13. März 2001

TIBET INFORMATION NETWORK

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Revision des Gesetzes über regionale Autonomie zur schnelleren Entwicklung des Westens

China nahm wesentliche Abänderungen an seinem Gesetz über "nationale Minoritäten" vor, um es mit der neuen Politik zur Beschleunigung der Wirtschaftsentwicklung in seinen westlichen Regionen, wozu auch die Autonome Region Tibet (TAR) und die tibetischen Gebiete in den chinesischen Provinzen Sichuan, Qinghai, Yunnan und Gansu zählen, in Einklang zu bringen. Der chinesische Präsident Jiang Zemin unterzeichnete bei der Sitzung des Nationalen Volkskongresses Chinas am 28. Februar eine Verfügung zur Novellierung des Regionalen Autonomiegesetzes für Nationalitäten von 1984, wie aus einer Xinhua Meldung hervorgeht. Die Ergänzungen betreffen die Entwicklung der autonomen Regionen im Sinne der von der Partei gesteckten politischen und wirtschaftlichen Prioritäten und der weiteren Integration dieser Gebiete ins übrige China. In dem Xinhua Bericht über die neuen Zusatzartikel vom 28. Februar steht fast nichts über die Ausübung regionaler Autonomie, die neue Gesetzgebung scheint vielmehr die Rechte des Staates gegenüber den Rechten der autonomen Völker zu betonen.

Bei dem Gesetz von 1984 ging es um die Struktur, Administration und Handhabung der "Nationalitäten-Autonomie", wobei zumindest oberflächlich die Absicht erkennbar war, das Recht der Minoritäten Bevölkerungen auf eine gewisse Kontrolle über ihre lokalen Belange und dem Schutz der örtlichen Wirtschaftsinteressen Rechnung zu tragen (Die Autonome Region Tibet [chin. Xizang Zizhiqu] wurde 1965 von der chinesischen Regierung eingerichtet und umfaßt das tibetische Gebiet westlich des Yangtse, das vordem der Regierung des 14. Dalai Lama unterstand und das im Englischen auch oft als Zentraltibet bezeichnet wird. Nach 1949 wurden andere Gebiete mit tibetischer Bevölkerung in die chinesischen Nachbarprovinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan einverleibt. Wo die tibetischen Gemeinden in diesen Provinzen ein "kompaktes Siedlungsgebiet" bilden, wurden sie als autonome tibetische Präfekturen oder Distrikte konstituiert).

Die von Xinhua genannten neuen Gesetzesänderungen haben jedoch nichts mit Autonomie im eigentlichen Sinne zu tun, sondern betreffen größtenteils die von der Zentralregierung zur Kontrolle und Wirtschaftsentwicklung der "autonomen" Gebiete nach einem zentralisierten Plan gesetzten Prioritäten. Xinhua zufolge soll die hauptsächliche Priorität für die Regionen der Minderheiten die Ausbeutung der Ressourcen und die großen Infrastrukturprojekte bilden, wobei die Entwicklung unter den vereinheitlichten Plänen der Zentralregierung und den Marktbedürfnissen erfolgen soll. Demzufolge werden die Bedürfnisse der besser entwickelten und stärker bevölkerten östlichen Küstenregionen Chinas und die auf Ebene der Zentralregierung konzipierte Politik maßgebliche Faktoren sein. Lokale Interessen werden bei Entscheidungen keine bedeutende Rolle spielen.

Xinhua zufolge konzentrieren sich die Änderungen und Zusätze zu dem Autonomiegesetz von 1984 auf "das Wirtschaftssystem sowie die den Gebieten mit ethnischer Autonomie von den höheren Staatsorganen gewährte Unterstützung und Hilfe" (28. Februar). Ihr Zweck ist die Lösung "einiger praktischer Probleme in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Gebieten ethnischer Autonomie, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in ethnischen Regionen zu beschleunigen und die Solidarität unter den Nationalitäten zu fördern" (Xinhua 28. Februar). Dies reflektiert den Zusammenhang, welchen Li Dezhu, der Minister der Staatskommission für ethnische Angelegenheiten im Juni 2000 zwischen der Entwicklung der westlichen Regionen und "Chinas Nationalitätenproblem" hergestellt hat. In einem in dem Parteijournal Qiushi erschienen Artikel schrieb Li Dezhu, der Beschleunigung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der westlichen Regionen und der "Regionen der Minderheiten-Nationalitäten insbesondere" käme bei der "Lösung des derzeitigen Nationalitätenproblems China eine extrem wichtige Rolle" zu. Diese "Nationalitäten- oder ethnischen" Probleme beziehen sich auf "weitreichende" religiöse Einflüsse, "fest verwurzelte" traditionelle Kultur und "häufige Dispute" über Grenzen und Naturschätze (1. Juni 2000). Das revidierte Autonomiegesetz umfaßt nun 74 Paragraphen gegenüber den ursprünglichen 67. Xinhua zufolge "beinhaltet es mehrere Modifizierungen und Streichungen", obwohl letztere nicht spezifiziert werden.

Eines der erklärten und grundlegenden Ziele der Überarbeitung ist, "die Wirtschaftsentwicklung und den sozialen Fortschritt in den Gebieten ethnischer Autonomie zu beschleunigen und allmählich die Kluft zwischen diesen Regionen und den entwickelten Gegenden zu verringern" - eine Reflexion der Gesinnung der im Juni 1999 von Präsident Jiang Zemin vom Stapel gelassenen Kampagne zur Entwicklung des Westens. Die Methoden um dies zu bewerkstelligen, etwa vermehrte staatliche Investitionen und Subventionen, Versuche in- und ausländische Investition "zu lenken" und "anzuspornen", sowie die Betonung auf der Ausbeutung der Ressourcen und den Infrastrukturprojekten lehnen sich ebenfalls eng an die staatlichen Pläne für die westlichen Regionen an. Die Korrekturen erleichtern die Verwirklichung groß angelegter staatlicher Projekte in Gegenden, welche diese selbst finanziell nicht tragen können, durch Versprechungen von zentralen Subventionen, Darlehen und Außerkraftsetzung örtlicher Investitionsverpflichtungen.

Mehr Beteiligung der Zentralregierung an der Wirtschaft der autonomen Regionen

Nach Xinhua sieht das revidierte Gesetz, was die Politik, Infrastruktur-Entwicklung und das Finanzwesen betrifft, ein "höheres Niveau der Unterstützung" für die ethnischen Regionen vor. Obwohl schon nach dem Gesetz von 1984 die "Autonomiegebiete" nur "in Übereinstimmung mit den Plänen für nationale, wirtschaftliche und soziale Entwicklung" aktiv werden durften, sehen die Revisionen einen viel größeren Grad an direkter zentraler Mitwirkung bei der Wirtschaftsentwicklung der autonomen Gebiete vor. Die Revisionen lassen schließen, daß das Entwicklungsmodell für die autonomen Gebiete sich eher an den größeren Bedürfnissen des chinesischen Marktes als an lokalen Notwendigkeiten und Interessen orientieren wird. Die Tibeter stellen einen so winzigen Prozentsatz des Marktes in China dar (weniger als ein halbes Prozent), daß jede in erster Linie an den "Marktbedürfnissen" orientierte Wirtschaftsreform in tibetischen Gebieten höchstwahrscheinlich den Ansprüchen der relativ reichen und einwohnerstarken, aber rohstoffarmen östlichen Regionen Chinas anstatt den Bedürfnissen und Interessen der Tibeter Genüge tun wird. Die jüngsten Ankündigungen über Schlüsselprojekte im Rahmen des Zehnten Fünfjahresplanes (2001-2005) in den westlichen Regionen betreffen die Verwirklichung riesiger infrastruktureller Pläne, die den Abtransport der Rohstoffe von West nach Ost erleichtern sollen.

Das revidierte Gesetz legt, wie verlautet, fest, daß der Staat Schritte unternimmt, um den Minderheitengebieten, welche die Rohstoffe liefern, sowie jenen Gebieten, die "einen Beitrag zu dem ökologischen Gleichgewicht und dem Schutz der Umwelt des Landes leisten", einen gewissen Grad an finanzieller Kompensation zu gewähren (Xinhua, 28. Februar). Die Formulierung ist vage und gibt keine Auskunft, was "ein gewisser Grad" bedeuten mag und ob er genügt, um der Lokalbevölkerung einen Vorteil zu bringen. Es scheint jedoch, der Grundsatz, daß diese Gebiete für die Ausbeutung ihrer Naturschätze eine Entschädigung erhalten sollten, käme hier zur Geltung - ein Recht, das gegenwärtig von der chinesischen Verfassung nicht anerkannt wird, die bloß feststellt: "Bei dem Abbau der Naturschätze (welche nach Art. 9 Eigentum des Staates sind) und dem Aufbau von Unternehmen in den autonomen Regionen der Nationalitäten hat der Staat den Interessen jener Gebiete gebührende Rechnung zu tragen" (Art. 118).

Das revidierte Gesetz setzt auch fest, daß die "Organe der Autonomie" in den autonomen Regionen auf dem Land und in den Gebirgsgegenden staatlich betriebene Grund- und Mittelschulen für Nationalitäten, hauptsächlich in Form von Internatsschulen einrichten müssen, um den Anforderungen der allgemeinen Schulpflicht Genüge zu tun. Anders als bei den Infrastrukturprojekten und dem Abbau der Ressourcen obliegt die Finanzierung dieser Schulen nicht dem Staat, sondern den lokalen Behörden. Das wäre aber ein äußerst teures Unterfangen für die lokalen Behörden in armen Gegenden, und noch mehr Steuern wären eine sehr unpopuläre Sache. Das Gesetz fordert daher auch, daß höhere Regierungsebenen für die Finanzierung aufkommen müssen, wenn die lokale Verwaltung dies nicht kann, wobei aber nicht deutlich ist, wie weit die lokalen Verwaltungen bei dem Beweis, daß sie sich die Finanzierung der Schulen nicht leisten können, gehen müssen. Derartige Finanzlasten könnten jedoch bei höheren Regierungsebenen Anstoß erregen.

Die nationalen Minderheiten stellen offiziellen Angaben zufolge 8,98% der Bevölkerung der VR China dar, wobei die autonomen Gebiete jedoch über 60% des gesamten Territoriums ausmachen. Ein großer Teil der "westlichen Regionen" Chinas, welche von der "Kampagne zur Entwicklung des Westens" betroffen werden, betreffen die Gebiete der nationalen Minderheiten, wozu auch die Autonome Region Tibet (TAR) und die tibetischen Gebiete in den chinesischen Provinzen Sichuan, Qinghai, Gansu und Yunnan zählen. Auch handelt es sich bei den meisten der Grenzregionen Chinas, welche sowohl für die nationale Sicherheit als auch für die interne Stabilität ausschlaggebende Bedeutung haben, um "autonome Minoritätengebiete".

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