28. Juni 2004
TIN News Update
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Tibeter bitten chinesische Behörden, den "blasphemischen Akt des Durchschwimmens" des heiligen Namtso-Sees zu verhindern

Der den Tibetern heilige Namtso-See (TIN)

Eine Reihe von Tibetern, die in verschiedenen Städten der VR China wohnen, schrieben am 22. Juni 2004 einen offenen Brief an die chinesischen Behörden, und baten sie zu verbieten, daß der chinesische Sportler Zhang Jian am 31. Juli den heiligen Namtso-See (chin: Namco, Höhe 5.400 m) durchschwimme. Der See liegt im ca. 100 km von Lhasa entfernten Distrikt Damshung in der Präfektur Nagchu. Der Brief, der eine deutliche Sprache spricht, jedoch von betontem Respekt gegenüber den Empfindlichkeiten des politischen Establishments der VR China geprägt ist, stellt ein weiteres Zeugnis für die Entschlossenheit und das Geschick einer neuen, gebildeten Generation von Tibetern dar, die sich im Rahmen der sehr eingeschränkten Redefreiheit um die Achtung der chinesischen Gesellschaft für die Tibeter, ihre Kultur und insbesondere ihre religiösen Gefühle bemühen, ohne dabei die Macht der staatlichen Behörden herauszufordern.

Zhang Jian lehrt an der Sportuniversität Peking und wurde wegen seines Durchschwimmens von Flüssen, Seen, Buchten und Kanälen berühmt. 2003 schwamm er über den Tso Ngonpo (chin: Qinghai, auch unter dem mongolischen Namen "Kuku Nor" bekannt).

Indem sie auf dieses Ereignis Bezug nehmen, drücken die Autoren der Petition zwar ihren Respekt vor den sportlichen Leistungen Zhangs aus, weisen jedoch darauf hin, er hätte bedenken müssen, daß der Tso Ngonpo für Tibeter ein Objekt religiöser Verehrung ist, zumal 2003 ein geheiligtes Jahr war, das gemäß den tibetischen Glaubensvorstellungen der in diesem See lebenden und nur alle sechzig Jahre erscheinenden Gottheit gewidmet ist. Dem Schreiben zufolge waren nur wenige "tibetische Landsleute von dem Vorhaben Zhangs informiert, das bei den tibetischen Massen große Entrüstung hervorrief". Als Lehrender und "Mitglied der großen Familie von 56 verschiedenen ethnischen Minderheiten hätte Zhang klar sein müssen, wie wichtig die Achtung des Glaubens und der Bräuche der einzelnen ethnischen Gruppen ist". Die Autoren sind der Auffassung, man müsse zwar der Unwissenheit der Menschen mit Toleranz begegnen und es sei auch nicht angemessen, Zhang Vorwürfe für in der Vergangenheit liegende Ereignisse zu machen, jedoch habe die Angelegenheit unter den Tibetern mittlerweile großes Aufsehen erregt und sie seien strikt gegen "einen weiteren unüberlegten Versuch" Zhangs, den Namtso zu durchschwimmen, "ohne sich vorher erkundigt zu haben und um Verständnis für die Lage zu bemühen". "Wir sind absolut dagegen und werden so etwas nicht noch einmal hinnehmen", fügten sie hinzu.

Das Schreiben ist an die Staatliche Kommission für Ethnische Angelegenheiten, das Staatliche Büro für Religiöse Angelegenheiten, die Staatliche Sportadministration der VR China sowie an die Regierung der TAR, die Sportuniversität Peking und an Zhang Jian selbst gerichtet. Darin wird erläutert, daß die Tibeter den Namtso seit vielen Generationen als heiligen See verehren, und daß er für sie "nicht einfach nur der größte Salzwassersee auf dem Dach der Welt, sondern ein heiliger Ort der Stille, des Friedens und des Mitgefühls sowie eine wichtige Stätte für religiöse Zeremonien ist". Weiter steht da, der See sei "ein Zentrum für das uralte und beharrliche spirituelle Streben des tibetischen Volkes". Seine Spiritualität werde folglich durch jede dem Namtso gegenüber begangene Respektlosigkeit mißachtet. Die Autoren bekräftigen: "Als Tibeter können wir den blasphemischen Akt des Durchschwimmens des Namtso keinesfalls akzeptieren".

Abschließend heißt es: "In dieser oberflächlichen Ära von Materialismus und skrupellosem Egoismus stellt der Wunsch von Zhang Jian, den Namtso zu durchschwimmen, seine Neigung bloß, aus rein persönlichen Gründen den Glauben eines Volkes zu mißachten und dessen spirituelle Vorstellungen mit Füßen zu treten. Bei ihrer Jagd nach persönlichen Vorteilen haben viele Menschen den nötigen Respekt und die Ehrfurcht vor der Natur und dem Leben verloren. Wir sind der Ansicht, Zhang Jian sollte unserem Anliegen etwas Verständnis entgegenbringen: Ganz gleich mit welchem Ziel vor Augen er sich zahllose Male durch Wind und Wellen gekämpft hat, meinen wir, daß er dies begreifen sollte, und wir hoffen, daß er über die Qualitäten des Respekts und der Vernunft verfügt".

Obwohl in dem Schreiben mehrmals darauf hingewiesen wird, daß es dazu dienen soll, die "ethnischen Gefühle, die Würde und die Selbstachtung" der Tibeter zu schützen und obschon "die Spiritualität" als charakteristische Eigenschaft der Tibeter betont wird (womit sie implizit eine kulturelle Trennungslinie zwischen sich und den Chinesen ziehen), sind die Autoren sehr darum bemüht, sich an die Gepflogenheiten des politischen Diskurses in der VR China zu halten und ihre Bitte um die Verhinderung von Zhangs Vorhaben als patriotisch darzustellen, um somit "politische" Untertöne zu vermeiden. Des öfteren betonen die Autoren ausdrücklich, sie wollten keinesfalls "ethnische Gefühle verletzen oder die ethnische Einheit sabotieren": "...denn wir schätzen die schwer errungene ethnische Einheit und den Wohlstand des Landes (d.h. der VR China)". Es gehe ausschließlich darum, daß Zhangs Plan "den erfreulichen Stand der ethnischen Einheit sabotieren und folglich der Nation und der gesunden Entwicklung des Volkes unnötige Verluste zufügen" würde. Es handele sich um "eine prinzipielle Frage mit Auswirkungen auf die ethnische Einheit und die nationale Stabilität" und die Sache basiere auf der Verfassung der VR China, in der es heißt: "Die Verfassung der VR China gewährt allen Bürgern Religionsfreiheit. Die zuständigen staatlichen Institutionen sind zum Schutz der verfassungsgemäßen Glaubensfreiheit verpflichtet". Anschließend fordern die Autoren den Staat, repräsentiert durch die zuständigen Behörden, sowie Zhang Jian selbst dringend dazu auf, "dieses Vorhaben, das den religiösen Anschauungen des tibetischen Volkes zuwiderläuft, umgehend aufzugeben" und "Zhang Jians ignorantem Vorhaben, den Namtso-See zu durchschwimmen, entschieden entgegenzutreten", denn "das eigenwillige Verhalten bestimmter Individuen kann nicht ignoriert werden".

Da künftig mit ähnlichen Vorhaben gerechnet werden müsse, fordern die Autoren "alle zuständigen staatlichen Stellen dazu auf, derartige Vorfälle, durch welche heiliges Land und heilige Seen entweiht und folglich religiöse Gefühle verletzt werden, ein für alle mal zu verbieten", und sie mahnen die Medien: "Verleugnet nicht Eure Prinzipien und produziert keine ungerechten, sinnlosen, nur auf Publicity ausgerichteten Veröffentlichungen, die nur bestimmten Personen oder Gruppen nutzen, und befürwortet oder lobt das schädliche Vorhaben von Zhang Jian nicht gar noch!" Der Brief schließt folgendermaßen: "Wir beobachten die Entwicklung dieser Angelegenheit sehr genau. Und wir erwarten von den zuständigen Entscheidungsträgern und Behörden und von Zhang Jian selbst eine zufriedenstellende Antwort in dieser Sache".

Der Brief ist in deutlichen Worten gehalten und zeugt von der festen Entschlossenheit der Autoren. Sie sind offensichtlich auch besorgt bezüglich eventueller kontraproduktiver emotionaler Reaktionen seitens der Tibeter und fordern alle, die sich mit dieser Sache befassen, ausdrücklich dazu auf, beim Umgang mit ihr Vernunft und den gebührenden Respekt vor der herrschenden Ordnung walten zu lassen: "Wir schließen mit der Aufforderung an alle wegen dieser Angelegenheit besorgten tibetischen Landsleute, rational und nüchtern damit umzugehen und die von der Verfassung und dem Gesetz gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, um Zhang Jian am Durchschwimmen des Namtso zu hindern."

Die Bilder des Namtso stehen im Internet unter:
http://www.tibetinfo.net/reports/culture/namtso1.htm
http://www.tibetinfo.net/reports/culture/namtso2.htm
http://www.tibetinfo.net/reports/culture/namtso3.htm