13. Juli 2017
International Tibet Network, http://tibetnetwork.org

Statement des International Tibet Network zum Tod von Liu Xiaobo

Das International Tibet Network (ITN) ist tief betrübt über den Tod des chinesischen Dissidenten und Nobelpreisträgers Liu Xiaobo.

Die Regierungen in aller Welt sollten gemeinsam und entschieden das unmenschliche Verhalten der chinesischen Führung verurteilen und mehr Druck auf sie ausüben, damit Liu Xia und ihr Bruder ins Ausland ausreisen dürfen.

Die Mitarbeiter von International Tibet Network sind schockiert über die Nachricht, daß Liu Xiaobo kaum drei Wochen, nachdem bekannt wurde, daß er an Leberkrebs leidet, verstorben ist. Trotz zahlreicher internationaler Appelle erlaubte Xi Jingping nicht, daß Liu Xiaobo und seine Frau Liu Xia zu medizinischer Behandlung oder Palliativversorgung ins Ausland reisten.

„Das ist eine ungeheure Tragödie“, sagte Tenzin Jigdal, Koordinator von ITN. „China hat einen der größten Vorkämpfer für eine demokratische Zukunft verloren, die internationale Gemeinschaft hat einen begeisternden Verfechter der sozialen Verantwortlichkeit verloren und die Tibet Bewegung hat einen wahren Freund verloren. Wir sind entsetzt über die Unmenschlichkeit der chinesischen Führung, die Liu Xiaobo verweigerte, rechtzeitig nach medizinischer Behandlung zu suchen und echte Freiheit zu erfahren. Wir sprechen Liu Xia und der ganzen Familie von Liu Xiaobo und seinen Freunden unser aufrichtiges Beileid aus.“

Liu Xiaobo war der bekannteste Dissident Chinas und sein einziger Nobelpreisträger. Als er im Dezember 2010 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, kommentierte ITN, daß das Nobelpreiskomitee „einen Lichtstrahl auf die Menschenrechte und die politischen Rechte der Völker Chinas und Tibet geworfen hat und neue Hoffnung weckte“.

Und heute erklärte die Direktorin von ITN, Alison Reynolds: „Wir appellieren an die Regierungen rings um die Erde, dafür zu sorgen, daß dieser Hoffnungsschimmer nicht zusammen mit Liu Xiaobo stirbt. In erster Linie müssen die Staatsoberhäupter sich gemeinsam und nachdrücklich dafür einsetzen, daß China Liu Xiaobos Frau Liu Xia und seinem Schwager Liu Hui erlaubt, in irgendein Land ihrer Wahl zu reisen. Ebenso müssen sie China entschieden zur Rechenschaft ziehen für Liu Xiaobos Gefangensetzung und die viel zu spät erfolgte Krebs-Diagnose“.  

Liu Xiaobo war und bleibt ein starkes Symbol für Chinas erschreckende Bilanz der Inhaftierung von Bürgern, die über Demokratie und Freiheit reden, und seines Umgangs mit politischen Gefangenen. Vor zwei Jahren räumten chinesische Funktionäre einer vertrauenswürdigen Quelle gegenüber ein, daß Liu Xiaobo, der tibetische buddhistische Würdenträger Tenzin Delek Rinpoche (1) und der uigurische Gelehrte Ilham Tohti (2) die „Spitzen“ der politischen Gefangenen sind. Tenzin Delek Rinpoche und Liu Xiaobo sind nun tot, das ist eine erschreckende Anklage gegen Chinas Behandlung von politischen Häftlingen.  

„Unsere Regierungen dürfen im Gefolge von Liu Xiaobos Tod nicht zulassen, daß die Aufmerksamkeit und die Ausübung von Druck auf China abnimmt, vielmehr sollte das Gegenteil erfolgen“, meinte Mandie McKeown, zuständig für Kampagnen bei ITN. „Um ihn zu ehren, müssen die Bemühungen zur Freilassung aller in chinesischen Gefängnissen festgehaltenen Menschenrechtsverteidiger - Chinesen, Tibeter, Uiguren und andere - verdoppelt werden. Die internationale Gemeinschaft darf einfach nicht tolerieren, daß China das alles unter den Teppich kehrt, vielmehr muß sie China dazu bewegen, mittels dringend notwendiger und sinnvoller Schritte die gegenwärtigen politischen Zustände zu reformieren und den vorherrschenden Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten“.

Unter den vielen Gefangenen, für die die Regierungen der Welt eintreten sollten, sind vor allem zu nennen: der uigurische Gelehrte Ilham Tohti, die Tibeter Tashi Wangchuk und Yeshe Choedron, der chinesische Menschenrechtsanwalt Jiang Tianyong und der Hongkonger Buchhändler Gui Minhai (3).

Der Schriftsteller, Professor und Menschenrechtsverteidiger Liu Xiaobo war ein langjähriger Unterstützer Tibets, der sich offen für mehr Freiheit für das tibetische Volk aussprach und eine demokratische Reform in China befürwortete. 1996 wurde er zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt, weil er zusammen mit anderen Autoren ein Schreiben an den damaligen Staatspräsidenten Jiang Zemin verfaßt hatte, in dem er die Selbstbestimmung für Tibet befürwortete und Gespräche mit dem Dalai Lama empfahl. Man nimmt an, daß er der erste Chinese ist, der verurteilt wurde, weil er sich für Tibet eingesetzt hatte.

Als das tibetische Hochland im März 2008 von Demonstrationen erschüttert wurde, verfaßte und unterzeichnete er zusammen mit 29 anderen Prominenten die „Zwölf Vorschläge zum Umgang mit der Lage in Tibet“ (4).

Ein Jahr nach seiner Festnahme am 8. Dezember 2008 wurde eine elfjährige Gefängnisstrafe über Liu Xiaobo für seine Rolle bei der Mitgestaltung und Vorantreibung der „Charta 08“, in der gesetzliche Reformen, Demokratie und der Schutz der Menschenrechte in China gefordert werden (5), verhängt. Vor der Verurteilung erklärte er in seinem „Letzten Statement“: „Die freie Meinungsäußerung ist die Grundlage der Menschenrechte, die Quelle der Menschlichkeit und die Mutter der Wahrheit. Die Redefreiheit zu blockieren, bedeutet, die Menschenrechte mit Füßen zu treten, die Menschlichkeit zu ersticken und die Wahrheit zu unterdrücken“ (6).

Empfehlungen: Als Antwort auf Liu Xiaobos Tod sollten die Regierungen international

* gemeinsam starke öffentliche Statements der Verurteilung von Chinas Weigerung, Liu Xiaobo die Ausreise ins Ausland zu erlauben, abgeben;

* gemeinsam auf China einwirken und darauf bestehen, daß Liu Xia und ihr Bruder Liu Hui die Erlaubnis erhalten, auszureisen, wohin immer sie wollen, und daß sie, wie auch die Freunde von Liu Xiaobo nicht drangsaliert werden;

* gemeinsam diplomatische Interventionen starten zugunsten aller anderen politischen Gefangenen, in bilateralen und multilateralen Foren, darunter auch dem UN Menschenrechtsrat - besonders im Vorfeld und während Chinas bevorstehenden „allgemeinen regelmäßigen Überprüfung (UPR) -, der Generalversammlung, bei Gipfeltreffen und zweiseitigen Gesprächen. Solche Interventionen sollten sich auf den uigurischen Gelehrten Ilham Tohti, die Tibeter Tashi Wangchuk und Yeshe Choedron, den chinesischen Menschenrechtsanwalt Jiang Tianyong und den Hongkonger Buchhändler Gui Minhai, aber nicht nur sie, beziehen.

* Rechenschaft von China fordern für Liu Xiaobos viel zu späte Diagnose und für alle Todesfälle in politischer Gefangenschaft, darunter Tenzin Delek Rinpoche (2015) und Cao Shunli (2014).

 (1) Der hoch angesehene tibetische Lama und politische Gefangene Tenzin Delek Rinpoche starb im Juli 2015 in der Haft, nachdem er über 13 Jahre für ein Verbrechen, das er nie begangen hatte, im Gefängnis gesessen hatte. Er war bekanntlich bei sehr schwacher Gesundheit, mit einem ernsten Herzleiden und Bluthochdruck, und hätte aus medizinischen Gründen eine Haftverschonung bekommen müssen. Seine Familie beantragte 2014 offiziell eine solche. Die genaue Ursache seines Todes ist bis heute unbekannt.

(2) Ilham Tohti, „ein angesehener ethnisch uigurischer Wirtschaftswissenschaftler und friedlicher Kritiker der chinesischen Regierung, wurde im September 2014 von dem Obersten Volksgericht von Xinjiang nach einem extrem unfairen Prozeß wegen angeblichen Separatismus’ zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Tohti und seine Familie haben bereits Jahre von Drangsalierungen und Zeiten des Hausarrestes hinter sich“.

https://www.hrw.org/news/2016/09/20/china-wants-you-forget-ilham-tohti

(3) http://freeguiminhai.org/

(4) https://www.hrw.org/news/2008/03/21/twelve-suggestions-dealing-tibetan-situation

(5) Charta 08, https://de.wikipedia.org/wiki/Charta_08

(6) Liu Xiaobos ‘I have No Enemies: My Final Statement’ wurde bei der Nobelpreisverleihungszeremonie verlesen: https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/2010/xiaobo-lecture.html