27. Juni 2017
International Tibet Network, http://tibetnetwork.org

Appell an China, den an Leberkrebs schwer erkrankten Nobelpreisträger Liu Xiaobo ins Ausland reisen zu lassen

International Tibet Network ist schockiert und entsetzt über die Nachricht, daß der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, der in China seit acht Jahren zu Unrecht im Gefängnis sitzt, schwer erkrankt ist (1).

Bei Liu Xiaobo, der in einem chinesischen Gefängnis inhaftiert ist, wurde fortgeschrittener Leberkrebs diagnostiziert. Gegenwärtig befindet er sich, vorübergehend aus medizinischen Gründen entlassen, im Hospital der Medizinischen Universität Chinas in Shenyang, Provinz Liaoning. Das Tibet Network fordert seine unverzügliche und bedingungslose Freilassung sowie, daß ihm und seiner Familie gestattet werde, zum Zweck dringend erforderlicher Behandlung in ein Land seiner Wahl auszureisen.

„Die Tibet-Bewegung bewundert seit langem Liu Xiaobo, und schaut ob seines Muts und seiner Integrität ehrfürchtig zu ihm auf“, sagte Tenzin Jigdal, internationaler Koordinator des Tibet Network Sekretariats. „Wir sind entsetzt über die Diagnose Leberkrebs im Endstadium und bitten die Regierungen weltweit, auf seine bedingungslose Freilassung und die Freiheit, mit seiner Familie, wohin immer er wünscht, ausreisen zu dürfen, hinzuwirken. China sollte auch zur Rechenschaft gezogen werden, wie es so weit kommen konnte, daß er trotz aller Beteuerungen, der Gesundheitszustand von Häftlingen werde gebührend überwacht, diesen kritischen Zustand erreichte“.

Liu Xiaobo mit seiner Frau Liu Xia Liu Xiaobo

Der Schriftsteller, Professor und Menschenrechtsverteidiger Liu Xiaobo ist ein langjähriger Unterstützer Tibets, der sich offen für mehr Freiheit für das tibetische Volk aussprach und eine demokratische Reform in China befürwortete (1). 1996 wurde er zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt, weil er zusammen mit anderen Autoren ein Schreiben an den damaligen Staatspräsidenten Jiang Zemin verfaßt hatte, in dem er die Selbstbestimmung für Tibet befürwortete und Gespräche mit dem Dalai Lama empfahl. Man nimmt an, daß er der erste Chinese ist, der verurteilt wurde, weil er sich für Tibet eingesetzt hatte.

Als das tibetische Hochland im März 2008 von Demonstrationen erschüttert wurde, verfaßte und unterzeichnete er zusammen mit 29 anderen Prominenten die „Zwölf Vorschläge zum Umgang mit der Lage in Tibet“ (2).

Die Umstände um Lius Erkrankung erinnern stark an den Fall des hoch angesehenen tibetischen Lamas und politischen Gefangenen Tenzin Delek Rinpoche, der im Juli 2015 in der Haft starb. Tenzin Delek Rinpoche verbüßte über 13 Jahre Gefangenschaft für ein Verbrechen, das er nie begangen hatte. Er war schwer herzkrank, litt unter hohem Blutdruck und extremer Schwäche, und hätte eigentlich aus medizinischen Gründen entlassen werden sollen. Seine Familie hatte 2014 einen diesbezüglichen offiziellen Antrag eingereicht. Seine genaue Todesursache bleibt unbekannt.

Nyima Lhamo, die Nichte Tenzin Delek Rinpoches, der vor einem Jahr die Flucht aus Tibet gelang, sagte heute: „Das Versäumnis einer angemessenen Behandlung, wo Liu Xiaobos schlechter Gesundheitszustand doch schon vor einem Monat offenbar wurde, macht deutlich, daß China weder Achtung für Freiheit und Menschenrechte hat, noch Respekt vor dem Menschen Liu. Das ruft schreckliche Erinnerungen an das Siechtum und den anschließenden Tod eines anderen tapferen Menschenrechtsverteidigers, meines Onkels Tenzin Delek Rinpoche, im chinesischen Gefängnis wach“.

„Trotz Chinas Bekräftigungen, daß Gefangene medizinisch gut versorgt würden, ist es klar, daß der Staat aus dem unnötigen und tragischen Tod meines Onkels nichts gelernt hat. Ich bete für Liu Xiaobo und appelliere an die Regierungen auf der ganzen Welt, an die Öffentlichkeit zu treten und sicherzustellen, daß so etwas nie wieder passiert. Als menschliche Wesen sind wir alle moralisch verpflichtet, dafür zu sorgen, daß dieses abscheuliche Verbrechen der chinesischen Regierung nicht unbeachtet bleibt“.

Ein Jahr nach seiner Festnahme am 8. Dezember 2008 wurde eine elfjährige Gefängnisstrafe über Liu Xiaobo verhängt für seine Rolle bei der Mitgestaltung und Vorantreibung der „Charta 08“, in der gesetzliche Reformen, Demokratie und der Schutz der Menschenrechte in China gefordert werden (3). Vor der Verurteilung erklärte er in seinem „Letzten Statement“. „Die freie Meinungsäußerung ist die Grundlage der Menschenrechte, die Quelle der Menschlichkeit und die Mutter der Wahrheit. Die Redefreiheit zu blockieren, bedeutet, die Menschenrechte mit Füßen zu treten, die Menschlichkeit zu ersticken und die Wahrheit zu unterdrücken“ (4).

Liu Xiaobos Frau, Liu Xia, stand seit der Verhaftung ihres Mannes unter ständiger Überwachung, und kurz nach der Bekanntgabe seiner Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis wurde sie sogar unter Hausarrest gestellt. In einem auf den sozialen Medien zirkulierenden Video sieht man, wie sie unter Tränen erklärt, daß bei ihrem Mann weder chirurgische Eingriffe, noch Strahlentherapie, noch Chemotherapie möglich seien.

Als Liu Xiaobo im Dezember 2010 den Friedensnobelpreis erhielt, kommentierte Tibet Network: „Das Nobelpreis Komitee hat ein Licht auf die Situation der Menschenrechte und politischen Rechte der Völker Chinas und Tibets geworfen und ein Gefühl der Hoffnung wachgerufen. Wir erwarten nun von den Regierungen weltweit, der moralischen Anleitung des Komitees zu folgen, Druck auf Chinas politische Führung auszuüben, sie möge Liu Xiaobo und all die heroischen chinesischen und tibetischen Menschenrechtsverteidiger, die im Gefängnis schmachten, freilassen, und China zu drängen, die politischen und Menschenrechtsreformen umzusetzen, für deren Verwirklichung diese tapferen Verfechter der Menschenrechte ihr Leben riskieren“.

(1) 9. Dezember 2010, Tibeter und ihre Unterstützer bekunden am 10. Dezember ihre Solidarität mit Liu Xiaobo und allen Gewissensgefangenen in China

(2) 8. Dezember 2010, „Liu Xiaobo erhält den Friedensnobelpreis

(3) Charta 08, https://de.wikipedia.org/wiki/Charta_08

(4) Liu Xiaobo’s ‘I have No Enemies: My Final Statement’ was read at the Nobel Prize ceremony