15. Juli 2011
HighPeaksPureEarth, www.HighPeaksPureEarth.com

“Bitte gebietet der ’Entwicklung’ des Berges Kailash und des Manasarovar-Sees zu Profitzwecken Einhalt“ von Woeser

High Peaks Pure Earth übersetzte einen Aufruf der tibetischen Schriftstellerin, Dichterin und Bloggerin Woeser, der am 10. Juli auf ihrem Blog erschien. Der dringende Appell bezieht sich auf die geplanten Entwicklungsvorhaben für die Förderung des Tourismus in der Region des Berges Kailash und des Sees Manasarovar in Westtibet. Auch der amerikanische Tibetologe Elliot Sperling verfaßte kürzlich einen ähnlichen Appell (1).

Was soll der Bagger vor der Nordwand?
(Blog von Elliot Sperling)

Hier folgt Woesers Essay:

„Vor neun Jahren unternahm ich eine Pilgerfahrt zum Berg Kailash, wo ich die über 50 km lange Runde um den heiligen Berg machte, was fast 20 Stunden in Anspruch nahm. Als die wunderbare Form des Kailash in der Ferne vor mir auftauchte, war es, als ob ich auf das Symbol des Buddhismus blickte, es glich der Mandala-Blume, so strahlend, hell und rein war es. Für die Nicht-Gläubigen ist der Kailash ein ganz normaler Berg. Aber heutzutage ist er für die profitgierigen Geschäftsleute ein Objekt mit dem Reiz des Neuen geworden, eine Attraktion, um Touristen anzulocken und viel Geld zu verdienen.

Kürzlich enthüllten Internetnutzer, die gerade vom Mount Kailash zurückgekehrt waren, auf der in China populären Sina Weibo MicroBlogging Seite, daß sie Baustellen am Berg gesehen hatten, um die Wege zu verbreitern und neue Straßen zu bauen. Bald schon werden allerlei Fahrzeuge von Darchen aus bis zum Kloster Drirapuk fahren können, und einige haben gesehen, wie Strommasten aufgestellt wurden.

So viel ich weiß, ist die ‚Tibet-Tourismus-Gesellschaft’ eine Tochtergesellschaft der in Beijing ansässigen Guofeng Gruppe. Sie hat das ’Projekt übernommen’, um den heiligen Berg Kailash sowie den See Manasarovar in ein Tourismusgebiet zu verwandeln. Im Internet entdeckte ich, daß die ’Tibet-Tourismus-Gesellschaft’ 2010 den nicht-öffentlichen Verkauf von Anteilen ankündigte (http://www.cnstock.com/paper_new/html/2010-09/03/content_46902.htm) und den heiligen Berg und den heiligen See nun als Aushängeschild benutzt, um Anteile zu verkaufen. Die Unternehmung wurde bekannt unter dem Namen ’Tibetisches Kailash-Manasarovar Tourismus-Entwicklungsprojekt’, sie beinhaltet die ‚Entwicklung des landschaftlich attraktiven Gebiets, den Bau von Hotels und Restaurants, die Anschaffung von umweltfreundlichen Fahrzeugen, Sauerstoffabriken und andere Einrichtungen’. Für die Zukunft planen sie, ein großes Eingangstor zu bauen, Aussichtsplattformen und Wege für Sightseeing-Fahrzeuge usw. Abgesehen von der Kommerzialisierung der heiligen religiösen Stätte wird der Bau von Sauerstoffabriken und anderer Unternehmen die Schadstoffemission erhöhen und die Umwelt belasten.

Befahrbare Trasse zur Drirapuk Gompa
(Aus Woesers Blog)

Dieses Jahr findet vom 31. Juli bis 11. August ein nicht-öffentliches Cross-Country Wettrennen rund um den Berg Kailash statt. Organisiert wird es von der ’Beijing Gesellschaft für Extremsport und Outdoor-Abenteuer’. Auf deren Website stehen die Preise für eine Teilnahme – Unternehmen: 68.000 Yuan pro Team (Teams von Unternehmen, Unternehmen unterstehende Clubs oder andere Teams, hinter denen auf Gewinnerzielung ausgerichtete Institutionen stehen oder die nach solchen benannt sind), nicht-kommerzielle private Gruppen: 56.000 Yuan pro Team, Individuen: 15.000 Yuan pro Person (http://www.exbear.com/community/group/event.aspx?tid=20952). Obwohl diese Aktion angeblich zu Wohltätigkeitszwecken gereichen soll, ist sie ein Zeichen, daß der lange Arm des Kommerzes schon angefangen hat, den Berg Kailash für den Profit auszuschlachten. Das ist nicht nur Spekulation, denn es gibt viele andere heilige Berge und Seen, die alle dasselbe Schicksal erleiden und auf dem Hackbrett der Geschäftemacherei zerteilt werden.

Heute fallen der Berg Kailash und der See Manasarovar unter die Verwaltungseinheit des Bezirks Purang in der Präfektur Ngari in Westtibet. Leute, die etwas von tibetischer und indischer Kultur verstehen, wissen, daß diese kein gewöhnlicher Berg und kein gewöhnlicher See sind. Alle vier Religionen – Buddhismus, Bön, Hinduismus und Jainismus – sind sich einig, daß sie von allen religiösen Stätten die wichtigsten ‚heiligen Orte’ sind (so soll es der Buddha gesagt haben). Traditionell gilt nämlich die religiöse Anbetung am Berg Kailash und am Manasarovar-See als eine unerläßliche Erfahrung im Leben. Wer den Berg und den See zu Fuß umrundet, setzt die Pilgertraditionen der Vergangenheit fort, denn nur durch den physischen Akt des Gehens und die ’Knochenarbeit’ kann man religiöse Läuterung erlangen.

Es ist völlig unnötig, dort Straßen zu bauen oder Touristenbusse herumfahren zu lassen. Diese ziehen nämlich nur eine gewisse Klasse von Leuten an. Um im Sinne der Kulturanthropologie zu argumentieren, handelt es sich hier um eine Art von ’Tourismus-Imperialismus’, der den heiligen Berg und den heiligen See entweihen und zerstören wird. Jemand kommentierte schon spöttisch: ’Eines Tages wird man die Leute singen hören: Wir sitzen in der Gondelbahn und umkreisen den heiligen Berg’.

Strommasten entlang des Weges
(Aus Woesers Blog)

Der Berg Kailash und der See Manasarovar bilden eine besonders ehrwürdige Gegend, und jeder Grashalm, jeder Baum, jeder Berg oder Wassertropfen werden von jenem buddhistischen Volk mit Ehrfurcht behandelt. Ein Volk, das historisch gesehen durch seine Kultur die Umwelt unter seinen besonderen Schutz stellt und die Vorstellung von einer ’kulturellen Umwelt’ verkörpert, wodurch alle Lebewesen der heimatlichen Umwelt wirksam geschützt werden. Dadurch wird ein Ort der Traditionen und Glaubensüberzeugungen der Menschheit bewahrt. Es ist ein’Naturerbe’ und ’Kulturerbe’, das der gesamten Menschheit gehört und diese Dinge sollten in Ehren gehalten und vor allem respektiert werden.

Wie wir alle wissen, wird das tibetische Hochland auch als der ’Dritte Pol der Erde’ bezeichnet, denn seine Berge und Flüsse sind von globaler ökologischer Bedeutung. Aber heutzutage wird in Tibet wie verrückt ’Erschließung’ betrieben, es werden Projekte aller Art wie Bergwerke, Staudämme und Tourismusprojekte verfolgt. Doch diese Entwicklungsvorhaben werden der tibetischen Nation, ihrer Religion und Kultur, den heiligen Bergen und Seen und dem Ökosystem der tibetischen Hochebene insgesamt irreparable Schäden zufügen, was wiederum Folgen für die Ökologie der ganzen Welt haben wird.

Dieses Jahr am 4. Januar, als Seine Heiligkeit der Dalai Lama über Video mit chinesischen Intellektuellen konferierte, stellte der Anwalt Jiang Tianyong fest, daß ’das Abschmelzen der Gletscher, die Abholzung und der Bergbau die Wasserläufe ungeheuer verschmutzen. Angesichts dieser Probleme können wir nicht länger warten. Was die politischen Fragen angeht, kann das tibetische Volk eher noch fünf oder zehn Jahre warten’. Seine Heiligkeit antwortete, daß ’seine größte Sorge die Wiederherstellung der schwer geschädigten Umwelt ist. Dies ist ein Riesenproblem, besonders, was die Zerstörung des tibetischen Hochlandes betrifft, denn die Quellgebiete aller großen Flüsse Asiens sind bedroht, und damit wird das Leben von Milliarden Menschen gefährdet’.

Heutzutage wird Tibet geplündert und ausgebeutet, und das alles im Namen seiner ’Entwicklung’. Wie Wang Lixiong in dem Buch ’Himmelsbestattung: Das Schicksal Tibets’ sagt: ’Tibet gleicht einer Person, die ihre ganze Bewegungsfähigkeit eingebüßt hat und auf dem schneebedeckten Dach der Welt liegt. Aus allen Richtungen stoßen Geier und Adler auf sie herab, reißen ihren Leib in Stücke, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen -- sei es wegen der Souveränität, um die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, um eine bestimmte Ideologie zu demonstrieren oder um der internationalen Diplomatie willen. Da gibt es auch noch die gierigen und unersättlichen Geschäftsleute, die Wilderer und Jäger, die nach einem neuen „Kick“ suchenden Touristen und die der modernen Zivilisation überdrüssigen Westler – all diese Leute strömen nach Tibet, um sich von ihm zu nehmen, was sie brauchen. Im Laufe seiner ganzen Geschichte wurde Tibet niemals zu einem solchen Grade von externen Kräften manipuliert, wie es jetzt geschieht. Tibet war niemals so hilflos, so eingeschränkt und unfähig für sich selbst zu handeln’.

Seine Heiligkeit der Dalai Lama plant, bald Amerika zu besuchen (2) und dort mit hundert chinesischen Wissenschaftlern und Vertretern der Demokratiebewegung zusammenzutreffen, um über Themen wie die Aussichten für eine Demokratisierung Chinas und das Schicksal Tibets zu reden. Diese Diskussionen sind von hohem theoretischem Wert, aber im Augenblick noch dringlicher ist die Tatsache, daß Tibet derzeit zerfleischt wird. Wenn wir dieses Zerfleischen nicht unterbinden können und warten wollen, bis die Frage einer chinesischen Demokratisierung und die Tibet-Frage gelöst sind, wird Tibet mit großer Wahrscheinlichkeit schon tot und untergegangen sein. Wir müssen daher unsere Augen öffnen und uns der gegenwärtigen realen Situation zuwenden und den gierigen Handlungen der Geschäftsleute Einhalt gebieten, wir müssen die ganze Welt über die Zerstörung der Umwelt und der kulturellen Traditionen in Tibet informieren.

Aus diesem Grund rufe ich alle Menschen, denen Demokratie und Gerechtigkeit am Herzen liegt und die mit Tibet sympathisieren dazu auf, alles zu tun, was in ihrer Kraft steht, um gemeinsam mit den Tibetern unseren heiligen Berg Kailash und den Manasarovar-See zu beschützen und die Frage der Rettung der tibetischen Kultur und Umwelt ins allgemeine Bewußtsein zu rücken.“

Woeser, 3. Juli 2011, Beijing

Aus Blogs von der Seite Sina Weibo:

@GanRenMani:

„Das ist einer der heiligen Pfade um den Berg Kailash; der Weg um den Berg, der zum Tempel Drirapuk führt, wird derzeit zu einer Straße ausgebaut. Das Straßenbett wird gerade angelegt, aber die größte Tragödie ist, daß es sogar Pläne gibt, eine Gondelbahn zum Dolma La zu bauen. Eines Tages wird man die Leute singen hören: ‚Wir sitzen in der Gondelbahn und kreisen um den heiligen Berg’“.

@WorldWellbeing:

„Ich nahm dieses Bild am 15. Juni bei der Umrundung des Bergs zum Saga Dawa Fest auf. Die temporären Unterkünfte links gehören wohl zum Bauprojekt, ich hoffe, sie wollen nur die Trasse erweitern. Dies ist kurz nach dem Jingfang-Platz. Auf der linken Seite des Bildes ist ein Bagger, ich hoffe, er ist nur dazu da, um die Straßenoberfläche zu ebnen. Ich nahm das Bild am Morgen des 16. Juni auf, nachdem wir von Drirapuk Gompa aus starteten.

Es ist klar, nachdem die Trasse erweitert sein wird, werden alle möglichen Arten von Fahrzeugen von Darchen direkt bis zum Drirapuk Kloster fahren können. Es gibt Online bereits viel Reklame für die Kailash-Manasarovar-Touristen Region, dort wird angepriesen, daß der Berg ein Eingangstor bekomme, Aussichtsplattformen, umweltfreundliche Vehikel, Hotels… und entlang der aufwärtsführenden Pfade sah man bereits, wie Strommasten aufgestellt werden.“

(1) „Kailash, an Appeal“, 14. Juli 2011

(2) Hier bezieht sich Woeser auf das Treffen des Dalai Lama mit chinesischen Gelehrten in den USA. Am 11. Juli sprach er in Washington im Rahmen der Kalachakra Belehrungen auf einer Konferenz über ein „Demokratisches China und die Zukunft Tibets“.