6. Dezember 2002

Tibet Information Network
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Hoher Rinpoche und sein Helfer sollen wegen Sprengstoffanschlägen hingerichtet werden

Einem hochrangigen 52-jährigen Lama, Tenzin Deleg Rinpoche, und einem Tibeter der ihn bei seiner Arbeit unterstützte , Lobsang Dondrub, steht die Hinrichtung bevor, nachdem am 2. Dezember das Mittlere Volksgericht in Karze (chin. Ganzi), Provinz Sichuan, beide zum Tode verurteilte. Laut einem am 5. Dezember auf der chinesischen Website Zhong Xin Sichuan Wang veröffentlichten Bericht wurde Lobsang wegen mehrerer Verbrechen, nämlich "Sprengstoffanschlägen, Aufhetzung zu Separatismus und illegalem Besitz von Waffen und Munition" unmittelbar zum Tode verurteilt und Tenzin Deleg Rinpoche aus dem Distrikt Lithang (chin. Litang) in der Präfektur Kardze wegen "Verursachung von Explosionen und Aufstachelung zum Separatismus" zum Tode mit zweijähriger Aussetzung des Vollzugs. Diese harten Urteile, welche den gerade zwischen China und der tibetischen Regierung-im-Exil über einen möglichen Dialog begonnenen Meinungsaustausch gefährden, sind seit vielen Jahren die ersten Fälle, in denen Tibeter wegen Delikten mit einem politischen Hintergrund zum Tode verurteilt wurden.

In der offiziellen chinesischen Mitteilung über den Prozeß wurden die Urteile mit einer Bombe, die am 3. April auf dem Tianfu-Platz in Chengdu hochging, in Zusammenhang gebracht. Weiter heißt es, Lobsang Dondrub (als Luorang Dengzhu bezeichnet) habe, nachdem er die Explosion ausgelöst hatte, das Weite gesucht. Außerdem wird gesagt, die zwei Tibeter seien an ähnlichen Attentaten in Dartsedo (chin. Kangding) und Lithang beteiligt gewesen, und an beiden Tatorten seien Flugblätter mit dem Ruf nach der "Trennung Tibets vom Mutterland" gefunden worden. Nach demselben Bericht soll es bei dieser Serie von Explosionen auch ein Todesopfer gegeben haben, doch gibt der Bericht keine Auskunft über die Natur des Beweismaterials gegen die zwei Tibeter.

Tenzin Deleg Rinpoche, ein religiöser Lehrmeister, der an einer ganzen Reihe von charitativen Einrichtungen maßgeblich beteiligt war, der Schulen gründete und für die Renovierung von Klöstern in der Gegend sorgte, befindet sich seit Anfang April im Polizeigewahrsam, wobei es bis jetzt keine offizielle Information über seinen Aufenthaltsort und die gegen ihn erhobenen Anklagen gab.

Bis zu seiner Festnahme verfügte Tenzin Deleg Rinpoche in der Gegend von Lithang, einem Teil der früheren tibetischen Provinz Kham, über beachtlichen Einfluß und große Popularität. Gleichzeitig war er jedoch wegen seines entschiedenen Eintretens gegen die Anbetung der Schutzgottheit Shugden, von deren Verehrung der Dalai Lama in den letzten Jahren immer wieder abgeraten hatte, auch eine sehr umstrittene Persönlichkeit. Ein Teil der Geistlichkeit in der Gegend von Lithang gilt als besonders glühende Anhängerschaft dieser Gottheit. Die Behörden von Kardze sollen die Aktivitäten des Rinpoche mit zunehmendem Argwohn verfolgt haben. Bereits jahrelang kursierten Gerüchte über die angeblich kriminelle Betätigung von Tenzin Deleg Rinpoche und schon vor April dieses Jahres wurden 1998 und 2000 mindestens zwei Versuche gemacht, ihn festzunehmen. Beide Male gingen seine Anhänger jedoch das Risiko ein, eine Petition zu seinen Gunsten zu unterschreiben.

Chinesische Journalisten beschäftigten sich in letzter Zeit auf verschiedenen Websites mit dem Fall von Tenzin Deleg Rinpoche. Wang Lixiong, ein chinesischer Historiker und Verfasser eines bekannten Buches über Tibet mit dem Titel "Himmelsbestattung", äußerte sich kurz nach der Festnahme des Rinpoche besorgt in einem Artikel über ihn, der vom 14. April an auf mehreren chinesischen Nachrichtenseiten veröffentlicht wurde, darunter auch auf der von New York aus betriebenen Duo Yei Website. In seinem Artikel drückt Wang sein Entsetzen darüber aus, daß der Rinpoche für schuldig befunden wurde, noch ehe der Prozeß überhaupt stattgefunden hatte. So schrieb er im April: "Obwohl die Gerichte offiziell noch kein Urteil gefällt haben, hat die Präfektur Ganzi bereits eine "Verleumdungskampagne gegen A'an Zhaxi" gestartet*. Ich hörte selbst, wie der Dorfvorsteher in Yajiang, der ganz im Sinne seiner Vorgesetzten sprach, dem Volk gegenüber folgende Drohung machte: "Wer immer für Ahan Partei ergreift, wird als ebenso schuldig wie Ahan selbst behandelt werden". Sogar wenn Ahan wirklich schuldig sein sollte, werden all diese Tausende von Menschen unter diesen Umständen diese Entscheidung niemals für richtig halten. Darüber hinaus wird dieser Vorfall als ein Paradebeispiel für die Unterdrückung der Tibeter durch die chinesische Regierung in die Geschichte eingehen."

Die über Tenzin Deleg und Lobsang Dondrub verhängten Todesurteile sind besonders bedeutsam, insofern als Xinjiang oder die Autonome Region der Uighuren in den letzten Jahren die einzige Region Chinas war, in der Gefangene in politischen Verfahren zum Tode verurteilt wurden. Seit den Terroranschlägen in New York vom 11. September 2001 bemüht sich die chinesische Regierung ständig darum, international Zustimmung zu ihrer Gleichsetzung von "ethnischem Separatismus" mit "Terrorismus", insbesondere im Hinblick auf die Vorgänge in muslimischen Xinjiang, zu erhalten.

Nach §48 des chinesischen Strafrechts darf die Todesstrafe "nur über kriminelle Elemente verhängt werden, welche die verabscheuungswürdigsten Verbrechen begangen haben". §48 besagt auch, daß alle Todesurteile dem Obersten Volksgericht zur Billigung vorgelegt werden müssen, und daß: "Todesurteile mit Aussetzung des Vollzugs von einem hohen Volksgericht zu beschließen oder zu billigen sind". Tenzin Deleg Rinpoches Urteil bedarf daher der Zustimmung durch ein Gericht auf Provinzebene in Chengdu, und dasjenige von Lobsang Dondrub vor dem Vollzug der Billigung durch das Oberste Volksgericht. Und §50 des Strafgesetzes besagt: "Wenn ein Häftling während der Zeit der Aussetzung nicht absichtlich ein Verbrechen begeht, ist sein Urteil nach Ablauf der Zweijahresfrist in lebenslänglichen Freiheitsentzug abzumildern...; liegt jedoch der eindeutige Beweis vor, daß er absichtlich ein Verbrechen begangen hat, so ist nach Zustimmung des Obersten Volksgerichts die Todesstrafe zu vollziehen".

Die von dem Mittleren Volkesgericht von Kardze über den Rinpoche und Lobsang Dondrub verhängten Todesurteile könnten sich hinsichtlich der Beziehungen zwischen der chinesischen Regierung und der tibetischen Regierung-im-Exil in Dharamsala als bedeutungsvoll erweisen. Denn in diesem Jahr geschah etwas noch nie Dagewesenes: China ließ sechs tibetische politische Gefangene vorzeitig frei. Sondergesandte des Dalai Lama führten bei dem ersten formellen Kontakt zwischen China und dem Oberhaupt der Tibeter seit Sommer 1993 unlängst Gespräche in Peking und Lhasa. Die Härte dieser Urteile steht in einem krassen Gegensatz zu den bisherigen Entwicklungen. Die Urteile wurden auch zu einem Zeitpunkt gefällt, in dem die Beziehungen zwischen den USA und China störanfällig sind, denn die US Regierung wird die erste Sitzung des Menschenrechtsdialogs mit China seit Oktober 2001 am 17. Dezember abhalten.

*A'an Zhaxi ist eine chinesische Transkription von Tenzin Deleg Rinpoches Laienname Ngawang Tashi.
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