1. Februar 2012
Students for a Free Tibet, http://www.studentsforafreetibet.org/

Letzte Botschaft von Tulku Soepa an seine Landsleute

Er mahnte zur Einheit und zur Pflege der nationalen Identität, ehe er sich verbrannte

Eine Tonaufnahme mit den letzten Worten eines tibetischen Lamas, der sich am 8. Januar 2012 aus Protest gegen die chinesische Herrschaft in Tibet anzündete, hat uns von Quellen aus Tibet erreicht (1). Lama Soepa, ein geistiger Lehrer und Wohltäter der Gesellschaft aus Golog in der Region Kham (TAP Golog, Provinz Qinghai), mahnt die Tibeter, „sich zu vereinen und gemeinsam am Aufbau einer starken und wohlhabenden tibetischen Nation zu arbeiten“. In seiner Botschaft wendet er sich an die Tibeter in Tibet und an diejenigen im Exil, er ruft alle zur Eintracht auf, mahnt sie, stark zu sein und ihre Sprache und Kultur zu bewahren (2).

„Lama Soepas tief ergreifende Botschaft ist die maßgeblichste und eloquenteste Artikulation der Forderungen der siebzehn Tibeter, die sich um der Sache der tibetischen Nation willen selbst verbrannten“, sagte Tenzin Dorjee, der Direktor von Students for a Free Tibet. „Lama Soepa macht sehr deutlich, daß er sich bei seiner Tat von der Motivation, das Leid seiner tibetischen Mitbrüder zu lindern, inspirieren ließ. Seine Worte vermitteln Kraft, Entschlossenheit und ein Gefühl der Hoffnung auf eine Zukunft, in der die Tibeter frei von chinesischer Herrschaft leben werden“.

„Entgegen den Behauptungen der chinesischen Regierung waren jene Tibeter, die sich aus Protest selbst anzündeten, vorbildliche Mitglieder der Gesellschaft und geachtete Persönlichkeiten, die in ihrem letzten Akt des Widerstands Mut und Integrität bewiesen – Charaktereigenschaften, die weit über das hinausgehen, was jene chinesischen Bürokraten und Offizielle, die sie von Peking aus zu dämonisieren versuchen, sich vorstellen können“, fügte er hinzu.

Hier folgt die Übersetzung von Lama Soepas Botschaft, die er, ehe er sich verbrannte, auf einen Tonträger aufzeichnete:

Bezirk Darlag in der TAP Golog (aus dem Video)

An alle sechs Millionen Tibeter, einschließlich der im Exil lebenden!

Ich bin Pawo Thupten Ngodup (3) und allen anderen tibetischen Helden, die ihr Leben für Tibet und die Einigung des tibetischen Volkes opferten, zutiefst verbunden. Obwohl ich schon über 40 Jahre alt bin, brachte ich bisher nicht den Mut auf, von dem sie beseelt waren. Aber ich versuchte mein Bestes, anderen das traditionelle Wissen unseres Volkes und den Buddhismus zu vermitteln.

Wir leben im 21. Jahrhundert, und in diesem Jahr haben schon so viele tibetische Helden ihr Leben gelassen. Ich opfere meinen Körper, um meine Solidarität mit ihnen in Fleisch und Blut zu bezeugen, und ebenso, um durch diese höchste tantrische Praxis, nämlich die Hingabe des eigenen Körpers, Sühne zu leisten. Es geschieht nicht im Mindesten, um persönlich Ruhm und Ehre zu erwerben.

Ich gebe meinen Körper als eine Opfergabe des Lichts hin, um die Dunkelheit zu vertreiben, um alle Wesen vom Leid zu befreien und sie alle – von denen jedes in der Vergangenheit einmal unsere Mutter war, aber durch Unwissenheit zur Begehung unmoralischer Handlungen verleitet wurde – zu Amitabha, dem Buddha des unendlichen Lichts, zu geleiten. Möge meine Opfergabe des Lichts allen Lebewesen, und seien sie so unbedeutend wie Läuse und Nissen, zur Vertreibung ihres Schmerzes gereichen und sie zum Zustand der Erleuchtung führen. Ich bringe dieses Opfer als eine Gabe für ein langes Leben unseres obersten Gurus, Seiner Heiligkeit des Dalai Lama, sowie aller anderen geistigen Lehrer und Lamas dar.

[Lama Soepa rezitiert hier das Gebet der Mandala-Darbringung]:

„Die ganze Welt gereinigt mit dem gesegneten Wasser, diesen prächtigen mit Sonne und Mond geschmückten Kontinent – bringe ich mit dem reinen Reich der Erleuchteten im Geiste dar. Mögen alle lebenden Wesen sich dieses reinen Reiches erfreuen. Meinen Geist, meinen Körper, meine Rede, alle meine Besitztümer und Verdienste, und dieses kostbare Mandala und alle anderen Gaben – ich bringe sie den Drei Juwelen mit meinen inbrünstigen Gebeten dar. Nehmt sie huldvoll an und segnet mich und alle anderen Lebewesen! Dir kostbarer Lehrer, schicke ich dieses juwelengeschmückte Mandala!“

Ich begehe diese Handlung weder für mich selbst noch aus einem persönlichen Wunsch heraus, noch um der Ehre und des Ruhmes willen. Ich opfere meinen Körper in fester Entschlossenheit und mit einem reinen Herzen, ebenso wie der Buddha seinen Körper einer hungrigen Tigerin mutig zum Fraß gab (damit sie nicht ihre Jungen auffresse). Alle tibetischen Helden haben ihr Leben aus ähnlichen Motiven und Grundsätzen geopfert. Aber konkret gesehen, mag ihr Leben vielleicht mit einer zornigen Stimmung geendet haben. Um ihre Seelen auf dem Pfad zur Erleuchtung zu führen, biete ich daher meine Gebete dar, damit sie alle die Buddhaschaft erlangen mögen.

Die "tibetischen Helden", die sich selbst verbrannten

Mögen alle geistigen Lehrer und Lamas in Tibet und im Exil ein langes Leben haben. Ganz besonders bete ich darum, daß Seine Heiligkeit der Dalai Lama nach Tibet zurückkehren möge und uns als Tibets weltliches und geistliches Oberhaupt erhalten bleibe.

[Lama Soepa rezitiert hier das Langlebens-Gebet für den Dalai Lama]:

„In diesem von schneebedeckten Bergen umgebenen heiligen Land
bist Du die Quelle alleNutzens, allen Glücks
Tenzin Gyatso, Meister Avalokiteshvara,
mögest Du dauerhaft verweilen, bis zum Ende des Samsara!
Mögen Seine großen Taten den ganzen Raum erfüllen.
Alles, was geformt ist und auch was formlos ist
jene, die dem Buddha Dharma mit Feindschaft begegnen,
mögen sie alle aufgefunden und besiegt werden
von den Drei Juwelen und der Kraft der Wahrheit!“

An alle meine spirituellen Brüder und Schwestern und die anderswo lebenden Gläubigen!

Ihr solltet zusammenstehen und zusammen daran arbeiten, eine starke und wohlhabende tibetische Nation aufzubauen. Das ist der alleinige Wunsch aller tibetischen Helden. Deshalb dürft Ihr nicht untereinander streiten, sei es nun um Grund und Boden oder um das Wasser. Ihr müßt Einheit und Stärke bewahren. Laßt Euren Kindern Liebe und Erziehung zukommen, sie sollten eifrig lernen, um alle traditionellen Bereiche des Wissens zu meistern. Die Ältesten der Gemeinde sollten sich in spiritueller Praxis üben und ebenso unter Einsatz all ihrer Mittel, ihres Körpers, ihrer Rede und ihres Geistes die tibetische Sprache und Kultur bewahren. Es ist äußerst wichtig, die buddhistischen Prinzipien ernsthaft anzuwenden, um der Sache Tibets Nutzen zu bringen und um alle Lebewesen zu dem Pfad der Erleuchtung zu geleiten. Tashi Delek.

An all meine engen Freunde, Verwandte, Schüler, an jeden aus meinem Heimatdorf und besonders an [Name nicht gut hörbar]!

Ich habe keinen Reichtum in meinem Leben angehäuft. Was immer ich habe, gab ich für das Lehren und für spirituelle Belange aus. Daher kann es keinen Zweifel oder Gerede darüber geben, daß ich riesige Geldsummen hinterlassen würde. Dies sollten meine Geschwister, Verwandten, Förderer von verschiedenen Orten so im Gedächtnis behalten. Was meine persönlichen Gegenstände betrifft, hoffe ich, daß sie den Notleidenden oder den spirituellen Lehrern und Lamas übergeben werden.

Lama Soepas Freunde und Landsleute

Mögen alle Verdienste, die ich angehäuft habe, allen lebenden Wesen zugute kommen, besonders jenen, die in den niedrigen Bereichen, wie der Hölle leiden. Ich bringe ihnen diese Gebete dar, damit sie eine höhere Wiedergeburt erlangen. [Er rezitiert weitere Gebete].

An meine geistigen, im Exil lebenden Freunde: Ich ersuche Euch, seid nicht betrübt! Wenn ihr aufrichtigen Geistes zu den geistigen Lehrern und Lamas betet, werden wir untrennbar sein, bis wir alle die Buddhaschaft erreicht haben. Dasselbe möchte ich den älteren Leuten und allen Leuten sagen. Denkt daran: Ob in Zeiten des Glücks oder Zeiten der Trauer, schlicht unter allen Umständen, die Drei Juwelen sind unsere einzige Zuflucht. Das solltet Ihr nie vergessen. Tashi Delek.

(1) 8. Januar 2012, „Dritte Selbstverbrennung innerhalb von drei Tagen: Ein angesehener Mönch starb in Golog

(2) Die Stimme von Tulku Soepa gibt es bei YouTube.

Und das Testament von Tulku Soepa Rinpoche

(3) Thubten Ngoedup setzte sich als erster Tibeter, von dem man dies weiß, im April 1998 in New Delhi in Flammen.