26. September 2008
TibetInfoNet
Phone: +44 (0) 20 300 206 33; Fax: +49 (0) 2238 9494466, Email: tin@tibetinfonet.net, www.tibetinfonet.net

Seite drucken

Der richtige Umgang mit den Wanderarbeitern ist ein „entscheidender Faktor für die Sicherheit und Entwicklung der TAR“

Die chinesischen Behörden in Tibet haben ein Management-Team gegründet, das sich mit dem Problem der Wanderarbeiter in der Autonomen Region Tibet (TAR) befassen soll. Dieser Schritt ist als Antwort auf die sozialen Unruhen, vor allem die ethnisch bedingten Ausschreitungen vom 14. März 2008 in Lhasa, zu verstehen. Es wurde [in Exilkreisen] dahingehend interpretiert, daß die Behörden eingeräumt hätten, die Unruhen könnten durch die massive Migration aus China ausgelöst worden sein.

Doch nach einer eingehenden Analyse offizieller Berichte und der Tibet-Politik der Volksrepublik China (VRC) über viele Jahre hinweg sowie angesichts der heutigen Realität in der Autonomen Region Tibet (TAR) erscheint eine solche Interpretation eher abwegig.

Weit davon entfernt, ihre Politik in irgendeiner Weise in Frage stellen zu wollen, ist die Absicht der chinesischen Regierung hinter der Bildung dieses Management-Teams vielmehr, die Position der Zuwanderer aus dem Kernland China in die TAR, von denen viele durch die jüngsten Ereignisse traumatisiert wurden, zu festigen. Das Management-Team wird auch bei der Kontrolle der wandernden Bevölkerung junger Tibeter eine entscheidende Rolle spielen – viele davon Migranten aus ländlichen Gegenden, deren Frustration in den Ereignissen vom 14. März gipfelte.

Beiden Gruppen von Wanderarbeitern, sowohl den Chinesen aus dem Kernland als auch den Tibetern aus ländlichen Gegenden, wurden im Rahmen der auf lange Sicht angelegten Pläne der chinesischen Behörden für die Autonome Region Tibet (TAR) spezifische Rollen als Unternehmer bzw. Arbeiter zugewiesen. Überdies sollen die Migranten aus dem Kernland China eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung Ruhe in der Bevölkerung in einer aufmüpfigen tibetischen Umgebung spielen

Das neue Management-Team weist also durchaus nicht auf eine Änderung der Tibet-Politik hin, sondern stellt auf die Unruhen vom Frühling 2008 hin ein weiteres staatliches Eingreifen in die wirtschaftlichen Abläufe dar.

Die Förderung eines mehr oder weniger kontrollierten Zustroms von Nicht-Tibetern – von Chinesen (Han) und chinesischen Moslems (Hui) – in die tibetischen Regionen ist die erklärte Politik der VRC. Von ihnen wird erwartet, praktische und unternehmerische Fähigkeiten mitzubringen, Eigenschaften, die den Tibetern abgesprochen werden. Damit soll die ökonomische Entwicklung in der Region gefördert werden. Die Behörden haben ganz gewiß keine Illusionen hinsichtlich der Loyalität der Tibeter gegenüber der Zentralregierung und sehen in den Immigranten aus dem Kernland daher die Basis für die staatliche Loyalität. Ihre Rolle gleicht derjenigen der Pioniere bei dem amerikanischen „Go West“ Abenteuer Mitte des 19. Jahrhunderts. Chinas „Entwicklungsprogramm für den Westen“ (chin. xibudakaifa) scheint einiges davon abgekupfert zu haben.

Durch die Ereignisse des Frühlings 2008 sind viele Migranten aus dem Kernland Chinas schockiert und tief verunsichert worden, und eine nicht unerhebliche Anzahl von ihnen, hauptsächlich Chinesen, verließ Lhasa innerhalb weniger Wochen nach Ausbruch der Unruhen, während andere wiederum ihre diesbezügliche Absicht bekundeten, falls ihre Sicherheit nicht garantiert sei. Ironischerweise ruft die Politik der aggressiven Verbreitung des Bildmaterials über den einzigen Tag der gewaltsamen Ausschreitungen in Lhasa gerade das Gegenteil des gewünschten Effekts hervor und wirkt auf potentielle neue Zuwanderer eher als Abschreckung.

Seit vielen Jahren werden Tibeter aus ländlichen Gegenden ermutigt, in die Städte zu ziehen. So wird beispielsweise in einem Bericht einer staatlichen Arbeitseinheit an den städtischen Volkskongreß Lhasas vom 1. April 2003 der „Förderung der Migration aus ländlichen Gegenden in die urbanen Gebiete“ eine Schlüsselfunktion zugewiesen: „Mehr ländliche Arbeiter sollten in die städtischen Zentren geschickt werden“. Der Bericht bezeichnete die Urbanisierung der Landbevölkerung als einen wichtigen Entwicklungsindikator.

Die Rechtfertigung für die Begünstigung von Migration aus den ländlichen Gegenden ist die „Ausweitung des Arbeitsmarktes“ zur Förderung der industriellen Entwicklung und die Nutzbarmachung der ländlichen Arbeitskraft, die von den Behörden als unproduktiv angesehen wird. Von Bauern und Nomaden, die „angespornt werden sollen, in die Städte zu ziehen“, wird erwartet, daß sie dort „Arbeitsplätze suchen oder Geschäfte machen“.

Die Realität der Entwicklung in Tibet ist jedoch eine andere: Während Migranten vom Kernland leicht Arbeit finden und von den staatlichen Zuschüssen zur Gründung neuer Unternehmen profitieren, bleibt der größte Teil der tibetischen Wanderbevölkerung arbeitslos und bildet eine neue Unterklasse in den Städten, vor allem in der Hauptstadt Lhasa. Diese Tibeter, meist junge Leute aus den ländlichen Gegenden Osttibets, fristen ihr Leben oft unter erbärmlichen Bedingungen und gehen dann unweigerlich, so wie andere Obdachlose auch, illegalen Geschäften nach. Gleichzeitig entwickelte sich bei ihnen ein tiefes Ressentiment gegenüber den ständigen Neuankömmlingen aus China, die ihnen die wenigen zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze noch wegnehmen.

Trotz vieler Warnungen chinesischer Soziologen wurde über all die Jahre hinweg nichts unternommen, um dieser alarmierenden Entwicklung entgegenzusteuern. Schließlich explodierte die Verbitterung der Tibeter und gipfelte in den häßlichen Szenen vom 14. März in Lhasa.

Das neu gebildete Management-Team scheint diese unerwünschten Entwicklungen korrigieren zu wollen, indem es für bessere staatliche Aufsicht über die Wanderarbeiter sorgt. Den Vorsitz des Management-Teams führt Wang Yibing, Schriftführer des Juristischen und Politischen Komitees der TAR, gleichzeitig Schriftführer und Leiter des Büros für Öffentliche Sicherheit (PSB) der Autonomen Region Tibet (TAR). Sein Stellvertreter ist Baima Chiling, ein ethnischer Tibeter (tib. Pema Tsering), der auch der erste Stellvertretende Vorsitzende der Autonomen Region Tibet (TAR) ist. Beide sind hochrangige regionale Funktionäre und Mitglieder des ständigen Ausschusses des TAR-Zweiges der KP.

Die erste Sitzung der Führungsgruppe für das Management der Wanderarbeiter in der TAR (chin. zizhiqu liudong renkou fuwu he guanli gongzuo lingdao xiaozu) fand am 2. September 2008 in Lhasa statt. Der stellvertretende Parteisekretär der Autonomen Region Tibet (TAR), Zhang Yijiong, der die Hauptrede hielt, betonte einem Artikel in „Tibet Daily“ zufolge die Bedeutung dieser Bevölkerungsgruppe für die wirtschaftliche Entwicklung in der Autonomen Region Tibet (TAR) und versprach, ihr nach besten Kräften beizustehen. Die neue politische Aufgabe beinhalte, „mit Nachdruck ein günstiges Umfeld für die fluktuierende Bevölkerung zu schaffen, damit sie in Tibet gut arbeiten und leben kann.“ Wang Yibin fügte hinzu: „Wir müssen unser Denken über die Berufstätigkeit anpassen, die Garantien für die Wahrung der legalen Rechte und Interessen der Migranten verbessern, damit sie in Frieden und Zufriedenheit (chin. anju leye) in Tibet arbeiten und leben können und es besser denn je zuvor haben.“

Zhang Yijiong sagte außerdem, die Wanderarbeiter seien ein wichtiger Faktor beim Aufbau eines besseren, friedlicheren und harmonischeren Tibets [gemeint ist die TAR]. Alle örtlichen Partei-Komitees müßten daher Führungsqualitäten entwickeln, und die diversen Regierungsabteilungen sollten der Wanderbevölkerung größere Aufmerksamkeit zuwenden, also ihre Rechte und Rechtsansprüche schützen, sie gleich behandeln wie alle anderen und sie durch geeignete Anleitung und bessere öffentliche Leistungen unterstützen“. Wang Yibing betonte, daß ihnen bei der Lösung praktischer Probleme geholfen werden und der Schutz ihrer Rechte und ihrer Sicherheit verbessert werden müsse [was sich offensichtlich auf die Angriffe auf die Chinesen und ihren Besitz am 14. März 2008 in Lhasa bezieht].

Mit derartigen Aussagen soll wohl in erster Linie den Neusiedlern aus China Mut gemacht werden, während sich andere Kommentare eher auf die tibetischen Migranten zu beziehen scheinen. Wang Yibing sprach über die Notwendigkeit, „die Handhabung der öffentlichen Sicherheit zu verbessern und kriminelle Aktivitäten, die sich in der Migranten-Gemeinschaft entwickelten, aufzuspüren“. Am Nachmittag des 2. September besuchte und beriet das Team das städtische Amt für die Wanderarbeiter in Lhasa sowie die Zentralstelle für Wohnungsvermittlung.

Die Aspekte Sicherheit und Stabilität wurden in sämtlichen Reden und wiederholt betont. So führte Zhang Yijiong aus, daß alle örtlichen tibetischen Regierungsämter und -abteilungen „ihre Strategie zur Wahrung der Einheit des Mutterlandes, der nationalen Sicherheit und der Stabilität in Tibet“ optimieren müßten. Die Anwesenheit von Wang Yibing, oberster Chef des Büros für Öffentliche Sicherheit (PSB) und (gleich nach Qing Yizhi) Vize-Vorsitzender der TAR-Regierung und KP-Sekretär von Lhasa, sowie von Zhang Shipin, stellvertretender Kommissar der Militärregion Tibet, hob diese Thematik zusätzlich hervor.