November 2009
Department of Information & International Relations (DIIR), www.tibet.net
Central Tibetan Administration
Gangchen Kyishong, Dharamsala

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Experten von UN, EU und das Menschenrechtsportal der Abteilung für Information und Internationale Beziehungen der Tibetischen Zentralverwaltung in Dharamsala brachten am 4. November 2009 einen Bericht über die Menschenrechtslage in Tibet heraus.

Die Minderheitenpolitik der VR China:
Eine kurze Übersicht

In China gibt es 154 autonome ethnische Gebiete, fünf davon sind autonome Regionen auf Provinzebene. Es handelt sich dabei um Tibet, Xinjiang, die Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi. Ferner gibt es 30 autonome Präfekturen und 119 autonome Bezirke.

Die Richtlinien für die chinesische Minderheitenpolitik sind im Regelwerk Regionale Autonomie für ethnische Minderheiten niedergelegt. Die KPC übernahm Stalins Definition ethnischer Gruppen als „eine historisch bedingte, stabile Gemeinschaft von Menschen auf der Basis einer gemeinsamen Sprache, eines gemeinsamen Territoriums, eines gemeinsamen Wirtschaftslebens und gemeinsamer Charaktermerkmale, die sich in einer gemeinsamen Kultur manifestieren.“[1]

Als Deng Xiaoping 1978 die Macht übernahm, verfolgte China eine einigermaßen moderate Minderheitenpolitik.[2] Der Staat setzte die Prioritäten eher bei der Koexistenz der ethnischen Gruppen als bei einer Integrationspolitik. Bei der 1982 vorgenommenen Novellierung der Verfassung der VR China aus dem Jahr 1954 wurde die regionale Autonomie der ethnischen Minderheiten zumindest auf dem Papier gestärkt.

Als Reaktion auf die Unabhängigkeitsdemonstrationen in Tibet in den späten 80er Jahren schritt die VR China zu der „wirtschaftlichen und kulturellen Integration der ethnischen Minderheiten“. Dies wird im chinesischen Weißbuch zur Minderheitenpolitik[3] unterstrichen. Darin heißt es: „Die Betonung auf allgemeinem Wohlstand und der Entwicklung aller ethnischen Gruppen ist die Grundlage der chinesischen Minderheitenpolitik.“[4]

Die VR China erklärt die Grundlagen ihrer ethnischen Politik wie folgt:

  • Gleichwertigkeit der ethnischen Gruppen
  • Regnale Autonomie
  • Ihre Eigenständigkeit unterstützende Maßnahmen im politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und Bildungsbereich
  • Verbot der Rassendiskriminierung.
Politische Vertretung

I.  Politische Vertretung

Die VR China behauptet, die Anzahl der Beamten aus den ethnischen Minderheiten sei ständig im Steigen begriffen; 2006 habe es im ganzen Land 2.994 Millionen von ihnen gegeben. Das sei 3,8 mal soviel wie 1978.[5] Es stimmt zwar, daß alle Gouverneure der fünf autonomen Provinzen ethnischen Minderheiten entstammen. In Wirklichkeit findet man jedoch auf der Entscheidungsebene nur wenige Beamte, die zu ethnischen Minderheiten gehören. Nach Schätzungen sind 50% der Regierungskader Tibeter, aber in den Entscheidungsgremien sind sie kaum vertreten und haben keinen Einfluß.

Die wichtigste und mächtigste Position in einer autonomen Minderheiten-Provinz ist die des Parteisekretärs. Derzeit wird sie in keiner der fünf autonomen Provinzen von einem Angehörigen einer ethnischen Minderheit eingenommen.[6] Seit Einrichtung der „Autonomen Region Tibet“ im Jahr 1965 hat noch nie ein Tibeter diesen Posten innegehabt.

Wirtschaftliche Entwicklung

II. Wirtschaftliche Entwicklung

Peking behauptet, die wirtschaftliche Entwicklung der einheimischen Bevölkerung in Tibet genösse oberste Priorität. In den 80er Jahren wurden dafür zwei Modelle diskutiert. Beim ersten sollten die Tibeter aktiv in den Entwicklungsprozeß miteinbezogen werden und dabei sogar eine führende Rolle übernehmen. Das zweite Modell favorisierte die rasche Entwicklung, die in ihren ersten Phasen mit Hilfe erfahrener und qualifizierter Han-Chinesen vonstatten gehen sollte. Mitte der 80er Jahre entschied sich die Führung der VR China für das zweite Modell.

Beim Dritten Arbeitsforum zu Tibet der chinesischen Regierung 1994 lag der Schwerpunkt auf der „Stabilität und Sicherheitswahrung“ mittels wirtschaftlichen Fortschritts. Auf dem Vierten Arbeitsforum von 2001 wurde nochmals die Bedeutung der Strategie betont, wirtschaftlichen Wohlstand zu generieren, um auf diese Weise nationalistische Bestrebungen auszuschalten.

Das chinesische Entwicklungsmodell

Seine Struktur beruht nicht auf den Rechten und Bedürfnissen der Betroffenen:

1) Ein sich auf die Rechte beziehender Ansatz ist nicht erkenntlich, da die Tibeter an den sie betreffenden Entscheidungen in keiner Weise beteiligt werden und keine wirkliche Autonomie besitzen.

2) Von einem Ansatz bei den Bedürfnissen fehlt jede Spur. Die staatlichen Investitionen konzentrieren sich hauptsächlich auf die Entwicklung der Infrastruktur wie Fernstraßen, Eisenbahnen usw. Bei den sogenannten „harten Infrastruktureinrichtungen“ wird das Hauptgewicht der Entwicklung auf Handel, Dienstleistungen sowie Regierungs- und Parteiverwaltung gelegt – alles Bereiche mit minimaler tibetischer Beteiligung. Chinas Bemühungen um wirtschaftliche Entwicklung gehen an 80% der Tibeter völlig vorbei, die nach wie vor Subsistenzwirtschaft betreiben oder nomadische Viehzüchter sind. 

Im von der chinesischen Regierung herausgegebenen Weißbuch wird der Vorrang von Infrastrukturprojekten betont. Es heißt darin: „Bauprojekte genießen Priorität, denn sie sollen eine verläßliche Grundlage für die weitere Entwicklung bieten.“[7]

Unzureichende Anstrengungen im Hinblick auf den menschlichen Entwicklungsstand

Gemäß dem Bericht des UN-Entwicklungsprogramms von 1997 kombiniert der Armutsindex Maßstäbe wie die Lebenserwartung, die Lese- und Schreibfähigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit und

relatives Einkommen in einem einzigen zusammengefaßten Maßstab.[8]

Wie man sieht, sind die staatlichen Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft relativ gering und Tibet liegt in allen genannten Bereichen weit hinten.

Der Entwicklungsexperte Gabriel Lafitte argumentiert, daß sich Tibet trotz immenser staatlicher Mittel, die nach Tibet flössen, auf der UN-Nationenliste [wenn es denn eine Nation wäre] mit Ländern wie Ruanda, Sudan, Somalia und Mozambique die untersten Plätze teilt.[9] Eine andere Expertin, June Teufel Dreyer, sagte: „Selbst ein nur flüchtiger Blick auf das Statistische Jahrbuch Chinas wird bestätigen, dass die TAR bei jedem Indikator buchstäblich an unterster Stelle rangiert: Gesamteinkommen, Pro-Kopf-Einkommen, Alphabetisierung, ja sogar bei der statistischen Lebenserwartung.“[10]

Wirtschaft als politisches Kontrollwerkzeug

Nach chinesisch-marxistischer Auffassung neigt eine wohlhabende Bevölkerung weniger zu nationalistischen Ansichten als eine arme. Der ehemalige Parteisekretär der TAR, Chen Kuiyan, erläuterte einmal: „Alleine wirtschaftliche Entwicklung, besseres Ansehen unseres Landes und wachsender Wohlstand werden die Leute vom Separatismus abbringen und zu korrekten Einschätzungen befähigen. Nur so werden sie ihre Ambitionen zur Spaltung des Landes überwinden.“[11] Die Mehrzahl der Entwicklungsprojekte in Tibet wie das “Programm zum Aufbau des Westens“ dienen letztlich dem politischen Zweck der Aufrechterhaltung der Stabilität.

Der chinesische Intellektuelle Wang Lixiong sagte einmal zu Recht: „Wirtschaftlicher Profit als ‚Köder’ sowie die ‚Rohrstock-Politik’ des massiven politischen Drucks haben während der vergangen 13 Jahre in Tibet einen oberflächlichen Frieden gewährleistet. Aber die Unruhen von Lhasa in der jüngsten Vergangenheit haben erneut bewiesen, dass diese Art der Politik nicht zur Lösung der tibetischen Frage taugt. Das bestehende politische System in China läßt den Behörden aber keine andere Möglichkeiten, um Tibet zu regieren.“[12]

Urban orientierte Entwicklung

Die städtischen Gebiete Tibets, wo die meisten han-chinesischen Immigranten, aber nur 20% der tibetischen Bevölkerung leben, profitieren in erster Linie von Chinas Entwicklungspolitik.

Gongmeng („Offene Verfassungsinitiative“) ist eine in Peking ansässige Juristenvereinigung, sozusagen ein Thinktank. In ihrem Untersuchungsbericht heißt es: „Der Modernisierungsprozeß bringt die Landwirtschaft in ihrer Rolle als traditionelle Sparte in eine verwundbare Position… Der Lebensstandard in Lhasa ist nicht schlechter als in einer beliebigen Stadt in den [besser] entwickelten Han-Gebieten… Wenn man in dieser Periode der raschen Modernisierung und überhasteten Marktorientierung tibetische Gebiete mit von Han bewohnten oder auch unterschiedliche Regionen wie städtische und ländliche innerhalb der tibetischen Gebiete miteinander vergleicht, so zeigt sich immer und überall ein unerbittlicher Trend zu wachsender Ungleichheit.“[13]

Tibeter als marginalisierte Gruppe

In dem Bericht heißt es: „Die Menschen, die den größten Nutzen aus der pulsierenden Wirtschaft ziehen, sind die nicht-tibetischen Zuwanderer; den Tibetern mangelt es an Kapital und Kenntnissen, was stark zu ihrer zunehmenden Marginalisierung beiträgt. In Lhasa gibt es an jeder Ecke Restaurants mit Sichuan-Küche, die von Leuten aus Sichuan betrieben werden. Taxifahrer sind in der Regel nicht-tibetische Immigranten aus Henan, Sichuan und Shaanxi.“[14]

Der Bericht fährt fort: „Auf Grund mangelnder Qualifikationen und chinesischer Sprachkenntnisse haben die Tibeter im Hinblick auf den Erwerb beruflicher Fertigkeiten und Anpassung an das Wertesystem keine Chance, beim Modernisierungsprozeß in wirtschaftlichen Wettbewerb mit Nicht-Tibetern zu treten.“

Wang Lixiong ist der Ansicht, dass die Regierung zwar die Einwanderung in großem Maßstab nicht organisiert, aber sehr wohl dazu ermutigt. Das führt zu dem von ihm als die Sinisierung Tibets bezeichneten Phänomen, in dem er den Hauptgrund für alle derzeitigen Konflikte sieht.[15]

Bruttoinlandsprodukt versus menschliche Entwicklung

Der Zufluß von Regierungssubventionen nach Tibet soll angeblich zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geführt haben. Allerdings haben sich daraus weder Einkommenssteigerungen noch eine Verbesserung der Lebensbedingungen für die tibetische Bevölkerung ergeben. Das liegt daran, dass sich die Zuschüsse der Zentralregierung auf den staatlichen Sektor konzentrieren.

Tibetische Entwicklung versus chinesische Entwicklung

Chinesen und Tibetern sind unterschiedlicher Meinungen über die eigentliche Bedeutung des Begriffs „Entwicklung“. „Für die Tibeter hat ein gutes Leben mehr mit Freiheiten wie der Religionsfreiheit, der Achtung vor dem Menschen und dem Leben zu tun – mit der Art von Wohlgefühl, die sich einstellt, wenn man anderen Gutes erweist.“ (Gongmeng Report).

Die Behörden der VR China beharren dagegen stur auf ihrem alten Entwicklungsmodell. Im chinesischen Weißbuch zur Minderheitenpolitik heißt es: „Der Staat ist davon überzeugt, dass die Beschleunigung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung von Minderheitenregionen grundlegend für die Lösung der ethnischen Fragen in China sind.“

Robert Barnett resümiert die Entwicklungsproblematik in Tibet als „Vergeudung von politischem Kapital durch Eingriffe ins kulturelle Leben.“[16]

Falsche offizielle Statistiken

Berichte untergeordneter Stellen an die zentrale Führung sind oft übertrieben und basieren auf gefälschten Statistiken. Dem UNDP zufolge hinkt die TAR anderen Regionen in China in den Bereichen Einkommen, Armut, Gesundheit und Bildung weit hinterher. Deshalb muß man sich unbedingt darüber klar sein, dass das Bruttosozialprodukt (BSP) und das Bruttoinlandprodukt (BIP) nicht immer ein akkurates Bild der wirtschaftlichen Entwicklung abgeben.

Durch die Übertreibungen der lokalen Beamten werden die Entwicklungsstatistiken verzerrt, was zu falschen Darstellungen des Entwicklungsstandes führt. Luwo Tsetan berichtet über ein derartiges Vorkommnis:

„Als im Oktober 2007 [im Bezirk Chigdril, Golog] die Daten über die allgemeine neunjährige Schulpflicht und die Eliminierung des Analphabetentums bei Jugendlichen und Erwachsenen erhoben und verarbeitet wurden, hat man den Bezirk dazu verpflichtet, mehr als 1.300 Schüler anzugeben. Tatsächlich verzeichnete die Schule aber 700 Schüler. Einige dieser Schüler gehörten zu einer bestimmten Mittelschule, andere waren Absolventen der tibetischen Schule, hüteten aber tatsächlich Vieh für ihre Familie, und wieder andere waren Mönche. Sie alle kamen, als die Inspekteure im Anmarsch waren, in die Schule und gingen sofort nach deren Abreise wieder nach Hause. Man hatte den Schülern sogar eine Belohnung angeboten, falls sie sich für die Schule registrieren ließen, und obwohl sie sich dort nur zwei Monate lang aufhielten, wurden sie im Bericht als vierjährige Intensiv-Klasse aufgeführt.“[17]

Aufgrund solcher Vorkommnisse erklärte Gyaltsen Norbu, ehemaliger Vorsitzender der TAR-Regierung, 1997: „Wir sollten, wenn es um die Hilfe für die Armen geht, diese ungesunden Tendenzen wie Prahlerei und Übertreibung und Vertuschung der Wahrheit vor höheren Ebenen unterlassen.“[18]

Erziehungswesen

III. Bildung

Ideologisch-politische Bildungsinhalte

Das Bildungswesen in Tibet soll die Schüler dazu bringen, den Kommunismus und das „Mutterland“ zu lieben.

Mit der Wiederaufnahme der Kampagne für „Patriotische Umerziehung“ im Jahr 2009 und der Integration des Unterrichts für ethnische Einheit ins Bildungs- und Prüfungssystem wurde die ideologische Indoktrinierung weiter intensiviert. Die Kommission des chinesischen Ministeriums für Bildung und staatliche ethnische Angelegenheiten gab am 26. November 2008 den „Leitfaden für die Erziehung zur ethnischen Einheit in Schulen“ heraus, der die Minderheitenpolitik der kommunistischen Partei unterstützen soll. Besonderer Wert wird dabei auf die Punkte „Schutz der Einheit des Mutterlands“ und „Widerstand gegen den Separatismus“ gelegt[19].

Assimilation

Da Assimilation das Ziel der Regierung ist, gibt es in Tibet nur sehr eingeschränkte religiöse, historische und kulturelle Bildungsmöglichkeiten. Geschichte, Traditionen, Sprachen und Kulturen von Minderheiten werden weder gebührend respektiert noch gelehrt, obwohl dem eigentlich so sein sollte. Das kann man ganz deutlich aus dem nationalen Standard-Lehrplan ersehen, der im gesamten Bildungssystem überall in China zur Anwendung kommt. „Obwohl sich Geographie, Landwirtschaft, Klima, Sprache und lokale Bräuche stark unterscheiden, werden dennoch im ganzen Land dieselben Fächer anhand derselben Unterrichtsmaterialien gelehrt.“[20]

So kommt es, dass Kindern aus Minderheiten ein Unterlegenheitsgefühl bezüglich ihrer ethnischen Identität eingeimpft wird. Sie fühlen sich minderwertig, weil sie in ihrem Unterrichtsmaterial keinerlei Bezug zu ihrer eigenen Kultur oder Geschichte finden. Wenn sie merken, dass es keine Lehrinhalte gibt, die sie auf ihre Herkunft stolz sein lassen, verlieren sie ihre Selbstachtung und das Interesse an der Schule. Das zeigt sich auch an der hohen Rate von Schulabbrechern bei Kindern von Minderheiten.“[21]

Die Lehrpläne sollten auch Weltgeschichte, tibetische und chinesische Geschichte beinhalten. 

Tibetische Sprache

Eine positive Entwicklung der schulischen Bildung bleibt solange fraglich, wie das Sprachproblem nicht gelöst ist. Sprache wird definiert als „Träger der Kenntnisse und Erfahrungen, die eine Nation oder Kultur im Laufe ihrer Geschichte erworben hat.“[22]

Im Hinblick auf die Probleme mit der chinesischen Sprache in Tibet sagte Professor Badeng Nima: „Seit Tibet dem Einfluß der chinesischen Wirtschaft ausgesetzt ist, hat sich die Sprachenproblematik immer mehr verschärft.“[23] Ungeachtet der gesetzlichen Garantien für die sprachlichen Rechte von Minderheiten wird in Verwaltung und Handelsverkehr die chinesische Sprache benutzt. Seit 1997 ist sie auch die Hauptunterrichtssprache an fast allen tibetischen Schulen.

Das Tibetische sollte in den Lehrplänen, als Unterrichtssprache und in Handels- und Verwaltungssachen Priorität genießen.

Rhetorik und Realität

Im Februar 2009 rückte China in den Blickpunkt der „Allgemeinen Regelmäßigen Länderüberprüfung“ (Universal Periodic Review/UPR) der Vereinten Nationen. Im Bericht Chinas an die UPR-Arbeitsgruppe heißt es: „Bis Ende 2000 wurde die neunjährige Schulpflicht praktisch überall im Lande eingeführt.“[24]

Im Gegensatz dazu setzten einige Beobachter aus dem Ausland die Analphabetenrate in Tibet bei 74,31 Prozent an.[25] Damit ist Tibet eine der am wenigsten alphabetisierten Regionen in China.[26]

Der Gongmeng-Report beleuchtet den Bildungsstand in den entlegenen Gebieten Tibets:

Bei Befragungen in der Region Qingshui gaben Dorfbewohner an, immer wenn höhere Verwaltungskader zur Überprüfung der Fortschritte bei der Alphabetisierung anreisten, würden die Gemeindebehörden alle Jugendlichen, die nicht zur Schule gingen, zu einem zehntägigen Pflichtunterricht einberufen. Im Anschluß daran bekämen sie ein Abschlußzeugnis für die Grundschule und würden folglich bei der Inspektion als „dem Analphabetentum entrissen“ präsentiert.

Zudem sind die fachlichen Qualifikationen der Lehrer vor Ort und der Ausbildungsstandard unzureichend… Insbesondere wurde ein Mangel an Lehrpersonal mit höherer Bildung festgestellt. In entlegenen Gebieten gilt zudem: „eine Schule – ein Lehrer“.

Tibetischer Buddhismus

IV. Tibetischer Buddhismus

„Patriotische Umerziehungskampagne“

Nach den Protesten von 2008 hat China die Kampagne für „Patriotische Umerziehung“ sowohl für die Klöster als auch für die allgemeine Bevölkerung häufiger und verstärkt durchgeführt. Hao Peng, der stellvertretende Parteichef für Tibet, forderte die Intensivierung der patriotischen Erziehung, „um die Masse der Mönche zur Entfaltung einer dauerhaften patriotischen Haltung anzuleiten.“[27]

Die Kampagne ist eines der wichtigsten Werkzeuge Pekings, mit dem der Buddhismus in eine kommunistische Schablone gepreßt und der Gehorsam des geistlichen Standes dem Staat gegenüber getestet werden soll. Es ist praktisch unmöglich, in den Genuß einer vollständigen religiösen Erziehung zu kommen. Tausende Mönche und Nonnen wurden inhaftiert oder aus ihren Klöstern ausgeschlossen, nur weil sie den offiziellen Anordnungen nicht gefolgt sind.

Verinnerlichter versus veräußerlichter Buddhismus

Die VR China versucht den tibetischen Buddhismus mittels gesetzlicher Regelungen in eine sogenannte „normale“ Religion umzuwandeln. „Normale“ Religionen unterstehen der Kontrolle des Staates und sind „patriotisch“ ausgerichtet.

Im chinesischen Weißbuch zur Minderheitenpolitik wird klar, mit welchem Nachdruck die VR den externalisierten Buddhismus verficht:

„Es gibt in Tibet über 1.700 buddhistische Andachtsstätten, und in den Tempeln leben 46.00 Mönche und Nonnen. Dort werden die üblichen traditionellen buddhistischen Aktivitäten ausgeübt. Sie erstrecken sich vom Sutra-Studium und eifrigem Debattieren über das Scheren der Haare und Abhisheka (Weihe) und andere buddhistische Praktiken bis zur Erlangung akademischer Grade und der Ordinierung. Gebetsfahnen, Mani-Steine und tibetisch-buddhistische Gläubige trifft man überall in Tibet an.“

Die echte Ausübung des tibetischen Buddhismus erfordert indessen lange Stunden des Studiums, der Kontemplation und Meditation über dessen fundamentale Aspekte. Eine Gonpa (wörtlich: abgeschiedener Ort) oder Kloster liegt üblicherweise in etwa zwei Meilen Entfernung von der nächsten Ansiedlung. Diese Zurückgezogenheit und Distanz ermöglichen dem praktizierenden Gläubigen den körperlichen und geistigen Rückzug aus dem weltlichen Leben.

Gegenwärtig werden Mönche und Nonnen regelmäßig zur Teilnahme an politischen Schulungen verpflichtet, die schon ihrer Natur nach einen Eingriff in ihre religiösen Studien darstellen. Dabei wird auch ihre Loyalität gegenüber dem Staat geprüft. All dies behindert das umfassende Studium der tibetischen buddhistischen Philosophie.

TAR-spezifische Richtlinien für die Einsetzung und Reinkarnation buddhistischer Würdenträger

Am 19. September 2006 verabschiedete die Volksregierung der TAR die Richtlinien für die Einsetzung und Reinkarnation buddhistischer Würdenträger für diese Region. Darin wird die staatliche Kontrolle über praktizierende Gläubige, reinkarnierte Lamas, die Religionsausübung und die Stätten der buddhistischen Andacht festgeschrieben. Ferner enthalten die Richtlinien juristische Bestimmungen für die Anerkennung von Reinkarnationen. Zusammengenommen stellt das einen umfassenden Zugriff auf die Auswahl, Einsetzung und Erziehung von reinkarnierten Lamas dar.

Es ist offensichtlich, dass die Behörden der VR China auf diesem Wege die Kontrolle über die künftige Reinkarnation Seiner Heiligkeit des Dalai Lama anstreben.

Demokratische Managementkomitees (DMK)

Die DMKs sind die Verwaltungsorgane der Klöster. Sie setzen sich aus Mönchen und Nonnen zusammen, deren politische Haltung streng unter die Lupe genommen wurde. Sie regeln den Ablauf, die Aktivitäten und die Lehrtätigkeit der Klöster. Alle Mönche und Nonnen müssen darauf achten, dass ihre religiösen Studien, ihre Glaubensbekundung und ihre Religionsausübung den Anforderungen der „Arbeitsgruppen“ entsprechen, die ins Kloster kommen, um dort die Kampagnen zur „patriotischen Umerziehung“ durchzuführen. 

Die Anti-Dalai-Lama-Kampagne

Der Dalai Lama ist der Inbegriff des tibetischen Buddhismus. 90 Prozent der Tibeter sind Buddhisten. Somit führt die Anti-Dalai-Lama-Kampagne, mit deren verschiedenen Varianten die Behörden der VR China die Tibeter überziehen, die klösterlichen Gemeinschaften in einen direkten Konflikt zwischen ihrer religiösen Loyalität zum Dalai Lama und dem ihnen abverlangten Gehorsam gegenüber der kommunistischen Partei. Der geistliche Stand ist von diesem Kampf zwischen Möglichkeien und ihren Folgen am meisten betroffen.

Religiöse Gestalten und Geshes

Die Verfolgung und Schikanierung populärer religiöser Würdenträger durch die chinesischen Behörden sind praktisch vorprogrammiert. Ihnen wird unterstellt, dass sie die örtliche Bevölkerung zu politischem Aktivismus aufhetzen, weshalb sie verfolgt werden. Manche kamen ins Gefängnis und andere wurden unter Hausarrest gestellt.

Geshes spielen eine wichtige Rolle für die Übermittlung der Religionsinhalte und die Bewahrung der tibetischen Kultur. Nur „politisch korrekte“ Lamas genießen die „ungeschmälerten Rechte der religiösen Freiheit“. Anderen dagegen werden die Registrierung und damit der Zugang zu den Klöstern verweigert. Dadurch soll verhindert werden, dass sie die tibetischen Laien unterweisen können.

Rassendiskriminierung

V. Rassendiskriminierung

Ethnische Feindseligkeit und Diskriminierung

Wie die chinesischen Intellektuellen von Gongmeng festgestellt haben, führte „die propagandistisch übertriebene Berichterstattung über die ethnisch bedingten Gewaltakte“ bei den Protesten von 2008 zu gesteigerten ethnischen Spannungen und Diskriminierung. Beispielsweise wurden Tibetern, wenn sie in Hotels absteigen wollten, wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit Zimmer verweigert.

Woeser berichtet in ihrem Blog unter dem Titel „Ethnische Säuberungen in Lhasa“ über die Ausweisung oder Verhaftung von Tibetern aus Amdo und Kham, die über keine Haushaltsregistrierung oder temporäre Aufenthaltserlaubnis für Lhasa verfügten. Sie klagt: „Lhasa wird derzeit zum Schweigen gebracht und erfährt ethnische Diskriminierung, ethnische Segregation und ethnische Säuberungen.“[28]

Minderheit versus Mehrheit

Die tibetische Minderheit wird als exotisch und zurückgeblieben dargestellt. Statt die wirkliche Kultur und Tradition der Tibeter zu fördern und zu erhalten, dient diese Art der Darstellung nur den Propagandazwecken und politischen Absichten der VR China.

Einige Intellektuelle wie Dru C. Gladney sind der Ansicht, derartige Darstellungen von Minderheiten würden einen Mehrheitsdiskurs überhaupt erst ermöglichen. China bezeichnet sich als ein auf dem sowjetischen Modell basierender multiethnischer und demokratischer Staat. Dabei weiß jeder, dass es Autonomie nur auf dem Papier gibt. Gladney zufolge will China als ein modernes multiethnisches Staatswesen wahrgenommen werden und weist Kritik aus dem Ausland hinsichtlich der chinesischen Tibetpolitik zurück. „Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass so oft behauptet wird, die Tibeter seien von der demokratischen Befreiung durch China geradezu begeistert gewesen“, sagt Gladney.[29] 


Fußnoten

[1] Bin Yang, „Between Winds and Clouds: The Making of Yunnan, Second Century BCE to Twentieth Century CE“, Gutenburg, Columbia University Press, p. 19.

[2] Lai Hongyi, “The Evolution of China’s Ethnic Policies”, EAI Background Brief 440, 12 March 2009, http://www.eai.nus.edu.sg/BB440.pdf [3 November 2009]

[3] “Full Text of White Paper on Ethnic Policy”, China Daily, http://www.chinadaily.com.cn/china/2009- 09/27/content_8743072.htm [17 October 2009]

[4] “China issues White Paper on Ethnic Policy”, China Daily, 27 September 2009, http://www.chinaethnicgroups.com/china/2009- 09/27/content_8742753.htm [3 November 2009]

[5] Duan Jiulong, Director General of the Department of Treaty and Law, Ministry of Foreign Affairs of China, “PRC’s combined tenth to thirteenth report on their implementation of the provision of International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination”, presented to the United Nations Committee on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, 10 August 2009, http://www.hrea.org/wv/index.php?base_id=116&list_id=18&language_id= 1&msg_id=13841 [3 November 2009]

[6] Cheng Li, “Ethnic Minority Elites in China’s Party-State Leadership: An Empirical Assessment”, China Leadership Monitor, No.25, Summer 2008, http://www.brookings.edu/articles/2008/summer_china_li.aspx [3 November 2009]

[7] “Full Text of White Paper on Ethnic Policy”, China Daily, http://www.chinadaily.com.cn/china/2009- 09/27/content_8743072.htm [17 October 2009]

[8] United Nations Development Program, Human Development Report 1997, New York, Oxford University Press, 1997, http://hdr.undp.org/en/reports/global/hdr1997/chapters/ [2 November 2009]

[9] As cited in Melvyn C. Goldstein, “Development and Change in Rural Tibet”, Asian Survey, The University of North Carolina Press, Vo. 43, October 2003

[10] June Teufel Dreyer, “Economic Development in Tibet under the People’s Republic of China”, Journal of Contemporary China, Volume 12, Issue 36, August 2003, pages 411-430.

[11] Chen Kuiyuan, “Requirements and hopes for the Third Working Meeting on Tibet”, Xizang de Jiaobu (Tibet’s Steps), Gaoji Ganbu Wenku (High Level Cadre Documents Series), Zhonggong Zhongyang Dangxiao Chubanshe, Beijing, 1999, pp. 194, 196-197, as cited in Robert Barnett (East Asian Institute, Columbia University), “The Chinese Frontier man and the Winter Worms – Chen Kuiyan in the T.A.R, 1992-2000”, in papers from the History of Tibet Seminar, St. Andrew’s University, Scotland, August 2001.

[12] Wang Lixiong, “A True ‘Middle-Way’ Solution to Tibet Unrest”, China Security, Vol. 4,.No.2, Spring 2008.

[13] Gongmeng Law Research Center, “An investigative report into the social and economic causes of the 3.14 incident in Tibetan areas”, 12 May 2009.

[14] Ibid.

[15] Wang Lixiong, “A True ‘Middle-Way’ Solution to Tibetan Unrest”, China Security, Vol.4. No.2, Spring 2008.

[16] Robert Barnett, “The Tibet Protests of Spring, 2008: Conflict between the Nation and the State”, China Perspectives, 2009.

[17] Luwo Tsetan, “An Account of the Serious Falsification of Data Concerning the Universal Nine-Year Compulsory Education and the Elimination of Illiteracy Among Youths and Adults in Chidril Country, Qinghai Province”, http://www.highpeakspureearth.com/2008/09/lies-damned-lies-and- statistics.html [3 November 2009]

[18] As cited in Tibetan Centre for Human Rights and Democracy, “Annual Report on Human Rights Situation Inside Tibet 2004”, www.tchrd.org/publications/annual.../2004/chapter1_1.html [17 October 2009].

[19] “Chinese Government mandates ethnic unity education to promote party policy”, Congressional Executive Commission on China, 19 December 2008, http://www.cecc.gov/pages/virtualAcad/index.phpd?showsingle=115663# [3 November 2009]

[20] G. Postiglione, “China’s National Minority Education: Culture, Schooling and Development”, New York, Falmer Press, 1999.

[21] Nima, as cited in G. Postiglione, 1999, p. 134.

[22] Zhuo Xiulan (2007) “China’s Policy Towards Minority Language in a Globalising Age”, Transnational Curriculum Inquiry, 4 (1), http:nitinat.library.ubc.ca/ojs/index.php/tci [8 October 2009]

[23] Nima, Badeng “Problems related to bilingual Education in Tibet”, Kham Aid Education Program, http://www.khamaid.org/programs/education/Tibetan%20language%20in%20 education.htm [1 November 2009]

[24] “National Report Submitted in accordance with Paragraph 15 (a) of the Annex to Human Rights Council Resolution 5/1”, Fourth session of the UN General Assembly Human Rights Council on the Universal Periodic Review, 2-13 February 2009, http://lib.ohchr.org/HRBodies/UPR/Documents/Session4/CN/A_HRC_WG6_4_ CHN_1_E.pdf [1 November 2009]

[25] Nima, Badeng “Problems related to bilingual Education in Tibet”, Kham Aid Education Program, at http://www.khamaid.org/programs/education/Tibetan%20language%20in%20 education.htm [1 November 2009]

[26] Bonnie Johnson and Nalini Chhetri, “Exclusionary Policies and Practices in Chinese Minority Education: The Case of Tibetan Education”, Current Issues in Comparative Education, Columbia University, 30 April 2002.

[27] Barbara Demick, “China orders Tibetans re-educated about Dalai Lama”, Los Angeles Time, 8 April 2008, http://articles.latimes.com/2008/apr/08/world/fg-reeducate8 [2 November 2009]

[28] Woeser, “Ethnic cleansing in Lhasa”, Translated by Highpeakspureearth on January 10, 2009, http://www.highpeakspureearth.com/2009/01/ethnic-cleansing-in-lhasa- by-woeser.html  [1 November 2009]

[29] Dru C. Gladney, “Representing Nationality in China: Refiguring Majority/Minority Identities”, The Journal of Asian Studies, Vol.53, No 1: 92-123. Special Issue on Ethnic and Cultural Nationalism in Asia, 1994, http:www.hawai.edu/dru/articles/exotic.pdf  [7 October 2009]