November 2009
Free Tibet Campaign, www.freetibet.org

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Portrait des politischen Gefangenen Dolma Kyab

Dolma Gyab ist ein tibetischer Geschichtslehrer, der – vermutlich unter der Anklage der Spionage – zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftung befand, daß die Inhaftierung von Dolma Gyab als willkürlich einzustufen ist. „Die Freiheitsberaubung von Dolma Kyab ist willkürlich und stellt eine Verletzung der Art. 13, 19 und 20 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte dar. Er fällt unter die zweite Kategorie derjenigen Fälle, die nach ihrer Einreichung bei der Arbeitsgruppe als der Beachtung wert erfunden werden.

Die Arbeitsgruppe fordert die chinesische Regierung auf, die notwendigen Schritte zu ergreifen, um Abhilfe zu schaffen und die Lage in Übereinstimmung mit den von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gesetzten Normen und Grundsätzen zu bringen. Sie drängt die Regierung, den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte zu ratifizieren.“

Hintergrund

Dölma Gyab, ein tibetischer Lehrer der Geschichte, wurde zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt – vermutlich unter der Anklage der Spionage. Im März 2005 wurde er festgenommen und im September erfolgte der Urteilsspruch. Er legte Berufung gegen das Urteil ein, aber das Gericht hielt an dem Urteil fest. Gegenwärtig wird er im Gefängnis Chushur (chin. Quishui) in der Nähe von Lhasa festgehalten.

Es gibt keine offizielle Information über seine Festnahme oder die Art der Anklage gegen ihn. Es gibt jedoch einen von Dolma Gyab geschrieben und an den Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen gerichteten Brief, der aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde. Aus diesem geht hervor, daß der Grund für seine Festnahme das noch nicht veröffentlichte Manuskript eines Buches mit dem Titel „Ruheloser Himalaya“ ist, in dem es um Themen wie Demokratie, Autonomie und Tibet geht.

Er plante auch ein Buch über Geologie und Umweltschutz zu schreiben, aber „ohne überhaupt mit dem Schreiben begonnen zu haben, urteilten sie [die chinesischen Behörden] wieder in voreingenommener Weise, daß ich ausländischen Kräften geheime Informationen liefern wollte“.

Dölma Gyab fährt in dem Brief fort: „Obwohl sie mich meiner Freiheit beraubt haben, können sie mir nicht meine Überzeugung nehmen, daß die Aufklärung der Menschheit in Sachen Umweltschutz und Gesundheitsversorgung von Frauen notwendig ist. Sie können mich töten, aber meine Liebe zur Erdkunde können sie nicht abtöten.“

Während des Besuchs des UN-Sonderberichterstatters für Folter im November 2005 im Gefängnis Chushur wurde Dolma Gyab aus seiner Zelle entfernt und vor diesem versteckt.

Dölma Gyab, 30, ist ein hoch gebildeter Lehrer, der an der Universität von Qinghai Geographie und Geschichte studierte und an der Universität Peking einen Magister-Titel erwarb. 2003 war er in Dharamsala gewesen, wo er Englisch und Hindi lernte. Wie seine Freunde erzählten, war Dolma Gyab sehr besorgt über die voranschreitende Zerstörung der empfindlichen Umwelt Tibets und äußerte sich freimütig zu diesem Thema. In seinem Brief stellte Dolma Gyab fest, daß er während seines Aufenthalts in Indien der tibetischen Regierung-im-Exil geraten hatte, sich verstärkt dem Umweltschutz und der Gesundheit der Frauen zu widmen.

Er ist bei sehr schlechter Gesundheit und kann kaum mehr Nahrung zu sich nehmen. Ein Mitgefangener sprach im März 2008 mit ihm und berichtete später, daß auf den Volksaufstand vom 14. März in Lhasa hin die bewaffnete Polizei ins Gefängnis Chushur gekommen sei und Dölma Gyab abgeführt hätte. Wohin, weiß man nicht.

In dem kürzlich erschienenen Buch von Internationale Campaign for Tibet „Like Gold that fears no Fire“, Download: http://www.savetibet.org/files/documents/Like%20Gold.pdf, ist auf Seite 67 ein Auszug aus Dolma Gyabs Buch „Restless Himalaya“ zu lesen.

Brief des zu zehn Jahren Haft verurteilten tibetischen Schriftstellers Dolma Gyab

(Der Brief wurde ursprünglich in chinesischen Schriftzeichen handgeschrieben)

An die Menschenrechtskommission der UN [im Juni 2006 in Menschenrechtsrat umbenannt], die Weltfrauenorganisation [vermutlich ist hier das Komitee für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen gemeint], die Globale Umweltschutzorganisation [vermutlich das UN-Gremium für Umweltschutz] und die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur [UNESCO]:

“Ich wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Hauptgrund dafür war mein noch unveröffentlichtes Buch "Der Himalaya in Bewegung", das von Demokratie, Selbstbestimmung und anderen für Tibet relevanten Themen handelt. Der chinesischen Strafprozeßordnung zufolge kann niemand nur auf der Basis eines derartigen Buches des "Separatismus" angeklagt werden. Da es der chinesischen Justiz nicht gelang, mich aus diesem Grunde vor Gericht zu stellen, klagten sie mich schließlich, nachdem sie alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen hatten, der "Spionage" an. Obwohl die Behörden über keinerlei Beweise oder stichhaltigen Argumente verfügen, beschuldigten sie mich in ihrer Anklageschrift der Spionage. Das Gericht lastete mir folgendes an:

1) In der Vergangenheit habe ich der tibetischen Regierung [bezieht sich auf die tibetische Regierung-im-Exil] meine Ansichten zum Thema Umweltschutz dargelegt und sie gebeten, sich rückhaltlos für den Schutz der Umwelt einzusetzen und mehr für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Frauen [in Tibet] zu tun. Auf Grund meiner damaligen Äußerungen beschuldigten sie [die Ankläger] mich der Vorbereitung von Aktivitäten für die Unabhängigkeit Tibets.

2) Ich hatte vor, ein Buch über tibetische Geographie zu schreiben. Obwohl ich noch nicht einmal damit begonnen hatte, beschuldigten sie mich, ich hätte Staatsgeheimnisse ans Ausland weitergegeben. Wie absurd, sie brachten meine Absicht, so ein Buch zu schreiben, mit separatistischen Aktivitäten in Verbindung! Als der italienische Philosoph [Filippo Giordano] Bruno 1600 sagte, daß die Sonne das Zentrum des Universums sei, erzürnte sich die Kirche in Rom und ließ ihn hinrichten. Ich fühle mich wie er.

3) Sie hörten auf das, was ein paar Leute behaupteten und prüften überhaupt nicht die Tatsachen. Meine Verurteilung stellt daher einen Rechtsbruch und einen ungesetzlichen Machtmißbrauch dar.

Als ein Repräsentant der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen [der UN-Sonderberichterstatter für Folter Manfred Nowak]* am 26. und 27. November 2005 in Lhasa war, verlegten sie mich an einen anderen Ort und versteckten mich dort, weil sie befürchteten, er könnte mit eigenen Augen sehen, wie die Lage tatsächlich ist. Aus diesem Grunde hatte ich keine Möglichkeit, irgend jemandem mitzuteilen, daß das gegen mich gesprochene Urteil ungerecht ist. Wahrscheinlich haben meine Kampagnen für den Schutz der tibetischen Antilope und für die Freiheit der Liebe in den nomadischen Regionen [Tibets] sie dazu veranlaßt, mich der Aktivitäten für die Unabhängigkeit zu bezichtigen. Ich bin der Auffassung, daß eine Verurteilung zu zehn Jahren Haft wegen Bildungsarbeit in Sachen Umweltschutz, Gesundheitsversorgung von Frauen, Familienplanung, individueller Gesundheitsfürsorge und Hygiene, Förderung und Schutz der Naturwissenschaften in der heutigen Zeit etwas recht Befremdliches ist.

Obwohl sie [die chinesische Regierung] mich meiner Freiheit beraubt hat, kann sie mir nicht meine Überzeugung nehmen, daß die Aufklärung der Menschheit in Sachen Umweltschutz und Gesundheitsversorgung von Frauennotwendig ist. Sie können mich töten, aber meine Liebe zur Naturwissenschaft können sie nicht abtöten. Ich glaube, daß Umweltschutz, der Schutz der Mütter [Frauen] und die Förderung der Naturwissenschaften ein gemeinsames Anliegen der gesamten Menschheit sind und an dieser Überzeugung werde ich festhalten.

Ich hoffe, die zuvor genannten Organisationen werden meine Ausführungen der gebührenden Erwägung unterziehen und mir zu Hilfe kommen.

Aus dem Gefängnis
Dolma Gyab
30. November 2005

*Dr. Manfred Nowak, der UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Maßnahmen oder Bestrafungen war vom 20. November bis zum 2. Dezember 2005 in China. Während seiner Mission besuchte er auch drei Gefängnisse in Tibet:

- Lhasa-Gefängnis Nr. 1 (Besuch am 26. November 2005)
- TAR-Gefängnis, auch unter dem Namen Drapchi bekannt (Besuch am 27. November 2005)
- Qushui-Gefängnis (Besuch am 27. November 2005)

Biographie eines politischen Gefangenen: Dolma Kyab

Dolma Kyab (Pseudonym: Lobsang Kelsang Gyatso), dessen Eltern Mr. Khetsun und Mrs. Dolma heißen, wurde 1976 im Dorf Ari, Bezirk Chilen (chin. Qilian), TAP Tsochang (chin. Haibei), Qinghai, geboren. Ab 1984 ging er zur örtlichen Dorfschule und besuchte später die Kreis-Mittelschule. Nach Abschluß seiner Schulbildung machte er ab 1995 eine Lehrerausbildung und arbeitete danach als Lehrer an einer Mittelschule im Kreis Chilen. Später setzte er seine Studien in Peking fort. 2003 begab er sich nach Indien, wo er Englisch und Hindi lernte, von wo er im Mai 2004 nach Tibet zurückkehrte. Von da an bis zu seiner Verhaftung wirkte er als Geschichtslehrer an einer Mittelschule in Lhasa.

Dolma Kyab ist schriftstellerisch begabt. Er führte ein Manuskript auf Chinesisch mit dem Titel „Ruheloser Himalaya“ (chin. Sao dong de Ximalayashan), eigentlich eine Sammlung von 57 Kapiteln über diverse Themen, wie Demokratie, die Souveränität Tibets, Tibet unter dem Kommunismus, Kolonialismus, Religion und Glauben usw. Neben diesem Manuskript arbeitete er auch an einem anderen über die Geographie Tibets, das vergleichsweise kurz war, aber heikle Angaben enthielt über die Lage und Zahl der chinesischen Militärlager in dem von China besetzten Tibet. Dolma Kyab wurde am 9. März 2005 festgenommen, zuerst war er im PSB-Haftzentrum der TAR, das bei den Tibetern als Seitru bekannt ist, inhaftiert. Am 16. September 2005 überführte ihn das Mittlere Volksgericht von Lhasa ungerechterweise wegen „Gefährdung der Staatssicherheit“. Einer bestätigten Information zufolge wurde Dolma Kyab zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er einen Essay über Tibet verfaßt hatte. Obwohl seine Familie eine Revision des Urteils unter fairen Bedingungen verlangte, bestätigte das Gericht sein Urteil am 30. November 2005. Nach dem Urteilsspruch wurde er in das neu geöffnete Gefängnis Chushul in Nyethang verlegt. Dort lehnte das Personal ihn jedoch ab, weil er in der vorigen Haftanstalt an Tuberkulose erkrankt war. Nachdem er medizinische Behandlung erfahren hatte, wurde er im März 2006 in das Gefängnis Chushul verlegt.

Nichts ist bekannt über seinen physischen und psychischen Zustand. Er ist immer noch im Chushul Gefängnis eingesperrt, von dessen Existenz ausländische Beobachter lange Zeit nichts erfuhren. In diesem Hochsicherheits-Gefängnis sitzen viele tibetische Mönche und politische Häftlinge ein. In einem an die Vereinten Nationen adressierten Brief, der aus der Haftanstalt geschmuggelt wurde, äußert er sich empört über die Strenge des Urteils und schreibt: 

„Ich verfaßte ein Buch, das noch gar nicht veröffentlicht war. In diesem Buch schrieb ich über Demokratie, Freiheit und die Lage Tibets. Das ist der Hauptgrund für meine Verurteilung, aber dem chinesischen Gesetz zufolge würde alleine das ein so drastisches Urteil nicht rechtfertigen.“