19. Juni 2018
Free Tibet, www.freetibet.org

Der tibetische Buddhismus im Würgegriff der Chinesischen Kommunistischen Partei

Eine der Kernaussagen Xi Jinpings beim Nationalen Volkskongreß letzten Jahres war, daß die Partei die Religion noch viel fester in den Griff bekommen und den „falschen“ Ideologien entschieden den Kampf erklären müsse.

Eines der wichtigsten Ereignisse in der jüngsten chinesischen Geschichte war der 19. Nationale Volkskongreß der KPC im vergangenen Oktober. Während Tibet durch Chinas strenge Sicherheitsmaßnahmen quasi abgeriegelt war, beherrschte Xi Jinping das Podium. Dort wurde er, wie einige Leute meinen, zum mächtigsten chinesischen Staatsführer seit Mao Zedong, da seine eigene politische Ideologie in die Verfassung Chinas aufgenommen wurde: Ein Verfassungszusatz schaffte die befristete Amtszeit ab, womit er nun Präsident auf Lebenszeit ist.

Während des Volkskongresses stellte Xi Jinping in einer dreistündigen Marathon-Rede seine Vision für die Zukunft Chinas vor. Nebst vielen anderen Themen, über die er sprach, führte er aus, wie die Chinesische Kommunistische Partei (KPC) in jedem Lebensbereich - von der chinesischen Wirtschaft bis zur Kultur und Sittlichkeit - die Führung übernehmen werde. Er erklärte, die chinesische Kultur müsse neu belebt werden, „falsche“ Ideologien müßten aussortiert und eine Religion, die „in ihrer Ausrichtung chinesisch ist“, vorangebracht werden.

Xi Jinping steht protzig in der Mitte beim Nationalen Volkskongreß
TAR-Parteisekretär Wu Yinjie inspiziert die Klöster Tsurphu und Neynang


Bereits vor dem Nationalen Volkskongreß war alles, was die Religion betrifft, in Tibet streng reglementiert. Mönche und Nonnen mußten ihren Glauben innerhalb fest gesetzter Grenzen ausüben und ihre Loyalität der KPC gegenüber unter Beweis stellen. „Free Tibet“ und das für Recherchen zuständige „Tibet Watch“ brachten nun in Erfahrung, daß Tibets ohnehin schon stark beschränkte Religionsfreiheit seit dem Nationalen Volkskongreß in ganz neuer Weise und noch viel schlimmer unterdrückt wird.

Klöster wurden geschlossen

Nach dem Nationalen Volkskongreß wurden KPC-Kader in großen Massen mobilisiert, und über 20.000 Parteimitglieder sind in die einzelnen Dörfer in der gesamten Autonomen Region Tibet (TAR) entsandt worden, um die örtliche Bevölkerung über die neue Regierungspolitik aufzuklären.

Weitere 7.000 Parteimitglieder und Regierungsbeamte wurden auf Dauer in den Klöstern in der ganzen TAR einquartiert. Ihre Aufgabe ist es, den Mönchen und Nonnen eben diese Botschaft zu übermitteln. Im vergangenen Monat inspizierte der Parteisekretär der TAR Wu Yinjie die Klöster Tsurphu und Neynang im Großkreis Lhasa, um sicherzustellen, daß die religiösen Aktivitäten im Rahmen der Religionsgesetze und in Harmonie mit dem „Sozialismus chinesischer Prägung“ erfolgen.

Die Parteimitglieder wurden auf der Basis ihrer Loyalität gegenüber der KPC aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert.
Tibets Klöster waren seit der Besetzung des Landes in den 1950ern schon immer eine Quelle des Widerstandes gegen die chinesische Herrschaft. Trotz der verschiedenen Schweregrade der Repression im Laufe der Zeit und der Versuche während Maos Kulturrevolution, die tibetische religiöse und kulturelle Identität zum Verschwinden zu bringen, ist der Einfluß des tibetischen Buddhismus immer noch groß.

Seit den späten 1980er Jahren hat die KPC verschiedene und immer wieder neue politische Maßnahmen ergriffen, um den von den tibetischen Klöstern ausgehenden Widerstand zu brechen, wie etwa die Kampagnen zur „politischen Umerziehung“. Sie sind so etwas wie Gehirnwäsche. Ihr Zweck ist es, die tibetische nationale Identität in eine chinesische umzuwandeln und die Loyalität der Tibeter zum Dalai Lama auszumerzen.

Das folgende Video wurde aus so einer „patriotischen Umerziehungsklasse“ herausgeschmuggelt, wo die Nonnen gezwungen wurden, Lieder zu singen, in denen es heißt, daß Tibet ein Teil Chinas sei.

Verbreitung der Ideologie

Die Präsenz der KPC in den Klöstern Tibets bringt einen Haufen neuer Regeln im Gefolge. Die dieses Jahr eingeführten Neuerungen beinhalten, daß alle Mönche und Nonnen die Kernwerte des chinesischen Sozialismus studieren müssen. Im Bezirk Lithang in Südost-Tibet ordneten die chinesischen Behörden an, daß einige altgediente Mönche das dortige Kloster verlassen müssen, und es ihnen außerdem verboten ist, in den umliegenden Gegenden zu lehren. Etliche Familien, die bisher ihre Kinder in das Kloster schickten, um dort unterrichtet zu werden, wurden trotz der begrenzten Möglichkeiten der örtlichen Schulen von den Behörden unter Druck gesetzt, sie von den Klosterschulen zu nehmen. Das legt die Vermutung nahe, daß solche Maßnahmen nicht etwa dazu angelegt sind, das Bildungsniveau anzuheben, sondern um den tibetischen Buddhismus zurückzudrängen.

Es hat den Anschein, daß in Tibets Klöstern ein neues Prüfungssystem eingeführt wird, um zu gewährleisten, daß die tibetischen Buddhisten der chinesischen Regierung loyal sind. So unterzog etwa am 26. April dieses Jahres das Einheitsfront-Department (das für die Angelegenheiten der ethnischen und religiösen Minderheiten zuständige Gremium der KPC) 100 Mönche des Klosters Ganden einer Prüfung in chinesischem Recht. Diese Prüfung beinhaltete Fragen über Marxismus, die neue revidierte Verfassung der VR China und „Xi Jinpings Gedankengut über den Sozialismus chinesischer Prägung für ein neues Zeitalter“.

Mönche bei der Rechtsprüfung im Kloster Sera
Die Prüfungskommission im Kloster Sera


Eine ähnliche Rechtsprüfung, an der 461 Mönche teilnahmen, führte die Einheitsfront-Abteilung am 21. März im Kloster Sera durch sowie in zwei weiteren Großklöstern, Drepung und Gaden.

Dem Direktor des (ideologischen) Management-Komitees des Klosters Sera, Penpa Tsering, zufolge, wurden diese Examina eingeführt, um die allgemeinen Kenntnisse in Recht zu vermehren und um sicherzustellen, daß die Mönche sich an die Regeln und Bestimmungen halten.

Der Bezirk Themchen in Osttibet wurde von dem örtlichen Einheitsfront-Amt für die ideologische Bildungsarbeit ausersehen, und bei einem Wettbewerb unter den buddhistischen Zentren maßen sich 27 Vertreter aus neun Klöstern unter Anwesenheit von 100 Beobachtern in ihrem Wissen.

Bei dem Wettbewerb ging es um die Loyalität gegenüber der KPC auf einer Reihe von Gebieten, wie etwa den religiösen Belangen, Politik, Gesetz und patriotischer Erziehung. Preise wurden vergeben an diejenigen, die die besten Leistungen erbrachten. Die Klöster Drukqung, Dratsa und Bongtag erhielten den ersten, bzw. zweiten und dritten Preis für ihre guten Ergebnisse, während das Kloster Sengmo für seine starke Verwurzelung in der Partei ausgezeichnet wurde.

Der Kampf gegen den Separatismus

Das Motiv hinter all diesen Maßnahmen - die volle Inkorporation Tibets in die VR China - wurde kürzlich in einem Artikel in der Global Times, dem offiziellen Medium der chinesischen Regierung dargelegt.

Der Artikel führt aus, wie die größeren religiösen Gemeinschaften Chinas seit März dieses Jahr als Teil eines Prozesses zur „Festigung der nationalen Identität“ Veranstaltungen organisieren, um das Studium der Verfassung und ihrer jüngsten Zusätze zu fördern.

Mönche erhalten patriotischen Unterricht im Kloster Sera
Mönche beim Studium der neuen Regeln im Kloster Sera


In den religiösen Gemeinschaften in ganz China gab es Vorträge von Experten über Religion und Gesetzeskunde, Professoren von Partei-Schulen, von Polizeiwissenschaftlern und Richtern, in denen die neuen Ergänzungen der Verfassung erläutert wurden. Im Anschluß an diese Vorträge fanden Prüfungen statt, um auf diese Weise die Sentenz, daß „nationale Gesetze über den religiösen Regeln stehen“, zu zementieren. Das Maß des erzielten Fortschritts wurde von einer Quelle als „noch nie dagewesen seit 1949“, dem Jahr der Revolution, das die KPC an die Macht brachte, bezeichnet.

Unter Bezug auf das der Regierung nahestehende Blatt Tibet Daily stellte der Artikel fest, daß bisher 25.000 Mitglieder religiöser Einrichtungen geprüft worden seien, von denen 95% bestanden hätten:

„Das Studium der Verfassung ging Hand in Hand mit den Bemühungen im Kampf gegen den Separatismus, der Wahrung der Stabilität und dem Ausbau der Grenzen“.

Ein Parteikader unterzieht die Mönche von Kloster Sera der patriotischen Erziehung
Widerstand

Die KPC hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie den tibetischen Buddhismus als vom tibetischen Widerstand gegen die Besatzungsmacht untrennbar betrachtet. Im Laufe der Jahre haben ihre Versuche, diesen Widerstand zu brechen und ihn zu untergraben, verschiedene Formen angenommen: Von einschüchternden militärischen Aufmärschen vor den Klöstern, der Festnahme von Mönchen und Nonnen, der Ausweisung von Tibetern aus ihren Klöstern, bis zur Einführung von Bestimmungen über die Wiedergeburt tibetischer Lamas, einschließlich des Dalai Lama.

Die seit dem Nationalen Volkskongreß vom Oktober 2017 Tibet auferlegten Maßregelungen lassen auf eine vermehrte Entschlossenheit der KPC schließen, Tibets Religion ganz unter ihre Kontrolle zu bringen. „Free Tibet“ gehen trotzdem immer wieder Berichte über Mönche und Nonnen und deren Gemeinschaften zu, die nicht aufgeben. Trotz ihrer überwältigenden militärischen Macht war die KPC bisher nicht in der Lage, die Herzen und die Gedanken der Tibeter unter ihre Kontrolle zu bringen.