8. Dezember 2004
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Die gleichen Pillen mit einem frischen Glas Wasser – Aktuelle Parteipropaganda zu Tibet

Schon lange bevor sie das tibetische Territorium unter ihre Kontrolle brachte, hat die Kommunistische Partei Chinas (CCP) Tibet bereits in ihre Propaganda mit einbezogen. Jahrzehntelang war der Stil, in dem die Errungenschaften der CCP, der Regierung und der Volksbefreiungsarmee (PLA) in den tibetischen Gebieten gepriesen wurden, von plumpen Stereotypen geprägt: Es ging hauptsächlich um den Unterschied zwischen dem "dunklen Zeitalter" vor der "Befreiung" und dem Jubel der "befreiten Leibeigenen" über die "Rekordernten" oder um die Diskrepanz zwischen der angeblichen "Primitivität" der "alten Gesellschaft" und dem "Fortschritt" des "neuen Tibets". Die Propaganda wird immer noch nach diesem Muster gestrickt, obwohl in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen gemacht wurden, um der Öffentlichkeit die Parteilinie auf raffiniertere und proaktivere Weise nahezubringen.

Im Folgenden stellen wir Ihnen zwei aktuelle und repräsentative Beispiele zur Illustration der Techniken und der Art der Botschaften der zeitgenössischen Propaganda der VR China zu Tibet vor. Beide Texte wurden in englischer Sprache (aus dem Chinesischen übersetzt) auf den Websites der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua und von China Daily veröffentlicht. In typischer Weise legen beide Veröffentlichungen wert darauf, sowohl die Behörden als auch die von ihnen getroffenen Maßnahmen als "modern" darzustellen. Der erste Beitrag verbreitet das recht klischeehafte Image von Partei und Armee, die ja nur zum Besten des durchschnittlichen Tibeters handeln; doch es geschieht auf wesentlich subtilere Weise als früher, man arbeitet mit Zwischentönen und gibt sogar Mißstände scheinbar zu. Das zweite Beispiel kann als Prototyp für die derzeitigen, fast schon obsessiven Bemühungen der Behörden betrachtet werden, als "wissenschaftlich orientiert" zu gelten (im Gegensatz zu den "abergläubischen" Praktiken des "alten Tibets") und eine "grüne" (d.h. nachhaltige) Politik zu betreiben - in offensichtlicher Reaktion auf den Vorwurf der ökologischen Verwüstung, welche die "Befreiung" dem tibetischen Hochplateau gebracht habe. Der Mangel an logischer Folgerichtigkeit sowie der unbeholfene Stil zeigen jedoch, daß diese Art der Propaganda noch im Anfangsstadium ist.

Beispiel 1

1) "Verletzte Arbeiter in tibetisches Präfektur-Krankenhaus gebracht"

Oberflächlich betrachtet handelt es sich hier um eine Kurzmeldung, wie zwei schwerverletzte Arbeiter mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus in der Präfektur Nyingchi geflogen wurden.
www.xinhuanet.com 23. November 2004

"Lhasa, 22. November (Xinhuanet) – Die beiden Arbeiter, die vergangenes Wochenende bei einem Erdrutsch im südwestchinesischen Distrikt Medog, Autonome Region Tibet, schwere Verletzungen davontrugen, wurden in ein Krankenhaus in der Präfektur Nyingchi eingeliefert.

Da der Distrikt Medog medizinisch nur dürftig versorgt ist und die dortigen Bergpässe wegen schwerer Schneefälle unpassierbar waren, hat Baima Namgyai, der Sekretär des Präfekturkomitees Nyingchi der Kommunistischen Partei Chinas, das militärische Ortskommando Nyingchi um die Entsendung eines Hubschraubers gebeten, damit die schwer verletzten Arbeiter gerettet werden konnten.

Mit Erlaubnis der für Chengdu und Tibet zuständigen Militärkommandos landete der Hubschrauber am Sonntagabend in Medog und brachte die verletzten Arbeiter in einem zweistündigen Flug nach Nyingchi. Nach Auskunft der Ärzte hat jeder der Verletzten mehrere schwere Knochenbrüche erlitten, und beide sind nach wie vor ohne Bewußtsein. Baima Namgyai hat die Verletzten und ihre Familien gemeinsam mit anderen Regierungs- und Armeebediensteten im Krankenhaus besucht.

Der Erdrutsch ereignete sich vergangenen Freitag in der Nähe der Heiri-Brücke im Distrikt Medog. Medog ist der einzige Distrikt Chinas, der über keine Landstraßen verfügt. Zwei Arbeiter wurden schwer verletzt, und drei weitere waren sofort tot."

Kommentar

Die drei Ebenen des Artikels:

Auf der unteren Ebene liegt die Betonung zunächst auf dem tragischen Unfall und schwenkt dann auf die für den Leser zentrale Botschaft um: daß die Behörden das Problem offensichtlich erfolgreich bewältigt haben. Wir erfahren, daß der Sekretär des Parteikomitees von Nyingchi den Hubschrauber, mit dem die Verletzten ins Krankenhaus gebracht wurden, persönlich bei der Armee angefordert hat, und daß Regierungs- und Armeeangehörige die verletzten Arbeiter anschließend in der Klinik besucht haben. Der Unfall bildet nur noch den Hintergrund für die Darstellung der Fürsorge und Effizienz der Partei und des Militärs und wie sie zum Wohle der Menschen zusammenarbeiten. Die Verlagerung des Fokus sieht man auch daran, daß die Namen der beiden "verletzten Arbeiter" gar nicht erwähnt werden, während der Parteisekretär Pema Namgyal (chin. Baima Namgyai), der ihre Rettung veranlaßte, gleich zweimal genannt wird. Des weiteren werden alle drei beteiligten militärischen Kommandoebenen (TAR, Chengdu und Nyingtri) aufgeführt. Die Tatsache, daß drei weitere Arbeiter ums Leben kamen, wird erst im letzten Satz und am Rande erwähnt, ohne irgendwelche emotionalisierenden Details. Man könnte die zentrale Botschaft des Artikels in folgende Worte fassen: "Die Kommunistische Partei Chinas und das Militär nutzen alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, um einfachen Menschen in Not tatkräftig und kompetent beizustehen". Insofern reproduziert dieser Artikel das ständig wiederkehrende und sich in Klischees ergehende Leitmotiv der chinesischen Propaganda: Der Staat kümmert sich auf gütige und väterliche Weise um die Menschen. Eine geradezu klassische Thematik, die unentwegt wiedergekäut wird.

Auf der zweiten Ebene arbeitet das Stück mit Auslassungen. Während der Leser mit reichlich Informationen über die Details und genauen Umstände der Handlungen von Partei und Militär versorgt wird, werden viele relevante Einzelheiten, welche im Unterschied zu einem rein darstellenden Bericht die Besonderheit der Geschichte ausmachen würden, ausgelassen. Es wird beispielsweise nicht gesagt, weshalb gerade diese Arbeiter vom Militärhubschrauber gerettet wurden und im Krankenhaus Besuch von Parteivertretern und Militärs erhielten, während die große Mehrheit der Bevölkerung in Tibet nicht einmal Zugang zu einfachster medizinischer Versorgung hat - sei es nun wegen der großen Entfernungen oder aus finanziellen Gründen infolge der vor kurzem vorgenommenen Privatisierung der medizinischen Dienste. Ebensowenig wird erwähnt, daß derartige Unfälle in Tibet ebenso wie in der gesamten VR China auf Grund der schlechten Arbeitsbedingungen und des äußerst mangelhaften Sicherheitsstandards ziemlich häufig vorkommen. Alles in allem ist dieser Artikel hochgradig selektiv abgefaßt; er soll in erster Linie demonstrieren, wie erfolgreich die Behörden Probleme lösen bzw. mit welcher größtmöglichen Effizienz sie sich ihnen stellen, anstatt dem Leser interessante Details zu dem Thema und dem Hintergrund zu bieten.

Nach der Neuausrichtung des Blickwinkels und der Auslassung von Einzelheiten steht das Stück auf der dritten Ebene im Zeichen der "Modernität" und feiert den Fortschritt in Tibet – und damit nicht zuletzt die Partei. Ersichtlich wird dies aus der Art und Weise, in der über den Helikopter (ein Symbol für Modernität) berichtet wird.

Des weiteren werden die Mängel der Infrastruktur in Tibet, die früher vertuscht worden wären, offen zugegeben. In diesem von einer Regierungsstelle verfaßten Artikel erfahren wir sogar, daß "die medizinische Versorgung des Distrikts Medog mangelhaft ist", woraus auf eine bisher unbekannte Aufgeschlossenheit und Transparenz geschlossen werden könnte. Allerdings geht es dabei nur darum, die Fortschritte zu preisen, während man die Mängel zwar eingesteht, ihnen aber kaum Bedeutung beimißt. Wenn wir also lesen, Medog sei der einzige Distrikt in China ohne Landstraßen, so wird damit unmißverständlich angedeutet, welche Fortschritte anderswo bereits gemacht wurden. Die Erwähnung der "durch Schnee unpassierbaren Gebirgspässe" bestätigt die archetypische chinesische Sichtweise von Tibet, daß nämlich die feindliche Umwelt durch die moderne Technologie gezähmt werden muß oder zumindest wie in diesem Fall umgangen werden kann.

Damit wird nicht nur der Sinn (und somit die Notwendigkeit) für die Einführung der Moderne in Tibet erläutert, sondern gleichzeitig betont, welche Herausforderung dies in einer solchen Umgebung bedeutet und mit welchem Mut sich die Partei ihr stellt. Frühere Propaganda hätte an dieser Stelle unverblümt von der "Heldenhaftigkeit von Partei und Armee" gesprochen, der heutige Stil, der raffinierter ist, läßt dies nur durchblicken.

Beispiel 2

2) "Aufforstung verhilft zur Reduzierung von Sandstürmen in Tibet"

Immer häufiger wird in derartigen Artikeln die Sprache des objektiven wissenschaftlichen Diskurses benutzt, es werden zum Schein Fakten, Zahlen und Gegenargumente präsentiert, statt offen politisch motivierte Statements abzugeben. So verhält es sich auch bei diesem Text.
www.chinadaily.com.cn 21. November 2004

"Die Zahl der Sandstürme in der Autonomen Region Tibet in Südwestchina ist durch die Aufforstung drastisch zurückgegangen.

Wie die meteorologische Station der regionalen Hauptstadt Lhasa bekannt gibt, sank die Zahl der Sandsturm-Tage von 53,8 in den frühen 50er Jahren auf heute 5,2 Tage pro Jahr. Von Anfang der 70er bis Anfang der 80er Jahre waren sie in Tibet im Steigen begriffen und erreichten ihren Höhepunkt 1984. Wie wissenschaftliche Untersuchungen belegen, ist ihre Anzahl seither allmählich zurückgegangen und in den letzten Jahren sogar überproportional gesunken.

Bereits Mitte der 60er Jahre wurde mit der groß angelegten Neupflanzung von Bäumen begonnen. Diese Anstrengungen wurden während der 90er Jahre verstärkt. Jährlich werden mehr als 13.600 ha Wald neu gepflanzt und noch einmal 26.700 ha Bergland für weitere Pflanzungen eingezäunt. Seit den 90er Jahren wurden in Tibet 25.800 ha Wüste und erodierte Flächen von insgesamt 100.000 ha der Nutzung zurückgeführt.

Warnungen von Experten zufolge hat die globale Erwärmung zu einem allmählichen Temperaturanstieg auf dem Qinghai-Tibet-Plateau geführt, womit auch die Tage mit starkem Wind weniger geworden sind. Dies ist ein weiterer wichtiger Faktor für die Abnahme der Sandstürme."

Obwohl von einem anscheinend wissenschaftlichen Standpunkt aus argumentiert wird, ist der Umgang dieses Artikels mit Methodik und quantitativen Daten wenig konsequent. Zum Beispiel ist die Zuverlässigkeit der Angaben über die Häufigkeit von Sandstürmen im Lhasa der frühen 50er Jahre, als es dort noch gar keine meteorologische Station gab, recht zweifelhaft. Außerdem bezieht sich der Text auf Sandstürme "in Tibet", es werden aber nur Statistiken aus Lhasa verwendet. Des weiteren setzt der Titel des Artikels die Häufigkeit der Sandstürme ausdrücklich in einen kausalen Zusammenhang mit den Maßnahmen der chinesischen Behörden. Der Text stellt das heutige Tibet dem "alten" der frühen 50erJahre auf zweckmäßige Weise gegenüber; andererseits heißt es aber wieder, die Häufigkeit der Stürme hätte in den 70er und 80er Jahren zugenommen. Es werden jedoch keine Zahlen für diesen Zeitraum genannt, in dem Tibet ja bereits unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas stand.

Dem Artikel zufolge ist die Wiederaufforstung seit den Anfängen des "neuen Tibets" Bestandteil der Regierungspolitik, auch wird der Eindruck erweckt, als ob die Behörden der VR China schon lange vor dem Aufkommen "grüner" Bewegungen ökologisch sensibel gehandelt hätten. Erwähnt werden muß: Obwohl die Kampagne ""Bäume pflanzen, damit das Mutterland grün wird" (chin. zhi shu zao lin lu hua zu guo) Anfang der 60er Jahre auch die Pflanzung einer großen Anzahl von Bäumen im Ödland westlich der Stadt Lhasa und anderen Gegenden in der TAR beinhaltete, war das ausdrückliche Ziel dieser Aktion die "Zivilisierung" und "Zähmung" der wilden wüstenähnlichen Landschaften Tibets und hatte daher nichts mit Umweltschutz im heutigen Sinn zu tun, ja sie stand sogar im Widerspruch dazu.

Mit keinem Wort wird gesagt, daß die rasanteste und destruktivste Abholzung in der Geschichte Tibets in den ersten viereinhalb Jahrzehnten unter chinesischer Herrschaft in der TAR und im westlichen Sichuan erfolgte. Insgesamt verlor Tibet durch massive Rodung in Kongpo/Nyingtri und weiter östlich wesentlich mehr Bäume als durch die Neuanpflanzungskampagnen in den 60ern und später hinzukamen. Die Behörden der VR China selbst haben mehrere katastrophale Überschwemmungen mit der Abholzung in Zusammenhang gebracht, beispielsweise diejenige von 2002 in Sichuan, und in den letzten Jahren haben sie drastische Maßnahmen ergriffen, um den Folgen der Entwaldung entgegenzuwirken – übrigens meistens auf Kosten der einheimischen Bevölkerung [TIN News Update on 29 July 2003: Nomads and farmers resettled in environment protection drive in Chamdo and Sichuan; http://www.tibetinfo.net/news-updates/2003/2907.htm].

Den Behauptungen der chinesischen Behörden, sie hätten aktiv und erfolgreich "grüne" Politik betrieben, was durch "wissenschaftliche" Beweise, Fakten und Zahlen sowie durch den angeblichen Zusammenhang von Bewaldung und Sandstürmen belegt werden soll, wird an anderer Stelle des Artikels deutlich widersprochen. Während "Mitte der 60er Jahre groß angelegte Pflanzungskampagnen" in Angriff genommen wurden, hat die Häufigkeit der Sandstürme in den 70ern und 80ern zugenommen! Experten, an die TIN sich in dieser Frage gewandt hat, vertreten die Auffassung, daß der Rückgang der Sandstürme in Lhasa (aber nicht unbedingt in der gesamten TAR), welcher von den Einwohnern bestätigt werden kann, eher auf die massive Ausdehnung und Versiegelung der Stadt und ihrer Verkehrswege durch Beton als auf irgendwelche Aufforstungsprogramme zurückzuführen ist.

Bemüht, dem Thema einen quasi-wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen, jongliert der Artikel nicht nur mit Fakten und Zahlen, sondern versucht auch Argumente und Gegenargumente gegeneinander aufzuwiegen. Dies führt schließlich zu der eigenartig flüchtig angedeuteten Warnung im letzten Abschnitt, "Experten" zufolge könnte auch die globale Erwärmung die Ursache für den Rückgang der Sandstürme sein. Während dadurch nochmals die Besorgnis der Behörden in Sachen Umwelt in den Vordergrund gerückt werden soll, wird zugleich der Zusammenhang von Aufforstung und Sandstürmen, der doch eigentlich das zentrale Element dieses Artikels bildet, nivelliert, so daß der Leser am Ende ziemlich verwirrt dasteht.

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