15. Mai 2008
Department of Information & International Relations - Central Tibetan Administration
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Die Antwort der Tibetischen Zentralverwaltung (CTA) auf die Unterstellungen der chinesischen Regierung (Teil 1)

Seit dem Ausbruch der friedlichen Proteste in Tibet am 10. März 2008 macht sich die chinesische Regierung den ganzen Einfluß der staatlichen Medien zunutze, um Beschuldigungen gegen die "Dalai Clique" zu verbreiten. Diese reichen von der "Inszenierung der jüngsten Proteste in Tibet durch Seine Heiligkeit den Dalai Lama" bis zum "Versuch der Wiederherstellung des Feudalismus in Tibet".

Dies ist der erste Teil der Antwortserie der CTA (Central Tibetan Administration = tibetische Regierung-im-Exil) auf diese Anschuldigungen.

Die chinesische Übersetzung dieser Erwiderung steht auf www.xizang.zhiye.org zur Verfügung, die tibetische findet sich auf www.tibet.net/tb/

Das Spiel der chinesischen Regierung mit Tadel und Schande

Seit Beginn der massiven Proteste in weiten Teilen Tibets (1) am 10. März erhob die chinesische Führung eine Beschuldigung um die andere. Peking warf der "Dalai Clique" vor, sie habe diese Demonstrationen geplant und inszeniert. Peking behauptet, es habe sich dabei um "gewalttätige, von Terroristen organisierte" Demonstrationen mit dem Ziel der Abspaltung Tibets vom Mutterland gehandelt. Am 18. April äußerte Premier Wen Jiabao den internationalen Medien gegenüber, seiner Regierung lägen zahlreiche Fakten und Beweise vor, anhand derer belegt werden könne, daß die Dalai Clique den Aufruhr in Tibet organisiert, von langer Hand geplant und inszeniert habe.

China zufolge beweisen die Demonstrationen, daß das Engagement Seiner Heiligkeit (S.H.) des Dalai Lama für die Gewaltlosigkeit nur ein Lippenbekenntnis ist. China behauptet, Dharamsala sei zum "Epizentrum der Lügen" geworden und die Regierung-im-Exil habe seit Ausbruch der Unruhen in Lhasa ständig neue Lügengeschichten erfunden.

China sagt, die Appelle S.H. des Dalai Lama an „unsere chinesischen Brüder und Schwestern“ dienten nur dazu, "die Unruhen in Tibet weiter anzustacheln". Am 9. April erklärten die chinesischen Behörden, „die Stellungnahmen der Dalai Clique seien darauf ausgerichtet, die Feindseligkeit zwischen den ethnischen Gruppen in Tibet zu schüren und die sogenannte Tibetfrage zu einer internationalen zu machen“.

Der Krieg der Worte wird von den Chinesen so erbittert geführt, daß sie sogar schon ein Buch mit dem Titel "Lügen und Wahrheit" veröffentlicht haben. Dabei gehen die Lügen alle von der tibetischen Seite aus, während die Wahrheit bei Peking ist. Das Buch wurde am 4. April in Peking von Sanlian, das zur China Publishing Group gehört, herausgegeben. Dem Verlag zufolge handelt es sich dabei um das in der kürzesten Zeit herausgebrachte Buch in seiner Geschichte. Es wurde am 27. März in Auftrag gegeben und am 3. April veröffentlicht. Der Verlagschef von Sanlian, Zhang Weimin, erklärte dem chinesischen Sender CCTV: "Wir mußten eine Antwort verfassen, um unsere Position darzustellen. Wir haben uns bemüht, für alle, die die Wahrheit nicht kennen, den tatsächlichen Stand der Dinge aufzuzeigen, und wir wollen mit diesem Buch die absurden und irreführenden Berichte der westlichen Medien widerlegen."

Das Buch besteht aus einer Sammlung bereits früher veröffentlichter Artikel und wiederholt die sattsam bekannten Anschuldigungen Pekings gegen die "Dalai Clique" und ihre angebliche Verantwortung für die Unruhen in Tibet. "Lügen und Wahrheit" ist ein Versuch, die "entstellenden" Berichte der westlichen Medien über die Vorgänge in Tibet zu entkräften. Ein längerer Abschnitt des Buches befaßt sich mit den "großen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Fortschritten" in Tibet.

"Lügen und Wahrheit" richtet sich an chinesische Leser. Die intensive Berichterstattung der westlichen Medien über Chinas Problemfall Tibet hat das Vertrauen der chinesischen Bevölkerung in ihre Regierung und deren Umgang mit der Tibetfrage erschüttert. Daher sah sich Peking veranlaßt, einen Versuch zu starten, um dem eigenen Volk seine Politik und Handlungsweise darzulegen.

Wer steckt hinter den Protesten in Tibet?

Die nicht endenden Vorwürfe der chinesischen Regierung, S.H. der Dalai Lama habe die jüngsten Proteste in Tibet organisiert, sind nichts Neues. Es ist schon Tradition geworden, daß die VR China anderen die Verantwortung für die katastrophalen Folgen ihrer falschen Politik zuschiebt: Schon kurz nach der Gründung der VR China im Jahr 1949 entwickelte sie diese ausgefeilte und wohlbekannte Strategie. In einer demokratischen Gesellschaft können falsche politische Entscheidungen jederzeit durch die Wahlurne bewertet und korrigiert werden. Wegen des Machtmonopols der KPC ist das in China aber nicht möglich. Um den Anschein der Legitimität zu wahren, sucht sich die jeweilige Führungsriege mit schöner Regelmäßigkeit Sündenböcke, denn sonst müßte sie ja zu ihren politischen Fehlern stehen. Lord Acton sagte einmal: "Die Geschichte vermag den Falschen eine immerwährende Strafe aufzubürden". So ist es nicht überraschend, daß die KPC, um mit Jasper Becker zu sprechen, glaubt, ihre Kontrolle über die Vergangenheit sei der Schlüssel zu ihrer Zukunft, wohl wissend, daß ihr Überleben von ihrer Fähigkeit abhängt, auch immense Fehlleistungen zu vertuschen.

Als Beispiel sei die große Hungersnot in China von 1958-1961 genannt. Damals sind mehr als 30 Millionen Chinesen verhungert. Der Rest der Welt erfuhr nichts über diese von Menschen verursachte Katastrophe. Die Ursache für dieses Desaster war Maos Kampagne "Drei rote Fahnen", mittels derer die die gesamte Gesellschaft in eine dem Militär ähnliche Organisation umgewandelt werden sollte. Diese sollte wie im Krieg nach der Kriegswichtigkeit funktionieren und in Industrie und Landwirtschaft ein völlig unrealistisches Wachstum ermöglichen, das China mit einem Schlag von einem Agrarland in eine durchorganisierte kommunistische Industriegesellschaft verwandelt hätte. Als ihm bisher nie gekannte massive Kritik aus den Reihen der eigenen Führungsmannschaft entgegenschlug, gab Mao dem Wetter die Schuld. So wischte er 30 Millionen Tote einfach hinweg. Mit dem Wetter in China war alles in Ordnung - mit Maos Politik leider nicht. Bis vor relativ kurzer Zeit wußte die Welt kaum etwas darüber.

1962 überreichte der X. Panchen Lama die Petition der 70.000 Schriftzeichen an Mao und die übrige chinesische Führung. Darin beschrieb der Panchen Lama die tatsächliche Situation, wie sie in allen Regionen Tibets herrschte. Er erklärte, wenn die Lage nicht verbessert würde, wären der tibetische Buddhismus, die tibetische Kultur und die ureigene Identität der Tibeter bald ausgelöscht. Anstatt dem Panchen Lama Respekt für diesen mutigen Akt zu zollen und sich seine wohlmeinende Kritik zu Herzen zu nehmen, verurteilte Mao ihn als "reaktionären feudalen Oberherrn" und bezeichnete seine Petition als "einen gegen die Partei abgeschossenen vergifteten Pfeil". Der Panchen Lama verbrachte 14 Jahre in Einzelhaft und unter Hausarrest.

Um seinen Führungsanspruch zu sichern, der dank des "Großen Sprungs nach vorne" und der "Hundert-Blumen-Kampagne" erheblich gelitten hatte, entfesselte Mao 1966 die Kulturrevolution, die zu einem Horror für das ganze Land wurde. 1976 waren die höheren und mittleren Ränge der chinesischen Führung stark dezimiert und das Land versank im Chaos. Wer wurde für dieses Desaster verantwortlich gemacht? Nicht Mao, sondern die Viererbande, der auch seine Ehefrau angehörte. Madame Jiang Qing sagte einmal bei einer Gerichtsverhandlung: "Ich war der Hund des Vorsitzenden Mao. Ich biß jeden, den er mir zu beißen befahl". Wie gewöhnlich kam Mao blütenweiß und unversehrt davon. Sein Nachfolger Deng Xiaoping, der nach seinem Tod im Jahr 1976 an die Macht kam, urteilte, Mao sei zu 70% gut und zu 30% schlecht gewesen, obwohl er selbst enorm unter der Kulturrevolution zu leiden hatte und sein Sohn durch Gewaltakte zum Krüppel wurde.

Wenn die chinesische Regierung Verbrechen von derartigem Ausmaß vor ihrem eigenen Volk und dem Rest der Welt vertuschen kann - um wie viel leichter wird es dann erst für sie sein, ihre Fehler in Tibet und das dadurch verursachte Elend zu verschleiern?

In den Jahren 1987, 1988 und 1989 wurde Tibet von einer Reihe von Demonstrationen erschüttert. Diese wurden brutal niedergeschlagen, und schließlich wurde 1989 in Lhasa das Kriegsrecht ausgerufen. Wieder einmal zeigten die chinesischen Behörden mit dem Finger auf S.H. Auf die gleiche Weise und im selben Jahr beschimpfte Peking die Mitglieder der Demokratiebewegung vom Tiananmen-Platz als "ein paar Reaktionäre". Dabei war dieses Ereignis das folgenschwerste in der an Problemen nicht armen Geschichte des modernen Chinas. Was als friedliche Gedenkveranstaltung für den verstorbenen Reformpolitiker Hu Yaobang begann, wurde zu einer machtvollen Demokratiebewegung. Diese Bewegung, die im Herzen Pekings begann, wurde von Solidaritätskundgebungen in den meisten chinesischen Großstädten unterstützt. Schließlich feuerten Truppen der Volksbefreiungsarmee in die Menge und über Peking wurde das Kriegsrecht verhängt. Während der Krise traf Premier Zhao Ziyang tränenüberströmt mit den Studentenführern zusammen, um sie zur Beendigung ihrer Proteste zu bewegen. Die Studenten hatten keine schlechten Absichten gegenüber der KPC. Sie wollen nur ein Ende der Korruption, demokratische Reformen, Freiheit und Menschenrechte. Aber die Parteiführung beschloß, obwohl sie sich uneinig war, letztlich, auf ihre Forderungen mit Gewalt zu antworten. Das war das Ende der Karriere von Zhao Ziyang. Er wurde als Premierminister abberufen und unter strengen Hausarrest gestellt. Aber das wahre Opfer der übermäßigen Gewaltanwendung der Regierung war das chinesische Volk, das so viel mehr verdient, als seine Führung ihm zugesteht - dieses Volk verdient Respekt, Toleranz, Menschenwürde und Menschenrechte.

China hat bis heute keine überzeugende Aufklärung der Hungerkatastrophe von 1958/1961, der Greuel der Kulturrevolution und der unmenschlichen Unterdrückung der Studentenproteste von 1989 zugelassen. Das chinesische Volk verdient eine Erklärung für soviel Brutalität.

Dasselbe gilt für die unerbittliche Anwendung roher Gewalt während der aktuellen Krise in Tibet. Chinas Tibetproblem wird sich weder durch die Beschuldigung des Dalai Lama noch durch rohe Gewalt lösen lassen. Die Ursache der gegenwärtigen Krise liegt darin, daß China sich von seiner relativ liberalen Tibetpolitik abkehrte.

Das dritte Tibet-Arbeitsforum und der Keim der aktuellen Krise

Bei dem dritten Arbeitsforum zu Tibet, das Peking vom 20. - 23. Juli 1994 abhielt, wurde die völlige Auslöschung der Jahrtausende alten Zivilisation auf dem tibetischen Hochplateau empfohlen.

Das dritte Forum zu Tibet wurde von der chinesischen Führungsspitze einberufen und stand unter dem Vorsitz des damaligen Präsidenten Jiang Zemin. Heute bezeichnen die Behörden dieses Forum als "wichtigsten strategischen Meilenstein zur Erneuerung Tibets" und sie haben dessen Beschlüsse zum neuen Manifest für ihre Parteiarbeit auf dem Hochplateau erhoben.

Die Bedeutsamkeit des dritten Arbeitsforums liegt in der Tatsache, daß es die von den beiden Vorgänger-Foren in den Jahren 1980 und 1984 festgelegten liberaleren Richtlinien für die "Entwicklung" Tibets revidiert hat. Die ersten beiden Arbeitsforen wurden von dem damaligen Generalsekretär der KPC Hu Yaobang einberufen. Diesem liberalen Politiker ist eine Reihe von leider nur kurzlebigen Maßnahmen für die Verbesserung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in Tibet zu verdanken. Dieses kurze Intervall der Liberalisierung verbesserte die Lebensbedingungen der meisten Tibeter und trug zur Entspannung des intellektuellen und sozialen Klimas bei.

Das dritte Arbeitsforum revidierte all das und legte statt dessen vier Leitlinien fest. Die Repressionsschraube wurde angezogen. Die außenpolitische Propaganda wurde verstärkt. Das Tempo der ökonomischen Entwicklung in Tibet wurde beschleunigt und als logische Folge davon wurden chinesische Zuwanderer und Geschäftsleute ermutigt, ihre Chance beim Wirtschaftsboom auf dem Dach der Welt zu ergreifen.

Der tibetische Buddhismus ist eines der Hauptangriffsziele der gegenwärtigen Repressionspolitik. Das rasche Wachstum der Klöster und Tempel während der Periode der Liberalisierung versetzte die chinesische Führung in Alarmstimmung, denn sie sieht in den Klöstern Bastionen des tibetischen Nationalismus. Die Behörden haben die "Demokratischen Managementkomitees" eingerichtet, welche die Kontrolle über die Klöster ausüben und "Arbeitsinspektionsteams" geschaffen, welche die "Erziehung" der Mönche und Nonnen zu überwachen haben.

Besonders schrecklich für die Tibeter ist der kompromißlose Krieg Chinas gegen die tibetische Kultur. Die alten Sprüche aus der Kulturrevolution, mit denen der Zerstörungsfeldzug gegen den Buddhismus gerechtfertigt werden sollte, werden wieder hervorgeholt. Den verblüfften Tibetern wurde damals erklärt, es könne keine zwei Sonnen am Himmel geben, folglich könne es in Tibet auch nicht Buddhismus und Sozialismus nebeneinander geben, weshalb der Buddhismus unvermeidlich dem Sozialismus zu weichen habe. Diese unverhohlene Unterdrückung des Buddhismus durch die Staatsmacht wird in unseren Tagen wiederholt.

Durch Kampagnen wie "Hartes Zuschlagen" und die "Patriotische Umerziehung", die 1996 eingeführt wurden, soll das Band der Loyalität zwischen der tibetischen Geistlichkeit und dem Dalai Lama zerrissen  und der tibetische Buddhismus von seiner Entfaltung abgehalten werden. Der chinesische Staat befürchtet, die zum tibetischen Buddhismus gehörende Loyalität zum Dalai Lama ginge auf Kosten der Loyalität gegenüber der KPC.

Bei der Kampagne des "Harten Zuschlagens" fällt auf, wie unterschiedlich sie in China und Tibet gehandhabt wird. In China wird sie zur Bekämpfung der Kriminalität eingesetzt. In Tibet ist sie ein politisches Werkzeug, um die von der Regierung als "Separatisten" betrachteten Tibeter zu eliminieren. Statt das Verbrechen in Tibet zu bekämpfen, drücken die Behörden gerne ein Auge zu in der Hoffnung, daß dieses soziale Übel die traditionelle Moral der Tibeter aushöhlen und den tibetischen Buddhismus untergraben wird.

Während einer Geheimkonferenz, die im Dezember 1999 in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, stattfand, empfahl der als Hardliner bekannte damalige KPC-Generalsekretär der TAR, Chen Kuiyuan, der chinesischen Zentralregierung sogar die Ausrottung des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur. Beide müßten vollständig vom Angesicht der Erde verschwinden, so daß die nachfolgenden Generationen von Tibetern keine Erinnerung mehr daran hätten und die Überreste höchstens noch im Museum zu betrachten seien.

Ferner erklärte Chen Kuiyuan, der Hauptgrund für die instabile Lage in Tibet sei die Existenz des Dalai Lama und seiner Regierung-im-Exil in Dharamsala. Diese müßten mit Stumpf und Stiel vernichtet werden. Tibet, das tibetische Volk und der tibetische Buddhismus - mit anderen Worten also der schiere Name "Tibet" - müßten ausgelöscht werden und die TAR mit Nachbarprovinzen wie Sichuan verschmolzen werden.

Dieser Totalangriff auf die tibetische Kultur wird durch die Kommentare des jetzigen Parteisekretärs in Tibet, Zhang Qingli, bestätigt. Er sagte: "Die KPC ist wie Vater und Mutter für das tibetische Volk, und Eltern denken immer an das Wohl ihrer Kinder. Die Partei ist der wahre Buddha für die Tibeter." Über S.H. den Dalai Lama urteilte Zhang: "Der Dalai ist ein Teufel mit menschlichem Gesicht aber dem Herzen einer Bestie… Wer sein Land nicht liebt, ist eigentlich kein menschliches Wesen". Zum gegenwärtigen Kampf der Tibeter um mehr Freiheit meinte er: "Wir stehen mitten in einem blutigen und grimmigen Kampf mit der Dalai Clique. Es ist ein Kampf mit dem Feind auf Leben und Tod."

Was Tibeter, Chinesen und ausländische Gelehrte über die Lage in Tibet denken

Die jüngsten schon über einen Monat andauernden Demonstrationen in Tibet sind der beste Beweis für das katastrophale Scheitern dieser kompromißlosen Politik und der damit einhergehenden beleidigenden Phrasendrescherei. Kein geringerer als Bapa Phuntsok Wangyal, der Gründer der tibetischen kommunistischen Partei, der eine wesentliche Rolle bei der Zementierung der kommunistischen Herrschaft über Tibet spielte, ließ die chinesische Führung wissen, ihre harte Politik sei falsch. Am 29. Oktober 2004 schrieb er an Präsident Hu Jintao: "Die tibetische Frage, welche aufs engste mit der chinesischen Innenpolitik verknüpft ist, könnte relativ einfach und unter Wahrung der Souveränität der Nation gelöst werden. Der Weg dazu wäre eine echte Autonomie mit marginalen Änderungen bei der Politik der administrativen Teilung. Der Kernpunkt und die Voraussetzung dafür sind der Wille zur Verständigung - jeder von uns könnte und sollte zu einem gemeinsamen Einvernehmen gelangen. Nach einer Einigung zwischen der Zentralregierung und dem Dalai Lama auf die Prinzipien der nationalen Souveränität, nach den notwendigen innenpolitischen Anpassungen und der Einführung der Selbstbestimmung sollten beide Seiten eine auf dieser Grundlage basierende gemeinsame offizielle politische Erklärung veröffentlichen, in der sie die Wiederherstellung der freundschaftlichen Beziehungen bekanntgeben. In dieser freundschaftlichen und harmonischen Atmosphäre könnte man dann die konkreten Planungen für die Vereinigung der autonomen tibetischen Regionen ausarbeiten und eine Abteilung zur Beratung während des Übergangs einrichten, welche die Umsetzung der Inhalte und Ziele der Autonomie gewährleisten würde. Beide Seiten sollten dabei bedacht werden, weitblickend und großmütig vorgehen und an ihrer brüderlichen Beziehung festhalten“.

Wang Lixing, ein Schriftsteller aus Peking pflichtete Wangyal in seiner Argumentation bei: In seinem am 28. März 2008 im Wall Street Journal erschienenen Leitartikel führt er aus, daß Chinas gegenwärtiger Kampf gegen den Separatismus falsch ist. Wörtlich heißt es: "Da diese Leute ihre Karriere auf dem Kampf gegen den Separatismus aufgebaut haben, würden sie ihr Gesicht verlieren, wenn sie ihre Fehler eingestünden, und natürlich fürchten sie auch den Verlust ihrer Macht und Positionen."

Wang Lixiong schreibt weiter: "Der effizienteste Weg zum Frieden in Tibet führt über den Dalai Lama, dessen Rückkehr nach Tibet vielen Problemen den Stachel nehmen würde. Ein Großteil der aktuellen Feindseligkeiten ist das direkte Ergebnis der verbalen Angriffe der chinesischen Regierung gegen den Dalai Lama, der in den Augen der tibetischen Mönche eine unvergleichlich erhabene Position einnimmt. Von den Mönchen zu verlangen, sich von ihm loszusagen, bedeutet für sie das gleiche, wie wenn sie ihre eigenen Eltern schmähen müßten."

Wang gab den Anstoß für die kürzlich veröffentlichte 12 Punkte umfassende Erklärung zu Tibet, die von 30 chinesischen Intellektuellen verfaßt wurde. Seit ihrer Veröffentlichung haben sie zahlreiche weitere chinesische Menschenrechts- und Umweltaktivisten, Schriftsteller und Gelehrte unterzeichnet. Im ersten Punkt heißt es: "Gegenwärtig hat die einseitige Propaganda in den offiziellen chinesischen Medien eher die Wirkung, ethnische Animositäten zu schüren und eine bereits aufgeheizte Situation noch weiter zu verschärfen. Dies ist dem langfristigen Ziel der Sicherung der nationalen Einheit diametral entgegengesetzt. Wir fordern, daß eine solche Propaganda eingestellt wird."

Im zweiten Punkt wird ausgeführt: "Wir unterstützten die dringende Bitte des Dalai Lama um Frieden und hoffen, daß der ethnische Konflikt gemäß den Prinzipien des guten Willens, des Friedens und der Gewaltfreiheit gelöst werden kann. Wir verurteilen jeden Akt der Gewalt gegen unschuldige Menschen, und bitten die chinesische Regierung dringend, die gewalttätige Unterdrückung zu beenden und bitten das tibetische Volk ebenso, von allen gewalttätigen Ausschreitungen Abstand zu nehmen." Die chinesische Regierung wird in der Erklärung zu direkten Gesprächen mit S.H. dem Dalai Lama über die Lösung des Konflikts aufgefordert.

Ruan Ming, ein in Taiwan ansässiger Redenschreiber des ehemaligen KPC-Generalsekretärs Hu Yaobang, teilte am 26. März der Zeitung Epoch Times seine Auffassung über die Lage in Tibet mit: "Der Dalai Lama hat immer eine friedliche Lösung für die Tibetfrage angestrebt und damit die Achtung der ganzen Welt gewonnen. Genau das hatte die KPC im Sinn, als sie den Dalai Lama beschuldigte, er hätte diese Ereignisse sorgsam geplant und geschürt". Ruan Ming fügte hinzu: "Nach dem gleichen Muster warf die KPC seinerzeit Zhao Ziyang vor, er sei schuld am Massaker auf dem Tiananmen-Platz im Jahr 1989, er sei schuld an der Spaltung der Partei und habe die Unruhestifter unterstützt." Weiter sagte er: "Der Dalai Lama hat bereits erklärt, er werde zurücktreten, falls die Unruhen anhielten. Der Dalai Lama genießt weltweit großen Einfluß und wenn er sich wirklich zurückzöge, würde das Regime die Tibeter allmählich zu Terroristen abstempeln und sie ausschalten, genauso wie sie es mit den Mitgliedern der Unabhängigkeitsbewegung in Xinjiang tut."

Am 27. März 2008 sandten über 70 Tibetologen einen offenen Brief an Präsident Hu Jintao. Darin hieß es: "Als auf Tibetologie spezialisierte Wissenschaftler sind wir durch die jüngsten Ereignisse außerordentlich beunruhigt. Die Kultur, die der Gegenstand unserer Studien ist, ist nicht nur ein Objekt akademischer Forschung, sie ist das Erbe eines lebendigen Volkes und eines der wichtigsten kulturellen Vermächtnisse der Welt… Die Anschuldigungen gegen den Dalai Lama zeigen, wie sehr die chinesische Regierung das Eingeständnis scheut, daß der wahre Grund für die allgemeine Unzufriedenheit im Scheitern ihrer Politik liegt."

(1) Mit Tibet ist das gesamte tibetische Gebiet - Cholka-Sum - gemeint, nämlich U-Tsang, Kham und Amdo. Dazu gehören die heutigen chinesischen Verwaltungseinheiten: die sogenannten Autonomen Region Tibet (TAR), die Provinz Qinghai, die zwei Tibetisch-Autonomen Präfekturen sowie ein Tibetisch-Autonomer Bezirk in der Provinz Sichuan, ein weiterer Tibetisch-Autonomer Bezirk in der Provinz Gansu und eine Tibetisch-Autonome Präfektur in der Provinz Yunnan.