30. April 2011
TibetInfoNet, www.tibetinfonet.net

Die staatliche Regelung des „yartsa gunbu“-Handels

Die geplante Eröffnung eines „staatlich anerkannten Marktes“ für yartsa gunbu in Lhasa im Mai 2011 ist möglicherweise ein wesentlicher Rückschlag für die tibetischen Gemeinden, von denen sich viele auf den Handel mit dem Pilz als Haupteinkommensquelle verlassen. Der neue Markt, der unter dem Namen „Shun Xing Markt” läuft, befindet sich an der Kreuzung der East Lingkhor (chin. Linkuo) Straße und der Jiangsu Straße. Mehr als 20 Wachleute, die in Schichten arbeiten, werden rund um die Uhr für die Sicherheit des Marktes sorgen. Vorliegende Informationen deuten darauf hin, dass der Markt von chinesischen Muslimen (Hui) betrieben wird – Händler, die beim Handel mit yartsa gunbu auch die Hauptkonkurrenten ethnischer Tibeter sind.

Yartsa gunbu (cordyceps sinensis oder Raupenkeulenpilz) ist ein fingerlanger Pilz, der aus dem Kopf der Larven der Raupengattung Thitarodes wächst, während diese im Boden überwintern[1]. Er ist in vielen Gebieten der tibetischen Hochebene, sowie in benachbarten Regionen des Himalayas weit verbreitet. Sowohl die getrocknete Larve als auch der Pilz werden gesammelt und für medizinische Zwecke gebraucht. Während yartsa gunbu in der traditionellen tibetischen Medizin zwar bekannt ist, aber für gewöhnlich nicht verwendet wird, hat die enorme Popularität des Pilzes in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) zu einem explosionsartigen Anstieg in der Nachfrage in China selbst, sowie in chinesischen Gemeinschaften außerhalb der Volksrepublik China geführt. In den vergangenen Jahren gab es daher einen Ansturm auf yartsa gunbu in den Gebieten, in denen der Pilz natürlich vorkommt. Da yartsa gunbu etwa 40% des Einkommens ländlicher Haushalte ausmacht, ist der Pilz zu einer der zentralen Ressourcen geworden und ermöglicht es ganzen Dörfern, aus der Armut herauszukommen, während die diesbezüglich von der Regierung durchgeführten Programme seit Jahrzehnten versagt haben[2].

Raupenpilz (Cordiceps Sinensis) Bild: TIN

Während die Tibeter den Pilz sammeln, sind es seit längerem im Grunde Einwanderer-Netzwerke chinesischer Muslime (Hui), die damit Handel treiben. Diese haben, im Gegensatz zu den Tibetern, einfachen Zugang zum chinesischen Markt und kontrollieren den Großteil des allgemeinen Handels in den tibetischen Gebieten. Die Netzwerke haben Niederlassungen in allen strategischen Handelsknotenpunkten und unterhalten ausgezeichnete Beziehungen zu den Behörden – eine grundlegende Voraussetzung für erfolgreiche Geschäfte in der Volksrepublik China und insbesondere in den westlichen Gebieten.

In den letzten Jahren allerdings haben sich tibetische Sammler des yartsa gunbu organisiert und gewährleisten damit, dass zumindest der regionale Handel in tibetischen Händen bleibt. Besonders erfolgreich waren neue Handelsnetzwerke, die von Tibetern aus dem Osten des Landes (Khampas) betrieben wurden und die zum Teil einen überregionalen Vertrieb von yartsa gunbu organisieren konnten. Damit haben sich Alternativen zu den von chinesischen Muslimen dominierten Marktstrukturen entwickelt, welche die tibetische Beteiligung am Gewinn des yartsa gunbu-Geschäftes wesentlich gesteigert haben.

Die Begründung für die Eröffnung des neuen Marktes in Lhasa – einem wichtigen Knotenpunkt für den Handel – ist laut Ma Junsheng, einem chinesischen Muslim, der der Manager werden soll, die Sicherung der „Glaubwürdigkeit und Qualität“ des gehandelten yartsa gunbu. Größere Probleme sind in dieser Hinsicht allerdings nicht bekannt. Wenn Betrug vorkommt, dann im Einzelhandel oder in der Herstellung von Produkten aus yartsa gunbu in China selbst und nicht in Tibet. Ein weiterer Grund, den Ma angibt, ist der, den „Verbrauchern“ ihre Fahrt „zu anderen Orten zu ersparen“. Es sind allerdings nicht die Verbraucher, die nach Tibet reisen, um yartsa gunbu zu kaufen, sondern hauptsächlich die Händler aus China. Diese vertreten den Markt, zu welchem sich die tibetischen Produzenten Zugang zu verschaffen suchten, indem sie die Hui-Geschäftsleute umgingen. Hinzu kommt, das die jährliche Miete für eine Verkaufsfläche in dem neuen Markt zwischen 25.000 und 100.000 Yuan (UK£2.320; US$3.830; EUR€2.620 und UK£9.290; US$15.315; EUR€10.480) schwankt. Diese Summen können sich Handelsnetzwerke wie die der chinesischen Muslime leisten, da sie mit großen Mengen von yartsa gunbu handeln. Die finanzielle Leistungsfähigkeit vieler kleinerer regionaler, d.h. tibetischer Händler, würden sie jedoch in den meisten Fällen übersteigen.

Anders ausgedrückt, der von offizieller Seite gestützte neue Markt in Lhasa baut auf Konsumentenschutz auf, für den es in den tibetischen Regionen keinen ersichtlichen Bedarf gibt, während er andererseits latent den Marktanteil unabhängiger tibetischer Produzenten und ihre Bemühungen, ihren Anteil am Gewinn zu steigern, untergräbt.

Regelungen in Tibet, Chaos in Nepal

Während sich Händlernetzwerke auf die Durchsetzung von Gesetzen und Vorschriften in Tibet verlassen, haben ihre Bemühungen, billigere Alternativen zu den tibetischen Produzenten zu finden, zu einem wilden Wachstum des Handels mit yartsa gunbu über die Grenzen Tibets hinweg in Nepal geführt, und zu der dortigen grassierenden Gesetzlosigkeit und Korruption beigetragen. Das Sammeln von yartsa gunbu war in Nepal bis vor kurzem, abgesehen von persönlichem Konsum, illegal. Allerdings hat der Druck, der sich durch die Nachfrage in der Volksrepublik China aufgebaut hat, dazu geführt, dass die nepalesische Regierung ihre Politik geändert hat.

Berichte vom Distrikt Karnali, der Region ganz im Westen Nepals, die an Tibet grenzt, deuten darauf hin, dass korrupte Beamte Einheimische dazu gezwungen haben, yartsa gunbu zu sammeln, indem sie damit drohten, ihnen andernfalls die von der Regierung bereitgestellten Reis- und Salz-Rationen, auf die sie einen Anspruch haben, zu entziehen. Distriktforstbeamte haben, ohne irgendwelche Vorschriften offenzulegen, Lizenzen zum Sammeln von yartsa gunbu nebst anderen medizinischen Produkten verkauft. Dadurch können die Beamten Sammlern eine Geldstrafe auferlegen, wenn sie diese Vorschriften, die sie nicht kennen, übertreten. Während die Händler den Einheimischen, welche vom hohen Marktwert der Pilze nichts wissen, eine sehr niedrige Vergütung zahlen, entrichten sie beim örtlichen Flughafen in Jumla, von wo aus ein Teil des yartsa gunbu aus dem Land geschafft wird, nur ein Drittel der geforderten Zollgebühren.

Um Gebühren zu vermeiden und die Preise niedrig zu halten, verstecken andere Schmuggler yartsa gunbu und weitere medizinische Pflanzen in Säcken von Reis und Hülsenfrüchten, welche dann über den Arniko Highway, die von China gebaute Straße zwischen Kathmandu und Lhasa, die durch die Region Sindhupalchowk verläuft, über die Grenze gebracht werden. Im Frühjahr 2010 sollen Grenzschutzbeamte allein in drei Monaten, 36 Tonnen verbotener Pflanzen-Produkte konfisziert haben. Beschlagnahmte Lastwagen wurden, wie es das Gesetz vorsieht, dem Distriktforstamt übergeben, jedoch in vielen Fällen am nächsten Tag nach der Zahlung einer „Gebühr“ an die Forstbeamten wieder freigegeben. Es gab auch einige Fälle bei denen chinesische Staatsbürger in den nepalesischen Grenzgebieten wegen illegalen Sammelns von yartsa gunbu oder der Schmuggelei des Pilzes über die Grenze verhaftet wurden.

Einheimische verhindern häufig das Sammeln von yartsa gunbu – aus mehreren Gründen, manchmal auch mit Gewalt. Es kann einfach darum gehen, dass sie ihre Ressourcen vor Außenseitern schützen wollen, oder dass man in diesen abgelegenen Gemeinden aufgrund vielschichtiger religiöser Gründe Einwände gegen das Sammeln von yartsa gunbu hat. Im Juni 2009 beispielsweise wurden sieben Männer aus den Flachland-Gebieten Nepals, die in die Region Annapurna kamen, um yartsa gunbu zu sammeln, von ansässigen Dorfbewohnern mit Stöcken und Messern attackiert und ihre Leichen in die Gebirgsschluchten geworfen. Sechsunddreißig Männer aus einem entlegenen Dorf wurden festgenommen und warten noch auf ihren Prozess.



[1] Weitere Einzelheiten zu yartsa gunbu finden sie  unter
Yartsa gunbu, Tibet's underground cash cow”.

[2] Weitere Informationen zur wirtschaftlichen Bedeutung von yartsa gunbu und damit verbundenen Themen finden sie unter „It reaches into every aspect of rural Tibetan life“.

Eine ausführliche Beschreibung des Raupenpilzes, seiner Entstehung, Verwendung und Vermarktung mit ein paar Bildern gibt auf der Website des Ethnobiologen Daniel Winkler: „Der Tibetische Raupenpilz: Yartsa Gunbu