Indien zu haben; er befindet sich nun ebenfalls in Haft.

Etwa 50 bis 60 Tibeter wurden im Februar bei einem Fluchtversuch unweit von Lhasa festgenommen, und es heißt, daß mindestens 4 von ihnen zu Haftstrafen von 2-3 Jahren verurteilt wurden. Mindestens 10 Schüler aus Schulen im indischen Exil, die nach Tibet reisten, um ihre Verwandten zu besuchen, sollen ebenfalls im Nyari Haftzentrum in der Präfektur Shigatse der TAR (Tibet Autonomous Region) gefangen gehalten werden.

Laut der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, die jedoch den genauen Text der neuen Grenzbestimmungen nicht zitiert, trägt die neue Grenzverordnung dazu bei, "die Stabilität in den Grenzgebieten zu gewährleisten" (Xinhua, 30. Mai). Die bestehenden, von der TAR Regierung aufgestellten Grenzbestimmungen verfolgen zwei Hauptziele des Staates, nämlich die Handelsverbindungen mit Nepal zu erleichtern und zu fördern und die allgemeine Sicherheit an den Grenzen zu verstärken. Die TIN zugegangenen Berichte lassen schließen, daß die Sicherheit an der Grenze deshalb erhöht wurde, um Tibeter, die ohne Dokumente reisen, besser kontrollieren zu können, besonders diejenigen, die nach Tibet zurückkehren, nachdem sie in Indien studierten oder arbeiteten. Solche Tibeter werden der Verbindungen zu politischen "anti-China" Aktivitäten im Exil und der Loyalität zum Dalai Lama verdächtigt. Dieser selbst wird im Tibet Daily vom 31. Mai "als das Haupt der separatistischen Kräfte im Ausland, als das Werkzeug der westlichen anti-chinesischen Kräfte und als der Erzbösewicht, welcher das Mutterland spaltet" beschrieben. Die Verstärkung der Grenzkontrolle steht auch mit der Behauptung der Behörden im Zusammenhang, daß eine Bedrohung von außen, d.h. der "Dalai Clique" im Exil, für mehr als acht Bombenexplosionen verantwortlich sei, die in den letzten 5 Jahren in Lhasa stattfanden. TIN konnte jedoch keine Bestätigung für Berichte finden, nach denen im vergangenen Sommer eine weitere Explosion in Lhasa erfolgte.

Viele Tibeter werden vorübergehend festgehalten, wenn sie bei der illegalen Einreise nach Tibet, wo sie Verwandte besuchen wollen, erwischt werden. Die Präfektur Shigatse in der TAR stellt für Reisende auf dem Weg nach Lhasa aus dem Exil oder für solche, die aus Tibet fliehen, einen Grenzübergang dar, und viele Tibeter, die an der Grenze festgenommen werden, kommen in das Nyari Haftzentrum am Rande des Dorfes Wutu bei Shigatse. Dort werden sogar einige Tibeter mit gesetzlich gültigen chinesischen Reisedokumenten festgehalten, weil sie ins Ausland reisen wollten.

Wie aus zuverlässiger Quelle berichtet, sind mindestens 10 tibetische Jugendliche aus Exilschulen in Dharamsala und Mussorie in Indien derzeit in Nyari eingesperrt, nachdem sie im März oder April bei ihrem Versuch, die Grenze zu Tibet zu überschreiten, um ihre Verwandten zu besuchen, festgenommen wurden. Diese Schüler sind im Alter von 18 Jahren. Drei weitere Schüler aus Exilschulen, die nach Tibet zurückkehrten, um ihre Familienangehörigen zu sehen, wurden vorübergehend festgehalten, sind aber inzwischen entlassen worden. Ehemalige Häftlinge berichten, daß die Verhältnisse in Nyari schlecht und die Ernährung ungenügend seien, daß die Gefangenen Zwangsarbeit leisten müssen und Mißhandlungen häufig sind.

Ein größere Gruppe von rund 50 Tibetern wurde einem inoffiziellen Bericht zufolge im Februar in der Nähe von Lhasa in Haft genommen, als sie zu fliehen versuchte. Mindestens 4 Personen dieser Gruppe befinden sich nun im Drapchi Gefängnis, wo sie nach verläßlichen Berichten zu 2-3 Jahren verurteilt wurden.

Tibeter, welche die Grenzbestimmungen verletzen, indem sie "heimlich die Staatsgrenze überschreiten", verstoßen dabei gegen ein chinesisches Gesetz (§ 322 des Kriminalgesetzes), wie es in vielen Ländern der Fall ist und was mit Gefängnis bestraft wird. Die längsten Haftstrafen treffen diejenigen, die Gruppen "organisieren", um heimlich die Grenze zu überqueren. Darunter fallen auch die tibetischen Wegführer, die von den Flüchtlingen bezahlt werden, um sie über die Grenze ins Exil zu bringen.

Neue Vollmachten für die Grenzschutztruppen

Eine neue Anordnung Chinas, die am 24. Mai von Xinhua bekanntgegeben wurde, erhöht die Vollmachten der "Grenzschutzeinheit der Nationalen Öffentlichen Sicherheit", der nun gestattet wird, "selbständig dem Gesetz Geltung zu verschaffen". Dieser Schritt, welcher von Xinhua als eine "große Änderung in den Pflichten und Funktionen dieser Einheit" beschrieben wird, bedeutet, daß die Grenzschutzeinheit jetzt Jurisdiktion über kriminelle Fälle hat, etwa über das "illegale Überschreiten der staatlichen Grenzlinie". Bisher fungierte diese Einheit nur als eine Polizeitruppe des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit. Der Schritt scheint die Absicht zu verfolgen, die Überwachung in den Grenzgebieten noch weiter zu verschärfen.

In den Grenzbestimmungen, die 1992 von der regionalen Regierung Tibets unter dem Titel "Rundschreiben der TAR Volksregierung über die Umsetzung von Details der im Hinblick auf die Grenzgebiete festgelegten Politiken: Stellungnahme und schriftliche Bestätigung erbeten" herausgegeben wurden, steht, daß Tibet eine Grenze von über 4.000 km besitzt, was einem Fünftel der gesamten Grenzlinie Chinas entspricht. Diese Bestimmung (die Kashmir und Sikkim als von Indien separate Gebiete zu behandeln scheint) erwähnt, daß die TAR eine gemeinsame Grenze zu Burma, Indien, Bhutan, Sikkim, Nepal und Kashmir hat.

Die Grenzbestimmungen von 1992 beinhalten auch Verbote für den Zutritt von "Zeitungsreportern, Gelehrten und anderen Personen aus Drittländern (d.h. anderen als den Nachbarländern)", denen die Einreise "in eine umstrittene Grenzregion" verwehrt werden muß (§ 14). Selbst chinesische Journalisten brauchen eine Sondergenehmigung, um diese Gebiete zu besuchen, und nach ihrer Abreise sind die Behörden verpflichtet, jeden zu verhören, mit dem sie gesprochen haben: "Das Ministerium der TAR für Auswärtige Angelegenheiten hat gründliche Nachforschungen in den Gebieten anzustellen, wo Fragen gestellt wurden. Ebenso hat der Oberbefehlshaber der militärischen Einheit dort gründlich seine Truppen zu erforschen, wo Fragen gestellt wurden", heißt es in der Verordnung. Diese Verordnung von 1992 gibt auch den in Grenzgebieten lebenden Tibetern genaue Anweisungen, was sie zu tun haben, wenn sie mit ihren nepalesischen oder indischen Nachbarn zusammentreffen. Erst sollen sie freundlich mit ihnen sein und sie dann ausspionieren. "Unsere Leute, die bei Handelsgeschäften und anderen Tätigkeiten in Kontakt mit Menschen aus den Nachbarländern kommen, müssen ihnen automatisch freundlich zuwinken und ein herzliches Verhältnis herstellen", heißt es in § 13, "sollten ihnen aber wichtige Dinge zu Ohren kommen, müssen sie diese berichten".

Eine Reihe von Jahren betrug die Anzahl der Tibeter, die jedes Jahr ins Exil flohen, 2.000 bis 3.000 Personen. Letztes Jahr lag die Anzahl der Flüchtlinge nur knapp über 2.000, fast eintausend weniger als im Vorjahr. Das könnte vielleicht auf die verstärkten Sicherheitskontrollen in Tibet und an seinen Grenzen in einer Periode heikler politischer Jahrestage, wie dem 50. Jahrestag der Gründung der VRC (Volksrepublik China) und dem 40. Jahrestag des Aufstandes vom 10. März in Lhasa zurückzuführen sein.

Tibeter, die legal nach Tibet zurückreisen, werden ebenfalls streng überwacht. Lhasa ist in sogenannte "Nachbarschafts-Komitees" unterteilt, und Rückkehrer und Besucher aus Indien, die sich in Privathäusern in Lhasa aufhalten, müssen sich bei den lokalen Komitees melden. Die einzelnen Haushalte müssen ihrem zuständigen Komitee melden, wenn jemand von außerhalb auf Besuch kommt, und diese Komitees stellen dann die Erlaubnis für den Aufenthalt in Lhasa aus. Jeder Besucher muß gewisse Fragen beantworten und sich Erlaubnisscheine von der Polizei besorgen. Zu den vielseitigen Pflichten der Komitees gehört es inoffiziellen Berichten zufolge auch, die Privathäuser auf Dalai Lama Bildern zu kontrollieren und die Tibeter anzuweisen, ihre besten Kleider anzuziehen und damit in der Nähe des Potala im Zentrum Lhasas herumzuspazieren, um Touristen ein positives Bild der Stadt zu bieten.

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