10. Dezember 2009

Department of Information & International Relations (DIIR)
Central Tibetan Administration
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Erklärung des Kashag zum 20. Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises an Seine Heiligkeit den Dalai Lama

Am heutigen Tag, an dem wir zugleich die 20. Wiederkehr der Verleihung des Friedensnobelpreises an Seine Heiligkeit den Dalai Lama und den Internationalen Tag der Menschenrechte feiern, möchte der Kashag [Ministerrat der Tibetischen Regierung-im-Exil] zuallererst dem Dalai Lama in tiefer Dankbarkeit seine Ehrerbietung bezeugen. Gleichzeitig entbietet der Kashag seine besten Wünsche allen Tibetern innerhalb und außerhalb Tibets.

Friedensnobelpreis 1989
Bild: Tibet Bureau, Genf

Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat sich unermüdlich um die Lösung der Tibetfrage bemüht und sich insbesondere für die Erhaltung und Förderung der einzigartigen Sprache, Kultur und Religion Tibets eingesetzt. Seine Bemühungen gelten gleichermaßen dem Weltfrieden, interreligiöser Harmonie, den grundlegenden menschlichen Werten, dem Umweltschutz und dem Prinzip der universalen Verantwortung. Sein Beitrag zu diesem Themenfeld ist so unvorstellbar groß, dass ihm in vielen Ländern und von vielen Organisationen weltweit mehr als 100 Preise und Würdigungen verliehen wurden.

Allein in diesem Jahr wurde er mit folgenden Preisen und Würdigungen ausgezeichnet:

  • Ehrenbürgerschaft von Warschau
  • Ehrendoktorat der Universität Marburg
  • International Freedom Award des National Civil Rights Museum in Memphis
  • Prize for Love and Forgiveness des Fetzer-Instituts in Vancouver
  • Ehrendoktorwürde der Universität Calgary
  • Tom Lantos Menschenrechtspreis in den USA

Diese Auszeichnungen wurden Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama zusätzlich zu der weltweit wohl am meisten geachteten Ehrung, dem Friedensnobelpreis, zuteil, den er 1989 verliehen bekam. Deshalb ist der heutige Tag nicht nur für seine Anhänger, besonders die Tibeter in seiner traditionell das „Schneeland“ genannten Heimat, sondern für alle friedliebenden Menschen auf der ganzen Welt ein denkwürdiger Tag. Zu dieser besonderen Gelegenheit möchte der Kashag im Namen aller Tibeter Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama seine tiefempfundene Dankbarkeit für alles, was er für uns getan hat, zum Ausdruck bringen. Wir beten, dass ihm ein langes Leben beschieden sein möge um der Menschheit im Allgemeinen willen, und insbesondere aber um der Menschen im „Schneeland“ willen, die immerdar zu ihm aufblicken und hoffen, eines Tages wieder seiner erbarmungsvollen Gestalt ansichtig zu werden. Der Kashag betet auch dafür, dass er seine verdienstvollen Werke im religiösen und weltlichen Bereich noch lange weiterführen können möge.

Heute jährt sich die Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum 63. Mal. Dennoch gibt es auf der Welt keinen wirksamen Schutz der grundlegenden Menschenrechte. Im Gegenteil: Die militärisch und wirtschaftlich starken Nationen triumphieren immer mehr über die schwächeren Länder. Es ist, wie wenn ein großes Insekt das kleinere frisst. Die politische und wirtschaftliche Globalisierung ist der Hauptgrund für die Nichtachtung der Menschenrechte und sie führt zur systematischen Ausrottung traditioneller Kulturen und Religionen; einheimische Bräuche und Sprachen von Völkern und Gemeinwesen werden vernichtet. Doch statt sich diesen Herausforderungen zu stellen, zieht man es vor, sie nicht einmal wahrzunehmen. Das ist der Grund für unsere Besorgnis.

Am 1. Oktober dieses Jahres beging China den 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik. Im Rahmen der Festlichkeiten gab es eine gewaltige, achtungsgebietende und furchteinflößende Militärparade. Einigen Kommentaren in den Medien zufolge war ihr Zweck nicht die Einschüchterung äußerer Feinde, sondern sie zielte in erster Linie auf die Tibeter, die Uighuren und Dissidenten in China ab, die andere Werte haben als die des chinesischen Regimes. So wurden die Demonstrationen in Ostturkestan (chin. Xinjiang) im Juli dieses Jahres grausam unterdrückt und auch bei den friedlichen Protesten in ganz Tibet im vergangenen Jahr kamen durch das brutale Vorgehen der chinesischen Regierung unzählige Menschen ums Leben.

Unserem Informationsstand vom 27. Oktober dieses Jahres zufolge kamen vom März 2008 bis heute 228 Tibeter bei der Niederschlagung der Proteste ums Leben. Die Namen und persönlichen Daten von 118 dieser Todesopfer sind uns bekannt. 371 Tibeter wurden zu Haftstrafen verurteilt; 4657 Tibeter wurden festgenommen bzw. verhaftet; 990 Tibeter sind verschwunden und 1294 wurden im Verlauf der friedlichen Proteste verletzt. Wer kann sagen, wie viele andere Tibeter, über die wir nichts wissen, getötet, inhaftiert oder gefoltert wurden und werden?

Ganz besonders besorgt sind wir über das Schicksal des jungen Panchen Lama, Gendun Choekyi Nyima, den die chinesische Regierung im Kindesalter festnehmen ließ, womit sie grob gegen die UN-Konvention über die Kinderrechte verstieß. Obwohl er inzwischen 20 Jahre alt ist, werden ihm noch immer seine Menschenrechte verweigert, und niemand kennt seinen Aufenthaltsort. Wir fordern die sofortige Freilassung aller unschuldigen politischen Gefangenen einschließlich Gendun Choekyi Nyima.

Zuverlässigen Informationen in den Medien zufolge wurden die beiden Tibeter Lobsang Gyaltsen und Loyak wegen ihrer Beteiligung an den friedlichen Protesten von Lhasa im vergangenen Jahr hingerichtet. Drei weitere Tibeter namens Kangtsuk, Tenzin Phuntsok und Penkyi (weiblich), die mit zweijährigem Aufschub zum Tode verurteilt worden waren, sind ebenfalls hingerichtet worden. Es liegen weitere Informationen über Tibeter in anderen Regionen Tibets vor, die verhaftet und zu ähnlichen Strafen wie die oben erwähnten verurteilt wurden.

Es besteht scheinbar keine Hoffnung mehr auf eine Änderung des Hardliner-Kurses in der chinesischen Tibetpolitik, damit sich die oben geschilderte erschreckende Lage bessern könnte. Es gibt auf der anderen Seite aber auch zahlreiche chinesische Anwälte, Intellektuelle und normale Menschen, die sich nicht von der staatlichen Propaganda täuschen lassen und entsprechende Berichte veröffentlichten. Obwohl die chinesische Regierung die Nachrichtenmedien streng kontrolliert, gibt es dennoch eine steigende Anzahl von im Internet veröffentlichten Artikeln, die sich positiv mit der Tibetfrage befassen. Auch auf der internationalen Arena ist die Unterstützung für die tibetische Sache stärker denn je.

Vom 6. - 8. August fand in Genf die Internationale Sino-Tibetische Konferenz statt. Im Abschlusskommuniqué unter dem Motto „Eine gemeinsame Basis finden“ heißt es: „Die eigentliche Ursache der Tibetfrage ist nicht etwa ein Konflikt zwischen dem chinesischen und dem tibetischen Volk, sondern die autokratische Herrschaft der VR China und ihr kultureller Genozid in Tibet. Die Behauptung der Regierung in Peking, Tibet hätte ‚seit jeher’ zu China gehört, entspricht nicht den Tatsachen. Ferner äußerten sich alle Konferenzteilnehmer lobend über den Mittleren Weg des Dalai Lama.“

Am 18. und 19. November dieses Jahres wurde in Rom die fünfte Weltparlamentarierkonferenz abgehalten. In ihrer Abschlusserklärung heißt es: „Es muss international Druck ausgeübt werden, damit es zu einem sinnvollen Dialog zwischen den Gesandten des Dalai Lama und der chinesischen Führung kommt; ferner sind ernstgemeinte Verhandlungen zwischen der chinesischen Regierung und den Gesandten des Dalai Lama zu unterstützen, damit es zu einer befriedigenden Lösung der Tibetfrage kommt. Als realistische und konstruktive Verhandlungsgrundlage sollte das ’Memorandum über echte Autonomie’ dienen.“

Auch dieses Jahr wieder gaben acht Nobelpreisträger eine Erklärung zur Unterstützung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama und des tibetischen Volkes ab, in der es heißt: „Wir fordern die chinesische Regierung dazu auf, unverzüglich konstruktive Schritte zur Lösung der Tibetfrage zu unternehmen und ihre repressive Politik, durch die die verarmten Tibeter in ihrem eigenen Land weiter marginalisiert werden, einzustellen. Die chinesische Regierung wird große Erfolge bei der Sicherstellung von Frieden und Einheit ihn ihrem Land erzielen, wenn sie die in der chinesischen Verfassung festgelegten Rechtsvorschriften im Hinblick auf eine dem Gesetz entsprechende und sinnvolle Autonomie für alle Tibeter umsetzt.“

Am selben Tag, dem 1. Oktober 2009, als die chinesische Regierung mit einer protzigen Zurschaustellung ihrer militärischem Macht das 60. Gründungsjubiläum der VR China feierte, gab die US-Regierung die Ernennung von Maria Otero zur Sonderbeauftragten für Tibet betreffende Fragen bekannt. Ihre Aufgabe ist die Koordinierung der US-Tibetpolitik sowie der tibet-spezifischen Planungen und Programme. Ferner wird sie sich um die Schaffung einer förderlichen Atmosphäre für den Dialog zwischen den Gesandten des Dalai Lama und der chinesischen Regierung bemühen. Zudem soll sie sich führend für den Erhalt der einzigartigen tibetischen Kultur einsetzen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao, die am 17. November 2009 in der Großen Halle des Volkes in Peking stattfand, forderte der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama, die chinesische Regierung auf, Gespräche mit den Gesandten Seiner Heiligkeit des Dalai Lama zu führen. Dies ist ein deutliches Zeichen für die Unterstützung und das Interesse der internationalen Gemeinschaft und der Regierung der USA an der tibetischen Sache.

Die Einigkeit der Nationalitäten ist die eigentliche Basis für die Stabilität eines Vielvölkerstaates wie China, während die Stabilität Chinas die Grundlage für den Weltfrieden ist. Diese Tatsache kann von niemandem geleugnet werden. Die Tibetische Zentralverwaltung unter der Führung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama ist der freie Sprecher für 6 Millionen Tibeter. Aus diesem Grund wurde den Vertretern der VR China wiederholt erklärt, dass wir zur Lösung der Tibetfrage den Mittleren Weg eingeschlagen haben, der eine Lösung der Tibetfrage innerhalb des Rahmens der Verfassung der VR China vorsieht. Darüber hinaus sind wir verpflichtet bei unseren Gesprächen dieses Memorandum zur Grundlage zu nehmen, welches die Gesandten Seiner Heiligkeit des Dalai Lama bei dem 8. Zusammentreffen den Angehörigen der Abteilung für die Einheitsfrontabteilung überreichten. Was uns betrifft, so werden wir weiterhin auf eine Lösung hinarbeiten, bei der Tibeter und Chinesen nicht getrennt werden.

Damit das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Zusammenarbeit und des Dialogs werde, sollten die Staaten und Völker harmonisch zusammenleben. Wo immer es Konflikte zwischen Staaten und Völkern gibt, sollten sie nicht mit Gewalt gelöst werden; statt dessen sollten alle vernünftig genug sein, ihre Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln zu klären. Friedliche Lösungen sind nicht nur zeitgemäß, sondern sie entsprechen auch der Sehnsucht der Menschen nach universellen Werten wie Gleichheit, Freiheit, Demokratie und Menschenrechten. Im langfristigen Interesse der Tibeter und Chinesen und um der Stabilität in China willen muss die derzeitige chinesische Führung unbedingt den Aufruf der internationalen Gemeinschaft beachten.

Als der Premierminister Indiens letzten Monat bei seinem Staatsbesuch in den USA über die indische Außenpolitik sprach, äußerte er sich ebenso: „Ich meine, die Achtung für die fundamentalen Menschenrechte, die Achtung für die Rechtsstaatlichkeit, die Achtung für multikulturelle, multiethnische, multireligiöse Werte sind ausschlaggebend. Auch wenn die Inder, was das BIP betrifft, zwangsläufig nicht so gut wie die Chinesen dastehen, würde ich ganz gewiss nicht den chinesischen Weg wählen wollen.“

Im Verlauf der letzten 50 Jahren waren über einhunderttausend Tibeter mit ihrem Oberhaupt, Seiner Heiligkeit dem Lama, an der Spitze vollkommen frei, ihre Kultur zu erhalten und ihren Kampf um ihre Heimat weiterzuführen. Wir möchten der Bevölkerung und der Regierung Indiens sowie den einzelnen Landesregierungen Indiens aus tiefstem Herzen danken. Wir danken auch all unseren Unterstützern in der ganzen Welt.

Abschließend betet der Kashag noch einmal für ein langes Leben Seiner Heiligkeit des Dalai Lama und für die spontane Erfüllung all seiner Wünsche. Möge die Wahrheit in der Tibetfrage bald die Oberhand gewinnen.

Der Kashag am 10. Dezember 2009

Das Original der Erklärung ist in Tibetisch, falls es Ungereimtheiten zwischen der englischen und tibetischen Version gibt, gilt die tibetische als maßgeblich und endgültig.