25. August 2006

TibetInfoNet
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Angst vor Sabotage entlang der Tibet-Eisenbahnlinie

In der chinesischsprachigen Presse inner- und außerhalb der Volksrepublik China (VRCh) tauchten Einzelheiten über die drakonischen Sicherheitsmaßnahmen an der kürzlich eröffneten Qinghai-Tibet-Eisenbahnlinie auf. Obwohl bisher nichts über größere Sabotageakte bekannt wurde, zeigen diese Maßnahmen, wie sehr sich die chinesische Führung der Störanfälligkeit des Projekts bewußt ist.

Dem kritischen Blatt Boxun News und der Hongkonger Zeitung Daily Economy zufolge führten die Behörden kurz vor Eröffnung der neuen Bahnlinie an den Stationen und entlang der gesamten Strecke verschiedene Übungen zur Abwehr potentieller „terroristischer Sabotageakte“ durch. Am 22. Juni wurde beispielsweise am Bahnhof Lhasa ein „Anti-Terroristen-Manöver“ abgehalten, um die Auflösung einer Menschenmenge von mehreren tausend Personen im Fall eines terroristischen Anschlags zu üben. Dabei wurden auch spezielle Vorkehrungen an den Ein- und Ausgängen getroffen, um die Passagiere in derartigen Notfallsituationen schnell evakuieren zu können.

Entlang der gesamten Bahnlinie sollen die Militärkommandostellen der Autonomen Region Tibet (TAR) und der Provinz Qinghai ein Sicherheitsnetz mit einem Kontingent von bis zu 10.000 Soldaten und Zivilpersonen aufgebaut haben, die Tag und Nacht auf Patrouille sind. Das Hauptquartier der Bewaffneten Volkspolizei in Qinghai hat mehrere Einheiten bereitgestellt, um für die Sicherheit des Zuges auf seiner Fahrt zu sorgen.  

Auch die Kommunikationsausrüstung der an der Eisenbahnlinie postierten Sicherheitskräfte wurde so optimiert, daß nun über Funksprechgeräte auch Ferngespräche möglich sind. Zu diesem Zweck installierten die China Telecommunication Company und die China Railway Communication Company entlang der gesamten Strecke alle sechs Kilometer die entsprechenden technischen Apparaturen und Funkstationen.

Die Sicherheitsmaßnahmen in den Zügen selbst erinnern an die jüngsten Anti-Terrormaßnahmen, die im internationalen Flugverkehr eingeführt wurden. Einer amtlichen Mitteilung des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit vom 3. September 2006 zufolge sind die Züge permanent mit Sicherheitspersonal besetzt. Schon seit Februar 2006 haben Einheiten für Öffentliche Sicherheit aus Peking, aus Chengdu und von der Qinghai-Tibet-Railway Sicherheitspersonal für die Züge rekrutiert. Über 100 Sicherheitsbegleiter wurden auf ihre „politische, professionelle und physische“ Tauglichkeit geprüft. Peking schickte beispielsweise 43 Sicherheitsbegleiter, die, wie es heißt, im Durchschnitt 30,8 Jahre alt sind und sieben Jahre Berufserfahrung haben. Dreizehn von ihnen verfügen über Erfahrung in Führungspositionen.

Vor der Eröffnung der Eisenbahnlinie wurden die Sicherheitsvorkehrungen von höchster Stelle aus Peking inspiziert. Wie das chinesische Ministerium für Öffentliche Sicherheit am 1. Juli 2006 mitteilte, traf der Stellvertretende Minister dieses Ministeriums, Zhang Xinfung, am 29. Juni 2006 in Lhasa ein, „um die Sicherheitsarbeit für die Eröffnungsfeierlichkeiten der Tibet-Qinghai-Eisenbahn zu organisieren und zu koordinieren“. „Sofort nach Verlassen des Flugzeugs inspizierten Zhang und sein Troß den Flughafen von Lhasa, danach die zur Stadt führende Straße und schließlich den Bahnhof, sowie andere Sicherheitsbrennpunkte. Sie nahmen an einer Sitzung im Büro für Öffentliche Sicherheit (PSB) der TAR teil, um die Berichte der für die Feierlichkeiten verantwortlichen Sicherheitsgruppe anzuhören. Die Führungskader aller wichtigen örtlichen Sicherheitsorgane einschließlich des PSB der TAR, der Regionalen Abteilung für Staatssicherheit, des Militärführungsstabs Tibet, der Hauptabteilung der Bewaffneten Volkspolizei, des Aktiven Öffentlichen Sicherheitsdiensts, der Dienststelle für Öffentliche Sicherheit der Eisenbahn und der Schutzgruppe waren bei dem Treffen zugegen. Zhang ermahnte alle, „wirklich hart zu arbeiten“ an dem „neu entstandenen Problem“, die Sicherheit der Eisenbahn zu gewährleisten, was eine „schwierige Aufgabe“ sei, die „als historische Mission“ betrachtet werden müsse. Zhang arbeitete persönlich Details für den Sicherheitsplan aus und forderte die Sicherheitsorgane „auf allen Ebenen [auf], der neuen Aufgabe des Schutzes und des Managements der Eisenbahn auch nach der offiziellen Inbetriebnahme größtmögliche Aufmerksamkeit zu widmen und ständig auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein“.

Am 2. Juli 2006, einen Tag nach der Eröffnungszeremonie, unterzeichneten Zhouyong Khang, Minister der VRCh für Öffentliche Sicherheit und Mitglied des Politbüros, ein Sekretär im Sekretariat des Politbüros und ein Mitglied des Staatskomitees eine Urkunde in Anerkennung der „erfolgreichen Ausführung der Sicherheitsarbeit“ bei der Eröffnungszeremonie durch die Organe für Öffentliche Sicherheit von Qinghai und der TAR, von China Railway und der Bewaffneten Volkspolizei im Einsatz.

Während die amtliche Presse diese offiziellen Aktivitäten und Erklärungen und die Jubelbilder von der Eröffnungszeremonie überall verbreitete, wurde gleichzeitig die ausländische und unabhängige Presse streng reglementiert. Ein Reporter des Daily Economy wurde von der Polizei daran gehindert, Fotos von den Sicherheitseinrichtungen des Bahnhofs Lhasa zu machen und bekam zu hören: „Ihre Kamera sollten Sie auf die Menschen richten und nicht auf das Innere des Gebäudes." Nur wenige ausländische Journalisten konnten den Eröffnungsfeierlichkeiten in Lhasa beiwohnen. Sie wurden offiziell durch das Los bestimmt. Andere, die weniger glücklich waren, aber trotzdem darüber berichten wollten, wurden auf dem Weg nach Lhasa aufgehalten. Hierzu passend veröffentlichte der Foreign Correspondents’ Club of China am 6. August 2006 ein Gutachten, in dem er die ständigen Schikanen und Behinderungen ausländischer Journalisten in China kritisierte und erklärte, das Land sei „nicht in der Lage, 2008 seiner Gastgeberrolle für das Olympische Pressecorps gerecht zu werden“.