1. Mai 2002

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Tibetische Behörden wollen Exiltibeter zur Rückkehr bewegen

Die chinesische Regierung scheint neue Wege einzuschlagen, um Tibeter im Exil zur Reise nach Tibet zu ermuntern. Viele im Exil lebende Tibeter haben in letzter Zeit von einem von der chinesischen Botschaft in Kathmandu propagierten Programm profitiert und einen Antrag gestellt, um nach Tibet zu reisen. Nach diesem Programm können im Exil befindliche Tibeter die Genehmigung für einen einjährigen Aufenthalt in Tibet bekommen. Es wurden jedoch nicht alle Anträge gewährt. Die Einführung dieses Programms, das "patriotische tibetische Landsleute aus dem Ausland" willkommen heißt, "in ihre Heimatgefilde zurückzukehren, um Familienglieder, Verwandte und Freunde zu besuchen, den Buddha (*) anzubeten und auf Sightseeing-Tour zu gehen" (Xinhua, 5. Februar), erfolgte auf eine Erklärung der tibetischen Funktionärin Pasang (auf Chinesisch als Basang bekannt), der stellv. Parteisekretärin des TAR Komitees der CCP, hin. Pasang sagte, daß auch Tibeter, die in der Vergangenheit "spalterischen Aktivitäten" nachgegangen seien, willkommen seien, sofern "sie sich in einer Weise verhalten, die dem Mutterland dient".

Die chinesischen Behörden begannen bereits in den Achtzigern, im Exil lebenden Tibetern die Möglichkeit zum Besuch in Tibet anzubieten. In der Folge reisten viele Tibeter, die sich im Exil niedergelassen hatten oder dort geboren wurden, nach Tibet, um Verwandte zu treffen und oftmals sahen sie das Land zum ersten Mal. Seit Mitte der neunziger Jahre wurde es sowohl in Indien als auch in Nepal schwieriger für Tibeter, eine solche Genehmigung zu bekommen. Das Programm, welches die chinesische Botschaft in Kathmandu seit kurzem anbietet, erlaubt eine einmalige Ein- und Ausreise. Der Vertreter des Dalai Lama in Kathmandu, Wangchug Tsering, meinte TIN gegenüber: "Die chinesische Regierung scheint es nun darauf anzulegen, Exiltibeter nach Tibet zu locken". Es ist nicht klar, ob Nepal diesen Tibetern nach Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung für Tibet die Wiedereinreise in das Königreich gestattet. Einige Tibeter in Kathmandu sagten TIN, sie würden keine solche Genehmigung beantragen, weil sie Angst hätten, ihre Sicherheit könnte nicht garantiert sein. Aus dem Exil zurückkehrende Tibeter wurden, obwohl sie gültige Reisedokumente hatten, vielfach auf der tibetischen Seite der Grenze festgenommen und mehrere Tage bis zu mehreren Monaten in Haftanstalten oder Polizeirevieren gefangengehalten. Bei der chinesischen Botschaft in Delhi scheint es solch eine Möglichkeit nicht zu geben, denn manche Tibeter warten schon Monate auf eine Reisegenehmigung.

In einigen Fällen forderte die chinesische Botschaft in Kathmandu, die Antragsteller müßten ihr "Grünes Heft", ein von der tibetischen Exilregierung für alle über 18 Jahre alten und unter ihre Administration fallenden Tibeter ausgestelltes Dokument, abliefern, bevor ihnen die Genehmigung erteilt werde. Ein junger Tibeter in Kathmandu erklärte TIN: "Ich würde niemals mein Grünes Heft für solch eine Genehmigung hergeben, denn das würde ja bedeuten, daß ich die tibetische Gemeinschaft hier aufgeben und mich den Chinesen anschließen würde". Einem Bericht aus Kathmandu zufolge geht die chinesische Botschaft bei der Ausstellung der Genehmigungen sehr selektiv vor. So meinte ein Tibeter in Kathmandu, Geschäftsleute würden bevorzugt behandelt, während der Antrag einiger junger gebildeter Tibeter abgelehnt wurde, was der Behauptung der Chinesen widerspricht, Tibet verfolge eine Politik, die "allen tibetischen Landsleuten zurückzukehren und nach Belieben wieder abzureisen erlaube" (Xinhua, 15. Februar). In den letzten Wochen erschienen in tibetischen Siedlungen Kathmandus Plakate, mit der Aufschrift, die chinesische Regierung benütze das Reiseprogramm zu ihren eigenen politischen Zwecken, weshalb sich Tibeter nicht um eine derartige Genehmigung bewerben sollten.

Hinter dieser scheinbaren Neuentwicklung auf dem Gebiet der Reise von Tibetern aus dem Exil nach Tibet steckt wahrscheinlich eine ganze Reihe von politischen Faktoren. China und Nepal haben seit einiger Zeit ihre Handelsbeziehungen gewaltig ausgebaut, und es liegt daher in Chinas Interesse, die Ein- und Ausreise zwischen den zwei Ländern für Geschäftsleute zu erleichtern, besonders angesichts der gegenwärtigen Bemühungen, in den westlichen Regionen Chinas, wozu auch Tibet gehört, die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Pasang, die auch Vorsitzende der TAR-Kommission zum "Empfang tibetischer Rückkehrer" ist, sagte bei einer Sitzung in Lhasa am 4. Februar, die Regierung "begrüße es, wenn tibetische Landsleute aus dem Ausland zum Fortschritt Tibets und ihrer Heimatgemeinden beitragen. Die Regierung freue sich auch, wenn sie praktische Arbeit für die wirtschaftliche Entwicklung und den sozialen Fortschritt im Mutterland leisteten" (Xinhua, 4. Februar). Selbstverständlich fehlt bei diesem Programm auch nicht der Propaganda-Effekt. China registriert alle Tibeter, die aus dem Exil zurückkehren, mittels offizieller Dokumente, und benützt die so gewonnenen Informationen zu Propagandazwecken. Am 4. Februar berichtete Xinhua: "Alle Ebenen der (von den Lokalbehörden eingerichteten) Empfangsbüros für Übersee-Tibeter empfingen Landsleute aus über 10 Ländern und Regionen, darunter Indien, Nepal, USA, Schweiz, Schweden, insgesamt 408 Besuche...; alle für ihren Aufenthalt notwendigen Dinge wurden ihnen auf allen Ebenen durch die Empfangsbüros in Tibet bestens zur Verfügung gestellt, wie etwa Verkehrsmittel, Unterkunft und Verpflegung, medizinische und andere Dienste". Eine weitere Xinhua Notiz vom 5. Februar auf der offiziellen Website www.tibetinform.com besagt, daß derzeit 𠇏ünfundachtzig zurückgekehrte tibetische Landsleute in der Gegend von Lhasa wohnen, von denen die meisten in den 80ern und Anfang der 90er gekommen sind".

Die Behörden machten jedoch klar, daß es gewisse Bedingungen für Exiltibeter gibt, die ins "Mutterland" reisen wollen. Pasang erklärte im Februar, daß sogar Tibeter, die in der Vergangenheit politisch tätig gewesen seien, den Behörden willkommen wären, "vorausgesetzt, daß sie ihren Standpunkt der 'tibetischen Unabhängigkeit' wirklich aufgeben und alle Aktivitäten zur Spaltung des Mutterlandes tatsächlich einstellen" (Xinhua, 4. Februar). Sie fügte hinzu, daß Exiltibeter, die ihre Familien in Tibet besuchen möchten, "sich in einer Weise zu verhalten haben, die dem Mutterland dienlich ist" und warnte: "Eine kleine Zahl separatistischer Elemente nützt die Möglichkeit zu freien Besuchen aus, um Aktivitäten zur Spaltung des Mutterlandes zu betreiben, und plant sogar Unruhen in Tibet zu stiften. Das ist absolut verboten" (Xinhua, 4. Februar).

* "Buddha in Tibet anzubeten" scheint für Tibeter im Exil wegen des spirituellen Aspekts der tibetischen Landschaft und der Lage vieler Stätten der Anbetung in Tibet besonders wichtig zu sein. Etwa im Jokhang Tempel oder am Sitz der Lokalgottheit in ihrem Heimatdorf zu beten, könnte vielen Tibetern besonders attraktiv und bedeutungsvoll erscheinen.

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