Stand: Oktober 1996
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Tibet Facts No. 5

Das Bildungswesen

Die Erziehung, die chinesische Kinder in Tibet erhalten, ist derjenigen, die Tibetern zur Verfügung steht, weit überlegen. Tibetische Sprache und Kultur werden allgemein als ein Handicap angesehen: Nur wenige Kinder können überhaupt die höhere Schule besuchen. Selbst Absolventen der Oberschule haben nur Berufschancen, wenn sie fließend Chinesisch sprechen. Offizielle Angaben besagen, daß die Kinder der chinesischen Immigranten in Tibet 3,7% aller Jugendlichen ausmachen, jedoch 35% aller Plätze an höheren Schulen einnehmen. Quellen aus Lhasa zufolge liegt die tatsächliche Ziffer jedoch eher bei 60%. Das Schulsystem fördert auch die Rassendiskriminierung und ist bewußt auf die Ausmerzung von politischem Dissens ausgerichtet.

Kinder nach China gesandt

In den letzten 30 Jahren bauten die Chinesen mehr als 1.000 Schulen in Tibet, aber ihr Niveau ist viel niedriger als in China, und viele ländliche Gegenden haben überhaupt keine Schulen. Viele Kinder werden daher zur Erziehung nach China gesandt. Während sie dort eine bessere Ausbildung erhalten, als dies in Tibet möglich wäre, sprechen etliche dieser Schüler nur noch Chinesisch, wenn sie meist nach 7 Jahren nach Tibet zurückkehren.

Grundschulebene

Die Chinesen geben zu, daß nur 54,4% der Kinder im Schulalter in der TAR zur Schule gehen (Beijing Review, 1990). Nach den Reformen der 80er Jahre wurde Tibetisch zur Unterrichtssprache an Grundschulen gemacht. Doch in den höheren Schulen wird auf Chinesisch gelehrt. Tibetische Kinder, die in eine höhere Schule aufgenommen werden, befinden sich daher in einem ziemlichen Nachteil gegenüber ihren chinesischen Klassenkameraden, die den gesamten Unterricht in ihrer Muttersprache erhalten.

Mittlere Schulebene

Nach dem offiziellen chinesischen Zensus von 1982 (Zhongguo 1982 nian renkou pucha ziliao, 1985, S. 240) setzen nur 5% der tibetischen Kinder in der TAR ihre Bildung über die Grundschule hinaus fort. Von jenen Kindern, die weitermachen, vollendet nur ein Drittel die sechs Jahre höhere Schule. Der Prozentsatz an Tibetern, die die Unterstufe besuchen, beträgt nur ein Viertel des nationalen Durchschnitts in China, und der für die Oberstufe nur ein Siebtel (TIN, 1990).

Abgesehen von Kindern tibetischer Kader und anderer privilegierter Kreise werden Tibeter und Chinesen in der Schule voneinander getrennt. Die chinesischen Klassen haben bessere Lehrer und Möglichkeiten. Nach offiziellen chinesischen Statistiken waren 1986 von den 1.700 an höheren Schulen der TAR unterrichtenden Lehrern nur 37,8% Tibeter.

Wegen der sprachlichen Schwierigkeiten bleiben die tibetischen Klassen zurück und können den Lehrplan nicht erfüllen. Bei den Prüfungen müssen sie nicht nur mit Schülern wetteifern, die ihre Muttersprache verwenden, sondern sie werden auch mit Themen konfrontiert, die ihnen nicht richtig gelehrt wurden. Ein Nachlaß von 20 Punkten, den man tibetischen Kindern bei Prüfungen als Entschädigung für das sprachliche Handicap gewährt, wird zwar als eine großzügige Geste gegenüber tibetischen Schülern dargestellt, aber manchmal auch dahingehend ausgelegt, daß Tibeter eben weniger intelligent seien als Chinesen.

Hochschulebene

Bei der Universitätsausbildung werden die Tibeter gewöhnlich in den Bereich für tibetische Studien geschickt. Nur in diesem Feld gibt es eine ernsthafte akademische Forschung von Tibetern, obwohl sie sehr behindert wird durch die Auflage, sich den Standpunkt der chinesischen Regierung hinsichtlich tibetischer Geschichte zu eigen zu machen.

In Tibet kommen auf 100.000 Einwohner durchschnittlich 574 Personen mit Universitätsbildung, und im Vergleich dazu auf 100.000 in dem übrigen chinesischen Festland 1.422 Personen (TIN, 1990). An der Tibet Universität sind nur 44% der Studenten Tibeter. Weil die für die Aufnahme erforderlichen Noten niedriger als an den anderen Universitäten der PRC sind, gehen weniger qualifizierte Chinesen, obwohl sie keine Bürger der TAR sind, gerne zum Studium nach Tibet und nehmen den Tibetern die Studienplätze weg. Die naturwissenschaftliche und mathematische Fakultät sind fast ganz von Chinesen besetzt. Die Möglichkeiten für Tibeter im Ausland zu studieren, sind ebenfalls sehr beschränkt.

Der gesamte Unterricht an der Tibet Universität erfolgt auf Chinesisch, außer in der Abteilung für tibetische Sprache, Kunst und Medizin. Das chinesische Statistische Jahrbuch (1986) stellt fest, daß nur 27,3% der Hochschullehrer in der TAR Tibeter sind. Die Rekrutierung von Lehrern aus Zentralchina schafft zwei Probleme: Wegen des geringen Prestiges, das die Arbeit in Tibet mit sich bringt, besitzen viele der chinesischen Lehrer wenig, oder fast gar keine Qualifikation, aber verdienen trotzdem bedeutend mehr als tibetische Lehrer. Zweitens herrscht ein ernster Mangel an Kontinuität: So wechselte zwischen 1986 und 1988 etwa der Professor für Englisch an der Universität Tibet viermal.

Erziehung, Politik und Religion

Vor 1950 besaß Tibet ein ausgedehntes Erziehungssystem, das inhaltlich hauptsächlich religiös ausgerichtet war und vornehmlich durch die Klöster betrieben wurde, obwohl es auch eine Reihe von weltlichen Schulen gab. Der religiöse Unterricht ist nun verboten außer in den Klöstern, aber auch dort wird er ernsthaft beschnitten. Marxistischer Ideologie wird auf jeder Stufe der Erziehung größte Bedeutung beigemessen. Die Betonung wird auf die angebliche historische Einheit von Tibet mit China und die "Übel" der alten Gesellschaftsordnung gelegt. Nachdem der Dalai Lama im Dezember 1989 den Nobelpreis erhielt, wurden bewaffnete Soldaten am Eingang der Universitätsgebäude aufgestellt, und 12 Tage lang wurde kein Student hinein- oder hinausgelassen. Nach dieser Periode mußten die Studenten zwei Wochen militärischen Drill und zwei Wochen politische Umerziehung über sich ergehen lassen.

Propagandistische Schritte zur Verstärkung der Kontrolle und des politischen Inhalts der Schulausbildung in Tibet haben seit September 1994 gewaltig zugenommen. Die bei dem „Dritten Forum“ 1994 beschlossene Bildungsstrategie zielt darauf ab, den ideologischen Gehalt der Schulerziehung in Tibet zu vermehren, besonders das patriotische Denken zu fördern und mit Gewalt jegliche Sympathie für Religion und die "Dalai Clique" (die Bezeichnung Chinas für die Tibetische Regierung im Exil) auszurotten. Peking kündigte eine drei Jahre umfassende "farbenfrohe patriotische Bildungskampagne“ in Tibet an, die unter anderem Gruppen von Kindern zwischen 6 und 16 Jahren erfassen soll (United Press International). Eine gegen die "Dalai Clique" gerichtete Kampagne, im Zuge derer die Vorlesungen über tibetische Geschichte umgeschrieben werden müssen, wurde auch in der Tibet Universität gestartet (Xizang Ribao, Lhasa, 11.4.1994).

Das geringste Anzeichen von nationalen Gefühlen unter Schulkindern wird schwer bestraft. Sechs Schüler der wichtigsten Mittelschule in Lhasa wurden 1989 verhaftet, weil sie eine Kopie der tibetischen Landesflagge gemalt und Unabhängigkeitsblätter angeklebt hatten. Drei der Schüler wurden in das Drapchi Gefängnis gebracht. Einer davon starb, man nimmt an, durch Mißhandlung. 1990 wurde, wie verlautet, eine andere Schülerin derselben Schule verhaftet, weil sie einem Mönch eine tibetische Landesflagge gegeben hatte. Sie wurde zu drei Jahren Umerziehung-durch-Arbeit verurteilt und in die Haftanstalt Gutsa, die wegen grausamer Folterung berüchtigt ist, eingewiesen.

Im Februar 1994 wurde die größte private Schule in Lhasa von den Sicherheitskräften geschlossen. Der Schuldirektor, ein tibetischer Lama, wurde unter dem Verdacht konterrevolutionärer Aktivität verhaftet. Diese harten Maßnahmen sind besonders im Zusammenhang mit dem offiziellen Aufruf nach vermehrter sozialistischer Erziehung in den Schulen in ganz Tibet besorgniserregend.

Da den Parteikadern jegliche Ausübung von Religion bei der Arbeit oder zu Hause verboten ist, bedeutet das, daß ihre Kinder überhaupt keine religiöse Praxis verfolgen können. Auch das Mindestalter für Mönche und Nonnen wurde auf 18 Jahre festgesetzt.

Diskriminierung

Trotz offizieller Beteuerungen des Gegenteils ist Chinesisch weiterhin die Unterrichtssprache an höheren Schulen. Im Juli 1988 sagte Dorje Tsering, der damalige Vorsitzende der TAR Regierung: "Wenn wir davon reden, daß wir die tibetische Sprache im Unterricht verwenden wollen, beschuldigt man uns, das Mutterland zu spalten".

Das strukturelle Ungleichgewicht im Bildungswesen verschärft das ernste Problem der Arbeitslosigkeit unter den Tibetern. Tibeter haben Schwierigkeiten, in staatlichen Betrieben und Institutionen Arbeit zu finden, wo trotz offizieller Beteuerungen die Amtssprache weiterhin Chinesisch ist. Wenn sie im Privatbereich Arbeit bekommen, dann bedeutet dies weniger Rationen an Grundnahrungsmittel und einen beschränkten Zugang zu Versorgungsgütern wie Elektroherde zum Kochen und Fahrrädern.

Zusätzlich gibt es ein ernstes Problem von Analphabetentum in der TAR. Ein ranghoher Funktionär der TAR Regierung, Danzim, sagte, das Analphabetentum sei in Tibet mit 45% der über 15jährigen Tibeter, die entweder teilweise oder volle Analphabeten sind, immer noch weit verbreitet (United Press International, 4/10/94). Dies mag zwar gegenüber dem chinesischen Zensus von 1982 als eine Verbesserung erscheinen, stellt aber immer noch das Dreifache der Durchschnittsrate von 15% in China dar.

Die Diskriminierung tibetischer Schüler auf allen Ebenen der Ausbildung und die offizielle Behinderung von tibetischen Initiativen auf dem Gebiet der Erziehung führen dazu, daß die Tibeter vielfach ungebildet und benachteiligt sind. Diese Diskriminierung erlaubt den chinesischen Behörden unter dem Vorwand, die Tibeter seien nicht genügend qualifiziert, chinesischen Siedlern bei der Beschäftigung Vorrang und auch sonstige Vergünstigungen zu gewähren.

Tibeter, die gegen die Bestimmungen der PRC über die Geburtenkontrolle verstoßen und mehr als ein drittes (oder gar viertes) Kind bekommen, werden mit 500 Yuan Strafe belegt; dem Kind aber wird die "Wohnregistrierung" verweigert, was es bis zum Alter von 18 Jahren effektiv zu einer amtlich nicht existierenden Person macht. Alle Rechte und Privilegien, einschließlich des Besuchs einer staatlichen Schule, werden ihm somit vorenthalten (Civil Rights of Children in Tibet, TIN, 1995).

Die Artikel 12.1 und 13.1. der UN Konvention über die Rechte des Kindes beinhalten „das Recht des Kindes auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ungeachtet der Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere vom Kind gewählte Mittel sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben". Trotz der Beteuerungen Chinas, daß die Kinder der Minoritäten in China in den Genuß aller jener Rechte, die Kindern dem Gesetz nach zustehen, kommen und daß sie von der Zentralregierung bevorzugt behandelt werden, steht den Kindern chinesischer Siedler in Tibeter immer noch eine Bildungsmöglichkeit zur Verfügung, die derjenigen für die Tibeter weit überlegen ist (Civil Rights of Children in Tibet).