31. Januar 2006

TibetInfoNet
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Auf der Spur des Tigers

Während einer Pressekonferenz in New Delhi am 22. September 2005 präsentierten die Wildlife Protection Society of India (WPSI) und die in London ansässige Environmental Investigation Agency (EIA) spektakuläre Bilder, auf denen Tibeter in Tibet zu sehen waren, die Chubas trugen, welche fast ganz aus Tigerfellen genäht waren. Die beiden Organisationen informierten die internationalen Medien darüber, daß die Felle von Tigern und anderen vom Aussterben bedrohten Großkatzen auf dem Markt von Lhasa offen zum Verkauf geboten werden. Die Filme und die Bilder, welche die Umweltaktivisten in den tibetischen Regionen der VR China aufnahmen, gingen um die ganze Welt. Bilder und Berichte bieten ein Bild von wohlhabenden Tibetern, die mit ihren „Modeansprüchen“ einen Markt geschaffen haben, der zur Ausrottung der freilebenden Tiger in Indien führen könnte.

Die Erkundigungen, die TibetInfoNet einzog und die in diesem Sonderbericht dargestellt werden, legen nahe, daß bei der internationalen Rezeption das Geschehen vereinfacht und die Realität nicht adäquat wiedergegeben wird. Das vorliegende Dossier erklärt die Verflechtungen des Handels mit den Fellen und seine Dynamik, und es kommt zu dem Schluß, daß die chinesischen Behörden trotz des offiziellen Verbots das Tragen von Tigerfellen zu Propagandazwecken und aus kommerziellen Gründen aktiv fördern. TibetInfoNet folgte dem Weg der Tigerfelle von den Nationalparks in Indien bis zu den Festlichkeiten der Landbevölkerung in Osttibet und deckt in seinem Bericht auf, wer die Hauptakteure bei diesem Handel sind: Tibeter am Rande der Exilgemeinschaften in Nepal und Indien, sowie Organisationen, die von den chinesischen Behörden wegen vergangener oder gegenwärtiger politischer, dem Regime geleisteter Dienste gedeckt werden. Wir entlarven hier einige dieser Gruppen und kommen zu dem Schluß, daß es zweifelhaft ist, ob der indische Tiger überhaupt noch eine Chance zum Überleben hat, wenn die chinesischen Behörden ihre Art der Verwaltung und Politik gegenüber den Tibetern nicht revidieren.

Bild: http://www.tibetinfonet.net/images/2006/3101-1.htm

Offiziell wird die Population der wildlebenden Tiger in Indien auf 3.500 geschätzt, aber einige Kommentatoren halten diese Zahl für zu optimistisch. Obwohl die Zahlen umstritten sind, stimmen die Umweltexperten darin überein, daß der Tiger sich in einer prekären Lage befindet. Die größte Bedrohung für ihn sind Wilderer, die eine steigende Nachfrage nach Tigerfellen und anderen Körperteilen in der VR China zu decken versuchen.). Auf die Pressekonferenz in Delhi hin berichtete die internationale Presse einmütig, „die Beschlagnahmung von Tiger-, Leoparden- und Fischotterfellen in großen Mengen in Indien und Nepal lasse auf das Vorhandensein eines hoch organisiertes Verbrechernetzes schließen, das hinter dem illegalen Handel mit den Fellen steht“. Derartige Berichte liefern jedoch keine Details über besagte Netze. Die Erkundigungen von TibetInfoNet bieten hingegen ein umfassendes Bild des illegalen Handels, seiner Struktur und der diversen Personengruppen, die in ihn involviert sind.

Die Geographie dieses Geschäfts – unterschiedlicher Erfolg bei der Beschlagnahmung

Die Route, über die dieser makabre Handel verläuft, nimmt irgendwo in der Nähe einer der 27 indischen Nationalparks, in denen es Tiger gibt, ihren Anfang. Sie werden von örtlichen Wilderern gejagt und an Ort und Stelle zerlegt, woraufhin die Einzelteile auf verschiedenen Routen nordwärts verfrachtet werden. 

Tigerprodukte, die von den Nationalparks in Süd- und Zentralindien oder aus Bengalen kommen, nehmen ihren Weg gewöhnlich über Kalkutta nach Siliguri in den Ausläufern des Darjeeling-Sikkim Himalaya. Wenn sie aus anderen Teilen Indiens kommen, besonders aus Rajasthan, werden sie meistens direkt nach Delhi befördert.

Von den zwei Umschlagplätzen Siliguri und Delhi werden die Tigerprodukte auf drei verschiedenen Wegen nach Tibet weitertransportiert. Die östliche Route startet in Siliguri und setzt sich entweder in die Berge von Darjeeling-Sikkim oder nach Arunachal Pradesh fort und von dort über die indisch-tibetische Grenze nach Tibet. Die zentrale Route verläuft entweder von Siliguri oder Delhi nach Nepal[1] und von dort nach Tibet (siehe unten). Die westliche Route startet in Delhi und wendet sich dann zum westlichen Himalaya, von wo sie entweder über den Dharchula-Paß, unweit der Stelle, wo in Uttaranchal die Grenzen von Nepal, Tibet und Indien zusammentreffen, oder über Ladakh nach Tibet verläuft.

Die offene Grenzpolitik zwischen Indien und Nepal begünstigt die Route über Nepal. Die Tigerprodukte werden, sobald sie Nepal erreicht haben, üblicherweise in Boudha, der wichtigsten Enklave ethnisch-tibetischer Bevölkerung im Kathmandu-Tal, gelagert. Die Händler, die ihre guten Beziehungen zu korrupten nepalesischen Sicherheitskräften nutzen, schmuggeln die Tigerprodukte daraufhin entweder über die Grenzortschaft Khasa am sino-nepalesischen Friendship-Highway, oder durch die Region Mustang (tib. Lo) in Westnepal[2] nach Tibet.

Die Wahl der Route hängt von der jeweils an der Grenze zu Tibet herrschenden Lage ab. Das gesamte Gebiet zwischen Siliguri im Osten, Delhi im Westen und der Grenze zu Nepal im Norden ist daher der wichtigste Transit-Korridor für den Handel mit Tigerteilen in Südasien. Eine wirksame polizeiliche Kontrolle ist sehr schwierig infolge der extremen Bevölkerungsdichte, des Ausmaßes und der weiten Verzweigung des Straßennetzes und der Häufigkeit, mit der die Tigerprodukte, ebenso wie andere verbotene Waren, geschmuggelt werden. Trotzdem kam es gerade hier zu einer großen Zahl von Beschlagnahmungen.

Im Unterschied dazu hörte man nur von zwei Fällen einer Beschlagnahmung in Tibet selbst. Das ist aus zwei Gründen überraschend. Zum einen konvergieren auf jener Seite der Grenze alle Handelswege in Lhasa und folgen, wie ein Blick auf die Landkarte deutlich macht, den wenigen für Kraftfahrzeuge geeigneten Straßen. Diese Straßen verlaufen durch öde Landstriche, weshalb die Überwachung viel einfacher wäre als in Nordindien oder Nepal. Zum anderen weist diese Grenzregion die höchste Konzentration an Sicherheitskräften in ganz Tibet auf – aus offensichtlichen strategischen Gründen, aber auch um Tibeter an der Flucht nach Indien und Nepal zu hindern. Das schafft ein besonders günstiges Umfeld für den Handel auf jener Seite der Grenze[3].

Die am illegalen Handel Beteiligten: 1. Kuriere und Händler

Der Handel und Transport von Tigerprodukten wird mittels eines Netzes aus drei Personengruppen betrieben: den Kurieren, welche die Produkte zu den Umschlagplätzen oder in die Nähe der Grenze bringen; den Händlern, welche die Produkte laufend weiterreichen und sie über die Grenze schmuggeln (und sie auch vor Ort in Tibet verkaufen); und den Verbrechersyndikaten, welche den Handel  organisieren, die notwendigen Deckung bieten und im allgemeinen gute Beziehungen zu den Behörden in Tibet haben. Diese Syndikate sind auch für die Lagerung und die Verteilung der Tigerprodukte an tibetische und nichttibetische Zielpersonen zuständig. Ohne Zweifel sind sie es, die den größten Profit an diesem Handel einstecken.

Festnahmen und Beobachtungen in Indien und Nepal lassen darauf schließen, daß die Kuriere vornehmlich die sich ihnen bietende Gelegenheit nutzen. Die Mehrheit von ihnen sind Nepalis, typisch dabei sind die Manangis, Sherpas usw., aber gelegentlich beteiligen sich auch einige Inder und tibetische Flüchtlinge an diesem Geschäft. Ihre Rolle beschränkt sich darauf, kleinere Teile der Konterbande zu schmuggeln, wobei ihre Vorgehensweise beim Verstecken der Waren in Fahrzeugreifen, Thermosflaschen und ähnlichen Gegenständen recht einfallsreich ist.

Die Kuriere werden angeheuert und mit den notwendigen Instruktionen versehen. Ihr Reiseweg wird von den Händlern arrangiert, und falls die Beute es erforderlich macht, überwachen diese selbst den Transport. Die meisten der Händler scheinen osttibetischer Herkunft zu sein, viele von ihnen besitzen auch Immobilien in Süd-Delhi oder in Majnukatila (eine tibetische Kolonie in Nord-Delhi, die sich außerhalb der Jurisdiktion der tibetischen Regierung-im-Exil befindet) und in Boudha, wo die Konterbande vorübergehend gelagert wird. Die Händler reisen oft nach Tibet, wo sie verschiedene Unternehmen betreiben (Import-Export, Tourismus, Transport usw.), und sie unterhalten ausgezeichnete Beziehungen zu den dortigen Behörden. Nachdem sie korrupte indische und nepalesische Zollbeamte geschmiert haben, schaffen sie gemeinsam mit ein paar Helfern die Konterbande in die TAR. Dort werden die Waren dann an verschiedene Läden verteilt, oder sie werden zu Umschlagplätzen in der VR China weiterbefördert.

Natürlich stehen die meisten dieser Händler in einem gespannten Verhältnis zu der tibetischen Exil-Verwaltung in Dharamsala, viele gehören sogar Organisationen an, die im Zwist mit Dharamsala liegen. Sie haben indische oder oft auch nepalesische Pässe statt der üblichen Flüchtlingsausweise, und obwohl sie durch ihre berufliche Tätigkeit mit der tibetischen Exilgemeinschaft zu tun haben (Kreditgeschäft, Transport, Hotels), befinden sie sich an ihrem äußeren Rand und werden wegen ihrer Verbindungen zur indischen Unterwelt allgemein gefürchtet. Diese Männer, die Spezialisten im illegalen Geschäft mit Wildtieren sind, betreiben auch noch andere Arten von Grenzhandel, und während einiges davon nach außen hin ganz legal aussehen mag, sind sie zum Beispiel auch in den illegalen Handel mit Antiquitäten und Artefakten verwickelt oder in die Beschaffung falscher nepalesischer und indischer Reisedokumente. Sie führen jedoch keinen Drogenhandel mit Tibet, denn Drogen sind in der VR China streng verboten, dabei ist aber nicht auszuschließen, daß sie in Indien und Nepal in diesem Geschäft involviert sind.

Tashi Tsering, alias Tsewang, ist ein repräsentatives Beispiel eines solchen Händlers. Anfang der neunziger Jahre wurde eine ganze Menge von Fellen und anderen illegalen Waren in seinem Haus in Majnukatila beschlagnahmt, aber er konnte rechtzeitig entkommen und seine Aktivitäten nach Nepal verlagern. 1999 erlangte er Berühmtheit, als der indischen Polizei in Ghaziabad bei Delhi einer ihrer größten Fänge im Handel mit Fellen von Wildtieren gelang. Eine große Zahl von Tiger-, Leoparden und Fischotterfellen, die sich auf dem Weg nach Siliguri in West-Bengalen befanden, wiesen eine besondere Numerierung auf, die darauf schließen ließ, daß sie Teil einer größeren Lieferung waren; außerdem trug jedes einzelne Stück noch die Signatur von Tashi Tsering. Ein Jahr später tauchte Tashi Tserings Signatur in Siliguri in einer anderen Lieferung erneut auf, aber auch diesmal konnte er entkommen – man sagt, das Indian Central Bureau of Investigation (CBI, indischer Geheimdienst) habe ihn nur um ein paar Minuten verpaßt.

Am 3. April 2002 erließ Interpol einen internationalen Haftbefehl („Red Corner Notice“) gegen Tashi Tsering unter der Anschuldigung der Bildung einer kriminellen Vereinigung und der Verletzung des indischen Gesetzes zum Schutz der Wildtiere, woraufhin er in den Untergrund ging. Bald jedoch war er wieder in Delhi und setzte seine Aktivitäten unter dem Decknamen „Tsewang“ fort. Ein Ermittlungserfolg in Delhi am 6. April 2005 führte zur Festnahme eines seiner Komplizen, und im September 2005 erließ Interpol einen weiteren auf „Tsewang“ ausgestellten Haftbefehl, doch er lief weiterhin frei herum. Ein größerer Durchbruch gelang, als die Ermittler von indischen und nepalesischen NGOs, dem „Wildlife Trust of India“ (WTI) und dem „Wildlife Conservation Nepal“ (WCN) herausfanden, daß Tsewang und Tashi Tsering ein und dieselbe Person sind, und als sie dann noch ein Photo von ihm sicherstellen konnten, wurde seine Identifizierung möglich. Im November 2005, als drei LKW-Ladungen voller Felle sichergestellt und einige Leute in einer entlegenen Gegend an der nepalesisch-tibetischen Grenze von nepalesischem Militär festgenommen wurden, entging er wieder der Festnahme.

Seine Verhaftung erfolgte schließlich am 11. Dezember 2005 in Boudha auf eine massive Lausch-Operation von WTI und WCN hin, die durch indisches und nepalesisches Sicherheitspersonal unterstützt wurde. Tashi Tsering wird wahrscheinlich mit 15 Jahren Gefängnis bestraft werden. Obwohl er eigentlich Tibeter ist, hat er die nepalesische Staatsbürgerschaft; er verfügte über ausgezeichnete politische Beziehungen in Nepal und Tibet und arbeitete außerdem mit dem Syndikat in Nagchu (siehe unten) zusammen. Ob er sich nun als Tashi Tsering oder als Tsewang ausgab, bei den Tibetern in Indien und Nepal war er wegen seiner Kontakte zu indischen Gangstern und korrupten nepalesischen Sicherheitskräften stets gefürchtet.

(Bild: http://www.tibetinfonet.net/images/2006/3101-2.htm).

Die am illegalen Handel Beteiligten: 2. Die Syndikate

Zwei spezielle Verbrecher-Syndikate konnten bei dem Handel mit Produkten von Wildtieren als die Hauptakteure in Tibet identifiziert werden – beide operieren sie unter dem Deckmantel von Handelsgesellschaften, und sind in Händen prominenter Tibeter. Die eine ist die Nagchu Import-Export Corporation (chin. Naqu Tangla Waimao), die in Nagchu im Norden der TAR ansässig ist und Büros in Hongkong und in Lhasa betreibt. Die andere ist der Dokham Cultural and Welfare Charitable Trust, der in Chengdu, Sichuan, registriert ist, aber seinen Hauptsitz in Hongkong hat und außerdem über Büros in Kathmandu und Bangkok verfügt.

Der Manager der Nagchu Import-Export Corporation ist Nagchu Tsewang, der Bruder von Ragdi (chin. Raidi). Als ehemaliger Vize-Parteisekretär der TAR und ehemaliger Vorsitzender des Volkskongresses der TAR war Ragdi viele Jahre lang der höchstrangige Tibeter in der kommunistischen Hierarchie Tibets, ehe er im Mai 2003 zum zweiten Vorsitzenden des Nationalen Volkskongresses (NPC) ernannt wurde. Obwohl er nicht mehr in Tibet ist, ließ er bekanntlich eine mächtige Oligarchie zurück, die sich aus seinen Freunden und Verwandten zusammensetzt. Ragdi, der während der Kulturrevolution eine Fraktion der Roten Garden anführte, gelangte in den achtziger Jahren an die Macht, und konnte in der Zeit, als Hu Jintao Parteisekretär in der TAR war, seine Position festigen. Die Nagchu Import-Export Corporation ist ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem sowohl die Regierung der TAR als auch die Zentralregierung in Peking Anteile haben, und das die verschiedensten Geschäftsinteressen verfolgt und sogar Aktien von der ABC Bus-Gesellschaft besitzt, welche die Verbindung nach Kathmandu sicherstellt. Vor einigen Jahren, als die Firma einen Bankkredit nicht zurückzuzahlen konnte und fast Bankrott gegangen wäre, haben ihr die Zentralbank und die Regierung mit Zuschüssen aus der Patsche geholfen.

Der Dokham Cultural and Welfare Charitable Trust wurde von Jigme Thinley gegründet, der auch als Khatok Shingkyong Lama bekannt ist, und eine der schillerndsten Gestalten der jüngeren tibetischen Geschichte war, sowohl im Exil als auch in Tibet. Der Shingkyong Lama erlangte traurige Berühmtheit im Zusammenhang mit einem Unterschlagungsfall, der die Kathok Kalkwerke betraf (ein tibetisches Genossenschaftsunternehmen aus den ersten Tagen des Exildaseins in Satgaon in der Nähe der tibetischen Siedlung Bir in Himachal Pradesh). Im Laufe der Zeit wurde er zu einem lautstarken Kritiker des Dalai Lama und der tibetischen Exilregierung, oder der Central Tibetan Administration (CTA) in Dharamsala, gleichzeitig war er der radikale Anführer von den „Dreizehn Siedlungen“ (tib. tsogka choksum). Die „Dreizehn Siedlungen“ waren ein Zusammenschluß von 13 tibetischen Camps, in denen hauptsächlich Flüchtlinge aus Osttibet wohnten, die ab Mitte der Sechziger gekommen waren und sich wegen des Überwiegens von Zentraltibetern und der Vormachtstellung der Gelugpa Schule des Buddhismus in der CTA der Autorität Dharamsalas nicht fügen wollten. Dieser Verband wurde durch die inzwischen aufgelöste „Kommission für Mongolische und Tibetische Angelegenheiten“ in Taiwan teilweise finanziert[4].

Im August 1982 reiste Shingkyong Lama zum ersten Mal nach Tibet, wo er sich enthusiastisch über die Errungenschaften der Chinesen äußerte. Weniger als ein Jahr später, als er von seiner zweiten Reise zurückkehrte, wurde er mit zwei LKW-Ladungen voller antiquarischer Statuen, Gold und anderen unerlaubten Kunstgegenständen, die er aus Tibet geschmuggelt hatte, in Barabisi, Nepal, festgenommen, jedoch recht bald wieder auf freien Fuß gesetzt. Anfang 1984 kehrte er für immer nach Tibet zurück, wo die chinesischen Behörden ihm einen begeisterten Empfang bereiteten. Er ließ sich in Chengdu, Sichuan, in einer von dem United Front Department (chin. tong zhan bu, das Organ der Kommunistischen Partei Chinas, das für die Eingliederung von parteifernen ethnischen und religiösen Gruppen zuständig ist) zur Verfügung gestellten Residenz nieder. Zu diesem Organ stand er in besonders enger Beziehung, und zeitweise war er sogar Mitglied des Provinz-Volkskongresses. Es heißt, er sei im Besitz eines roten Diplomatenpasses der VR China, und wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigt, soll er stets von vier Leibwächtern begleitet sein. Angeblich soll Shingkyon Lama, obwohl er stets gute Beziehungen zu Mitgliedern der Commission of Mongol and Tibetan Affairs (MTAT) aufrechterhielt, auch insgeheim für den chinesischen Militär-Aufklärungsdienst gearbeitet haben. Er und seine Familie waren es auch, die dabei halfen, Thinley Thaye Dorje, den Jungen, der den Thron der Karma-Kagyu-Schule des tibetischen Buddhismus beansprucht, nach Indien zu bringen. Durch diese Tat wurde er zum Gegenspieler von Urgyen Thinley, der vom Dalai Lama als der offizielle Karmapa anerkannt wurde. Schließlich war er 1997 an der Veröffentlichung und Verbreitung des Büchleins „Mongoose Canine“ (wörtl. hündischer Mungo) beteiligt, in dem der Dalai Lama heftig angegriffen wird. Wegen seiner Anti-Dalai-Lama Aktivitäten, seiner engen Beziehung zu den chinesischen Behörden und seiner dubiosen kommerziellen Tätigkeiten – wozu noch eine teilweise physische Behinderung kam – wurde Shingkyong Lama in Tibet der „hinkende Lama im politischen Geschäft“ (tib. chabsi tsongpa lama kang jog) genannt.

Bis Ende 1990 war Shingkyong Lama ein häufiger Besucher in Kathmandu, wo er sich mit anderen Dalai-Lama-kritischen Gruppierungen im Haus seines Bruders in Boudha traf. Er gründete auch den Derge Welfare Trust in Chengdu mit Büros in Hongkong, Kathmandu und Südindien, der in den Schmuggel von Wildtier-Produkten und Antiquitäten verwickelt ist. Das Hauptbüro des Dokham Cultural and Welfare Charitable Trust in Hongkong (Chonqing Mansion, Kowloon) befindet sich in der Hand von Sangye Kyab, dem jüngeren Bruder von Shingkyong Lama. Von diesem Büro aus werden die Mitarbeiter in Indien und Nepal für ihre Operationen mit Kunstgegenständen und Wildtierteilen mit den notwendigen finanziellen Mitteln versorgt. Sangye Kyab ist ein ehemaliger Angehöriger der Special Frontier Force (SFF), die auch als „Establishment 22“ bekannt war, und ein Eliteregiment der indischen Armee ist, in dem hauptsächlich Tibeter dienen. Man nimmt an, daß Sangye Kyab infolge des gesundheitlichen Zusammenbruchs von Shingkyong Lama das tägliche Management des Geschäfts übernahm. Wenn man unbestätigten Berichten glaubt, dann führte dieser Zusammenbruch neulich sogar zu seinem Tod.

TibetInfoNet ist im Besitz einer Liste von zehn Händlern, die dem illegalen Geschäft mit Teilen von wilden Tieren nachgehen: Sie alle stehen mit wenigstens einem der beiden genannten Syndikate in Verbindung. Ebenso wie Tashi Tsering sind diese Händler reiche Geschäftsleute mit ausgesprochenen Kontakten zur südasiatischen Mafia. Sie wohnen hauptsächlich in irgendwelchen? Villen in Boudha, die meisten von ihnen wurden irgendwann einmal festgenommen, aber später dank der Zahlung von Schmiergeldern oder der Hilfe von einflußreichen Anwälten wieder entlassen.

Sowohl für die Händler als auch die Syndikate, innerhalb deren Netz sie operieren, ist der Schmuggel von Tigerfellen nur eine von vielen eng miteinander verbundenen kriminellen Aktivitäten. Ein direkter Zusammenhang besteht auch zu dem international verbotenen Handel mit Shatoosh, der Wolle der tibetischen Antilope, die auch als Chiru bekannt ist und zu einem der Symboltiere für die Olympiade 2008 in Peking erkoren wurde. Viele Jahre wurde Shatoosh aus Tibet gegen Tigerprodukte aus Indien, die über Tibet nach China gebracht wurden, gehandelt. Der Tauschpreis war zwei Säcke Chiru-Wolle für einen Sack Tigerknochen, aber seit sich die Bezahlung mit Bargeld in Tibet durchgesetzt hat, verlor dieser Tauschhandel seine Bedeutung. Der Transport der Tigerprodukte verläuft über dieselbe Route wie der Handel mit Shatoosh, nämlich über die Pässe in Ladakh. Die Routen hierfür wurden im Hinblick auf die Nähe zu dem Habitat der Chiru in der Changtang Region im Westen und dem Angebot an guten Webern aus Kashmir im Osten eingerichtet. Seitdem der Shatoosh Handel in letzter Zeit, besonders in Indien größerer Kontrolle unterliegt, werden andere Routen vorgezogen. Die Syndikate schaffen die Wolle nun meistens auf der Straße von Tibet nach Xinjiang, von wo aus sie mit kasachischen Frachtflugzeugen zu den diversen zentralasiatischen Republiken geflogen wird. Dann wird sie nach Pakistan, und von dort nach Delhi geschickt, ehe sie ihren Bestimmungsort Srinagar, die Hauptstadt des indischen Bundesstaates Jammu und Kashmir, erreicht. Eine Kombination von Anklagen und Verhandlungen der indischen Behörden und NGOs mit bekannten Aufkäufern in Kashmir scheint in letzter Zeit zu einem Rückgang im Shatoosh-Handel geführt zu haben. Das mag ein möglicher Faktor sein, mit dem man den derzeitigen Aufschwung im Tiger-Handel als einer alternativen Einkommensquelle erklären könnte.

Wohlstand und die Neuerfindung der Traditionen

Die Tibeter haben schon immer Tierfelle benutzt, insbesondere solche von Leoparden und Fischottern, um ihre Fest-Chubas damit zu verbrämen. Der Besitz vieler oder ganzer Felle war allerdings das Privileg von Stammesfürsten, die sie als ein Zeichen ihres Wohlstands und Rangs trugen. In Tibet symbolisierte der Tiger physische, militärische, ja sogar spirituelle Kraft, eher als Reichtum oder die soziale Stellung. Daher wurden Tigerfelle vor allem für Militäruniformen (als Schürzen oder Kapuzen) und ähnliche Ausstattungsstücke, aber nur ganz selten für religiöse oder volksreligiöse Zwecke benutzt.[5] Aristokraten und lokale Anführer, die ihre Abstammung von Generälen des frühen tibetischen Imperiums oder von König Gesar, dem mythischen Helden des tibetischen Nationalepos, herleiteten, benutzten ebenfalls Gegenstände, die mit echtem Tigerfell oder gewebten Imitationen dekoriert waren, vor allem Decken. Nur selten wurden Tigerfelle zu Kleidungszwecken verwendet, und wenn, dann höchstens in Form von Besätzen für die Ränder. Vollständig aus Tigerfell gefertigte Kleidungsstücke, wie sie auf den von WSI und EIA präsentierten Fotos zu sehen sind, gab es nur ganz selten.

Die internationalen Medien haben auf die Veröffentlichungen von WPSI und EIA mit Berichten über "dramatische neue Entwicklungen" reagiert, in denen sie die dem indischen Tiger drohende Ausrottung unmittelbar auf diese neuen Mode und die angeblich rapide steigende "Nachfrage nach den Fellen auf den geschäftigen Bazaren Tibets" zurückführen. Das Wachstum dieses Marktes wird in diesen Berichten mit einer "neuen finanziell gut gestellten Klasse" in "einem reicheren Tibet und China", sowie mit "betuchten Tibetern" und einem "neu entstandenen Wohlstand" in Zusammenhang gebracht.

(Foto: http://www.tibetinfonet/images/2006/3101-3.htm)

Trotz des in der VR China Anfang der 90er Jahre offiziell erlassenen Verbotes konnte man, seit die Grenzen Tibets im Süden in den achtziger Jahren geöffnet wurden, die Felle mehrerer bedrohter Arten frei auf den Märkten kaufen. Es ist unbestreitbar, daß den Tibetern in Tibet die den Großkatzen drohende Gefahr der Ausrottung nicht bewußt war, ebensowenig die Tatsache, daß bereits ein geringer Anstieg der Nachfrage nach den Fellen das Überleben der Tiger in Indien ernsthaft gefährden würde.

Die Direktorin von WPSI, Belinda Wright, spricht von einem "blühenden Markt" in den tibetischen Gebieten, womit man den Anstieg der Wilderei in Indien erklären könnte. Allerdings ist es ohne offizielle oder inoffizielle Zahlen äußerst schwierig, den Trend auf diesem Markt einzuschätzen. Ohne die Bedeutung des einheimischen Marktes in Abrede stellen zu wollen, müßte untersucht werden, in welchem Ausmaß die Tibeter selbst mit Pelz verbrämte traditionelle Bekleidung kaufen, und ob nicht gar in vielen Fällen Touristen, die "authentische" tibetische Kleidungsstücke als Souvenirs erstehen wollen, für die gestiegene Nachfrage verantwortlich sind. Es kann kein Zufall sein, daß Lhasa als das Zentrum des Tourismus offenbar den größten Markt für diese Produkte aufweist. Aber Tibeter, die Tigerfelle tragen wie diejenigen auf den Fotos von EIA/WPSI, wohnen vorwiegend auf dem Land.

(Foto: http://www.tibetinfonet.(inages/2006/3101-4.htm)

Jedenfalls ist es inkorrekt, die gestiegene Nachfrage mit "Mode" und wirtschaftlichem Fortschritt in Tibet in Verbindung zu bringen. Wenn man die offizielle Propaganda beiseite läßt, deutet jede unabhängige, von offiziellen chinesischen Statistiken ausgehende Analyse darauf hin, daß das Wirtschaftswachstum in Tibet fast ausschließlich durch Subventionen der Regierung angeheizt wird, von denen in erster Linie nicht-tibetische Investoren und Arbeitnehmer profitieren. Das wenige, das überhaupt bei den Tibetern ankommt, erreicht lediglich eine äußerst geringe Anzahl von Stadtbewohnern und kaum jemand von der Landbevölkerung.[6] In der TAR leben mehr als 85% der Tibeter auf dem Land in bitterer Armut, weshalb die Annahme, eine neureiche tibetische Bevölkerung sei für die massive Nachfrage nach Tigerfellen verantwortlich, alles andere als überzeugend ist.

In einem Artikel mit dem Titel "Festivals in der TAR fordern ihren Tribut an indischen Tigern, Leoparden und Fischottern" liefert der Statesman aus Delhi einen Anhaltspunkt für ein besseres Verständnis des Skandals mit der Verwendung von Tigerfellen im heutigen Tibet. Er betont, daß die Recherchen von WPSI und EIA Festivals verschiedener Gegenden des ländlichen Tibet betrafen.

Mehr Beachtung verdient jedoch der Umstand, daß diese Feste in den vergangenen Jahren sich von Volksmärkten zu staatlich geförderten und organisierten Veranstaltungen entwickelt haben, auf denen eine sterile und hochgeputschte Version der tibetischen Kultur vorgeführt wird. Ihr vornehmlicher Zweck ist die öffentliche Zurschaustellung eines wohlhabenden "modernen" und dennoch "exotischen" Tibets. Zum einen werden Tanzvorführungen, die früher improvisiert wurden, durch choreographierte Shows von staatlich geförderten und offiziell ausgebildeten Tanzgruppen verdrängt. Zum anderen ist die formelle Vorführung "traditioneller" Kleidung, oder genauer gesagt von deren Kitschversion, mittlerweile zu einem essentiellen Bestandteil derartiger Feste geworden. Tibetische Landbewohner, die an solchen Shows teilnehmen, werden behördlicherseits dazu angespornt, um den Titel des Trägers der eindrucksvollsten "Tracht" zu wetteifern, was zuweilen groteske Ausmaße annimmt. Die Gewinner erhalten Preise, die ihnen von Parteikadern überreicht werden. Die Rechercheure haben festgestellt, daß die Leute in Tibet sich für derartige Shows dermaßen verschwenderisch aufputzen, wie man es von traditionellen Anlässen wie dem tibetischen Neujahrsfest (Losar), das im kleineren Kreis fern jeglicher öffentlicher Aufmerksamkeit begangen wird, noch nie gehört hat.

Gerade wegen ihrer allgemeinen Knappheit sind mit echtem Tigerfell besetzte Stücke bei den Organisatoren sehr beliebt. Debbie Banks von EIA erwähnt, örtliche Kader würden die Teilnehmer ermuntern, Tiger- oder andere Tierfelle zu tragen. Jemand anderes aus Tibet wurde Zeuge, wie Behördenvertreter tibetische Tänzer ausschimpften, die in Chubas ohne genügenden Tigerfellbesatz auftraten, und ihnen vorhielten: "Wollt Ihr etwa, daß unser Landkreis einen ärmeren Eindruck als seine Nachbarn macht?"

(Foto: http://www.tibetinfonet.net/images(2006/3101-5.htm)

Dieser vom Staat gesponserten Neuauflage der tibetischen Kultur ist es zuzuschreiben, daß sich die Unsitte des Tragens von Fellen bedrohter Tierarten bei Festlichkeiten auf dem ganzen tibetischen Hochland rasant verbreitet hat. Als eine Reaktion auf diese neue Mode und unter direkter Bezugnahme auf die Fotos, die von WPSI und EIA in Umlauf gebracht wurden, äußerte sich der Dalai Lama bei der Kalachakra-Zeremonie, die vor kurzem in Südindien stattfand, besorgt über die Oberflächlichkeit von Leuten, die "teure Juwelen und mit Pelz besetzte Kleidung" tragen. In welchem Ausmaß weltliche Feste zu einem alternativen Schaufenster für die tibetische Kultur werden und dabei langsam die Klöster und religiösen Feste verdrängen, die jahrzehntelang die Hauptattraktionen der Touristen bildeten, wird deutlich, wenn man bei einer einzigen Google-Suche mit den Begriffen "Tibet" und "Festivals" unendlich viele Einträge erhält.

Ganz abgesehen von diesen Landfesten bieten auch offizielle staatliche Funktionen eine Plattform für ähnliche Schaustellungen der "reformierten" Tradition. Ein hoher indischer Regierungsbeamter, der am 1. September 2005 bei den offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Gründungstag der TAR in Lhasa anwesend war, wird wie folgt zitiert: "Das ist alles sehr eindrucksvoll, aber ich frage mich, warum eigentlich tote indische Tiger zur Glorie der VR China tanzen müssen”.

(Foto: http://www.tibetinfonet.net/images/2006/3101-6.htm)

Im Sinne der offiziellen Bemühungen, der Welt das Bild eines zunehmend wohlhabenden Tibets zu präsentieren, in dem die traditionelle Kultur, oder besser gesagt ihre sichtbaren und "exotischen" Aspekte, nicht nur respektiert, sondern sogar aktiv gefördert werden, verbreiten zahlreiche frei erhältliche Hochglanzbroschüren und Websites in China und im Ausland Bilder mit den eindrucksvollen Szenen von solchen Festivals. VCDs (Video Compact Disks), die bei den Tibetern in Tibet wie auch in Indien und Nepal weit verbreitet sind, vermitteln einen noch lebendigeren und anschaulicheren Eindruck und scheinen den sonst üblichen Bildern von trostloser Armut zu widersprechen. Abgesehen von dem Propagandaeffekt zielt diese Strategie natürlich darauf ab, mehr Touristen nach Tibet zu locken, vor allem chinesische, für die solche Darstellungen des barocken und naturnahen Lebens der Tibeter, welche die Felle der gefährlichsten "Bestien" tragen, die populären Erwartungen des aufregend Archaischen und "exotischen Anderen" erfüllen.

Die VR und der Umweltschutz – Ist der Tiger der Gewinner?

Obwohl es viel zu früh für eine Überlegung ist, inwieweit die Resultate der Recherchen von WPSI und EIA zu einem geschärften Bewußtsein in dieser Problematik führen, gestattet die seit September 2005 hierüber in Gang gekommene Diskussion zumindest eine vorläufige Analyse des möglichen Eindrucks auf die Tibeter sowohl inner- als auch außerhalb Tibets, sowie der für den Tiger zu ergreifenden Schutzmaßnahmen.

Die erste Reaktion kam, noch ehe die Informationen von WPSI und EIA an die Öffentlichkeit gelangten, von der Sektion China des World Wildlife Fund (WWF). Unmittelbar nach Beendigung der von den beiden Organisationen durchgeführten Feldstudien fand in Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang, vom 22. bis zum 24. August 2005 ein "CITES[7] Umsetzungsseminar für die Seidenstraße" statt. Debbie Banks von EIA präsentierte bei diesem Seminar am Morgen des 24. August die Ergebnisse ihrer Recherchen. In einem Bericht, der die Welt am 25. August erreichte, jedoch vermutlich bereits am selben Tage veröffentlicht wurde, äußerte WWF-China seine “Besorgnis über die wachsende Rolle des tibetischen Marktes für den Handel mit Fellen von asiatischen Tigern und Leoparden". Er brachte dies in Verbindung mit "der in Lhasa und anderen Regionen neu aufgekommenen Mode, aus Tiger- und Leopardenfellen hergestellte Kleidung zu tragen". Der Leiter des Tibet-Programms von WWF-China, Dawa Tsering, wird folgendermaßen zitiert: "Ich bin überzeugt davon, daß die Tibeter, wenn sie über die richtigen Mittel und Informationen verfügen, sehr wohl zwischen Mode, Kultur und Erhaltung der Natur abwägen und zur Lösung des Problems beitragen werden."

Die Erwähnung neuer "Modetrends" bei den Tibetern als dem scheinbar wichtigsten Faktor bei dem Handel mit Tigerfellen ähnelt in auffälliger Weise dem internationalen Medien-Echo auf der Pressekonferenz in Delhi einen Monat später. Überraschend ist diese Erwähnung insofern, als sie von der einzigen internationalen Umweltorganisation (WWF) kommt, die ständig in der TAR anwesend ist, und von der man eigentlich ein profunderes Wissen über die Begleitumstände dieses Handels, so wie sie in diesem Bericht beschriebenen sind, erwartet hätte. Andererseits deckt sie sich mit dem, was die Public Relations Politik von WWF-China zu sein scheint – einerseits die Rolle der Öffentlichkeit bei der Umweltzerstörung zu betonen, andererseits jedoch Fragen nach der Verantwortung der Behörden demonstrativ aus dem Weg zu gehen.

Auf der Website von WWF-China werden beispielsweise als die Hauptbedrohungen für die Umwelt in Tibet (womit in Übereinstimmung mit der chinesischen Lesart nur die TAR und nicht etwa das gesamte tibetische Plateau gemeint ist) "der Konflikt zwischen dem Schutz der Wildtiere und der Viehhaltung", “das illegale Jagen von Wildtieren”, "die traditionellen Praktiken in der Landwirtschaft und beim Sammeln von Feuerholz”, “die unzulängliche Weidewirtschaft" und sogar "die Herstellung von Räucherstäbchen" aufgeführt – also größtenteils Umweltprobleme, die eng mit der traditionellen Lebensweise verknüpft sind. Jedoch werden Straßenbau, die Entwicklung des Bergbaus und infrastrukturelle Aktivitäten im allgemeinen, die dem Tibet von heute sein Aussehen geben, nur beiläufig erwähnt.

Ebenso irreführend ist die Aussage von den "Anforderungen, die das rapide Bevölkerungswachstum in Tibet stellt", weil der erhebliche Zustrom von temporären oder permanenten Migranten aus China dabei keine Erwähnung findet. Während ein solch zaghaftes Vorgehen den Handlungsspielraum der zahlreichen Umweltprojekte von WWF-China, welche von internationalen Umweltexperten einmütig gelobt werden, erweitern mag, werden auch seine Grenzen, etwa bei Problemen wie dem Tiger-Handel deutlich, wenn man die in diesem Sonderbericht geschilderte Rolle der Behörden in Betracht zieht. Damit bleibt WWF-China, trotz seines Status als unabhängige Organisation, weit hinter den in bezug auf die Umweltproblematik zuweilen erstaunlich selbstkritischen Aussagen höherer Regierungsvertreter in Peking zurück. In der Tat ähnelt er eher den Mustern der staatlich kontrollierten chinesischen Presse[8]. Nur vier Tage nach der Pressekonferenz in Delhi schlug die VR China am 26. September 2005 vor, dem illegalen Handel durch die Einrichtung von "Tiger-Farmen" Einhalt zu gebieten, in denen asiatische Tiger gezüchtet werden sollten, um der anhaltende Nachfrage nach Tiger-Produkten auf den einheimischen Märkten nachzukommen. Organisationen wie TRAFFIC und WWF International haben diese Absicht vehement zurückgewiesen und argumentiert, daß jeder legale Handel mit Tigerprodukten nur als Deckmantel für eine illegale Vermarktung fungieren würde. WWF-China äußerte sich nicht zu diesem Vorschlag.

Ungeachtet der öffentlichen Statements von WWF-China schwieg die chinesische Presse zu den Resultaten der von EIA und WPSI durchgeführten Recherchen. Trotz einiger moderater Aussagen wie der von Debbie Banks (EIA) "In China brauchen wir gezielte Maßnahmen gegen Schmuggler und Händler", wurde in der Botschaft, die von dem Mainstream der internationalen Medien aufgenommen und verbreitet wurde, das durch den angeblichen wirtschaftlichen Fortschritt veränderte Umweltverhalten der Tibeter einseitig gebrandmarkt. Eine solche inkorrekte Wahrnehmung ist eindeutig auf das von WPSI und EIA vorgelegte Bildmaterial zurückzuführen, doch haben auch Zitate aus der Pressekonferenz von Delhi, in denen den Tibetern die Schuld pauschal zugewiesen wird, das Ihrige dazu beigetragen.

Outlookindia zitiert beispielsweise die WPSI-Direktorin Belinda Wright folgendermaßen: "Der Handel liegt in den Händen der Tibeter. Sie schmuggeln, verkaufen, kaufen und tragen die Felle." Abgesehen davon, daß es sich dabei um eine vollkommen undifferenzierte Aussage handelt, lenkt sie – im Lichte der in diesem Sonderbericht vorgetragenen Fakten – die Aufmerksamkeit erfolgreich von all jenen Umständen ab, die auf das chinesische Kernland als den größten Markt für Tigerprodukte verweisen. Wie es ein Umweltexperte TibetInfoNet gegenüber ausdrückte, ist China "der größte Konsument der Wildtiere seiner Nachbarländer." Wenn man das Ganze umfassender betrachtet und berücksichtigt, daß zahlreiche Tibet-Unterstützer großes Gewicht auf ökologische Probleme legen, und daß der Umweltschutz eine der zentralen Forderungen des Dalai Lama an die VR China ist, bedeutet die ganze Angelegenheit für die VR China einen beachtlichen Gewinn an politischen Punkten, wie ihn die einheimischen Medien alleine kaum zustande gebracht hätten.

Eine ähnlich vereinfachte, wenn auch wesentlich radikalere Betrachtung der Sache findet man bei der Tierschützerin und prominenten indischen Politikerin Maneka Gandhi. Bereits in einem 2004 im Magazin "Vegan Voice" veröffentlichten Interview antwortete Frau Gandhi auf die Frage, was man tun könne, um ihr und ihrer Organisation "Animals for People" zu helfen: "Stellen Sie die Unterstützung für den Kampf der Tibeter so lange ein, bis diese mit dem Wildern von indischen Tieren aufhören. Die meisten Tibeter, die in Indien Asyl erhalten haben, sind Kuriere für den Transport von Wildtieren nach China, Pakistan und Nepal." In einem weiteren Interview, das am 8. November 2005 vom Nachrichtenkanal India TV im Anschluß an die Pressekonferenz ausgestrahlt wurde, war Frau Gandhi sogar noch unverblümter: "Alle Tibeter, die es zu etwas gebracht und Häuser gebaut haben, sind in den Schmuggel von Tigerfellen verwickelt". Und sie schlug vor, "alle Tibeter aus Indien auszuweisen".

Infolge einer unvollständigen Wahrnehmung und der Darstellung des Handels als dem gemeinsamen Nenner scheint keine der hier aufgeführten Reaktionen eine echte Lösung für das Problem des drohenden Aussterbens des Indischen Tigers zu bieten. In einem BBC-Bericht steht zu Recht: "Die Bevölkerung über die Bedeutung von Großkatzen aufzuklären, könnte der Schlüssel für das Überleben der Tiger sein." Angesichts der in diesem Report beschriebenen Einzelaspekte des Handels scheint es jedoch fraglich, ob von NGOs geplante Aufklärungskampagnen bei Tibetern der Sache wirklich ein Ende setzen würden. Da der Handel und die Verwendung von Tigerfellen eng mit den Verwaltungsstrukturen in der VR China verwoben ist, müßte dort nach Lösungen gesucht werden, die sowohl das Angebot als auch die Nachfrage betreffen.

Da die Nachfrage letzten Endes von offizieller Seite geschürt wird, scheint es, daß nur eine starke moralische Haltung, die von den Tibetern auf breiter Basis geteilt würde, eine Chance auf Erfolg haben könnte. Gewiß ist es in diesem Zusammenhang zu sehen, daß der Dalai Lama bei der vor kurzem in Südindien abgehaltenen Kalachakra-Zeremonie diese Thematik immer wieder vor Tausenden von Tibetern angesprochen hat, die extra aus Tibet zu diesem Anlaß angereist waren. Die Tibeter scheinen sich seine Appelle zu Herzen genommen zu haben. Die von NGOs am Rande der Zeremonie organisierten Veranstaltungen fanden großen Zuspruch. Das Informations- und Lehrmaterial ging schon nach wenigen Tagen aus, und viele Tibeter gelobten schriftlich, keine Tierfelle mehr zu tragen. Aus Rebkong in Qinghai (Amdo) wird berichtet, ortsansässige Tibeter hätten dort als spontane Reaktion auf die Appelle des Dalai Lama Pelzbekleidung zusammengetragen und verbrannt.

Trotz dieser positiven Ergebnisse kann – falls dies überhaupt möglich ist – nur eine wirkungsvolle Kampagne zu einem anhaltenden Erfolg führen. Ob dem Tiger noch so viel Zeit bleibt, ist mehr als fraglich. Angesichts der politischen Realität dürfte der Vorschlag einiger NGOs, man sollte die Botschaft des Dalai Lama mittels Videokassetten und anderer Medien in Tibet auf breiter Basis verbreiten, bloßes Wunschdenken sein.

Was die Lieferung der Felle betrifft, gibt es kaum einen Zweifel, daß nur der chinesische Staat, falls er dies wollen sollte, dazu in der Lage wäre, sie zumindest in einem gewissen Maß einzuschränken. Jedenfalls wurden noch wenige Tage vor dem Erscheinen dieses Berichts auf den Märkten von Lhasa Tigerfelle ganz offen zum Verkauf angeboten.

Fußnoten

[1] Im Terrai (die Ebene an der Grenze zu Nepal) erlegte Tiger werden oft direkt nach Kathmandu transportiert.

[2] Die Verwendung dieser Routen durch Nepal ist in letzter Zeit zurückgegangen wegen der gegenwärtigen politischen Unruhen. Dies gilt besonders für die westlichen Teile Nepals, wo eine starke maoistische Präsenz den Transport der Waren durch Mustang zeitweise praktisch unmöglich macht.

[3] Die erste Ladung in Tibet wurde am 8. Oktober 2003 in Sangsang (60 km von Ngamring) beschlagnahmt. Mit 31 Tigerfellen, 581 Leopardenfellen und 778 Otterfellen war sie eine der größten überhaupt, woraus die Verwegenheit der Schmuggler auf der tibetischen Seite der Grenze deutlich wird. Im Unterschied zu den meisten in Indien oder Nepal gemachten Fängen ging dieser durch die internationale Presse. Die zweite Beschlagnahmung erfolgte um den 11. September 2005 in Zangmu an der nepalisch-tibetischen Grenze, unmittelbar nachdem WPSI und EIA ihre Ermittlungen abgeschlossen hatten, aber noch ehe ihre Ergebnisse veröffentlicht wurden. Diesmal wurden 12 Tigerfelle, 60 Leopardenfelle, 20 Otterfelle und 14 kg Tigerknochen beschlagnahmt.

[4] Der Hintergrund für die Entstehung der „Dreizehn Siedlungen“, die Wechselfälle ihrer Beziehungen zur CTA und ihr Niedergang sind sehr komplex und können hier nicht weiter dargelegt werden. Diese Gruppe war aber niemals eine homogene Bewegung, sondern eher ein Sammelbecken für Leute, die aus einer Reihe von Gründen mit der CTA unzufrieden waren. In den Achtzigern verloren die „Dreizehn Siedlungen“ allmählich an Bedeutung, und die meisten ihr unterstehenden Camps kehrten still und leise in die Reihen der übrigen Exilgemeinschaft unter der Obhut der CTA zurück.

[5] Bestimmte Praktizierende des Tantra pflegten ihre Leiber nackt in Tigerfelle zu wickeln, womit sie einem indischen tantrischen Brauch folgten. Mönchen war dies grundsätzlich verboten, da es ihren Gelübden zuwiderlief. Im traditionellen Tibet gab es aber nur eine Handvoll von solchen Praktizierenden.

[6] Unter der Landbevölkerung gibt es, etwa unter bestimmten Nomadengruppen, einige wenige Zirkel, die besondere Aufmerksamkeit seitens der Behörden erfahren haben, weil sie sich bemühen, die Leute von ihrer angeblichen Aufsässigkeit abzubringen bzw. in einer von ihnen als politisch labil empfundenen Umgebung stabilisierende Strukturen zu schaffen. Berichten aus Tibet zufolge sollen diese Zirkel zu den Hauptkonsumenten von Tiger- und Leopardenfellen gehören.

[7] CITES steht für ”Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora”.

[8] Weitere Informationen zur Umweltberichterstattung über Tibet in den chinesischen Medien gibt es in dem von TibetInfoNet am 25. Oktober 2005 veröffentlichten Bericht "Mining Policies Shift in the TAR" (www.tibetinfonet/updates/2005/2510.htm).