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Bevölkerungskontroll-Politik
Die PRC startete in den 70er Jahren nach den ziemlich erfolglosen Bemühungen der vorangegangenen zwei Jahrzehnte die dritte Kampagne zur Geburtenkontrolle. Das Ziel, das man sich steckte, war die Bevölkerung Chinas bis zum Jahr 2000 unter 1,2 Mrd. zu bringen, was durch die "eine Familie, ein Kind Politik" erreicht werden sollte. Dieses Plansoll von 1,2 Mrd. wurde tatsächlich schon anfangs 1995 erreicht. Ein Bericht in Tibet Daily spricht von Plänen, das jährliche Bevölkerungswachstum Tibets bis zum Jahr 2000 auf 1,6 % zu reduzieren (Reuter, 1.6.1996).
Offiziell betrifft die "Ein-Kind-Politik“ in China nur Nationalitäten mit über 10 Millionen. Tibet mit einer Bevölkerung von 5-6 Mio. gilt als eine "Minderheiten-Nationalität" und ist daher theoretisch von der Gesetzgebung der Familienplanung ausgenommen. In der Praxis jedoch wird die Geburtenkontrolle seit den frühen 80er Jahren in tibetischen Städten aktiv betrieben (TIN, Survey of Birth Control Policies in Tibet, March 1994, p. 1). Dem Bericht von TIN zufolge drängt die chinesische Regierung die TAR, mit der offiziellen chinesischen Geburtenplanpolitik zu kooperieren und sie durch Arbeitsgruppen und Kliniken zur Geburtenkontrolle voranzutreiben.
Die Durchführung der Geburtenkontrollpolitik variiert erheblich von Region zu Region (TIN, Background Briefing Paper, 30/3/94). Seit Mitte der 80er Jahre haben die Behörden in Osttibet, und seit dem Ende der 80er Jahre auch in der TAR, immer mehr die Reichweite und Effizienz der Geburtenkontrolle ausgeweitet (1994 TIN Survey, p. 4). Ein Artikel in "China's Population News" nennt die Lockerung der Familienplanung aufgrund von "ethnischem Brauchtum" als einen "absolut unhaltbaren Vorschlag". Unmittelbar auf diesen Artikel wurde die Geburtenkontrolle in Tibet verschärft, womit den Tibetern ein drastisches Familienplanungsprogramm, einhergehend mit Abtreibungen, Sterilisierungen und Kindermord, aufgezwungen wurde (Tears of Blood: A Cry for Tibet, Mary Craig, 1992, p. 308).
Maßnahmen zur Geburtenkontrolle gab es bereits um 1985 in den Städten der TAR, zu einer Zeit also, als Peking bekannt gab, daß derartige Bestimmungen für Minderheiten mit nicht-chinesischen Bürgern nicht obligatorisch wären. Die Verordnung war jedoch so formuliert, daß sie die außerhalb der TAR lebenden Tibeter nicht einschloß, die bereits seit 1982 Opfer der Geburtenkontrolle waren (1994 TIN Survey, p. 3).
In dem chinesischen Weißbuch zu Tibet erklärte die Regierung, daß die Zwei-Kind-Politik seit 1984 in der TAR in Städten praktiziert werde (1994 TIN Survey, p. 3). In gewissen Situationen sei die Sterilisation Pflicht. Die Geburtenkontroll-Bestimmungen der TAR vom Mai 1992, die viel strenger als die Richtlinien von 1985 sind, und auch Anwendung von Gewalt vorsehen, setzen fest, daß die in den Städten lebenden Tibeter nur zwei Kinder haben dürfen, außerdem wird der Landbevölkerung nahegelegt, nicht über drei Kinder zu haben (TIN News Compilation, Mar-Sep. 1992).
Eine chinesische Verfügung mit dem Titel "Ein Dokument der Volksregierung des Bezirks Gungho" (1991), die in die Hände der tibetischen Exilregierung geriet und echt zu sein scheint, rät ebenfalls zur Anwendung von Zwang bei der Durchsetzung der Geburtenkontrolle in der Region Chabcha, wo den Frauen in dieser Hinsicht die meiste Gewalt angetan wird. In dem Dokument heißt es, daß Geldstrafen kein genügend starkes Abschreckungsmittel mehr darstellten, und daß "Operationen zur Geburtenverhinderung" und "empfängnisverhütende Eingriffe" (zweideutige Begriffe, die entweder die Einpflanzung einer empfängnisverhütenden Vorrichtung oder Sterilisierung bedeuten können) unverzüglich durchgeführt werden müssen. Es ist auch die Rede davon, für Ehepaare, die in den letzten 9 Jahren ein weiteres Kind bekamen, rückwirkende Geldbußen und Operationen vorzusehen (TIN News Report, Feb. 1995). Daraus kann man folgern, daß die Durchsetzung der Politik auf Lokalebene viel härter als auf höherer Ebene ist (TIN News Report, Feb. 1995). Zeugnisse von Tibetern bestätigen, daß die lokalen Amtspersonen bei der Durchführung der Regulationen und der Auferlegung von Strafen viel strenger geworden sind. Eine tibetische Ärztin sprach von einem Limit von einem Kind pro Frau für die Tibeter ihrer Region Qinghai (TIN News Update, 2/10/92)..
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Abtreibung und Sterilisierung
Abtreibung ist in Tibet nicht nur wegen eines Mangels an kontrazeptiven Techniken üblich, sondern auch, weil die Behörden offen die "kombinierte Methode" bevorzugen, welche Empfangsverhütung oder Abtreibung zur Einschränkung der Geburten bedeutet (1994 TIN Survey, p. 17). Dies steht in direktem Widerspruch zu den Frauenrechten, die von allen Regierungen in der bei der Fünften Welt-Frauen-Konferenz 1995 verabschiedeten "Pekinger Erklärung und Globalen Aktionsplattform" akzeptiert wurden. Häufig werden sogar Abtreibungen bei fortgeschrittener Schwangerschaft vorgenommen, was sowohl eine gesundheitliche Gefahr für die Frauen als auch ein psychologisches Trauma darstellen kann (Int. Committee of Lawyers for Tibet, Aug. 1995).
In der Stadt lebende Frauen werden durch allerhand Vergünstigungen bewogen, nur ein Kind zu haben und wenn sie wieder schwanger werden, abzutreiben oder sich sterilisieren zu lassen. Diejenigen, die willfährig sind, erhalten Bonusse, Priorität beim Warenkauf, Beförderung bei der Arbeit und freie medizinische Versorgung für das Kind bis zum Alter von 18 Jahren (Determination: Tibetan Women and the Struggle for an Independent Tibet, Carol Devine, 1993, p. 70). Unkooperative Frauen werden bestraft, indem sie ihre Stelle verlieren. Es wurden Fälle berichtet, wo den Frauen mit Festnahme oder Verhaftung ihrer Ehemänner gedroht wurde, falls sie sich nicht der Abort- oder Sterilisierungsoperation unterziehen (Tibetans under the Knife, Blake Kerr).
Menschenrechtsgruppen kamen zu verschienen Schlußfolgerungen hinsichtlich der Veränderungen in der Geburtenkontrollpolitik in Tibet, die nun mit Zwang betrieben wird. Der Überblick von TIN von 1994 meint, daß das zur Verfügung stehende Beweismaterial nicht endgültig sei. Dr. John Aird (Slaughter of the Innocents, 1990) schließt, daß "Zwang ein Bestandteil der chinesischen Familienplanung" ist, besonders seit 1979. Ganz gewiß wurde kein tibetischer Regierungskader wegen Gewaltanwendung bestraft. Es besteht kein ausdrückliches Verbot für Zwangsabtreibungen in der provinziellen Familienplanungsverordnung, während die Übertragung der Macht an die autonomen Regionen, wie sie von der Regierung praktiziert wird, diesen erlaubt, einerseits öffentlich die zwangsweise Geburtenkontrolle zu verurteilen, sie andererseits jedoch stillschweigend zu fördern. Während das Gesetz nicht ausdrücklich Abtreibung oder chirurgische Eingriffe vorschreiben mag, ist der Effekt der Gesetzgebung mit ihren Geldstrafen und anderen Strafmitteln von der Art, daß Frauen sich einfach gezwungen sehen, Abtreibung und Sterilisation zu akzeptieren.
Es gibt häufig Berichte von Flüchtlingen aus erster Hand, daß sie gewaltsam zur Abtreibung gezwungen wurden. Mobile Sanitäter wurden bereits 1986 zu abrupten, einmaligen Sterilisierungs- und Abtreibungs-Aktionen in ländliche Gegenden entsandt. Mönche in Amdo berichteten von solch einer Arbeitsbrigade, die 1987 in einem Zelt tätig war, das sich direkt neben ihrem Kloster befand. Frauen, die sich zu kommen weigerten, wurden zwangsweise operiert (International Physicians for Human Rights, Tibetan Bulletin, July/August 1991).
Bis 1990 hätten sich 3% der 600.000 Tibeterinnen im gebärfähigen Alter in der TAR, von denen die meisten in Städten wohnten, "freiwillig den Sterilisierungs-Operationen unterworfen". Unwahrscheinlich ist jedoch, daß all diese Sterilisierungen freiwillig waren (1994 TIN Survey, p. 19).
Es gibt genügend dokumentierte Berichte von physischer Gewalt, grausamen und unmenschlichen Methoden, sowie ungenügender medizinischer Einrichtung und unhygienischen Bedingungen beim Vollzug der Abtreibungen (Amnesty International Report, May 1995). Frauen werden oft solchen Operationen unterzogen, ohne daß sie sich ihres Zwecks bewußt sind (Int. Committee of Lawyers for Tibet, Aug. 1995).
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Strafen
Die Geburtenkontrollmaßen für Tibeter wirken sich sowohl auf die Eltern als auch auf ihre Kinder aus. Abgesehen von den komplizierten Regeln, wie viele Kinder Tibeter nun haben dürfen, gibt es eine Reihe von Geld- und anderen Strafen für Paare, welche die Regeln brechen und ein unbefugtes Kind bekommen.
Gewöhnlichen Tibetern sind zwei Kinder erlaubt, staatlichen Angestellten nur eines. In dem Weißbuch Chinas für Tibet wurden die Strafen für städtische Tibeter, die ihre Geburtenquote überschritten haben, auf alle in urbanen Gebieten wohnende Tibeter ausgeweitet, gleich ob sie Regierungsangestellte sind oder nicht. Nach der Geburtenkontroll-Regulierung der TAR vom Mai 1992 wird ein in der Stadt wohnendes tibetisches Ehepaar, das ein unberechtigtes Kind hat, mit mindestens 500 Yuan bestraft, was etwa drei Monatsgehältern eines staatlichen Angestellten oder einem Jahreseinkommen eines Bauers entspricht. Die Geldstrafe beträgt 300 Yuan, wenn ein Ehepartner keinen "festen Beruf" hat. Die Ehepartner werden darüber hinaus für zwei Jahre von Beförderung, Lohnerhöhung und Sonderzulagen ausgeschlossen. Die Strafe für ein zweites unberechtigtes Kind ist 1.000 Yuan für ein berufstätiges Paar, oder 600 Yuan für Paare ohne "festen Beruf". Familien die nicht in staatlicher Stellung sind und die Zwei-Kind-Schwelle überschreiten, müssen kräftig zahlen. Geldstrafen für ein unberechtigtes Kind können bis zu 8.000 Yuan hoch sein, etwa das 10-15fache des durchschnittlichen landwirtschaftlichen Einkommens (1994 TIN Surey, p. 19-20). Im Rahmen dieser Verordnungen kann diesen "unberechtigten" Kindern Wohnrecht, Lebensmittelrationen oder sogar der Schulbesuch verweigert werden (Tears of Blood: A Cry for Tibet, p. 245).
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Die Ideologie der Geburtenkontrolle: Eugenik
Im Juni 1995 trat ein neues Gesundheitsfürsorge-Gesetz für „Mutter und Kind“ in Kraft, dessen Zweck es ist, die Anzahl der "minderwertigen Geburten" zu beschränken (World Tibet News, 16/11/94). Dieses Gesetz, zusammen mit der unhaltbaren Behauptung der großen Anzahl an mental zurückgebliebenen Tibetern, zeigt die starke Entschlossenheit der Chinesen, die Tibeter nun auch eugenetischen Kontrollen zu unterwerfen. Es ist wahrscheinlich, daß es in Zukunft noch mehr Einschränkungen für die Zahl der Kinder geben wird. So setzt das Eugenik-Gesetz fest, daß ein Ehepartner, der einen angeborenen Defekt aufweist, verpflichtet ist, sich sterilisieren zu lassen. In einer ministeriellen Erklärung wurden die "Minoritäten" als Gemeinschaften identifiziert, auf deren Konto die "geringere Geburtenqualität" geht, welche China nun überwinden möchte. Das bestehende Vorurteil gegen "Minoritäten" könnte dazu führen, daß dieses neue Gesetz so ausgelegt wird, daß die Geburtenkontrollmaßnahmen in Tibet noch strenger und diskriminierender werden (1994 TIN Survey, p. 3-4).
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